Florian Weh
VERHANDLUNGS
FLOW
Wie Sie anspruchsvolle Verhandlungen
mit Leichtigkeit zum Ziel führen
Campus Verlag
Frankfurt/New York
Über das Buch
Verhandeln wie von selbst Florian Weh hat schon viele komplexe Verhandlungen geführt. Ob Tarifverträge unter massivem Druck der Öffentlichkeit oder Überflugrechte mit großen staatlichen Delegationen: Je schwieriger die Situation, desto reizvoller ist sie für den nach dem Harvard-Konzept ausgebildeten Top-Verhandler. Immer wieder schaffte er es, Verhandlungspartner aus der Blockadehaltung zu locken und sie zu Partnern einer Problemlösung zu machen. Mit welchen Tools und Tricks er einen Verhandlungsflow erzeugt, verrät er in diesem Buch. Mit dem richtigen Maß aus Konfrontation, Kooperation und Kreativität können Verhandler und Verhandlerinnen erstaunliche Ergebnisse erzielen!
Vita
Florian Weh ist Manager bei der Deutschen Bahn und dort als Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands MOVE für die Tarifverhandlungen des Konzerns verantwortlich. Zuvor war er Head of Negotiation Management bei der Lufthansa und Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Luftverkehr. Daneben ist er selbstständiger Experte für anspruchsvolle und komplexe Verhandlungen. Florian Weh ist Lehrbeauftragter an der Goethe-Universität in Frankfurt a. M. und an der Bucerius Law School in Hamburg für Verhandlungsmanagement. Er ist Rechtsanwalt, ausgebildeter Mediator und wurde an der Harvard University zum Verhandlungsführer ausgebildet.
Für meine Familie
in Dankbarkeit
Was ist Verhandlungsflow?
Warum sind Verhandlungen anspruchsvoll?
Wie managen wir die Komplexität in unseren Verhandlungen am besten?
Wie kommt die Leichtigkeit ins Verhandeln?
Warum sich zwischen Wissenschaft und Praxis entscheiden?
Für wen ist dieses Buch?
Was können wir von Piloten über das Verhandeln lernen?
Wie ist dieses Buch aufgebaut?
1 Ready for Departure: Mit Verhandlungslust und Professionalität zu besseren Lösungen
1.1 Fundament: Bauen Sie auf die Grundlagen modernen Verhandelns
1. Schätzen Sie die Verhandlungssituation anhand von BATNA, Rückzugspunkt und ZOPA ein
2. Ankern Sie richtig und planen Sie Ihre Konzessionen
3. Beachten Sie beim Verhandeln Inhalts-, Beziehungs- und Prozessebene
4. Kennen Sie die fünf Konfliktmodi?
5. Stellen Sie effektive Fragen
6. Hören Sie aktiv zu
7. Harvard-Ansatz 1: Achten Sie auf die Interessen aller Verhandlungspartner
8. Harvard-Ansatz 2: Entwickeln Sie mehrere Lösungsoptionen
9. Harvard-Ansatz 3: Finden Sie objektive Kriterien für Verteilungskonflikte
10. Vergrößern Sie den Verhandlungskuchen
11. »Framing«: Geben Sie Ihren Argumenten den richtigen Rahmen
12. 3-D-Verhandlungsmodell: Agieren Sie nicht nur am Verhandlungstisch
1.2 Ablauf: Verhandeln Sie immer und heben Sie das Potenzial des Augenblicks
Mythos 1: Das Verhandeln beginnt und endet am Verhandlungstisch
Mythos 2: Eine Verhandlung läuft Schritt für Schritt und nacheinander ab
Mythos 3: Die Verhandlungsvorbereitung findet ohne Ihren Partner statt
Mythos 4: Abseits des Tisches wird analysiert, am Tisch wird agiert
1.3 Haltung: Übernehmen Sie optimistisch Verantwortung für Ihren Verhandlungserfolg
Begreifen Sie jede Verhandlung als großartige Chance
Vertrauen Sie auf die menschliche Fähigkeit zur gemeinsamen Problemlösung
