Werner Schwanfelder

Die Weisheit des Shaolin

Wie aus Schwächen Stärken werden

 

 

 

Impressum

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Copyright © 2009. Campus Verlag GmbH

ISBN der Printausgabe: 978-3-593-38988-2

E-Book ISBN: 978-3-593-40724-1

|7|Vorsatz

Ich traf meinen Freund Peter wie verabredet in unserer alten Studentenkneipe, der »Suppenküche«. Seit Jahren war ich nicht mehr hier gewesen, doch der düstere Raum hatte sich in dieser Zeit kaum verändert. An den Wänden entlang waren auf einem Regal wie eh und je die alten Suppenterrinen aufgereiht, Wahrzeichen und Namensgeber der Kneipe. Auf einer Wandtafel stand das Suppenangebot. Ich erinnerte mich, ich hatte damals immer eine Pfeffersuppe gegessen. Keine Ahnung, was der Koch alles in ihr verarbeitet hatte. Sie war ziemlich scharf. Die Pfeffersuppe stand noch immer auf der Tafel.

»Nimmst du auch eine?«, fragte ich.

»Natürlich«, nickte er, »die kann ich jetzt gerade gut gebrauchen.« Wir bestellten die Suppe und gingen mit unseren Biergläsern in den hinteren Teil der Kneipe, wo ein kleines Podium mit einer Balustrade abgetrennt war. Unser früherer Stammplatz. Wir setzten uns und prosteten uns zu.

»Auf die alten Zeiten«, sagte Peter, setzte das Glas an und trank es in einem Zug halb leer. Dann seufzte er tief und blickte mich an.

|8|Wir waren seit unseren Studientagen befreundet gewesen, doch in den letzten Jahren war der Kontakt irgendwie eingeschlafen. Die Arbeit, die Familie, viel Stress, keine Zeit – das Übliche. Nach dem Studium hatten wir zunächst im gleichen Unternehmen gearbeitet, doch ich wechselte nach einiger Zeit. Peter blieb, arbeitete sich allmählich nach oben und brachte es schließlich bis zum Segmentleiter im Einkauf. Eine Bilderbuchkarriere, auf die er mit Recht stolz war.

Vor zwei Tagen hatte er mich aus heiterem Himmel angerufen. Überrascht und erfreut hatte ich seinem Vorschlag spontan zugestimmt, uns mal wieder zu treffen und die alten Zeiten aufleben zu lassen, doch schon am Telefon hatte ich gespürt, dass meinem alten Freund etwas auf der Seele lag. So überraschte es mich nicht, als er nach einer Weile üblichen Geplänkels und In-alten-Geschichten-Schwelgens plötzlich sagte: »Werner, ich wollte dich was fragen.«

»Nur zu«, ermunterte ich ihn, »ich habe den ganzen Abend Zeit.«

Peter seufzte kurz auf und begann: »Es fing alles an mit dieser Beförderung. Oder besser gesagt, ich dachte, dass es darum gehen würde, als ich letzte Woche mein jährliches Mitarbeitergespräch mit meinem Vorgesetzten hatte. Ich war mir sicher, dass mir der Abteilungsleiterjob sicher wäre – ich konnte hervorragende Zahlen in meinem Team vorweisen, |9|hatte unzählige Überstunden angehäuft, mich immer wieder eingebracht, wenn es um Innovationen und Neuerungen ging. Doch stattdessen eröffnete mein Chef mir, dass er mit meiner Leistung nicht zufrieden sei.«

Peter stockte. »Ich kann dir sagen, das war ein ganz schöner Schock für mich. So was hat mir noch niemandgesagt, in all den Jahren. Mein Chef meinte, das Problem läge in meiner Persönlichkeit. Ich sei zu dominant, zu wenig kooperativ gegenüber meinen Mitarbeitern. Dadurch würde ich ihr Potenzial nicht ausschöpfen, sie nicht genügend fördern, ihre Kreativität nicht wecken.« Er schnaubte empört. »Was sagst du dazu, Kreativität wecken – ich bin doch nicht die Kindergärtnerin!« Er schüttelte verständnislos den Kopf und fuhr fort: »Die Fluktuation in meinem Team sei auffällig, hat er gesagt – als ob ich was dafür könnte, wenn der Nachwuchs heute nicht mehr belastbar ist und immer gleich den Schwanz einzieht, wenn’s schwierig wird. Ich hab nie mehr von ihnen verlangt, als ich selbst zu geben bereit bin. Das hab ich ihm auch ganz genau so gesagt. Darauf meinte mein Chef doch glatt, dass ich auch zu aggressiv sei und es mir an Kritikfähigkeit mangele. › Vor Fehlern ist niemand gefeit, auch Sie nicht‹, hat er gesagt.

