Reinhard Winter

Praxisbuch Jungen in der Schule

Pädagogische Handlungsmöglichkeiten für Lehrerinnen und Lehrer

Reinhard Winter ist Diplompädagoge und Psychodramaleiter und gilt als anerkannter Experte für Jungenthemen und -pädagogik im deutschsprachigen Raum. Seit über 30 Jahren arbeitet er mit Jungen, männlichen Jugendlichen und jungen Männern sowie mit Fachkräften, die ihrerseits mit Jungen arbeiten. Dabei führt er u. a. Projekte in Schulen, in der Jugendarbeit und mit Eltern durch. Zudem ist er in der Leitung des Sozialwissenschaftlichen Instituts Tübingen (SOWIT) und als Lehrbeauftragter an Hochschulen in Zürich, St. Gallen, Basel und Tübingen tätig.

Inhalt

Einleitung

Bedenkliche Symptome

1.1 Jungen und Schule: Daten und Fakten

1.2 Jungen, die Bildungsverlierer?

1.3 Fehlende Aussichten

Jungen männlich bilden

2.1 Jungen vom Männlichen her erklärt

2.2 Jungen im Männlichkeitsstress

2.3 Jungenbildung entfalten

Beziehung zwischen Junge und Lehrkraft

3.1 Vor allem: Beziehung!

3.2 Jungen brauchen Autorität

3.3 Beziehung im Guten und Schwierigen

3.4 Aufgabenbeziehungen

3.5 Lehrerinnen und Lehrer als Frauen und Männer

Jungenbildung: Ansätze und Bezugspunkte

4.1 Klarheit

4.2 Bewegung

4.3 Kämpfen: Die Kräfte spielen lassen!

4.4 Normgrenzen überschreiten: anomisches Verhalten

4.5 Handlungsorientierung

4.6 Beziehungen unter Jungen (mit)gestalten

4.7 Koedukation entschärfen

4.8 Lernen: Unterrichtsinhalte und -stil

4.9 Motivation

4.10 Männlichkeitsbildung

Jungenpädagogische Übungen und Spiele

5.1 Kennenlernen, Anwärmen, Beziehungen, Gruppe

5.2 Handeln, Bewegung, Körperkontakt

5.3 Beziehungen, Partnerschafts- und Teambildung

5.4 Kämpfen, assertive Aggression

5.5 Cool-down, Herunterkommen, Entspannen, Selbstmanagement

5.6 Männlichkeitsbildung, Männlichkeit und Mannsein

Literatur

Einleitung

Seit einigen Jahren wird in den Medien fast durchgängig das Bild des Problemjungen gemalt, das sich vor allem durch Bildungs- und Schulprobleme auszeichnet. Mit dem Titel »Schlaue Mädchen, dumme Jungen« brachte es der Spiegel bereits im Jahr 2004 auf den Punkt. Immer wieder wird im Tonfall tiefer Besorgnis eine Jungenkrise beschworen, Jungen werden als Bildungsverlierer stilisiert. Aber viel mehr als Empörung, Betroffenheit und politisches Ignorieren hat sich daraus nicht entwickelt. Das ist kein Wunder, denn durch das Überzeichnen einzelner Aspekte entsteht ein verzerrtes Bild, das mit der Wirklichkeit nur wenig zu tun hat. Zuspitzungen sind für die Praxis nicht hilfreich, weil sich damit weder die Ursachen der Schwierigkeiten von und mit Jungen in der Schule erklären, noch tragfähige Lösungen finden lassen.

Gleichzeitig verdeckt das ständige Betonen der Jungenmisere den gelingenden Jungenalltag in der Schule: Viele Jungen sind am Ende ja durchaus bildungserfolgreich. Dass Jungen Schule auch gut bewältigen ist möglich. Mit dem Klischee der problematischen Jungen vor den Augen wird übersehen, was tagtäglich in der Schule ganz gut klappt und wie es geht, dass dies gelingt. Und auch das, was »hinten rauskommt« und schließlich zählt, ist beachtlich: In Deutschland haben im Jahr 2015 rund 131.000 Jungen an allgemeinbildenden Schulen ihr Abitur abgelegt. Angesichts der aufgeregten Jungen-und-Schule-Debatten scheint etwas Entspannung durchaus angebracht. Lehrkräfte und Schulleitungen können sich ruhig auf ihre Kompetenzen beziehen, um die Arbeit mit Jungen fachlich fundiert anzugehen. Denn gerade das ist dringend nötig.

Heute scheinen zwar die großen Dramatisierungen und Skandalisierungen vorbei zu sein, wenn auch gelegentlich die Debatten wieder aufflackern. Was geblieben ist, ist die bekannte Situation, die teils schwierige Lage der Jungen in der Schule und die Probleme, die Schule mit ihnen hat. Leistungs- und Bewältigungsunterschiede sind offensichtlich und fallen immer wieder neu auf. Vielen Lehrkräften und Eltern ist klar, dass etwas passieren sollte, damit Jungen nicht noch mehr zurückfallen. Denn die Daten weisen auf Veränderungsbedarf hin.

