Die Handlung und die Personen des vorliegenden Romans sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen ist rein zufällig. Die Verwendung von Namen bestehender Institutionen, Einrichtungen oder Unternehmen ist schöpferisches Stilmittel. Der Autor hat zahlreiche Quellen für die Recherche genutzt und beabsichtigt keine persönlichen Ansprüche verletzen zu wollen.

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© 2021 Susanne Erhard

Autorenfoto: Ralf Erhard by Delightphotos

Reihe: Edition Sunrise

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7557-4594-5

Inhaltsverzeichnis

1

Zwei Nächte und fast zwei Tage. Noch immer kämpfte mein Hirn mit der Tragweite all dessen, was sich an diesem stürmischen Morgen vor zwei Nächten zugetragen hatte. Wir liebten uns, fühlten uns dämlich unbesiegbar und dann raste die wilde Jagd durch unser Dorf, riss alles mit sich, hinterließ eine Spur der Verwüstung und des Entsetzens. Ein Teil von mir glaubte es noch immer nicht.

Irmin hatte ihn einfach rekrutiert. Shanghait. Entführt. Zur Legion gepresst und ihn mitgenommen. Seitdem hämmerte mein Herzschlag in meinen Ohren, betäubte mich, obwohl ich mich immer wieder am Boden liegen sah, Ivo völlig durchnässt mit erhobenen Händen. Mein Dolch an Irmins Hals. Warum hatte ich nicht zugestochen? Warum nicht alles in dieser einen Sekunde beendet?

Zwei unserer Männer waren keine Stunde später nach Damasia unterwegs, um Ivos Vater über die Geschehnisse zu informieren und welch furchtbare Rolle sein erstgeborener Sohn dabei spielte. Ingmar war meine einzige Hoffnung. Er musste Ivo und Oswin retten. Genau bei diesem flatternden Herzschlag war ich bereit jedweden Preis dafür zu bezahlen.

Gleich danach schickte ich mehrere Späher nach Cambodunum. Ich wollte über jede Bewegung von Ivo und Irmin informiert werden. Und seitdem saß ich auf Ivos Schemel am Feuer und wartete. Irgendwann entdeckte ich auf den Steinen die verwischten Reste meiner Striche aus jener Nacht, als Ivo im Schneesturm die Hütten an der Iller suchte.

Fünfzehn Atemzüge pro Minute ergaben neunhundert in einer Stunde. Ich zählte still, bewegte meine Finger im stereotypen Rhythmus und machte bei neunhundert einen Strich. Sechsundvierzig Kohlestriche hatte ich schon gemalt. Bald würde ich keinen Platz mehr haben. Dann musste ich Tagesstriche einführen.

Immer wieder versuchte ich mich zu beruhigen. Ivo war noch in Cambodunum, die Boten sicher schon auf dem Rückweg von Damasia zu uns. Es ging Ivo soweit gut, ein Medicus hatte seine offenen Füße behandelt. Irmin schikanierte ihn nicht übermäßig. Oswin ließ er ganz in Ruhe. Sie mussten exerzieren, standen stundenlang im strömenden Regen Wache, bekamen magere Essensrationen. Legionäre wurden nicht verwöhnt. Acht Liter Getreide für acht Männer. Dabei war Ivo schon so dünn. Es stürmte noch immer und der Wind brachte eiskalte Luft, Regen wechselte mit Graupeln und nassen Schneeflocken. Die Pfützen froren zu.

Ich hätte selber nach Cambodunum reiten können, doch Volko, Artis und Elke waren dagegen. Nein, es hätte niemandem etwas gebracht, nur den Schmerz und die Sorgen vergrößert. Weder der Präfekt, noch Irmin hätten mich angehört. Niemand war da, den dieses Unrecht interessierte. Verstörend. Keine Petition an Amnesty, den Bundeskanzler, die UN oder sonstwen. Ich machte einen Strich auf den untersten Stein der Feuerstelle.

Einzig Volko, Elke und Artis waren mir geblieben. Und sie machten unmissverständlich klar, dass ich an Ivos Stelle jetzt das Dorf führte, entsprechend gesund bleiben musste, nicht nach Cambodunum reiten durfte und abwarten sollte. Warten. Geduld war weniger denn je meine Stärke. Es ging um Ivos Leben. Damit auch um meines, um Oswins und das von Artis und ihrem Baby.

Elke reichte mir einen Becher mit Tee, ich schüttelte abwehrend den Kopf. „Wir brauchen dich, Frau Ingrun, gesund und kräftig. Bitte, trink wenigstens.“ Ihr Blick ging auffordernd zu Volko auf der anderen Seite der Feuerstelle. Er übte mit Parlan und Corr die lateinischen Buchstaben.

„Ernsthaft, Ingrun“, aus seinem Mund klang der Name noch immer merkwürdig, „dieses nutzlose Gehungere hat mich schon vor deiner Rückkehr total genervt.“ Nein, er klang nicht witzig und unübersehbar meinte er es auch nicht witzig. Ich verzog das Gesicht und nahm den Becher aus Elkes Händen. Mein Magen kugelte sich schon allein bei dem Geruch vor Ekel. Wie sollte ich da nur einen Schluck trinken?

„Trink“, knurrte er, als hätte er meine Aversion gesehen und musterte mich mit gerunzelter Stirn, „du wirst jedes Gramm und jedes Quäntchen Kraft brauchen, wenn wir uns Ivo und Oswin zurückholen. Da kann ich keine erschöpfte Ingrun gebrauchen. - Gib ihr bitte zwei Haferkekse, Elke. Sie muss essen.“

Umgehend bekam ich die großen Hafertaler und meinen Magen streckte es endgültig. Ich würgte, schämte mich dafür. Trotzdem war ich so dankbar für seine Worte. Sie würden mich nicht allein lassen mit den Problemen. Im gleichen Moment scharrte es an der Tür, Volko sprang auf, ich schluckte die Übelkeit herunter. Ihr Götter, lasst es die Männer aus Damasia sein, betete ich still, lasst sie gute Nachrichten für uns bringen. Bitte.

Doch es war einer der Späher, der tropfnass vor der Tür stand. Enttäuschung und Sorge nahmen mir kurz den Atem, ächzend rang ich um Luft. Volko zog ihn hastig herein, zusammen mit klirrenden Graupeln und eisigem Wind. Die Kapuze des Mannes war weiß, Graupeln hingen in seinem Bart und in seinen Haaren. Ich rappelte mich von meinem Schemel auf und trat ihnen entgegen. Sein Auftauchen konnte vieles bedeuten, das wenigste würde mir vermutlich gefallen.

„Setz dich ans Feuer, Mann“, ich deutete auf einen der Hocker,

„wärm dich auf.“

Volko nahm ihm den triefenden Umhang ab, ich griff nach einer Filzdecke, die neben der Herdstelle lag. Leise stöhnend ließ der Mann sich auf den Hocker fallen, ich legte ihm die Decke um die Schultern. Elke brachte einen weiteren Becher Tee, den er mit einem dankbaren Nicken entgegen nahm und ich gab ihm meine Haferkuchen. Damit war ich die los. Volko murrte.

Die Hände des Mannes waren blaurot gefroren, zitterten leicht. Etwas wie Schuld und Mitgefühl, Dankbarkeit schwappten in mir herum. Unsicher legte ich meine warmen Finger auf seine kalten. Dieser Mann war für Ivo und mich durch den Sturm geritten. Er zwinkerte überrascht, dann lächelte er mich an.

