Für alle Mütter, die sich aus Liebe zu ihrer Familie
selbst verlieren. Für alle Frauen, die vergessen haben,
welch wunderbare und wertvolle Geschöpfe sie sind.
Für alle Partner*innen und Kinder dieser Frauen.
Einleitung
Selfcare im Café
Selfcare Journey mit Daniela
Ich will mich finden
Mein Bedürfnis, dein Bedürfnis
Wichtigkeit ≠ Dringlichkeit
Selbstversöhnlich: der Blick zurück
Ich will gut genug sein
Perfektionismus oder Selbstwert
Das große Missverständnis
Was Kinder brauchen – und was nicht
Ich will es anders machen
Was wir anders machen wollen und warum
Freiheit geht immer mit Verantwortung einher
Fifty Shades of Mama
Ich gehe meinen Weg auf meine Weise
Identität, Integrität, Einzigartigkeit
Ein Rosengarten voller Kinder
Ich zeige mich
Die Rolle deines Lebens
Zurück zum Ich
Abenteuer des Moments
Ich nehme meinen Platz ein
Der wichtigste Mensch in deinem Leben bist du
Alles im Gleichgewicht?
Wer führt hier eigentlich wen?
Auf die Plätze, fertig, los!
Frauen und ihre Horrormone
Wie viel Ich braucht unser Wir?
Ich kümmere mich um mich
Starting with the one in the mirror
Wollen heißt tun
Daily Selfcare
Die vier Wege zur Selbstfürsorge
Der praktische Weg
Du bist, was du isst
Der mentale Weg
Der emotionale Weg
Der ganzheitliche Weg
Übung: Die Meridian-Reinigung
DIE MAKKO-HO
Meine Selfcare Challenge
Nachklang
Die Autorinnen
Herzlichen Dank!
Literatur, Filme, Links und Empfehlungen
Zum Weiterlesen
Filme
Links und Empfehlungen
Anmerkungen
Ist es nicht so? Wenn wir genau hinschauen, ist die Ursache für Meckern und Schimpfen mit Kindern fast immer auf Stress zurückzuführen. Und woher kommt unser Stress? Ein ganz wesentlicher Aspekt ist, dass der Umgang mit uns selbst dazu führt, überhaupt erst in diesen argen Stress zu geraten. Als wir 2019 unser erstes gemeinsames Buch, Die Schimpf-Diät, geschrieben haben, rechneten wir nicht damit, dass es ein so großer Erfolg werden würde. Doch offenbar hatten wir den Nerv der Zeit getroffen. Das Buch beschreibt sieben Schritte, die uns helfen, zu einer gelassenen Eltern-Kind-Beziehung zu kommen. Endlich Familie genießen ohne Motzen und Schreien, das ist doch unser aller Ziel. Deshalb ist es für uns eine logische Konsequenz, in unserem neuen Buch über Selfcare zu schreiben – und über die Magie, die in der Selbstfürsorge steckt! Das ganze Leben kann sich tatsächlich verändern, wenn nicht die Kinder den Tag diktieren und du ihrem Diktat hinterherhechelst, sondern wenn du selbst aus voller Kraft und vollem Herzen die Herrin deiner Zeit, Energie und Elternschaft bist.
So schreiben wir dieses Buch für alle Mamas, die gesunde Selbstfürsorge erlernen und im Alltag praktizieren wollen: Harmoniesüchtige, Abgrenzungsverweigerinnen, Superheld*innen des Alltags und jene, die kurz vor dem Ausbrennen stehen. Nicht nur geben, sondern auch nehmen – darum geht es uns. Das Coole an echter Selbstfürsorge ist, dass es am Ende nicht nur dir selbst guttun wird, besser auf dich zu schauen, sondern dass es auch den anderen Familienmitgliedern zugutekommt.
