Michael von Kunhardt

Mentalgiganten

Was wahre Stärke wirklich ausmacht

Campus Verlag

Frankfurt / New York

Über das Buch

Mentaltraining und -coaching sind heute im Spitzensport selbstverständlich. Aber auch im Berufsleben setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass Erfolg oft eine Kopfsache ist. Michael Kunhardt verbindet selbst seit Jahren Business und Sport, zum einem als Unternehmer und zum anderen als Profisportler. In seinem Buch verrät er uns anhand von vielen Erfolgsstories aus dem Sport, aber auch aus dem Business, die Geheimnisse der Mentalgiganten, die uns helfen, immer noch ein bisschen besser, aber auch gelassener und zufriedener zu werden.

Vita

Michael von Kunhardt gelingt es auf faszinierende Weise, tausende Teilnehmer seiner Seminare und Vorträge physisch und mental zu aktivieren. Der langjährige Mentaltrainer und erfolgreiche Profisportler begeistert als Redner für Unternehmen und Verbände ebenso wie als Entwickler ambitionierter Führungskräfte. Als Mental-Experte ist er gefragter Talkgast bei SAT.1 und Sport1 sowie weiteren TV- und Radiosendern, so z. B. auch als »Der MONtivator«, jeden Montag bei Radio RPR1. Der Preisträger des »Deutschen Speakerslams« ist mehrfacher Deutscher Meister im Hockey und war als Spieler 15 Jahre lang in der Hockey-Bundesliga aktiv. Mit der Ü-45-Hockey-Nationalmannschaft wurde er Vizeweltmeister. Mit dem Ü-50-Nationalteam gewann er 2018 in Barcelona WM-Bronze. Als eigene Grenzerfahrung läuft er Marathons und unternimmt Expeditionen nach Afrika, Asien, Nord- und Südamerika, Australien und in die Karibik. Michael von Kunhardt hat diverse Lehraufträge und ist Gründer und Inhaber der von-Kunhardt-Akademie für Business, Sport und Gesundheit am Schloß Dehrn, bei Limburg/Lahn.

Für Annika und Matilda

Inhalt

Kapitel 1
Mentalgiganten — Eins mit sich selbst

Ein Fußballwunder aufgrund wahrer mentaler Stärke

Historische Sportmentalgiganten: Analysegespräch mit einer Reporterlegende

Selbstwirksamkeit – die kraftvolle mentale Schnittstelle

Andocken an den Lebensstrom

Wohlspannung: Eine bedeutende Selbstverständlichkeit für Spitzenleistung

Bewegung – das Stressventil Nummer 1

Kluge Atemtechnik

Ausschütteln

Ausklopfen

Ein anspruchsvoller Auftritt

Kapitel 2
Intuition! — Befreie dich von der Droge Anerkennung und anderen inneren Krawallmachern

Intuitiv zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort mit der richtigen Handlung

Aktiviere deine Intuition

Von unbewusster Inkompetenz durch Erhellung zu mehr gelebter Intuition

Die verborgene Macht unserer inneren Antreiber

Sei perfekt!

Beeile dich!

Sei gefällig!

Sei stark!

Streng dich an!

Begegnung in New York mit unserem Superantreiber

Befreie und trainiere dich für dein wirkliches Ich

Das Dritte Auge

Rebellion

Bewusstes Gegenprogramm

Kapitel 3
Weiterentwicklung — Erfolge infrage stellen

Mehr als ein Wettkampf um die Krone des besten Schachspielers der Welt

Selbstkritik und konstruktiver Umgang mit Erfolgen

Entwicklungsturbo: Fragen stellen

Entwicklungsarbeit mit dem Flow-Diagramm

Analyseergebnis

Die Vision: Inspiration, Orientierung und Sogwirkung

Kapitel 4
Fokus — Verlieren ist kein Thema

Gewinnen wollen, anstatt verlieren zu vermeiden

Die Kraft der Visualisierung – ein Selbstversuch

Fokus durch Zielklärung

Eine Frage der Haltung: Was bringst du ein?

Konfrontiere dich!