Verstehen Sie Verhandlungen als schöpferischen Akt und nicht nur als Machtspiel
Stehen Sie hart für Ihre Interessen ein und lassen Sie sich nicht ausbeuten
Streben Sie den Verhandlungsflow als Zustand maximaler Lösungsfähigkeit an
2 Auftrieb erzeugen: Die sieben Prinzipien erfolgreichen Verhandelns
2.1 Prinzip der Nutzenoptimierung: Schaffen Sie für sich und Ihre Verhandlungspartner so viel Wert wie möglich
Praxisfehler
Maximieren Sie Ihren Nutzen. Vermeiden Sie ein zu simples Nutzenkonzept
Optimieren Sie den Nutzen Ihres Verhandlungspartners
Nehmen Sie sich in Acht vor Kompromissen
Machen Sie den Nutzen beider Seiten messbar
Setzen Sie sich frühzeitig kluge Ziele für Ihre Verhandlung
2.2 Prinzip der Informiertheit: Begreifen Sie Verhandlungen als Informationsspiel, das Sie gewinnen sollten
Praxisfehler
Schaffen Sie sich ein Informationsnetzwerk
Seien Sie auch abseits der formalen Verhandlungen achtsam
Achten Sie auf Details und Schwarze Schwäne
Verstehen Sie Ihren Verhandlungspartner
Motivieren Sie Ihren Partner, Informationen wahrheitsgemäß zu teilen
Sammeln Sie die Informationen strukturiert
2.3 Prinzip der Führung: Fühlen Sie sich für einen produktiven Verhandlungsprozess verantwortlich
Praxisfehler
Führen Sie auf vier Ebenen: mit Ihrem Partner, Ihren Auftraggebern, Ihr Team und sich selbst
Zeigen Sie Haltung und übernehmen Sie Verantwortung
Stärken Sie Ihre Verhandlungsmacht
Designen Sie einen produktiven Problemlösungsprozess
2.4 Prinzip der Zusammenarbeit: Entfesseln Sie die gemeinsame Lösungsintelligenz
Praxisfehler
Vermeiden Sie Denkfehler, die Ihnen die Zusammenarbeit erschweren
Setzen Sie einen kooperativen Rahmen zum Verhandlungseinstieg
Bauen Sie Schritt für Schritt eine tragfähige Arbeitsbeziehung auf
Werden Sie ein Kuchenvergrößerungsprofi
Knüpfen Sie systematisch und strategisch Ihr Wertschöpfungsnetz
2.5 Prinzip der Zweigleisigkeit: Kombinieren Sie gegensätzliche Fähigkeiten, um das volle Lösungspotenzial auszuschöpfen
Praxisfehler
Seien Sie empathisch und zugleich durchsetzungsstark
Balancieren Sie das Spannungsverhältnis zwischen Wertschöpfung und Wertverteilung
Machen Sie mehrere Paketangebote gleichzeitig
Eignen Sie sich eine allgemeine Strategie an, wie Sie mit zweigleisigen Situationen umgehen
2.6 Prinzip der Rationalität: Fokussieren Sie sich trotz Emotionen und systematischer Denkfehler auf kluge Lösungen
Praxisfehler
Entzerren Sie die klassischen Denkfehler des Verhandelns
Managen Sie den Faktor Zeit beim Verhandeln souverän
Bereiten Sie sich professionell auf Verhandlungsgespräche vor
Regulieren Sie ihre Gefühle, und steigern Sie Ihre Resilienz
2.7 Prinzip der Kreativität: Nutzen Sie agile Methoden, um in jeder Situation die besten Ideen zu generieren
Praxisfehler
Kommen Sie in den Flow
Verwenden Sie ein bewährtes Verfahren, um neue Ideen zu erzeugen
Bedienen Sie sich aus dem agilen Baukasten
3 Special Procedures: Souverän durch Turbulenzen steuern
3.1 Stockende Verhandlungen: Wie Sie sich aus der Warteschleife navigieren
Beugen Sie der Sackgasse vor
Führen Sie ein offenes Wort mit Ihrem Verhandlungspartner
Leiten Sie die Sackgasse geschickt ein
Wagen Sie den Neustart
Bringen Sie Dritte ins Spiel
3.2 Problematische Partner: Wie Sie auch mit schwierigen Partnern erfolgreich vorankommen
Kennen Sie alle denkbaren Manöver schwieriger Partner?