„Herr Ivo würde deine warmen Hände auch sicher gern spüren. Danke, Frau Ingrun, du tust wohl.“

Ich schnaufte, er hatte keine Ahnung, was ich für Ivos Hände auf meinem Körper alles tun würde und wie wohlig das wäre. „Was bringst du für Nachrichten?“

Keine Frage, nein, ich wollte es nicht wissen, ich musste es wissen und ich war mir sicher, dass ich danach die Kraft finden würde, in irgendeiner Weise zu handeln.

„Zur Stunde bricht Tribun Irminus mit den Rekruten und zwei Zenturien nach Augusta Vindelicorum auf.“

Meine Kiefer wurden steif, ich spürte, wie sich meine Zähne aufeinander verbissen und ein Stück meiner Wangen dazwischen hing, doch ich konnte sie nicht lösen. Der Schmerz trieb mir fast die Tränen in die Augen.

„Wieso so schnell?“

Nutzlose Frage, noch dazu eine, die mir niemand außer Irmin beantworten konnte. Der Mann bewegte ausweichend die Schultern. „Sie sind heute Morgen vereidigt worden. Man hat sie eingekleidet und dann kam der Marschbefehl. Ich konnte nur kurz mir Herrn Ivo reden. Dann bin ich sofort hergekommen. Es geht ihm gut. Er sagt, du sollst dir keine Sorgen machen. Augusta ist näher an Damasia und sie werden sicher erst am Ende des Winters weiter nach Mogontiacum marschieren.“

Ich betete still, dass Ivos Einschätzung die richtige war, denn ich traute Irmin alles zu, auch das er im Winter nach Mainz marschieren ließ. Der Feldzug selber würde erst im Frühjahr beginnen. Für dieses Jahr war der Herbst schon zu weit fortgeschritten. Meine Ängste waren nichts, was der Mann vor mir aushalten sollte, also nickte ich und rang mir ein lächeln ab.

„Hab dank für deine Worte“, sacht drückte ich ihm den Arm und stand auf, „wie lange marschieren sie nach Augusta?“ Ich winkte kurz nach Elke und bat sie Artis zu holen.

„Drei oder vier Tage, Frau Ingrun, je nach Wetter.“

Langsam nickte ich vor mich hin. „Das ist gut. – Jetzt geh heim, Mann, und ruh dich aus. Torquil bringt deinem Weib nachher ein Stück von dem Schwein, das wir heute geschlachtet haben.“

Seine Dankbarkeit war echt. Er nahm respektvoll meine Hände und neigte den Kopf. „Alles wird gut, Frau Ingrun, ganz bestimmt. Bald sind Herr Ivo und Herr Oswin wieder da. Hab dank.“

Er verließ das Haus, gleichzeitig stürmte Artis herein. Ihr Blick sagte alles, ich seufzte, hob beschwichtigend die Hände. „Es ist nichts passiert, Artis.“

„Wegen nichts wirst du mich nicht rufen, Ingrun, was ist los?“

„Die Rekruten marschieren in Begleitung von zwei Zenturien nach Augusta. Es geht Oswin und Ivo gut.“ Zögernd trat sie näher ans Feuer, Volko deutete auf den freien Schemel, auf dem der Späher vorher saß. Sie ließ sich angespannt darauf nieder, ihr Blick hing kurz an den nassen Schlammflecken, die seine Stiefel auf dem Boden hinterlassen hatten. Notgedrungen setzte ich mich zu ihr, warf nebenbei ein neues Holzscheit ins Feuer. Sammeln, Ingrun, dachte ich, obwohl alles in mir sich chaotisch auffaserte. Elke verteilte wieder Teebecher und Haferkuchen, den ich unfair barsch ablehnte. Jetzt musste ich mich konzentrieren. Es wurde noch ernster, als es eh schon war. Betont ruhig legte ich meine Hände zusammen und schaute auf. Alle starrten mich an.

„Ich habe genug herumgesessen und werde jetzt schnellstmöglich den Männern folgen. Du übernimmst hier die Führung, Artis. Lass alles überzählige Holz und Stroh aus dem Dorf schaffen und bringt alle Lebensmittel, die ihr nicht unbedingt benötigt in die geheimen Erdkeller. Wenn die Römer das Dorf stürmen sollten, dann darf nicht alles verbrennen, verstehst du? Ich weiß nicht, was Irmin mit uns vorhat. Treibt heute noch die jungen Rinder und Pferde zur Wallburg hoch und trennt hier den Rinderpferch so ab, dass alle im Zweifelsfall schnell und sicher den Schlupf in der Palisade erreichen können, ohne von den Rindern zertrampelt zu werden. Schließt das Tor. Ein Erwachsener soll mit den jungen Männern ab jetzt wachen. Tag und Nacht. Wenn es euch trotzdem irgendwie gefährlich vorkommt, dann flieht in kleinen Gruppen, auf verschiedenen Wegen zur Wallburg hoch.“

Fassungslos gafften mich alle an. Artis Hände walkten den Stoff ihres Umhanges, Volko plumpste auf seinen Schemel. Ja, zweifellos, ich war komplett irre, zumal ich keine Ahnung hatte, was mich da draußen erwartete. Aber ich musste etwas tun.

„Du kannst das nicht allein, Ingrun“, Artis schüttelte ihre Mähne, „ich reite mit dir.“

„Sicher nicht!“ Kategorisch wischte ich mit einer Hand durch die Luft. „Ich brauche dich hier und ich habe schon ganz andere Dinge allein gemeistert.“ Nicht gelogen, doch ein Hauskauf, Abschlussprüfungen, allein mit dem Auto nach Spanien fahren oder ein Vorstellungsgespräch erfolgreich beenden waren ganz andere Herausforderungen. Allein einem Trupp Römer folgen und zwei Männer vielleicht befreien, war eine verdammt steile Nummer für jemanden wie mich. So steil, dass es schwachsinnig war, überhaupt darüber nachzudenken. Aber ich dachte ja auch nicht weiter nach. Ich musste es einfach tun.

„Ich reite mit dir.“ Volko blies die Wangen auf, schien von sich selber überrascht. „Allein als Frau hast du keine Chance, Ingrun. Artis und Elke halten hier die Stellung.“

So ein Satz provozierte bei mir alles, aber keine Zustimmung. Ich sog spontan aggressiv die Wangen ein. „Als Frau?“, zischelte ich sarkastisch und hob nur eine Braue. Volko schnaufte genervt. „Als Frau habe ich schon anderen die Stirn geboten. Nein, Volko, du müsstest mehrere Stunden im Sattel sitzen, das Wetter ist verdammt unwirtlich, im Freien schlafen, Feuer machen. Bei allem Respekt und ich bin wirklich dankbar für dein Angebot, aber das bringt niemandem etwas. Ich reite allein.“

„Nein, das wirst du nicht, Frau Ingrun.“ Elke baute sich überraschend resolut vor mir auf. „Volko wird mit dir reiten, auch wenn er kein Krieger ist. Aber auch du bist nicht mehr die, die du vor deinem Sturz warst. Mit Volko bist du wenigstens nicht allein. Er reitet mit. Oder ihr bleibt beide hier und wir warten, bis die Männer aus Damasia zurückkehren.“

