Dirk Husemann

Varus vs. Arminius

Campus Verlag
Frankfurt/New York

Über das Buch

Was geschah wirklich im Herbst des Jahres 9. n. Chr., als die drei römischen Legionen des Varus irgendwo in einem germanischen Wald in einen blutigen Hinterhalt gerieten? Die genauen Geschehnisse rund um die Varusschlacht geben der historischen Forschung bis heute Rätsel auf. Wie stichhaltig ist das Bild von Varus als Sündenbock? Und welches der 700 bislang in Erwägung gezogenen Schlachtfelder ist denn nun das richtige? Dirk Huseman erklärt so unterhaltsam wie informativ, warum der Teutoburger Wald in der Antike ganz woanders lag und wie die widersprüchlichen Quellen zu deuten sind.

Dieses E-Book ist Teil der digitalen Reihe »Campus Kaleidoskop«. Erfahren Sie mehr auf www.campus.de/kaleidoskop

Über den Autor

Dirk Husemann, geboren 1965, ist Archäologe und Historiker. Seit vielen Jahren ist er als freier Autor und Journalist, unter anderem für Spektrum der Wissenschaft, GEO und Spiegel Online, tätig. Bei Campus erschienen bislang von ihm »Die Neandertaler« (2005), »Spiele, Siege und Skandale« (2007) und »Der Sturz des Römischen Adlers« (2008). Dirk Husemann lebt in unmittelbarer Nachbarschaft zum Ort des Geschehens in Ostbevern bei Münster.

Inhalt

Rätsel um eine verschollene Schlacht

Blattschuss eines Bücherjägers

Der wiederbelebte Varus

Fauler Zauber in alten Quellen

Quellen, die zu üppig sprudeln

Irrweg in den Teutoburger Wald

Grabstein im Zeugenstand

Auf dem Steckenpferd zur Schlachtfeldjagd

Campus Kaleidoskop

Impressum

Rätsel um eine verschollene Schlacht

Wo schlug Arminius die römischen Legionen? Bei mehr als 700 Vorschlägen zum Schlachtort standen nahezu alle Gemeinden des westfälischen Raumes bereits unter Verdacht, auf dem geschichtsträchtigen Boden gewachsen zu sein. Bei der Beweisführung spielten neben der Wissenschaft auch Geld, Einfluss und Forscherneid tragende Rollen.

In der Schreibstube des Tacitus schwitzten die Sklaven. Der römische Redner und Jurist war Schriftsteller mit Leib und Seele. Nichts liebte er mehr, als in seiner Villa umherzugehen und zu diktieren. Selbst den Griffel in die Hand zu nehmen – das wäre einem römischen Autor nie in den Sinn gekommen. Schreiben war Sklavenarbeit. Denken aber war das Metier des Herrn von Welt. Tacitus diktierte.

Von den Germanen erzählte er. Germanien selbst hat Tacitus nie gesehen. Auf den Straßen Roms und bei den Soldaten, die in Germanien Krieg geführt hatten, hatte er manches aufgeschnappt, was der durchschnittliche Römer für Irrsinn hielt. Demnach torkelten die Germanen häufig volltrunken durch den Tag: »Nach dem Waschen nehmen sie Speise zu sich. Jeder hat seinen besonderen Sitz und seinen eigenen Tisch. Dann begeben sie sich an die Geschäfte und nicht weniger häufig zu Gelagen, und zwar bewaffnet. Tag und Nacht ununterbrochen fortzuzechen ist für keinen eine Schande. Bei den – wie unter Trunkenen natürlich – häufig vorkommenden Streitigkeiten geht es selten nur mit Schimpfreden ab, häufiger mit Totschlag und Wunden.« Laut Tacitus huldigten die Stämme aus dem Norden »dem Würfelspiel merkwürdigerweise in voller Nüchternheit, als wenn es sich um ein ernsthaftes Geschäft handelte. Dabei sind sie in Bezug auf Gewinn und Verlust von einer so blinden Leidenschaft besessen, dass sie, wenn sie alles andere verspielt haben, mit dem letzten entscheidenden Wurf um die Freiheit und ihren eigenen Leib kämpfen.« Solche Texte gehören zu den frühesten Zeugnissen der Völkerkunde und waren in Rom der letzte Schrei. Laut trug der Autor sie vor, auf dem Forum oder bei Gelagen der besseren Gesellschaft, bei denen es kein bisschen weniger deftig zuging als in den Hütten der Germanen. Dennoch schüttelte es die römischen Damen in asiatischer Seide, wenn sie über die germanischen Frauen zu hören bekamen: »Sie tragen auch Tierfelle.« Die Männer im Publikum mögen gestaunt haben, dass bei einem so wilden Volk wie den Germanen der Ehebruch kaum vorkommen sollte. Tacitus wusste:

»Seine Bestrafung erfolgt auf der Stelle und ist dem Gatten überlassen. Mit abgeschnittenen Haaren, entkleidet, stößt sie (die Ehefrau) der Gatte in Gegenwart der Verwandten aus dem Haus und treibt sie mit Schlägen durch das Dorf.« Solche Texte waren im antiken Rom Publikumsrenner. Kein Wunder, dass Tacitus nachlegte.

Noch in hohem Alter – Tacitus soll fast einhundert Jahre alt geworden sein – diktierte er den Schreibsklaven Erstaunliches, Pikantes und Informatives in die Feder. Sein Alterswerk sollte sein Schaffen krönen, also nahm sich Tacitus eines Sujets an, das schon andere Römer berühmt gemacht hatte: der Geschichtsschreibung, in diesem Fall der Historie seiner Landsleute. Ein Mammutwerk wollte zu Papyrus gebracht werden. Die Schreibsklaven bestellten Gänsekiele bündelweise und Tinte in Fässern.

Tacitus ließ die literarischen Muskeln spielen. Die Annalen, zu Deutsch Jahrbücher, erzählten die Geschichte des Römischen Reiches von der Zeit des Kaisers Augustus bis zur Herrschaft des Kaisers Nero. Darin beschrieb der Autor auch die Geschehnisse der Varusschlacht. Für diesen Zeitraum von etwa 50 Jahren nahm sich Tacitus viel Raum. Als das Werk abgeschlossen war, füllte es 16 Bände. Träte heute ein Autor mit einem solchen Werk an einen Verleger heran, würde ihm Größenwahn bescheinigt werden. In der Antike war es aber durchaus üblich, viel zu schreiben. Schon Herodot, der als Vater der Geschichtsschreibung gilt, füllte neun Bücher, die unter einem einzigen Titel erschienen – wie erfolgreich Herodot war, zeigt sich aber nicht an der Textmenge, die er schrieb, sondern daran, dass seine Schriften vom 5. Jahrhundert v. Chr. bis heute zu den Glanzleistungen der Geschichtsschreibung zählen.

Das Buch in seiner heutigen Form war noch nicht erfunden. Gedanken ließen sich nur auf Papyrus festhalten. Dieses Material kam in Rollen. Aus den Pflanzenfasern des Zyperngrases ließen sich meterlange Streifen pressen und mit dem Saft der Pflanze verleimen. Da die Technik des Buchbindens noch nicht bekannt war, rollten die Schriftkundigen den Papyrus auf Walzen. Der Leser legte die Walzen vor sich hin und drehte sie derart, dass der Text von der rechten auf die linke Walze rollte. Wie ein Filmstreifen lief die Schrift von der einen zur anderen Seite. Einer populären Theorie zufolge soll der Begriff »Wälzer« für ein übergewichtiges Buch aus der Tradition der Papyrusrollen abzuleiten sein.