Reagieren Sie nicht direkt auf Attacken und Taktiken
Nutzen Sie vier erprobte Strategien, um mit schwierigen Partnern in den Lösungsmodus zu gelangen
Gewöhnen Sie sich an Verhandler, die wie Donald Trump verhandeln möchten
3.3 Verhandeln im Auftrag: Wenn Sie nicht für sich verhandeln
Vereinbaren Sie mit Ihrem Auftraggeber einen Prozess zunehmender Freiheiten
Begreifen Sie die Gespräche zwischen Auftraggeber und Verhandlungsführer als weiteren Verhandlungsprozess
Passen Sie den Prozess zwischen Auftraggeber und Verhandlungsführer an die jeweilige Situation an
Achten Sie darauf, wie Ihr Partner das Zusammenspiel von Auftraggeber und Verhandlungsführer managt
3.4 Teamverhandlungen: Wie Sie im Team erfolgreich verhandeln
Klären Sie die Rollen innerhalb des Verhandlungsteams
Orientieren Sie das Team an einem strukturierten Arbeitsprozess
Etablieren Sie Kommunikationsregeln für Ihr Team
3.5 Distant Negotiations: Wie Sie besser per Webkonferenz verhandeln
Beachten Sie die Unterschiede zwischen persönlichen Verhandlungen und Webverhandlungen
Stellen Sie sich speziell auf das Medium Webkonferenz ein
Entwickeln Sie produktive Gewohnheiten für Ihre Webverhandlungen
Stellen Sie sich auf erhöhte Anforderungen bei Teamverhandlungen ein
4 Always happy landings: Wie Sie zum Verhandlungsprofi werden
4.1 Fokussieren Sie sich auf eine Sache, die Sie ändern möchten
4.2 Nutzen Sie die Kraft guter Checklisten
4.3 Gehen Sie regelmäßig in den Verhandlungssimulator
4.4 Führen Sie ein Verhandlungstagebuch
4.5 Lassen Sie sich Feedback von Ihren Verhandlungspartnern und Ihrem Team geben
Danksagung
Anmerkungen
Was ist Verhandlungsflow?
1 Ready for Departure: Mit Verhandlungslust und Professionalität zu besseren Lösungen
2 Auftrieb erzeugen: Die sieben Prinzipien erfolgreichen Verhandelns
3 Special Procedures: Souverän durch Turbulenzen steuern
4 Always happy landings: Wie Sie zum Verhandlungsprofi werden
Literatur
Register
Verhandlungsflow ist der Sehnsuchtsort jedes Verhandlers. Wer einmal dort war, möchte immer wieder hin.
Am Ende jeder anspruchsvollen Verhandlung steht das große Finale. Die Dynamik ist hoch. Jetzt ist der Moment gekommen für letzte Lösungsideen und Zugeständnisse. Manche nennen diese Phase den Verhandlungstanz. Sind die Partner im Flow, gehen sie jetzt fast spielerisch miteinander um. Und völlig im Verhandeln auf. Sie finden den Schlüssel für scheinbar unlösbare Probleme. Virtuos und schnell getaktet nähern sie ihre Paketlösungen an. Alle im Verhandlungsteam sind hochkonzentriert. Ein wildes Geben und Nehmen, ein Hin- und Hertauschen kommt in Gang. Bis die Potenziale ausgereizt sind und ein Optimum erreicht ist. Die Spannung fällt langsam ab. Alle Beteiligten erinnern sich später mit Freude an den Nervenkitzel und das intensive Teamerlebnis.
Erscheint Ihnen das unrealistisch? Vielleicht haben Sie diesen Zustand bereits erlebt. Falls nicht, sprechen Sie mit erfahrenen Verhandlungsführern. Ich versprechen Ihnen, jeder hat eine Geschichte zu seinem Verhandlungsflow parat. Mit meinen Teams und unseren Partnern erlebte ich diesen Zustand mehrfach. Einmal fragte mich ein Kollege: Warum tust du dir das immer wieder an mit dem Verhandeln? »Verhandlungsflow!«, war meine spontane Antwort, und der Begriff war geprägt. Unter Verhandlungsflow verstehe ich das Eintauchen in einen Zustand konzentrierter und scheinbar müheloser Problemlösung mit dem Verhandlungspartner.
Wie gelangen wir an diesen magischen Verhandlungsort?
Das psychologische Phänomen Flow wurde erstmals vom Glücksforscher Mihály Csíkszentmihályi beschrieben. Entscheidend für Flow ist, dass Sie eine Beschäftigung weder überfordert noch unterfordert. Ihre ganze Aufmerksamkeit ist gefordert, aber nicht mehr.
