Gabriele André & Wolfgang André

LE DÉSIR

Der Wunsch

LE DÉSIR

Eine Weihnachtsgeschichte

Wir wünschen allen eine traumhaft leuchtende

Weihnachtszeit, mögen all Eure Wünsche in

Erfüllung gehen!

Aus der Feder von

Gabriele & Wolfgang André

Der Wunsch

Seit jeher hat der Mensch in seinem Erdendasein Wünsche. Der Wunsch und das damit verbundene Begehren sowie der Glaube daran, hat den höchsten Stellenwert in unserer Adoleszenz. Sich etwas zu wünschen, löst zu dessen Umsetzung eine unsagbare Kraft aus. Der Wunsch ist gefolgt vom Willen und der Sehnsucht. Sie entscheiden über die reale Erfüllbarkeit, indem sie uns zur Entschlossenheit beflügeln, um die machbare Veränderung herbei zu führen.

Das Begehren von Wünschen ist die essenzielle innere Kraft der Hoffnung sowie des Glaubens, um Neues zu erreichen. Der Glaube und die Hoffnung an die Erfüllbarkeit eines Wunsches hat überdies eine magische Wirkung in der Beflügelung der Fantasie. Diese Kraft lässt uns träumen. Ein Wunsch ist facettenreich, der sich in keiner Form einengen lässt. Die Kraft eines Wunsches ist in seiner Vielfalt einzigartig und eine individuelle Form in einer unbestimmten Größe.

Es ist wichtig Wünsche zu haben, denn wer nicht wünscht, hat aufgehört zu träumen. Und was wäre ein Dasein ohne Träume? Der Zauber von Wünschen kennt unzählige Lichter, die fortwährend leuchten und sich nicht löschen lassen. Und manchmal leuchtet das Licht heller, als man es sich wünschte, wenn der Wunsch in Erfüllung geht. Darum sollten wir niemals aufhören zu hoffen, träumen und wünschen!

«NACHKRIEGSZEIT»

Prolog

Am Ende des Zweiten Weltkrieges stand Chaos. Erst als Generaloberst Jodl am 7. Mai 1945 in Reims im Hauptquartier von General Dwight D. Eisenhower, dem Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte in Europa, die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht unterzeichnete, schwiegen am 8. Mai 1945 um 23.00 Uhr, durch deren Inkrafttreten, die Waffen.

Doch der Friede musste noch einige Zeit auf sich warten lassen. Josef Stalin, der sowjetische Diktator insistierte explizit auf eine Wiederholung der Zeremonie im sowjetischen Machtbereich. In der Nacht zum 9. Mai 1945 wurde das Szenario abermals abgehalten. Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, Chef des Oberkommandos der deutschen Wehrmacht, unterschrieb die geforderte Kapitulationsurkunde im sowjetischen Hauptquartier in Berlin-Karlshorst. Nach mehr als fünf Jahren Krieg in Europa kehrte endlich Waffenstillstand und Friede ein.

In der Hinterlassenschaft der Kriegsfolgen, welche aus unsagbaren Leid, Verzweiflung, Dysphorie und unüberschaubarem Durcheinander bestand, musste erst mal die Ordnung wiederhergestellt werden. Das unbeschreiblich beschämende Resultat des Krieges, waren mehr als unvorstellbare 60 Millionen tote Menschen. Deutschland war am Ende. In Österreich sah es nicht besser aus. Einzig und allein wurde Wien nicht gänzlich in Schutt und Asche gelegt. Nur mit etwas Glück und den herrschenden Wetterkapriolen hatte die Bundeshauptstadt am 12. März 1945 den schwersten Angriff der Alliierten einigermaßen gut überstanden. An diesem siebenten Jahrestag der Annexion, startet in Foggia (Italien) die US-Luftwaffe, gnadenlos das schwerste Bombardement, welches gegen österreichisches Gebiet geflogen wurde. Ihr Hauptziel war Wien.

Kurz nach Mittag heulten an diesem besagten Tag in ganz Wien die Sirenen. Die Wiener hofften und wünschten sich, dass dieser schreckliche Feldzug aufgrund des Schlechtwetters ausbleibe.

Jedoch dem war nicht so. Der Himmel verdunkelte sich. Die Wiener liefen gehetzt und getrieben durch die Stadt, um Schutz in den Luftschutzkellern zu suchen. Es herrschte Hektik, Panik, Gedränge und Angst. All jene, welche keinen Platz mehr in den Bunkern fanden, eilten zum Stephansdom. Dabei hofften sie, ihr liebgewonnener Steffl, wie ihn die Wiener gerne nennen, wird sie vor Unheil bewahren. Die Menschen beteten und wünschten.

