Inhalt

Inhalt

Das Abc der Gefühle

Angst

Ärger

Begeisterung

Bitterkeit

Ehrgefühl

Eifersucht

Eigensinn

Einsamkeit

Ekel

Erschrecken/Schrecken

Falschsein

Freude

Freundschaftlichkeit

Furcht

Gefühl der Gefühllosigkeit

Gerechtigkeitsgefühl

Ge-Wichtigkeit

Glücksgefühl

Hass

Hilflosigkeit

Hoffnung

In-sich-Wohnen

Interesse

Jähzorn

Langeweile

Leere

Leidenschaft

Liebe

Machtgefühl

Misstrauen

Mitleid/Mitgefühl

Müdigkeit

Mut

Neid

Panik

Parteilichkeit

Quengeligkeit

Rachegefühl

Resignation

Rohheit

Scham

Schuldgefühl

Sehnsucht

Sich-fremd-Sein

Sorge

Staunen

Trauer

Trotz

Überraschung

Verantwortungsgefühl

Verlorensein

Verrat

Vertrauen

Verzweiflung

Wirksamkeit/Unwirksamkeit

Würde

Wut

Zorn

Zufriedenheit

Zugehörigkeit

Zuversicht

Die Grammatik der Gefühle

Vom Sinn und Nutzen der Gefühle

Begrifflichkeiten

Zwölf grammatikalische Regeln der Gefühle

Wenn Gefühle ersterben

Wenn Gefühle überschwemmen

Nachwort: Gefühle würdigen

Literaturverzeichnis

Über die Autoren

Inhalt

»Jedes einzelne Gefühl
verwandelt die ganze Welt« 7

Das Abc der Gefühle 17

A Angst, Ärger 17

B Begeisterung, Bitterkeit 21

E Ehrgefühl, Eifersucht, Eigensinn, Einsamkeit, Ekel, Erschrecken/Schrecken 24

F Falschsein, Freude, Freundschaftlichkeit, Furcht 35

G Gefühl der Gefühllosigkeit, Gerechtigkeitsgefühl,
Ge-Wichtigkeit, Glücksgefühl 45

H Hass, Hilflosigkeit, Hoffnung 47

I In-sich-Wohnen, Interesse 53

J Jähzorn 56

L Langeweile, Leere, Leidenschaft, Liebe 57

M Machtgefühl, Misstrauen, Mitleid/Mitgefühl,
Müdigkeit, Mut 64

N Neid 72

P Panik, Parteilichkeit 73

Q Quengeligkeit 76

R Rachegefühl, Resignation, Rohheit 78

S Scham, Schuldgefühl, Sehnsucht, Sich-fremd-Sein,
Sorge, Staunen 83

T Trauer, Trotz 94

U Überraschung 98

V Verantwortungsgefühl, Verlorensein, Verrat, Vertrauen, Verzweiflung 99

W Wirksamkeit/Unwirksamkeit, Würde, Wut 106

Z Zorn, Zugehörigkeit, Zuversicht 111

Die Grammatik der Gefühle 117

Vom Sinn und Nutzen der Gefühle 117

Begrifflichkeiten 125

Zwölf grammatikalische Regeln der Gefühle 132

Regel eins: Gefühle sind maßlos 133

Regel zwei: Gefühle brauchen keinen Grund,
allenfalls Anlässe 136

Regel drei: Gefühle haben
mehrdimensionale Wirkungen 138

Regel vier: Gefühle verschwinden
aus der Wahrnehmung – und bleiben doch 141

Regel fünf: Gefühle lassen sich umtauschen 143

Regel sechs: Gefühlen wohnt das »Und« inne 145

Regel sieben: Gefühle sind oft paradox 146

Regel acht: Gefühle bilden Ketten und Landschaften 149

Regel neun: Gefühle haben Subtexte: Schattengefühle 152

Regel zehn: Auf Gefühlen bilden sich
Schleier und Fettaugen 154

Regel elf: Manchmal sind Gefühle delegiert 157

Regel zwölf: Gefühle unterscheiden sich
in existenzielle und alltägliche Gefühle 159