Bislang stecken die Diskussionen um Jungen in der Schule bei statistischen Zahlen, Zuschreibungen oder in vereinfachenden Klischees fest, ohne Ideen oder Ansätze für eine Veränderung zu finden. Die praktische Seite der »Jungenkrise« bleibt im aufgeregten Alarmismus blass und unkonkret, sie erschöpfte sich in Apellen, sich um die armen Jungen zu kümmern. Aber wie? Was brauchen Jungen in und von der Schule für ihr Männlichsein? Was nützt und hilft ihnen, damit sie Schule gut bewältigen können? Was können Lehrerinnen und Lehrer dazu beitragen?

Nach den Symptomen müssen heute stärker die Ursachen für Unterschiede in der Schule fachlich in den Blick genommen werden, die Jungen als benachteiligt oder als Verlierer dastehen lassen. Und es ist an der Zeit, Ansätze und Maßnahmen zu entwickeln, die es Jungen ermöglichen, aufzuholen und ihre Bildungschancen besser zu nutzen. In diesem Buch geht es um den ganzen Horizont: Um Symptome, Ursachen, konkrete Lösungsideen und um praktische Ansätze fürs Gelingen.

Unerreichte Jungen

Hinweise auf Entwicklungsbedarf kommen nicht nur von Medien und Forschung, sondern auch von Jungen selbst. Es gibt Anzeichen für Beziehungsstörungen zwischen Lehrkräften und Jungen; an vielen Stellen hat es den Anschein, als ob Schule Jungen nicht oder schlechter erreichen kann. Viele erleben Schule so, dass das, was sie interessiert und ihnen Spaß macht, im Lehrplan nicht auftaucht oder in der Schule verboten ist. Schulische Bildung wurde immer stärker akademisch ausgerichtet, verbales und kognitives Lernen (Kopfbildung) dominiert, Handlungslernen mit allen Sinnen findet sich nur sehr reduziert; unter hohem Leistungsdruck geht es vor allem ums Funktionieren, denn Störungen bremsen nur; Beziehungen zu anderen Schülern und zu Lehrkräften sollen harmonisch sein, Konflikte behindern oder müssen stets verbal bewältigt, ausgeglichen und mediatisiert werden. Diese Art von Schule wirkt kontrolliert, artig und gezähmt – und in vielen Jungenaugen deshalb langweilig, unmännlich und leblos.

Um Schülern gerecht zu werden, muss gefragt werden, wo und wie sich Schule dort ändern kann, wo sie (die Schule!) Probleme mit Jungen hat, wo Jungen durch Schule unter Stress kommen und wo Schule daran beteiligt ist, den Jungen Schwierigkeiten zu bereiten. Umgekehrt bleibt die Schule in ihrem Blick auf Jungen häufig in Defizitzuschreibungen und im Aufzählen von Mängeln hängen, ohne nach den Ursachen zu fragen.

Jungen kommen in die Schule, wie sie sind. Sie haben das Recht, in ihrem So-sein ernst- und angenommen zu werden.

Probleme von und mit Jungen müssen vom Männlichen her entschlüsselt und angegangen werden. Aber Männlichsein wird in der Pädagogik wie eine unheilbare Krankheit behandelt: Oh je, die Jungen haben Männlichkeit, wirklich schlimm, da können wir nichts machen und hoffentlich stecken sie die Jüngeren nicht an! Mit so einer Haltung wird unterschlagen, dass die Schule als neben der Familie wichtigste Lebenswelt der Jungen entscheidend mitbeteiligt ist an der Männlichkeitsbildung der Jungen, an den Formen und Variationen, wie Jungen sich männlich erfahren und auch zeigen wollen.

Schule hat neben dem Bildungs- auch einen Erziehungsauftrag. Lehrerinnen und Lehrer sind nicht nur fürs Lernen, sondern auch für die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen mitverantwortlich, wozu gerade in der Jugendphase auch das Geschlecht gehört. Damit Jungen Schule gut schaffen, können Probleme von und mit Jungen ein guter Anlass sein, in einem Zug auch die Geschlechterbildung von Jungen neu zu denken.

Davon ist derzeit nur wenig zu sehen. Die Jungen-Schul-Debatte kreist bevorzugt um Leistungsfragen (vgl. z. B. Hurrelmann/Schultz 2012; Hadjahr 2011; VBW 2009); Kriterien sind dabei z. B. die prozentuale Verteilung auf Schularten, Notendurchschnitte, Versetzungsquoten oder das »Underachievement« von Jungen. Mal klagend und bedauernd, mal vorwurfsvoll wird die Problemlage »Jungen« anhand statistischer Geschlechtsunterschiede betrachtet. Die Jungenproblematik wird reduziert auf die Frage, ob es Jungen schaffen und genügend Leistung bringen, ob Jungen mithalten können oder ob sie – insbesondere im Vergleich mit Mädchen – die Verlierer sein werden.

