Inhaltsverzeichnis

DAS BUCH
DIE AUTORIN
Widmung
DAS BEKENNTNIS DER SCHATTENGÄNGER
DIE EINZELNEN BESTANDTEILE DES SCHATTENGÄNGERSYMBOLS
PROLOG
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
DANKSAGUNG
CHRISTINE FEEHAN
Copyright

DANKSAGUNG

ICH MÖCHTE MICH bei Domini Stottsberry für ihre Hilfe bei der unglaublichen Menge von Recherchen bedanken, die erforderlich waren, um dieses Buch zu ermöglichen. Brian Feehan und Morey Sparks verdienen großen Dank für die Gespräche über Rettungseinsätze und Action-Szenen und für die Beantwortung zahlloser Fragen! Wie immer, Cheryl, warst du unglaublich! Mein Dank geht an Dr. Chris Tong für seine Geduld bei dem Versuch, mir von Physik bis hin zu Biologie so ziemlich alles zu erklären, und auch Tyler Grinberg und Cecilia Feehan für ihre Hilfe beim Ausspinnen der tollsten Theorien. Und natürlich brächte ich ohne Manda nie etwas zustande!

DIE AUTORIN

Christine Feehan wurde in Kalifornien geboren, wo sie heute noch mit ihrem Mann und ihren elf Kindern lebt. Sie begann bereits als Kind zu schreiben und hat seit 1999 zahlreiche Romane veröffentlicht, für die sie mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet wurde. Mit über sieben Millionen Büchern weltweit zählt sie zu den erfolgreichsten Autorinnen der USA.

 

Weitere Romane von Christine Feehan bei Heyne: Dämmerung des Herzens, Zauber der Wellen, Gezeiten der Sehnsucht, Magie des Windes, Gesang des Meeres und Sturm der Gefühle (Drake Sister-Serie)

 

Mehr über Autorin und Werk unter:

www.christinefeehan.com

CHRISTINE FEEHAN

setzt ihre atemberaubende Saga
um den Bund der Schattengänger
fort in:

 

MAGISCHES SPIEL

 

 

 

 

KADEN ACHTETE SORGSAM darauf, dass sein Schatten nicht auf Tansy Meadows’ Körper fiel. Der Granit unter seinen Stiefeln war glatt und erzeugte keine Geräusche, die ihn verraten hätten. Er blieb gegen den Wind stehen, nur für den Fall, dass ihr Geruchssinn gesteigert worden war, und sorgte dafür, dass er den Luftstrom, der sich um ihren Körper herum bewegte, nicht einmal für einen Moment unterbrach. Sämtliche Schattengänger hatten ein feines Gespür für die Energien, die um sie herum schwebten, und reagierten empfindlich auf die kleinste Veränderung. Es mochte zwar sein, dass Meadows das Training der Schattengänger nicht durchlaufen hatte, aber wenn ihre Anlagen gesteigert waren, und den Verdacht hatte er, dann würde sie eine Größe sein, die man nicht unterschätzen sollte.

Er ließ seinen Blick systematisch über ihre nähere Umgebung gleiten, denn er suchte nach einer Waffe, nach irgendeinem Gegenstand, den sie zur ihrer Verteidigung verwenden könnte. Er runzelte die Stirn, als er sah, dass ihre Kleidungsstücke ordentlich zusammengefaltet aufeinanderlagen, ein gutes Stück von der Stelle entfernt, an der sie ausgestreckt dalag und schlief. Neben ihrer Kleidung lehnte ein kleines Betäubungsgewehr an einem Felsen. Kaden trat bei jedem Schritt behutsam auf, um keine losen Steinchen zu verschieben, und bewegte seinen Körper so langsam, dass die Luft stillhielt, als er hinüberschlich und nach dem Betäubungsgewehr griff. Um ihrer beider Sicherheit willen ließ er die Waffe in seinen Gürtel gleiten. Das Gewehr hätte unter ihrer Handfläche liegen sollen, damit sie sich leicht gegen ein wildes Tier oder einen Jäger verteidigen konnte. Wenn sie ein Schattengänger war, war ihr Selbsterhaltungstrieb nicht so gut entwickelt, wie er es hätte sein sollen.