Kurz nach Mittag wurden am dunklen Himmel die ersten Bomber gesichtet. Eine Armada von 747 Bombern in Begleitung von 229 Jagdflugzeugen heulte ohrenbetäubend über die kulturelle Hauptstadt der Kunst und Musik. Die Weltmetropole war in Bedrängnis. Eineinhalb Stunden wurde das Zentrum von Wien gnadenlos bombardiert.

Das Resultat war erschütternd. Die Staatsoper brannte aus. Das Burgtheater, die Albertina, der Messepalast sowie der Heinrichshof wurden massiv beschädigt. Der Philipphof am Albertinaplatz stürzte komplett ein. Er wurde regelrecht ausradiert. Zweihundert Menschen wurden an diesem Ort des Schreckens begraben. Einige Überlebende wurden im siedenden Löschwasser regelrecht gekocht. Ein diabolisches Szenario des Schreckens, welches Leid, Trauer und unheimliche Verzweiflung hinterließ. Doch der Stephansdom überstand den Angriff schadlos und fand in den Herzen der Bürger einen noch größeren Platz. Ein Gefühl, das bis heute anhält.

Die visionäre Wahnvorstellung von Adolf Hitler und seinen Schergen des Nazi-Regimes richtete nicht nur in Wien, sondern in der Welt, an der gesamten Menschheit unfassbaren Schaden an. Erst als die Welt von dem Holocaust, dem unfassbaren autokratisch arroganten malignen Narzissmus, der unvorstellbar teuflischen Massenvernichtung von Menschen, an der Front und in den Konzentrationslagern erfuhr, richtete sich der Zorn der Völker gegen das Volk der Nationalsozialisten.

Europa war in den Jahren nach 1945 vom Zweiten Weltkrieg von enormen Kriegsschäden schwerst gezeichnet und wirtschaftlich am Boden. Es fehlte an allen Ecken und Enden das Nötigste. Keine Nahrungsmittel und Rohstoffe standen zur Verfügung. Mit Hilfe des amerikanischen Wiederaufbauprogramms sollte endlich die westeuropäische Wirtschaft, durch Eigeninitiative wieder auf eigene Beine kommen.

Vom 8. Mai 1945, dem Ende des Zweiten Weltkrieges war Österreich zwar formal wiederhergestellt, jedoch kein eigener Staat. Im selben Monat konstituierte sich die provisorische Gemeindeverwaltung, auch die politischen Parteien entstanden von Neuem. Trotz allem war die Lage mehr als schwierig und trist.

Hunger, Arbeitslosigkeit und keine Stelle zum Schlafen machten den Bürgern das Leben schwer. Ein täglicher Kampf ums Überleben. Rund knapp ein Viertel der Gebäude wurden ganz oder teilweise zerstört. Mehr als 3000 Bombentrichter wurden im gesamten Stadtgebiet gezählt. Beinahe 87.000 Wohnungen des Hausbestandes wurden unbewohnbar. Brücken lagen in Trümmern. Kanäle, Gas-, Wasser- und Stromleitungen, erlitten gravierend schwere Schäden oder waren unbrauchbar.

Urbane Zerstörung machten der Bevölkerung sehr zu schaffen. In der ruralen Gegend kamen die Wiener besser davon, jedoch war auch dort das Leid unermesslich groß. Die elementarsten Probleme mussten gelöst werden, um die Stadt wieder funktionsfähig zu machen. Überwiegend machten sich Kinder und die bekannten Trümmerfrauen in den geteilten Besatzungszonen ans Werk. Die Anzahl der Männer war in der Minderheit. Welche nicht an der Front gefallen sind, befanden sich in Kriegsgefangenschaft, waren invalide oder schwer traumatisiert. Es fehlte lange Zeit an zupackenden Kräften.

Zudem kam hinzu, dass sich der politische Rahmen gleichfalls kompliziert gestaltete. Die Großmächte der alliierten Besatzung, wollten die Gebietserweiterung der Nazi-Zeit nicht anerkennen. Daraus folgte, dass die bis 1938 bestehenden Bezirke auf vier Besatzungszonen der alliierten Mächte aufgeteilt wurden.

Besatzungszonen der Alliierten (Quelle: Archiv Gemeinde - Wien)

Der 1., Wiener Gemeindebezirk, die Innere Stadt wurde von allen vier Besatzungsmächten gemeinsam als "Interalliierte Zone" verwaltet. Die Alliierten wechselten im Monatsrhythmus die hoheitsrechtliche Verwaltung des 1., Bezirks. Jeweils am letzten Tag des Monats wurde die interalliierte Kommandantur, welche ihren Sitz im Wiener Justizpalast hatte, zeremoniell bis 1953 am Schmerling Platz übergeben. Danach bis 1955 auf dem Heldenplatz. Die beiden beteiligten Besatzungsmächte marschierten mit je einem Soldatenkommando und einer Militärkapelle auf, mit dem sie die Übergabe zelebrierten.