Das sind ohne Zweifel auch wichtige Perspektiven. Eine Priorisierung von Leistungsaspekten bestätigt jedoch unterschwellig traditionelle Geschlechterbilder. Sie setzen Männlichsein mit hohem Einsatz und Erfolg gleich und verbinden sich mit der sozialen Erwartung, ein Mann müsse Karriere machen und eine Familie ernähren können. Dabei geraten die Jungen selbst mit ihren Befindlichkeiten aus dem Blick und können deshalb immer schwerer erreicht werden. Wo sich die Auseinandersetzung auf der Oberfläche von Phänomenen, Zuschreibungen und Erwartungen bewegt, können Jungen weder auf Verständnis, noch auf Unterstützung hoffen. Sie werden zu Objekten degradiert – und verhalten sich oft entsprechend.

Aber sind es wirklich nur die Jungen, die Lehrerinnen und Lehrern das Leben schwer machen? Nein, es gibt – wenn auch in deutlich geringerer Zahl – genauso Mädchen, die anstrengend sind, sich nicht an Regeln halten wollen, den Unterricht stören, gewalttätig werden oder Probleme mit dem Lernen entwickeln; »Mädchen und Schule« ist ein eigenes Thema, das gleichwertig neben der Jungenfrage steht. Über die Beschäftigung mit Jungen stellen sich indirekt auch Fragen in Bezug auf Mädchen, aber es kommen auch allgemeine Themen der Schulentwicklung in den Blick. Insofern hat die Jungenproblematik eine doppelte Indikatorfunktion, indem sie auf Mädchen- und auf allgemeine Themen der Schulentwicklung aufmerksam macht.

In diesem Buch interessieren uns die Jungen. Gleichwohl halte ich es für ebenso wichtig, sich explizit mit dem Thema Mädchen und Schule zu befassen wie auch weitere Geschlechtsvarianten in den fachlichen Blick zu bekommen, und die Schulpraxis darauf auszurichten.

Zu diesem Buch

In diesem Buch wird ein breiterer Ansatz verfolgt, der die Bandbreite der Jungenproblematik in der Schule aufzeigt und daraufhin Veränderungsvorschläge entwickelt. Ich orientiere, konzentriere und beziehe mich vor allem auf die schulische Praxis. Zwar ist es auch notwendig, Verhaltensweisen von Jungen aus dem Männlichen heraus zu erklären, das Männliche von Jungen zu verstehen, um daraus Ideen und Vorschläge für Schulen bzw. für Lehrkräfte abzuleiten. Dies geschieht aber immer mit dem Ziel, der Praxis zu nützen: den Beziehungen, pädagogischen Ansätzen und Verhaltensweisen in der Schule.

Schule ist eine vielschichtige und sehr unterschiedliche Angelegenheit. In diesem System verschiedenster Einflussgrößen und Wirkfaktoren lässt sich nicht ein einzelner Aspekt herausgreifen, um eine Lösung des Jungen-und-Schule-Problems abzuleiten, die dann auch noch für alle Jungen stimmt und passt. Einfache Lösungen für komplexe Probleme sind nicht ohne Grund verdächtig. So wenig wie es die Jungen gibt, finden sich die Eltern, die Schule, die Lehrerinnen und Lehrer. Am Ende ist immer alles speziell und individuell. Patentlösungen und Rezepte kann es nicht geben.

Lesen Sie dieses Buch bitte mit gesundem Misstrauen und wählen Sie das aus, was für Sie, Ihre Schule und die Jungen passt, mit denen Sie es zu tun haben.

Wo in Schulen mit Jungen geschlechtsbezogen professionell gearbeitet wird, verhalten sich diese meist kooperativer, konstruktiver und weniger auffällig. Selbstredend verschwinden durch qualifizierte Jungenpädagogik Probleme von und mit Jungen nicht einfach. Aber die Unterstützung bei der Bewältigung wird dadurch besser und effizienter, das Klima verbessert sich. Deshalb kommt gerade mit Blick auf die Praxis der Qualifizierung von Menschen eine hohe Bedeutung zu, die mit Jungen arbeiten oder die für diese Arbeit verantwortlich sind. Das Buch will dazu einen Beitrag leisten.

Die Idee für dieses Buch und die Entwicklung der Inhalte entstanden in einem mehrjährigen Prozess in Zusammenarbeit mit zahlreichen Lehrerinnen, Lehrern und Schulleitungen, in der Begleitung von Schulen und Schulträgern, in Qualifizierungen, Coachings, pädagogischen Tagen und fachlichen Weiterbildungen sowie in der praktischen Arbeit mit Jungen in Schulen. Die Fragen und thematischen Interessen, die Ideen und praktischen Umsetzungsversuche bilden die Grundlage für dieses Buch und die Vorschläge für Lehrerinnen und Lehrer.

In meiner Arbeit in vielen Schulen im deutschsprachigen Raum und in sämtlichen Schulformen habe ich erlebt, dass es tatsächlich nicht wenige Lehrerinnen und Lehrer gibt, die gut mit Jungen klar kommen (und die Jungen mit ihnen). Auch von ihnen konnte ich vieles abschauen und konzeptionell fassen. Schließlich bilden zahlreiche Gespräche mit Lehrerinnen und Lehrern im Zusammenhang mit Jungen in ihren Schulen, die Beratung von Müttern und Vätern von Jungen und meine Arbeit mit »schwierigen« Jungen im schulischen Kontext eine weitere Grundlage für dieses Buch.