Wenn Gefühle ersterben 163

Wenn Gefühle überschwemmen 175

Nachwort: Gefühle würdigen 189

Literaturverzeichnis 203

Über die Autoren 205

»Jedes einzelne Gefühl verwandelt
die ganze Welt«

Dieser Satz des Philosophen Jean-Paul Sartre (Sartre 1939) beschreibt treffend die Bedeutung der Gefühle für unser Leben und den Lauf der Welt. Gefühle entfalten ihre Wirksamkeit keineswegs nur bei Streit oder Katastrophen, sind nicht nur verantwortlich für heiße Liebe oder tiefes Unglück. Gefühle bestimmen den Alltag – viel mehr, als die meisten Menschen vermuten. Wenn wir fragen: »Wie wäre das Leben ohne Gefühle?«, dann antworten einige: »Langweilig und kalt.« Selbst die Vorstellung einer Welt ohne Gefühle beschrieben diese Menschen mit emotionalen Begriffen. In einer Welt ohne Gefühle würden wir keine Langeweile mehr empfinden und Kälte nur als Veränderung auf der Temperaturskala spüren, nicht aber als Atmosphäre oder Beziehungsqualität. Andere Menschen stellen sich eine Welt ohne Gefühle als »vernünftig und klar und störungsfrei strukturiert« vor. Sie irren. Eine Welt ohne Gefühle wäre voller Störungen, weil es eine Welt mit alltäglichem Mord und Totschlag wäre, da es ohne Gefühle keine Moral gibt, wie wir sehen werden. In einer Welt ohne Gefühle gäbe es keine Sehnsucht, die neue Fragen stellt und zu Erkundungen bewegt. Das Fehlen der Gefühle würde obendrein verhindern, dass der größte Teil unserer Entscheidungen überhaupt getroffen werden könnte. Nicht die Vernunft würde herrschen, sondern die niedersten Instinkte. Nicht die Rationalität würde unser Leben bestimmen, sondern das Fressen oder Gefressenwerden. Ohne Gefühle kein Shakespeare oder Picasso, aber auch kein Kolumbus und kein Einstein.

Dafür, dass Gefühle so umfassend unser Leben und vor allem unser Zusammenleben bestimmen, haben sich die Wissenschaften nur relativ wenig mit ihnen beschäftigt. Wer heute etwas über Gefühle wissen möchte, greift eher zu einem Gedicht oder Roman, schaut sich einen Film an oder hört Musik, als dass er oder sie zu einem wissenschaftlichen Werk greift. Zu sperrig sind die Gefühle für die meisten wissenschaftlichen Verfahren, zu wenig messbar und vergleichbar. Und doch gibt es wissenschaftliche Methoden, mit denen die Welt der Gefühle beschrieben und kartografiert werden kann, und gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse, die zum Verständnis der Gefühle wichtig und notwendig sind. Diese wollen wir ernst nehmen und berücksichtigen.

In diesem Buch unternehmen wir den Versuch, die Sprache der Gefühle insgesamt zu untersuchen und zu beschreiben. Die Sprache ist darüber hinaus ein uns passend erscheinender Vergleich für die Gefühlswelt. Eine Sprache kennen, ebenso wie die Gefühle, alle Menschen, ohne sie studiert zu haben. Wir Menschen wachsen gewissermaßen in die Sprache hinein, eignen sie uns an, die einen mehr, die anderen weniger. Sie ist Teil unseres Alltagslebens, so wie es die Gefühle auch sind. Eine Sprache ist vielfältig und lebendig, sie wächst und entwickelt sich. Sowohl der Sprache als auch der Gefühlswelt eines jeden Menschen wohnt ein schier unerschöpfliches Potenzial an Lebendigkeit inne, aber ebenso in erschreckendem Ausmaß eines der Verkümmerung und Erstarrung. Jeder Mensch hat seine sprachlichen Eigenheiten, so wie auch das Gefühlsleben eines jeden Menschen voller Besonderheiten ist.