„Das wäre grundlegend das vernünftigste“, knurrte Artis. „Du kannst ja nicht einmal mehr einem Huhn den Hals herumdrehen, Ingrun, und Volko scheitert daran ein Feuer zu machen. Ihr seid beide kaum fähig den Weg nach Cambodunum zu finden. Und ihr wollt den Legionären folgen, womöglich unsere Männer befreien? Bei allen Göttern, das ist Irrsinn.“

Zweifellos, das war sogar mehr als Irrsinn. Nur fiel mir keine passende Steigerung ein. Was kam nach dem Wahn? „Vollkommen richtig, Artis, Volko und ich sind die nutzlosesten Menschen des Dorfes.“ Ich seufzte und musste trotzdem hysterisch kichern. Das alles lief so verdammt schief. Nichts davon war mein Plan gewesen, als ich mich auf die Reise durch achtzehnhundert Jahre machte. Ich wollte meinen Mann lieben, super Sex haben, reiten gehen, nett am Feuer sitzen. Stattdessen war mein Mann seit heute Morgen vereidigter Legionär der Legio VIII Augusta und sollte nach Germanien marschieren. Perfekt schizophren.

„So nutzlos, dass nur wir entbehrlich sind. Ivo muss wissen, dass wir sie nicht hängen lassen. Ich muss ihm folgen. Wenn sich die Gelegenheit ergibt, werde ich auch alles riskieren, um unsere Männer zu befreien. Wenn nicht, dann warten wir in Augusta auf die Hilfe aus Damasia und auch dafür werde ich alles tun. Ingmar wird es nicht wagen uns Hilfe zu verweigern. Sonst lernt er mich kennen.“

Artis wiegte langsam den Kopf. Sie trug etwas wie unfreiwilligen Respekt im Blick. „Dein Mut ist erstaunlich, Ingrun, nutzlos seid ihr beiden nicht. Im Gegenteil. - Ich habe nie die Meinung von Herrn Arne geteilt. Nein, du hast dich nicht mit den bösen Mächten eingelassen. Ganz sicher nicht. Doch du bist zweifellos eine Zauberin, eine gute Fee oder irgendetwas Ähnliches und auch Volko besitzt etwas, was nicht in diese Welt gehört. Und deswegen seid ihr vielleicht die einzigen, die unser Männer überhaupt retten können. So sei es. – Volko, du bekommst mein Pferd, es ist sehr brav und sehr bequem.“

„Torquil soll euch begleiten.“ Elke nickte beherzt, trotzdem sah ich die Angst in ihrem Gesicht. „Er kann Feuer machen, jagen und im Gegensatz zu euch findet er die Wege.“

Meine Kehle wurde eng, ich schluckte an Tränen der Freude, Dankbarkeit und irrationaler Hoffnung. Nie hatte ich mich so getragen und richtig gefühlt.

„Danke, Artis, danke, Elke.“, stammelte ich mit kippender Stimme.

„Ich bin weder eine Zauberin, noch eine Fee und auch Volko ist einfach ein Mensch. Aber ich verspreche euch, dass ihr die ganze Geschichte erfahrt, wenn wir mit den Männern heimkehren. – Dann packen wir jetzt ein paar Sachen zusammen.“

2

Mein Puls hämmerte mir im Schädel, als ich den Fuß in Askans Steigbügel stellte und mich in den Sattel schwang. Er hasste es, wenn ich unentspannt war und quittierte mein Aufsitzen mit Steigen. Eine miserable Erinnerung an Irmins Schimmel. Rowan rammelte genauso aufgeregt gegen Askan, fast verhedderten sich Stricke und Pferde. Ich fluchte, was die umstehenden Dörfler verwirrt zur Kenntnis nahmen.

Auch meine Bekleidung verwirrte sie. Ich trug Hosen von Ivo. Volko in Ermangelung eigener Kleidung die von Oswin, der immerhin ein Stück größer als Ivo war. Hosen mit Hochwasser waren auch zu dieser Zeit nicht cool. Die Pferde hatten wir mit geölten Fellen abgedeckt. Sie durften nicht durchweichen. Die Felle schützten auch uns vor dem anhaltenden Schneeregen und dem eiskalten Wind.

Rowan trug den Packsattel mit Proviant, weiterer Kleidung und einer großen geölten Plane, die wir als Zelt nutzen wollten. An meinem Sattel hing der Ledersack mit meinem Tablet und Medikamenten und Ivos Schwert. Lange hatte ich überlegt, ob und was ich brauchen könnte und mich letztendlich entschlossen, meine gesamten Bestände einzupacken. Die Medikamente waren von unschätzbarem Wert. Wenn dieses Haus im schlimmsten Fall verbrannte, dann war alles weg. Das konnte natürlich auch passieren, wenn ich sie mitnahm. Einen Tod musste ich sterben.

Der Abschied von Kater und Floh war hart. Ich verließ sie ein weiteres Mal mit ungewisser Zukunft. Nein, ich versprach nichts, aber bat um den Beistand der Götter. Elke würde sich gut um sie kümmern und sie mitnehmen, wenn sie das Dorf verlassen mussten. Wir kalkulierten alles ein. Alles, was uns an Niedertracht einfiel. Vermutlich war das zu wenig.

Volko wuchtete sich in den Sattel von Artis kräftiger, brauner Stute und Torquil auf einen älteren Wallach. Ein letzter Blick in die Runde, ein verkrampftes Lächeln dazu und wir ritten zum Tor. Eine trostlose Truppe im Schneeregen und graubraunem Matsch. Es war schon spät.

Ganz klar, heute würden wir die Legionäre nicht mehr einholen. Sie waren uns allein die zehn Kilometer nach Cambodunum voraus, dazu gute zwei Stunden Marschzeit. Doch wir waren unterwegs. Und morgen sicher schneller als sie. Ich drehte mich nicht um, als wir auf die Römerstraße einbogen, Volko winkte ein letztes Mal. Mein Herz wummerte und pumpte Massen von Adrenalin durch meinen Körper. Ich schwitzte trotz der nassen Kälte. Torquil ritt voraus, dann ich mit dem Packpferd und Volko als Schlusslicht.

Die Pferde fielen von selber in einen ruhigen Trab, das wärmte mehr als Schritt. Matsch spritzte unter ihren Hufen, der Wind trieb fette, nasse Flocken schräg vom Fluss hoch. Ich senkte den Kopf, zog meine Kapuze weiter ins Gesicht. Ein Höllenfahrtskommando. Askan drehte den Kopf zur Seite, das war nicht sein Wetter. Mein Sonnenschein-Haflinger hätte für sein Leben gern den Winter im Tiefschlaf verbracht oder gemütlich vor einer vollen Raufe, es sei denn die Sonne schien auf einen halben Meter Neuschnee. Das fand er sensationell.

Wir begegneten bis Cambodunum keiner Menschenseele. Das war gut und sicher dem schlechten Wetter geschuldet. Wir hielten uns diesseits der Iller und passierten Kempten bei Einbruch der Dunkelheit. Die Finsternis schien innerhalb weniger Minuten undurchdringlich, doch wir ritten unverdrossen weiter, unter uns die Römerstraße.

