Olaf-Axel Burow
Führen
mit Wertschätzung
Der Leadership-Kompass für mehr Engagement, Wohlbefinden und Spitzenleistung
Über den Autor:
Prof. Dr. Olaf-Axel Burow lehrt Erziehungswissenschaft an der Universität Kassel und ist Autor zahlreicher Bücher zu Pädagogik, Schul- und Organisationsentwicklung sowie Kreativitätsforschung und Zukunftsgestaltung. Bei Beltz sind erschienen: »Positive Pädagogik« (2011), »Digitale Dividende« (2014), »Team-Flow« (2015) und: »Wertschätzende Schulleitung« (2016).
www.olaf-axel-burow.de
»Leistung allein genügt nicht. Man muss auch jemanden
finden, der sie anerkennt.«
Ludwig Wittgenstein
»Anerkennung ist ein wunderbares Ding: Sie bewirkt,
dass das, was an anderen herausragend ist, auch zu
uns gehört.«
Voltaire
»Was nicht von dem Menschen selbst gewählt, worin er
auch nur eingeschränkt und geleitet wird, das geht nicht
in sein Wesen über, das bleibt ihm ewig fremd, das
verrichtet er nicht eigentlich mit menschlicher Kraft,
sondern mit mechanischer Fertigkeit.«
Wilhelm von Humboldt
Prolog: Wohlbefinden, Engagement und Spitzenleistung – wie Unternehmen zukunftsfähig werden
I. Was wertschätzende Führung bewirkt
Worum es in Unternehmen wirklich geht
Fünf Kernaufgaben wertschätzender Führung aus Mitarbeitersicht
Fünf Kernaufgaben wertschätzender Führung aus Unternehmenssicht
Warum Wertschätzung der Schlüssel ist
II. Warum Führung so schwierig ist
Was zeichnet gute Führung aus?
Die Transformationslücke
Warum es so schwierig ist, von A nach B zu kommen
Zukunftsbilder sind Treiber des Wandels
Wie lautet der Change-Code Ihres Unternehmens?
III. Wie wertschätzende Führung gelingt
Drei Dimensionen wirksamer Führung
Der Leadership-Kompass
Wirksam Führen mit Wertschätzung: 3 × 3 Analysefragen, die Sie weiterbringen
Danksagung
Literatur
Ja, es gibt sie, Unternehmen, die ihre Mitarbeiter mit Stolz erfüllen und Arbeitsplätze bieten, die begeistern, bisweilen sogar glücklich machen. Arbeit bestimmt den größten Teil unseres Lebens, doch für viele bedeutet sie eher Stress als Erfüllung, und dieser Umstand schädigt nicht nur die Mitarbeiter, sondern beeinträchtigt auch den Unternehmenserfolg.
Wie der Gallup-Engagement-Index, der alljährlich erscheint, mit erstaunlicher Konstanz zeigt, schieben 67 Prozent der Mitarbeiter Dienst nach Vorschrift, 17 Prozent befinden sich in einer Art Sabotage-Modus, während lediglich 16 Prozent von ihrem Unternehmen begeistert sind. Hochgerechnet sind dies 23,5 Millionen Beschäftigte (Stand 2014), die kein Herz für ihr Unternehmen, und ca. 5 Millionen Mitarbeiter, die innerlich gekündigt haben. Wo liegen die Ursachen für diesen erschreckenden Befund?
Führungskräfte sind in Deutschland durchschnittlich 46 Jahre alt und vor allem aufgrund fachlicher Leistungen befördert worden. Meist fehlt ihnen eine qualifizierte Führungsausbildung, und so gibt denn auch nur jeder Dritte an, ein positives Mitarbeiterbild zu haben und sich an der Förderung von Potenzialen und Stärken zu orientieren. Wen nimmt es da Wunder, dass sich eine Mehrzahl der Befragten über mangelnde Wertschätzung beklagt und von den innerlich Gekündigten nur 40 Prozent sagen, sie hätten in der letzten Woche Spaß bei der Arbeit gehabt, während dies 83 Prozent der Hochengagierten angeben. 60 Prozent der innerlich Gekündigten geben sogar an, dass sie sich im letzten Monat ausgebrannt gefühlt hätten, während dies bei den Hochmotivierten nur auf 21 Prozent zutrifft – immer noch ein Wert, der viel zu hoch ist.
Hier zeigt sich: Die Auswahl der Führungskräfte erfolgt häufig nach ungeeigneten Kriterien; einer zu großen Zahl mangelt es an Führungskompetenzen, und sie werden mit ihrer anspruchsvollen Aufgabe, die offenbar viele überfordert, allein gelassen. Was fehlt, ist ein simplexes Führungsmodell, das der Komplexität der Anforderungen gerecht wird, aber auch den Führungskräften einfach zu handhabende Orientierungen und Instrumente an die Hand gibt. Mit dem Leadership-Kompass und den »magischen 3 × 3« erfolgreicher Führung und Unternehmensentwicklung werden Sie in diesem Buch ein solches Modell kennenlernen, das praxisnah und zugleich theoretisch fundiert ist.