Wer sich mit einer Sprache beschäftigt, wird den Wortsinn ergründen bzw. Vokabeln lernen und die Grammatik studieren. Wir werden in diesem Buch dem Vergleich des Gefühlslebens mit der Sprache folgen und ein Wörterbuch, das Abc der Gefühle, vorlegen und eine Grammatik der Gefühle formulieren. Der erste Teil, das Abc der Gefühle, enthält jeweils kurze Beschreibungen einzelner Gefühle und verwandter emotionaler Regungen. Diese Beschreibungen sind notgedrungen knappe Zusammenfassungen, die einzelne Aspekte betonen und andere weglassen (müssen). Wer sich für eine differenzierte Betrachtung der jeweiligen Gefühle interessiert, dem seien die Bände unserer Bibliothek der Gefühle empfohlen.

Wir sind im Abc der Gefühle der Vorstellung gefolgt, jedes Gefühl sei ein individuelles Wesen, das wir befragen. Die erste Frage heißt: Wer bist du? Dabei interessieren uns besonders die eher »versteckten« Seiten des jeweiligen Gefühls, die den meisten Menschen nicht sehr vertraut sind. Zweitens fragen wir: Wofür bist du gut? Wir erkundigen uns also nach dem Nutzen und dem Sinn des jeweiligen Gefühls für die Menschen. Und als dritte Frage formulieren wir: Wovor hast du Angst? Wir wollen wissen, was das jeweilige Gefühl dazu bringt, zu verblassen oder gar ganz zu verschwinden.

Wenn wir die jeweiligen Gefühle derart befragen, personalisieren wir sie. Wir wollen damit auf keinen Fall den Eindruck erwecken, als wären Gefühle selbstständig handelnde Teile unserer Person. Gefühle sind nie von den anderen, vor allem den körperlichen und sozialen Aspekten des Lebens und Erlebens zu trennen, wie wir in Kapitel 1 und 2 des 2. Teiles über die »Grammatik der Gefühle« ausführen. Verselbstständigen sich Gefühle, als würden sie nicht zu uns gehören, ist dies problematisch und oft Teil des Leidens. Wenn wir also die Gefühle im ersten Teil wie Personen behandeln und befragen, ist dies keine Aussage über das Wesen der Gefühle, sondern ein stilistisches Mittel, um Besonderheiten der jeweiligen Gefühle darzustellen.

Sie werden beim Abc einigen Begriffen begegnen, die Sie vielleicht bislang nicht als Gefühle bezeichnet haben. Vielleicht handelt es sich um Stimmungen oder Befindlichkeiten, also emotionale Regungen, deren Zusammenhang mit und deren Unterschiedlichkeit zu Gefühlen wir in Teil II beschreiben. Vielleicht sind dies eher seltener beachtete Gefühle wie die Sorge oder das Gefühl, verraten worden zu sein. Doch auch solche Gefühle sind uns gerade wichtig. Andererseits werden Sie wahrscheinlich das eine oder andere Gefühl vermissen, das für Sie wichtig sein mag. Wir haben die Zahl der beschriebenen Gefühle beschränken müssen, um den Rahmen dieses Buches nicht zu sprengen. Unsere Auswahl ist subjektiv und sehr davon geprägt, welche Gefühle für uns selbst und für die Menschen, mit denen wir therapeutisch arbeiten, am bedeutsamsten sind.

Wie gesagt, die Antworten auf unsere Fragen an die Gefühle sind knapp gehalten und das Abc der Gefühle erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Wenn wir in einem Lexikon schmökern, erhalten wir Einblicke und Anregungen. Das, so wünschen wir, soll auch dieses Abc der Gefühle leisten.