Auf Höhe des ersten Meilensteins nach Cambodunum bogen wir in ein kleines Wäldchen ab. Sehr viel weiter hätte es Volko wahrscheinlich auch nicht mehr geschafft. Er rutschte steif und stöhnend von der dicken Stute. Der nächste Tag würde schmerzhaft werden. Aber auch ich fühlte mich ausgekühlt, erschreckend matt. Schweigend errichteten die Männer unser provisorisches Zelt, während ich versuchte irgendwie halbwegs trockenes Holz zu finden und versorgte die Pferde.

Das Feuer rauchte mehr, als das es brannte, der Wind trieb die Graupeln unter unser Dach, der Qualm ließ unsere Augen tränen. Campen war noch nie meine favorisierte Art des Reisens gewesen. Aber tapfer lächelten wir uns an. Torquil schnitt Brot, ich rührte die Hafergrütze über dem Feuer. Volko erhitzte das Wasser für unseren Tee.

Dicht aneinander gedrängt aßen wir, wärmten uns und ich war den Männern dankbar für den Platz in der Mitte. Dafür übernahm ich die erste Wache. Torquil schlief sofort ein. Volko rollte sich ein wenig herum, dann schnarchte auch er. Ich fühlte mich entsetzlich einsam, starrte blicklos ins Feuer, mein archaischer Teil lauschte auf die Geräusche der Nacht. Im Gebüsch raschelten die kleinen Tiere, irgendwo bellte ein Fuchs, ein Uhu rief. So etwas machte die Nacht noch gruseliger.

Leise schlürfend trank ich Tee. Ob Ivo schlief? Ich hoffte es, denn diese Märsche waren anstrengend. Irgendwo hatte ich mal gelesen, dass ein Legionär bis zu zehntausend Kalorien am Tag verprasste. Mit der Ration eines achtel Scheffels Getreide war das ein Minusgeschäft. Dazu die Kälte und Nässe. Seine Sorgen. Und ich hoffte inständig, dass der Medicus ihm nicht auch noch eine hässliche Infektion in die Füße gesalbt hatte. Ich vermisste ihn so sehr. Ich sehnte mich nach ihm. Einmal mehr betete ich darum, dass Ingmar irgendetwas tun konnte.

Als Torquil mich ablöste hörten wir den ersten Wolf, eine Gänsehaut zog sich über meinen Rücken. Hastig warf er Holz ins Feuer, bis es wild loderte.

„Schlaf, Frau Ingrun“, er grinste angespannt, „sie mögen keine Beute, die sich wehren könnte.“

Irgendwie richtig, aber wenig beruhigend. Trotzdem rollte ich mich an Volko gekuschelt zusammen und schloss die Augen, dämmerte im Halbschlaf, bis Volko für die letzte Wache aufstand. Eigentlich war ich der Frühaufsteher. Die nächsten Wachen mussten wir anders verteilen.

Noch vor Morgengrauen aßen wir still unseren Haferbrei, sattelten dann die Pferde und folgten weiter der Römerstraße nach Augsburg. Das Wetter besserte sich minimal, der Wind ließ nach und der Regen ging in Schnee über. Wir ritten zügig nach Nordosten. Volko saß verdammt klemmig im Sattel. Bei unserer ersten Rast bot ich ihm Salbe an und eine Schmerztablette. Noch lagen mehr als zwei Tage vor uns. Er lehnte ab.

„Ich hoffe auf den Garten für den Harten“, brummte er mit einem Blick auf Torquil und grinste, „und ich gelobe feierlich, dass ich nie wieder reiten werde, wenn wir das hier überstehen.“

„Die Karren und Wagen sind auch nicht besonders bequem“, erwiderte ich, „überleg dir, ob du das mit dem Gelübde ernst meinst.“

Er lachte trocken. „Nach Beltane ist mir das alles egal, da habe ich wieder viele Pferdchen unter der Haube. Und keines buckelt und keins reibt mir den Hintern wund.“

Torquil musterte uns mit gekrauster Stirn. Wir redeten mehr als wirr. Ergeben hob ich die Hände. Seinen schwarzen Golf würde er wahrscheinlich auf einem Polizeiparkplatz abholen dürfen. Wann würde Volko vermisst werden? Von wem? Vroni und Peter? Auch das wahrscheinlich. Es tat mir leid für die beiden. Zweimal sollte man so etwas nicht erleben.

Im Laufe des Vormittags hörte sogar der Schneefall auf und die Sonne spitzte immer mal wieder durch die dunkelgrauen Wolken. Die Pferde trabten munter vorwärts. Ich hatte keine Ahnung mehr, wo wir uns befanden, befürchtete aber, das wir auf der gleichen Straße ritten, die der Barbar damals mit mir genommen hatte. Nicht daran denken. Sie führte direkt nach Augusta Vindelicorum und Ivo war irgendwo vor uns. Ihr Vorsprung konnte nicht mehr sehr groß sein.

Und dann sahen wir sie, als wir über eine Hügelkuppe ritten. Torquil riss sofort seinen Wallach herum und deutete auf ein paar Buchen seitlich am Straßenrand. Wir galoppierten hinüber und umrundeten die kleine Schonung. Die Legionäre hatten uns nicht bemerkt. Von der Hügelkuppe aus sahen wir sie marschieren. Eine Zenturie vorweg, dann die Rekruten deutlich erkennbar an der wesentlich unordentlicheren Marschierweise und am Ende eine Zenturie. An der Spitze ritt ein Mann auf einem Schimmel, daneben ein Standartenträger.

So nah war ich Ivo seit mehr als drei Tagen nicht mehr gewesen. Meine Hände wurden klamm. Fieberhaft suchte ich nach der passenden Gestalt. Wo lief er? Wo war Oswin? Ich entdeckte sie in der Mitte der Gruppe. Schulter an Schulter in dieser schrecklich beeindruckenden Rüstung.

„Und jetzt?“, murmelte Volko in die winterliche Stille hinein. „Was tun wir?“

„Im Moment nichts.“ Ich packte Askans Zügel und schwang mich wieder in den Sattel. „Wir folgen ihnen mit sicherem Abstand und vielleicht ergibt sich heute bei Nacht die Chance mit ihnen zu reden.“

„Das klingt nach einem durchdachten Plan, Ingrun. Dann reiten wir weiter.“

Torquil schwieg, ich sah jedoch die Sorgenfalten in seinem Gesicht. Er war der einzige von uns, der die Gefahr vermutlich wirklich einschätzen konnte. Ich wollte sie nicht einschätzen, würde aber mit allen Mitteln versuchen meine Mitreiter vor Gefahr zu bewahren. Ivo musste wissen, dass wir nah waren.

Eine Stunde vor Sonnenuntergang hielt der Trupp vor uns in einer kleinen, von Büschen geschützten Senke an und begann mit routinierter Präzision ein Lager aufzuschlagen. Innerhalb kürzester Zeit standen sechs Zelte, man grub eine Latrine, sammelte Holz und entzündete drei Feuer. Wir postierten uns auf der anderen Straßenseite bei einem halb verfallenen Haus. Torquil brachte die Pferde in den alten Stall und schleppte die Sättel in das Haus. Solche Ruinen fand ich furchtbar, aber für die Nacht bekamen wir ein halbwegs dichtes Dach, eine Art Feuerstelle und Sicherheit vor den Wölfen. Auch unser Feuer würden die Legionäre nicht sehen.