Zentraler Angelpunkt dieses Modells ist die Frage, wie wir die Bereiche »Wohlbefinden« und »Engagement« so miteinander verbinden können, dass Spitzenleistungen entstehen. Ja, Sie haben richtig gelesen. Wie uns die Hirnforschung gezeigt hat, sind Lernen und Arbeiten mit Lust besetzte Grundbedürfnisse des Menschen. Menschen ohne Beschäftigung sind unglücklich, antriebsarm und werden depressiv. Arbeit gehört neben der Familie zu den wichtigsten Quellen unserer Lebenszufriedenheit und stellt eine zentrale Voraussetzung für das Erleben von Glück dar. Mehr noch: Der Grad unserer Berufs- bzw. Arbeitszufriedenheit bestimmt nicht nur über unser Einkommen und über unsere Lebenserwartung, sondern auch darüber, ob wir unsere Potenziale entfalten und ein erfülltes Leben führen können.
Wenn Unternehmen sich also um das Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter kümmern und für Bedingungen sorgen, die zur Identifikation mit dem Unternehmen und zu Engagement herausfordern, dann legen sie damit zugleich die Grundlage für Spitzenleistungen und den Unternehmenserfolg.
Dies sind vergleichsweise simple Einsichten, die durch wissenschaftliche Studien aus den unterschiedlichsten Bereichen in erdrückender Eindeutigkeit bestätigt werden. Und doch sieht die Unternehmenswirklichkeit oft ganz anders aus, wie wir aus Untersuchungen und nicht zuletzt aus unserer langjährigen Beratungstätigkeit wissen. Und dies mit verheerenden Folgen, wie auch die Führungsdesaster aus dem Banken- und Automobilbereich der letzten Zeit gezeigt haben. »We don’t need another heroe«, sang Tina Turner weitsichtig und benannte damit eine Erfolgsformel des postheroischen Managements, in dem die Überschätzung vermeintlich herausragender »Führer« zurückgenommen und ihre Bedeutung auf ein realistisches Maß reduziert wird.
Noch immer dominiert in vielen Unternehmen eine an starren Hierarchien orientierte Führungskultur, die nicht selten auf Angst und Druck beruht und Mitarbeitern zu wenig Gestaltungsspielraum und Einfluss erlaubt. Dieser überholte Führungsstil scheitert immer häufiger, berücksichtigt er doch weder die Bedürfnisse von Mitarbeitern und Kunden noch die der Gesellschaft insgesamt. Die sagenhaften Renditeziele, die glorifizierte Topmanager versprachen, lösen sich allzu oft nach wenigen Jahren in Luft auf. Mehr noch: Die falsche Führungskultur, die Mitarbeiter zu Lügen und Manipulationen gezwungen hat, um die überzogenen Zielvereinbarungen zu erfüllen, gefährdet nicht nur die Gesundheit der Mitarbeiter selbst, sondern immer öfter auch das Überleben von Unternehmen.
Eine Führung, die sich an nachhaltigen Zielen orientiert, sieht anders aus. Statt auf überzogene Renditen zu setzen, die auf der Übervorteilung von Marktteilnehmern beruhen – wie wir es im Finanzsektor erlebt haben – und nur kurzfristig Erfolg erzielen, geht es heute ganz im Gegenteil darum, die Kernwerte Vertrauen, Transparenz und Verantwortung – so die Formel eines innovativen Dax-Managers, den wir beraten haben – nicht nur zu predigen, sondern auch zu leben. Der weltweit erfolgreiche Hersteller von medizinischen Produkten, B. Braun, setzt mit seiner Trias Vertrauen, Transparenz, Wertschätzung einen etwas anderen Akzent, der meines Erachtens den Kern zukunftsfähiger Führung noch eher trifft: Wer seine Mitarbeiter wertschätzt, der schafft zugleich die Grundlagen für eine eigenständige Verantwortungsübernahme. Wertschätzung erweist sich – wie wir sehen werden – als Schlüssel für Engagement, Wohlbefinden und Spitzenleistung.
An der Herausforderung, zukunftsfähige Führungsmodelle zu entwickeln und umzusetzen, wird sich in Zeiten schnellen Wandels die Konkurrenzfähigkeit nicht nur unserer Unternehmen, sondern der Gesellschaft insgesamt entscheiden. Demotivierte Mitarbeiter und Bürger hemmen nicht nur den notwendigen Wandel, sondern neigen auch dazu, passiv, destruktiv oder gar krank zu werden und die Gesellschaft zu belasten, anstatt sie voranzubringen. Deshalb sollten wir uns fragen, wie es uns gelingen kann, aus dieser Abwärtsspirale falscher Führungskonzepte und Gratifikationssysteme herauszukommen. Wie Sie sehen werden, gibt es dafür eine Reihe vergleichsweise einfacher Ansätze, deren konsequente Umsetzung einen schrittweisen Richtungswechsel ermöglicht, der in eine sich selbst stabilisierende Aufwärtsspirale mündet und so den Wandel zu einer mitarbeiter- und kundenorientierten Führungskultur ermöglicht, die auch die gesellschaftlichen Anforderungen eines nachhaltigen Wirtschaftens berücksichtigt.