Die Hauptquartiere der Alliierten mit deren Sektoren wurden in Wien aufgeteilt und zugeordnet. Die US-Amerikaner bezogen ihr Hauptquartier im Gebäude der österreichischen Nationalbank und waren administrativ in den Sektoren der Bezirke, 7., Neubau, 8., Josefstadt, 9., Alsergrund, 17., Hernals, 18., Währing, und 19., Döbling, tätig.

Die Briten zogen in das Schloss Schönbrunn ein und waren für die Sektoren der Bezirke 3., Landstraße, 5., Margareten, 11., Simmering (ohne Albern), 12., Meidling und 13., Hietzing zuständig.

Die Franzosen schlugen ihr Quartier im Hotel Kummer im 6., Gemeindebezirk Mariahilf auf, der gleichzeitig zu ihrem Sektor gehörte. Weiters hatten sie die Sektoren 14., Penzing, 15., Rudolfsheim-Fünfhaus und 16., Ottakring inne.

Die Sowejts waren im Palais Epstein, neben dem Parlament einquartiert. Sie verwalteten die Sektoren 2., Leopoldstadt (ab 1954 mit Albern), 4., Wieden, 10., Favoriten, 20., Brigittenau, 21., Floridsdorf und 22., Donaustadt. Die Bezirke 22 bis 26, damit die 97 niederösterreichischen Gemeinden, um das Wien im Oktober 1938 erweitert worden war, galten als zu Niederösterreich gehörig. Sie unterstanden damit der sowjetischen Besatzungsmacht.

Langsam kehrte man zur Demokratie zurück. Menschen zogen durch Straßen mit zerstörten Häusern. Mit dem Kriegsende 1945, war der Wiederaufbau ein zentrales Thema des neuen Gemeinderates. Dies schaffte zumindest für einige Bürger Arbeitsplätze und entschärfte so manche Situation. Leider reichten die Arbeitsplätze noch lange nicht und schon gar nicht für Jedermann. Das Leid und die Armut waren noch groß.

Der Wunsch nach Freiheit ist neben der Gesundheit das kostbarste Gut eines Menschen. Aber irgendwie musste jeder in und nach den Kriegsjahren über die Runden kommen. Das Leben war eine regelrechte Herausforderung. Papier war geduldig und vereinzelt waren Ämter und Körperschaften mit dem Erbe der Nazis durchwachsen.

Wien wurde zum Schmelztiegel von braven hoffnungsvollen Bürgern, untergetauchten Kriegsverbrechern, Flüchtlingen, entlassenen Kriegsgefangenen, Frontheimkehrern, Deserteuren, Schmugglern, Invaliden und solchen, die ihre Chance witterten. Es war eine sehr schwierige Epoche.

Doch bis die Österreicher wieder richtig frei waren und einen eigenständigen Staat innehatten, floss noch eine Menge Wasser durch die Donau. Die österreichische Bevölkerung musste nach den Kriegsjahren noch ein ganzes Jahrzehnt ausharren, sich bewähren und auf die Erfüllung ihrer Wünsche weiter hoffen.

Im November 1945 erfolgte mit der Abhaltung der ersten Gemeinderatswahlen die endgültige Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen. Die 100 Mandate des Wiener Gemeinderates teilten sich zu 58 auf die Sozialistische Partei, zu 36 auf die Volkspartei und zu 6 auf die Kommunisten auf. Schwerpunkte der Tätigkeit der Stadtverwaltung waren zunächst vor allem Jugend- und Altersfürsorge, Instandsetzung der städtischen Unternehmungen und Wiederaufbau. Dieses Programm sollte bis in die frühen 1960er-Jahre vorherrschend sein. Bereits 1946 wurde das so genannte "Gebietsänderungsgesetz" beschlossen. Dieses machte die Stadterweiterung von 1938 weitgehend wieder rückgängig.

Das Gesetz fand acht Jahre lang nicht die Zustimmung der Besatzungsmächte, vor allem der sowjetischen. Seine endgültige Realisierung war erst 1954 möglich. Seither umfasst das Stadtgebiet 23 Bezirke. Gegenüber der Ära vor 1938 kamen der 22. Bezirk nördlich der Donau und der 23. Bezirk im äußersten Süden des Stadtgebietes nunmehr endgültig zu Wien.