Nachdem er sich vergewissert hatte, dass es nichts gab, wonach sie greifen konnte, um einem von ihnen beiden zu schaden, ging er neben ihr in die Hocke. Mehr als alles andere wollte er ihr Gesicht sehen. Aus der Nähe war sie atemberaubend. Ihre Haut sah so zart und so warm aus, dass er seine gesamte Selbstbeherrschung aufbieten musste, um sie nicht zu berühren. Ihr Haar war eine Mischung aus echtem Platinblond und goldenen Strähnen, die ihr über den Rücken und auf den Felsen fielen. Ihre langen Wimpern lagen wie Halbmonde da, fiedrig und dicht. Ihr Gesicht war ein kleines Oval, ihr Mund üppig und einladend. Er unterdrückte den Drang, sich hinunterzubeugen und sie wachzuküssen. Sie war viel kleiner, als er erwartet hatte, aber ihre Beine waren lang, ihr Hintern war rund, und sein Körper sagte ihm, dass sie ihm wie ein Handschuh passen würde.

Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt, als sie die Lider öffnete und ihm direkt in die Augen sah. Jähe Furcht überkam sie, und das Dunkelblau ihrer Iris wurde vor Schreck schon fast violett. Eine Art spiegelnder Glanz ließ ihre Augen glitzern; dann kniff sie sie zusammen, als täte das Licht ihr weh. Sie blinzelte, und ihr Blick wurde klar, kühl und taxierend. Sie griff nach ihrer Sonnenbrille und ließ sie auf ihren Nasenrücken gleiten – und das mit einer lässigen Arroganz, die ihm sagte, dass sie eine Prinzessin und er nichts weiter als ein Bauerntölpel war.

 

Tansy erwachte aus einem friedvollen Traum und stellte fest, dass sie in die reinsten Katzenaugen starrte. Kalt, ungerührt und so dunkelblau, dass sie fast schwarz waren. Scharf und konzentriert. Sie sah in die Augen eines Mannes, der schon oft getötet hatte. Dunkle Zotteln hingen ihm in die Stirn und trafen auf eine schmale weiße Narbe, die sich von oben nach unten über ein schroffes, scharfkantiges Gesicht zog. Er wirkte wettergegerbt und ungemein gefährlich. Die Bartstoppeln erweckten den Eindruck, ihm läge nicht genug an Umgangsformen, um sich zu rasieren. Sein Gesicht war vollkommen ausdruckslos, sein Blick starr und so kühl wie der einer Katze.

Sie hob ihr Kinn ein paar Zentimeter und senkte die Wimpern, um ihren Ausdruck zu verbergen, bevor sie ihre dunkle Brille aufsetzte. Sie unternahm keinen Versuch, ihre Nacktheit zu bedecken, weil sie ohnehin nichts daran ändern konnte und ihm nicht einen noch größeren Vorteil einräumen wollte, indem sie ihn sehen ließ, dass sie sich angreifbar fühlte.

Tansy erhob sich mit aller Anmut und Würde, die sie aufbieten konnte, und ging auf ihre ordentlich zusammengefalteten Kleidungsstücke zu. Dabei musste sie an ihm vorbei, doch er rührte sich nicht vom Fleck, und als ihre Haut seine Haut streifte, rief die Berührung einen kurzen Schauer hervor. Ihre Nervenenden standen unter Strom, und in ihrem Bauch flatterten winzige Flügel. Sie konnte fühlen, dass ihr diese blauschwarzen Augen auf jedem Schritt des Weges folgten. Tansy war unendlich froh, dass sie sich nie die Haare geschnitten hatte. Ihr Haar war so lang, dass es ihren nackten Hintern bedeckte und sie in einem trügerischen Gefühl von Sicherheit wiegte. Sie ahnte nicht, dass sich die seidige Mähne aus Platin und Gold auf ihrer dunklen Haut provozierend ausnahm und nur dazu beitrug, sie erotisch und verführerisch wirken zu lassen und ihre Kurven zu betonen.

Sie hielt ihm weiterhin den Rücken zugewandt, als sie ihr Hemd anzog, in ihre Jeans stieg und mehrfach tief Atem holte, um sich zu beruhigen. Aus Gewohnheit schlang Tansy ihr langes Haar mehrfach um ihre Hand und steckte es mit einer großen Haarspange an ihrem Hinterkopf fest. Unauffällig sah sie sich nach ihrem Betäubungsgewehr um. Es stand nicht an seinem gewohnten Platz neben dem vorspringenden Felsen, was bedeutete, dass er es wahrscheinlich an sich genommen hatte. Sie drückte ihre Schultern durch und drehte sich zu dem Fremden um.