Makro- und Mikrofokus

Kapitel 5
Selbstvertrauen — Siegermentalität Nummer 1

Ein historischer Sieg

Mit klarem Selbstbewusstsein zu mehr Selbstvertrauen, Selbstverständnis und Selbstwert

Evolution und Wettkampf

Warum Selbstvertrauen das wichtigste Kriterium einer starken Siegermentalität ist

Selbstvertrauen durch Visualisierung

Selbstvertrauen durch souveräne nonverbale Sprache

Prominente Vorbilder für beeindruckende nonverbale Kommunikation

Cristiano Ronaldo

Lady Gaga

Dalai Lama

Richard Branson

Barack Obama

Meryl Streep

Selbstvertrauen als Strategie

Entwicklung von Selbstvertrauen im Team

Selbstvertrauen durch stärkende Selbstsuggestion

Auf die Umsetzung kommt es an

Kapitel 6
Potenziale — Da geht noch was

Selbstbegrenzung in New York und die Folgen

Selbsterlaubnis und das Auflösen von mentalen Grenzen

Fremdbegrenzung: »Sie werden nie einen Marathon laufen!«

Grenzenlos: Elon Musk

»Ich habe ihn überschätzt!«

Anspruch: »Make a difference!«

Der Adler

Potenzialentfaltung durch Wertschätzung

Kapitel 7
Rückschläge — Selbstverständlich!

Rückflugchaos und Akzeptanz als mentale Stärke

Djokovic-Effekt

Resilienz – eine Frage der Haltung

Emotionalität versus Analytik

Die Korkentheorie

Erfolgssäule Misserfolgstoleranz

1. Vor der Herausforderung

2. Während der Herausforderung

3. Nach der Herausforderung

Kapitel 8
Dankbarkeit — Das unterschätzte Fundament für Spitzenleistung

Hundert Jahre

Dankbarkeit: Joker im Mentalcoaching

Kapitel 9
Kreativität — Einfach anders machen

Die Sonnenbrille – oder das Prinzip der Überkompensation

Inspiration durch Methodenwechsel

Historische Kreativleistungen und Methodenwechsel im Sport und Business

Steve Jobs: Apple und die smarte Produktwelt

Jan Boklöv: Revolution im Skispringen

Elon Musk: Kreative Visionen und Mobilität

Dick Fosbury: Technikinnovation im Hochsprung

Sir Richard Branson: Mr. Business-Adventure

Muhammad Ali, Rumble in the Jungle und besondere Comebacks

30. Oktober 1974, Rumble in the Jungle in Kinshasa, Zaire

Kapitel 10
Gesundheit — Eine persönliche Entscheidung

Das Prinzip der temporären subjektiven Unterforderung

Verantwortliche Selbstführung

Mentale und physische Gesundheit

… meine persönliche Methode für mentale und physische Gesundheit

Kapitel 11
Enthusiasmus — Gigantisch oder gar nicht

Bastian Schweinsteiger und das Spiel seines Lebens: Episch, heroisch – enthusiastisch

Wie sehr willst du es wirklich?

Berge versetzen – durch Enthusiasmus

Enthusiasmus und Erlebnis: Eine lebenswerte und erfolgreiche Wechselbeziehung

Mein persönlicher Adrenalin-Mega-Thrill

Kapitel 12
Anstelle eines Nachwortes — Glücklichsein ist unsere wichtigste Aufgabe

Dankeschön

Der Autor

Kapitel 1
Mentalgiganten

Eins mit sich selbst

Einführung

Warum wahre Stärke in der Ruhe und Verbundenheit mit sich selbst wurzelt und Spannungsregulierung für Spitzenleistung so wichtig ist.

