Der Südseekönig
Published by BEKKERpublishing, 2018.
Title Page
Der Südseekönig
Copyright
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
Further Reading: 10 hammerharte Strand-Krimis
Also By Freder van Holk
About the Publisher
![]() | ![]() |
Heiter-romantischer Roman von
Freder van Holk
Der Umfang dieses Buchs entspricht 141 Taschenbuchseiten.
Der junge Meeresbiologe Heinrich Hansemann, der in dem alten Kapitänshaus seines Urgroßvaters Urlaub macht, staunt nicht schlecht, als zwei Fremde vor seiner Tür stehen und ihm erklären, er sei der rechtmäßige Nachfolger des Königs von Pomadu, einer kleinen Südseeinsel, die auf keiner Karte verzeichnet ist. Zuerst hält er es für einen dummen Scherz, doch als dann Prinzessin Medda erscheint, die ebenfalls von Pomadu stammt und den neuen König heiraten soll, ist seine Neugierde geweckt. Denn Medda ist das zauberhafteste Mädchen, das er je gesehen hat. Leider will sie nur denjenigen zum Mann nehmen, der auf Pomadu die Königskrone trägt – und da Heinrich ablehnt, bleibt nur Vetter Oskar ...
![]() | ![]() |
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker.
© by Author
© Cover nach Motiven von Pixabay, 2018
© dieser Ausgabe 2018 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
www.AlfredBekker.de
postmaster@alfredbekker.de
![]() | ![]() |
Die kleine Bronzeglocke neben der Haustür schlug müde an. Es fehlte ihr nicht an Lebenslust, aber die Schnur, die sie mit der Gartenpforte verband, hing schlaff durch und gab die eifrigen Rucke an der Pforte nicht mehr gern weiter. Wozu auch?
Erstens erwartete das Haus keine Besucher, und wer trotzdem kam, begriff im Laufe der Zeit schon, warum die windschiefe Pforte einladend offen stand.
Der Herr des Hauses, Heinrich Hansemann, begriff schon nach Minuten, dass die Glocke ihn rief. Er trennte sich von dem wunderbaren Blick auf die Unterelbe, drückte sich aus dem Ohrenbackensessel heraus und ging über die leise ächzenden Dielen durch die knarrende Zimmertür zur Haustür.
Am liebsten wäre er auf Zehenspitzen gegangen. Das Haus war alt und schon ziemlich altersschwach. Sein Urgroßvater hatte es vor rund hundert Jahren gebaut — ein schmuckes Haus mit roten Klinkersteinen und weißleuchtenden Fensterkästen — das Haus eines Kapitäns, der auch in seinen alten Tagen noch auf das große Wasser hinausblicken will. Jetzt sah es von außen immer noch freundlich aus, aber im Innern war es ein wenig mürrisch geworden und wollte keinen neuen Bewohner haben.
Heinrich Hansemann fühlte sich wie ein Fremder, obgleich er seine ganze Kinderzeit hier verbracht hatte. Das Haus war wie seine Großmutter seligen Angedenkens geworden: Starr, streng und angefüllt mit Dingen und Erlebnissen, zu denen er keine Beziehung besaß. Sie war ihm immer wie ein Überbleibsel aus einer anderen Welt vorgekommen. Anderen auch. Vielleicht hatte die einsame Lage damit zu tun.
Das Dorf Buxhorn, zu dem das Haus gehörte, lag nur eine knappe halbe Stunde entfernt, aber ein Streifen Wald riegelte es gründlich ab, und der Weg hindurch war nicht viel mehr als eine Schneise. Das Haus besaß weder Licht noch Wasseranschluss. Diese alten Kapitäne hatten sich noch weniger gesorgt als die Bauherren von heute. Sie kauften einen Hektar Land, wo es am billigsten war, bohrten einen Brunnen und bauten sich daneben ihr Haus, ohne sich damit aufzuhalten, dass ihre Nachkommen eines Tages Kronleuchter, Radio, Fernsehen und Kühlschrank um sich haben wollten.
Heinrich Hansemann öffnete die Haustür. Sie knarrte nicht. Sie quietschte. Das war seit jeher ihre persönliche Note, die jeglichen modernen Einbrecheralarm überflüssig machte.
