Werner Müller-Esterl, Christine Burtscheidt
Die mündige Universität
Der Frankfurter Weg in die Autonomie
Unter Mitarbeit von Ayse Asar, Olaf Kaltenborn, Justus Lentsch,
Kerstin Schulmeyer-Ahl und Sascha Seifert
Campus Verlag
Frankfurt/New York
Über das Buch
Mit der Umwandlung zur autonomen Stiftungsuniversität 2008 ist die Frankfurter Goethe-Universität zu ihren Wurzeln zurückgekehrt: 1914 wurde sie von Bürgern für Bürger gegründet. Zugleich hat sie sich mit dem neuen Status an die Spitze der deutschen Reformbewegung gesetzt, die auf mehr Wettbewerb und Differenzierung im deutschen Hochschulsystem zielt.
Das Buch versteht sich als Plädoyer für den »Frankfurter Weg«, der in seiner Art bundesweit einmalig ist. Es stellt erreichte Erfolge der vergangenen Jahre ebenso dar wie Probleme und Herausforderungen und kann damit auch jenen Orientierung geben, die sich auf einen ähnlichen Weg begeben wollen.
Vita
Werner Müller-Esterl, Prof. Dr., war von 2009 bis 2014 Präsident der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Er hatte Professuren für Klinische Biochemie in München, Mainz und Frankfurt am Main und leitete hier auch den Exzellenzcluster »Makromolekulare Komplexe«.
Christine Burtscheidt, Dr. phil., war von 2010–2015 persönliche Referentin und Büroleiterin des Präsidenten an der Goethe-Universität. Seitdem ist sie Leiterin Kommunikation der Leibniz-Gemeinschaft, Berlin. Zuvor war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der LMU München und Redakteurin bei der Süddeutschen Zeitung.
Matthias Kleiner, Vorsitzender des Hochschulrates der Goethe-Universität Frankfurt: Die erweiterte Universitäts-Gemeinschaft: Lehren, lernen – und bürgen
1.Der Frankfurter Weg in die Autonomie
Wie alles begann
Reformtendenzen der vergangenen Dekaden
Hindernisse beim Umbau
Historischer Auftrag
Die Umwandlung
Erfolge der Stiftungsuniversität
Verantwortungsvolles Handeln
Grenzen der Autonomie
Plädoyer für den Frankfurter Weg
2.Von der nachgeordneten Behörde zur autonomen Universität
2.1Freiheit und Verantwortung – die neue Governance
Organe der Stiftungsuniversität und ihre Aufgaben
Die Hochschulverfassung und ihre Entwicklungen bis 2015
Das Verhältnis zwischen Universität und Land
Roll-Back-Tendenzen
Fazit
2.2Forschung und Nachwuchsförderung – die Herausbildung eines authentischen Profils
Autonomie als Bedingung institutioneller Erneuerungsfähigkeit
Strategische Berufungen als Innovationstreiber
Eine Chance für den wissenschaftlichen Nachwuchs
Deutsche Defizite
Die Frankfurter Graduiertenakademie
Post-doc und erster Ruf
Profilbildung durch Partnerschaft
Kooperation mit Nachbarn
Neue Formen der Allianz
Moderne Infrastruktur
Forschungsförderung unter neuen Vorzeichen
Fragen der Nachhaltigkeit
Gefahr der Unwucht
Autonomie als Verpflichtung
Fazit
2.3Lehre und Studium – der Aufbau einer Qualitätssicherung
Lehrkultur befördern
Bologna-Werkstätten
Starker Start ins Studium
Eine Akademie für Bildungsforschung und Lehrerbildung
Gestaltungsspielräume nutzen
Das Professoren-Programm
Neue Seminargebäude
Das Deutschlandstipendium
Ein geschärftes Selbstverständnis
Strategie-Werkstatt
Ausbildung zu mündigen BürgerInnen
Forschendes Lernen
Verantwortung übernehmen und Qualität sichern
Fünf Piloten
Fazit
2.4Grenzen der Handlungsfreiheit – die öffentliche Finanzierung
Ausgangssituation
Ein eigener Etat
Von der öffentlichen Einrichtung zur selbständigen Stiftung
Reges Stiftungsumfeld
Steter Kontakt
Der Stifter-Kodex
Drittmittel-Boom
Nationale Rahmenbedingungen
Zwang zum Sparen
Hessische Bedingungen
Frankfurter Initiativen – Professorenprogramm und Lehrgebäude
Koordinierter Studierendenaufwuchs
Wettbewerbsfähige Berufungen
Interne Restrukturierung
Hindernisse beim Handeln
Neue Pakte und Perspektiven
Fazit
2.5In stetem Dialog – die Rückkehr der Bürgeruniversität
Wie kommt die Universität in die Stadt?
