Die Germanenkriege unter Augustus
Campus Verlag
Frankfurt/New York
Über das Buch
Wenige Jahrzehnte, nachdem Julius Caesar Krieg in Gallien geführte hatte und dort auch mit den Germanen aneinandergeraten war, stellten deren Stämme weiterhin eine ständige Gefahrenquelle dar. Das Land rechts des Rheins kam nicht zur Ruhe. Trotz wiederholter militärischer Expedition bis tief in die Wälder Mitteleuropas hinein konnten die Römer der Renitenz und Unberechenbarkeit der Germanen keinen Einhalt gebieten. Immer wieder schickten sich einzelne Stammesfürsten an, sich zu machtvollen Herrschern aufzuschwingen. Sie brachten große Gebiete unter ihre Kontrolle, schlossen weitreichende Bündnisse und stellten beeindruckende Heere auf. Mit diesen forderten sie auch Rom ein ums andere Mal heraus. Kaiser Augustus sah sich gezwungen, gleich mehrere Heeresführer zu verschleißen. Dem glücklosen Varus etwa wurde ein Mann zum Verhängnis, den seine Zeitgenossen Arminius nannten - heute besser bekannt unter dem Namen Hermann der Cherusker. Was es mit seinem römischen Namen auf sich hat und ob Arminius tatsächlich so ein tapferer germanischer Held war, wie man ihn sich später vorstellte, untersucht Historiker Arnulf Krause.
Dieses E-Book ist Teil der digitalen Reihe »Campus Kaleidoskop«. Erfahren Sie mehr auf www.campus.de/kaleidoskop
Über den Autor
Arnulf Krause ist promovierter Germanist und Skandinavist, erfolgreicher Sachbuchautor und Experte für germanische Heldensagen und die Dichtung der Edda. Er lehrt als Honorarprofessor am Institut für Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft der Universität Bonn.
Durch den Sieg des Arminius bleibt Germanien frei
Agrippa romanisiert Germanen
Die Pax Augusta kümmert keine Barbaren
Rom und das tiefe Germanien
Drusus stößt weit in Germanien vor
Bei den Chauken
Drusus »Germanicus« und die Vielstämmewelt der Barbaren
Weitere Züge des Drusus und sein Schicksal in den germanischen Wäldern
Trügerischer Frieden in Germanien
Germanien verändert sich: das Reich Marbods
Germanenzüge und Siege des Tiberius
Schleichende Romanisierung: Städte in Germanien
Statthalter Varus: Germanien soll Teil des Römischen Reiches werden
Arminius: ein Paraderömer?
Die Katastrophe im Teutoburger Wald
Rätsel um den Ort der Varusschlacht
Die Folgen der Schlacht
Die Motive des Varusbezwingers
Rachefeldzüge der Römer
Die Kämpfe des Arminius gegen Germanicus
Das Ende des Arminius
Exkurs: Recht und Gesetze
Exkurs: Die Germaninnen
Literaturverzeichnis
Quellen
Sekundärliteratur
Campus Kaleidoskop
Impressum
In den Jahrzehnten nach Caesars Gallienkrieg blieben die germanischen Stämme rechts des Rheins mehr oder weniger sich selbst überlassen. Natürlich war die Kunde in die fernsten Winkel ihrer Welt gedrungen, nach Dänemark und an die Ostseeküsten, an die Elbe, nach Böhmen und über die Oder hinaus: Weit im Westen hatte ein neuer Nachbar das Sagen. Reicher sei er als die Keltenfürsten, aber auch viel mächtiger. Brücken vermochte er in Windeseile über die breitesten Ströme zu bauen; Kriegerscharen mit blitzenden Waffen entsandte er an den Rand der großen Wälder. Doch größer als die Sorge vor einem unbesiegbaren Gegner war der weiterhin lockende Reichtum Galliens, war die Aussicht auf Kampf, Beute oder Sold und Ansehen. Während Caesars Erben um seine Nachfolge kämpften, ließen sich germanische Gruppen nicht davor abschrecken, den Rhein zu überqueren. Manche auf der Suche nach fruchtbarem Land, andere auf räuberischem Beutezug oder als Söldner. Die Treverer an Mosel und Mittelrhein erwiesen sich gegenüber der Herrschaft Roms immer wieder als unbotmäßig und riefen Germanen gegen Lohn zu Hilfe. Im Verhältnis zu den Kimbern, Teutonen oder Sueben waren dies jedoch keine erschütternden Massenzüge; darum schienen sie kontrollierbar zu sein.
Eine geschickte Hand bewies wenige Jahre nach Caesars Ermordung dessen Adoptivsohn und Mitstreiter um sein Erbe, Octavian, der zukünftige Kaiser Augustus. Er sandte seinen alten Freund Marcus Vipsanius Agrippa als Statthalter nach Gallien. Dieser begnadete Feldherr und Organisator kümmerte sich nicht nur um den Ausbau wichtiger Straßenverbindungen wie der von Lugdunum (Lyon) ins rheinische Grenzland. Er folgte dem großen Caesar, indem er ebenfalls eine Brücke errichten ließ, um den unruhigen Germanen die Legionen Roms zu präsentieren. Er tat ein Weiteres, das ihn bis heute in einer deutschen Stadt populär bleiben ließ: Im Jahre 38 vor Chr. gab er den traditionell romfreundlichen Ubiern Wohnsitze links des Rheins. Dort, wo fast zwanzig Jahre zuvor der Eroberer Galliens die Eburonen so gut wie ausgerottet hatte, erhielten die Germanen neues und sicheres Land. Ihr Zentrum wurde – ganz ungermanisch, weil städtisch – das Oppidum Ubiorum, die Stadt der Ubier, aus der sich schließlich Köln entwickelte. Obwohl der Stamm durch die Nachbarschaft zu den Galliern einiges an Zivilisation gewöhnt war, dürfte seine Menschen doch überrascht haben, wie römische Feldvermesser eine Mustersiedlung anlegten. Manche Straßenführung der Kölner City geht auf diese Ubiersiedlung zurück. Die Ubier wurden die ersten romanisierten Germanen. Aber die meisten Stämme jenseits des Rheins folgten ihnen nicht, was sich zuerst bei den schon gegen Caesar renitenten Sugambrern erweisen sollte, den alten rechtsrheinischen Nachbarn der Ubier.