Ein Jahrzehnt sorgten die alliierten Besatzungsmächte, USA, Sowjetunion, Frankreich und Großbritannien nach der Kapitulation der Nazis, in Österreich für den Aufbau, für Ruhe, Ordnung und Sicherheit. Österreich galt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges als «nicht lebensfähig».

Wirtschaftlich war Österreich ruiniert. Der Mangel an Rohstoffen wirkte sich negativ auf die Produktion in der Industrie aus. Die mehr als dringend erforderliche Stärkung der Friedenswirtschaft war zunichte. Besonders im Osten von Österreich, da die Sowjets in ihrer Besatzungszone, das ehemals «deutsche Eigentum» als Reparationen für entstandene Kriegsschäden, systematisch beschlagnahmten und demontierten.

US-Außenminister George C. Marshall, Urheber des Marshallplans für 16 westeuropäische Staaten, setzte mit dem Hilfsprogramm Initiativen für Wachstum, Beschäftigung und Produktivität der österreichischen Wirtschaftsunternehmen. Durch das offiziell bezeichnete «European Recovery Program» (ERP) von 1948 bis 1952 erhielt Österreich Waren, um diese im Land zu verkaufen. Die erzielten Einnahmen wurden auf diversen Sonderkonten unter Aufsicht veranlagt. Aus deren Mitteln konnten Kredite vergeben werden, um das Wachstum der Wirtschaft zu fördern.

Der Marshallplan führte zum Erfolg und trug zum maßgeblichen Wirtschaftsaufschwung in Europa bei. Es wird spekuliert, dass aufgrund des erfolgreichen Marshallplans, Österreich vor einer Teilung des Landes im Kalten Krieg verschont wurde.

Der Erfolg des Marshallplans legte die Grundsteine für den darauffolgenden Einigungsprozess der alliierten Großmächte. Die akkumulierten Erträge des Marshallplans wurden 1961 von den USA in österreichische Hände in Form des «ERP-Fonds» übergeben. Dieser Fond trägt, bis zum heutigen Tag einen nicht zu verachtenden Beitrag zur österreichischen Wirtschaftsförderung bei.

Politisch war die Lage mehr als prekär. Österreich war entlang der sowjetischen Besatzungsgrenze sozial gespalten. Die Besatzungszonen machten auch den Bürgern zu schaffen.

Während die USA für Österreich – wie schon bei seinen östlichen Nachbarländern – die Gefahr einer kommunistischen Machtübernahme befürchteten, erblickte Moskau in der anlaufenden Wirtschaftshilfe durch den Westen, vor allem durch die USA, ein imperialistisches Komplott. Im europäischen Kontext nahm Österreich, wie auch Deutschland eine Sonderstellung ein. Die Siegerstaaten des Zweiten Weltkrieges waren im Land als Besatzungsmächte präsent.

Große Teile des Landes grenzten direkt an den kommunistischen Machtbereich. Österreich war eines der Konfliktfelder des sich verschärfenden Ost-West-Konfliktes. Dieser Konflikt ging als bezeichneter Kalter Krieg in die Geschichtsbücher ein.

Ökonomisches Chaos musste verhindert werden, es galt den vordringenden Kommunismus aufzuhalten. Darüber hinaus war Österreich das einzige Land, das teilweise unter sowjetischer Besatzung stand und in den Genuss von Marshallplan-Hilfen kam.

Am 15. Mai 1955, nach einem langen Jahrzehnt der Besatzung, war es nun endlich soweit. Im Schloss Belvedere wurde von Vertretern der alliierten Besatzungsmächte USA, Sowjetunion, Frankreich und Großbritannien sowie der österreichischen Bundesregierung, der Staatsvertrag betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich, unterzeichnet. Außenminister Leopold Figl trat nach der Zeremonie dem Volk gegenüber und verkündete die historischen legendären Worte:

«Österreich ist frei!»

Umgehend beendeten die Alliierten ihre Militärpatrouillen in Wien. Eine neunzig Tage dauernde Räumungsfrist trat mit sofortiger Wirkung gegenüber den Besatzungsmächten in Kraft, wodurch die Besatzungszeit offiziell an 25. Oktober 1955 endete. Am darauffolgenden Tag, dem 26. Oktober 1955, beschloss der Nationalrat das Bundesverfassungsgesetz über die immerwährende Neutralität Österreichs. Dieser historische Tag wurde, ein Jahrzehnt später, zum österreichischen Nationalfeiertag bestimmt.

Die folgenden Jahre ab 1955 waren auch nicht gerade leicht. Aber mit der Erfüllung des Wunsches der Freiheit kehrte wieder Hoffnung ein. Die Wiener arbeiteten hart und fleißig. Sie träumten wieder und hielten an ihren Wünschen fest.