Zwei Männer standen vor der Tür. Der eine war ein Hüne von annähernd zwei Metern, mit einem kurzgeschorenen Graukopf und dunkler, bronzefarbener Haut, blendend weißen Zähnen und sehr hellen, blassen Augen. Sein Gesichtsausdruck verriet Intelligenz, Unternehmungslust und jenen Humor, der seinen Spaß daran fand, eine gutbesuchte Hafenkneipe auszuräumen.
Der andere war nicht über mittelgroß, hatte dafür aber brennend rote Haarstoppeln, die rotverbrannte Haut der Rothaarigen und überraschenderweise melancholisch wirkende braune Augen. Die Melancholie konnte aus seinem Wesen kommen, aber auch aus einem augenblicklichen Kater. Für das Letztere sprach eine deutliche Verschmitztheit um die Augen herum.
Beide trugen keine Hüte, dafür aber Schlips und Kragen. Ihre Anzüge saßen ungeschickt und erinnerten an Konfirmandenanzüge.
Ihre Schuhe — schwarze Halbschuhe mit spitzem italienischen Zuschnitt — trugen sie an den Schnürsenkeln in der Hand.
Der Hüne musterte Heinrich Hansemann und drehte dann den Kopf eine Kleinigkeit zu seinem Begleiter hin.
„Heinrich der Große“, sagte er mit Genugtuung.
„Der Tyrann!“, antwortete der Rotkopf griesgrämig.
Heinrich Hansemann ließ ihnen Zeit. Er besaß viel Geduld. Schließlich war er selbst über hundertachtzig groß und befand sich körperlich einigermaßen in Form. Er fürchtete sich nicht vor ein paar Landstreichern.
„Königsformat!“, bewunderte der Hüne.
„Mit Strohmundstück“, bemängelte der andere.
Heinrich Hansemann nahm auch die Anspielung auf sein helles Haar gelassen hin.
Die beiden sprachen ein sonderbares Deutsch. Es klang steif und besaß einen fremdartigen Akzent, den er nicht einordnen konnte.
„Sie haben Pech“, sagte er friedlich. „Mit dem Teller Suppe ist es nichts. Keine Frau im Haus. Sie hätten sich den Weg sparen können. Oder wollen Sie mir Schuhe verkaufen?“
„Diese verdammten Schuhe!“, brummte der Hüne und schielte flüchtig auf seine nackten Füße hinunter. „Wir haben Blasen. Wenn ich den Kerl erwische, der sie uns aufgehängt hat, stopfe ich ihn hinein.“
„Keine Ahnung von Diplomatie“, missbilligte der Rotkopf.
Der Hüne grinste wohlwollend. „Kümmern Sie sich nicht um ihn. Er hat hier nichts zu sagen. Er behauptet nur immer das Gegenteil, weil sich das so für die Opposition gehört —wenigstens noch bei uns. Sie sind doch dieser Dr. Heinrich Hansemann?“
„Stimmt.“
„Ein Eierkopf!“, murmelte der Kleinere geringschätzig.
„Genau das, was wir brauchen. Ich bin Ruti. Ruti Breghel, wenn Sie es genau nehmen wollen, aber es nützt Ihnen nicht viel. Bei uns gibt es eine Masse Breghels. Ruti genügt. Ich bin der Ministerpräsident von Pomadu, außerdem der Außenminister und der Innenminister, der Wirtschaftsminister und der Handelsminister, der Verkehrsminister, der Verteidigungsminister und überhaupt alles, was so dazu gehört.“
„Die ganze korrupte Regierung“, erläuterte der Rotkopf gehässig.
„Ja, und das ist Odo Steerman, genannt Odo“, fuhr Ruti heiter fort. „Die ganze miese Opposition in einer Haut. Odo ist der stellvertretende Ministerpräsident von Pomadu, außerdem der stellvertretende Innenminister, der stellvertretende Außenminister und der stellvertretende Wirtschaftsminister und ...“
„Er hat es schon begriffen“, fing Odo ihn ab. „Haben Sie zufällig etwas zu trinken hier?“
„Dort drüben ist der Brunnen.“
„Wasser!“, seufzte der Rotkopf melancholisch.