Das Leben in den 2020ern ist voll und bunt und fordernd. So viele Aufgaben, so viele Verführungen, so viele Entscheidungen sind tagtäglich zu treffen. Und dann ist da immer noch die Sache mit dem Tempo … Der Mensch ist an der Grenze seiner Belastbarkeit angekommen. Bis jetzt haben wir uns immer noch an die ständig neuen Herausforderungen unserer Entwicklung angepasst. Momentan scheint es, dass wir der Flut nicht mehr standhalten, schon gar nicht in diesem Affentempo. Immer mehr Menschen brechen zusammen, »Burn-out« ist schon seit gut zwanzig Jahren keine Managerkrankheit mehr. Das kann jeder und jedem von uns passieren, denn es hängt mit der Entwicklung unserer Gesellschaft zusammen und damit, dass wir die Verantwortung für unser Leben noch umfassender tragen müssen als noch unsere Vorfahren. Doch solange es dafür kein Bewusstsein gibt, laufen Menschen weiterhin in die Entgrenzung. Auch Mütter. Und jene Mütter, die es ganz besonders gut mit ihren Kindern meinen, sind ganz besonders gefährdet. Für sie haben wir dieses Buch geschrieben. Also vielleicht auch für dich?
Wir wollen dir hier kein Wellness-Wochenende im Herbst verkaufen, denn wir meinen mit Selbstfürsorge etwas ganz anderes. Klar darfst du auch weiterhin in eine Therme fahren, doch wir wollen darauf hinaus: Selbstfürsorge für Mütter muss jeden Tag stattfinden! In kleinen Dosen, die deinen Energietank stetig nachfüllen, sodass du gar nicht erst in die Nähe von blinkenden Tankanzeigelämpchen gerätst und damit jede einzelne kleine Maßnahme im Alltag dauerhaft, also nachhaltig, wirkt. Wie das möglich ist, was dazu notwendig ist, damit beschäftigen wir uns ganz ausführlich und mit ganzheitlichem Blick. Wir halten Rückschau, sehen uns an, wo wir gerade stehen, und nehmen dich mit auf unsere tägliche Reise, unsere »Selfcare Journey«.
»Happy wife, happy life«, das ist eine alte Formel, und sie stimmt immer noch. Die Kinder können sich entspannen und einfach Kind sein, frei und ungezwungen, denn die Gestaltung deines Lebensglücks liegt bei dir, und das ist großartig.
Wir werden uns mit Dingen beschäftigen, bei denen du bisher vielleicht nicht auf die Idee gekommen bist, dass sie etwas mit Selbstfürsorge und schon gar nicht mit Erziehung zu tun haben könnten. Manches wird dich fordern, anderes einfach überraschen, und vielleicht findest du auch das eine oder andere, das du bereits praktizierst und weiter ausbauen möchtest. Wenn du magst, schreib uns deine besten oder schönsten Selfcare-Momente und Erfahrungen unter www.selfcarefürmamas.com. Wir freuen uns auch, wenn du deine Tipps teilen willst. Wir kommunizieren sie gern in unserer Community, und so haben dann auch andere Mamas etwas davon.
Wir wollen dich ein bisschen Mäuschen sein lassen, wenn Daniela und ich uns unterhalten. Das tun wir sehr oft, schließlich arbeiten wir sehr eng zusammen. Daniela und ich lernten uns 2013 kennen, als sie, als ganz junge Mama und eine der ersten Elternbloggerinnen überhaupt, in einen meiner familylab-Workshops kam. Das Thema war der Klassiker »Nein aus Liebe«, nach dem gleichnamigen Buch meines Lehrers Jesper Juul. Ich biete seit 2009 Elterncoaching einzeln und in der Gruppe an, halte auch Vorträge, Workshops und Fortbildungen für Pädagog*innen rund um die Thematik Erziehung, Beziehung, Familien- bzw. Zusammenleben. Selbstfürsorge habe ich von Anfang an als zentrale Aufgabe von Erziehenden herausgearbeitet – es zeigt sich vor allem im Einzelgespräch, wenn niemand sonst es bemerken könnte, wie erschöpft Mütter sind, wie völlig entgrenzt und gleichzeitig hilflos in ihrer Not.