Der Mann war groß und breit gebaut und sehr muskulös. Allein schon die rohe Kraft, die er ausstrahlte, verursachte ihr Herzklopfen. Wenn sie nackt und allein am Ende der Welt von jemandem ertappt werden musste, warum konnte dieser Jemand dann nicht ein mickriger Schwächling sein? Sie fürchtete mehr als nur seine tatsächliche Größe. Er verströmte aus jeder Pore Macht. Er wirkte gefährlich auf eine Art und Weise, die sie nicht definieren konnte. Den Eindruck von Macht hätte sie als bedeutungslos abtun können, indem sie behauptete, es läge nur an seinem imposanten Äußeren, doch sie wusste es besser. Seine Züge hätten aus Stein gemeißelt sein können und waren ebenso scharfkantig wie der Granit, der sie umgab. Er war kein gut aussehender Mann – dazu waren seine Züge viel zu schroff. Aber er war auf eine beängstigende Weise eine umwerfende Erscheinung.

»Es tut mir leid, dass ich Sie erschreckt habe.«

Seine Stimme war wie geschmeidiger schwarzer Samt, das Werkzeug des Teufels, und sie triefte vor Sarkasmus. Gewaltige Wut siedete unter diesem glatten Auftreten. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, ihr einziges Zugeständnis an ihre Nervosität.

»Es war ohnehin Zeit, dass ich aufwache.« Sie rang sich zu einem Achselzucken durch. »Das hier ist ein privates Wildreservat, und Sie haben hier keinen Zutritt.« Er war beim Militär, kein Jäger. Seine Augen waren hart und wachsam – zu wachsam, als rechnete er damit, dass sie versuchen würde, auszubrechen und zu fliehen. Sie verlagerte ihr Gewicht auf ihre Fußballen und drehte sich leicht zur Seite, um einen Winkel zu ihm einzunehmen, in dem sie ihm weniger Angriffsziele bot.

»Ich war auf der Suche nach Ihnen.«

Da es ihr einen solchen Schrecken eingejagt hatte, ihn beim Aufwachen über sich zu sehen, war ihr bis jetzt noch gar nicht aufgegangen, dass seine Nähe nicht die Kopfschmerzen hervorrief, unter denen sie sonst immer in Gegenwart anderer Menschen – einschließlich ihrer Eltern – litt. Die gewaltige psychische Energie, die sie normalerweise umgab, wenn Menschen in ihre Nähe kamen, war nicht da. Sie fühlte die leichte Brise und hörte die unablässigen Vogelrufe und das Surren von Bienen, aber kein Raunen in ihrem Kopf.

»Sie haben mich gesucht?«, wiederholte sie und fühlte sich ein wenig hilflos. Ihr Blick glitt kurz über ihn und nahm alles so wahr, wie sie es sonst auch tat – ihr Verstand katalogisierte das Bild und nahm eine Bestandsaufnahme seiner Narben und seiner Ausrüstung vor, wobei der Schwerpunkt auf dem Messer seitlich an seinem Gürtel lag.

Er lächelte, als wollte er ihr die Furcht nehmen. Er sah aus wie ein Berglöwe kurz vor der Essenszeit. »Fangen wir nochmal von vorn an. Ich bin Kaden Montague.« Sein Lächeln war fast wölfisch, als er ihr die Hand hinhielt.

Ihre automatische Reaktion wurde ihr fast zum Verhängnis. Im letzten Moment, bevor seine Hand ihre umfassen konnte, trat Tansy einen Schritt zurück und hielt beide Hände hinter ihren Rücken. Sie wagte es nicht, Körperkontakt mit ihm zu riskieren. Und sie wollte ihm auch nicht zu nahe kommen, für den Fall, dass er die Absicht hatte, sie anzugreifen.

Als er ihre Reaktion sah, wurde sein Lächeln breiter, und die eigenartigen schwarzen Augen wurden wärmer, bis sie leuchteten wie Katzenaugen bei Nacht. »Sie fürchten sich doch nicht vor mir?«

Jeder, der Verstand besaß, hätte sich vor ihm gefürchtet, zumal als Frau. Der Mann war ein echter Kerl. Dieses kantige Gesicht hatte nichts knabenhaft Hübsches an sich und die funkelnden Augen nichts Weiches und Zartes, sondern etwas anderes. Was war es, was sie gleichzeitig faszinierte und abstieß?

