Harm-Peer Zimmermann (Hg.)
Kulturen der Sorge
Wie unsere Gesellschaft ein Leben
mit Demenz ermöglichen kann
Campus Verlag
Frankfurt/New York
Über das Buch
Mediale Darstellungen und öffentliche Debatten setzen Demenz meist mit Verlust der Persönlichkeit gleich. Dieser Band zeigt das Gegenteil: Menschen mit Demenz sind selbstverantwortlich handelnde Persönlichkeiten, und sie haben eine Stimme, die gehört werden sollte. Was berichten sie über ihre Erfahrungen und Gefühle? Wie deuten, gestalten und organisieren sie ihren Alltag? Aber auch: Wie reagiert das Umfeld? Welche Netzwerke der Selbsthilfe und Sorge bilden sich infolge einer Demenzdiagnose? Die Beiträger plädieren für eine kulturwissenschaftliche Demenzforschung und erkunden Dimensionen von Demenz mit der Absicht, Lebenslagen von Betroffenen, ihren Angehörigen und ihrer Umgebung zu verbessern.
Vita
Harm-Peer Zimmermann ist Professor für Populäre Literaturen und Medien am Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft der Universität Zürich.
Vorwort Kulturen der Sorge – bei Demenz: Kulturwissenschaftliche Gesichtspunkte
Kultur
Sorge
Literatur
Preface Cultures of Care – Facing Dementia: Cultural Studies Perspectives
Culture
Care
References
I. Kulturen der Sorge
Andreas Kruse: Sorge bei Demenz
1.Selbstgestaltung und Weltgestaltung bei Demenz als Ausdruck verwirklichter Würde
2.Behinderung oder Einengung der Selbst- und Weltgestaltung als Form der Demütigung
3.Drei Sorgeperspektiven
4.Die Sorge des demenzkranken Menschen um und für sich selbst
5.Die Sorge Anderer für den demenzkranken Menschen (›sorgende Gemeinschaft‹)
6.Gesellschaftliche Verantwortung für eine gute Ansprache demenzkranker Menschen
7.Die Antizipation des weiteren Krankheitsverlaufs und die Erörterung von Strategien zur Vermeidung oder Linderung von Belastungen in verschiedenen Krankheitsphasen
8.Verletzlichkeit im Alter: Die Perspektive palliativer Versorgung schwer kranker Menschen
9.Anforderungen an die Betreuung demenzkranker Menschen im Sterbeprozess
Schmerzerleben und Schmerzerfassung
Ernährung
Kommunikation
10.Abschluss: Die innere Vorbereitung auf Anforderungen im Alter
Literatur
Eberhard Wolff: »Sorge« – Kulturwissenschaftliche Annäherungen an einen schillernden Begriff
1.Sorge als kulturelles Missverständnis: Ein historisches Beispiel
2.Vier Kulturen der Sorge in einem Science-Fiction-Beispiel
3.Sorge als Problem
Literatur
Christine Matter: »Fremdes« Alter – Ausgrenzungen, Selbstsorge, Sorge
Selbstsorge
Der Diskurs um das ausgegrenzte Alter
Grenzen der Ausgrenzung
Sorge, Selbstsorge – im Kontext von Demenz
Literatur
Klaus R. Schroeter: Doing Age in Other Ways – Formen »anderen Alterns«: Weitere Facetten der Verwirklichung des Alterns
1.Verwirklichung von Altern: Eine heuristische Skizze
2.Doing Age
3.Doing Age in Other Ways
3.1Differenzielles Alter(n) – Doing Age differently
3.2Normalisiertes oder reguliertes Alter(n) – Doing Age by Normalization and Regulation
3.3Ander(e)s Altern – Othering Age und Doing other Age
3.3.1Othering Age: Doing Age by Alienation (alieniertes Altern)
3.3.2Doing Other Age: Doing Age by Alterity (alteritäres Altern)
4. Ausblick
Literatur
Heinz Rüegger: Sorge für hochbetagte Menschen in einer Kultur des Anti-Aging: Sozialethische Herausforderungen. Ambivalenz des Alters
Hohes Alter als Problem
Welche Art von Sorge für Hochbetagte ist gefordert?
Sorge durch eine Kultur des Pro-Aging
Impulsgeber einer ethisch-kulturell reflektierten Sorge für alte Menschen
Zum Schluss
Literatur
Ralph Kunz: Das Schicksal Demenz und Hiobs Botschaft
1.Heiter wie der Frühlingsmorgen …
2.Sie haben Alzheimer! Eine Hiobsbotschaft?
Eine gravierende Diagnose
Hiobs Botschaft
Die frommen Lügen
3.Demenz – ein Fluch?