„Er hat einen Kater“, erklärte der Hüne vertraulich. „Er verträgt einfach nichts. Schwache Konstitution! Nach zwei Flaschen Whisky rutscht er schon unter den Tisch. Na ja, mit den Steermans war nie viel los. Stoßen Sie sich aber nicht daran. Es gibt Bessere bei uns. Bestimmt wird es Ihnen Spaß machen, unser König zu sein.“
„Sicher“, nickte Heinrich Hansemann. „Ich bin geradezu wild auf Spaß. Passen Sie auf, dass Sie sich nicht verlaufen, wenn Sie nach Buxhorn zurückgehen. Die Gartenpforte können Sie offen lassen.“
Er hielt sich an die väterliche Tonart. Die beiden hatten offensichtlich einen Stich. Vielleicht hatten sie noch zu viel Alkohol im Blut, aber vielleicht wurden sie auch in einem Irrenhaus vermisst.
Der Hüne bedachte ihn mit einem scharfen und sehr nüchternen Blick und brummte dann vorwurfsvoll:
„Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie sich nicht um ihn kümmern sollen. Er schwatzt doch bloß dummes Zeug, weil er von der Regierung dafür bezahlt wird. Das ganze Volk von Pomadu ist einstimmig dafür, dass Sie unser König werden sollen. Außerdem verlangt es das Grundgesetz. Sie sind der einzige direkte Nachkomme auf der männlichen Linie Heinrichs des Großen und damit laut Grundgesetz der König von Pomadu. Klare Sache, nicht?“ Heinrich Hansemann blickte ihn ebenfalls scharf an. Das war nicht das Geschwätz eines Betrunkenen. Umso unverständlicher wurde freilich, was er meinte.
„Ich verstehe kein Wort“, erwiderte er trocken. „Am besten wird es sein, Sie wiederholen es noch einmal. Vielleicht kommt diesmal etwas anderes dabei heraus?“
„Da hast du es“, murrte der Rotkopf. „Kein Mensch will heute noch König sein. Sie sind alle zu bequem geworden.“
„Halt’s Maul!“, befahl Ruti streng und wandte sich wieder an Heinrich Hansemann. „Ich weiß nicht, was Ihnen so komisch klingt. Sie sind jetzt der König von Pomadu, und wir sind hergekommen, um es Ihnen zu sagen und Sie abzuholen. Natürlich hätte uns das mit den Schuhen nicht passieren dürfen, aber wenn Sie Wert darauf legen, können wir sie ja noch anziehen. Bei uns kann eben jeder barfuß zu seinem König kommen. Oder gefällt Ihnen sonst etwas nicht?“
Heinrich Hansemann wusste nicht recht, was er sagen sollte. Das wäre wohl jedem ähnlich ergangen, der vor seiner Haustür zwei barfüßige Männer gesehen hätte, die ihn in irgendeinem Staat, von dem er noch nie gehört hatte, zum König machen wollten. Er überlegte sich die Situation und entschloss sich, den Stier bei den Hörnern zu packen.
„Sie sind nüchtern, nicht wahr?“, fragte er zunächst einmal vorsichtig.
„Sicher“, nickte der Hüne. „Wir haben zwar gestern Abend mit diesen Presseleuten gefeiert, aber mehr als zwanzig doppelte Whisky und ein Dutzend Gläser Sekt habe ich nicht getrunken. Als Ministerpräsident in diplomatischer Mission muss man sich schon ein bisschen zurückhalten. Außerdem waren das überhaupt keine Leute, bei denen es sich lohnte. Nach zwei Stunden lagen sie reihenweise unter dem Tisch. Na ja, Presse!“
„Schon gut. Geistige Beschwerden haben Sie auch nicht?“
„Keine Spur“, grinste Ruti. „Wir haben noch nicht einmal Geist. So weit ist es bei uns noch nicht gekommen.“
„Aha? Und Sie wollen mich zu Ihrem König machen?“
„Genau. Oder noch genauer: Sie sind es schon.“
„Na schön, dann befehle ich Ihnen, zu verschwinden. Ich hoffe, dass Sie den Befehl Ihres Königs respektieren.“
Der Hüne blinzelte. „Tun wir“, erklärte er. „Aber es braucht ja nicht unbedingt gleich zu sein. Vielleicht ist es besser, wenn ich Ihnen die Geschichte erst noch ein bisschen erkläre? Wir können schließlich nicht nach Pomadu zurückkehren und sagen, dass Sie uns einfach für verrückt gehalten haben. Oder halten Sie uns nicht für verrückt?“
„Hm?“
„Nimm’s nicht tragisch, Ruti“, murmelte der Rotkopf. „Bisher hat noch jeder König seinen Ministerpräsidenten für verrückt gehalten.“
„Kommen Sie herein“, sagte Heinrich Hansemann schließlich mit einem abgrundtiefen Seufzer und gab die Schwelle frei. Es kam nicht darauf an. Wenn die beiden entsprungene Irre waren, konnten sie im Wohnzimmer auch nicht mehr Schaden anrichten als auf der Schwelle.