Von zentraler Bedeutung ist dabei die Erkenntnis, dass wir beim anstehenden Generationenwechsel einen Wertewandel erfahren werden, wie nicht zuletzt die Shell-Jugendstudie gezeigt hat. Junge Führungskräfte werden sich immer weniger in fremdbestimmte, gängelnde Führungsmodelle zwängen lassen. Wie die neueste Studie des ADP Research Instituts gezeigt hat, zielen die fünf wichtigsten Bedürfnisse, die die befragten Arbeitnehmer nannten, auf eine neue Führungskultur, die durch die Stichworte Freiheit, Wissen, Sinn, Selbstmanagement und Stabilität umrissen werden kann:
Wie wir noch sehen werden, gibt es mit der Salutogenese, der Selbstbestimmungstheorie, dem Team-Flow und dem Zukunftscode gebündelt im Leadership-Kompass Instrumente, deren konsequente Umsetzung nicht nur dazu führt, diese grundlegenden Bedürfnisse zu erfüllen. Vielmehr tragen diese Instrumente auch dazu bei, das Engagement für das Unternehmen zu erhöhen, für Zielklarheit zu sorgen und eine Aufwärtsspirale zu installieren, von der alle profitieren. Der Schlüssel dafür ist der Aufbau einer Kultur der Anerkennung und die umfassende Praktizierung wertschätzender Führung.
Mancher Leser wird sich jetzt vielleicht fragen, was mich zu der optimistischen Annahme berechtigt, mithilfe wertschätzender Führung ließen sich die Arbeitszufriedenheit und der Unternehmenserfolg wirksam steigern. Wie Sie, liebe Leser, aus Ihrer eigenen Praxis wissen, versagen traditionelle Führungsinstrumente wie Befehl, Druck, Zielvereinbarung, Belohnungen in Form von Geld und Privilegien immer häufiger. Die oben benannten Arbeitnehmerbedürfnisse sind offenbar wichtiger geworden. Überdies zeigt die ökonomische Glücksforschung (Frey & Frey-Marti), dass materielle Anreize ab einem gewissen Schwellenwert nicht zu besseren Leistungen führen, sondern ganz im Gegenteil falsche Orientierungen fördern.
Ich habe zusammen mit meinem Team viele Jahre nicht nur Unternehmen und andere Organisationen, sondern auch Schulen und Bildungseinrichtungen beraten und beim Kulturwandel begleitet. Auf meine Frage, was die Führungskräfte und Mitarbeiter in Bildungseinrichtungen darin hindert, den notwendigen Wandel einzuleiten, erhielt ich meist den Hinweis auf einschränkende Rahmenbedingungen, enge Zielvorgaben und Zeitknappheit. Sind die Rahmenbedingungen wirklich entscheidend? Eine erste Antwort auf diese Frage kann uns für den Bildungsbereich die Schulqualitätsforschung geben, die über ein breites Datenmaterial verfügt. Die Erkenntnisse dieser Studien sind überraschend und geben auch wichtige Hinweise für den Unternehmensbereich. So belegen sie in erdrückender Weise, dass es unter gleichen Rahmenbedingungen Schulen gibt, die sehr gut sind, und Schulen, die versagen. Worin liegt der Unterschied? Brauchen diese Schulen mehr Mittel? Müssen wir die Rahmenbedingungen grundlegend ändern? Brauchen sie andere Mitarbeiter? Die Antwort ist für die uns interessierende Frage nach geeigneten Führungsmodellen von Bedeutung. Sie wird in der nachfolgenden Zusammenfassung einer Untersuchung der Führungspraxis von Schulen aus acht Industriestaaten deutlich:
»While many researchers have looked at differences in school inputs – such as teacher quality, class size and family/pupil characteristics – or variations in the institutional environment – such as pupil choice – few studies explore differences in school management. In this paper we show robust evidence that management practices vary significantly across and within countries and are strongly linked to pupil outcomes. Management seems to matter for schools.« (Bloom et al. 2014, S. 23)
Fazit: Das Führungsverhalten, die Organisationskultur und die Managementpraxis machen den entscheidenden Unterschied.
Diese pointierte Zusammenfassung einer Untersuchung der Gelingensfaktoren erfolgreicher Schulen in acht Staaten umreißt die Kernaussage dieses Kapitels, die auch auf Führungskräfte in Unternehmen übertragbar ist, zumal die Untersuchungen von McKinsey, die ich weiter unten vorstellen werde, zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommen: Auf die Führungskräfte, in diesem Fall die Schulleiter/innen bzw. Schulleitungsteams, kommt es sehr viel stärker an, als uns bisher bewusst ist! »Management Practices« – verstanden als wertschätzende Führungsformate – bestimmen über Engagement, Wohlbefinden und Spitzenleistung. Dies ist eine ermutigende, aber auch herausfordernde Botschaft für alle, die in Führungspositionen tätig sind, sei es im Bildungs- oder im Unternehmensbereich: Auf ihre Art der Führung kommt es an, denn der jeweilige Führungsstil prägt die Unternehmenskultur und beeinflusst das Verhalten und die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter. Nur wenn ein wertschätzender Umgang gepflegt wird und die grundlegenden Arbeitnehmerbedürfnisse angemessen berücksichtigt sind, kann man mit Engagement rechnen. In Zeiten rasanten Wandels, in denen Unternehmen immer mehr zu »Lernenden Organisationen« werden, wie es der MIT-Organisationsforscher Peter Senge schon 1996 ausgedrückt hat, verschwimmen die Grenzen zwischen Produktion und Bildung. Immer mehr Unternehmen müssen Produktion und permanentes Lernen miteinander verbinden. Gefragt ist der hochmotivierte, agile, proaktive Mitarbeiter, der intrinsisch motiviert und befähigt ist, sich selbst und seinen Arbeitsplatz bzw. die jeweilige Anforderung allein oder im Team zu optimieren.