Literatur
Renée L. Beard: The Alzheimerization of Growing Old in America
References
II. Lebensweltliche Arrangements bei Demenz
Annette Leibing: On Heroes, Alzheimer’s, and Fallacies of Care: Stories of Utopia and Commitment
Young Grandchildren – Heroic Narratives of Commitment
On Heroes, Alzheimer’s, and Fallacies of Care
Momentary Citizenship: Troubling Personhood
Conclusion
References
Andrea Newerla: »Das ganze Kreative einbringen« – Unterstützer/innenkreise zur Stärkung der Sorgestrukturen für Menschen mit Demenz
Unterstützer/innenkreise für Menschen mit Demenz – ein tragfähiges Konzept?
Suche nach Bewältigungsstrategien in Demenzkontexten – keine Patentlösungen
Ausblick: Soziale Bedingtheit individueller Sorgestrukturen
Literatur
Heinrich Grebe: »Gute Praxis« als Ausweg? Zum Verhältnis von familialer Demenzsorge und Expert/innenrat
1.Der Sorgebegriff: Von warmen Familien und kalten Institutionen
2.Guter Rat – gute Praxis: Anleitungen für den richtigen Umgang mit Demenz
3.Familiale Demenzsorge: Dilemmata, Belastungen, Eigensinn
Frau Karl im Zwiespalt
Frau May und das Schimpfverbot
Herr Timm: Baden ohne Battle
4.Fazit
Literatur
Esther Gajek: Viel Sorge, aber auch Glück und Gelingen: Zur Diversität von Erfahrungen der Angehörigen von Demenzkranken
1.Erfahrungen von Sorge und Normalität
2.Erfahrungen des Zusammenlebens mit Demenz
Umsorgen, Fürsorge und Vorsorge
Kontinuität des Ehelebens
3.Paare – bis zuletzt
Faktoren des Gelingens
»Wenn die Beziehung gut ist, läuft es«
Fazit
Quellen
Literatur
Nina Wolf, Yelena Wysling: Allein leben mit Alzheimer – Aufrechterhaltung und Verhandlung von Autonomie in einer Sorgefiguration
1.Die Sorgefiguration um Frau Burkhard
2.Familiärer Figurationsteil: Ausbalancieren von Freiheit und Sicherheit
Fokus Autonomie
3.Professionelle Betreuung: Unterstützung durch Vertrauensaufbau
Fokus Autonomie
4.Familiärer und professioneller Figurationsteil: Gemeinsam sorgen
Fokus Autonomie
5.Professioneller Figurationsteil: Sich umeinander sorgen
Fokus Autonomie
6.Fazit
Literatur
Irene Götz, Petra Schweiger: »Gott, was kommt jetzt daher?« Wie sich ältere Frauen in prekären Lebenslagen um ihre Zukunft sorgen
Ängste und Sorgen
Verfall, Pflege, Heim
Sterben und die letzten Dinge
Abhängig werden von der Familie
Vorsorge treffen
Materielle Strategien
Körperpraktiken
Mentale Strategien
Zusammenschau und Ausblick
Literatur
Cordula Endter: Arbeit an der Grauzone – Sorgebeziehungen zwischen einem Gedächtnistraining und dessen Nutzer/innen
Einleitung
Spielen statt Vergessen: Die Entwicklung assistiver Technologien
Zwischen Stabilität und Instabilität: Elisabeth Bach und das tägliche Training
Kognitive Fitness als ökonomische Ressource – Sieglinde Fechner und die disziplinierte Ordnung
Konfigurationen von und Re-Konfigurationen durch Nutzer/innen
Fazit
Literatur
Mone Spindler: Wie eignen sich Menschen mit demenziellen Erkrankungen neue Pflegetechniken an? Selektive Türschließtechniken zwischen humanistischer Theorie und ökonomisierter Praxis in der Demenzpflege
1.Zur konzeptuellen und empirischen Schärfung der Diskussion über Demenz und Technik
2.Das sozio-technische Ensemble
3.Aneignungsweisen der Bewohnerinnen und Bewohner
›Transponderträger‹ werden
Die Türschließung an den Zimmertüren
Die Türschließung an der Außentür
4.Legitimationen einer »Zumutung«
5.»Liberating the wanderers«
Literatur
III. Mediale Repräsentationen von Demenz
Ulla Kriebernegg: Forget, Forgot, Forgotten? Cultural Constructions of Dementia in Janet Hepburn’s Care Home Novel Flee, Fly, Flown (2013)
Care Home Novels
Fly, Fly, Flown as a ›Care Home Escape Story‹
Conclusion
References
Susanne K. Christ: »Keine Erfahrung haben mit dem Auseinanderfallen« – Funktionen der bi-perspektivischen Erzählung von Demenz in Ulrike Draesners »Ichs Heimweg macht alles alleine« (2006)
1.Die Perspektivenstruktur der Erzählung
2.»Kriecht mühselig hin« – Die Erzählung von Sarah
3. »Fakten also, Hans« – Die Erzählung von Hans
4.Relationierung der Einzelperspektiven
5.Effekte und Funktionen der bi-perspektivischen Anlage
6.Was kann Literaturwissenschaft zur Demenzforschung beitragen?