![]() | ![]() |
Sie setzten sich auf die Stühle, die um den alten Eichentisch herumstanden. Der Hüne bewegte sich mit Vorsicht zwischen einer niedrigen Decke und zerbrechlichen Möbeln. Der Rotkopf blickte sich um, als hoffte er, ein passendes Getränk zu finden, und resignierte.
Die Atmosphäre hatte sich verändert. Der Hüne wirkte jetzt bedächtig, nüchtern und sachlich, der Rotkopf intelligent und wachsam. Wenn man nicht genau hinsah, konnte man die beiden für einen seriösen Geschäftsmann mit seinem Anwalt halten.
„Fangen wir also noch einmal von vorn an“, schlug Ruti vor. „Ich habe den Eindruck, dass Sie nichts von Pomadu und Ihren Königsrechten wissen. Stimmt das?“
„Ja“, bestätigte Heinrich Hansemann mit der gleichen Sachlichkeit. „Und ich habe den Eindruck, dass Sie an die falsche Adresse geraten sind. Ich bin kein König, sondern Meeresbiologe, und von einem Ort namens Pomadu habe ich nie gehört.“
„Kein Ort, sondern eine Insel“, berichtigte Ruti väterlich. „Sie liegt auf 5 Grad Nord und 176 Grad Ost. Das ist zwischen den Ratak-Inseln und der Gilbertgruppe. Die nächste Insel im Norden ist die Mille-Insel, die nächste im Süden die Makin-Insel, beide rund zweihundert Kilometer entfernt.“
„Ich kenne zufällig die Karte dieses Gebiets. Dort gibt es keine Insel Pomadu.“
„Stimmt. Sie existiert auf keiner Karte. In den ersten Originalplänen war sie vorhanden, aber der damalige Kartenstecher in London hielt sie für einen Fliegendreck und nahm daher keine Notiz von ihr bei seiner Arbeit. Seitdem ist sie nicht wieder auf den Karten aufgetaucht. Später schon gar nicht. Sie liegt nämlich genau auf der Demarkationslinie, die seinerzeit zwischen dem deutschen Schutzgebiet und der englischen Gilbert-Gruppe gezogen wurde. Die Deutschen hielten sie für deutsch und die Engländer für englisch, und solange niemand daran rührte, konnte sich jeder einbilden, was er wollte. Abgesehen davon hatte keiner Lust, sich an unseren Korallenwällen die Schiffsbäuche aufzuschlitzen. Können Sie mir folgen?“
„Einigermaßen. Aber was habe ich nun mit dieser Insel Pomadu zu tun?“
„Sie sind der Urenkel von Heinrich Hansemann, seinerzeit Kapitän des Frachtenseglers ,Meta Harborn“. Im Jahre 1865 strandete die ,Meta Harborn' nach einer langen Irrfahrt an den Korallenkuppen von Pomadu. Sechzig Mann der Besatzung kamen lebend durch die Korallenbänke, nachdem der Kapitän geschworen hatte, jedem die Zähne auszuschlagen, der es nicht schaffen würde. Damals gab es eben noch Respekt. — Kennen Sie Pomadu?“
„Nein.“
„Ach, natürlich nicht. Also am besten stellen Sie sich einen hohlen Zahn vor. Wahrscheinlich war Pomadu früher einmal ein großer Vulkan. Von außen sieht man ringsum nichts als schwarze, kahle Wände, die nicht einmal das Ansehen lohnen. Im Innern befindet sich aber eine fruchtbare Ebene von mindestens hundert Quadratkilometern, auf der es sich leben lässt. Damals wohnten dort nur einige hundert Polynesier. Nette Burschen, und hübsche Frauen! Den Rest können Sie sich wohl denken. Die Schiffbrüchigen der ,Meta Harborn‘ blieben auf Pomadu, da sie ohnehin nicht wieder wegkonnten, siedelten sie sich an und heirateten. Heute gibt es über sechstausend Menschen auf Pomadu, und die meisten davon können sich sehen lassen. Stoßen Sie sich nicht an Odo. Er gehört zu den Ausnahmen.“
„Und was wurde aus meinem Urgroßvater?“, fragte Hansemann interessiert.