«WIEN»

Innere Stadt

(Vektorgrafik created by W. André)

Der 24. Dezember 1956 war für so manchen Wiener ein besonderer Tag. Es war das zweite Weihnachten nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages. Aber das erste Weihnachtsfest, welchem sich die Wiener in gefühlter reeller Freiheit hingaben. Die turbulenten Zeiten beruhigten sich langsam, man fühlte sich besser und war in Feierlaune. Für ein kleines Mädchen aus der Vorstadt, namens Silvie, war dieser Heilige Abend ein wirklich ganz besonderer.

Über die österreichische Bundeshauptstadt hat sich eine schwere dicke Schneedecke auf den Dächern breit gemacht. Man könnte meinen, Wien hat sich an diesem Tag mit einem dicken weißen Wintermantel bekleidet. Fortwährender ungestümer Schneefall wird von einem eisig beißenden rauen Wind begleitet. In seiner harschen Laune peitscht er die dicken Schneeflocken durch die engen Gassen der Wiener Innenstadt. Der fallende Neuschnee hat in geraumer Zeit bereits eine beachtliche Höhe von mehr als zwanzig Zentimetern auf den Straßen der Innenstadt erreicht. Der von Minute zu Minute zunehmende Schneefall vermindert schon merklich die Sicht.

Von Mannschaften des Schneeräumdienstes der Gemeinde Wien ist weit und breit nichts zu sehen. Der Wind nimmt zu und wird merklich kälter. Die Dichte des Schneetreibens hat zuweilen nicht nur sichtbare Auswirkungen auf den Straßen, sondern bringt auch die von Natur aus mürrischen Wiener leicht zum Granteln. Rundum sind schon einige aufgebrachte meckernde Stimmen zu hören:

«So ah Dreckwetter, nau des hamma noch braucht!»

«Der Schnee g´hört auf die Berg, nett in die Stadt!»

«Glatt is ah, da haut’s ja jeden auf die Papp´n!»

Das Granteln, Raunzen und Gmärmeln der Wiener gehört einfach zu den Charakteristika von Wien. Es vermengt sich mit dem sogenannten Wiener Charme. Der typische Wiener braucht halt immer einen Grund zum Nörgeln. Es gehört ebenso zu seiner Kultur, wie Schlagobers zu Kaffee und Apfelstrudel.

Andere wiederum nehmen es leicht und freuen sich über die märchenhafte Kulisse des weihnachtlichen Zaubers. Vor allem die Kinder. Jedem gleichgetan, ist eben eine Kunst, die niemand kann, nicht einmal das Wetter.

Leute tummeln sich in leicht gebückter Haltung, einige müssen ihre Hüte festhalten, andere kämpfen dafür mit ihren Schirmen. Oft fehlt ihnen dabei eine dritte Hand, da sie mit Geschenken bepackt unterwegs sind.

Der fallende Neuschnee sorgt immer mehr für Chaos auf den Straßen und Gehsteigen im Stadtzentrum. Spurrillen bilden sich auf der Fahrbahn und fordern die Autofahrer, die nur mehr mühevoll und langsam vorankommen. So mancher bleibt gleich stecken und kommt gar nicht mehr weiter. Permanent helfen hilfsbereite Passanten den Autofahrern und schieben sie an.

Autolenker steigen sogar an Kreuzungen während des angezeigten Rotlichtes der Verkehrslichtsignalampeln aus ihren Fahrzeugen, um Scheibenwischer von eisig verklumpten Schneebrocken zu befreien. In vorbeifahrenden Tramways sieht man dicht gedrängte Passagiere, welche sich zur Orientierung ein Guckloch an den gefrorenen Fensterscheiben reiben. So mancher Fahrgast hat bereits seine Ausstiegs-Halstestelle versäumt.

Das Schneegestöber nimmt kein Ende. Der kalte Wind sorgt für seinesgleichen, er wirbelt und peitscht dicke Schneeflocken durch die Luft, als hätte er für einen speziellen Wintertanz choreographiert und treibt sein Spiel. Willkürlich pfeift und saust er von allen Seiten ungestüm heran. Je nachdem wie es ihm gefällt, lässt er eine Böe los. Man könnte schon meinen, der Wind hat selbst Spaß daran und lässt seinem Treiben freien Lauf. Zumindest vermittelt es den Eindruck. Irgendwie trägt er doch zeitweise zur allgemeinen Belustigung und Unterhaltung bei, wenn er einem schick gekleideten Herrn, wie dem Hans´l, den Hut vom Kopf bläst. Somit nimmt das Kommende seinen Lauf und zieht auch vorbeiziehende Schaulustige an, während Hans´l mit dem Wind, «Fang den Hut», spielt.