Literatur
Mark Schweda: Eiserne Ladies und alternde Cowboys im Sonnenuntergang: Ethische Aspekte der Darstellung von Demenz im zeitgenössischen Spielfilm
The Iron Lady – Wann handelt ein Film von Demenz?
Filmische Darstellungsformen der Demenz
Einfühlung
Verfremdung
Versinnbildlichung
Ethische Implikationen filmischer Demenzdarstellung
Schluss
Literatur
Dirk H. Medebach: Figurationsprozesse und Balancen der Demenzpflege in populären Narrationen
1.Gesellschaftlicher Rahmen von Pflege und Demenz
2.Theoretischer Hintergrund
Figurations- und Prozesssoziologie
Wissen, Macht und Balancen
Habitus
Totale Institutionen, Image und Stigma
3.Empirisches Material und Methodologie
4.Populäre Demenznarrationen: Analysen und Ergebnisse
Leben, Figurationen und Konflikte
Demenzsymbole
Demenzprozesse, Phasen und Wandlungen
Pflege und Balancen
Wissen und Emotionen zwischen Engagement und Distanzierung
5.Fazit
Literatur
Malte Völk: Reflexionen der Sorge: Demenz in privaten Tagebüchern
Tagebuch: Kulturgeschichtliche Herleitung
Demenz und Biografie
Tagebücher: Einzelanalysen
Zusammenfassung
Quellen
Literatur
IV. Gesellschaft und Zivilgesellschaft: Who cares?
Hans Rudolf Schelling: Demenzbarometer Schweiz – Vorstellungen, Einstellungen und Erfahrungen zu Altern und Demenz in der Bevölkerung
Altersbilder: Auf- und Abstieg, Gewinne und Verluste
Demenzbarometer Schweiz: Bevölkerungsbefragung
Einstellungen und Vorstellungen zum Alter(n)
Nähe zu und Erfahrungen mit Menschen mit Demenz
Wissen über Demenz (Alzheimer und andere Formen)
Einstellungen und Meinungen zu Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen
Persönliche Perspektiven und Ängste bezüglich Demenz
Fazit
Literatur
Thomas Klie: Wohlfahrtspluralismus und Subsidiarität in modernen Gesellschaften: Grundlagen für neue Antworten auf die Frage: Who cares?
1.Vom Subsidiaritätsprinzip zum Wohlfahrtspluralismus: Ein programmatischer Einstieg
2.Wohlfahrtspluralismus – alltäglich, analytisch und strategisch
3.Neue Bedeutung lokaler Politik
4.Fazit: Wohlfahrtspluralismus und Hybriditätsmanagement
Literatur
Reimer Gronemeyer: The Dementia-Friendly Community
There is a Crack in Everything
Dementia-Friendly Communities: How Did It Start?
The Humus of the Community – Premises for a Dementia-Friendly Community
Dementia Shines a Light on It: On the Way to a New Conviviality
References
Peter Wißmann: Wahrhaftige Sorge oder künstlicher Umgang mit demenziell veränderten Bürgerinnen und Bürgern
Wahrhaftigkeit und Tugend
Lügen und Täuschungen
Kritische Stimmen
Exkurs: Demenzdörfer
Begleiter oder Schauspieler?
Fazit
Literatur
Marianne Egger de Campo: 24-Stundenpflege: Wenn sich europäische Wohlfahrtsstaaten globale Dienstboten halten
Vertikal versus horizontal
Care-Defizit und Care-Migranten in der Schweiz
Motive der Care-Migration
Legalize it – das Gewerbe der Personenbetreuung in Österreich
Demokratisierung von Sorgekulturen
Literatur und Quellen
Pia Kontos, Alisa Grigorovich, Alexis P. Kontos, Karen-Lee Miller: Exploring Relational Citizenship at the Intersection of Creativity and Dementia
Introduction
Citizenship and Human Rights
Model of Relational Citizenship
Elder-Clowning: The Study
Creativity
Art
Music
Humor
Discussion and Conclusion
References
Anhang
Autorinnen und Autoren
Alzheimer-Demenz: neurofibrilläre Tangles und senile Plaques; vaskuläre Demenz: hypoxisch-ischämische Hirnläsionen – so lauten die neurophysiologischen Schlüsselbegriffe für die beiden häufigsten Formen von Demenz. – Und nun? Was besagen solche Klassifikationen und Kodierungen von Demenzdiagnosen (ICD-10-GM 2016; DSM-5 2013/14) über das Leben eines Menschen mit Demenz, fragt der amerikanische Schriftsteller Jonathan Franzen angesichts seines demenzkranken Vaters (Franzen 2007: 26; dazu Pott 2014). Bei allem Respekt vor der Medizin und der Hirnforschung, so Franzen: Über die Komplexität einer Persönlichkeit noch im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung können neurochemische Koordinaten und Prozesse allein keine Auskunft geben.1