„Ja, richtig. Er heiratete die Tochter des Häuptlings und ernannte sich zum König von Pomadu. Das nahm ihm niemand übel, denn wenn einer nicht mehr Kapitän sein kann, ist König gerade das Richtige für ihn. Er hatte nur zu viele Einfälle, die nicht so richtig nach Pomadu passten. Nehmen Sie zum Beispiel die Geschichte mit den Briefmarken. Ein Königreich ohne Briefmarken passte ihm nicht. Pomadu sollte auch seine Post, seine Briefkästen und seine Briefmarken haben. Also ließ er bei nächster Gelegenheit in London Briefmarken drucken. Dabei konnte auf Pomadu kein Mensch lesen oder schreiben — ein paar Hochgestochene unter den Schiffbrüchigen ausgenommen —, sodass auch keiner Briefe schreiben konnte. Also erließ der König ein Gesetz, wonach jeder lesen und schreiben lernen musste. Nun gab es aber auch noch keine Schulen, keine Lehrer und nicht einmal Federhalter. Aber die Briefmarken wurden trotzdem gedruckt. Lauter solche Sachen stellte er an.“
„Tyrann!“, warf der Rotkopf ein.
„Heinrich der Große!“, widersprach der Hüne. „So verkehrt, wie die anderen damals dachten, war das nämlich alles gar nicht. Er hat die Gesetze gemacht, und weil sie nun einmal da waren, gab es einige Jahrzehnte später auch eine Schule und Lehrer, und jeder lernte lesen und schreiben, ob es ihm nun passte oder nicht. Und das war nun wieder der Anfang von vielem anderen. Nur zu Briefmarken hat es nicht wieder gereicht.“
„London?“, fragte Heinrich Hansemann. „Wie konnte er in London Briefmarken drucken lassen, wenn niemand die Insel verlassen konnte?“
„Oh, die Polynesier konnten schon. Sie flitzten mit ihren Auslegerbooten in der ganzen Inselwelt herum. Verwegene Burschen! Und mancher von ihnen fuhr schon damals als Steuermann oder Kapitän. Natürlich dauerte es ein paar Jahre, bevor die Briefmarken von London kamen, aber sie kamen. Wie gesagt — lauter solche Sachen, die noch nicht in die Zeit passten. Deshalb gab es schließlich im Jahre 1870 eine Meuterei, und er wurde abgesetzt. Daraufhin hat er alles hingeschmissen, sich von Frau und Kind verabschiedet und mit dem nächsten Ausleger die Insel verlassen. Wutentbrannt!“
Heinrich Hansemann grinste. „Revolution auf Pomadu! Großartig!“
„Von einer Revolution konnte keine Rede sein“, berichtigte Ruti sachlich. „Sie wollten bloß den alten Tyrannen loswerden. Die Königswürde ging auf seinen Sohn über, der damals noch ein Kind war, und wurde immer weiter in der direkten männlichen Linie vererbt. Nun ist aber Heinrich III., unser letzter König, gestorben und hat nur eine Tochter hinterlassen. Auf diese Weise sind Sie nun Heinrich IV. von Pomadu.“
„Herzlichen Dank“, quittierte Heinrich Hansemann trocken. „Mein Urgroßvater ist also offenbar in seine Heimat zurückgekehrt und hat hier eine neue Familie gegründet?“
„Sicher“, sagte Ruti.
„Und woher wussten Sie das?“, wollte Heinrich Hansemann wissen.