Ich bin selbst kein Lehrer, sondern Diplompädagoge; wer nicht aus dem »eigenen Stall« kommt, wer nicht jahrzehntelang die harte Praxis des Schulalltags bewältigt und sich vor Schülern behauptet hat, wird von Lehrkräften oft skeptisch betrachtet, wenn er etwas über die Schule sagt. Diese kritische Perspektive ist oft richtig und wichtig. Umgekehrt beinhaltet der Blick von außen eine eigene Qualität, weil die Gefahr der Betriebsblindheit nicht so groß ist und Selbstverständlichkeiten eher hinterfragt werden können.

Meine Qualifikation fürs Thema ist gleichwohl speziell: Seit über 30 Jahren befasse ich mich mit Jungen und ihrer Entwicklung, nicht nur, aber auch in der Schule. Auch heute noch sammle ich Erfahrungen in der praktischen Arbeit mit Jungen in Schulen, in Beratungen und in der Jugendhilfe. Zudem forsche ich wissenschaftlich über Jungen und qualifiziere und berate Fachkräfte, die mit Jungen arbeiten; darunter sind häufig Lehrerinnen und Lehrer, wodurch sich deren Erfahrungen vergleichen, verdichten und aufschließen lassen. Immer wieder beauftragen mich Schulen und Schulträger, um gemeinsam die Situation von Jungen in der Schule zu verbessern, um Schule mehr auf Jungen auszurichten. Nicht zuletzt war und bin ich Vater einer Tochter und eines Sohnes, den ich durch seine Schulkarriere begleiten durfte (und damit selbst indirekt »Betroffener«).

Inhalt und Struktur des Buchs

In den beiden ersten Kapiteln des Buchs stehen die Symptome im Vordergrund, die Anlass für Sorgen um Jungen in der Schule geben, sowie Hintergrundanalysen zu deren Ursachen: Wie erklärt es sich, dass Jungen es heute in der Schule schwer(er) haben? Warum werden sie von vielen Lehrkräften als Herausforderung erlebt? Im dritten Teil stehen – als eine zentrale Lösungsspur – die Beziehungen, Beziehungsqualitäten und -störungen zwischen Lehrkräften und Jungen im Mittelpunkt. Im vierten Teil werden Vorschläge für eine Veränderung der Schulwirklichkeit, für eine zeitgemäße »Jungenbildung« in der Schule entwickelt: ausgehend von der für Jungen wichtigen Klarheit, über das häufig monierte starke Bewegungsbedürfnis vieler Jungen, ihre Lust am Kämpfen, regelwidriges Verhalten bis zur Handlungsorientierung. Gleichaltrigenbeziehungen sowie strukturelle Themen werden wie Lernformen und Stile, Motivation und schließlich »Männlichkeitsbildung« in den Blick genommen.

Das Buch schließt im fünften Kapitel mit praktischen Spielen, Übungen und Aufgaben aus der schulischen Jungenpädagogik. Ich habe lange gezögert bei der Frage, ob es angebracht ist, praktische Übungen aufzuschreiben und darzustellen. Denn schnell entsteht der Eindruck, das seien die typischen, spezielle oder besonders erfolgreiche Methoden und nur dies sei Jungenpädagogik. Trotz Skepsis habe ich mit dazu entschieden, vor allem weil ich nach Weiterbildungen für Lehrerinnen und Lehrer häufig gefragt werde, ob es das Ganze, sowohl die theoretischen und konzeptionellen Inputs wie auch die Spiele und Übungen, nicht auch zum Nachlesen gäbe.

1Bedenkliche Symptome

Dafür, dass Jungen fachlich in den Blick genommen werden, gibt es gute Gründe: Jungen werden im Geschlechtervergleich häufiger als Problemträger identifiziert, sie tragen einen guten Teil dazu bei, dass Lehrkräfte die Arbeit in der Schule als anstrengend, heraus- oder sogar überfordernd erleben. Große Dramen und Exzesse sind zwar selten, wie sie sich etwa vor einigen Jahren in der Rütli-Schule in Berlin abgespielt haben. Dennoch fordert der Alltag mit vielen Jungen in der Schule Lehrkräfte heraus und bringt manche an ihre Grenzen. Sorgen um Jungen sind genauso berechtigt wie um die Lehrerinnen und Lehrer, die mit ihnen arbeiten.

