Christiane Schnell, Sabine Pfeiffer, Roland Hardenberg (Hg.)
Gutes Arbeiten im digitalen Zeitalter
Campus Verlag Frankfurt /
New York
Über das Buch
Was bedeutet »Gutes Arbeiten« in einer Zeit, in der angesichts der fortschreitenden Digitalisierung die Grenze zwischen Arbeit und Leben verschwimmt? Der Band vereint Beiträge, die sich mit den gegenwärtigen technologischen Innovationen und ihren sozialen, ökonomischen und politischen Folgen befassen. Für die Bereiche Soziologie, Philosophie, Ethnologie, Psychologie und Medienwissenschaften zeigt er Herausforderungen auf, die mit der Digitalisierung von Arbeit einhergehen, er stellt aber auch neue Gestaltungsansätze vor. Im Zentrum steht die Frage, welche normativen Herausforderungen die digitale Transformation mit sich bringt.
Vita
Christiane Schnell ist Wissenschaftlerin am Institut für Sozialforschung an der Goethe-Universität, Frankfurt a.M. Sabine Pfeiffer ist Professorin für Soziologie an der Universität Erlangen-Nürnberg. Roland Hardenberg ist Professor für Sozial- und Kulturanthropologie an der Goethe-Universität, Frankfurt a.M.
Birgitta Wolff: Vorwort
Jörg Hofmann: Vorwort
Christiane Schnell: Einleitung
I Gutes Arbeiten
Hartmut Hirsch-Kreinsen: Gestaltungsprojekt »Digitale Arbeit«
Einleitung
Unbestimmtes Verhältnis von Technik und Arbeit
Vielstufige Innovationsprozesse
Kein Technikdeterminismus
Technologieschub in Grenzen
Pfadabhängigkeit der digitalen Transformation
Marginaler Wandel von Organisations- und Arbeitsstrukturen
Hohe Bedeutung von Erfahrungswissen
Gestaltungsoptionen für Arbeit
Multifunktionale digitale Technologien
Gestaltungskriterien
Mensch-Maschine-Interaktion
Ganzheitliche Arbeitsorganisation
Dezentrale Organisationssegmente
Unverzichtbare Rahmenbedingungen
Literatur
Roland Hardenberg: Arbeit als Daseinsgestaltung. Ethnologische Perspektiven auf Mensch-Ding-Beziehungen und soziokosmische Felder
Einleitung
Arbeit als Dienst im Tempel: Das indische karma-Konzept
Arbeit, Opfer und Krankheit: Schwendbau im indischen Hochland
Ritualökonomie und soziokosmische Felder
Arbeit als Performanz
Die Wirksamkeit der Dinge
Arbeit als Daseinsgestaltung
Digitale Medien, Arbeit und Daseinsgestaltung
Fazit: »Things are never equal«
Literatur
Axel Honneth: Arbeit im digitalen Zeitalter. Normative Herausforderungen in unübersichtlichen Zeiten
I.
II.
III.
Literatur
II Algorithmische Steuerung
Hartmut Wessler: Internetkonzerne und algorithmische Fantasie. Wie algorithmische Systeme die öffentliche Kommunikation verändern und wie Alternativen entwickelt werden können
Arbeit an und Arbeit von Algorithmen
Algorithmen in der öffentlichen Kommunikation
Die algorithmischen Systeme der Internetkonzerne
Abschied von Blackboxing und »nachlaufender Aufräumarbeit«
Konstruktive Auseinandersetzung als alternativer Leitwert für öffentliche Kommunikation
Anforderungen an einen DebateEnhancer-Algorithmus
Das »Online Constructive Engagement Lab« als neues Format der kritischen Algorithmenarbeit
Literatur
Vera King, Benigna Gerisch, Julia Schreiber, Diana Lindner, Pia Lodtka, Micha Schlichting & Maike Stenger: Zum Sinn der Zahl in digitalen Lebens- und Arbeitswelten. Ambivalente Bedeutungen des Messens und Vergleichens
Zäsuren: Digitale Transformationen der Moderne
Brüche, Kontinuitäten, neue Muster: Was bewirkt digitale Transparenz?