Für einige Minuten ist es ein ewiges hin und her. Mit jedem Mal, indem Hans´l glaubt, seinen Hut zu erwischen, kommt ein kräftiges Lüftchen und bläst ihn wieder weiter davon. Beim abermaligen Versuch den Hut zu fangen, treibt ein weiterer heftiger Windstoß ihn abermals fort. Anstatt, dass die entgegenkommen Personen helfen, belustigen sie sich in Schadenfreude über den sogenannten Potscherten (Wiener Dialekt Potscherta), wie man auf wienerisch gerne zu Personen sagt, die nicht unmittelbar gleich und sofort etwas auf die Reihe bekommen. Und so auch der arme Hans´l, der sich noch ein paar Mal mit dem Wind herumärgern muss.

Als es ihm zu bunt wird, fasst er den Entschluss abzuwarten, bis der Hut endlich ruhig am schneebedeckten Trottoir liegenbleibt. Endlich ist es soweit.

Langsam und bedächtig nähert er sich seinem Hut. Schon etwas erzürnt hüpft er mit einem Satz in die Höhe und drückt seinen schönen Hut mit dem Schuh nieder. Dabei rutscht er am Bordstein aus und findet sich in einer Schneewechte wieder. In sich fluchend greift er sich schnell seinen neben ihm liegenden plattgedrückten Hut und drückt diesen so fest auf seinen Kopf, dass der zerbeulte Hut feststeckt. Versuche den Hut abzunehmen erweisen sich zunehmend als zwecklos. Er sitzt einfach fest. Dabei rutscht er abermals aus und fällt wiederum in den Schnee.

Nach einigen Fehlversuchen, aufgrund der Glätte richtet sich Hans´l auf. Verärgert sucht er halt bei einem Alleebaum:

«Ah so ah Schas! Das habe ich wieder braucht!»

«Sama ah bisserl ah Potscherta, was?», fragt eine vorbeiziehende etwas ältere echte Wienerin sarkastisch.

Der potschate Hans´l putzt den klumpigen Schnee von seinem Mantel und der Hose ab. Wieder auf den Beinen zieht er wortlos und achtsam, um nicht wieder hinzufallen, an der nörgelnden Dame vorbei. Seinen zerdrückten Hut bekommt er immer noch nicht vom Kopf. Es ist einfach sinnlos, er sitzt fest.

Ringsum grinsen und schmunzeln einige Passanten, während sie an der Straßenbahnhaltestelle am Ring auf die Tramway warten. Im zunehmenden Schneetreiben knarrt und quietscht schon ein Waggon der Linie AK heran. Als der Hans´l einsteigt, sind einige Blicke auf ihn gerichtet. Fahrgäste sind über seine lustige Erscheinung erheitert. Durch den zu weit aufgedrückten Hut sind seine roten Ohren auffällig herabgebogen.

Es schaut einfach wirklich deppert aus. Im Spiegelbild des Fensters erkennt er sich selbst. Ihm ist es egal, er möchte nur schnell zum Christkindlmarkt und grinst den Fahrgästen leicht verlegen entgegen.

Eigentlich wollte der Hans´l nur eine neue Spitze für den Christbaum besorgen. Da er am gestrigen Tag beim Baum aufputzen, den langjährig bewerten Spitz in den Plafond rammte. Das passierte nach ein paar Bieren. Er wollte die Tanne mit einem heftigen Ruck im Kreuz fixierten. Dabei hob er den bereits aufgeputzten Baum etwas zu wuchtig hoch, um ihn ins Kreuz zu schlagen. Schnell merkte er, dass die Decke niedriger war, als er dachte. Nun ja, den Rest über die Freude seiner Frau, kann man sich ja denken?

Nachdem der Hans´l den Schock seiner Missetat am Heiligen Abend mit weiteren Bieren wettgemacht hatte, kleidet er sich schick, greift sich seine Geldbörse und verabschiedet sich etwas angeheitert mit einem Busserl von seiner Käthe.

«Weihnachten ohne Spitz, ist ein Witz!

Ich fahr schnell am Christkindlmarkt

und kaufe dir, mein Liebling, einen neuen

Christbaumspitz! Zum Fest, für dich meine

Allerliebste, nur das Beste! Bis dann!», ruft er ihr zu.

Grimmig sieht ihm Käthe nach, als er die Wohnung verlässt. Schulterzuckend dekoriert sie den Wohnzimmertisch weiter. Sie hat doch noch einiges zu tun und langsam drängt die Zeit. Denn Käthe erwartet am späten Nachmittag ihre Tochter, mit der sie in die Abendmette im Stephansdom gehen möchte. Sie hat es ihr versprochen und Käthe weiß, ihre kleine Silvie freut sich darauf.