Störungen von »Gedächtnis, Denken, Orientierung, Auffassung, Rechnen, Lernfähigkeit, Sprache und Urteilsvermögen« (ICD-10-GM, 2016: F00.-*) – solche klinischen Beschreibungen von kognitiven Symptomen kommen schon näher an die Lebenswirklichkeit heran. Aber auch damit ist noch nicht allzu viel gesagt über konkrete Erfahrungen, Intentionen und Reaktionen einzelner Menschen, über ihre Befindlichkeiten und Möglichkeiten der Lebensgestaltung in vielfältigen Situationen und Umgebungen des Alltags (Pott 2014: 175).2 Das wissen Mediziner, zumal Hausärzte, durchaus selbst: Mit medizinischen Diagnosen und Indikationen ist es nicht getan: Gedächtnisleistungen zum Beispiel sind wesentlich vom kulturellen Umfeld und sozialen Milieu abhängig, worin sich ein Mensch mit Demenz bewegt (Wißman/Gronemeyer 2008: 147)3. Und Erinnerungen sind nicht nur im Kopf, sondern auch im Körper gespeichert: in Haltungen, Mimik, Gestik, Bewegungen (Kontos/Martin 2013; Martin et al. 2013; Downs 2013; Whitehouse 2000), nicht zuletzt in Kleidungsstilen (Twigg/Buse 2013; Ward/Campbell 2013). Kurz gesagt: Wir brauchen mehr Studien, die das alltägliche Leben von Menschen mit Demenz in den Mittelpunkt stellen, vor allem Mikrostudien, in denen Betroffene selbst ausführlich zu Wort kommen. Und wir brauchen mehr Untersuchungen zu kulturellen Fragen.
Der Band Kulturen der Sorge – Wie unsere Gesellschaft ein Leben mit Demenz ermöglichen kann dokumentiert 29 Beiträge von Demenzforscherinnen und Demenzforschern aus unterschiedlichen Disziplinen: Kulturwissenschaft, Gerontologie, Soziologie, Theologie, Medizingeschichte, Literaturwissenschaft, Pflegewissenschaft, Medizin, Ethik, Rechtswissenschaft. Bei aller Disparatheit der Ansätze haben sich alle Beiträgerinnen und Beiträger darauf eingelassen, aus der Warte ihrer Disziplin zugleich einen kulturwissenschaftlichen Fokus zu entwickeln, sodass Demenz jeweils unter einer kulturellen Perspektive betrachtet wird. Die Beiträge sind als Referate auf dem 2. Kongress Kulturwissenschaftliche Altersforschung gehalten und diskutiert worden, der vom 18. bis 20. November 2016 vom Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft der Universität Zürich ausgerichtet wurde. Was aber hat Demenz mit Kultur zu tun? Und inwiefern brauchen wir eine Kultur der Sorge, wenn es um Menschen mit Demenz geht? Und inwiefern ist Sorge eine kulturelle Frage?
Kulturwissenschaftliche Forschungsansätze gehen davon aus: Menschen mit Demenz sind und bleiben selbstverantwortlich handelnde Persönlichkeiten, aktiv und kreativ, und sie haben eine »Stimme«, die gehört werden sollte: Was berichten und erzählen sie über ihre Erfahrungen und Gefühle? Wie deuten, gestalten und organisieren sie ihren Lebensalltag? Welche life story narratives entwickeln sie (im Überblick: Völk 2017)? Und welche Rolle spielt dabei der jeweilige lebensgeschichtliche Hintergrund (Van Gorp/Vercruysse 2012; Beard et al. 2009)? Aber auch: Wie reagiert das familiäre und weitere Umfeld? Und inwiefern sind diese Reaktionen situationsabhängig? Welche Verständigungsformen und Narrative sind dort anzutreffen? Welche Netzwerke der Selbsthilfe und Sorge bilden sich infolge einer Demenzdiagnose?
Solche soziokulturellen Fragen werden insbesondere in den dementia studies (Innes 2009) untersucht. Hier geht es darum, alltägliche Dimensionen des Lebens mit Demenz zu erkunden und zu verbessern. Dazu gehört auch, vorherrschenden Bildern der Bedrohung und Bedrückung entgegenzuwirken (Grebe et al. 2013; Grebe 2015). Es geht um Kritik an einer öffentlichen Debatte, die vor allem von Belastungen spricht: Wer soll die zunehmende Zahl von Menschen mit Demenz versorgen und pflegen? Wer soll das alles bezahlen? Solche Fragen bleiben stets die Antwort schuldig: Was wäre denn die Alternative? Soll man Menschen mit Demenz sich selbst überlassen? Oder sie zu Low-Budget-Konditionen versorgen?