»Sie haben mich in einer kompromittierenden Lage erwischt. Sie müssen zugeben, dass keine Frau sich in dieser Situation sonderlich sicher fühlen würde.«

Kaden musterte ihr Gesicht, den makellosen Teint, den üppigen Mund und die langen, dichten Wimpern, doch was ihn am meisten faszinierte, waren ihre Augen. Es stand außer Frage, dass ihre Anlagen verstärkt worden waren – er konnte die gewaltige psychische Energie fühlen, die sie ausstrahlte –, aber da war auch noch etwas anderes, etwas, was er bisher noch nicht an anderen Schattengängern gesehen hatte, und worin auch immer die Gabe bestand – sie zeigte sich in ihren Augen. Er musste dem Drang widerstehen, seine Hand auszustrecken und ihre zarte Haut zu berühren. Ihre kleinen weißen Zähne hatten jetzt schon zweimal gedankenverloren an ihrer Unterlippe gezogen, eine Angewohnheit, die er teuflisch sexy fand. Sie konnte nicht in sein Inneres blicken, und das passierte ihr so selten, dass er merkte, wie beunruhigend sie diese Erfahrung fand.

Sie hatte eine Spur zu viel Selbstvertrauen, was hieß, dass sie gelernt haben musste, sich zu verteidigen. Er gestattete es seinem Blick bewusst, über ihren Körper zu gleiten und dann wieder zu ihrem Gesicht zurückzukehren. Sie unterdrückte ihr Erröten, und das bedeutete, dass sie erstaunlich viel Disziplin und Körperbeherrschung besaß. Er sandte ein stummes Gebet gen Himmel, er möge dieselbe Disziplin und Körperbeherrschung besitzen. Er musste dringend an etwas anderes denken als an all diese Haut, ihre reizvollen Kurven und diese bezaubernde schmollende Unterlippe.

»Was wollen Sie von mir, Mr. …«

»Kaden«, fiel er ihr ins Wort. Er sprach mit sanfter Stimme, ließ jedoch Stahl einfließen. Sie sah ihn mit diesen riesigen blauvioletten Augen an, und das seltsame kleine Schimmern bewirkte, dass es in seinem Bauch rumorte und seine Lenden sich strafften. Verdammt nochmal, es kam überhaupt nicht infrage, dass er derjenige war, der die Beherrschung verlor.

»Ich kenne Sie nicht gut genug, um Sie mit Ihrem Vornamen anzusprechen«, sagte sie spröde, während sie sich nach links bewegte, zu den natürlichen Stufen im Fels, die von dem Becken fortführten.

Kaden hielt Schritt mit ihr und passte sich ihren kürzeren Schritten so vollendet an, als tanzten sie gemeinsam einen langsamen Tanz. Er kam ihr probeweise ein klein wenig näher, als ihr lieb war, weil er sehen wollte, wie sie reagieren würde.

Sie blieb abrupt stehen, entfernte sich nicht aus seiner Reichweite. »Versuchen Sie absichtlich, mich einzuschüchtern? «

Er ließ zu, dass sich sein Mund zu einem raschen Lächeln verzog und sie einen kurzen Blick auf seine entblößten Zähne erhaschte. »Sie sollten ohnehin eingeschüchtert sein. Was zum Teufel haben Sie sich dabei gedacht, sich einfach ohne einen Faden am Leib und ohne eine Waffe in Ihrer Nähe im Freien schlafen zu legen?« Er achtete darauf, dass seine Stimme beherrscht klang, doch sein Tonfall enthielt auch einen Peitschenhieb, und sie zuckte darunter zusammen.

»Mir ist durchaus bewusst, dass das nicht klug war. Ich bin schon seit längerer Zeit hier draußen, und ich bin unvorsichtig geworden.«

Etwas an ihrer Antwort ärgerte ihn. Das war keine Reue, keine Entschuldigung, einfach nur ein Eingeständnis der eigenen Dummheit. Dummheit konnte einen das Leben kosten. Ein einziger Moment der Unachtsamkeit konnte ein ganzes Team das Leben kosten. Er kam ihr noch etwas näher, weil er wollte, dass sie sich fürchtete, denn trotz dieses Zusammenzuckens war in ihren Augen keine Spur von Furcht zu erkennen.