Das vermessene Leben und seine psychosozialen Folgen
Körper- und Selftracking – »Die Uhr sieht halt, wie viele Schritte ich gehe«
Social-Media-Tracking – »Standard-« und »Standort«-Bestimmungen
Übergänge: Social-Media-Arbeit – Arbeit mit digitalen Techniken
Ambivalenzen des Zählens und Messens in Organisationen
Fazit
Literatur
Philipp Staab: Algorithmisches Management als Leitmotiv der Digitalisierung der Arbeit?
Was ist algorithmisches Management?
Tracking und Feedback
Interfaces und behavioristische Steuerungsversuche
Ratings und Selektionen
Kann algorithmisches Management ein neues Leitmotiv der Arbeitskontrolle sein?
Literatur
III Brüche und Kontinuitäten
Florian Butollo: Deglobalisierung? Auswirkungen der Digitalisierung auf die internationale Arbeitsteilung
Automatisierung und Lohnkostendifferenz
Produktionsstandorte in der Nähe zu den KundInnen
Logistik 4.0 als Globalisierungstreiber
Ausblick: Die Corona-Krise als Katalysator?
Literatur
Hans Peter Hahn: »Mobile Margins«. Grenzen des Mobilen und mobile Grenzen
Einführung: Handys – Die Geschichte einer Euphorie
Euphorische Prognosen aus der Ökonomie
Soziale und kulturelle Einbettung
Schluss: Für eine sensible Abwägung der Effekte digitaler Kommunikation auf gesellschaftlichen Wandel
Literatur
Wilhelm Bauer, Udo-Ernst Haner & Josephine Hofmann: Disruption der Arbeitswelt. Wie die Pandemie unsere Arbeitswelt verändert
Eine Welt in Turbulenzen
Die Pandemie als Brennglas und Beschleuniger
Technologie als Chance und Resilienz als Wertbeitrag
Arbeiten im Homeoffice vor und in der Pandemie
Wirkungen in Bezug auf Zufriedenheit, Produktivität, Entgrenzung
Thesen zur Veränderungsfähigkeit unserer Arbeitswelt
Auf dem Weg zur hybriden Arbeitswelt
Literatur
Ulrich Jürgens: Sie schreitet voran. Ein Jahrhundertblick auf die Automatisierung in der Automobilindustrie
Einleitung
Auf dem Weg zur Vollautomatisierung
Montagearbeit als Bastion manueller Produktion
Folgen für Beschäftigung und Tätigkeitsstrukturen
Schlussfolgerungen
Literatur
IV Arbeits- und Sozialpolitik
Fabian Langenbruch: Digitalisierung und Arbeitswelt. Wie aus technologischen Innovationen sozialer Fortschritt werden kann
Wandel ist immer. Und immer neu. – Das Neue an der digitalen Transformation
Ein Ende der Arbeit ist nicht in Sicht – Projektionen und Szenarien der zukünftigen Arbeitswelt
Nicht ob, sondern wie verändert Digitalisierung die Arbeitswelt – Ebenen der digitalen Transformation in der Arbeitswelt
Aus technologischem sozialen Fortschritt machen – Handlungsbedarfe, Antworten und Fragen aus Sicht des BMAS
Künstliche Intelligenz – Maßnahmen für einen menschenzentrierten Ansatz
Plattformarbeit – Auch »neue Arbeit« muss faire Arbeit sein
Fachkräftesicherung und Qualifizierung – Eine neue Weiterbildungskultur ist notwendig
Vernetzung und Wissenstransfer – Auch digitale Arbeit muss gute Arbeit sein
Institutionelle Ansätze im BMAS
Literatur
Mathias Möreke: Mit qualifizierter Mitbestimmung Transformationsprozesse gestalten und gute Arbeit sichern
Einleitung
Das VW-Werk Braunschweig
Der Zukunftspakt
Die Transformationserfahrungen am Standort Braunschweig
Qualifizierung und Veränderungsmanagement in der Transformation
Fazit
Literatur
Marius R. Busemeyer: Die Zukunft des Sozialstaats im digitalen Zeitalter. Herausforderungen und Reformpotenziale