Zugleich geht es um Kritik an einer öffentlichen Debatte, die vor allem von Verlusten spricht: Demenz führe zum totalen »Persönlichkeitsverlust«, liest man nicht selten; Demenz bedeute den unaufhaltsamen »Absturz ins Nichts« (Grebe et al. 2013; Grebe 2015). Mit solchen Metaphern machen wir Menschen mit Demenz zu anderen, fremdartigen, verworfenen Wesen. Solche Metaphern sorgen für eine einschneidende Unterscheidung zwischen uns und ihnen: hier wir, die Gesunden, Geistesgegenwärtigen, voll bei Sinnen (wenigstens nach vorherrschendem Selbstverständnis); dort sie, die Geistesabwesenden, Teilnahmslosen, Hirnverbrannten, die eine Sphäre des »Nichts« verkörpern, des Nichtlebbaren – als wären sie Untote (Zimmermann 2016).
In einer neoliberalen Ökonomie und Gesellschaft, die extrem auf individuelle Selbstständigkeit und kognitive Leistungsfähigkeit baut, wird Demenz zur Metapher, die versinnbildlicht, wovor wir uns von Grund auf fürchten: vor Kontroll- und Autonomieverlust. Aber damit machen wir uns nur selbst verrückt: Wir schüren Ängste, anstatt sie zu lindern. Ja, wir nehmen Menschen mit Demenz die Würde: Ein Leben mit Demenz sei »kein Leben« mehr, wird immer wieder behauptet; ein Mensch mit Demenz sei im Grunde »kein Mensch mehr«, sondern eine »leere Hülle« (Grebe et al. 2013; Grebe 2015). Was wird denn mit solchen Schlagworten implizit gesagt? Sieh zu, dass du rechtzeitig abtrittst? Exit?
Kulturen der Sorge – der Titel plädiert dafür, vielfältige Lebensmöglichkeiten für Menschen mit Demenz aufzuzeigen. Es geht um eine Kultur der Ermöglichung und Ermutigung. Kulturwissenschaftliche Ansätze gehen davon aus, dass sich solche Möglichkeiten zuallererst im Nahbereich eröffnen (O’Connor et al. 2010): in Familien und Nachbarschaften, in Kommunen und Kirchen, in Vereinen und Selbsthilfegruppen, in ambulanten und stationären Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen. Allgemein gesprochen: in verlässlichen Beziehungen und Umfeldern des Respekts.
Demenz wirkt sich vor allem auf die Fähigkeit zur »Alltagsbewältigung« aus (Förstl 2011: 6). Sie macht sich zuerst im Alltagsleben bemerkbar, und zwar als Irritation von tagtäglichen Routinen: den Namen des Enkelkindes vergessen? Das Unterhemd über dem Oberhemd angezogen? Die Brille im Kühlschrank deponiert? Demenzielle Symptome treten in der Differenz zu bestimmten soziokulturellen Anforderungen und Ordnungen in Erscheinung. Dass jemand Schwierigkeiten bei der Orientierung oder beim Rechnen hat, wird in dem Maße auffällig, wie eine Kultur Orientierungs- und Rechenleistungen entwickelt und von allen verlangt, um einen routinierten Ablauf des Alltagslebens zu gewährleisten. Das ist von Epoche zu Epoche und von Kultur zu Kultur unterschiedlich. Deswegen heißt das, was wir ›Demenz‹ nennen, keineswegs jederzeit und überall so (Cohen 1998; Henderson/Henderson 2002). Früher hätte man gesagt: der ist senil, die ist ziemlich durcheinander, verkalkt, meschugge (Lyman 1989; Cohen 2006).
Aber nicht nur Namen und Metaphern, sondern auch Wahrnehmungen und Bewertungen von Vergesslichkeit und Verwirrtheit sind unterschiedlich. Nicht jederzeit und überall werden sie als Störung und Krankheit wahrgenommen. Sogar positive Sichtweisen kommen vor, und zwar gar nicht so selten: Vergesslichkeit und Verwirrtheit zum Beispiel werden religiös als Fenster zu einer anderen Welt gedeutet (O’Connor et al. 2010). Sie werden vor allem auch in der Poesie und Kunst als »Erfahrung einer erweiterten Wirklichkeit« gewürdigt, sagt der Schweizer Literaturwissenschaftler Peter von Matt (1991: 185f.). Ja, vom Vergessen ist sogar behauptet worden, es sei konstitutiv für unsere Kultur (Nietzsche 1999 [1874]). Und Verwirrtheit sei es, die »neuen Gedanken« und neuen »Wertschätzungen« den Weg bahne (Nietzsche 1999 [1881]: 26–28). Friedrich Nietzsche hat so gedacht. Und nicht nur Michel Foucault (1973) hat diesen Gedanken fortgeführt (dazu Bohrer 1989: 257, 272). – Für eine kulturwissenschaftliche Demenzforschung können wir daraus zwei Schlussfolgerungen ziehen:
Demenzielle Symptome treten an den Naht- und Bruchstellen zwischen Individuum und Gesellschaft in Erscheinung. Was wir als Krankheit deuten, zeigt zugleich an, dass soziokulturelle Erwartungen, Anforderungen, Normen infrage stehen.