Der zweite Teil, eine Grammatik der Gefühle, beschreibt Regeln und Strukturen des Verhaltens von Gefühlen und ihrer Beziehungen untereinander. Einige solcher Strukturen und Verbindungen haben wir in den Bänden der Bibliothek der Gefühle am konkreten Beispiel schon ansatzweise verdeutlicht. Hier wollen wir sie zusammenfassen und erweitern, mit der Absicht, das Verständnis der menschlichen Gefühlswelt zu vertiefen. Sie werden sich vielleicht, wenn Sie eine Fremdsprache gelernt haben, erinnern, dass es regelmäßige und unregelmäßige Verben und keine grammatikalische Regel ohne Ausnahme gibt. So verhält es sich auch mit der Grammatik der Gefühle: Keine Regel ohne Ausnahme. Hier geht es nicht um streng formale Logik, sondern um die inneren Strukturen des Gefühlslebens, die wir kennen und benutzen, ohne sie gelernt zu haben. Haben wir sie aber begriffen, können wir uns aktiver und bewusster mit und in unserem Gefühlsleben und damit im Zusammenleben mit anderen Menschen bewegen.

Wir wollen mit unserem Buch keinesfalls die Bedeutung der Vernunft geringschätzen oder gar abwerten. Wir wollen die Bedeutung und das Verständnis der Gefühle aufwerten und einen Beitrag leisten, dass Sie Ihre Gefühle und die anderer als Teil Ihres Lebens und Erlebens annehmen und wertschätzen. Und wir wünschen uns, dass Sie vielleicht den einen oder anderen Perspektivwechsel in der Betrachtung von Gefühlen wagen.

Das Abc der Gefühle

Angst

Ich krieche durch die Ritzen und bleibe in den Kleidern hängen, ich verflache das Atmen und verenge den Platz eines Menschen in der Welt. Vor mir, der Angst, haben viele Menschen Angst.

Dabei bin ich doch so nützlich. Ich passe auf, dass Susanne nicht an die heiße Herdplatte fasst und Peter nicht die Steckdose auseinandernimmt. Ich sorge dafür, dass Frau Müller bei Rot an der Ampel hält und Herr Bauer Versicherungen abschließt. Ich verhindere, dass Menschen bei Sturm ins Meer gehen oder bei Blitzschlägen über die Wiese laufen. Wäre ich nicht, gäbe es viel mehr Unglück auf dieser Welt.

Vielleicht hängt mein schlechter Ruf damit zusammen, dass immer, wenn man mich spürt, auch das Unglück präsent wird, das ich gerade verhindern will. Die Angst vor dem Autounfall wird begleitet von Bildern eines solchen Unfalls, obwohl ich ihn gerade verhindern möchte. Also muss ich wohl damit leben, dass ich einen schlechten Beigeschmack verursache. Jeder braucht mich, doch niemand liebt mich.

Manchmal werde ich geradezu dazu angestiftet, meine Bedrohlichkeit aufzublähen oder mich als fantastisch-böse Gestalt zu verkleiden. Erwachsene engagieren mich in dieser Rolle gerne für ihre Kinder, um sie dazu zu erziehen, bestimmte Dinge zu tun oder zu lassen. Kein Wunder, wenn mich dann die Kinder nicht lieben und als Erwachsene meistens nur Verachtung für mich übrig haben.

Auch wenn ich nur als Verhinderin gesehen werde, als ein Gefühl, das dafür sorgt, das Schlimmes nicht eintritt, so kann ich doch auch damit Berge bewegen. Nicht nur die Chinesische Mauer, auch all die Deiche in dieser Welt, alle Krankenhäuser, die meisten Rechtsanwälte, die Gefängnisse, die Regenschirme und vieles andere mehr zeugen von der Produktivität, die in der Angst vor Schutzlosigkeit steckt.