Einleitung und Hintergrund
Technologischer Wandel im Zeitalter der Digitalisierung
Auswirkungen des technologischen Wandels auf politische Prozesse
Auswirkungen des technologischen Wandels auf sozialpolitische Inhalte
Fazit: Zur Zukunft des Sozialstaats im digitalen Zeitalter
Literatur
Birgitta Wolff
Seit 2010 ist das Verhältnis Rechner (einschließlich aller Mobilgeräte) zu Mensch sechs zu eins, schreibt Stefan Klein im Zeit-Magazin. Die Rechner sind also in der Überzahl. Und sie werden immer intelligenter. Kein Wunder, dass allmählich auch der Letzte merkt: Irgendetwas wird anders und zwar deutlich. Damit es den Menschen nicht so geht wie Goethes Zauberlehrling, der Opfer des von ihm selbst belebten Besens zu werden drohte, so Klein, müsse der Mensch kreativ denken. Da wird zum einen eine neue Innovations- und Wagniskultur gefordert – so auf dem Forschungsgipfel 2017 –, zum anderen ist aber auch klar: Technik muss dem Menschen dienen, nicht umgekehrt! Die Technikeuphorie, die manche in Wissenschaft und Wirtschaft für das Neue hegen, ist genau das, was andere als Bedrohung empfinden: Die Digitalisierung kommt für viele als alles mitreißende Revolution daher – mit einer Reihe fragwürdiger Begleiterscheinungen. Nicht jede und jeder kann das Neue mittels Trial-and-Error selbst erproben; es entfaltet unmittelbare Wirkung, sogar Macht über uns alle. So haben Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee, höchst angesehene Digitalisierungs- und KI-Forscher, vor einigen Jahren geschrieben, dass KI zwar nicht Menschen, zum Beispiel Manager, verdränge, aber doch solche, die KI nicht nutzen. Eine Wahl bleibt da wohl nicht. Andererseits steckt in dieser Aussage auch etwas Tröstliches: Wir können die Nutzung gestalten. So hat sich beispielsweise auch im Hightech-Forum der Bundesregierung der Diskurs deutlich weiterentwickelt: Technik ist nicht mehr nur ein Thema für Technikerinnen. Viel mehr als früher geht es inzwischen auch um soziale Innovationen und soziale Aspekte von Innovation. Der Diskurs ist integrativer geworden: Im Forum selbst diskutieren heute mehr Frauen und Männer aus nicht-technischen Disziplinen mit und – das ist wirklich innovativ – es gibt diverse Formate breiter Partizipation weit über den Kreis der Mitglieder des Hightech-Forums hinaus – übrigens von corona-kompatiblen digitalen Kommunikationsinstrumenten durchaus neu geprägt. Partizipation wird als Schlüssel nicht nur zur Akzeptanz neuer Technik, sondern zu gemeinsamer Gestaltung gesehen! Ist das, was sich im Diskurs auf der Makroebene miterleben lässt, vielleicht eine Blaupause auch für die betriebliche Praxis?
Was bedeutet der digitale Wandel für uns als Einzelne, als arbeitende Menschen in den unterschiedlichen Betrieben und Organisationen? Das ist die Leitfrage der Konferenz »Zukunft der Arbeit – gute Arbeit und gutes Arbeitsleben im digitalen Zeitalter«, die im Januar 2020 stattfand und als Grundlage für diesen Sammelband dient: Gerade weil die Digitalisierung sich durch ihre flächendeckende Verbreitung in alle Bereiche der Gesellschaft nicht mehr gegenüber allen beweisen muss, sondern einfach »da« ist und mit Macht weiter vordringt, ist es wichtig, die bereits beobachtbaren und die absehbaren Veränderungen zu verstehen und aktiv Gestaltungsvorschläge zu formulieren.