Ich stand mit klopfendem Herzen an der einstmals weiß verputzten Hausecke und spähte in der zunehmenden Dunkelheit angestrengt hinüber, doch ich erkannte nichts außer roten Umhängen und Rüstungen im winterlichen Grau. Volko kochte, ich setzte mich notgedrungen zu ihnen ans Feuer und aß. Trockener Boden. Wärme. Das tat gut nach der vergangenen Nacht und dem kalten Tag.

Willst du dich wirklich rüber schleichen, Ingrun?“ Volkos Sorge war nicht zu überhören, ich nickte fahrig. „Was, wenn sie dich entdecken? Irmin wird dich sofort umbringen. Das ist zu gefährlich.“

„Ich gehe kein Risiko ein, versprochen.“

Er schnaufte genervt. „Dann gehe ich mit. Torquil bleibt bei den Pferden. Wir gehen nach Mitternacht, dann schlafen hoffentlich auch die Wachen ein bisschen.“

„Nein, du gehst nicht mit.“ Ich schüttelte kategorisch den Kopf.

„Wenn ich sterbe, dann stirbt Ivo kurz darauf. Dein Tod wäre sinnlos. Und ich gehe, wenn sie essen, dann sind alle vor Hunger abgelenkt. Wenn sie schlafen, dann kann ich nicht erkennen, wo Ivo ist.“

„Deine Sturheit ist nervig, Ingrun. Aber gut, vielleicht hast du recht.“ Ich schenkte Volko ein versöhnliches Lächeln, das er erwiderte. Torquil stöhnte leise, dann stand er auf.

„Ich sattele sicherheitshalber die Pferde wieder, falls wir schnell verschwinden müssen.“

„Gute Idee, Torquil.“ Auch ich erhob mich. „Weißt du, wo wir sind? Gibt es größere Orte in der Nähe?“

„Wir sind auf halber Strecke zur Hauptstadt, Frau Ingrun.“ Sein Gesichtsausdruck sagte deutlich, wie überrascht er von meiner Unwissenheit war. „Hier ist nichts. Nur ein paar Dörfer und wenn wir uns nach Osten halten, dann kommen wir in das Stammesgebiet der Likater. Dort wären wir sicher.“

„Dann werden wir im Zweifelsfall diese Richtung nehmen.“

Ich griff nach meinem dunklen Umhang und zog ihn über, Torquil reichte mir seinen Dolch.

„Wenn möglich bring niemanden um, Frau Ingrun, die Römer sind sehr rachsüchtig.“

Meine Fähigkeiten zu töten hatte Artis präzise beschrieben und ich hatte bei Irmin real eindrucksvoll versagt. Ich hätte ihn töten sollen, die übrigen Legionäre hätten wir vielleicht überwältigen können. Volko rieb sich gestresst das Gesicht.

„Nein, ich bringe niemanden um, Torquil, trotzdem danke. Man fühlt sich sicherer mit so einem Ding. Dann gehe ich jetzt.“

Mit den Blicken der Männer im Rücken huschte ich durch die rückwärtige, zerfallene Seite des Hauses in die Dunkelheit hinaus. Ich hatte das Gefühl, als würde sie mich verschlucken, absorbieren, aufsaugen. Im wahrsten Sinne des Wortes sah ich die Hand vor Augen nicht. Das war erschreckend. An die Hauswand gedrückt blieb ich stehen und holte gepresst Luft. Mir reichte der Sauerstoff jetzt schon nicht. Konzentriert atmend schaute ich zum Himmel hinauf. Nichts. Finsternis. Kein Stern, nicht einmal die kleinste Sichel des Mondes.

Der Wind zauselte die letzten Blätter in ein paar Büschen, das Rascheln klang überlaut. Der Wind kam aus Osten. Ein klares Zeichen für bevorstehende Kälte, aber für mich auch die perfekte Richtung. Ich kam gegen den Wind zum Lager der Legionäre. Entschlossen pumpte ich Luft in meine zu engen Lungen, zog meinen Umhang höher, die Kapuze tiefer ins Gesicht und tappte in die Richtung, wo ich die Römer vermutete.

Am Übergang zur Straße stolperte ich und schlug ungebremst der Länge nach auf das Pflaster. Ganz konnte ich meinen Schreckens- und Schmerzlaut nicht unterdrücken. Meine Knie brannten. Mit rasendem Herzen blieb ich diverse Atemzüge lang liegen. Niemand schien mich gehört zu haben. Ich schluckte meine Angst erneut hinunter, rupfte mir meine patschnassen Filzhandschuhe von den Händen und rappelte mich auf, wuselte geduckt durch die rabenschwarze Finsternis.

An der Straße entlang pirschte ich mich näher, bis ich die Feuer der Legionäre entdeckte. Der Wind trug mir Rauch, Essengerüche und Stimmenfetzen entgegen. Sie lachten, grölten lautstark. Über allem meinte ich die Stimme von Irmin zu erkennen. Hass rollte unreflektiert durch mich hindurch. Sekundenlang blieb ich geduckt stehen und kämpfte gegen meine Gefühle an. Dieser Mann hatte mir das liebste genommen, was ich besaß und ich würde es mir zurückholen. Idealerweise überlebte er das nicht.

Falsch, Ingrun! Mit meinen halb erfrorenen Händen rubbelte ich mir über mein Gesicht. Von so einem durfte ich mir meine Friedfertigkeit nicht zerstören lassen. Den würde das Leben richten. Nichts konnte brutaler sein. Wieder schnaufte ich durch. Meine Gefühle machten mich übermäßig sensibel und aufmerksam.

Jeden Busch als Deckung nutzend schlich ich mich näher an die Senke heran, duckte mich, kroch dann auf allen vieren durch das nasse, schlammige Wintergras an den Rand des Lagers. Dort lag ich platt am Boden, suchte die drei Feuer nach Ivo ab. Die Kälte brannte auf meiner Haut, ich war komplett durchnässt, spürte das aufsteigende Zittern mit dem mein Körper darauf reagierte. Konzentriert atmete ich, dachte an etwas Warmes, während meine Augen über die Gestalten hasteten.

An jeder Ecke hockte eine Wache, die aber unübersehbar nicht mit den Dingen außerhalb des Lagers beschäftigt war. Nein, garantiert rechnete niemand von den Legionären mit irgendeiner Gefahr. Wir befanden uns gut zwei oder drei Tagesreisen vom Limes entfernt, sicheres Gebiet und selbst wenn es Wegelagerer gäbe, trauten die sich nicht an knapp dreißig bis an die Zähne bewaffnete Legionäre heran.

Vor lauter Anspannung übersah ich Ivo mehrfach, dabei hockten er und Oswin passend direkt am Feuer keine drei Meter von mir entfernt. Man hatte ihm sein Haar abgeschnitten, sein Schädel wirkte fremd und sehr kantig. Mein Herz wummerte, meine Sehnsucht flutete mich. Möglichst lautlos robbte ich noch näher, sodass ich direkt an der Seitenwand eines Zeltes im Dreck lag. Der Wind blähte die Plane, Wasser sprühte auf mich herab. Meine Finger tasteten umher, bis ich einen kleinen Stein fand, den ich aus dem eisigen Matsch popelte. Der Wurf musste genau treffen, alles andere konnte tödlich sein und ich betete, dass Ivo mit üblicher Selbstbeherrschung reagierte.