Monotone Arbeitsabläufe gehen in vielen Bereichen zurück. In Zeiten disruptiven Wandels geht es immer häufiger um komplexe Herausforderungen, die nur selten mit Routinen oder hierarchischer Steuerung bewältigt werden können. Es bedarf eines neuen Typs von Mitarbeiter, der fähig ist, eigeninitiativ und weitgehend selbstgesteuert die Herausforderungen im fachübergreifend zusammengesetzten Team kreativ zu bewältigen. Die Ausbildung solcher Führungskräfte wird zum Schlüssel des Erfolgs. Sie müssen in der Lage sein, die grundlegenden Mitarbeiterbedürfnisse so zu berücksichtigen, dass sie zu optimalen Leistungen im Sinne des Unternehmensziels befähigen.
Die wichtigsten Fragen, die am Beginn eines jeden Kulturwandels stehen sollten, der auf optimiertes Führungshandeln abzielt, lauten: Was kommt auf uns zu und was sind die wichtigsten Ziele bei der Entwicklung unseres Unternehmens in den nächsten zehn Jahren? Wie und mit welchen Maßnahmen können wir zukunftsfähig bleiben?
Diese Frage sollten Sie etwa auf der Jahreskonferenz Ihren Führungskräften stellen. Der Blick auf die zu erwartenden Herausforderungen, verbunden mit einer Klärung der Sinn- bzw. Zielfrage, ist der Schlüssel für einen erfolgreichen Change-Prozess. So haben wir, um ein Beispiel zu geben, den Führungskräften eines Dax-Konzerns – anlässlich des Antritts eines neuen Vorstands – nach der gemeinsamen Erarbeitung einer Zukunftslandkarte die Sinnfrage gestellt. Was wurde am häufigsten genannt?
Gemeinsam mit einem Gedankenzeichner entwarfen wir aus den einzelnen Beiträgen ein Zukunftsbild. In dessen Zentrum stand als Symbol für das am häufigsten genannte Ziel: ein prall gefüllter Geldsack. Wie bewertete der neue Vorstand diese Zielbeschreibung seiner Führungskräfte? Ganz offensichtlich versuchten die verunsicherten Mitarbeiter – mit ihrer Prioritätensetzung auf den Unternehmensgewinn – die Erwartungen zu erfüllen, die sie vermuteten und die in der Tradition des hierarchisch geführten Unternehmens begründet waren. Doch wie sich zeigen sollte, lagen sie mit ihren Vermutungen falsch, denn der CEO überraschte sie: »Geld ist doch kein Ziel«, sagte er, »ich will Spaß!«
Man konnte an den Gesichtern der Führungskräfte ablesen, wie sehr sie diese überraschende Äußerung verunsicherte. So etwas hatten sie aus dem Munde eines Vorstands in ihrem Unternehmen noch nicht gehört. Da ging es immer nur um Leistungskennziffern, Zielvereinbarungen und Ähnliches. Aber Spaß?
Wie die anschließende Rede des Vorstands zeigte, stand »Spaß« als Metapher für eine Neuausrichtung des Führungsverhaltens an den Werten Vertrauen, Transparenz und Verantwortung mit dem Ziel, die Energie und Leidenschaft der Mitarbeiter für das Erreichen der Unternehmensziele freizusetzen.
In einer Gesellschaft schnellen Wandels, in der Befehl und Gehorsam immer weniger dazu geeignet sind, eine kreative Problembewältigung zu gewährleisten, müssen Mitarbeiter wissen, warum sie etwas tun, und sie müssen für das Erreichen der Unternehmensziele Energie und Leidenschaft aufbringen, genau das, was laut Gallup in den meisten Unternehmen fehlt und worauf der CEO mit seiner Hervorhebung des »Spaßes« abzielte.
Damit sich Mitarbeiter wohlfühlen und engagieren, müssen sie für ihr Handeln einen weiten Vertrauensspielraum erhalten, über die nötigen Informationen und einen angemessenen Raum für Verantwortungsübernahme verfügen. Das Kriterium »Verantwortung« hat der weltweit tätige Hersteller von Medizinprodukten, B. Braun, in seinem auf drei Werten beruhenden Führungskompass durch »Wertschätzung« ersetzt und damit eine wichtige Akzentverschiebung vorgenommen, denn Wertschätzung fördert auch die Übernahme von Verantwortung. Bei B. Braun ist die wertschätzende Führung in der Unternehmenskultur verankert. Zumindest wird an deren Umsetzung gearbeitet – ein Weg, der durchaus anspruchsvoll und schwierig ist, erfordert er doch die Überwendung tradierter mentaler Modelle.
Der Change-Experte Dirk Lippold (ehemals Geschäftsführer von Cap Gemini) sieht diese Neuorientierung der Führungskultur in engem Zusammenhang mit dem digitalen Wandel, der viele Führungsriegen überfordere, gelinge es ihnen doch nur unzureichend, sich auf die neuen Lebensstile nachfolgender Generationen einzustellen. Die folgende Tabelle fasst diese Lebensstile zusammen:
Sicherlich können Generationen-Typologien nur grobe Verallgemeinerungen sein, dennoch deuten sie Trends an. Wer erfolgreich führen will, sollte solche Trends als Orientierungsmarken nutzen, um sie kritisch in seiner eigenen Arbeitswelt zu überprüfen.