Genau das ist das Problem vieler Verhandlungen. Zu Beginn der Verhandlungen belauern sich beide Seiten. Keine möchte einen Fehler machen. Die Partner bearbeiten nicht ihre Konflikte. Langeweile macht sich breit, die geballte Kompetenz beider Seiten bleibt ungenutzt. Dieser Zustand hält häufig bis weit in das Verhandlungsfinale hinein an. Jetzt muss alles gleichzeitig geschehen. Druck und Stress entstehen. Gute Lösungen sind jetzt außer Griffweite. Augen zu und durch. Hoffend, keinen Fehler zu machen. Vielleicht scheitern die Verhandlungen. Einigen sich die Partner in letzter Sekunde, bleibt viel Potenzial auf dem Tisch liegen. Ist zumindest ein Partner mit dem Ergebnis unzufrieden, schlägt dies in der Regel auf die Beziehung durch. Sind die Partner voneinander abhängig, manifestiert sich nach solchen Momenten gerne ein Dauerkonflikt.
Verhandlungsflow stellt sich nicht von allein ein. Nur wer von der ersten Verhandlungsidee an beharrlich daran arbeitet, das Verhandlungsfinale optimal vorzubereiten, kommt in den Genuss dieses Hochgefühls. Es ist wie bei der Tiefschneeabfahrt am Ende einer langen Skitour. Zunächst müssen wir den Gipfel mit guter Kondition, Technik und Ausrüstung erklimmen. Ist er erreicht, stellt sich bei der anspruchsvollen Abfahrt Flow ein. Die Vorfreude auf den krönenden Abschluss lässt die Entbehrungen bis dahin erträglich erscheinen.
Gibt es eine Garantie auf Verhandlungsflow? Natürlich nicht. Sie können sich allein und mit Ihrem Gegenüber akribisch auf das Verhandlungsfinale vorbereiten und einen produktiven Rahmen schaffen. Ob Verhandlungsflow eintritt, lässt sich nicht verlässlich vorhersagen. Ihr Partner, Ihre Organisation und das Umfeld bringen eine Dynamik ins Spiel, die nicht beherrschbar ist. Wenn kein Flow am Ende eintritt, haben Sie sich zumindest zielorientiert auf das Finale vorbereitet. Verhandlungsflow ist übrigens eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Wer darauf hinarbeitet, erhöht seine Chance, Flow zu erleben. Wer hingegen die Sackgasse vor Augen hat, darf sich nicht wundern, wenn er regelmäßig in ihr landet.
Es liegt entweder an der Situation oder an Ihrem Gegenüber. Schnell geben wir unserem Partner die Schuld und personalisieren das Problem. Nüchtern betrachtet liegt das Problem nach meiner Erfahrung weitaus häufiger in der Situation als in der Person begründet. Geschäftliche und politische Verhandlungen werden zunehmend komplexer. Auf beiden Seiten handelt eine Vielzahl von Beteiligten mit unterschiedlichen Interessen. Die Themen sind vielfältig, viele Einzelfragen erfordern vertieftes Expertenwissen. All dies findet in einer dynamischen Umwelt mit sich ändernden Bedingungen statt. Das überfordert uns schnell, und unserem Gegenüber geht es ebenso. Der moderne Verhandlungsführer ist in erster Linie Komplexitätsmanager. Es kommt auch vor, dass in diesem Spiel einige unserer Pendants à la Donald Trump versuchen, sich mit Druck, Tricks oder Mauern einen unfairen Vorteil zu verschaffen. Dafür gibt es aber Rezepte (siehe Kapitel 3.1.)