Ein Fußballwunder aufgrund wahrer mentaler Stärke

Liverpool, 7. Mai 2019, Champions-League-Halbfinalrückspiel

FC Liverpool gegen FC Barcelona

Der FC Liverpool steht mit dem Rücken zur Wand. Das Hinspiel im Champions-League-Halbfinale hatte das Team von Jürgen Klopp gegen Barcelona um deren Superstar Lionel Messi mit 0:3 klar verloren. Spielerisch war die Begegnung eine Woche zuvor in Camp Nou, dem größten Vereinsstadion der Welt, weitestgehend ausgeglichen gewesen. Liverpool hatte sogar mehr Ballbesitz und mehr Chancen gehabt, dabei auch drei so genannte 100-Prozentige. Doch das so wichtige Auswärtstor wollte einfach nicht fallen, während Barcelona hingegen gleich drei Mal jubeln konnte.

Im Rückspiel scheint die Lage für das Traditionsteam aus England nun im eigenen Stadion an der legendären Anfield Road nahezu aussichtslos. Drei Tore müssen in jedem Fall her, um sich zumindest in die Verlängerung und gegebenenfalls in das dann alles entscheidende Elfmeterschießen zu retten. Vier Tore brauchen die »Reds«, um zu gewinnen. Sollten die Katalanen jedoch auch nur ein einziges Tor schießen, dann muss Liverpool wegen der Regelung, dass auswärts geschossene Tore bei Torgleichstand doppelt zählen, sogar fünf Mal treffen, um das Finale der Champions League zu erreichen. Und das alles gegen das erfolgsverwöhnte Topteam FC Barcelona mit durchgängig herausragenden Fußballern wie Messi, Suarez und Co. Wie soll das gelingen?

Die Wettquoten sprechen ebenfalls eine deutliche Sprache – der haushohe Favorit auf den Einzug in das Finale lautet FC Barcelona.

Die Stimmung im Stadion ist bereits beim Warmlaufen und Einspielen der Teams euphorisch. Der Schiedsrichter pfeift das Spiel an. Gleich zu Spielbeginn macht Liverpool enorm viel Druck und agiert geradezu überfallartig, was jedoch auch ein hohes Risiko bei den Kontern in sich birgt. Doch in der siebten Spielminute ist es so weit. Divock Origi versenkt einen Nachschuss im Kasten des deutschen Barça-Torhüters André ter Stegen und sorgt für einen frühzeitigen initialen Euphorieschub für die »Reds«. Im weiteren Verlauf der ersten Halbzeit haben beide Teams ihre Chancen, das Spiel scheint ausgeglichen. Ein frühes Tor in der zweiten Halbzeit wäre nun Gold wert für die Engländer. Und Georginio Wijnaldum, der zur Halbzeit eingewechselt wurde, sollte bald seinen großen Auftritt haben. Innerhalb von nur drei Minuten erhöht der Niederländer durch seine beiden Treffer auf 3:0. Nun ist alles offen und Liverpool bleibt weiterhin geradezu penetrant präsent und druckvoll. Jürgen Klopp mobilisiert sein Team leidenschaftlich weiter. In der 79. Spielminute ist der Wahnsinn perfekt, 4:0 durch Origi nach einer außerordentlich cleveren Eckenausführung. Das Stadion steht Kopf. Die Fans peitschen ihr Team weiter an, fünf Minuten Nachspielzeit, die »Reds« sind stehend k. o., dann der Schlusspfiff, geschafft!

Liverpool gewinnt mit einer unbeschreiblich leidenschaftlichen Leistung tatsächlich 4:0, wirft Barcelona aus dem Wettbewerb und qualifiziert sich für das Finale der Champions League. Das Wunder ist vollbracht! Die stets emotionale Liverpool-Hymne »You’ll never walk alone« wird an diesem Abend besonders laut gesungen, und Tausenden Fans im Stadion und Millionen auf der gesamten Welt stehen die Tränen vor Freude und Begeisterung in den Augen.