Käthe möchte zumindest an diesem Tag alles richtig machen und bemüht sich. Seit ihrer Scheidung von Silvies Vater, läuft ja sowieso nichts mehr in geordneten Bahnen. Der Hans´l mag keine Kinder und obendrein ist er ja auch nicht gerade ein Haupttreffer. Seit er den Portierposten in der Mannerfabrik hat, trinkt er fast täglich. Käthe ist oftmals verzweifelt, trotz mehrerer Trennungsversuche ist es nicht gelungen einen definitiven Entschluss zu fassen. Ein regelrechter Teufelskreis. Ob sie diesem jemals entkommt, fragt sie sich selbst oft? Sie gibt die Hoffnung aber nicht auf, dass sich alles zum Besseren kehrt. Vielleicht wartet sie auf ein Wunder?

Doch Wunder regeln familiäre Probleme eher selten, wenn man es sich nicht wirklich wünscht und will. Man muss schon meist selbst eine Entscheidung treffen um aus dieser verzwickten Situation, mit falsch gedeuteten Gefühlen zu kommen. Natürlich ist aus der Sichtweise eines Außenstehenden leicht zu urteilen oder Partei zu ergreifen, deshalb kann man sich dies in keiner Weise anmaßen. Jeder ist seines Glückes Schmied und wer hat schon die Weisheit des Lebens verschlungen? Familienprobleme sind allgegenwärtig. Es bedarf einer Portion Feingefühl und Verständnis in sachlich ruhigen zielführenden Gesprächen. Jedoch ohne den Willen der Betroffenen, wird man keinesfalls auf einen gedeihlichen Nenner kommen. Dabei helfen Festtage meist auch nicht, oftmals bewirken verpflichtende Anlässe genau das Gegenteil.

Familie ist eben das schwerste, aber dafür auch das schönste Unternehmen, wenn es funktioniert! Es verlangt einen viel ab und das muss man wollen. Der Hans´l aber wollte nie eine Familie, er ist ein viel zu starker Egoist. Mit aller Gewalt versucht er die versäumten Jugendjahre, welche er in der Kriegszeit vermeintlich verloren hat, wieder aufzuholen. Er liebt nur Wein, Weib und Gesang.

Hans´l machte sich, nachdem er schon am Vormittag ein paar Flaschen Bier konsumiert hatte, vom 17., Wienergemeindebezirk Hernals aus auf dem Weg in die Innere Stadt. Bislang landete er dort, wo er sich jetzt gerade befindet. Nach einem unerbittlichen Kampf mit seinem Hut im Schneegestöber, im Tramway Fahrgastwagen der Linie AK auf dem Weg zum Wiener Christkindlmarkt.

Im Gedränge des Fahrgastraumes reibt sich Hans´l ein Guckloch auf der eisig beschlagenen Fensterscheibe der Tramway. Es ist kaum etwas zu sehen. Der Waggon der Linie AK quietscht und knarrt auf den Gleisen in Richtung Oper und fährt in die Station am Opern-Ring ein. Eine Menge von Fahrgästen wartet schon in der Haltestelle auf die Tramway-Garnitur.

«KÄRNTNERSTRASSE»

Stephansplatz

Schon an der nächsten Station steigt Hans´l aus der Tramway und watet durchnässt im Schnee von der Oper über die Kärtnerstraße in Richtung Stephansplatz. Es fröstelt ihn schon leicht und der vereiste zerknautschte Hut sitzt auch noch immer fest. Unbeirrt stapft Hans´l zum Stephansplatz, während er sich die Hände reibt. Seine Nase und die Finger sind schon recht rot vor Kälte.

«Hätte ich mir doch Handschuhe angezogen.

Na ja, ein heißer Glühwein wird mich schon wärmen.», murmelt er vor sich hin und schlängelt sich weiter durch die Menschenmassen.

Die Kärtnerstraße ist an diesem Vormittag besonders belebt. An allen Schaufenstern haben sich Menschentrauben gebildet. Die Auslagen sind geschmückt wie nie zuvor. Die Leute begutachten und bestaunen mit Freude die weihnachtlich dekorativ zur Schau gestellten Waren. Scheinbar gibt es alles. Was soll man sich da noch wünschen? Klassisch stehen bei den Kindern Puppen, Teddybären, Blechspielzeug und Matador auf den Wunschzetteln. Natürlich auch der fiktive, von den Kindern geliebte Igel «Mecki», die neueste Erfindung des deutschen Zeitschriftenverlags «Hörzu».