Tansy ließ ihn näher kommen, ohne auch nur einen einzigen Blick auf das Messer an seinem Gürtel zu werfen. Es steckte in der Scheide, und sie hatte sich bereits vergewissert, dass der Griff nicht von einem Sicherheitsriemen festgehalten wurde. Sowie er ihr nahe genug kam, ging sie zum Angriff über. Ihre Hand schnellte so rasch hervor, dass die Bewegung nur verschwommen wahrzunehmen war, und sie wollte sie ebenso rasch wieder zurückziehen – nur dass ihre Hand sich nicht bewegen ließ. Seine Hand war herabgestoßen und hielt ihre Faust mit enormer Kraft um den Griff herum gefangen. Er verhinderte nicht nur, dass sie die Waffe ziehen konnte, sondern auch jede weitere Bewegung. Er hielt sie steif an seinen Körper gepresst, hatte ihr einen Arm fest um die Kehle geschlungen und hielt mit der anderen Hand ihre Faust um das Messer herum geschlossen.

»Und was tun wir jetzt?«, fragte er mit gesenkter Stimme. Ihr Duft erfüllte seinen Geist und seinen Körper. Zimt. Sie roch nach Frau und nach Zimt – eine Lockung, der er sich nicht entziehen konnte –, und sein Körper reagierte darauf. Himmel nochmal, ihm war ganz egal, dass sie es wusste, jedenfalls solange ihr weicher Körper eng an seinen gepresst war.

Sie schluckte. Er fühlte, wie sich ihr Kehlkopf an seinem Unterarm bewegte, aber er nahm kein Anzeichen von Panik wahr, und sie wehrte sich auch nicht. Sie entspannte sich sogar, lehnte sich an ihn und hob ihre freie Hand, um sie in seine Armbeuge zu legen, wobei einer ihrer Finger leicht auf seinem Druckpunkt landete, und das sagte ihm eine ganze Menge über sie.

»Jetzt lassen Sie mich los.«

Tansy hätte sich darauf konzentrieren sollen, sich von ihm zu befreien. Ihr Geist und ihr Körper hätten einen Moment abpassen sollen, in dem sie sich losreißen konnte. Aber ihre Hand war um den Griff seines Messers geschlungen, eines Messers, das nicht neu war, sondern diesen Mann ins Gefecht begleitet hatte und mit Sicherheit benutzt worden war, und sie fühlte nichts – überhaupt nichts. Es gab kein Raunen, das sie verhöhnte und marterte, keinen Tunnel, der sie in sich einsog, keine ölige schwarze Leere, die sie unter die Oberfläche zog und sie erstickte. So nah war sie einem anderen Menschen noch nie gewesen, nicht einmal ihren Eltern, ohne diesen seltsamen Eindrücken ausgeliefert zu sein. Sie war restlos erstaunt und erinnerte sich daher kaum noch daran, dass sie von einem Fremden mit enormen Kräften festgehalten wurde und niemand in der Nähe war, um ihr zu helfen, falls sie die Situation nicht meistern konnte.

»Und wenn ich Sie nicht loslasse?«, fragte er und senkte den Kopf, um ihren Duft wieder einzuatmen. Zimt und Sünde erfüllten seine Lunge. Selbstverständlich würde er sie loslassen, aber nicht, bevor sie ihre Lektion gelernt hatte. Ein wenig Furcht würde ihr guttun. Ihr Selbsterhaltungstrieb musste angekurbelt werden, damit er wieder auf Touren kam. Dort, wo er sie hinbringen würde, mussten sämtliche Sinne rasiermesserscharf sein.

Die Worte, die ganz leise in ihr Ohr geflüstert wurden, und der warme Atem, der ihre Wange streifte, rissen Tansy aus ihrem Schock. Lass los! Sie sprengte sich ihren Weg in sein Inneres frei, hieb ihre Finger fest auf seinen Druckpunkt und riss seinen Ellbogen herunter, damit sie davonschlüpfen konnte, während sie gleichzeitig mit dem Fuß ausholte, um ihm vors Schienbein zu treten.