Keine Patentrezepte gibt es dafür, wie wir die Komplexität beim Verhandeln in den Griff bekommen. Nehmen Sie sich in Acht vor allen, die Ihnen einfache Lösungen anbieten, die stets funktionieren. Es gibt viele gute Werkzeuge für das Verhandeln. Aber jede Verhandlung ist anders. Die Themen, die Menschen und der Rahmen unterscheiden sich von Verhandlung zu Verhandlung. Ein Einheitskonzept kann es da nicht geben.1 Sie müssen die Strategie und die Werkzeuge verwenden, die zu der jeweiligen Situation passen. Viele Verhandlungsratgeber führen Glaubenskriege. Beispielsweise darüber, ob es grundsätzlich beim Verhandeln ums Zusammenarbeiten und Win-win (Harvard-Konzept) oder um den Sieg und Win-lose (Schranner-Konzept) geht. Zu Unrecht. Die Wahrheit ist, Sie benötigen beide Fähigkeiten. Wenn Sie den Verhandlungsprozess gestalten oder den Verhandlungskuchen vergrößern möchten, müssen Sie zunächst zusammenarbeiten (siehe Kapitel 2.4). Am Ende müssen die Parteien den Kuchen dann aufteilen. Das geht selten ohne Feilschen und ein wenig Sportsgeist.
Nicht der eine große Fehler bringt eine komplexe Verhandlung zum Scheitern, sondern die Addition vieler kleiner Fehler.2 Im Umkehrschluss gilt es achtsam zu sein für die vielen Details, die beim Verhandeln eine Rolle spielen. Das ist die Grundidee dieses Buches. Ich führe Sie anhand von sieben vernetzten Prinzipien zu den Kernfertigkeiten des Verhandelns. Bei jedem Prinzip gebe ich Ihnen größere und kleinere Werkzeuge an die Hand. Manche sind neu, andere bekannt. Allen ist gemeinsam, dass ich sie in der Praxis erprobt habe und vom Nutzen überzeugt bin. Sofern das Werkzeug zur jeweiligen Situation passt.
Diese Mikrokompetenzen müssen Sie an einem strategischen Ziel ausrichten. Andernfalls fehlt Ihnen die große Linie, wie einem Anfänger beim Schachspielen: Zwar wissen Sie, wie jede Figur zieht, aber wohin das führen soll, bleibt Ihnen unklar. Wie Sie anhand Ihrer Interessen ein Zielsystem für Ihre Verhandlungen entwickeln, sehen wir uns beim Prinzip der Nutzenoptimierung an (Kapitel 2.1).
Eine spannende Frage ist, ob aktuelle Entwicklungen die Art und Weise, wie wir verhandeln, grundsätzlich verändern. Weil wir uns zunehmend weltweit vernetzen, nehmen Komplexität und Konflikte beim Verhandeln zu. Die Informationsmenge steigt, sprachliche und kulturelle Barrieren kommen hinzu. Gleichzeitig bekommen wir digitale Werkzeuge an die Hand, um Komplexität zu bewältigen. Gut aufgestellte Verhandlungsteams berechnen heute in Echtzeit den Mehrwert, der durch veränderte Paketlösungen entsteht. Meine Beobachtung ist, dass sich die Zunahme und die Bewältigung der Komplexität die Waage halten. Genauso verhält es sich mit globaleren Partnern einerseits und verbesserter Kommunikationstechnik andererseits. Videokonferenzen, Chats und digitales simultanes Übersetzen gleichen die körperliche Entfernung aus. Der Kern des Verhandelns verändert sich durch Globalisierung und Digitalisierung aber nicht. Im Kern bleibt Verhandeln eine menschliche Kernkompetenz: ein gemeinsamer Problemlösungsprozess mit kooperativen und wettbewerblichen Elementen.
Verhandlungsteams in Unternehmen waren übrigens funktionsübergreifend und agil, lange bevor diese Begriffe existierten. Viele Ideen des agilen Projektmanagements passen wunderbar zur Arbeit in Verhandlungsteams (siehe Kapitel 2.7).
Wer ein positives Verhältnis zu Menschen und Konflikten hat, erleichtert sich das Leben beim Verhandeln. Was den Menschen von allen anderen Lebewesen unterscheidet, ist seine Fähigkeit zur flexiblen und tiefgehenden Kooperation.3 Das macht ihm die künstliche Intelligenz nicht so leicht nach. Diese Fähigkeit versuche ich beim Verhandeln zu entfachen. Ich begreife meinen Verhandlungspartner und mich als Team. Unsere Verantwortung ist es, eine gute Lösung für das gemeinsame Problem zu finden. Erst wenn beide Seiten Ja sagen, steht der Deal.