Wie dem auch sei: »Spaß« steht in unserem Zusammenhang als Metapher für sinnerfüllendes Handeln und hängt eng zusammen mit den fünf Kernaufgaben erfolgreicher Führung, die sich nicht nur aus den Unternehmensaufgaben, sondern auch aus den Arbeitnehmerbedürfnissen ergeben. Auf der Berücksichtigung dieser Bedürfnisse und drei zentralen wissenschaftlichen Theorien beruht auch der Leadership-Kompass, den wir weiter unten kennenlernen werden und der Ihnen Orientierung für Ihr Führungshandeln geben wird.
Freiheit ist ein Grundbedürfnis, und Menschen sind zu jedem Opfer bereit, wenn dieses Grundbedürfnis eingeschränkt wird. So hat das amerikanische Militär im Vietnamkrieg zweieinhalbmal so viele Bomben auf das kleine Nordvietnam abgeworfen wie auf ganz Europa im Zweiten Weltkrieg. Und trotzdem haben die Nordvietnamesen auf ihrem Selbstbestimmungsrecht beharrt.
Nelson Mandela, um ein anderes Beispiel zu geben, saß 28 Jahre auf der Gefängnisinsel Robben Island und hielt unbeirrt an seinem Traum fest, die Apartheid abzuschaffen. Am Ende seines Lebens erfüllte er sich diesen Traum und wurde sogar Präsident von Südafrika. Wie konnte ihm dies gelingen, war er doch als mittelloser Gefangener in einer aussichtslosen Lage?
Die Antwort liegt in der Kraft seiner Vision und in der Fähigkeit, daran festzuhalten und sie authentisch zu leben, auch um den Preis existenzieller Bedrohung.
Wie Malcom Gladwell in seinem Buch »Tipping Point« belegt hat, werden große Bewegungen meist von Einzelnen ausgelöst. Allerdings nicht im Sinne eines mit übermächtigen Kräften und Begabungen ausgestatteten einsamen Genies, wie es der Heldenmythos nahelegt, sondern als Kristallisationskern im Feld. Die wirkungsvolle Führungskraft fungiert als eine Art Resonanzkörper für die Bestrebungen des Umfelds. Sie verdichtet in ihrer Person die Wünsche der Beteiligten, bündelt die Unternehmensziele und verkörpert sie. Indem sie in der Lage ist, die Strömungen des jeweiligen Feldes, der Umgebung aufzunehmen und überzeugend zu kommunizieren, kann sie das Phänomen der Gefühlsansteckung nutzen. Gefühlsansteckung meint, dass die Begeisterung, die die Führungskraft für das Erreichen der Unternehmensziele und die Umsetzung ihrer Vision vorlebt, die Mitarbeiter ansteckt, so wie es Nelson Mandela aus dem Gefängnis heraus gelang, in scheinbar aussichtsloser Lage eine Bewegung zu initiieren, die schließlich dazu führte, dass sein Traum Wirklichkeit wurde. So gewann er Anhänger, die ihm aus innerer Einstellung heraus und nicht auf Anweisung folgten. Nun ist dies ein extremes Beispiel, doch die Prinzipien, die hinter diesem erstaunlichen Erfolg standen, wirken auch in unserem Arbeitsalltag, und es kommt darauf an, sie zu nutzen.
So können Führungskräfte, die fähig sind, eine gemeinschaftlich entwickelte Vision authentisch und prägnant zu kommunizieren, auch in scheinbar aussichtsloser Situation Mitarbeiter begeistern und einen Turnaround schaffen, indem sie ein sich selbst organisierendes Resonanzfeld erzeugen, an dem alle freiwillig, bisweilen sogar mit Begeisterung und nicht unter Druck teilnehmen. Wie das funktioniert, habe ich in meiner Theorie des Kreativen Feldes beschrieben. Dort zeige ich anhand von Fallstudien, wie der entstehende »Team-Flow« (Burow 2015) ungeahnte Kräfte freisetzen kann, beruht er doch auf einer Wertschätzung vielfältiger Beiträge, die durch die inspirierende Haltung der Führungskraft auf ein gemeinsames Ziel fokussiert werden. Der Einzelne bringt sich mit seinen Fähigkeiten jedoch nur ein, wenn er nicht nur Anerkennung und die nötigen Informationen erhält, sondern auch über ein ausreichendes Maß an Gestaltungsfreiheit verfügt. In diesem Sinn beschreibt die Trias Vertrauen, Transparenz und Wertschätzung den Weg zum Erfolg: Mitarbeiter, denen vertraut wird, denen alle wesentlichen Informationen zugänglich sind, die sich wertgeschätzt fühlen und die über ein hohes Maß an Gestaltungsfreiheit verfügen, werden alles tun, um die jeweilige Aufgabe oder gar Vision optimal umzusetzen.