Was war passiert? Wie konnte das gelingen? Und was hat Liverpools deutscher Trainer Jürgen Klopp mit seiner Mannschaft gemacht? Klopp ist dafür bekannt, dass er ein Team unfassbar motivieren und seine gesamte Euphorie, seinen Enthusiasmus auf seine Mannschaft und die Fans intensiv übertragen kann. Es ist ihm schon oft in schwierigen Situationen gelungen, doch in diesem Spiel sollte selbst Jürgen Klopp sich nochmals übertreffen, sein Team komplett elektrisieren und das nicht für möglich Gehaltene Realität werden lassen. Vor dem Spiel soll er zu seinem Team unter anderem gesagt haben:

»An sich ist es nicht möglich. Doch weil ihr es seid, haben wir eine Chance.«

Grandios! Allein dieses Statement ist eine sensationelle Ansprache, ein fantastischer Trigger für die absolute Motivation. Die Leistung der Spieler, die es dann verinnerlichen, durchgängig an sich glauben und schließlich umsetzen, ist mental gigantisch stark! In der Pressekonferenz nach dem Spiel betonte Jürgen Klopp explizit, dass seine Spieler echte mentale Giganten seien.

Am nächsten Tag reist ein Kamerateam von Sat.1 zu unserer Akademie, um ein Interview mit mir zum Thema Motivation à la Klopp, speziell zu dem begeisternden Sportereignis wenige Stunden zuvor in Liverpool, zu machen. Kann man ein Team denn tatsächlich mental derart stärken, dass Sportwunder dieser Art passieren? Ja! Kann man. Die Bedeutung und Wirksamkeit des mentalen Bereichs werden immer noch kolossal unterschätzt. Das gilt für besondere Leistungen und Haltungen im Sport wie auch im Business und im Privatleben.

Und es gilt nicht nur für ein Team, sondern für jeden Einzelnen. Auch für dich und für mich.

Wahre mentale Stärke bedarf dabei einer besonderen Mixtur an geistigen Qualitäten. Ein großartiger Trainer wie Jürgen Klopp kann ein Team auch zu außergewöhnlichen Leistungen motivieren, weil er selbst eine wahre mentale Stärke hat. Nur dadurch kann er diese übertragen. Durch seine eigene Authentizität und Positivität entsteht eine Anziehungskraft, die dazu führt, dass Menschen, in diesem Falle seine Spieler, sich intuitiv gerne mit ihm verbinden wollen. Dadurch stellt sich schließlich eine ganz besonders kraftvolle Verlinkung zwischen Trainer und Team ein. Das Pendant zum Trainer im Sport ist die Führungskraft im Business. Die Mechanismen einer erfolgreichen Sogwirkung, einem Inspirational Leadership durch mentale Stärke, sind dabei die gleichen wie im Sport.

In diesem Buch werde ich die besonders relevanten Kriterien für mentale Stärke aufzeigen und dabei auch deren wirkungsvolles Zusammenspiel reflektieren. Die entsprechenden Erkenntnisse und Methoden sind durchgängig sowohl im Sport, im Business als auch im Privatleben anwendbar. Mentalgiganten – was wahre Stärke wirklich ausmacht soll dich unterstützen, die wunderbaren Möglichkeiten von mentaler Stärke kennen zu lernen, die oft verblüffend einfach anzuwenden sind, um selbst positiv und ausbalanciert, ein glückliches, gesundes und erfolgreiches Leben zu führen.

Apropos Erfolg: Jürgen Klopp gewann mit seinem FC Liverpool wenige Wochen nach dem Sensations-Coup auch das Finale der Champions League in Madrid im rein englischen Duell mit 2:0 gegen Tottenham Hotspur. Nach einer 15-jährigen Durststrecke konnte so die bedeutendste Trophäe im europäischen Vereinsfußball wieder in die Anfield Road geholt werden. In der Saison 2019/20 dominiert der FC Liverpool die englische Meisterschaft quasi nach Belieben. Jürgen Klopp wird für alle Zeiten einen Ehrenplatz in der Geschichte des ruhmreichen Traditionsvereins einnehmen.