Daniela kam immer wieder, es hat ihr wohl gefallen. Da sie in derselben Stadt wohnt, in der ich arbeite, liefen wir uns auch so öfter mal über den Weg. Also gingen wir irgendwann auch zusammen Kaffee trinken, erst einmal, dann noch einmal … und da sie erkannte, wie wertvoll unsere gemeinsame Arbeit für sie als Mutter war, dachte sie, das könnte anderen Müttern genauso gehen. Seitdem (ab 2017) produzieren wir gemeinsam Texte, Podcasts, Videos, alle möglichen Beiträge, die sie über ihren Elternblog Die kleine Botin verbreitet. Wir beide sprechen Mütter an und begleiten und inspirieren im Alltag. Das ist eine geniale Ergänzung für jede von uns! Über die Jahre wurde noch so viel mehr aus dieser Verbindung, wir sind richtig gute Freundinnen geworden. Bei uns sind wie bei den meisten Frauen soziale Kontakte unerlässliche »Tankfüller«, wir brauchen das so sehr, diese Verbindung, den Austausch, das Lachen und auch manchmal das Ausweinen. In der Corona-Zeit haben wir sehr schmerzlich erfahren, wie sehr es fehlt, wenn wir nicht zusammenkommen dürfen – und wie schön es war, als wir uns endlich wiedersehen konnten. Hoffentlich hast du auch so jemanden! Wir stellen an den Beginn jedes Kapitels einen unserer Dialoge im »Café Augenblick«, um dir ein Gefühl für unsere gemeinsamen Momente zu vermitteln, die wir dir auch wünschen. Es tut einfach so gut!
Wir wollen dich dabei unterstützen, ein Bewusstsein
für echte Selbstfürsorge zu entwickeln, deine Intuition
besser greifbar zu machen und zu nutzen.
»Ja, ich schau auf mich, denn das ist wichtig für mein Kind!« darf eine Art Leitsatz werden. Wenn du gut auf dich achtest, deine Bedürfnisse kennst und deine Grenzen wahrst, kannst du die Verantwortung besser wahrnehmen, deiner Rolle als erwachsene Mutter optimal gerecht zu werden. Das ist unter anderem so wichtig für dein Kind, weil du immer Begleiterin und Vorbild bist. Wir nehmen dich mit auf unserem Weg und lassen dich an der Challenge teilnehmen. Die Reise zu dir selbst startet mit einer Bestandsaufnahme: Wo stehst du in deinem Leben und wie bist du hierhergekommen? Anschließend beschäftigen wir uns damit, was Perfektionismus und Selbstwert miteinander zu tun haben. Dann geht es um deine Freiheit, es anders zu machen als die anderen und auch anders als deine Mutter. »Geh deinen Weg auf deine Weise« ist unser Appell an dich – und ein Kapitel in diesem Buch. Dich zu (er-)kennen und zu zeigen ist ein ganz zentrales Thema, genauso wie die Frage, wer der wichtigste Mensch in deinem Leben ist. Wenn dir das alles klar geworden ist, geht es schließlich noch darum, wie du Selfcare in deinen Alltag integrieren kannst. Viele konkrete Ideen, Vorschläge und Impulse, die wir größtenteils auf unserer eigenen Reise selbst ausprobiert haben, unterstützen dich dabei.
Am Ende eines jeden Kapitels lässt Daniela dich teilhaben an ihren Alltagserfahrungen und vielschichtigen Selbstfürsorge-Erkenntnissen, und wir laden dich ein, dir »Zeit für dich« zu nehmen. Mithilfe zielgerichteter Reflexionen kommst du dir selbst nahe und kannst herausfinden, was du brauchst und wie du dich gut um dich und deine Bedürfnisse kümmern kannst.
Insgesamt wollen wir dir einen Begleiter an die Hand geben, dessen Lektüre sich positiv auf die Beziehungen in deiner Familie auswirkt, also auch auf die Erziehung deiner Kinder. Und das alles, obwohl es die meiste Zeit um dich geht! Das ist so anders an diesem Buch – obwohl es in der Buchhandlung sicher bei den Erziehungsratgebern zu finden ist, geht es hier mal nicht um deine Kinder, sondern endlich mal wieder um dich. Damit du ausreichend Zeit hast, diese neue Sichtweise zu trainieren und mit Leben zu füllen, haben wir uns die Selfcare Challenge ausgedacht: Insgesamt 52 Wochen lang begleiten dich unsere Kärtchen auf dem Weg zu dir selbst. Du findest sie im letzten Kapitel und auch zum Ausdrucken oder Herunterladen unter www.beltz.de, der Webseite des Beltz Verlags. Zu den Online-Materialien kommst du, indem du auf die Seite des Buches gehst und den Link zu den Materialien anklickst.
Wir sind fest davon überzeugt, dass der Weg zu einer nachhaltig liebevollen Erziehung immer über die Eltern und deren Umgang mit sich selbst geht. Also: Wir freuen uns, dass du dieses Buch in der Hand hast, und jetzt lass uns gemeinsam loslegen!