Immerhin, dann hat er mir versichert, dass er mich und meine Arbeit schätze, dass er weiterhin auf mein Wissen und meine Erfahrung setzen wolle |10|und dass es ihm daher wichtig sei, dass ich an mir arbeite. Ich müsse ›reifen‹, meinte er. Ich kann dir sagen, in diesem Moment wäre ich ihm am liebsten an die Kehle gesprungen. Naja, was wollte ich machen. Ich habe ihm natürlich erst mal brav versprochen, dass ich über seine Worte nachdenken und versuchen werde, an mir zu arbeiten. Mann, war ich geladen, als ich aus diesem Büro rausging.« Peter hielt inne, nahm einen tiefen Schluck Bier und sah mich unglücklich an.

»Werner, ich stecke fest. Tagelang hab ich mir Gedanken gemacht über das, was der Chef mir vorgeworfen hat. Aber ich hab keine Ahnung, was er eigentlich von mir will. Seit Jahrzehnten schufte ich für diese Firma, klotze 70, 80 Stunden in der Woche, hole das Letzte aus den Verträgen mit den Lieferanten heraus, mein Team läuft auf Volldampf, mehr ist aus denen nicht rauszuholen. Was soll ich denn noch tun? Ich powere und powere und komme doch nicht vom Fleck. Ich scheine in einer Sackgasse zu stecken, und das macht mir Angst. So was kenne ich nicht.«

Peter schien wirklich ein großes Problem zu haben. Solange ich ihn kannte, war er immer der Optimist, der Selbstbewusste, der Macher gewesen, der, einmal ein Ziel vor Augen, verbissen kämpfte, um es zu erreichen, koste es, was es wolle. Doch genau das war der Punkt.

»Ich verstehe dein Problem«, sagte ich beruhigend. |11|»Und ich glaube, ich kenne auch die Lösung. Was du brauchst, ist ein Perspektivenwechsel. Eine Auszeit, eine Gelegenheit, dich mal komplett auf null zu setzen und alles von Grund auf neu zu denken. Denn siehst du, es geht nicht darum, das noch weiter zu verbessern, was du schon kannst. Da kannst du in der Tat nichts mehr tun, es wäre sogar geradezu falsch. Du musst dir deine Schwächen vornehmen und aus denen neue Stärke schöpfen.«

Wie erwartet warf Peter mir einen empört-verletzten Blick zu, wie ich ihn noch gut von früher kannte. Kritik hatte er wirklich nie gut vertragen.

»Was soll denn der Unsinn? Na gut, ich bin auch nicht perfekt, wer ist das schon, aber wie soll ich denn bitte aus meinen Schwächen, wie du es nennst, Stärke schöpfen?«

»Eben das sollst du ja herausfinden. Ich kenne da jemanden, der dir dabei helfen kann. Ein sehr guter Freund von mir hat einen Bekannten, der als Mönch in einem buddhistischen Kloster in China lebt. Sagt dir der Name Shaolin etwas?«

»Shaolin?« Peter runzelte die Stirn. »Das ist doch das mit Kung-Fu. Bruce Lee und so, richtig?«

»Ja, so ähnlich«, lachte ich. »Aber was viel wichtiger ist, es ist der Ort, wo du die Weisheit des Shaolin kennen lernen kannst. Und die ist genau das, was du jetzt brauchst.«

Ich erzählte ihm von meinen eigenen Erfahrungen in Shaolin, von der jahrtausendealten Traditon |12|der Mönche dort, ihrer Kampfkunst und ihrer Philosophie. Nach und nach wich die Skepsis in Peters Augen einem interessierten Funkeln. Am Ende des Abends willigte er schließlich in mein Angebot ein, meinen Freund anzurufen und ihm spontan einen Kurzaufenthalt im Shaolin-Kloster zu organisieren.

»Was hab ich schon zu verlieren«, sagte er, als wir uns vor der Kneipe verabschiedeten.

Ich lächelte und klopfte ihm auf die Schulter.

»Und was hast du alles zu gewinnen.«