Historische Sportmentalgiganten: Analysegespräch mit einer Reporterlegende

Es ist der 17. März 2020, 11:30 Uhr. Ich habe mich sehr darauf gefreut – auf das Gespräch mit Hartmut Scherzer, Reporterlegende, der einen Weltrekord als Sportjournalist hält, was die Anzahl seiner Berichterstattungen von Großereignissen betrifft. Seit 1962 in Chile war Hartmut Scherzer bei allen 15 Fußballweltmeisterschaften, seit 1964 in Tokio bei 21 Olympischen Spielen und seit 1977 sogar 33 Mal bei der Tour de France als Sportreporter dabei. Immer ganz nahe dran an den Allererfolgreichsten. Seit 1963, als Muhammad Ali in London gegen Henry Cooper boxend noch Cassius Clay hieß und noch kein Weltmeister war, hat Hartmut Scherzer 16 Ali-Kämpfe live am Ring erlebt. Darunter war der Kampf gegen Karl Mildenberger 1966 in Frankfurt ebenso wie die legendären Fights nach Alis Comeback gegen Joe Frazier 1971 und 1974 jeweils im traditionsreichen Madison Square Garden in New York und 1974 der sensationelle »Rumble in the Jungle« gegen George Foreman in Kinshasa und der dritte Fight gegen Joe Frazier, der »Thrilla in Manila«, im Jahre 1975.

Hartmut Scherzer ist in seinem 82. Lebensjahr, sein Terminkalender ist immer noch voll, wir kennen uns seit einigen Jahren privat. Eigentlich wollten wir uns für die ganz besonderen mentalen Sportstorys persönlich treffen, doch wegen der aufkommenden Corona-Pandemie entschieden wir uns vorsorglich für ein Telefonat.

»Hartmut, wer sind für dich die mental herausragenden Sportler, die du in deiner eigenen Karriere kennen gelernt hast, und was zeichnet oder zeichnete diese aus?«, frage ich. Sofort merke ich seine Begeisterung, als er anfängt zu sprechen. Es hätte keine einzige weitere Frage in unserem einstündigen Telefonat mehr gebraucht. Es ist alles da, so viel Wissen zu den ganz Großen des Sports.

»Muhammad Ali, er hatte vor nichts Angst!« Diese Antwort kommt unmittelbar, und dann führt Hartmut Scherzer weiter aus: »Ali war ein ganz starker Charakter. Es gibt viele Sportler, die sterben den so genannten Kabinentod und können ihre Leistung, wenn es darauf ankommt, nicht abrufen. Man kennt das auch von Studenten mit Examensangst vor der Prüfung. Ali hingegen ruhte in sich selbst, er hatte ein unglaublich starkes Selbstvertrauen. Die Show, die er immer wieder bewusst initiierte, verstärkte seine Selbstsicherheit noch zusätzlich. Auch Usain Bolt hat sich durch seine eigene Show gestärkt. Es war auf eine Art wie bei Ali. Auch Bolt war mental extrem stark.« Ja, stimmt – denke ich bei mir. Interessant. Es gehört schon etwas dazu, sich so zu exponieren, denn die Fallhöhe wird dadurch noch größer. Den beiden Superathleten Ali und Bolt hat es jedoch offensichtlich immens geholfen. Ali hat ohnehin einen absoluten Sonderstatus in der Sportgeschichte, und auch die Sprintweltrekorde über 100 und 200 Meter, die Usain Bolt im August 2009 anlässlich der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Berlin aufstellte, haben noch Bestand.

Und schon geht es weiter. »Franz Beckenbauer, ihn möchte ich unbedingt erwähnen. Auch er war enorm in sich gefestigt. Er hatte diese besondere Nonchalance und war zugleich eine ganz starke Autorität, nicht nur als Spieler, sondern auch später als Trainer. Er hat sehr viel Verantwortung übernommen und anderen Orientierung gegeben.« »›Die Leistung eines Fußballers hängt nicht von den Beinen ab, sondern vom Kopf‹, habe Beckenbauer mal gesagt«, ergänzt Hartmut.