Demenzielle Störungen geben uns Anlass, neuen Gedanken und Wertschätzungen den Weg zu bahnen. Wir können Demenz als eine Herausforderung ansehen, die durchaus Positives bewirken kann, weil sie uns auf die Probe stellt. Demenz führt uns in eine Grenzsituation, in der wir über unser Zusammenleben nachdenken und uns öffnen können für neue Lösungen.
Auf demenzielle Störungen reagieren wir typischerweise mit zwei Formen der Problembewältigung: Exklusion und Inklusion. Exklusion bedeutet, Menschen mit Demenz aus bestimmten Bereichen herauszuhalten, wenn sie deren Abläufe nachhaltig stören (Milne 2010; Bartlett/O’Connor 2007). Hiermit aber entwickeln wir keine neuen Lösungen, sondern bedienen uns alter Muster: Wer stört, fliegt raus, zumindest aus sensiblen Bereichen. Wobei die öffentliche Akzeptanz für Exklusionen steigt, wenn diese nach professionellen Gesichtspunkten vorgenommen werden, und das heißt heute vor allem: sauber, qualitätsgesichert, transparent.4 Inklusion aber – und sie ist die weitaus anspruchsvollere Möglichkeit – besteht darin, auf Irritationen mit operativen Öffnungen zu reagieren, nämlich soziokulturelle Handlungs- und Wertehorizonte mehr und mehr auszuweiten. Auf diesem Weg werden Teilhabe und Anerkennung von Menschen mit Demenz fortschreitend besser gewährleistet. Denn der Weg der Inklusion macht die Herausforderung Demenz nicht primär an der betroffenen Person fest5, sondern begreift diese Krankheit vor allem auch als kulturelle Frage und Aufgabe.
Inklusion kann sowohl sozial als auch ethisch geschehen. Sozial heißt, man erfährt und erkennt, dass Inklusion von Menschen mit Demenz das Alltagshandeln keineswegs schwächen muss, sondern es sogar stärken kann. Was wir an Inklusionsmöglichkeiten für Menschen mit Demenz schaffen, kann für alle von Vorteil sein. Wir stärken damit unsere solidarischen Lebensformen (Wißmann/Gronemeyer 2008; Basting 2012). Ethisch aber können wir Demenz exemplarisch nehmen für eine Situation, die der große Theoretiker der Gerechtigkeit, John Rawls, »Schleier der Unwissenheit« genannt hat.6 Geben wir es zu: Keine/r von uns weiß, ob sie oder er nicht über kurz oder lang von einer Demenz betroffen sein wird. Wir leben im Ungewissen. Wie also möchten wir leben, sollte uns eine Demenz ereilen?
Mit welchen kulturellen Werten und sozialen Institutionen möchtest du es zu tun haben, solltest du an Demenz erkranken? – Mit einer Kultur der Sorge ist die Antwort, die auf dem Kongress in Zürich vorgeschlagen und ausgelotet wurde. Wobei vom Plural ausgegangen wurde: Es gibt nicht nur eine Antwort, sondern viele und vielschichtige Kulturen der Sorge.
Sorge ist ein Begriff, der in der Gerontologie immer häufiger anzutreffen ist (Klie 2014; BMFSFJ 2014; Kruse 2013; 2014; Blinkert/Klie 2008; Höpflinger/Hugentobler 2005; Kemp et al. 2013; Bude 2010). Er erweitert dasjenige, was wir bisher unter den Begriffen Pflege und Care diskutiert haben. Im Englischen gibt es kein Äquivalent; deshalb bleibt es hier bei Care, aber mit semantischer Expansion: Cultures of Care.7 Den Kern bildet eine new ethics of care. Sie sieht den einzelnen Menschen in Verhältnisse gegenseitiger Verantwortlichkeit und Anerkennung eingebunden.8 Und sie sieht, dass ein Mensch aus mehr besteht als aus einem normal funktionierenden Gehirn: Wir sollten im Zusammenhang mit Demenz nicht nur über den Geist, sondern auch über die Seele und über den Leib sprechen, über emotionales und körperliches Wohlbefinden, über nonverbale und sinnliche Formen der Kommunikation und Verständigung (Walmsley/McCormack 2014; Killick/Allan 2001).
Jemandem behilflich sein, einander nah sein, sich zuhören, berühren, umarmen, trösten, ermutigen – das sind die Grundlagen für ein gelingendes Leben im hohen Alter, sagt der Philosoph und Altersethiker Thomas Rentsch (1992; auch Honneth 2008). Demenz ist demnach ein existenzielles Lehrstück für uns alle. Sie bringt uns in eine Grenzsituation, in der wir darüber nachdenken müssen, wie wir leben wollen: Demenz lehrt uns, dass wir eben nicht nur Egos sind, soziale Ich-AGs, kognitive Hochleistungsaggregate, wie eine neoliberale Ideologie es uns weismachen will. Demenz lehrt uns, dass wir in Beziehung stehen mit anderen, dass wir auf Hilfe und Solidarität angewiesen sind, dass wir füreinander Verantwortung und Sorge tragen sollen – und zwar nicht nur dann, wenn wir krank sind.