Ich richtete mich etwas auf, stützte mich mit einem Ellenbogen ab und peilte Ivos Rücken an, zählte, beruhigte meine Atmung und warf den Stein. Er ploppte gegen den roten Umhang zwischen seinen Schultern, dann ins Gras. Ivo zuckte kaum merklich. Wie beiläufig, als suchte er eine bequemere Sitzposition, drehte er sich halb zu mir um. Ich hob eine Hand so, dass Licht darauf fiel. Ein Risiko. Doch er sah mich und ich ruckte zurück. Seine Kiefer spannten, er senkte den Kopf über seine Schüssel. Eine Gestalt am hinteren Feuer erhob sich, ich erkannte Irmin. Er schritt zu einem Zelt in der Mitte, in dem er verschwand. Ivo holte Luft, sein Blick hing angespannt an dem Zelt.

Minutenlang passierte nichts, Irmin tauchte nicht wieder auf. Ivo erhob sich in die Hocke, griff nach dem Fellstück, auf dem er saß und trat mit der Schüssel und dem Fell nah an das Zelt, hinter dem ich lag. Betont nachlässig warf er das Fell ins Gras, ließ sich darauf plumpsen und aß weiter.

„Ich bin es, Ingrun. Liebster, geht es dir gut?“, flüsterte ich gehetzt und unterdrückte das drängende Bedürfnis ihn anzufassen. Seine Schultern hoben sich, er löffelte fahrig an dem Brei.

„Bei allen Göttern, Ingrun, was tust du hier?“, zischte er aufgebracht.

„Verschwinde, sofort. Irmin bringt dich um, wenn er dich entdeckt. Es geht mir gut.“

„Wir folgen euch seit Cambodunum, Ivo, ich konnte nicht mehr tatenlos herumsitzen. Irmin wird mich nicht entdecken.“

„Hast du Boten nach Damasia geschickt?“

„Ja, aber bis gestern Mittag waren sie noch nicht zurück.“ Ich richtete mich etwas auf, mein Blick raste über die Männer an den Feuern. Keiner beachtete Ivo und die Zeltecke. „Volko und Torquil warten mit den Pferden in dem verfallenen Haus an der Straße. Wir könnten fliehen, wenn du Oswin herholst. Es ist zu dunkel, als das Irmin uns verfolgen könnte und er hat zu wenig Pferde. Lass uns gehen, Ivo, sofort, bitte.“

„Die Boten werden auf besseres Wetter warten.“ Seine Stimme klang erschöpft. „Ich darf nicht fliehen, Ingrun. Nehmt Oswin mit. Ihn wird Irmin nicht verfolgen.“

„Warum? Was hält dich auf?“ Meine wispernde Stimme wurde zu einem verzweifelten Fiepen. Das war nicht sein Ernst? „Bei allen Göttern, Ivo, so eine Gelegenheit bekommen wir nicht wieder. Lass uns gehen.“

Er ließ die Schüssel sinken und dehnte seinen Rücken in meine Richtung, ich fasste nach seinem Hals, strich zärtlich darüber, er stöhnte unterdrückt. „Bitte, Ivo.“

„Nein, das wäre ein schlimmer Fehler.“ Er entzog sich mir, ich schluchzte vor Stress auf. „Nein, Ingrun. Wenn ich fliehe, dann wird Irmin uns gnadenlos jagen. Er wird das Dorf niederbrennen. Selbst unser Vater kann keinen eidbrüchigen, flüchtigen Legionär beschützen. Ich muss bleiben und abwarten.“

Mit einem leisen Pfiff machte er Oswin auf sich aufmerksam, er winkte ihn nachlässig herbei. Oswin griff wie Ivo sein Sitzfell und schlurfte die wenigen Schritte zu uns am Zelt.

„Was ist?“, murmelte er und setzte sich mit ausdrucksloser Miene.

„Ingrun liegt hinter uns an der Zeltwand“, erwiderte er leise, Oswins Kopf ruckte überrascht, dann senkte er sofort den Blick. „Und Volko und Torquil warten mit Pferden bei dem verfallenen Haus.“

„Bist du irre, Frau?“

„Natürlich“, erwiderte ich angespannt, „das dürfte für dich nichts Neues sein.“

Als hätte Ivo etwas Lustiges gesagt, rammte er ihm grinsend seinen Ellenbogen in die Seite. „Schick sie weg, Ivo, oder willst du doch noch Wittwer werden?“

„Nein, das will ich nicht. Ihr geht beide. Jetzt!“ Ivo rutschte sich halb vor den Zelteingang, sodass Oswin seinen Platz einnehmen konnte.

„Rück rüber, Oswin, und leg dich ins Gras als wolltest du ruhen, dann roll dich weg. Reitet nach Osten, wir sind nah am Stammesgebiet der Likater. Sie werden euch helfen und dann reitet auf Umwegen ins Dorf zurück. Ich warte in Augusta Vindelicorum auf meinen Vater. Reitet die ganze Nacht, ich versuche alles, damit Irmin Oswins Flucht nicht sofort entdeckt. Geht jetzt.“

Oswin wollte protestieren, doch Ivo bewegte nur leicht den Kopf. „Geht jetzt. Bring Ingrun in Sicherheit, Oswin, beschütz das Dorf. Geht jetzt endlich!“

Wortlos ließ Oswin sich zur Seite sinken. Ich hätte das gern noch einmal diskutiert. Alles in mir wehrte sich gegen den Gedanken, Ivo allein zurück zu lassen. Was würde Irmin ihm antun, wenn er Oswins Flucht bemerkte? Panik bretterte durch mich hindurch. Wir durften nicht ohne Ivo gehen. Doch Oswin packte mich am Arm und zerrte mich auf allen vieren mit sich. Die Dunkelheit verschluckte uns umgehend.

Ich drehte mich kriechend um. Ivo saß wie unbeteiligt am Zelt. Mein Herz riss. „Wir müssen ihn mitnehmen, Oswin“, flüsterte ich voller Angst, „wir dürfen ihn nicht zurücklassen.“

„Wenn wir ihn retten wollen, dann müssen wir das. Irmin will ihn lebend mit auf den Feldzug nehmen, er wird ihn jetzt also nicht umbringen. Und alles andere überlebt Ivo. Komm. Wo sind die anderen?“

Meine vom Feuer geblendeten Augen prallten auf eine Wand aus Finsternis. Wo war das Haus?

„Bei dem Haus, aber ich sehe es nicht.“ Meine Stimme war ein angstvoller Hauch. Wenn wir die anderen verfehlten, dann verloren wir rettende Minuten. Oswin schnaufte neben mir und richtete sich auf, zog mich ebenfalls hoch. Ich war tropfnass.

„Wir sehen es, wenn wir an der Straße sind“, brummte er beruhigend. An seiner Hand wuselte ich den kleinen Damm zur Straße hoch, wir stolperten auf dem unebenen Boden, rutschten im Matsch aus. Tatsächlich hob sich das Gebäude gefühlte Ewigkeiten später schemenhaft vom Himmel ab. Es war noch schwärzer, als der Rest der Welt. Hinter uns brannten die Feuer der Legionäre und noch war alles ruhig.

Wir rannten um das Haus herum. Volko stand mit Ivos Schwert in den Händen vor dem Eingang. Ungläubig starrten wir uns an.