»Wenn wir über den unbedingten Willen eines Sportlers, eines Menschen sprechen, dann ist tatsächlich auch Lance Armstrong zu erwähnen.« Sofort schießt mir in den Kopf: »Doping!« Doch ich muss es gar nicht aussprechen, denn Hartmut sagt es selbst: »Natürlich ist sein Doping verwerflich. Ich möchte bei ihm auf etwas anderes hinaus. Die Tatsache, dass er 1996 an Krebs dramatisch erkrankte, quasi vom Sterbebett aufgestanden ist (Anmerkung: Bei Armstrong wurde Hodenkrebs im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert. Im Bauchraum und in der Lunge hatten sich bereits Lymphknotenmetastasen und im Gehirn zwei Tumore gebildet.), 1998 in den Radsport zurückkam und von 1999 bis 2005 die Tour de France sieben Mal gewinnt, hatte eine enorm starke Wirkung auf einer anderen Ebene. Ja, er hat die Tour mit der unlauteren Hilfe von Doping gewonnen, und seine Konkurrenten waren ja übrigens ebenfalls gedopt. Insofern war es bei allen nicht in Ordnung und dadruch wieder eine Art Chancengleichheit, wenn man es genau betrachtet. Das Entscheidende für mich ist jedoch: Armstrong wollte unbedingt leben, und dadurch hat er Hunderttausenden Krebskranken Mut gemacht und Lebenskraft gegeben.«

Bei Armstrong tue ich mich schwer, ist mein erster Gedanke. Doping hat im Sport nichts verloren. Armstrongs Wille war jedoch zweifelsfrei unglaublich, und daraus lässt sich sicherlich viel Positives gewinnen, wenn man die Dinge trennt und die Motive und Ziele passen. Ich verstehe, was Hartmut damit ausdrücken will.

Dann geht mir direkt mein Sportlerherz wieder auf, als ich »Cathy Freeman« durch das Telefon höre. Ich war damals selbst im Stadion, als sie in Sydney bei den Olympischen Spielen 2000, nachdem sie einige Tage zuvor das Olympische Feuer entzündet hatte, zu einem frenetisch umjubelten Gold über 400 Meter rannte. »Cathy Freeman hat sich über den Sport hinaus eingesetzt, sie ist gegen alle Widerstände für die Rechte der Aborigines eingetreten, denen sie angehört. Auch hier ist wieder eine starke Parallele zu Ali zu erwähnen, der sich gegen den Vietnamkrieg und für die Rechte der schwarzen Bevölkerung eingesetzt hat. Mit ihrem Selbstvertrauen hat Cathy sich gegen die Allmacht des IOC (Internationales Olympisches Komitee) gestellt und nach ihrem großen Erfolg die Flagge der Aborigines über die australische Flagge gelegt.«

Während ich diese Zeilen schreibe, nehme ich mir die Zeit und schaue mir den Lauf zu Gold von Cathy Freeman in Sydney 2000 auf YouTube nochmals an. Ich bin Hartmut sehr dankbar für diesen Impuls. Über die Jahre gibt es so viele Begegnungen und Ereignisse, nicht nur im Sport, sondern im Leben eines jeden Einzelnen. Es ist nicht immer leicht, die Spreu vom Weizen zu trennen und das wahrlich Besondere bewusst in Erinnerung zu halten und zu pflegen. Ich hatte mir damals zumindest bewusst ein Ticket für dieses sehr bedeutungsvolle Ereignis besorgt. Immerhin! Jetzt ist alles wieder da. Selbst der damalige Weltrekordler und Superstar über 200 und 400 Meter, Michael Johnson, musste mit seinem Lauf warten, weil das Stadion nicht aufhörte, Cathy Freeman zu feiern und zu würdigen. Ich schaue mir die Bilder an, bekomme eine Gänsehaut und feuchte Augen, zwanzig Jahre später! Das war wirklich ein ganz besonderer Moment. Das war so viel mehr als »nur« eine olympische Goldmedaille über eine Stadionrunde. Der Lauf von Cathy Freeman war ein Lauf für das Selbstvertrauen, für die Identität eines gesamten Volkes, der Ureinwohner Australiens. Ein Lauf einer starken Frau für Gerechtigkeit und Freiheit.