„Nun, er hat später noch ein paar Briefe nach Pomadu geschrieben — mit seiner Meinung über gewisse Leute und einigen weiteren fortschrittlichen Gesetzen. Dabei hat er auch die hiesige Adresse angegeben. Als nun diese Erbfolgesache auf uns zukam, haben wir durch einen unserer Leute nachforschen lassen. Er traf Ihre Großmutter an, also die Schwiegertochter Heinrichs I., und von ihr erfuhr er alles, was er brauchte. Ganz einfach, nicht?“
„Sehr einfach“, sagte Heinrich Hansemann mit einem tiefen Atemzug. „Und nun will ich Ihnen auch einmal etwas ganz Einfaches sagen: Ich bin mir nicht sicher, ob Sie sich nicht bloß einen Witz mit mir machen wollen, aber ich habe nicht einmal Lust, darüber nachzudenken. Ich lebe hier, habe meinen Beruf und mein Einkommen und denke gar nicht daran, auf Ihrer Südseeinsel den kleinen König zu spielen. Auf Wiedersehen, meine Herren.“
Ruti ließ sich nicht erschüttern. Er wackelte nur etwas mit dem Kopf. „So lässt sich das nicht machen, Majestät“, erklärte er schließlich. „Sie sind nun einmal unser König. Sie können natürlich abdanken, aber so etwas muss man doch erst einmal in aller Ruhe bereden. Wenn es etwa eine Gehaltsfrage ist, dann brauchen Sie sich nicht daran zu stoßen. Bei uns kriegen Sie auch Gehalt. Mit Pensionsberechtigung! Und drei Monate Urlaub im Jahr. Das lässt sich doch hören, nicht? Und was Ihren Beruf betrifft — Meer haben wir bei uns mehr als hier. Wenn Sie Wert auf Fische legen ...?“
„Plankton“, unterbrach Heinrich Hansemann. „Ich bin Planktonforscher.“
„Hm, Plankton haben wir auch genug. Und bei uns sind Sie außerdem auch noch König. Das wird heutzutage nicht jedem geboten. Oder haben Sie etwas gegen Könige? Wir könnten natürlich auch eine Republik aus Pomadu machen und Sie als Präsidenten wählen, aber dann müssten wir erst eine Revolution organisieren, und das könnte nur die Opposition, und wenn sich Odo damit befasst, kommt höchstens dabei heraus, dass wir dann anstelle eines Königs einen Kaiser haben. So groß ist Pomadu aber nun auch wieder nicht, dass es einen Kaiser braucht. König ist schon genau das Richtige.“
„Ohne mich!“
„Habe ich dir’s nicht gleich gesagt?“, murmelte der Rotkopf melancholisch. „Wenn heute einer als kleiner Angestellter sein festes Einkommen hat, will er nicht mehr König werden. Die Heinriche sind eben auch nicht mehr das, was sie früher waren. Keine Unternehmungslust mehr! Früher sind sie auf kleinen Kähnen gesegelt und haben die ganze Welt erobert, aber heute geben sie sich mit einer Hafenrundfahrt und einer Bockwurst zufrieden. Früher sind sie auf allen Ozeanen gefahren, aber heute hängen sie nur noch die Füße ins Wasser und fangen Wasserflöhe und solches Zeug.“
„Halt’s Maul!“, knurrte Ruti.
„Tue ich nicht. Schließlich geht mich das mehr an als dich, was für einen König wir kriegen. Du brauchst nur zu tun, was er dir sagt, aber ich muss mich als Opposition mit ihm herumschlagen. Denkst du etwa, es macht Spaß, sich mit einem miesen König herumzustreiten, der nicht einmal Lust hat, König zu sein? Oder denkst du, es macht Spaß, eine Revolution gegen einen König zu organisieren, der nur darauf wartet, dass man ihn absetzt? Nee, das ist mit mir nicht zu machen. Wenn er nicht will, dann soll er’s eben bleiben lassen.“
„Das erste vernünftige Wort!“, lobte Heinrich Hansemann. „Nicht, dass es mich nicht reizen würde, Ihnen eine Revolution gegen Ihr angestammtes Herrscherhaus auszutreiben, aber wozu erst der Aufwand? Sie werden schon noch einen anderen König finden.“