Ein Konflikt ist zunächst neutral. Konflikte sind Interessenunterschiede. Sie gibt es, weil Menschen sich unterscheiden und sich in abweichenden Situationen befinden. Das ist normal. Durch gegensätzliche Interessen kann es zu Spannungen zwischen den Parteien kommen. Diese Spannungen setzen Energie frei. Diese Energie ist der Motor, um zu besseren Lösungen zu kommen. Konflikte sind die Triebfeder von Veränderung. Und gutes Verhandeln ist eine effektive und leicht verfügbare Methode, um diese Konflikte zu lösen.
Lassen Sie uns in Konflikten stets die Triebfeder zur Verbesserung sehen. Glauben Sie daran, dass Menschen in der Lage sind, hervorragend zusammenzuarbeiten, sobald sie gemeinsam Verantwortung für die Problemlösung übernehmen. Dann bringen wir die Energie auf, gemeinsam alles in Gang zu bringen, um das Verhandlungsfinale vorzubereiten. Verhandlungsflow kann kommen.
Meine Schule des Verhandelns waren Tarifverhandlungen. Zunächst in der Luftfahrtbranche. Mein erster Arbeitstag war eine Tarifverhandlung mit Piloten. Zugegeben, es stellte sich kein Verhandlungsflow ein. Es folgten unzählige weitere Verhandlungen mit so verschiedenen Charakteren wie Technikern, Check-In-Mitarbeitern, Flugbegleitern und Piloten. In Tarifverhandlungen kämpfen alle Seiten mit harten Bandagen. Streiks bringen Emotionen und Dynamik in die Konflikte. Gleichzeitig waren die Inhalte anspruchsvoll. Von Schichtplan-Regelungen über Zeitzonen hinweg über komplexe Altersversorgungen bis zum Schutz vor Auslagerung war alles geboten. Und das dreifach abgewandelt, für jede der drei Gewerkschaften passend. Ein Trainingscamp für Verhandler.
Der intuitive Verhandlungsstil vieler Beteiligter war nicht mehr in der Lage, die zunehmende Komplexität zu bewältigen. Eskalierende Konflikte endeten gerne in schlechten Lösungen. Es war greifbar, dass Verhandlungsführung und Konfliktlösung einen Professionalisierungsschub benötigen. Zunehmend integrierte ich die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Verhandlungsforschung in meine Arbeit. Zusätzlich hielt ich mich fit durch regelmäßige Verhandlungstrainings an der ESMT Berlin und der Harvard University. Für effektives Verhandeln ist es wichtig, Wissenschaft und Praxis zusammenzubringen. Die empirische Verhandlungsforschung hält spannende Erkenntnisse bereit. Sie klärt uns über systematische Denkfehler auf und ermittelt, welche Strategien erfolgversprechend sind. Ich werde diese Erkenntnisse an zahlreichen Stellen in diesem Buch einfließen lassen. Auf der anderen Seite ist die wissenschaftliche Landkarte des Verhandelns weiß, mit wenigen bunten Flecken. Deshalb ist es wichtig, das wissenschaftliche Fundament mit praktischer Führungserfahrung bei anspruchsvollen Verhandlungen zu ergänzen. Die hier vorgestellten Prinzipien konnte ich als Verhandlungsführer und Berater nicht nur bei Tarifverhandlungen erfolgreich einsetzen. Auch beim strategischen Einkauf, internationalen Joint Ventures oder bei Verhandlungen von Überflugrechten gelang uns damit immer wieder der Durchbruch.
Leitbild für dieses Buch ist die geschäftliche Teamverhandlung im komplexen Umfeld. Sie ist heute die Normalität von Managern in mittleren und großen Organisationen. Die hier vorgestellten Prinzipien geben Ihnen aber auch in Ihren privaten oder in politischen Verhandlungen Orientierung. Zahlreiche Tipps helfen Ihnen auch, wenn Sie allein verhandeln. Oder wenn das Thema nicht so komplex ist, etwa bei reinen Preisverhandlungen.