Eine Universität ist ein guter Ort für diesen Diskurs: Vor allem wenn wir uns darüber einig sind, dass auch technologische Neuerungen keineswegs nur etwas für Technikerinnen sind, brauchen wir zum Denken und Gestalten disziplinäre Vielfalt, auch der Geistes- und Sozialwissenschaften. Wir brauchen eine Vielfalt der Perspektiven, in jeder Hinsicht. Viele technische Innovationen wurden erst dadurch wirksam, dass sie auch in der Breite angenommen und gelebt wurden, dass sie auch zu sozialen Innovationen geführt haben. Denken wir an das Mobiltelefon, das nicht nur das Telefonieren, sondern individuelle und soziale Lebenspraktiken verändert hat und weiter verändern wird – von Arbeits- und Freizeitprozessen bis hin zur Verschreibungsfähigkeit medizinischer Apps. Oder erinnern wir uns an den Schritt vom Waschbrett zur Waschmaschine: Nicht die Maschine war das Sensationelle, sondern die durch sie induzierte Veränderung im Leben von Frauen: Auf einmal gab es auch Zeit für anderes, als die Hemdkragen der Gatten zu rubbeln. Und das war nicht einmal eine digitale Revolution. Was also kann KI alles auslösen? Und wie wollen wir damit umgehen?
Ausbildung und tägliche Arbeit sind wesentliche Faktoren unserer Selbstwahrnehmung, der Selbstwirksamkeit, des Selbstwertgefühls. Deshalb müssen wir uns fragen: Wie verhalten sich natürliche und künstliche Intelligenz zueinander? Wie verändert Digitalisierung unsere Arbeit – und mit ihr die Ausbildung und Bildung? Geht es letztlich nur noch um die Schnelligkeit, mit der wir Informationen verarbeiten, die Findigkeit, mit der wir die benötigte Information aus dem Netz ziehen, die Fähigkeit, mit der wir die Informationen zu etwas Neuem vernetzen? Wie organisieren wir Arbeit? Wie wird künftige Arbeit aussehen; was genau wird Arbeit in Zukunft als »gut« definieren? Gut für wen? Und was bedeutet Nachhaltigkeit in diesem Kontext?
Mein Dank gilt Rainer Gröbel vom House of Labour und der IG Metall und den Initiatorinnen der oben erwähnten Konferenz. Auch der Joachim Herz Stiftung und der ProLife Stiftung Frankfurt am Main sei gedankt für die Unterstützung. Ich freue mich, dass wir die Konferenz gemeinsam an der Goethe-Universität Frankfurt am Main durchführen konnten; geografisch genau zwischen House of Labour und House of Finance und ganz nah an der Ethnologie, die sich besonders in die Debatte einbringt, ebenso wie starke Stimmen aus der Welt der Gewerkschaften. Gemeinsam nehmen wir die Gestaltungsaufgabe an!
Prof. Dr. Birgitta Wolff, Goethe-Universität Frankfurt am Main
Jörg Hofmann
Wir befinden uns mitten in einer Transformation, die – bedingt durch einen sich weltweit beschleunigenden technologischen Wandel – in den nächsten Jahren und Jahrzehnten weitreichende Umbrüche in Ökonomie, Industrie und Gesellschaft herbeiführen wird. Die gute Nachricht: Trotz Automatisierung wird uns die Arbeit auch in Zukunft nicht ausgehen. Aber es wird andere Arbeit sein. Die Arbeitswelt wird sich grundlegend wandeln – und mit ihr ganze Wertschöpfungsketten, Geschäftsmodelle sowie Qualifikations- und Tätigkeitsprofile. 20 Jahre in die Zukunft geschaut, werden wir wohl wenig von unserer heutigen vertrauten Arbeitswelt wiedererkennen. Neue Akteure und Akteurinnen treten auf den Markt, Unternehmen organisieren sich neu – oder verschwinden ganz.