Dass es in vielen Bereichen in der Schule Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen gibt, gehört sowohl zum Alltagswissen, wie es auch durch Studien belegt ist. Ein Teil der Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen, die sich in Untersuchungen als Mittelwerte abbilden, ist nur klein, meist ist die Vielfalt unter Jungen größer, als der Vergleich des Durchschnitts zwischen Mädchen und Jungen. Dennoch gibt es Trends und Tendenzen, die auf Entwicklungspotenziale oder Förderbedürfnisse hinweisen, und die vielleicht als ein Mosaikstein neben anderen bedeutsam sind. Meistens ist bei diesen Unterschieden ungeklärt, ob nach den Tendenzen Jungen »so sind« oder ob sie »so geworden« sind: also ob die Tendenzen genetisch angelegt sind oder biografisch erworben und gelernt wurden.

1.1Jungen und Schule: Daten und Fakten

Achtung, Stereotypenalarm!
Geschlechtervergleiche sind immer mit Vorsicht zu behandeln, weil die Informationen die Wahrnehmung beeinflussen. Damit schaffen sie erst die Wirklichkeit, die sie abzubilden vorgeben. Sie können das Denken in Stereotypen verfestigen und fördern die selektive Wahrnehmung!

Wenn ich neu in eine Schule komme, frage ich oft: Wie ist es denn bei Ihnen, wenn Sie im Lehrerzimmer über Schüler reden, wie groß ist denn der Anteil der Jungen? Immer liegt diese Quote weit über den Mädchen: bei 75 Prozent, meistens bei 80 Prozent oder 90 Prozent. Jungen machen in der Schule Probleme, was an Störungen, Regelverletzungen, an ihrem auch bewegungsfreudigen, »wilden«, verbal-prahlerischen oder kampfeslustigen Verhalten auffällig wird, aber auch an der Wiederholerquote oder bei den Noten; Jungen sind im Durchschnitt während des Unterrichts weniger aufmerksam; Störungen gehen mehr von Jungen aus als von Mädchen, das gilt auch bei Vorfällen außerhalb des Klassenzimmers. Und auch bei Extremen wie der totalen Schulverweigerung sind überwiegend Jungen vertreten (es gibt keine exakte Statistik, geschätzt sind etwa zwei Drittel aller Schulverweigerer männlich).

Neben solchen eher qualitativen Wahrnehmungen in Schulen gibt es eine ganze Reihe harter Fakten und belastbare Daten, die darauf hindeuten, dass es mit Jungen in der Schule oft gar nicht so gut läuft:

  • Bildungsstatistiken belegen seit Jahren den schlechteren Schulerfolg von Jungen. Am Ende (Zahlen: 2015) verlassen 5 Prozent der Jungen, aber nur 3 Prozent der Mädchen die Schule ohne Abschluss. Mit einem Hauptschulzeugnis beenden 14 Prozent der Jungen ihre Schulkarriere, aber nur 10 Prozent der Mädchen. Bei den Realschulabschlüssen liegen Mädchen und Jungen etwa gleichauf. Aber die Abiturquote von Mädchen ist seit 1981 höher als bei Jungen. Fast ein Drittel aller Mädchen (31,8 Prozent) die 2015 die Schule verlassen haben, hatte die allgemeine Hochschulreife; bei den Jungen ist es nur knapp über einem Viertel (25,6 Prozent).

    Während ihrer Schulkarriere werden Jungen mehr »abgeschult«, das bedeutet, dass sie eine Schule mit einem höheren Bildungsziel verlassen müssen. In Hamburg z. B. sind zwei Drittel aller Schüler, die am Ende von Klasse sechs das Gymnasium verlassen müssen, Jungen.

    Auch wenn sie das Abitur schaffen, zeigen sich bei den Noten Unterschiede. In Nordrhein-Westfalen (keine bundesweite Erhebung nach Geschlechtern) lagen z. B. im Jahr 2015 nicht einmal ein Fünftel (19,3 Prozent) der Jungen im Einserbereich (1,0 bis 1,9), aber ein Viertel der Mädchen (25,1 Prozent). Während der Zweierbereich relativ ausgeglichen ist, führen im Dreierbereich jedoch die Jungen mit 30,0 Prozent, während nur 22,5 Prozent der Mädchen in diesem Feld lagen.

  • Jungen sind oft »später dran« als Mädchen, sie scheinen sich im Durchschnitt langsamer zu entwickeln, vor allem sprachlich. Das wurde in Kindergartenstudien belegt und verlängert sich am Übergang in die Schule. Mädchen werden häufiger als Jungen vorzeitig eingeschult; umgekehrt werden Jungen in der Schuleingangsphase mehr zurückgestellt. Kinder mit intensivem Sprachförderbedarf sind häufiger Jungen, was z. B. schon bei Einschulungsuntersuchungen festgestellt wird.

  • Lesekompetenz gilt unter Schulforschern als wichtige Schlüsselqualifikation für den weiteren schulischen Erfolg und Chancen am Arbeitsmarkt. In Deutschland sind die Geschlechterunterschiede bei den schulischen Leistungen im Vergleich zu anderen Ländern relativ hoch, vor allem beim Lesen. Die Studien belegen immer wieder, dass Jungen in der Lesekompetenz schlechter abschneiden als Mädchen: In der aktuellen PISA-Studie aus dem Jahr 2015 wurde bei Mädchen wieder eine deutlich höhere Lesekompetenz gemessen (520 Punkte) als bei Jungen (499 Punkte); mehr Mädchen als Jungen wurden als besonders lesestark getestet, dagegen ist der Anteil der Jungen bei den leseschwachen Schülern höher.