Daniela Gaigg & Linda Syllaba
#selfcarefürmamas
www.selfcarefürmamas.com
Linda und Daniela sitzen schon eine Weile zusammen im Café Augenblick.
Daniela: Also ich habe mich noch nie so »bei mir gefühlt«, wie seit ich Mutter bin. Und noch nie so weit entfernt gleichzeitig.
Linda: Das klingt spannend …
Daniela: Irgendwie habe ich den Eindruck, an einem bestimmten Punkt angekommen zu sein. So wie auf einer Zwischenetappe einer langen Reise. Aber ich kenne das Ziel nicht.
Linda: Die Reise deines Lebens.
Daniela: Tageweise ist das noch dazu komplett unterschiedlich …
Linda: Jede Etappe hat es in sich, oder?
Daniela: Ja, wirklich. Wenn ich bisher meine »Reise-Erkenntnisse« beschreiben müsste, dann wäre das »Sei auf alles vorbereitet«. Und das lässt sich am leichtesten dann anerkennen, wenn ich selbst gut bei Kräften bin.
Linda: Wie meinst du das?
Daniela: Ich meine, wenn ich mich gegen das, was da so kommt im Leben, wehre, kostet es noch mehr Kraft. Aber wenn ich gut gestärkt bin, gelingt es mir, die Höhen und Tiefen mitzugehen.
Linda: Genau. Alles darf, nichts muss. Und du darfst jeden Tag sehr genau auf dich hören.
Daniela: Ja, das ist entscheidend für gelungene Selbstfürsorge! Dass ich mich gut wahrnehme.
Der Anspruch, dass eine Mutter die Bedürfniserfüllung ihrer Kinder zu ihrer zentralen Lebensaufgabe machen sollte, mag aus einer gut gemeinten Absicht heraus entstehen. Diese Sichtweise bedeutet in der Praxis jedoch, dass die Frau ihre eigenen Bedürfnisse, die ihres Partners und auch die Bedürfnisse der Liebesbeziehung vernachlässigt, denn sonst kann sie ihren Anspruch gar nicht erfüllen. Oftmals wird die zurzeit von vielen Fachleuten angeratene bedürfnisorientierte Erziehung schlichtweg falsch verstanden. Denn dabei soll es gerade nicht allein um die Bedürfnisse des Kindes gehen, sondern um die Bedürfnisse aller Familienmitglieder. Die Aufgabe der Eltern ist es, einzuschätzen, wessen Bedürfnis in der aktuellen Situation am wichtigsten und welches am dringendsten ist. Ebenso wie Managerinnen oder Manager müssen sie Wichtigkeit von Dringlichkeit unterscheiden und situativ Prioritäten setzen, damit sie entscheiden können, was Vorrang hat. Je jünger die Kinder sind, umso kürzer können sie es aushalten, ein dringendes Bedürfnis, wie zum Beispiel den Harndrang, aufzuschieben.
Beispiel: Eine Mutter berichtet von ihrem Dreijährigen, mit dem sie gemeinsam auf dem Wohnzimmerboden sitzt und spielt. Sie bekommt Durst und will aufstehen, um sich etwas zu trinken holen. Im selben Moment beginnt ihr Sohn laut zu jammern, und Tränen treten in seine Augen – er will keinesfalls, dass seine Mama jetzt weggeht. Nun überlegt die Mutter, welches Bedürfnis ihres Sohnes hier zutage tritt.
Sie denkt, er braucht die Verbindung zu mir und Sicherheit, dass ich ihn nicht allein lasse. Sie unterdrückt ihr Bedürfnis, etwas zu trinken, und beruhigt ihr Kind: »Ich bin ja da!« Doch für ihren kleinen Sohn wäre es eine wichtige Erfahrung zu sehen, dass die Mama ihn zwar für eine kurze Zeit allein lässt, aber dass sie verlässlich wiederkommt. Sie kann sogar mit ihm sprechen, sodass er sie hören kann, wenn sie in die Küche geht und damit aus seinem Sichtfeld entschwindet. Sie kann ihm sagen, dass sie wahrnimmt, wie schwer es ihm gerade fällt, sie kurz zu entbehren. Und sie kann es aushalten lernen, dass er womöglich sogar zornig wird, frustriert ist und weint, bis er sich wieder beruhigt hat. Er lernt, die kurze Zeit ohne seine Mama auszuhalten, ohne Schaden zu nehmen, weil seine Mutter sein Bedürfnis nach Sicherheit wahrnimmt und die Verbindung mit ihm hält, während sie entgegen seinem Wunsch aufsteht und ihr eigenes Bedürfnis, ein Glas Wasser zu trinken, erfüllt.