Es passierte nichts. Sein Arm blieb eng um ihre Kehle geschlungen; sein Körper zeigte nicht die geringste Erschütterung, und ihr Absatz berührte ihn nicht. Ihr Verstand schreckte sogar tatsächlich vor seinem zurück, als sei sie dort abgeprallt – und zwar hart. Mit einer solchen Wucht, dass ihr Kopf schmerzhaft hämmerte.

»Wer sind Sie?« Zum ersten Mal bebte ihre Stimme.

Er ließ sie los und trat zurück, hielt sie jedoch weiterhin an der Hand fest, damit sie das Messer nicht aus seinem Gürtel ziehen konnte. »Jetzt begreifst du wohl, dass du nicht die Einzige auf Erden mit verborgenen Gaben bist.«

Mit größter Behutsamkeit bog sie ihre Finger auf, um anzudeuten, dass sie das Messer loslassen wollte. Er reagierte sofort darauf, indem er seine Hand von ihrer nahm, damit sie den Arm sinken lassen konnte. Tansy sah ihn nicht an, doch sie wusste, dass er das Zittern ihrer Hand wahrgenommen hatte. Sie verabscheute es, Schwäche zu zeigen, aber sie hatte es noch nie erlebt, dass sich ihr jemand so vollständig widersetzte. Sie musste dafür sorgen, dass er abgelenkt war, während sie ihn zu ihrem Lager führte, wo sie ein oder zwei Waffen hatte, die ihr einen gewissen Schutz gewähren könnten.

»Warum sagen Sie mir nicht einfach, wer Sie sind und warum Sie hier sind.« Sie ging wieder auf den Pfad zu, und diesmal lief er neben ihr her. Als er die Hand in sein Hemd steckte, stockte ihr der Atem, aber er zog nur seine Brieftasche heraus, klappte sie auf und hielt sie ihr hin.

Seine Augen faszinierten sie. Mitternachtsblau, so blau, dass sie schon fast schwarz waren, unerschrocken und aufmerksam, ganz ähnlich denen des Raubtiers, das sie das ganze letzte Jahr über eingehend studiert hatte. Er konzentrierte sich vollständig auf seine Beute, und im Moment war diese Beute Tansy. Er hypnotisierte sie regelrecht, und sie war unfähig, den Blick von ihm abzuwenden, solange er es ihr nicht gestattete.

Erst die Bewegung, mit der er ihr die Brieftasche hinhielt, erlaubte es ihr, ihren Blick von diesen gefährlichen Augen loszureißen, und sie sah bestürzt auf seinen Ausweis. FBI. Nur glaubte sie es ihm nicht. Alles an ihm schrie heraus, dass er beim Militär war. Sie schüttelte den Kopf. »Die Geschichte kaufe ich Ihnen nicht ab.« Mit einem gekünstelten Seufzer setzte sie sich wieder in Bewegung. »Sagen Sie mir einfach nur, was Sie wollen, und verschwinden Sie von meinem Berg.«

»Ich brauche deine Hilfe.«

Furcht durchfuhr ihren Körper. Ihre Kehle schnürte sich zu, und Panik stieg in ihr auf, während sie gegen das plötzliche Gebrüll in ihrem Kopf ankämpfte, als eine Tür sich quietschend öffnete und Stimmen herauszuströmen begannen. Sie schüttelte den Kopf, denn sie fürchtete sich davor, etwas zu sagen, fürchtete, sie könnte schreien, fürchtete, wenn sie erst einmal damit anfing, würde sie nie mehr aufhören. Stattdessen zählte sie ihre Schritte, setzte sorgfältig einen Fuß vor den anderen, zwang sich, jede Erinnerung zu unterdrücken, zwang sich mit großer Mühe, zu atmen, und schüttelte stumm den Kopf.

»Tansy?« Seine Stimme klang besorgt.

Sie war unter ihrer Sonnenbräune blass geworden, und kleine Schweißperlen standen auf ihrer Stirn. Tansy wischte sie mit bleischwerer Hand fort und hielt mit aller Kraft die Tür zu, die bebte und ächzte und sich gegen ihre Willenskraft stemmte. »Gehen Sie.« Ihre Stimme war nicht mehr als ein Flüstern.