Den Kindersuperstar, gibt es als Buch, Malbuch, Steifpuppe, Comic und Film. Für die Älteren wird Technik angeboten. Die ersten ferngesteuerten Spielzeuge wie Autos, Baumaschinen, und Motorräder zogen in die Spielzeugläden ein. Der Hula-Hoop-Reifen überschwemmt langsam das Land. Wer es sich leisten kann, gönnt sich ab Mitte der 50er hochwertige Artikel, Schmuck, Pelze, Lederwaren und Luxusaccessoires.

Viele Frauen sind jedoch deutlich bescheidener, sie wünschen sich vor allem Nylons. Schluss mit flüssigen Strümpfen und selbst gemalter Naht. Nylons in den 50ern sind nicht einfach Strümpfe, sie sind eher ein gesellschaftlicher Gradmesser, der Schlüssel zu einem besseren Leben. Für die Männer werden Kofferradios, Musiktruhen und Tonbandgeräte angeboten, doch für die meisten reicht schon ein elektrischer Rasierer. Die Vielzahl der Wünsche wird mit dem Nützlichen verbunden, sowie die Anschaffung des ersten Kühlschranks, verchromten Handstaubsaugern und diversen neuen Errungenschaften des täglichen Haushaltsbedarfs, wie Mixer oder gar einem neuen Herd. Auch Möbel und Einbauküchen schenkt man sich. Der große Traum vom eigenen Auto muss noch warten und so bleibt es vorwiegend bei Träumen und Wünschen.

Einige der Wiener lassen sich die Bescherung einiges kosten. Doch die ausgestellten und angepriesenen Prunkstücke sind leider nicht für jeden erschwinglich. Preise in der Innenstadt sowieso mehr an die Kaufkraft der gehobenen Gesellschaft angepasst. Trotz allem drücken sich so manche am Schaufenster die Nase platt und träumen. Einigen macht es alleine Freude, wieder schöne Auslagen zu bestaunen. Nach all den Jahren der Entbehrungen, sehr verständlich. Dies spiegelt sich in den strahlenden und fröhlichen Gesichtern der Wiener. Leider bleibt es mehr beim Bestaunen als beim Kaufen. Es herrscht eben noch eine anhaltende hohe Arbeitslosigkeit und die meisten der Bürger müssen den Schilling mehr als zweimal umdrehen, bevor sie ihn ausgeben.

Viele Betriebe wurden im Laufe des Krieges zerstört. Wiederum andere wurden vor der totalen Niederlage es NS-Regimes okkupiert oder gar in den Ruin getrieben. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg konnte durch die wieder erstandene Demokratie in Österreich mit Mitteln der öffentlichen Hand und der sukzessiven Verstaatlichung mit dem Konsensualsystem der Sozialpartnerschaft, die Sicherheit des sozialen Friedens und der Aufbau der Wirtschaft in der Nachkriegszeit gewährleistet werden. Die Wiener geben ihre Wünsche und Träume nicht auf. Merklich zieht Jahr für Jahr ein immer besser werdendes Warenangebot ins Land. Es ist die Zeit des beginnenden Wirtschaftsaufschwungs angebrochen.

Jedoch es dauert und wächst. Alles braucht eben seine Zeit. Wünsche treiben die Bürger an und man träumt sich auch gerne in das nächste Jahr.

Hans´l windet sich durch die Menschenmassen der Schaufenstergucker über das glatte und verschneite Trottoir. Der frostige Wind macht ihm weiterhin zu schaffen. Er hat nur einen Wunsch, noch rechtzeitig einen Christbaumspitz am Christkindlmarkt zu ergattern. Sein Hut sitzt noch immer fest. Die Gehsteige sind derart glatt, sodass es ihn manchmal regelrecht zaubert. Aber nicht nur ihm ergeht es so, die vereiste Glätte unter dem Schnee macht anderen Kauflustigen ebenso zu schaffen, sodass mancher ausrutscht und auf seinen Einkäufen landet.

«Hätten schon streuen können die Wirschtlwarmer

der Gemeinde Wien! Spielen sicher wieder

Beamten-Mikado, der Erste, der sich bewegt,

darf heim gehen.», flucht ein Ausgerutschter, nachdem er zum Glück auf der gerade eben gekauften Rodel für seine Tochter gelandet ist. Hans´l hilft ihm.

Als sich der Gestürzte beschwerlich aufrappelt und wieder seine Geschenks Einkäufe sorgsam auf seine Rodel geschlichtet hat, bedankt er sich mittels Händedrucks beim hilfsbereiten Hans´l. Hinterher ziehen die Beiden ihres Weges.