Wenn wir unsere Beziehungen verbessern wollen, setzen wir bei uns selbst an. Es ist so leicht, die Probleme auf die anderen zu schieben: den Partner, die Kinder, die Schwiegermutter, den bösen Chef, die doofe Freundin, die gestörte Kindergärtnerin. Irgendwer findet sich immer, der oder die schuld ist. Doch wer so denkt, gibt auch die Verantwortung ab, und das Ergebnis ist Handlungsunfähigkeit. Nur wenn wir Selbstverantwortung übernehmen, können wir unser Leben aktiv gestalten und verändern. Also triff selbst die Entscheidungen, etwa bei der Frage: Was ist wichtig und was ist dringlich? Leicht ist das nicht, aber es ist machbar und so entscheidend dafür, dass du dir selbst ein Stück näher kommst.
Aus dem Missverständnis um bedürfnisorientierte Erziehung hat sich meiner Meinung nach ein großes Problem ergeben: Eltern, die sich selbst in der Erziehung verlieren, weil sie nur noch um ihre Kinder kreisen. Dadurch geraten Kinder zwangsläufig in den Mittelpunkt der Familie, und das ist nicht nötig. Niemand braucht so viel Aufmerksamkeit, dass sich alles nur noch um ihn dreht, das ist kein Bedürfnis. Es ist, wenn überhaupt, ein Wunsch, der aber nicht jedes Mal erfüllt werden muss. Der Nabel der Welt zu sein tut Kindern wie auch allen anderen Familienmitgliedern nicht gut.
Früher dachte ich, Kinder machen glücklich. Anders konnte ich es mir gar nicht vorstellen. Doch das stimmt so nicht. Zumindest nicht immer. Und es ist auch gar nicht die Aufgabe von Kindern, uns Eltern glücklich zu machen. Für unser Lebensglück müssen wir Erwachsenen schon selbst sorgen, das beinhaltet die Beziehungsgestaltung zum Partner und zu den Kindern ebenso wie die Berufswahl, wirtschaftliche Entscheidungen und vieles mehr. Ich bin sehr froh darüber, dass meine beiden Söhne da sind, keinen würde ich freiwillig wieder hergeben. Doch ich gebe zu, es gibt Momente, in denen ist »herausfordernd« ein ziemlich schwacher Hilfsausdruck für das, was wirklich zu Hause los ist.
Was ist in deinem Leben herausfordernd? Bist du zufrieden? Als Mama, als Frau, als Partnerin oder Single, und wenn du einen Job hast, wie läuft es da? Wessen Bedürfnisse hast du vor allem im Blick? Die des Kindes oder der Kinder, die des Partners, der Chefin oder deine? Fühlst du dich kraftvoll oder eher ausgelaugt? Viele Mütter, mit denen ich mich unterhalten habe, erzählen auf die eine oder andere Weise, dass sie zu Hause eine tragende Rolle spielen, sich aber leider dabei fühlen, als wären sie im falschen Film gelandet. Gibt es bei dir unerfüllte Wünsche? Oder Träume? Möchtest du, dass sich etwas ändert? Was soll sich ändern? Was fehlt dir? Was wünschst du dir? Du musst nicht alles gleich beantworten können, diese Fragen nehmen wir einfach mit auf den Weg, denn wenn du gut für dich sorgen möchtest, dann wirst du die Antworten auch finden.
Eine sehr praktische Möglichkeit, sich selbst einen Überblick zu verschaffen, bietet die sogenannte Eisenhower-Matrix1.