Wir wissen: Dieser Wandel ist gestaltbar und bedarf auch der gewerkschaftlichen Gestaltungskraft. Denn es ist nicht die erste Automatisierungswelle in den Betrieben, die wir erleben: Die Entstehung des Industriekapitalismus und der Massenproduktion waren grundlegende Transformationen und jetzt sind wir wieder an einer Schwelle, an der sich unsere Art zu wirtschaften grundlegend ändert. Aber zum ersten Mal erzwingen mit der voranschreitenden Digitalisierung, Dekarbonisierung und Globalisierung gleichzeitig mehrere Treiber solch tiefgreifende Umbrüche. Und gerade in den letzten Jahren erhöhte sich der Druck noch einmal durch mehr Klimaregulation, zunehmende globale Handelskonflikte und wachsende Verteilungsungerechtigkeit.
Der Strukturwandel bedeutet für die Beschäftigten also große Veränderungen und eine enorme Unsicherheit über die Zukunft ihres Betriebs und damit ihres Arbeitsplatzes. Verliere ich meinen Arbeitsplatz? Muss ich den Beruf wechseln? Und entspricht dieser auch meiner Qualifikation? Wie werden sich die Arbeitsabläufe im Betrieb verändern? All das sind in diesem Zusammenhang aufkommende Befürchtungen der Betroffenen. Hinzu kommt: Wo neue Beschäftigung entsteht, sind das häufig prekäre und schlecht bezahlte Arbeitsverhältnisse jenseits von betrieblicher Mitbestimmung und Tarifbindung.
Daraus resultieren drängende gesellschafts- und gewerkschaftspolitische Zukunftsfragen, auf die wir Antworten finden müssen – auch als Gewerkschaften. Die digitale Transformation darf kein Vorwand, sondern muss vielmehr Anlass sein, auch in Zukunft für sichere, gerechte und selbstbestimmte Arbeit auf der Grundlage von Tarifverträgen und Mitbestimmung zu kämpfen. Das ist der Anspruch der IG Metall.
Wir wissen durch unseren Transformationsatlas, dass aktuell viele Unternehmen auf die Digitalisierung und Herausforderungen der Transformation nicht ausreichend vorbereitet sind: Weder existiert in der Vielzahl der Betriebe eine Strategie für die Bewältigung der Transformation noch findet eine strategische Personalentwicklung statt. Stattdessen bestehen große Defizite in den betrieblichen Qualifizierungsstrategien. Auf der Strecke bleiben dabei die Beschäftigten. Wir packen die digitale Transformation deshalb selbstbewusst an, damit aus technischem Fortschritt auch sozialer Fortschritt wird. Das Ziel muss die langfristige Sicherung von Beschäftigung an den betroffenen Standorten sein. Die Voraussetzung dafür ist Gestaltungsmacht im Betrieb. Der Betrieb ist der zentrale Handlungsort, um ökonomischen und politischen Druck zu erzeugen. Und ein starker Betriebsrat mit einem starken tarifvertraglichen Netz ist die wesentliche Grundvoraussetzung zur Gestaltung der Digitalisierung im Sinne der Beschäftigten.
In diesen Veränderungsprozessen sind die Beschäftigten systematisch einzubeziehen. Denn wir wissen: Die Chancen der Digitalisierung lassen sich vor allem dann nutzen, wenn wir auf die frühzeitige Mitsprache der Beschäftigten setzen. Beteiligung schafft Legitimation für gemeinsames Handeln, generiert neue Ideen und Vorschläge und nimmt Ängste vor drohenden Veränderungen. Eine starke Mitbestimmung steht für gelebte Beteiligung im Betrieb.
Angesichts der engen Verflechtung der Betriebe in die Wertschöpfungsketten der Industrie ist das eine eminent herausfordernde Aufgabe für Politik und Sozialpartner. Anstelle von Ausstiegsmodellen wie bei Kohle und Atom oder disruptiven Technologiesprüngen braucht es stabile Brücken für die Beschäftigten in der Transformation. Konzepte der Arbeitszeitreduzierung bei gleichzeitigem Anspruch auf Qualifizierung, wie von der IG Metall vorgeschlagen, sind solche Brücken hin zu einer sozialökologischen Transformation der Arbeitswelt, die ohne einschneidende Wohlstandsverluste und Massenarbeitslosigkeit auskommt. Deshalb werden sie auch von der großen Mehrheit der Beschäftigten geteilt, wie unsere Beschäftigtenbefragung unter rund 250.000 Beschäftigten belegt.