Normalerweise bin ich eine umgängliche Gesellin. Ich komme, wenn ich vonnöten bin, und gehe wieder, wenn ich meine Arbeit getan habe. Doch manchmal stecke ich fest. Vielleicht wurde ein Mensch so existenziell von einer Bedrohung erschüttert, dass er meint, mich immer und überall zu brauchen. Vielleicht lebt oder lebte ein Mensch in einer Umgebung, die so voll mit mir war, dass er gar nicht mehr weiß, ob ich zu ihm gehöre oder zu anderen. Manchmal überfalle ich auch Menschen, ganz plötzlich mitten in der Nacht oder bei einer harmlosen Tätigkeit. Das mache ich dann, wenn ich lange im Verborgenen in diesem Menschen schlummere (übrigens auch bei all denen, die angeblich vor nichts Angst haben …) oder eingesperrt bin und sich dann ein Türchen öffnet, durch das ich ausbrechen kann.

Auch ich, die Angst, habe Angst. Ich fürchte mich vor Trost und Mitgefühl, weil sie an mir zehren. Ich scheue das Licht – wenn ich entdeckt, ausgesprochen, erkannt und anderen mitgeteilt werde, muss ich heraus aus den Verstecken, in denen ich mich so behaglich eingerichtet habe und so ungestört wachsen konnte. Auch wenn Menschen für sich und mit anderen aktiv werden, Sport treiben oder tanzen, musizieren oder Blumen pflanzen, entzieht mir das nicht immer, aber sehr oft die Kraft. Vor der Liebe fürchte ich mich, sie kann mich umbringen.

Ärger

Ich bin das Signal, das anzeigt, dass einem Menschen etwas nicht passt. Wenn etwas nicht gut für jemanden ist, dann kann er es übersehen und wird darunter leiden. Deswegen gibt es mich: Ich passe auf, dass er es nicht übersieht.

Wenn der Mensch sich dann ärgert, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder nimmt er mich heimlich auf und versteckt mich vor der Umwelt. Vielleicht macht er das, weil er sich meiner schämt oder cool »über allem« stehen will. Schön ist das nicht für mich. Wer will schon versteckt und der Öffentlichkeit vorenthalten werden? Ich räche mich, indem ich mich einniste und diesen Menschen dauerhaft bewohne, vor allem seinen Magen und sein Herz. Ha, und ganz stolz auf mich bin ich, wenn es mir gelingt, ihn richtig »zu wurmen«!

Die andere Möglichkeit ist, dass der Mensch mich zeigt. Damit wird er mich los. Job erfüllt, ab zum nächsten. Welche Konsequenz der Mensch aus dem Anlass meines Kommens in seinem Verhalten zieht, ist mir erst einmal egal. Ich bin das Warnsignal, den Rest muss der Mensch dann erledigen. Ich kann ja nicht alles machen.

Andere Menschen haben Angst, dass sie schief angesehen werden, wenn sie ihren Ärger zeigen. Dabei muss ich bei den Ärger-Schluckern und Ärger-Vermeidern immer wieder auftauchen, denn diese Leute werden von den anderen am meisten geärgert. Mit denen kann man es ja machen!

Ganz schlechte Erfahrungen habe ich auch damit, dass ich geparkt werde. Da komme ich zum Beispiel zu einer Frau, die sich über ihre Mutter ärgert, weil diese irgendetwas gegen ihren Willen entschieden hat. Sie traut sich aber nicht, mich ihr zu zeigen, sondern will erst den »richtigen Moment« abwarten. Sie glauben gar nicht, wie lange, wie viele Monate, ja Jahre ich auf diesen »richtigen Moment« warte! Solch ein Parkzustand ist öde und langweilig und manchmal auch ungerecht und gemein mir gegenüber. Ich versuche dann, den Menschen daran zu erinnern, dass es mich gibt, und klopfe schmerzend an die Umgebung des Körperteils, wo ich geparkt bin. Manchmal hilft das, oft sind die Menschen aber zu begriffsstutzig und bekämpfen die Schmerzen lieber mit Tabletten, als mich, die eigentliche Ursache, zu befreien.

