Das Nachleben der Kelten
Campus Verlag
Frankfurt/New York
Über das Buch
Die keltische Kunst kann mit einigem Recht als Vorläufer moderner Kunstformen erachtet werden. So schaffte Lewis Carroll mit Alice im Wunderland eine fantastisch anmutende Welt, die unverkennbare Parallelen zu keltischen Kunstwerken aufweist, in der die Naturgesetzte auf dem Kopf zu stehen scheinen. Als die kleine Alice durch ein Kaninchenloch ins Wunderland gelangt, könnte man meinen, sie trete in die Anderwelt irischer Mythen ein. Schon mit der Renaissance und insbesondere mit der Epoche der Romantik kommt das Keltische wieder in Mode. Die Imagination eines ursprünglichen Menschen, der im Einklang mit sich und der ihn umgebenden Natur lebt, trifft die melancholische Stimmung der Zeit. Die Begeisterung für Schottland speiste sich aus einem Bedürfnis nach einem unberührten Sehnsuchtsort, der eine Alternative zur Nüchternheit der Aufklärung und den Verfremdungen der beginnenden Industrialisierung bereitstellt. Historiker Arnulf Krause beschreibt, wie die Namen der zahlreichen europäischen Völker wiederentdeckt und ab dem 19. Jahrhundert das keltische Erbe auch archäologisch zusehends erschlossen wurde.
Dieses E-Book ist Teil der digitalen Reihe »Campus Kaleidoskop«. Erfahren Sie mehr auf www.campus.de/kaleidoskop
Über den Autor
Arnulf Krause ist promovierter Germanist und Skandinavist, erfolgreicher Sachbuchautor und Experte für germanische Heldensagen und die Dichtung der Edda. Er lehrt als Honorarprofessor am Institut für Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft der Universität Bonn.
Die Kelten in der Neuzeit – von Ossian und Highland-Nebeln
Die Wiedergeburt einer verschwundenen Kultur
Ossian: Das Keltische als Mode
Walter Scott und die Highland-Romantik
Alice im Wunderland der Cheshire-Katze
Die »Rückkehr« der Druiden
Archäologische Entdeckungen und die moderne keltische Wiedergeburt
Exkurs: Die Kelten – Eine Zeittafel
Exkurs: Auf den Spuren der Kelten
Dänemark
Deutschland
Frankreich
England
Schottland
Nordirland
Irland
Luxemburg
Österreich
Schweiz
Literaturverzeichnis
Quellen
Sekundärliteratur
Campus Kaleidoskop
Impressum
In der Epoche der Renaissance, die zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert das Kultur- und Geistesleben vieler europäischer Länder prägte, erfuhr die antike Vergangenheit eine Wiedergeburt – so die Bedeutung des französischen Wortes –, die sich bis heute auswirkt. Nachdem als Erste italienische Dichter und Gelehrte die griechische und römische Geschichte und Kunst gleichsam wiederentdeckten, folgten ihnen die so genannten Humanisten nördlich der Alpen. In den Bibliotheken fand man alte Handschriften mit den Werken antiker Autoren wie Caesar und Tacitus. Aus ihren Schriften zogen die Gelehrten Schlüsse mit weit reichenden Konsequenzen: Wo die Italiener in den ruhmreichen Römern ihre Vorfahren sahen, führte man sich im Norden auf die einst gefürchteten Gallier und Germanen zurück. Letztere wurden zu den Vorvätern der Deutschen erklärt, während sich die Franzosen als Nachfahren der Gallier sahen. Und die in ihrer Mehrzahl stark alemannisch – also germanisch – geprägten Schweizer Kantone entdeckten in Caesars Bellum Gallicum jene mutigen Helvetier für sich, die Rom blutig unterlegen waren. Mit dem Namen der einstmals erschreckenden Belger sollte später sogar eine ganze Nation bezeichnet werden, als sich 1831 die Provinzen der bis dahin so genannten südlichen Niederlande um Brüssel, Gent und Namur als Belgien für unabhängig erklärten.
Seit den Entdeckungen der Renaissance kannte man die Namen der Gallier respektive Kelten und ihrer zahlreichen Stämme und man wusste zumindest von den Ereignissen ihrer Geschichte, die Caesar und andere antike Autoren schilderten. Richtige archäologische Zuordnungen konnten allerdings erst viel später vorgenommen werden. Bis ins 19. Jahrhundert behalfen sich die Gelehrten mit größtenteils fantasievollen Erklärungen, was denn als keltisches Erbe angesehen werden könnte. Die bis in die Gegenwart beliebteste Fehlinterpretation galt der jungsteinzeitlichen Stonehenge-Anlage in Südengland, die man als Heiligtum der Druiden ansah.
Doch bei allem wachsenden Interesse an dem antiken Barbarenvolk stand es lange völlig außer Frage, dass es Kelten und ihre Nachfahren nur auf dem europäischen Festand gab. Erst als sich Forscher mit den wenigen Resten des Gallischen beschäftigten und die Sprachen der Iren, Schotten, Waliser und Bretonen untersuchten, fiel ihnen auf, dass sie starke Gemeinsamkeiten aufwiesen und offensichtlich alle zur keltischen Sprachfamilie gehörten. Die Kelten waren demzufolge nicht nur ein untergegangenes Volk der Antike, sondern lebten am Nordwestrand Europas noch immer. Diese Erkenntnis setzte sich ausgerechnet unter den Inselkelten nur langsam durch, vor allem bei den Iren: Sie, die heute als Kelten par excellence gelten, identifizierten sich letztlich erst im 19. Jahrhundert mit diesem Begriff. Was also neben den archäologischen Funden das typische Keltische ausmacht, beruht auf einer verhältnismäßig jungen Erkenntnis und Identifikation.