In der Gerontologie und Pflegewissenschaft9 wird inzwischen vermehrt auf solche verantwortungsethischen, kommunikativen und leib-seelischen Aspekte der Sorgeethik zurückgegriffen (Klie 2014; BMFSFJ 2014; Kruse 2013; 2014). Es geht um mehr als fachgerechte Pflege; es geht nicht zuletzt um Möglichkeiten von Kommunikation, Teilhabe und Anerkennung, zumal im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung (Kruse 2006: 53; Astell/Ellis 2010; Walmsley/McCormack 2014). Damit verbunden ist ein Lifeworld Approach, der zwischen care und cure unterscheidet (Galvin/Todres 2013). Die höchste Lebensqualität für Menschen mit Demenz ergibt sich demnach aus dem Zusammenspiel von professioneller Pflege und lebensweltlicher Sorge in »sorgenden Gemeinschaften«, »demenzfreundlichen Kommunen« (Klie 2014; Wißmann/Gronemeyer 2008). Dem entsprechen Überlegungen zu einer neuen Bürgerbewegung mit dem Kristallisationsthema »Sorge« (Dörner 2012), wobei insbesondere das vielfältige kirchliche Engagement einbezogen wird (Olk/Hartnuß 2011; Eglin et al. 2009; Roy 2013).
Inzwischen wird außerdem von dem Beitrag gesprochen, den Menschen mit Demenz selbst zu einer Kultur der Sorge leisten (Kruse 2014). Menschen mit Demenz sind keineswegs bloß passive Nutznießer von Sorgetransfers, sondern sie sind aktiv handelnde Personen (Gubrium 1986; Sabat 2001). Menschen mit Demenz haben eine Stimme und tragen vielfach Verantwortung und Sorge für sich selbst und für andere.10 Deswegen sollten wir mehr mit demenzkranken Menschen sprechen als über sie. Und das geschieht ja bereits, vor allem in Studien, die sich darum bemühen, the »voices of people with dementia« hörbar zu machen (grundlegend: Goldsmith 1996). Give sorrow words, heißt es bei Shakespeare (im Macbeth). Wir können das beim Wort und als Motto nehmen:
Give sorrow words.
The grief that does not speak.
Whispers the o’er-fraught heart
and bids it break.
Gib Worte deinem Schmerz.
Sorge, die nicht spricht,
drückt das beladene Herz
bis dass es bricht.
Kulturen der Sorge – der Zürcher Kongress hat versucht, Möglichkeiten für ein gelingendes Leben mit Demenz aufzuzeigen: kulturelle und soziale, lebensweltliche, alltägliche und situative, geistige, seelische und körperliche Möglichkeiten. Das ist unter vier Aspekten geschehen, die nun die vier Kapitel dieses Bandes bilden:
I. Kulturen der Sorge: Unter diesem Aspekt wird gefragt, in welche Richtungen Überlegungen und Theorien zur Sorge bei Demenz in unterschiedlichen Disziplinen wie Kulturwissenschaft, Gerontologie, Soziologie und Theologie weisen. Andreas Kruse (Heidelberg) untersucht Sorge bei Demenz grundlegend in ihren kulturellen und ethischen Dimensionen. Eberhard Wolff (Zürich) problematisiert Sorge als normativ schillernden Begriff und lotet Möglichkeiten für neue kulturwissenschaftliche Annäherungen aus. Christine Matter (Olten) widerspricht der These von der Ausgrenzung des hohen Alters und arbeitet Inklusionspotenziale in Kultur und Gesellschaft heraus. Klaus R. Schroeter (Olten) fragt nach Formen anderen Alterns und zeigt damit zugleich Wege für einen anderen Umgang mit Demenz auf. Heinz Rüegger (Zollikerberg) setzt einer Kultur des Anti-Aging eine Kultur der Sorge entgegen. Ralph Kunz (Zürich) plädiert für eine Entmedikalisierung der Demenzdebatte und am Beispiel der Hiob-Erzählung für andere Geschichten über Demenz. Um die Würde von Menschen mit Demenz zu wahren, argumentiert Renée L. Beard (Worcester) gegen medizinischen Reduktionismus und zeigt Diskriminierungen auf, die mit medizinischen Diagnosen verbunden sein können.