Transfer
Überlegen Sie: Mit welchen Maßnahmen können Sie in welchen Bereichen den Freiheits- bzw. Entscheidungsspielraum Ihrer Mitarbeiter erweitern und Vertrauen, Transparenz und Wertschätzung als Führungskultur täglich erlebbar machen?
Mitarbeiter, die agil, selbstbestimmt und proaktiv handeln sollen, brauchen dafür umfassendes Wissen. Wissen ist mehr als Information. Wissen ist bewertete Information. Es geht also darum, dass das Topmanagement – soweit möglich und aufgabenbezogen notwendig – sein Insiderwissen bzw. sein Know-how mit den Führungskräften teilt, um diese in die Lage zu versetzen, wissensbasiert und eigenverantwortlich zu handeln. In der sich entwickelnden neuen Sharing-Ökonomie, wie sie der Futurologe Jeremy Rifkin (2016) detailliert beschrieben hat, wird die Fähigkeit Wissen zu teilen zum Wettbewerbsvorteil. Umfassende Transparenz und das Teilen von Wissen sind nicht nur wichtig für kompetentes Handeln, sondern werden auch als Wertschätzung erfahren und tragen deshalb zu Engagement und guten Leistungen bei.
Neben unternehmensinternen Wissensdatenbanken und Kommunikationsforen gehören regelmäßige Mitarbeitergespräche, Führungskonferenzen und Formate der systematischen und kontinuierlichen Mitarbeiterbeteiligung dazu. Unterstützend sind ferner Formate der partizipativen Zukunftsmoderation (Burow 2015) wie z. B. Zukunftswerkstätten, Future Search Conferences, World Café, Open Space, Barcamps, Real Time Strategic Chance (RTSC), Inspiration Days (Burow & Gottschalk 2017) und Kollegiales Teamcoaching (KTC) (Burow 2015). Die Erfolgsformel lautet: »Ich bin gut – wir sind besser« (Burow 2000). Dabei müssen diese Verfahren kontextbezogen und aufgabengemäß zugespitzt werden, damit sie als echte Bereicherung und nicht als folgenlose Spielerei begriffen werden.
In Zeiten des Internet und der Digitalisierung wächst paradoxerweise die Bedeutung realer Begegnung und Interaktion. Wissensteilung bedarf offener Formate, die auch einen informellen Austausch ermöglichen. Expertenvorträge sind zwar wichtig, reichen aber nicht aus. Wie eine Befragung von McKinsey gezeigt hat, halten ca. 70 Prozent der Führungskräfte den informellen, wertschätzenden Austausch mit Kolleginnen und Kollegen für die wichtigste Wissensquelle.
Transfer
Mit welchen Maßnahmen und mit welchen neuen Führungs- bzw. Veranstaltungsformaten können Sie die Netzwerkbildung, den Wissensfluss und den Wissenstransfer in Ihrem Unternehmen erweitern?
Mitarbeiter, die wissen, warum sie etwas tun, sind motivierter und liefern bessere Ergebnisse. Die Zeiten, in denen man mit unhinterfragten Zielvereinbarungen führte, gehen zu Ende. Dank Digitalisierung und Internet sind viele Mitarbeiter umfassend informiert. Sie wissen um die Probleme der Welt, etwa des Klimawandels und der Übernutzung unserer natürlichen Ressourcen. Immer mehr hinterfragen den Sinn ihrer Arbeit und wehren sich gegen fragwürdige Zielvereinbarungen. Sie wollen in der Arbeit nicht nur ihr Potenzial entfalten und weiterentwickeln, sondern auch etwas für die Erhaltung einer lebens- und zukunftsfähigen Umwelt tun. Auch das Bedürfnis nach Work-Life-Balance tritt immer stärker in den Vordergrund.
So brach, um ein Beispiel zu geben, in einem Teamentwicklungsworkshop, den ich vor einiger Zeit mit Entwicklern von Autoelektronik durchführte, plötzlich die allgemeine Unzufriedenheit mit den überzogenen leistungsoptimierten Arbeitsansprüchen durch. Statt an der Umsetzung der Unternehmensziele zu arbeiten, diskutierten die Ingenieure Versetzungs- bzw. Fluchtstrategien.
Einer meiner Doktoranden, der der Star des Verkäuferteams eines bekannten Herstellers von Pharmaprodukten ist, untersucht alternative Motivationssysteme, denn er hat an sich entdeckt, wie ihn das einseitig umsatzorientierte Belohnungssystem mit dem inhärenten Zwang zu permanenter Ergebnissteigerung allmählich ausbrennen lässt. Und nicht nur ihn: Obwohl die Mitarbeiter seiner Firma hochbezahlt sind und viel Freiraum haben, weisen sie den höchsten Krankenstand der Branche auf. Offensichtlich reicht die Bezahlung nicht aus – es fehlt die Erfahrung von Sinn.
Dies ist keine neue Einsicht. So hat der Begründer der Logotherapie, Viktor Frankl, Überlebender eines Konzentrationslagers, beobachtet, dass die Bewältigungsmöglichkeiten derjenigen Häftlinge, die ihrem Aufenthalt einen Sinn beimessen konnten – sei er religiöser, politischer oder sonstiger Art –, sehr viel höher waren als derjenigen, die keinen Sinn in ihrem Dasein sahen. Ein prall gefüllter Geldsack, wie ihn die Mitarbeiter als Unternehmensziel betrachteten, ist kein Ersatz für Sinn. Die Logotherapie sieht denn auch das Entdecken bzw. die Herausarbeitung des eigenen Sinns am Leben und in der Arbeit als Schlüssel für Engagement, Wohlbefinden und gute Leistung.