Wenn ich im Folgenden vom Verhandlungsführer spreche, gehe ich von einem Idealbild aus. In diesem Bild ist der Verhandlungsführer zugleich Architekt des Prozesses, Designer der Lösung und Moderator am Tisch. Verhandeln wir im Team, kann es sein, dass wir nur für Teile dieser Aufgaben verantwortlich sind. Dieses Buch richtet sich genauso an Sie. Viele Ratschläge und Strategien sind unmittelbar für Sie anwendbar. Zudem ist es für jedes Teammitglied nützlich, sich in die Perspektive des Verhandlungsführers zu versetzen. Zur besseren Lesbarkeit verwende ich in diesem Buch meist die männliche Form. Dieses Buch richtet sich natürlich auch an Verhandlungsführerinnen. Zum Glück gibt es davon immer mehr. In meiner Praxis durfte ich viel von Verhandlerinnen lernen. Diese Erkenntnisse sind in dieses Buch eingeflossen. Die Strategien und Werkzeuge dieses Buches sind geschlechtsneutral.
Diese Frage mag Sie auf den ersten Blick überraschen. Doch manchmal ist es sinnvoll, Themen ins Verhältnis zu setzen, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Mir liegt die Professionalisierung der Verhandlungsführung am Herzen.
Was die Professionalisierung anbelangt, könnte die Diskrepanz zwischen Piloten und Verhandlungsführern nicht größer sein. Piloten werden selektiv ausgewählt, systematisch geschult und trainieren regelmäßig im Simulator. Sie arbeiten in einem hochstrukturierten Umfeld mit festen Routinen und Checklisten. Das gibt ihnen Kapazität, um in Drucksituationen besonnen zu agieren und zu entscheiden. Das würde ich mir bei professionellen Verhandlern ebenfalls wünschen. Deshalb habe ich mir angesehen, was Verhandlungsführer von Piloten lernen können. Mir kam zugute, dass ich auf die Expertise meiner Frau zurückgreifen konnte, die A-380-Pilotin ist. Außerdem verhandelte ich bei Lufthansa viele Jahre mit Vertretern der Vereinigung Cockpit. Manche behaupten, die kleine Berufsgewerkschaft sei die härteste Gewerkschaft der Welt. Diese Erkenntnisse sind in mehreren Info-Boxen über das Buch verteilt dargestellt und in den jeweiligen Verhandlungskontext eingebettet.
Im ersten Teil sehen wir uns die Grundlagen an, die wichtig sind, um Verhandlungsflow zu erzeugen.
Seit den ersten wissenschaftlich fundierten Ratgebern zum Thema Verhandeln hat sich viel getan. Ich habe für Sie als Serviceleistung in Kapitel 1.1 die Essenz des modernen Verhandlungswissens kurz zusammengefasst. Diese Basistipps bilden das Fundament dieses Buchs. Vielleicht bringen Sie noch keine Vorkenntnisse mit. Dann bietet Ihnen diese Zusammenfassung die Gelegenheit, sich in aller Kürze auf den aktuellen Stand zu bringen. Die Vorlektüre anderer Ratgeber ist dadurch entbehrlich. Sofern Sie Vorwissen mitbringen, genügt es, kurz die Überschriften zu überfliegen. Bei Bedarf vertiefen Sie den ein oder anderen Punkt.
In Teil 1.2 beschäftigen wir uns mit dem Ablauf von Verhandlungen. Verhandeln nach Rezept funktioniert nicht. Verhandlungen sind ein iterativer Prozess, bei dem Sie sich in mehreren Schleifen dem Ergebnis nähern. Ich räume mit den Mythen auf, die verhindern, dass Sie das Potenzial des Augenblicks in Ihren Verhandlungen voll ausschöpfen.
Zum Abschluss des ersten Teils gebe ich Ihnen in Kapitel 1.3 Denkanstöße für eine produktive Haltung zum Verhandeln. Ich rate zu einem optimistischen Blick auf die außergewöhnliche Fähigkeit des Menschen, gemeinsam Problem zu lösen. Wie vertiefen die Frage, wie Sie in den Verhandlungsflow kommen.
Im zweiten Teil des Buchs führe ich Sie in die sieben Prinzipien erfolgreichen Verhandelns ein. Ich gebe Ihnen mit den Prinzipien einen Kompass an die Hand, mit dem Sie sicher durch Ihre eigenen Verhandlungen navigieren. Wenn Sie diesen Prinzipien folgen, erhöhen Sie Ihre Chancen, in den Verhandlungsflow zu kommen. Zu Beginn jedes Prinzips stelle ich typische Fehler dar, die ich erlebte. Am Ende jedes Prinzips fasse ich seinen Inhalt in Form einer Checkliste zusammen. Damit können Sie vor einer Verhandlung überprüfen, ob Sie gut aufgestellt sind, oder bei Verhandlungen in der Krise Ideen entwickeln, wie Sie Auftrieb erzeugen.