Er hielt mühelos mit ihr Schritt, obwohl er nicht über den Pfad lief, sondern durch das struppigere, dichtere Gras. »Ich fürchte, das kann ich nicht tun.«

»Gehen Sie fort, Mr. Montague. Ich kann Ihnen nicht helfen.« Sie setzte ihren Weg mit von ihm abgewandtem Gesicht fort, damit er auf keinen Fall sehen konnte, dass ihre Lippen zitterten.

»Das entspricht nicht der Wahrheit, Tansy. Ich habe eine zehn Zentimeter dicke Akte über dich. Du bist etwas ganz Besonderes, ein echtes Naturtalent, und der Blödsinn, den du den Ermittlungsbehörden im ganzen Land erzählt hast, zieht bei mir nicht – du hättest deine Fähigkeiten durch einen Unfall beim Bergsteigen verloren.«

Sie schluckte schwer, wappnete sich innerlich und drehte sich zu ihm um. »Wenn Sie eine Akte über mich haben, bin ich sicher, dort ist auch die Tatsache festgehalten, dass ich acht Monate in einem Krankenhaus verbracht habe. Sie scheinen mir ein Mann von der ganz gründlichen Sorte zu sein, und Sie sind nicht beim FBI, und daher zieht Ihr kleines Abzeichen bei mir auch nicht.«

Kaden lief jetzt hinter ihr und kam ihr so nah, dass sie die Hitze fühlen konnte, die sein Körper verströmte. Sie mochte zwar wütend wirken, doch er war viel zu gründlich ausgebildet; daher konnte ihm die Spur von verzweifelter Furcht in ihren Augen nicht entgangen sein, und es war ihr ein Gräuel, dass er wusste, wie sehr sie sich fürchtete. »Nicht vor Ihnen«, murmelte sie laut vor sich hin und ließ Verachtung in ihre Stimme einfließen. »Vor Ihnen ganz bestimmt nicht. Verschwinden Sie von meinem Berg, und lassen Sie mich in Ruhe.«

»Was ist passiert?«

Sie holte tief und erschauernd Atem, und ihre Finger ballten sich fest zu zwei Fäusten. »Sie sind ein Wildfremder – ein Mann, den ich nicht kennenlernen will. Ich bin Fotografin und arbeite mit den erforderlichen Genehmigungen in diesem Reservat. Soweit ich weiß, haben Sie nicht einmal das Recht, sich hier aufzuhalten oder mir Fragen zu stellen. Falls Sie wirklich beim FBI sind, dann wenden Sie sich an meinen Anwalt, und reden Sie mit ihm.«

»Das war jetzt einfach nur ungehörig.«

So kam sie sich auch vor. Er setzte ihr zu, weil sie total erschüttert war.

Ein abruptes Anschwellen feindseliger Energien schlug ihr entgegen. Sie näherten sich mit großer Geschwindigkeit und trafen sie heftig, und sie kamen von einem Punkt direkt hinter Kaden.

Kaden fühlte den Schwall aggressiver, bedrohlicher Energien, die auf ihn einstürmten, und er packte Tansy am Handgelenk, wirbelte herum, stieß sie hinter sich und brachte seinen Körper zwischen sie und die Gefahr. Sie stolperte und wäre beinah hingefallen, doch er bewegte sich weiterhin im Kreis, zog seine Waffe, hatte den Finger am Abzug, als der Feind angriff.

Nein! Zurück!

Die Stimme erfüllte sein Inneres, während Tansy mit einem Satz über ihn sprang und direkt zwischen seiner Waffe und dem angreifenden Puma landete. Sein Finger war bereits dabei abzudrücken, sein Ziel exakt. Es gelang ihm, der Waffe gerade noch einen kleinen Ruck zu geben, der genügte, um Tansy um Haaresbreite zu verfehlen, doch der Berglöwe traf mit voller Wucht auf ihre Brust und warf sie nach hinten und gegen ihn, so dass sie beide zu Boden gingen. Einen Moment lang starrte er in die Augen der Großkatze und fühlte ihren Atem heiß auf seinem Gesicht, und dann war sie fort, von Tansy herunter ins dichte Gestrüpp gesprungen und verschwunden.