Wenn Arbeit einen großen Teil unseres Lebens einnimmt, dann ist es von zentraler Bedeutung, dass wir sie als sinnvoll wahrnehmen und unser Tun als Beitrag zu einem größeren Ganzen sehen.
Transfer
Überlegen Sie: Was ist der Sinn Ihres Unternehmens? Welchen Beitrag leisten Sie zu welchem größeren Ganzen? Wie können Sie die Mitarbeiter daran beteiligen, den Sinn ihres Unternehmens insgesamt und ihrer Arbeit im Besonderen zu entwickeln?
Im Jahr 1993 erregte Ricardo Semler, Manager des brasilianischen Maschinenbauunternehmens Semco SA, Aufsehen durch sein neues Führungsmodell, das er in seinem Buch »Das Semco-System – Management ohne Manager« vorstellte und das vom Wall Street Journal als wegweisend bezeichnet wurde. Was war an Semlers Führungssystem so zukunftsträchtig?
Semler hatte die Firma als junger Mann von seinem Vater übernommen und sie zunächst traditionell geführt. Dieses Modell mündete in einen 18-Stunden-Tag, sodass er schon bald völlig überarbeitet war. Eines Tages warnte ihn ein Arzt: »Wenn Sie mit diesem dominanten Führungsstil so weitermachen, erleiden Sie bald einen Herzinfarkt!«
Die Warnung schockierte ihn so sehr, dass er begann, über sein Führungssystem nachzudenken, wobei ihm ein Zufall zu Hilfe kam: Als er die Anforderung bekam, eine größere Menge Aktenordner zu bestellen, durchzuckte ihn eine Erkenntnis: Offenbar nahm die Bürokratie in seinem Unternehmen so sehr überhand, dass sie den Arbeitsfluss lähmte. Kurzentschlossen gab er seinen Mitarbeitern einen Tag frei und forderte sie auf, in eigener Entscheidung alles wegzuwerfen, was sie nicht brauchten, mit dem Ergebnis, dass die Bestellung hinfällig wurde. Dies war der Beginn einer umfassenden Demokratisierung seines Unternehmens, in dem er von nun an gezielt die Fähigkeiten zum Selbstmanagement förderte. Empowerment der Mitarbeiter und Teams, Job-Rotation, Job-Enlargement und Job-Enrichment sind einige Elemente des neuen Kurses, der auf umfassende Partizipation statt Hierarchien setzte.
Diese Methoden, die Semler in seinem Buch praxisnah beschreibt, führten innerhalb von sechs Jahren nicht nur zu einer Verdreifachung des Umsatzes, sondern bescherten ihm auch viel Freizeit, denn er musste sich nicht mehr um alle Belange kümmern. Darüber hinaus wurde er Manager des Jahres und Vorbild für viele Leader. Aus heutiger Sicht wird klar: Er war seiner Zeit um Jahre voraus. Denn in Zeiten disruptiven Wandels ist immer öfter der eigenständig agierende, agile, proaktive Mitarbeiter gefordert. Gelebtes Vertrauen, praktizierte Transparenz und gelebte Wertschätzung unterstützen die Mitarbeiter darin, Selbstmanagement zu praktizieren.
Allerdings muss man sich darüber klar werden, dass es hier um einen grundlegenden Verhaltenswandel geht, der nur möglich ist, wenn die Mitarbeiter ihre traditions- und routinegebundenen mentalen Modelle und die verbreitete »Immunity to Change« überwinden, den Widerstand gegen Wandel, wie ihn Kegan und Laskow-Lahey (2009) beschrieben haben. Dies ist ein schwieriger, zeitaufwendiger und trainingsintensiver Prozess, der nur gelingt, wenn das Topmanagement selbst bereit ist, seine mentalen Modelle im Sinne der »Lernenden Organisation« Peter Senges (1996) zu verändern und die neue Haltung wertschätzender, partizipativer Führung überzeugend vorzuleben.
Die Wirtschaftsprofessoren Arnd Gottschalk und Michael Freiboth haben hierzu mit mir ein »After-Work-Training« konzipiert, in dem die Führungskräfte in kompakten Lektionen und anhand von Übungen an ihrer Weiterentwicklung arbeiten. Hier ist das Instrument des »Kollegialen Teamcoachings« (KTC) ein wichtiges Hilfsmittel: In Fünferteams beraten sich die Kollegen im Sinne eines Peercoachings gegenseitig bei der Lösung von Problemen, wobei die Rollen wechseln und jeder einmal Problemgeber, Coach, Protokollant und Prozessbeobachter ist. Dabei werden gleichzeitig Netzwerke gebildet, Probleme bearbeitet und Selbstmanagementfähigkeiten trainiert. Entscheidend ist, dass die Mitarbeiter sich nicht auf die Leitung eines externen Coachs stützen, sondern selbst Verantwortung übernehmen, gemeinsam Probleme lösen und Unterstützung leisten, sodass sie in diesem Prozess nach und nach ihre anerzogene Führungsbedürftigkeit aufgeben und selbst Coaching-Fähigkeiten entwickeln.