Man braucht mich nur ernst zu nehmen und schon wird man mich los. Deswegen verstehe ich auch nicht, warum manche Leute sich so fürchten, mich rauszulassen, und befürchten, dass ich mich dann dauerhaft bei ihnen einrichte. Das mache ich doch nur aus Trotz, wenn ich nicht ernst genommen werde.

Wenn ich so lange geparkt, heruntergeschluckt (was man alles mit mir anstellt!) oder sonst wie zurückgehalten werde, dann wachse ich in der Fantasie der Menschen und werde zu einem großen Ungeheuer. Sie glauben dann, wenn ich mich mal zeige, würde ich sie und die Umgebung verschlingen. Das ist Quatsch und nur Ausdruck dessen, dass sie gar nicht mehr wissen, wie ich aussehe und mich anfühle. Ich empfehle dann das Training des »kleinen Ärgers«: damit anfangen, mich bei Kleinigkeiten zu zeigen, und dann langsam steigern …

Über meine Ängste habe ich schon gesprochen. Ich fürchte mich, nicht ernst genommen zu werden, auf versteckten Parkplätzen zu versauern, verstoßen und übersehen zu werden. Ein bisschen Respekt braucht doch jedes Gefühl, auch ich, nicht wahr?

Begeisterung

Im Unterschied zu meinen geschwätzigen Gefühlskolleginnen und -kollegen werde ich mich kurzfassen. Ich bin die Fortsetzung der Freude mit intensiveren Mitteln, ihre Steigerung. Voller Kraft. Ich kann Berge versetzen – und das ist keine Übertreibung. Ich fühle mich der Leidenschaft sehr schwesterlich verbunden, auch wenn ich heller, heiterer bin.

Etwas zu bewirken, Dinge und Verhältnisse zu verändern ist wahrscheinlich mein Daseinszweck. Obwohl ich diese Arbeit nicht nötig habe. Ich kann verändern, muss aber nicht. Wenn ich als Begeisterung Menschen erfülle, dann reicht das manchmal und steht für sich. Ich tu ihnen gut. Den Leuten um sie herum gehe ich gelegentlich auf die Nerven, aber was soll’s, ich bin nur den Begeisterten und Begeisterungsfähigen verpflichtet.

Es gibt ja auch Menschen, die mich nicht produzieren oder einlassen können. Sie tragen ein Schild vor sich her: »Der Einwurf von Werbung für Begeisterung und ihre Verbreitung sind verboten!« Die Existenz solcher Schilder respektiere ich, muss ich respektieren, denn einen Zutritt zu erzwingen widerspricht meiner Natur. Warum solche Menschen mich nicht wollen, weiß ich nicht. Vielleicht bin ich für sie zu gefährlich und könnte ihr Leben umkrempeln, vielleicht bin ich ihnen schon immer verboten worden – keine Ahnung, da müssen Sie schon diese Leute fragen. Ich geh nur dahin, wo ich erwünscht bin, dann aber richtig …

Bitterkeit

Über mich redet man nicht, mich lebt man. Ich bin ein Mauerblümchen, aber ich blühe. Selten trete ich als konkretes Gefühl auf, und wenn, dann bin ich dem bitteren Geschmack ähnlich. Meistens bin ich ein Befinden, das allen anderen Gefühlen einen Beigeschmack verleiht, einen bitteren selbstverständlich.

Ich bin für nichts gut. Höchstens als Erinnerung für Versäumtes. Denn aus versäumtem, verpasstem, vermiedenem Leben erwachse ich, solches Leben ist der Nährboden meiner Existenz. Wenn Menschen nicht nach den Früchten des Lebens zu greifen wagen, wenn sie in ihrer Liebe gescheitert sind und aufgegeben haben, wenn sie nicht mehr zu hoffen und an nichts mehr zu glauben wagen, wenn sie ihre aggressiven Gefühle nicht gegen die richten, die ihnen schaden oder sie verletzen, dann blühe und gedeihe ich. Je länger ich existiere, desto mehr breite ich mich aus und desto tiefere Wurzeln wachsen mir.