Die Prinzipien habe ich aus Defiziten abgeleitet, die mir regelmäßig beim Verhandeln begegnen:
Prinzip der Nutzenoptimierung: Wir treten nicht ambitioniert genug für unsere Interessen ein, und interessieren uns zu wenig für den Nutzen unserer Partner (Kapitel 2.1).
Prinzip der Informiertheit: Wir sammeln nicht akribisch und strukturiert genug wichtige Informationen (Kapitel 2.2).
Prinzip der Führung: Wir sind zu passiv bei der Gestaltung des Verhandlungsprozesses, und agieren zu wenig abseits des Verhandlungstisches (Kapitel 2.3).
Prinzip der Zusammenarbeit: Wir nutzen zu wenig das Potenzial, das durch zusammenarbeiten beim Verhandeln entsteht (Kapitel 2.4).
Prinzip der Zweigleisigkeit: Wir halten zu wenig aus, in mehrere Richtungen gleichzeitig zu denken und zu handeln (Kapitel 2.5).
Prinzip der Rationalität: Wir fallen zu viel auf Denkfehler herein und regulieren unsere Emotionen zu wenig (Kapitel 2.6).
Prinzip der Kreativität: Wir sind zu wenig kreativ beim Verhandeln (Kapitel 2.7).
Im dritten Teil sehen wir uns fünf besondere Situationen an, die nicht in jeder, aber in vielen Verhandlungen bedeutsam sind.
Wir legen uns Strategien für Sackgassen in Verhandlungen (Kapitel 3.1) und für schwierige Partner (Kapitel 3.2) zurecht. Im Kapitel 3.2 beschäftigen wir uns auch damit, welchen Einfluss der Verhandlungsstil des US-Präsidenten Donald Trump auf die heutige Verhandlungskultur hat. Ich statte Sie mit Profiwissen aus, um Verhandlungen für Dritte (Kapitel 3.3.) und im Team (Kapitel 3.4) erfolgreich zu meistern. Kapitel 3.5. beschäftigt sich mit den besonderen Gesetzen des elektronischen Verhandelns per Webkonferenz.
Im Abschlusskapitel (Kapitel 4) beantworte ich die Frage, wie Sie das Wissen dieses Buches optimal anwenden, damit Sie zum Verhandlungsprofi werden und dabei so oft wie möglich Flow erleben.
Zwei Elemente fehlen bei vielen anspruchsvollen Verhandlungen. Das erste Element ist Lust auf Konflikt und vor allem Lust auf gute Konfliktlösung. Verhandeln ist ein schöpferischer Akt, den es zu zelebrieren gilt. Darauf möchte ich Ihnen Lust machen. Das zweite Element, das ich vermisse, ist Professionalität. Selbst wenn es um zwei- oder dreistellige Millionenbeträge oder um 10 000 Existenzen geht, unterscheiden sich die Verhandlungsstrategien und -techniken kaum von einer einfachen Basarverhandlung oder einem Gebrauchtwagenkauf. Die Zeit ist gekommen, dies grundlegend zu ändern. Die Werkzeuge sind vorhanden, jetzt müssen wir sie in unseren Verhandlungsalltag integrieren.
Bevor wir uns die Prinzipien erfolgreichen Verhandelns ansehen, möchte ich mit Ihnen das Grundsätzliche klären. Drei Aspekte halte ich für wesentlich. Zwar ist dies ein Buch für fortgeschrittene Verhandlungen. Als Serviceleistung vermittle ich Ihnen dennoch das erforderliche Grundwissen komprimiert in Form von zwölf Verhandlungstipps.
Verhandlungen sind eine iterative und komplexe soziale Interaktion. Die meisten Verhandelnden stellen sich allerdings einen einfachen chronologischen Verhandlungsablauf vor. Wir räumen mit vier Mythen zum Ablauf von Verhandlungen auf, um Sie mit einem breiten Blick für Ihre zukünftigen Verhandlungen auszustatten.
Zuletzt beschäftigen wir uns mit der Frage, wie eine produktive Haltung zu Verhandlungen und zur Konfliktlösung aussieht, und lüften das Geheimnis, wie Sie in den Verhandlungsflow gelangen.