Transfer
Mit welchen Verfahren, Trainings und Maßnahmen können Sie in Ihrem Unternehmen die Fähigkeiten zum Selbstmanagement und Peer-Coaching fördern und belohnen?
In Zeiten disruptiven Wandels müssen die Mitarbeiter sicher sein, dass sie nicht ausgeschieden werden, sondern eine attraktive Job- und Entwicklungsperspektive haben. Zwar können immer seltener der konkrete Arbeitsplatz und die jeweilige Aufgabe garantiert werden, wohl aber kann man über kontinuierliche Qualifizierungsmaßnahmen die Employability der Mitarbeiter sichern. Unternehmen, die schnellen Wandel, Agilität und flexible Anpassung erwarten, sind in der Verantwortung, ihren Mitarbeitern Angebote zu machen, die es ihnen ermöglichen, ihr Potenzial so zu entfalten, dass sie den sich wechselnden Anforderungen gewachsen sind. Unternehmen wandeln sich in diesem Prozess immer mehr zu Bildungsanstalten, die Produktion, Organisation und Lernen auf neuartige Weise miteinander verknüpfen.
Wenn Mitarbeiter das Gefühl haben, dass sie nur Verfügungsmasse sind und bei der nächsten Reorganisation ihren Arbeitsplatz verlieren könnten, werden sie weder Wohlbefinden erfahren noch Engagement zeigen und deshalb ihre Leistung deutlich herunterfahren, wie der eingangs zitierte Gallup-Engagement-Index in bedrückender Weise belegt.
Sollten aufgrund der Digitalisierung tatsächlich immer mehr Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz verlieren (die Experten streiten sich noch über die Auswirkungen), dann könnte das vom DM-Gründer Götz Werner propagierte bedingungslose Grundeinkommen einen Ausweg bieten. Immerhin hat Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWH), in seiner Studie »Radikal Gerecht« (2017) die Machbarkeit dieses Ansatzes auf wissenschaftlicher Basis demonstriert. Derzeit zeichnet sich allerdings für die Umsetzung dieser Idee noch keine Mehrheit ab. Deshalb könnte ein unternehmensübergreifendes Qualifizierungssystem, das permanent neue Beschäftigungsmöglichkeiten erschließt, die an den Fortschritt angepasst sind, eine Möglichkeit sein, die Folgen der Digitalisierung nicht nur abzupuffern, sondern auch Beschäftigungsalternativen zu eröffnen. Unternehmen benötigen also ein neuartiges Personalentwicklungsinstrument, das ich mit dem Terminus »Employability Forecasting« bezeichnen möchte. Employability Forecasting ist praktizierte Wertschätzung, zeugt es doch von der Verantwortlichkeit eines Unternehmens, dass es nicht nur seine Zukunftsfähigkeit, sondern auch die seiner Mitarbeiter sichert.
Wer Spitzenleistungen erzielen möchte, muss für eine optimale Passung zwischen Fähigkeiten, Neigungen und Anforderungen sorgen. Wie der britische Kreativitätsforscher Sir Ken Robinson in seinen TED-Vorträgen deutlich macht, geht es darum, sein »Element« zu finden. Nur wer in seinem Element ist, wird über sich hinauswachsen. Das wusste auch schon Wilhelm von Humboldt, dessen Erkenntnis ich nicht von ungefähr als Motto diesem Buch vorangestellt habe.
Wer sein Element gefunden hat und es an seinem Arbeitsplatz entwickeln und ausüben kann, der steigert sein Selbstbewusstsein und seine Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, der erfährt Stabilität. Mehr noch: John Dewey, der große amerikanische Philosoph und Begründer der Projektmethode, formulierte 1930: »Herauszufinden, wozu man sich eignet, und eine Gelegenheit zu finden, dies zu tun, ist der Schlüssel zum Glücklichsein.«
Nun ist es nicht die vordringliche Aufgabe von Unternehmen, für das Glück ihrer Mitarbeiter zu sorgen, doch Wohlbefinden ist, wie die ökonomische Glücksforschung belegt hat (Frey & Frey-Mart 2010), eine Voraussetzung für Engagement und Spitzenleistung. Nicht von ungefähr widmete die Zeitschrift für Führung und Organisation ein ganzes Heft der Frage: »Glück – ein Organisationsthema?« (ZFO 1/2017). Hier wurden empirische Studien vorgestellt, die einen deutlichen Motivationsschub durch Sinnstiftung belegen. Insofern unterstützen wertschätzende Führungskräfte ihre Mitarbeiter darin, einen Arbeitsplatz zu finden, der zu ihren spezifischen Voraussetzungen passt und der ihnen die Erfahrung von Sinn und Selbstwirksamkeit ermöglicht. Wie dies praktisch gehen kann, werden wir weiter unten anhand des Gallup Strengthsfinders sehen, einem internetbasierten Fragebogeninstrument, mit dessen Hilfe Sie Ihre Stärken und die Ihrer Mitarbeiter identifizieren können.
Transfer
Mit welchen Maßnahmen können Sie den Mitarbeitern in Unternehmen das Gefühl von Stabilität vermitteln, dafür sorgen, dass sie am »richtigen Platz« sind, und ihre Employability durch ein an Forecasting orientiertes Qualifizierungssystem sichern?