  • Werden Leistungsfragen zunehmend häufiger und regelmäßig untersucht, ist dies für die Einstellung zur Schule und in Bezug auf das Wohlbefinden in der Schule ungleich weniger der Fall. Eine ganze Reihe von Daten belegt, dass Jungen sich in der Schule weniger wohl und aufgehoben fühlen als Mädchen, die Geschlechterunterschiede sind in diesen Statistiken oft noch gravierender: Jungen fühlen sich in der Schule offenbar viel weniger wohl als Mädchen. Nach der IGLU-Studie (Bos u. a. 2005) fühlt sich ein Fünftel der Viertklässler-Jungen in der Grundschule überhaupt nicht wohl (aber nur 7,7 Prozent der Mädchen).

    Ähnliche Hinweise finden sich auch in Bezug auf weiterführende Schulen. Auf die Frage »Wie gefällt es dir derzeit in der Schule« antworten Jungen in der Evaluation eines Modellprojekts durchgängig negativer als Mädchen (Bilz u. a. 2007, S. 38). In der neunten Klasse gefällt es einem Viertel der Jungen in der Schule nicht oder überhaupt nicht.

    In einer Studie zum Wohlbefinden in der Schule in der Klassenstufe acht (Hascher/Hagenauer 2011) wird festgestellt, dass Jungen in vielen Bereichen deutlich belastet sind. In den Dimensionen »Freude in der Schule«, »positive Einstellung zur Schule«, »Selbstwert«, »Sorgen« und auch »körperliche Beschwerden« geben Jungen teils erheblich schlechtere Werte an als Mädchen. Lediglich im Bereich »soziale Probleme« scheinen Jungen weniger belastet.

    So betrachtet ist es kein Wunder, dass viele Jungen nicht gerne in die Schule gehen. Der Unterschied zwischen Mädchen und Jungen ist hier erheblich: Der Aussage »Ich gehe gerne in die Schule« stimmt nicht einmal ein Drittel (31,8 Prozent) der Jungen stark zu (aber 45 Prozent der Mädchen); dagegen sagt jeder fünfte Junge (20,4 Prozent), dass dieser Satz für ihn überhaupt nicht stimme (aber nur rund 8 Prozent der Mädchen) (IGLU-Daten, Bos u. a. 2005, S. 194).

  • In Jungenaugen wird Schule oft als nicht so wichtig bewertet; Schule hat bei Jungen oft kein so gutes Image. Das heißt nicht, dass Jungen Schule generell ablehnen, etwa mit der Behauptung Schule sei »reine Zeitverschwendung«: Immerhin 85 Prozent der Jungen lehnen diese Aussage völlig ab, aber 94 Prozent der Mädchen. Aber viele Jungen hängen die Bedeutung der Schule nicht so hoch oder sie werten die Schule pauschal ab – Gründe dafür, warum Jungen sich für die Schule nicht so sehr anstrengen und weniger Zeit dafür einsetzen.

    Diese Bewertung schlägt sich im Engagement für die Schule nieder, z. B. bei den Hausaufgaben: Jungen nehmen sich im Durchschnitt 3,8 Stunden Zeit für Hausaufgaben – Mädchen 5,5. Unterschiede finden sich auch bei den Leistungen – symptomatisch: deutlich mehr Jungen als Mädchen müssen eine Klasse wiederholen (wo es das noch gibt).

In vielen Schulen werden diese und weitere Probleme der Jungen und mit Jungen immer wieder angesprochen, z. B. zu ihrem Verhalten, zur Disziplin oder zu ihrer Ordnung. So könnte tatsächlich der Eindruck entstehen, Jungen seien benachteiligt, die Bildungsverlierer der Nation. Aber stimmt das denn so?

1.2Jungen, die Bildungsverlierer?

Die Perspektive auf Mädchen und Jungen hat sich in den vergangenen zwanzig, dreißig Jahren deutlich gewandelt. Mit veränderten Geschlechterbildern und -verhältnissen wird Männliches heute eher kritisch betrachtet. Galten bis dahin Mädchen als benachteiligt und förderungswürdig, wandelt sich nun das Bild und Probleme oder Defizite vieler Jungen rücken in den Vordergrund.

Einerseits ist das konsequent, denn die Befunde sind durchaus besorgniserregend. Andererseits zeigt das Problematisieren Nebenwirkungen. Je mehr Jungen als Problemträger benannt werden, desto stärker wirkt die selektive Wahrnehmung, die Bekanntes bestätigt. Dabei geraten durchschnittlich kompetente und gut entwickelte Jungen aus dem Blick, Jungen werden insgesamt problematisiert. Das wiederum stört eine offene und produktive Beziehung zu ihnen, was auf Jungen zurückwirken kann: etwa dass sie sich in der Schule nicht so recht wohl fühlen oder in dem Eindruck, sie werden weniger gemocht und gegenüber Mädchen benachteiligt.