Das ist weniger kompliziert, als es klingt: Nimm einfach ein Blatt Papier und einen Stift. Notiere alles, was wichtig ist und in nächster Zeit ansteht. Jetzt zeichne ein Quadrat mit vier Fenstern, die für die jeweiligen Bereiche stehen:
Idealerweise sollte nichts Wichtiges jemals dringend werden. Dringlichkeit beschreibt die rein zeitliche Komponente, während die Wichtigkeit den Nutzen einer Sache betrifft. Bedürfnisse zu erfüllen ist immer wichtig, aber nicht immer dringend, je nachdem, um welches Bedürfnis es gerade geht. Deine Stromrechnung zu bezahlen ist wichtig und terminiert. Solange du dich rechtzeitig darum kümmerst, zu zahlen, wird es nicht dringend. Hast du jedoch vergessen zu zahlen, geht irgendwann der Strom aus, und der Handlungsbedarf wird dringend, weil etwas Wichtiges fehlt. So ist es auch mit der Selbstfürsorge. Sie ist wirklich wichtig, sollte jedoch nie dringend werden. So wird deutlich, dass du weder das Zahlen deiner Stromrechnung als auch deine Selbstfürsorge zu pflegen, zu lange vor dir herschieben solltest. Das, was nicht wichtig und nicht dringend ist, kann besonders in stressigen Zeiten getrost weggelassen werden. Wenn alles ruhig läuft, dürfen auch solche Dinge Platz finden, denn es könnte ja sein, dass sie Spaß machen. Du merkst schon, wie hilfreich es sein kann, den Unterschied zu erkennen, um mit deiner Energie sorgsam umzugehen.
Trage alle deine anstehenden Aufgaben sorgfältig in die Fenster ein, das hilft dir täglich beim Priorisieren.
Ich möchte dich nun ermutigen, mit liebevollen Augen Rückschau auf dein Leben zu halten: auf das, was war; das, was du dir früher mal erträumt hast, was du erlebt hast, was du erreicht hast. Egal, was es war und ist, es ist deine Geschichte. Alles gehört zu dir. Es geht nicht darum, es im Sinne von gut oder schlecht zu bewerten. Es geht vielmehr darum, zu schauen, weshalb du den einen oder anderen Traum hattest und was dazu geführt hat, dass deine Realität heute vielleicht anders aussieht. Da liegen viele kleine Entscheidungen dazwischen, an jedem einzelnen Tag. Deine Entscheidungen. Du hattest immer einen guten Grund für deine Wahl. Selbst bei den Dingen, die dir heute leidtun, kannst du davon ausgehen, dass du in dem Moment, als du so gehandelt hast, diese Möglichkeit als die beste erachtet hast. Hättest du nämlich eine andere (bessere?) Variante gesehen, dann hättest du bestimmt diese gewählt. Für mich ist das eine unheimlich versöhnliche Herangehensweise, so über sich selbst zu denken. Dies kann ein erster Akt der Selbstfürsorge sein, sich selbst mit freundlichen, wohlwollenden Augen zu betrachten, besonders dann, wenn es schwierig wird. Und es hilft dir, den Blick dafür zu öffnen, wo du in deinem Leben vorkommst – als Mensch mit Bedürfnissen und Wünschen, deren Erfüllung vielleicht noch aussteht.
»Wir Mütter sind Supermütter bei dem, was wir alles stemmen! Diese Sätze sind keine Beschreibung, sie sind eine Glorifizierung der Überlastung, die wir haben.« 2
Susanne Mierau
Danielas Selfcare Journey
Wenn ich auf mein Leben und meinen Alltag blicke, sehe ich ganz viel Liebe, viel durchgetaktete Zeit und Glücksmomente, die sich oft als »Drachen oder Hexen« verkleiden. Mal ehrlich, ohne Filter, mit deren Hilfe wir unsere Social-Media-Accounts mit harmonischen Farbwelten überziehen, sieht doch vieles manchmal recht unvorteilhaft aus. Allerdings nur auf den ersten Blick. Denn das Glück und die Augenblicke, die uns nähren und uns so widerstandsfähig machen, sind überall. Täglich. Mehrmals. Sie wollen nur entdeckt werden. Ein paar Minuten in der wärmenden Sonne auf der Terrasse oder am offenen Fenster, um tief durchzuatmen und neue Energie zu sammeln. Der Moment, in dem es meiner Tochter gelingt, ein Rad zu schlagen, an dem sie so lange geübt hat, oder ein paar viel zu kurze Blumen vom Wegrand, die mir meine Kleine vom Spaziergang mitbringt. Das kleine Glück ist immer da!