Die Frankfurter Bürgeruniversität
100 Jahre Goethe-Universität – die Stadt feiert mit
Fazit
3.Die mündige Universität
Was zu tun bleibt – Wünsche, Wagnisse und Visionen
Die Gunst der Stunde nutzen
Stetigkeit und Verlässlichkeit
Autonomie als Chance
Autonomie als Risiko
Anmerkungen
Abbildungsnachweis
Matthias Kleiner, Vorsitzender des Hochschulrates
der Goethe-Universität Frankfurt
»Die mündige Universität« – dieser Titel provoziert Fragen: Mündig – eine Universität? Ist Mündigkeit nicht eine Eigenschaft und ein ›Vorrecht‹ des Menschen? Gibt es denn Universitäten oder in einem weiteren Sinne verwandte Institutionen in der Wissenschaft, auf die das Attribut nicht oder weniger zutrifft? Sind Universitäten in Deutschland unterschiedlich mündig?
Mündig, das heißt ja in erster Linie, kundig selbst Verantwortung zu tragen – für die Gegenwart wie für die Zukunft. Darin liegt auch schon eine der Antworten: Dieses ›Selbst‹, das ist die Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden, wie es so schön heißt; eine Gruppe von Menschen also, die eine Universität ausmacht und die Überzeugung von und den Aufwand der Mündigkeit nicht scheut. Die Frankfurter Universität ist eine solche Gemeinschaft. Sie hat sich bereits vor mehr als 100 Jahren auf diesen Weg gemacht und das Bekenntnis dazu jüngst bekräftigt, als sie 2008 in eine selbstständige Stiftungsuniversität umgewandelt wurde.
Doch eine solche Umwandlung geschieht nicht auf einmal oder gar auf Knopfdruck – am Beispiel Frankfurt lassen sich vielmehr zwei Prozesse der Initiation ausmachen, die einander wohl bedingt haben: Erstens war die Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden hier um Bürgerinnen und Bürger der Stadt erweitert, die den freiheitlichen Anspruch auf eine universitäre Gemeinschaft bekräftigten – und dafür im Wortsinn bürgten. Dass die Bewegung der Goethe-Universität hin zur wachsenden Autonomie eben auch aus der Mitte der Bürgerschaft entsprang, verleiht der verantwortungsvollen Unabhängigkeit der ›Institution Universität‹ vor aufgeklärtem Hintergrund gerade in Frankfurt einen besonderen Nachdruck. Wer weiß, womöglich ist die Goethe-Universität daher tatsächlich ein wenig mündiger als andere – oder geübter darin, es auf eine selbstverständliche Weise zu sein…
Zweitens hat die wissenschaftsbezogene und daher wissenschaftsgeleitete innere Entwicklung notwendige Schritte der Befähigung vollzogen: Mit einer eigenen wissenschaftlichen Identität, vorausschauenden Perspektiven, die in nachhaltigen Konzepten münden, junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stets im Blick, kritische Überprüfungsmechanismen zur Sicherstellung der Qualität und einer festen Zusammengehörigkeit, wenn nicht Einheit von Lehre und Forschung. Nicht zuletzt gehört dazu der lebendige Austausch mit der Stadt und ihrer Gesellschaft.
Die Vorstellung der Mündigkeit mag im Kontext der Wissenschaften dem Prinzip der Selbstorganisation der Forschung eng verwandt sein und in anderen gesellschaftlichen Bereichen Subsidiarität heißen; gemeinsam ist diesen Spielarten die Berufung auf Kompetenz und Selbstbestimmung sowie Sachverstand und Entfaltung auf der Ebene der jeweils zuständigen Einheiten und Instanzen – systematisch und transparent in Organisation und Aufbau und zum Wohle des Ganzen. Natürlich steckt auch ein motivierendes Moment in der Mündigkeit, in der Selbstorganisation oder in der Subsidiarität: Es erlaubt, fördert und fordert das Können, das Wollen und die Initiative der Beteiligten.
Ein national singuläres Konstrukt wie die Frankfurter Stiftungsuniversität steht natürlich in besonderer Weise im Fokus: Gelingt es? Gelingt es nicht? Darüber berichtet das Buch. Jeder Weg ist selbst zu erproben, alle Erfahrungen gilt es, selbst zu machen. Es bedarf – wie so häufig in Wissenschaft und Forschung – der rechten Balance von Tat und Anstrengung hier und Geduld und Muße dort. Insofern verstehe ich dieses Buch als Anreiz für Lehrende und Lernende, also für alle Angehörigen der erweiterten Universitäts-Gemeinschaft, aber auch über Frankfurt hinaus für alle, die sich mit Wissenschaft, Forschung und Lehre befassen und für sie interessieren.
Abb. 1: Gründungsurkunde der Universität Frankfurt von 1914