Die Corona-Pandemie hat ein historisches Zeitfenster geöffnet, die Transformation aktiv zu gestalten. Das Zeitfenster wird aber nicht lange offenbleiben und kann in zwei radikal gegensätzliche Richtungen kippen: Entweder erleben wir den von vielen reaktionären Kräften herbeigesehnten Rollback in Wirtschaft und Gesellschaft. Oder wir nutzen gemeinsam mit anderen politischen und zivilgesellschaftlichen Kräften die sich bietende Chance für eine mutige Transformationspolitik, die unsere Gesellschaft sozial, ökologisch und demokratisch gestaltet und damit wirklich zukunftsfähig macht. Wir wollen die Transformation in die digitale Arbeitswelt so gestalten, dass die Beschäftigten mitgenommen werden. Damit dies gelingt, sind Betriebs-, Tarif- und Gesellschaftspolitik darauf auszurichten.
Auf der Tagung »Zukunft der Arbeit – gute Arbeit und gutes Arbeitsleben im digitalen Zeitalter«, die 2020 in Zusammenarbeit mit dem House of Labour und der Goethe-Universität Frankfurt am Main und mit freundlicher Unterstützung der Joachim Herz Stiftung und der ProLife Stiftung Frankfurt stattfand, haben wir diese wichtigen Fragestellungen aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Blickwinkeln beleuchtet und ich begrüße sehr, dass diese wichtige Debatte nun in diesem Band seine Fortsetzung findet.
Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender IG Metall
Christiane Schnell
Als im Januar 2020 an der Goethe-Universität Frankfurt am Main die Konferenz »Zukunft der Arbeit – gute Arbeit und gutes Arbeitsleben im digitalen Zeitalter« für das neu eröffnete House of Labour abgehalten wurde, war nicht absehbar, dass zwei Monate später die pandemische Verbreitung des neuen SARS-CoV-2-Virus die Welt erschüttern würde. Die COVID-19-Krise macht wie unter dem Brennglas gesellschaftliche Probleme und Schieflagen deutlich. Zugleich gewann auch das Thema Digitalisierung erheblichen Aufwind in der öffentlichen Debatte. Auf der Alltagsebene wurde über »Zoom-Fatigue« oder den für Schulunterricht auf Distanz nicht geeigneten Overheadprojektor bitter gescherzt und die vom Präsentismus geprägte deutsche Unternehmens- und Behördenkultur musste sich mit dem Thema Homeoffice befassen. Darüber hinaus wurde binnen Jahresfrist erkennbar, dass »auf Sicht fahren« gerade bei exponentiellen Entwicklungen wenig erfolgreich ist.
Das Tempo, mit dem die digitale Technologie in den letzten Jahren weiterentwickelt wurde, ist in vielerlei Hinsicht überwältigend. Zugleich beschleunigt die Digitalisierung Deregulierungs- und Deinstitutionalisierungsprozesse, die im Feld der Arbeit in besonderer Weise kumulieren, während die Beherrschung kleinteiliger und massenhafter Daten neue Ordnung gleichsam zu schaffen »droht«. Dass die Digitalisierung ein sozialer Prozess ist, der gesellschaftlich geprägt wird und gleicherweise gestaltet werden kann und muss, gerät dabei bisweilen in den Hintergrund.