II. Lebensweltliche Arrangements bei Demenz: Unter diesem Aspekt geht es um alltägliche Sorgen von hochbetagten Menschen mit und ohne Demenz und um Sorgen ihres Umfeldes, das heißt: um Probleme und Nöte, aber auch um Formen gelingenden Lebens mit Demenz. Annette Leibing (Montreal) stellt am Beispiel einer jungen Brasilianerin, die sich mit Hingabe um ihre an Demenz erkrankte Großmutter kümmert, den Belastungs-Diskurs insgesamt infrage. Andrea Newerla (Gießen) plädiert am Beispiel eines hessischen Modellprojekts dafür, Menschen mit Demenz als Expert/innen ihrer Situation wahr- und ernst zu nehmen und bei auftretenden Problemen kreative Lösungen zu suchen. Heinrich Grebe (Zürich) arbeitet eben solche kreativen Lösungen am Beispiel der familialen Demenzsorge heraus. Esther Gajek (Regensburg) untersucht den Alltag von Ehepaaren, bei denen ein Partner an Demenz erkrankt ist, und spricht von »Alltagskunst« im Umgang mit der Krankheit. Nina Wolf und Yelena Wysling (Zürich) zeigen, wie differenziert Angehörige denken und handeln, wenn es darum geht, die Autonomie eines Menschen mit Demenz im Alltag aufrechtzuerhalten. Irene Götz und Petra Schweiger (München) konzentrieren sich auf Sorgen von alleinlebenden Frauen in prekären sozialen Verhältnissen, die gleichwohl Vorsorge treffen. Cordula Endter (Hamburg) untersucht das Gedächtnistraining als Vorsorgestrategie und beobachtet Nutzer/innen im Trainingsstress. Mone Spindler (Tübingen) stellt selektive Türschließsysteme in Heimen für Menschen mit Demenz infrage.
III. Mediale Repräsentationen von Demenz: Unter diesem Aspekt geht es um Darstellungen von Demenz in den Medien, insbesondere in Filmen und populären Literaturen. Ulla Kriebernegg (Graz) zeigt anhand des Romans Flee, Fly, Flown (2013) auf, wie populäre Demenznarrative einerseits stereotype Sichtweisen bestätigen, andererseits diese aufbrechen und widerlegen können. Susanne Christ (Gießen) legt am Beispiel der Erzählung Ichs Heimweg macht alles alleine (2006) dar, wie Literatur dazu beitragen kann, Demenz narrativ erfahrbar und kommunizierbar zu machen. Unter den Kriterien Einfühlung, Verfremdung, Versinnbildlichung und ethische Implikationen vergleicht Mark Schweda (Göttingen) verschiedene zeitgenössische Spielfilme im Hinblick auf die Inszenierung von Demenz. Dirk H. Medebach (Gießen) untersucht populäre Normierungen von Demenz am Beispiel der Lebenserinnerungen des Fußballmanagers Rudi Assauer (2012) und der literarisch-biografischen Antwort seiner Tochter Bettina Michel (2014). Malte Völk (Zürich) weist anhand von Tagebüchern auf die Bedeutung des biografischen Schreibens für den Umgang von Betroffenen und Angehörigen mit Demenz hin.
IV. Gesellschaft und Zivilgesellschaft: Who cares? Unter diesem Aspekt geht es um lebensweltliche Beispiele für zukunftsweisendes Sorgehandeln, aber auch um Kritik an allzu optimistischen Erwartungen. Hans Rudolf Schelling (Zürich) stellt Ergebnisse aus dem Demenzbarometer Schweiz vor, die Vorstellungen, Einstellungen und Erfahrungen zu Altern und Demenz in der Bevölkerung betreffen. Thomas Klie (Freiburg) weist auf die grundlegende Bedeutung lokaler Politik hin, um auf kommunaler Ebene plurale Lebensmöglichkeiten für Menschen mit Demenz zu schaffen. Reimer Gronemeyer (Gießen) plädiert für demenzfreundliche Kommunen, um insbesondere die Teilhabe und Sichtbarkeit von Menschen mit Demenz in den Gemeinden zu sichern. Peter Wißmann (Stuttgart) wendet sich gegen Scheinangebote für Menschen mit Demenz, zum Beispiel: künstliche Bushaltestellen, virtuelle Bahnabteile und sogenannte Demenzdörfer. In häuslichen Pflege- und Betreuungsarrangements spielen Migrantinnen aus Osteuropa eine immer größere Rolle. Marianne Egger de Campo (Berlin) deckt die neokolonialistischen Arbeitsverhältnisse auf, die in solchen Arrangements vorherrschen. Pia Kontos, Alisa Grigorovich, Alexis P. Kontos, Karen-Lee Miller (Toronto) plädieren für eine Demenzsorge, die auf körperliche Aspekte des Selbst anspricht und dafür vor allem künstlerische Mittel nutzt (wie Tanz, Theater, Musik und nicht zuletzt Clowning).
Unter allen vier Aspekten und insgesamt kann der Titel dieses Buches durchaus normativ verstanden werden: Die Autorinnen und Autoren wollen ausloten, welche Ressourcen unsere Kultur und Gesellschaft bereithält, um ein Leben mit Demenz zu ermöglichen – und es geht ihnen um Ausweitung und Verbesserung dieser Möglichkeiten. – Für Hilfe und Unterstützung bei der Ausrichtung der Kongresses und beim Lektorat dieses Bandes danke ich meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Stella Noak, Nina Wolf, Yelena Wysling, Heinrich Grebe und Malte Völk.
Zürich, im Frühling 2018
Harm-Peer Zimmermann