Im Jahre 17 vor Chr. beging man in Rom große Feierlichkeiten, mit denen eine neue Epoche ihren Anfang nahm, die man als Zeit des Friedens und Wohlstands unter römischer Führung ansah. Die Pax Romana, der »Römische Frieden«, war eine Pax Augusta, die Octavian dem Universum gegeben hatte. Der Triumphator des Bürgerkriegs, der Sieger über Antonius und Kleopatra, trug seit einem Jahrzehnt den Ehrentitel Augustus, der »Erhabene«. Alle bedeutenden Ämter des Staates vereinte er in seiner Person und wurde schließlich zum »Kaiser«. Das Zentrum Rom war unter seiner Herrschaft gewachsen und erhabener geworden: Straßen waren gebaut worden, Wasserkanäle wurden verlegt, und die gefürchteten Tibersümpfe legte man trocken. Das erste aus Stein erbaute Amphitheater stand; auf dem Forum war ein Triumphbogen zu Ehren des Augustus errichtet worden. Der Ubierumsiedler Agrippa hatte sich auch in Rom als Bauherr verewigt: Er ließ die ersten öffentlichen Thermen anlegen und legte damit den Grundstein für die römische Badekultur. Er errichtete das Pantheon zur Verehrung aller Götter, das 150 Jahre später unter Kaiser Hadrian zum größten Kuppelbau der Antike vollendet werden sollte. Dieses Rom opferte unter großen Feierlichkeiten den Göttern, dankte ihnen für die Herrschaft des Imperators und pries den von ihm geschaffenen Frieden, der nicht nur in Rom herrschen sollte, sondern im gesamten Reich des Augustus, das sich damals von den Ufern des Niederrheins bis zu den Katarakten des Nils, von Portugal bis nach Palästina erstreckte.
Aber an den langen Grenzen des Imperiums lebten viele barbarische Völkerschaften, die auf die Verkündung des Weltfriedens nichts gaben. Zu den ersten Unruhestiftern gehörten die Sugambrer, als sie ein Jahr nach dem großen Friedensfest römische Soldaten, die sie in ihrem rechtsrheinischen Gebiet antrafen, gefangen nahmen und kreuzigten. Diese brutale Hinrichtungsart war römischer Herkunft; vielleicht stellte ihre Anwendung eine Verhöhnung Roms dar. Zudem schweißte die Untat die verbündeten Usipeten und Tenkterer umso mehr mit den Ersteren zusammen.
Die Krieger der drei Stämme überquerten den kaum gesicherten Rhein, drangen nach Gallien ein und plünderten, wo immer sich Beute machen ließ. Nach einigen Geplänkeln mit Legionären stießen die Germanen auf den gallischen Statthalter Marcus Lollius und sein Heer. Er war ein Vertrauter des Augustus und von diesem schon mit vielen Aufgaben betraut worden. Die Sugambrer und ihre Verbündeten griffen ihn so überraschend an, dass sich die Römer geschlagen geben mussten und der Statthalter die Flucht ergriff. Besonders schmachvoll war der Verlust des Legionsadlers, der als Ehren- und Erkennungszeichen einer Einheit galt. Der Schaden blieb aber begrenzt, da sich die Stämme über den Rhein zurückzogen, einen Friedensvertrag akzeptierten und sogar die obligatorischen Geiseln stellten. Zu diesem Rückzug veranlasste sie nicht nur Lollius mit einem neuen Heer, sondern vor allem Augustus, der persönlich mit seinen Legionen anrückte.
Der Imperator war ein vorsichtiger und weit blickender Mann. Er erkannte die grundsätzliche Gefahr der Rheingrenze, die zu ungesichert war, um die Bedrohung aus dem Osten auf Dauer bannen zu können. Die unübersichtlichen Barbarenhaufen jenseits des Stromes stellten einen ständigen Unsicherheitsfaktor dar, den Rom nicht länger akzeptieren konnte. Darum ist das Jahr 16 vor Chr. ein Wendepunkt in den römisch-germanischen Beziehungen. In Augustus reifte seitdem der Plan, auch das rechtsrheinische Germanien zu unterwerfen und vielleicht sogar zu einer Provinz zu machen. Es folgten mehr als dreißig Jahre, in denen römische Legionäre unbekannten Boden betreten sollten und mit einer fremden Welt konfrontiert wurden. Der Krieg im Inneren des Germanenlandes sollte zu einer Zeit der Heldentaten werden, aber auch zu einer der furchtbarsten Katastrophen der römischen Geschichte führen, zu einer Schlacht, die bis heute als sagenhafter Gründungsmythos einer ganzen Nation – nämlich der deutschen – angesehen wird. Wenn diese Interpretation auch falsch ist, so sind die Jahre nach dem Beschluss des Augustus doch eine Phase mit bemerkenswerten Auswirkungen.