Damit aber nicht genug. Denn die Darstellung von Jungen als »Schulversager« oder als »Bildungsverlierer« zeigt bei ihnen selbst Wirkung und verfestigt sich als Klischee im Selbstbild. Die Zuschreibung kann dazu beitragen, dass Jungen sich noch mehr von Schule distanzieren. Viele vertreten bereits im frühen Grundschulalter die Meinung, Jungen seien schlechtere Schüler und die Erwachsenen sähen das genauso. Und die schlechte Meinung bleibt stabil: Werden Jugendliche befragt, dann schreiben sie Jungen im Zusammenhang mit Schule deutlich mehr negative Eigenschaften zu als Mädchen, die schulbezogen überwiegend positiv charakterisiert werden.

Zuschreibungen wirken sich handfest aus: Versuche haben gezeigt, dass Jungen dann schlechtere Noten als Mädchen erzielen, wenn sie die Information erhalten, dass Jungen weniger gute Schüler seien. Umgekehrt verbessert sich die Leistung der Jungen, wenn vor dem Test betont wird, Jungen und Mädchen könnten gleichermaßen gute Noten schreiben. Wem unterstellt wird, er sei – etwa wegen seines Geschlechts – gar nicht in der Lage, den schulischen Erwartungen zu genügen, der wird sich dementsprechend verhalten. Vorurteile sind selbsterfüllende Vorhersagen: sie sind eine Ursache für schlechtere Leistungen, nicht (nur) das Ergebnis.

1.3Fehlende Aussichten

Das Gerede von den armen, bildungsbenachteiligten Jungen und von der Jungenkrise stürzt Jungen geradewegs in sie hinein!

Werden auf der einen Seite Jungen als Verlierer stilisiert, fehlt es gleichermaßen auf der anderen an tragenden, positiven Perspektiven für Jungen. So, wie seit einigen Jahren Geschlechterfragen gesellschaftlich thematisiert werden, wird Jungen indirekt ihre Überflüssigkeit vermittelt: Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Muttersein, mehr Frauen als Führungskräfte (sogar durch Quoten gestützt), mehr Mädchen in MINT-Fächer, mehr Frauen in technische Berufe, mehr Frauen als Existenzgründerinnen usw. Das sind ohne Frage wichtige Themen, nur lautet die subtile Botschaft in Jungen- und Männerohren, dass sie nicht gefragt seien. Aber auch konkret, im Schulalltag weist einiges darauf hin, dass auf Bedürfnisse vieler Jungen zu wenig eingegangen wird, etwa nach Bewegung, Handeln oder lebhaften Konflikten. Das wirkt sich auf die Motivation von Jungen und auf ihre Identifikation mit schulischem Lernen aus.

Lehrkräfte sind aber keine Jungenhasser, die Jungen ihr Männliches austreiben wollten, wie in der zugespitzten Diskussion von jungenbewegten Männerrechtlern bisweilen behauptet wird. Die Situation von Jungen in der Schule als Verbot von Männlichsein zu deuten ist unangemessen und aufstachelnd, sie schafft Frontstellungen und produziert Feindbilder. Zudem werden damit traditionelle und beschränkte Bilder von Männlichkeit bedient; die Vielfalt des Männlichen, die sich bei Jungen zeigt, wird eingedampft, die Grundperspektive ist rückwärtsgewandt: Sie suggeriert, dass es etwas gäbe, was alle Jungen verbindet – eindimensionale männliche Interessen – und dass bösartige Mächte es Jungen verbieten würden, dieses naturwüchsig Maskuline zu leben. Das ist populistischer Unsinn, eine Verschwörungstheorie, hinter der ein traditionelles, statisches Bild des Männlichen steht.

Was Jungen heute dennoch häufig fehlt, was ihnen auch in der Schule zu wenig geboten wird, sind positive Perspektiven für ihr Männlichsein, die es ihnen erlauben, Hoffnung zu entwickeln. Vielleicht geben deshalb viele Jungen auf, sobald es schwierig wird? Zuversicht kann Jungen motivieren, nicht Ängste vor dem Absturz.

»Ich glaube nicht daran, dass die Angst vor dem Verlieren dich eher zum Sieger macht als die Lust aufs Gewinnen.«

(Jürgen Klopp, Volksbank Cloppenburg 2012)

Hoffnung wirkt als sich selbst erfüllende Vorhersage: Wer vor Augen hat, dass etwas gelingt oder gut ausgehen wird, setzt Kräfte frei und sich dafür ein, das Ziel zu erreichen. Hoffnung ist etwas Mächtiges, das Jungen durch den Stempel als Bildungsverlierer und durch fehlende Perspektiven auf ein gelingendes Mannsein genommen wird. Es wird Zeit, dass Lehrkräfte sich bewusst auf die andere Seite schlagen mit dem Ziel, und Jungen die Zuversicht zu vermitteln, dass sie die Schule gut schaffen können: auch und gerade als Jungen.