Aber es gibt natürlich oft Tage, an denen frage ich mich schon kurz nach dem Aufstehen, ob ich »im falschen Film« gelandet bin! Wenn um kurz vor sieben Uhr das dritte Drama ausbricht, die Milch »nicht gut« schmeckt oder das Marmeladenbrot auf dem Boden landet, weil das Kind sich (wieder) zu weit vom Tisch entfernt auf den Sessel setzt … Was dann hilft? Kaffee? Eventuell … aber nur, wenn auch die Zeit da ist, ihn frisch zubereitet zu trinken. Wenn ich hier wirklich nützliche Antworten für alle Fälle geben könnte, hätte ich mir schon einen Ordner mit »Dramen 1–11590« angelegt und würde selbst fleißig darin nachschlagen! An solchen »Spezialtagen« heißt es für mich inzwischen, besonders achtsam mit mir zu sein, bewusst Pausen einzulegen und bereits am Abend hinzuspüren, was mich am nächsten Morgen stärken könnte. Ich setze auf Zeitersparnis, indem ich die Kleidung für den nächsten Tag richte und die Schuljause vorbereitet in den Kühlschrank stelle. Den Abend lasse ich mit einer Extra-Einheit Yoga ausklingen und arbeite nicht bis spät. Statt am Bildschirm lese ich lieber noch ein Buch.
Und seit ich damit begonnen habe, mich bewusst damit auseinanderzusetzen, was wer warum gerade von mir will, stresst es mich weniger, wenn der sprichwörtliche Rockzipfel häufig unter Spannung steht, weil gerade wieder jemand heftig daran zieht. Neben den Gesprächen mit Linda (während des Coachings oder einfach beim Kaffee) waren es die Reflexionen, die sie mir mitgegeben hat. Diese Art »Selbstgespräch« – eine »Zeit nur für mich« – war mir bis dahin unbekannt. Inzwischen empfinde ich die Verbindung zu mir, die dabei entstanden ist, als sehr wertvoll. Ich erfahre so viel über mich und kann mich dadurch viel klarer den Kindern gegenüber äußern und sie mich auch mental gut spüren lassen.
Probiere es doch auch mal aus, du findest diese »Zeit für dich«-Impulse an vielen Stellen hier im Buch.
Zeit für dich!
Nimm dir nach jedem Kapitel Zeit für dich. Denk mithilfe der
Fragen darüber nach, wie es in deinem Leben gerade läuft, was gut ist und was nicht.
Wie sieht ein ganz normaler Tag für dich aus? Nach welchen Kriterien priorisierst du deine Aufgaben? Und wie fühlst du dich damit?
Überlege, wie oft du dir Zeit für dich nimmst. Fällt es dir eher leicht oder schwer, fürsorglich mit dir zu sein?
Was hilft dir/könnte dir helfen, um nach einem anstrengenden Tag, einer anstrengenden Woche Kraft zu schöpfen und zu entspannen?
Probier’s am nächsten Wochenende doch einfach mal aus!
Linda und Daniela haben sich wieder im Café Augenblick getroffen. Beide bestellen sich ihren zweiten Kaffee.
Daniela: Als wir damals beschlossen haben, eine Familie zu gründen, hatte ich beruflich gerade eine schwierige Zeit, ich wollte den perfekten Job machen, war sehr ehrgeizig und hab gar nicht gemerkt, wie ausgebrannt ich war. Da kam mir die neue Lebensplanung richtig gelegen. Mama sein, Familie werden, das war eine total verlockende Vorstellung! Endlich wieder Lebendigkeit und Leichtigkeit spüren.
Linda seufzt: Und dann trifft der Kinderwunsch auf die Realität. Das kenne ich. Ich hatte es mir damals völlig anders vorgestellt, wie es ist, Mama zu sein … und wie ich all die neuen Herausforderungen schaffe.
Daniela schüttelt den Kopf: Echt? Bei dir kann ich mir das gar nicht vorstellen. Seit ich dich kenne, berätst du so viele andere Mamas und hilfst ihnen, Lösungen für sich und ihre Probleme zu finden …
Linda: Das war ein spannender Weg, ich hab am Anfang viel Austausch gesucht. Und dann hab ich gemerkt, dass ich bei mir selbst anfangen muss, wenn ich etwas verändern will.
Daniela: Die eigenen Fehler sehen und sich nicht anklagen, sondern die Veränderung anpacken, das meinst du, ja?
Linda: Genau. Wir sind ja alle nicht perfekt.