„Wo ist Ivo?“, brüllte er.

„Er darf nicht mit uns fliehen“, erwiderte Oswin hart und schob mich in Volkos Arme, „wir müssen sofort los. Reden können wir später.“

Torquil hielt die vier Pferde, Oswin murrte, als er sah, was wir dabei hatten. „Rauf mit dir, Junge“, er deutete auf den Wallach, „ich reite mit dir. Beeilt euch, Ingrun.“

Mechanisch kletterte ich auf Askan, nahm den Strick von Rowan, Volko schwang sich steif auf die Stute. Oswin zog Torquil hinter sich in den Sattel und wir lenkten die aufgeregten Pferde durch den niedrigen Eingang hinaus in die Nacht. Ohne Zögern schlug Oswin eine Richtung ein, wir folgten und ich hoffte, dass er wusste, wo Osten war. Wir querten die Römerstraße und ritten in einem Bogen um das Römerlager, dessen Feuerschein aus der Senke leuchtete. Dann galoppierte Oswin an. Ich sah nichts, doch Askan und Rowan bretterten dem Wallach hinterher und solange Volko nicht schrie, saß er wohl noch auf der Stute.

Wir rasten durch die Nacht, bis die Pferde irgendwann nicht mehr konnten und in einen stetigen Trab verfielen. Ich hatte keine Vorstellung ob die Richtung stimmte, wie lange wir schon ritten oder wie weit wir gekommen waren. Alles war schwarz. Ich fror in meinen nassen Kleidern, ich fürchtete um Ivos Sicherheit und da fraß eine irrationale Furch in mir, dass Irmin uns spontan finden könnte. Aber er hatte keine Pferde, das war fast unmöglich. Seine Wut würde er an Ivo auslassen. Ich betete, dass Oswin die Lage richtig einschätzte und er ihn am Leben ließ.

Irgendwann hielt Oswin den Wallach an. Wir hätten überall sein können, sogar in der Hölle. Es fing wieder an zu schneien, dicke Flocken, die der Wind vor sich hertrieb. Er kam noch immer von vorn, was vermuten ließ, dass wir tatsächlich gen Osten geritten waren. Und etwas rauschte über dem Heulen des Windes. Ich lauschte in die Nacht. Wasser?

„Steigt ab“, kommandierte Oswin, „vor uns ist der Licus, ich weiß nicht genau, wo das Ufer verläuft. Es ist steil. Wir führen die Pferde und suchen uns einen Unterschlupf am Fluss.“

Halb erfroren rutschte ich von Askans Rücken. Er dampfte in der Dunkelheit. Die nächste schier nicht zu bewältigende Aufgabe: womit sollten wir die verschwitzten Pferde vor der Kälte schützen? Die Lederdecken reichten dafür nicht. Tränen der Wut und Hilflosigkeit schwemmten mir die Augen. Wir hätten Ivo nicht zurücklassen dürfen, auch wenn seine Worte nachvollziehbar waren. Ein Deserteur lebte zu keiner Zeit sicher. Darauf stand auch bei den Römern die Todesstrafe. Und natürlich würde Irmin unser Dorf heimsuchen, obwohl Ivo garantiert niemals dorthin geflüchtet wäre. Trotzdem.

Harsch wischte ich mit meinem nassen Ärmel über mein nasses Gesicht. Schneeflocken setzten sich auf meine Wimpern, ich zwinkerte. Fühlte das stete Bibbern meiner ausgekühlten Muskeln. Schweigend folgten wir Oswin weiter durch die Nacht. Ich weinte still, es musste raus. Seit Tagen bewegten wir uns in einem Albtraum. Und es wurde immer nur schlimmer. Was wenn Ivo sich irrte und sein Vater nicht gewillt war irgendetwas für ihn zu tun? Ivo hatte sich geweigert die Fürstenwürde anzunehmen. War nicht nach Damasia zurückgekehrt. Ivo war nicht das, was Ingmar brauchte. Vielleicht brauchte er sogar eher einen wie Irmin?

Der Gedanke ließ mich straucheln, ich ging in die Knie, wurde von Askan hochgerissen, dem ich im Maul hing und schlitterte in den halb gefrorenen Schneematsch. War es möglich, dass Ingmar an Irmins Vernichtungsplänen beteiligt war? Womöglich guthieß, was er mit Ivo anstellte? Fäden im Hintergrund zog? Strafe für Ivo?

Volko war sofort an meiner Seite. Er nahm mich in die Arme. Für zwei Atemzüge gönnte ich mir den Trost seiner warmen Brust.

„Scheiße, Ingrun, du bist ja völlig durchnässt! Warum sagst du nichts?“ Fürsorglich legte er seinen Umhang um mich. „Wir müssen rasten, Oswin, Ingrun muss sofort trockene Kleidung anziehen.“

„Ingrun hält das noch aus“, erwiderte Oswin mitleidlos weiterlaufend, er drehte sich soweit ich das erkennen konnte nicht einmal um. „Wir sind gleich am Fluss. Dann suchen wir uns eine geschützte Ecke und machen Feuer.“

Volko fluchte, ich seufzte. Mit seinem Arm um meine Schultern tappten wir weiter durch die schneewirbelnde Finsternis. Das Rauschen wurde lauter, Rowan fing an zu zappeln. Dann standen wir tatsächlich an einem Steilufer. Unter uns glitzerte Wasser. Der Lech.

Angestrengt blickten wir umher. Oswin drückte Torquil die Zügel des Wallachs in die Hand und schritt an der Abbruchkante entlang. Mein Herz wummerte, denn Oswin war umgehend verschwunden. Wie konnte es so dunkel sein?

„Hier geht es abwärts!“, rief er nur wenig später, es klang recht nah. Zögernd schritten wir in die Richtung seiner Stimme. Er stand unvermittelt vor uns. Oswin nahm die Zügel wieder und bedeutete Torquil Rowan zu führen. Das würde hoffentlich gut gehen, der kleine Mörder war müde.

„Lass die Stute laufen, Volko“, knurrte Oswin, „sie findet ihren Weg, genau wie dein Askan, Ingrun. Sie rennen nicht fort.“

Richtig. Trotzdem. Ich zeigte Volko wie er der Stute die Zügel verdreht um den Hals legte, damit sie nicht darauf treten konnte und schickte Askan in die Tiefe, die Stute stapfte aufmerksam hinterher. Rowan schlitterte vor lauter Aufregung auf seinem Hintern hinunter, wir konnten gerade noch zur Seite hüpfen und rutschten auch über das Geröll. Oswin fing mich auf, Volko knallte unsanft auf den Boden. Mir reichte alles. Restlos. Und ich sorgte mich um Ivo. Mit jeder Stunde mehr und mit jeder Stunde weniger optimistisch. Wir hätten ihn nicht zurücklassen dürfen. So eine Chance bekamen wir nie wieder.

„Habt ihr eine Fackel dabei?“ Oswins Ton sagte deutlich, dass er mit einer abschlägigen Antwort rechnete, doch Volko zog mit einem bissigen Murren die lange Fackel aus dem Packsattel und reichte sie ihm.