Alles in seinem Innern erstarrte. Kaden schloss seine Arme um Tansy und rollte sich herum, um sie unter sich zu ziehen, damit er seine Hände über ihren Körper gleiten lassen und sie nach Verletzungen abtasten konnte. »Sprich mit mir.«

Der Puma war mit der Kraft einer Lokomotive gegen sie geprallt und hatte jeglichen Atem aus ihrer Lunge gepresst. Wahrscheinlich würde sie Prellungen und blaue Flecken davongetragen haben, und sie bekam keine Luft, aber nirgends waren die tiefen Kratzer, die er erwartet hatte. Die Großkatze hatte ihre Krallen eingezogen, als sie auf sie getroffen war. Sie hatte Tansy nicht aufgeschlitzt und auch nicht in ihre ungeschützte Kehle gebissen – und seine Kugel hatte sie ebenfalls nicht getroffen. Er ließ einen Moment lang den Kopf hängen, um seine Furcht mit tiefen Atemzügen zu bekämpfen.

»Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht, um jeden Preis diesen Puma zu beschützen?«, fuhr er sie an, da Wut sein Entsetzen ablöste. »Ich hätte dich erschießen können. Ich hätte dich um Haaresbreite getötet.« Als er merkte, dass er sie schüttelte, war er schockiert und holte tief Luft, weil er versuchen wollte, vom Rande der Katastrophe zurückzuweichen. Er zitterte, und das tat er sonst nie, aber er hätte ihr wirklich um ein Haar eine Kugel in den Kopf geschossen. Es dauerte einen Moment, bis er begriff, dass seine Hände um ihren schmalen Hals geschlungen waren und seine Daumen sich von unten in ihre Kinnlade pressten, um ihren Kopf zu ihm hochzubiegen, damit ihre riesigen Augen ihm mitten ins Gesicht sahen.

Tansy versuchte zu schlucken, aber seine Hände waren um ihre Kehle geschlungen, und die Daumen drückten fest zu. Sie hielt vollkommen still, denn die Wahrheit schockierte sie. Sie hatte nicht dem Puma das Leben gerettet – sie hatte ihm das Leben gerettet. Es war unumgänglich gewesen, ihm das Leben zu retten. Sowie sie die Bedrohung wahrgenommen und gewusst hatte, dass der Puma angreifen würde, war sie aus einer kauernden Haltung über ihn gesprungen und hatte ein weiteres ihrer Geheimnisse preisgegeben, um ihn vor Unheil zu bewahren. Sie blickte blinzelnd zu ihm auf, als er seine Hände langsam von ihrem Hals nahm.

»Du könntest von mir runtergehen.« Ihr Brustkorb schmerzte. Sie fühlte jeden einzelnen Stein, der sich in ihren Rücken grub. »Du wiegst eine Tonne.«

Er sah lediglich auf sie hinunter, ohne darauf zu reagieren. In seinen blauschwarzen Augen sah sie Glut und eine ungezügelte Lust, die ihr Herz hämmern ließ, doch dann blinzelte er, und seine Augen waren wieder ausdruckslos und hart, und sie konnte unmöglich etwas darin erkennen. Er stand auf, zog sie mit sich hoch und hielt sie fest, bis er sicher war, dass sie aus eigener Kraft stehen konnte.

Tansy klopfte den Staub von ihrer Jeans, rieb dann mit ihren Handflächen ihre Oberschenkel und sah sich nach der Sonnenbrille um, die ihr aus dem Gesicht geflogen war, als die Katze sich auf sie geworfen hatte. »Danke, dass du mich nicht erschossen hast.« Sie würde ihm gegenüber niemals zugeben, dass sie vor ihn gesprungen war, um sein Leben zu retten. Das kam überhaupt nicht infrage. Zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt, wenn er nicht in der Nähe war und sie verwirrte, würde sie ihre Motive einer gründlichen Untersuchung unterziehen, aber für den Moment würde sie es darauf zurückführen, dass sie ein Menschenleben hatte retten wollen.

»Du hast verflucht Glück gehabt.«

Sie nickte. »Das weiß ich, und ich weiß es wirklich zu schätzen, dass du so prompt reagiert hast.«

»Wirst du mir sagen, wie du es geschafft hast, aus der Hocke so schnell über mich zu springen?«

Tansy zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht, wie ich Dinge tue. Ich tue sie einfach.« Es gab vieles an ihr, was sich nicht erklären ließ.

»Hast du jemals von einem Mann namens Peter Whitney gehört?«

 

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Christine Feehan, Magisches Spiel