Unsere Gesellschaft zeichnet sich durch eine hohe Leistungsorientierung und durch ein geringes Selbstwertgefühl der Menschen aus. Das ist im bisherigen Wirtschaftsmodell der Preis für den Erfolg: Du passt dich an das an, was vermeintlich gefordert wird – oft zulasten deiner eigenen Identität. Darunter leidet der Selbstwert, der zeigt, wie ich mich selbst sehe und bewerte. Das Selbstwertgefühl wächst, indem ich mich als wertvoll erlebe – für mich, meine Familie und die Gesellschaft. Ich kann mich sinnvoll einbringen und meinen Beitrag im Zusammenleben leisten. Die Rückmeldung meiner Mitmenschen, ein ehrliches Danke, Freude über meine Anwesenheit und das Annehmen meiner Person als die, die ich bin, sind wie »Dünger« für die Entwicklung des Selbstwerts von Groß und Klein. Das Selbstvertrauen, also das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, hingegen wächst aus der Erfahrung, eine gut bewertete Leistung zu erbringen. Zum Beispiel eine gute Note in Mathematik oder die besten Pancakes.
Die »Leistungsgesellschaft«, in der wir leben, drängt uns dazu, immer noch besser, schneller, perfekter zu werden, und das führt zu einem hohen Druck, den wir uns letztendlich aber selbst machen. Denn irgendwann, so hoffen wir, werden wir »gut genug« sein.
Perfektionisten streben danach, keine Fehler zu machen und das Gute zu übertreffen. Wer selbst davon betroffen ist, weiß sicher genau, wovon ich spreche, aber auch Nicht-Perfektionisten haben vermutlich den ein oder anderen dieser Spezies im engeren Umfeld. Perfektionisten gehen davon aus, dass es nie genug ist, dass sie selbst immer noch etwas mehr tun könnten, um ein noch besseres Ergebnis zu erzielen. Das impliziert, dass sie selbst nicht gut genug sind, zu wenig genau, aufmerksam, korrekt, liebevoll, freundlich oder kreativ. Sie streben danach, ein Höchstmaß an Perfektion zu erreichen, doch es ist nicht erreichbar, weil in dieser Denkweise immer noch etwas mehr möglich wäre. Perfektionisten sind also sehr mit sich selbst beschäftigt, allerdings in einem wenig konstruktiven Sinn. Sie stellen sich permanent Selbstoptimierungsaufgaben, die niemals zu einem befriedigenden Ergebnis führen können, weil die Ausgangsbasis ein negatives Selbstbild ist und bleibt.
Woher kommt diese negative Selbsteinschätzung?
Kinder sind darauf angewiesen, ihr Selbst von den Eltern positiv gespiegelt zu bekommen, um das Bild, das sie von sich selbst entwickeln, ebenso positiv zu sehen. Daraus, wie mit dir als Kind geredet wurde, wie du behandelt wurdest, wie du dich in Gegenwart deiner Eltern gefühlt hast, ist dein Selbstwertgefühl erwachsen. Wenn du dich selbst als unzulänglich in verschiedenen Belangen siehst, gibt es fast immer eine Geschichte dazu, in der andere Menschen vorkommen, die dir diese negativen Botschaften vermittelt haben.
So, wie es keine perfekten Mütter und Väter gibt, gibt es auch keine perfekten Kinder. Denn Perfektion ist überflüssig. Es reicht, wenn du Du bist und dich annimmst, mit all deinen Stärken und Schwächen, Ecken und Kanten. Ein wichtiger Schritt zur Selbstfürsorge ist daher genau diese Selbstliebe.
Und ich meine damit nicht, dass du ab jetzt zum Nabel der Welt werden sollst, weil du die Größte, die Schönste und die Beste von allen bist. Das hilft weder dir noch deiner Familie weiter. Im Gegenteil, es würde neue Probleme aufwerfen. Stattdessen möchte ich dir vermitteln, dass Selbstfürsorge damit beginnt, dir selbst freundlich und wohlgesonnen zu begegnen.
Wir haben alle unsere Stärken und Schwächen, Eigenheiten und Verhaltensweisen, die andere vielleicht als irritierend erleben – oder sind es gar nicht die anderen, sondern nur wir selbst? Was ist eigentlich die Norm? Gibt es tatsächlich normale Menschen? Normal ist doch nur, was mir geläufig ist. Oft gilt auch das als normal, was und wie die Mehrheit der Menschen etwas handhabt. Doch was hat das genau mit dir zu tun? Willst du normal sein oder glücklich? Warum sollte das eine das andere ausschließen?
»Es bringt eine große Erleichterung,
dem Perfektionismus abzuschwören.«3
Patricia Cammarata