2Jungen männlich bilden

Wenn sich Jungen explizit »männlich« inszenieren, wird das in der Schule meistens nicht so gerne gesehen. Ihre Männlichkeitsexperimente werden kritisch wahrgenommen und abwertend kommentiert: »Machos«, »Macker«, »kleine Paschas«; die »mit Männlichkeit protzen«, sich »sexistisch« verhalten, »immer die Nummer eins sein wollen« oder Dominanzstreben zeigen. Männlichkeitskritik ist gewiss bisweilen notwendig. Aber »männliches« Verhalten von Jungen verweist auch auf Themen, die sie beschäftigen und auf Bildungsinteressen, die sie gerne befriedigen würden. Solange in der Schule nur kritisch reagiert wird und keine Alternativen angeboten werden, sind Jungen auf die oft schlichten Angebote von Gleichaltrigen, aus den Medien und aus kommerziellen Welten angewiesen. Daraus lässt sich ein Auftrag ableiten, Jungen in der Schule aus ihrem Geschlechtlichsein heraus zu verstehen, sie aktiv geschlechtsbezogen zu bilden und nicht nur die schlimmsten Auswüchse zu bekämpfen.

Jungen sind individuell verschieden, etwa in ihrem Temperament und Charakter, in ihren Erfahrungen, wie sie der Welt begegnen oder in dem, was für sie gerade bedeutsam ist. Als Schüler ist bei Jungen vieles gleich wie bei Mädchen, Menschen sind ja glücklicherweise nicht nur Geschlecht. Jungen unterscheiden sich untereinander, auch in ihren Vorstellungen über Männliches. Männlichkeitsfragen stellen zwar einen wirksamen Einfluss dar, allerdings finden sich noch zahlreiche weitere Faktoren, die für ihre Einstellungen oder ihr Verhalten wichtiger sein können: zum Beispiel ihr Alter und ihre Lebensphase, ihre Generation, das soziale Milieu, ihre ethnisch-nationale Herkunft oder Religion, die Vater- und Muttersprache der Eltern, ihre Geschwisterposition und -zahl usw. In vielen Bereichen unterscheiden sich Mädchen und Jungen, allerdings meistens in Trends und Tendenzen, bei denen es auch Überschneidungen gibt, wie z. B. rauflustige Mädchen und zarte oder zurückhaltende Jungen.

Bedürfnisse von Jungen zu benennen, die Dynamik unter ihnen zu verstehen und zu akzeptieren führt häufig zu einem Kurzschluss, bei dem sich Männlichkeitsbilder und selektive Wahrnehmungen paaren: Jungen und der Umgang mit ihnen wird dann stereotyp reduziert, z. B. auf lautes oder robustes, auf sexualisiertes oder wettbewerbsorientiertes Verhalten. Aus diesem Eindruck bildet sich ein Kreislauf, der eine enge, ausschnitthafte Perspektive bestätigt. Werden Tendenzen als Unterschiede hervorgehoben, sind Verallgemeinerungen leicht zur Hand: »Die« Jungen sind »alle« laut oder wild – eine falsche Beschreibung und geschlechtsbezogene Verengung. Selbst wenn z. B. viele Jungen Lust am Kämpfen haben ist es ja ohne weiteres möglich, ohne Raufen männlich und ein Junge zu sein.

Assoziationsübung: »Kind A und Kind B« im Vergleich

Kind A ist im Unterricht ruhig, aufmerksam und konzentriert, passt auf, beteiligt sich, ist rücksichtsvoll, freundlich zu den Lehrkräften und kooperativ mit anderen Kindern, Konflikte werden verbal gelöst

Kind B ist im Unterricht unruhig und stört, ist laut, wird öfters mal frech, vergisst Hausaufgaben oder Schulsachen, bei Konflikten mit anderen Kindern wird es schnell laut und heftig, es kommt auch mal zum Körpereinsatz

Welches Geschlecht würden Sie diesen fiktiven Kindern zuschreiben?

Was denken Sie: Welches Kind unterrichten Lehrkräfte lieber?

Vergleiche von Mädchen und Jungen lenken den Blick auf strukturelle Aspekte, die jenseits von Individuen, Einzelbiografie oder Charakter liegen: auf Verbindendes im Männlichen, im Jungesein oder auf Bedürfnissen von Jungen, die damit zu tun haben. Auf Jungen wird z. B. anders reagiert, mit ihnen wird knapper kommuniziert, in sie wird mehr investiert (z. B. wird für Spielsachen oder Sportequipment mehr ausgegeben) und in der Tendenz werden bei Jungen die elterlichen Zügel etwas lockerer gelassen, von ihnen wird weniger gefordert, sie werden weniger kontrolliert; ganz gravierend sind die Unterschiede in der Mediennutzung, besonders beim Gamen (on- oder offline, Computer- und Konsolenspiele wie »Fifa«, »World of Warcraft« oder »Counter Strike«).

Aber wieso ist das so, woher kommt das? Unterschiede fallen nicht vom Himmel, sie lassen sich erklären, in unserem Fall mit dem Männlichen der Jungen.