Dieser Band versammelt Beiträge aus unterschiedlichen theoretischen und praktischen Hintergründen, die Arbeit, Digitalisierung und die Implikationen der digitalen Transformation aus verschiedenen Perspektiven beleuchten und miteinander ins Gespräch bringen:
Unter dem programmatischen Titel »Gestaltungsprojekt Digitale Arbeit« erläutert Hartmut Hirsch-Kreinsen, lehrte Wirtschafts- und Industriesoziologie an der Technischen Universität Dortmund und ist jetzt Research Fellow an der dortigen Sozialforschungsstelle, dass Digitalisierung und die mit ihr verbundenen Transformationsprozesse keine technologischen Selbstläufer sind, sondern Resultat eines ökonomischen, sozialen, arbeits- und betriebspolitischen Gestaltungsprozesses. Systematische Beteiligung der Beschäftigten bei Reorganisationsprozessen, Wandel der Führungskultur und arbeits- und sozialpolitische Reformen sind demnach die zentralen arbeitspolitischen Herausforderungen, die es im Zuge der Digitalisierung zu bewältigen gilt.
Roland Hardenberg, Professor an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und Leiter des Frobenius-Instituts für kulturanthropologische Forschung in Frankfurt am Main, betrachtet Arbeit auf der Basis umfangreicher ethnologischer Forschungen als kulturelles Phänomen, das im Kern auf Austausch und Kommunikation zwischen Menschen in der von ihnen bewohnten Umwelt basiert. Arbeit stellt in diesem Sinne eine Daseinsgestaltung dar, derer sich Individuen in vielen Gesellschaften nur durch das Verlassen der Gemeinschaft entziehen können.
Axel Honneth, ehemaliger Direktor des Instituts für Sozialforschung an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und Professor für Philosophie an der Columbia University New York, diskutiert die langfristigen Veränderungen in der Arbeitsorganisation infolge der Digitalisierung und Flexibilisierung der Erwerbsarbeit und wendet sich dann der Frage zu, vor welche sozialmoralischen Herausforderungen uns diese Veränderungen heute stellen.
Anschließend eröffnet der Beitrag von Hartmut Wessler, Professor am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Mannheim, den Abschnitt zur digitalen Datenherrschaft. Der Beitrag geht der Frage nach, wie algorithmische Systeme die öffentliche Kommunikation verändern und wie Alternativen entwickelt werden können. Der soziale Gehalt von künstlicher und die gesellschaftliche Verantwortung für künstliche Intelligenz wird dabei mit dem Begriff der Algorithmenarbeit gefasst, der sowohl die Entwicklung von Algorithmen als auch deren für die Anwenderinnen erzeugten Lösungswege und Ergebnisse umschließt.
Vera King, Professorin für Soziologie und psychoanalytische Sozialpsychologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und geschäftsführende Direktorin des Sigmund-Freud-Instituts, sowie Professorin Benigna Gerisch von der IPU Berlin, eine Co-Leiterin des Projekts »Das vermessene Leben«, und die Projekt- MitarbeiterInnen Julia Schreiber, Diana Lindner, Pia Lodtka, Micha Schlichting und Maike Stenger diskutieren Digitalisierung als kulturellen Transformationsprozess, der konstruktive, aber auch dysfunktionale und destruktive Effekte haben kann. Im Zentrum steht dabei die permanente und omnipräsente Metrisierung und digitale Datenerfassung, die zu ständigem Vergleich, Entgrenzung und Optimierungsstreben tendiert.
Philipp Staab, Professor für Soziologie der Zukunft der Arbeitswelt an der Humboldt-Universität zu Berlin, sieht algorithmisches Management als neues Leitmotiv der Arbeitskontrolle, das auch jenseits der Plattformökonomie an Bedeutung gewinnt. Tracking, Interfaces oder horizontale Ratings werden als Elemente algorithmischen Managements auf ihre Implikationen untersucht.
Florian Butollo, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft, untersucht die Auswirkungen der Digitalisierung auf die internationale Arbeitsteilung. In seinem Beitrag geht es ebenfalls um kostenoptimierende Unternehmensstrategien, allerdings im Zusammenhang mit der Debatte zum sogenannten reshoring und die Zukunft der internationalen Arbeitsteilung, die im Kontext der Corona-Pandemie weiter Aufwind gewonnen hat.