Angst habe ich vor allem vor der Freude und dem Mut. Wenn Menschen den Mut haben, ihr Scheitern einzugestehen, wenn sie ihre Niederlagen akzeptieren, wenn sie (wieder) lernen und zulassen, sich zu freuen, dann welke ich dahin.

Ehrgefühl

Ich bin viele, so viele, dass ich hier eigentlich viel mehr Platz brauche. Man könnte mich fast als multiple Persönlichkeit bezeichnen. Die drei wichtigsten Gefühlspersönlichkeiten will ich kurz vorstellen.

Wenn ich als Ehrgefühl einem Menschen innewohne, wirke ich als innerer Maßstab für sein Verhalten. »Ich möchte mich selbst im Spiegel anschauen können«, sagen dann die Menschen mit Ehrgefühl und handeln entsprechend. Hier bin ich ein Maßstab für die Würde eines Menschen, der dank mir so handeln kann, dass er seine innere Würde behält. In der Regel bin ich nicht dogmatisch und lasse als Ehrgefühl auch den einen oder anderen Schritt daneben zu, zum Beispiel die eine oder andere Notlüge. Manchmal werde ich aber zur einzigen Messlatte, zum einzigen Wertmaßstab eines Menschen und dabei so starr, dass der Mensch gar nicht mehr in der Lage ist, sich flexibel auf unterschiedliche Menschen und Situationen einzustellen. Der Weg zum Michael Kohlhaas, von der Dickköpfigkeit zur selbstzerstörerischen Halsstarrigkeit, ist dann nicht mehr weit.

Ich kann aber auch einem Menschen innewohnen und zum Maßstab dafür werden, wie sich Menschen untereinander zu verhalten haben. Für einen älteren Menschen einen Sitzplatz freizumachen oder jemanden zu grüßen sind vertraute Ausdrucksformen für solches Verhalten. Hier reguliere ich weniger das Erleben oder Verhalten des einzelnen Menschen, sondern eher soziale Bezüge und werde zur gesellschaftlichen Norm. Dabei gibt es große kulturelle Unterschiede. Wird in manchen Kulturen das Ehrgefühl massiv verletzt, wenn ein Mann, der nicht zur Familie gehört, einer Frau beim Essen zusieht, ist dies in anderen kulturellen Bezügen selbstverständlich.

Als dritte Gefühlspersönlichkeit besuche ich Menschen, die von anderen geehrt werden und sich geehrt fühlen. Dies ist mein liebster und befriedigendster Job. (Manchmal sagt man dann auch »Stolz« zu mir.) Hier merke ich, wie sehr die Menschen mich brauchen. Geehrt zu werden ist Nahrung. In der letzten Zeit werde ich immer häufiger »eingespart«, ich fürchte, dass sich diese Entwicklung fortsetzt.

Gar nicht reden möchte ich von all den Gegebenheiten, ich denen ich brutal benutzt worden bin und oft noch werde. Da werden meinetwegen Duelle ausgefochten oder gar mit mir Kriege begründet. Menschen werden ermordet (ich hasse das Wort »Ehrenmord«!) oder in den Selbstmord getrieben. Glauben Sie mir, all dieses Wortgeklingel um die Ehre hat mit mir nichts zu tun. Das sind allenfalls Randpersönlichkeiten, die mir von außen aufgezwungen wurden und die ich mit mir herumschleppen muss. Wer mich in meiner ursprünglichen Bedeutung ernst nimmt, als Maßstab innerer Würde und eines würdigenden Umgangs untereinander sowie als Gefühl, geehrt zu werden, der hat solche zerstörerischen Karikaturen von »Ehrgefühl« nicht nötig.

Eifersucht

Wenn ich mal Werbung für mich machen darf: Ich bin das Gefühl mit Doppel-Ich. Da staunen Sie, das haben Sie nicht erwartet. Ich werde nämlich sowohl von Menschen mit einem starken Ich angezogen als auch von denen mit einem besonders schwachen Ich.