„Wir sind zwar keine Krieger, Oswin, und reden manchmal wirr“, auch der Ton war eindeutig, „aber wir sind auch nicht blöd.“

Das nicht, dachte ich, aber ohne Feuer keine brennende Fackel und bei dem Wind und nassem Holz ein Feuer zu entzünden überstieg meine Fähigkeiten bei weitem. Dieses Mal war es Torquil, der unsicher an seinem Sattel herumnestelte und Oswin einen kleinen Ledersack gab.

„Ich habe ein Glutnest bewahrt, Herr Oswin.“

Erleichtert holte ich Luft und die Hoffnung auf Licht überlagerte kurz die Angst davor entdeckt zu werden. Oswin lobte die beiden und Torquil blies sacht in das Glutnest in einem Tongefäß. Ich sah es pulsieren, Oswin senkte die Fackel behutsam hinein, Torquil gab Reisig dazu und blies wieder. Innerhalb von Bruchteilen von Sekunden flammte die pechgetränkte Fackel auf. Geblendet schloss ich die Augen, meinte sogar die Hitze des Feuers auf meinem ausgekühlten Körper zu spüren. Aber das war sicher Einbildung.

Torquil und ich hielten die Pferde, Volko und Oswin stolperten mit der Fackel suchend über das steinige Ufer. Wir brauchten einen Felsvorsprung, einen Überhang, irgendetwas, was uns und den Pferden ein wenig Schutz vor dem Wetter gewährte. Der Schnee fiel dichter, der Wind frischte auf und hier am Wasser war es klirrend kalt. Ich zitterte, klemmte meine Hände mit den Zügeln unter meine Arme.

Dann rief Volko. „Hier! Eine Art Höhle.“

Wieder folgten wir einer Stimme und dem zuckenden Lichtfleck der Fackel, denn man sah noch immer nichts außer den weißen Schaumkronen auf dem Fluss und die fetten Flocken vor unseren Augen. Hatte ich jemals so gefroren? Erschöpft schloss ich die Augen. Ja, damals, als ich auf den Palisaden auf Ivo wartete. So viel Schnee, dieser entnervende Sturm. Arne, der mir einflüsterte, dass der Tod mit den Männern ritt und keiner lebend heimkehren würde.

Wer würde dieses Mal lebend heimkehren? Und wo würde dieses Heim sein? In diesem Moment fürchtete ich um alles.

An der Stelle, wo Volko und Oswin standen war das Steilufer abgerutscht und hatte Geröll über große Steinplatten geschoben, sodass auf drei Seiten eine Höhle entstanden war. Sogar die Pferde würden darin Platz finden. Ein bisschen erleichtert atmete ich auf. Die Tiere liefen seit dem Morgen, hatten kaum gefressen und getrunken, nur wenig geruht. Und jetzt dampften sie in der Kälte, nass von Schweiß und Schnee. Oswin und Torquil spannten die große Lederplane mit Steinen vor den Eingang, ich sattelte die Pferde ab, Volko sammelte Treibholz, das er in der Höhle aufschichtete. Ich betete still, dass es brennen würde, legte derweil den Pferden ihre Lederdecken wieder über die Rücken und führte sie zum Fluss, damit sie trinken konnten. Jetzt brauchte ich noch irgendwoher etwas Fressbares für sie. Sonst mussten sie bis Sonnenaufgang hungern.

Ein Feuer brannte, als ich zurückkam, Erleichterung überrollte mich. Meine nassen Kleider froren mit am Körper zu einem steifen Panzer. Wie mochte es Ivo gehen? Ich zerrte die Pferde in die Höhle, auch wenn ihnen das Feuer unheimlich war und band sie an einem Seil fest, das ich zwischen den Steinen spannte. Sie waren erschreckend erschöpft, wirkten eingefallen, aber im Dunkeln brauchte ich nicht anfangen nach Schilf oder ähnlichem zu suchen.

„Das Morgengrauen ist nicht mehr weit, Ingrun“, Oswin trat neben mich und zog seinen Umhang aus. „Sie schaffen das. Jetzt such du dir trockene Kleidung.“

Ich nickte mechanisch. Natürlich würden die Tiere das überleben. Müde zerrte ich trockene Hosen, Hemd und Tunika aus dem Packsattel und drehte mich um. Schamhaftigkeit war nicht angebracht, doch ich war Oswin dankbar, dass er mir mit seinem Umhang einen Hauch von Intimsphäre ermöglichte, während ich mich umzog. Trocken suggerierte umgehend warm. Ich schlotterte trotzdem. Volko reichte Tee, rührte Grütze mit Trockenfleisch in einem Kessel. Hunger verspürte ich keinen, ich war nur leer und voller Sorge. Der Wind knatterte in der Plane vor dem Eingang, die Pferde schnauften unruhig und immer wieder wallte der Rauch des Feuers durch die kleine Höhle. Wenigstens war es halbwegs warm.

Still hockte sich jeder hin, trank Tee. Meine Gedanken schweiften zu Ivo. Ihn zurück zu lassen fühlte sich mit jeder Stunde mehr wie ein furchtbarer Fehler an. Einer, den ich nicht revidieren konnte. Vielleicht war er schon tot.

Oswin reichte mir meine Schale mit Grütze, neigte seinen Kopf vor mir.

„Ich habe mich noch nicht bei dir bedankt, Ingrun. Das war heute sehr mutig von dir“, er wendete sich tief atmend zu den anderen beiden,

„und auch sehr mutig von euch. Habt dank für meine Befreiung.“

Ich löffelte angespannt. Wenn ich jetzt einen Ton von mir gab, dann war es mit meiner Selbstbeherrschung rum. Also hob ich nur abwehrend zwei Finger von meiner Schale.

„Eigentlich war der unbesprochene Plan, dass wir euch beide mitnehmen“, brummte Volko, sein Blick hing erstaunlich argwöhnisch an Oswin, „warum habt ihr Ivo zurückgelassen?“

Oswin stöhnte und dehnte seinen Rücken. „Weil Irmin sich am Dorf gerächt hätte und selbst Ingmar könnte ihn nicht mehr beschützen, wenn er ein flüchtiger Legionär wäre. Mich wollte Irmin von Anfang an nicht haben. Mich wird er nicht verfolgen. Für Ivo müssen wir einen anderen Weg finden und der kann nur über seinen Vater laufen.“

Mit Abstand klang die Erklärung zwar noch immer schlüssig, doch nicht mehr tragbar. „Und wenn sein Vater an dem ganzen Verrat beteiligt ist? Womöglich gar kein Interesse daran hat, ihn zu retten?“

Der Satz war raus, bevor ich überlegen konnte, ob er angebracht war. Oswin war Ingmars Schwiegersohn, wenn auch verwitwet. Er blies die Wangen auf, sein Blick streifte mich unwirsch.

„Nein, niemals, Ingrun!“ Kategorisch schüttelte er den Kopf. „Du kennst Ingmar, er liebt Ivo abgöttisch, so wie er Igrid geliebt hat. Irmin war wie ein Makel für ihn. Er wird Ivo niemals den Römern überlassen, nicht als Kind und nicht als erwachsener Mann.“

Kennen war extrem übertrieben, doch dazu durfte ich in dieser Runde nichts sagen.

„Wenn das hier der Licus ist, wie weit ist es dann bis Damasia? Und was könnte Ingmar tun?“ Volko durfte so eine Frage stellen, ich holte erleichtert Luft. Ja, das war wichtig zu wissen.