Hans Peter Hahn, Professor für Ethnologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, hinterfragt auf der Basis empirischer Forschungen in Ländern des sozialen Südens die Annahme, dass digitale Technologien zugleich mit neuen ökonomischen Chancen und besseren Lebensverhältnissen einhergingen. Seinen Forschungen zufolge sind Mobiltelefone längst zu einem globalen Standard geworden, den es auch unter prekären Bedingungen zu halten gilt.
Der Beitrag von Wilhelm Bauer, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) Stuttgart, Udo-Ernst Haner und Josephine Hofmann, ebenfalls am IAO beschäftigt, kontrastiert die als relativ kontinuierlich beschriebene historische Entwicklung mit der Wirkung der Pandemiesituation als Beschleuniger von Digitalisierung und tiefgreifenden Veränderungen. Am Beispiel des durch die Kontaktbeschränkungen vermehrt genutzten Homeoffices wird der Frage nachgegangen, ob sich hier bereits ein Paradigmenwechsel in der Arbeitsgestaltung abzeichnet.
Ulrich Jürgens, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und Institut für die Geschichte und Zukunft der Arbeit, macht einen Jahrhundertrückblick auf die Automatisierung der Automobilindustrie in den USA und Deutschland. In Bezug auf die Digitalisierung wird nach der historischen Verlaufsdynamik, dem Fortschritt der Automatisierung und dem Wandel von Tätigkeitsstrukturen gefragt.
Fabian Langenbruch, im Bundesministerium für Arbeit (BMAS) zuständig für das Thema Digitalisierung der Arbeitswelt, stellt in seinem Beitrag Handlungserfordernisse, Fragen und Antworten im Zusammenhang mit der digitalen Transformation vor. Menschzentrierte künstliche Intelligenz, faire Arbeitsbedingungen in der Plattformökonomie, Qualifizierung, Wissenstransfer sowie institutionelle Ansätze, die diesen Herausforderungen gerecht werden, sind zentrale Ansatzpunkte, um die technologischen Innovationen langfristig arbeitspolitisch zu gestalten.
Mathias Möreke, Betriebsrat beim Volkswagenkonzern, beschreibt die Herausforderungen, die sich bei der Neuausrichtung der Automobilindustrie auf die Elektromobilität ergeben. Die hier beispielhaft nachgezeichnete strukturelle Transformation lässt sich nur verwirklichen, wenn auch die personelle Transformation gelingt. Damit ist nicht nur die fachliche Qualifizierung angesprochen, vielmehr kommt auch überfachlichen Bildungsprozessen, die Beschäftigte, Führungskräfte und Betriebsräte einbeziehen, eine wichtige Bedeutung zu.
Zu guter Letzt erörtert Marius R. Busemeyer, Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt vergleichende politische Ökonomie an der Universität Konstanz, Herausforderungen und Reformpotenziale des Sozialstaats im digitalen Zeitalter. Dabei werden die Auswirkungen des technologischen Wandels auf politische Prozesse und sozialpolitische Inhalte diskutiert. Das Paradigma des sozialinvestiven Sozialstaats wie die Debatte über das bedingungslose Grundeinkommen erhalten durch die digitale Transformation Auftrieb.
Um der interdisziplinären und multiperspektivischen Diskussion gerecht zu werden, wird dieser Band gemeinsam mit Sabine Pfeiffer, Professorin für Soziologie mit dem Schwerpunkt Technik-Arbeit-Gesellschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und wohl eine der renommiertesten Expertinnen in Deutschland zum Thema digitale Arbeit und dem bereits genannten Ethnologen Roland Hardenberg herausgegeben. Sei es nun als Epochenbruch oder als dynamischer Wandel beschrieben, stellt uns die Digitalisierung der Arbeitswelt und ihre Gestaltung vor Herausforderungen, die uns noch lange beschäftigen werden. Die Diskussionen in diesem Band verlangen insofern nach Fortsetzung. Vorerst sein jedoch allen Beteiligten herzlich gedankt für die kollegiale, verbindliche und äußerst anregende Zusammenarbeit.