Das will ich Ihnen gern genauer erklären, damit Sie nicht glauben, ich würde mich nur ereifern oder wäre eine Sucht. Wer ein starkes Ich hat, geht auch starke Bindungen zu anderen Menschen ein. Werden diese Bindungen durch Dritte oder durch das Verhalten gegenüber Dritten gefährdet, dann komme ich. Als Eifersucht schreite ich ein und unterstütze den eifersüchtigen Menschen darin, die Bindung und Verbindung zu verteidigen. Das ist Ausdruck eines starken Ichs. Das ist Ausdruck einer Haltung, die die Beziehung zu einer geschätzten oder geliebten Person verteidigt.

Wenn Menschen verkünden, sie bräuchten mich nicht, sie stünden »über der Eifersucht«, dann ist das manchmal ein Pfeifen im Walde und Ausdruck von Beziehungshilflosigkeit. Oft höre ich darin auch den gut gemeinten Versuch, unterschiedliche Bedürfnisse gegenüber verschiedenen Menschen zu vereinen. Ich warte dann ab und bereite mich auf meinen Einsatz vor. Meistens brauche ich nicht lange zu warten …

Menschen, deren Ich schwach, unsicher, brüchig ist, sind sich ihrer Beziehungen ebenfalls unsicher. Also werde ich auch von ihnen gerufen. Da muss ich ständig vorbeikommen, oft wird mir sogar ein Gästezimmer zugewiesen. Hinter dem Ruf nach mir, der Eifersucht, steckt oft die Unsicherheit: »Habe ich überhaupt ein Recht, geliebt zu werden?« Oder: »Wer bin ich denn, dass ich geliebt werde?« Wer so an sich zweifelt, muss fast zwangsläufig misstrauisch sein und glauben, die Liebe des Partners oder der Partnerin, der Eltern oder anderer wichtiger Bezugspersonen könne doch gar nicht wahrhaftig sein, sei nur Tarnung und »eigentlich« würden andere mehr geliebt.

Also trete ich auf, oft zwanghaft eifernd und wie eine Sucht wirkend. Wenn dann versucht wird, mich mit guten Worten, mit Argumenten oder anderen Maßnahmen zu vertreiben, dann lache ich nur darüber. Eine Eifersucht lässt sich doch nicht von Argumenten vertreiben! Wer das von mir denkt, macht sich lächerlich.

Vertreiben lasse ich mich nur, wenn Menschen sich mit den Beweggründen beschäftigen, die sie mich rufen ließen: mit ihrem brüchigen Selbstwertgefühl, mit der inneren Haltung, nicht zu genügen oder »falsch« zu sein, mit ihrem fehlenden Mut, sich anderen zuzumuten.

Eigensinn

»Sei doch nicht so eigensinnig!«, so werden Menschen oft beschimpft, die mich spüren und entsprechend handeln. Deswegen werde ich von vielen auch nicht als Gefühl angesehen, sondern als Ärgernis wie Mundgeruch oder Fußpilz. Ich freue mich, dass ich hier die Gelegenheit bekomme, dem etwas entgegenzusetzen.

Die Wahrheit ist, dass ich das Gefühl bin, das den Sinn für das Eigene eines Menschen mobilisiert und stärkt. Nicht mehr und nicht weniger. Die eigenen Interessen ernst nehmen und nicht ignorieren, die eigenen Bedürfnisse respektieren und nicht leugnen – was soll daran schlimm sein? Den Eigensinn zu unterdrücken, daran haben ideologische und totalitäre Obrigkeiten Interesse oder Menschen, die neben ihrer eigenen Unsicherheit keine Stärke zulassen wollen oder können. Wer die Einzigartigkeit jedes Menschen würdigt, muss auch mich, den Eigensinn, respektieren. Ich bin der Boden für die Würde. Ohne Eigensinn keine Würde.