»Hartmut, Lance Armstrong haben wir differenziert betrachtet. Wenn wir nun darüber hinaus versuchen, etwas hervorzuheben, was die genannten Sporthelden gemein haben: Was wäre das aus deiner Sicht?«

»Es sind alles große Persönlichkeiten. Es war bei ihnen immer mehr als nur die Ausübung des Sports. Mentale Stärke hat für mich ganz viel damit zu tun, dass du in dir gefestigt bist. Dass du aus einer ganz starken inneren Überzeugung auch gegen Widerstände handelst und somit auch anderen Orientierung gibst. Das bedeutet auch, Verantwortung zu übernehmen. Das taten Sportler wie Ali, Freeman und Beckenbauer in ganz besonderem Maße. Und im Speziellen möchte ich bei Muhammad Ali nochmals hervorheben: Ali hatte ein starkes Ego – aber er war kein Egoist! Das unterscheidet ihn und viele andere Sportlerpersönlichkeiten übrigens von vielen hochbezahlten Fußballern heute.«

Ich bin begeistert. Das sind sie und so sind sie, unsere ganz besonderen Mentalgiganten. Sie sind eben eins mit sich selbst. Sie setzen sich für mehr ein als nur für ihren individuellen Erfolg. Und sie wissen um ihre Besonderheit. Wenn man in ihre Gesichter schaut, in ihre Augen, da ist ein spezielles Leuchten, eine Strahlkraft. Es ist eine besondere Aura, eine besondere Schwingung. Deshalb haben diese Menschen auch so eine Anziehungskraft.

Ein Satz von Hartmut Scherzer bleibt mir besonders im Gedächtnis, dem ich hier eine leicht modifizierte und besondere Bühne geben möchte:

Merksatz

»Ein Mentalgigant hat ein starkes Ego – er ist aber kein Egoist!«

Selbstwirksamkeit – die kraftvolle mentale Schnittstelle

»Erfolg entscheidet sich im Kopf!« Wie oft haben wir das schon gehört und wie wenig investieren wir, um die Potenziale, die in uns schlummern, auch wirklich zu nutzen und in Ergebnisse zu transformieren.

Mentale Stärke hat zahlreiche Säulen. Die Verbindung dieser Säulen ist eine gelebte Selbstwirksamkeit. Selbstwirksamkeit bedeutet, dass du dein eigenes Leben aus einer starken inneren Überzeugung lebst und dich konstruktiv in die Welt einbringst. Im Umkehrschluss heißt es, dass du dann eben nicht das Leben von anderen lebst, um für die Erfüllung ihrer Ziele, Bedürfnisse und Befindlichkeiten zuständig zu sein.

Mentalgiganten leben jene Selbstwirksamkeit auf eine ganz besondere Weise. Das gelingt ihnen, da sie um ihre eigene Identität und Integrität wissen und sich erlauben, selbsterfüllt zu leben. Sie kennen sich selbst außerordentlich gut, sie konfrontieren sich mit ihren Stärken und Schwächen ohne Wenn und Aber. Mentalgiganten wollen vorankommen, sie bringen Neues in die Welt, sie sind ihr eigener Fixpunkt und geben anderen Orientierung. Mentalgiganten sind mutig und wollen immer weiter lernen. Mentalgiganten sind flexibel, sind bewusst im geistigen Neuland unterwegs und sind für sich geklärt – sie sind eins mit sich selbst. Dadurch haben sie die stabile Basis, um mental herausragend zu denken und wirkungsvoll zu agieren.

Andocken an den Lebensstrom

Muss es denn eigentlich immer weiter nach vorn gehen? Können wir nicht einfach nur mal sein – so wie wir sind? Kein Mangelempfinden, keine Optimierung, kein Gewinnen müssen, kein Bessersein wollen, keine Entwicklung, keine Anstrengung, keine Bedürftigkeit, kein Streben. Einfach nur sein – ist das nicht ein grandioses Achtsamkeitskonzept, was uns dann letztlich auch mental stark macht? Ja, und es ist ein Teil der Mentalgigantenqualität.

Ich werde oft gefragt: »Michael, du willst ja auch immer weiter vorankommen. Ist dir das nicht zu anstrengend, und bist du denn nicht, so wie es eben ist, zufrieden?« Dann antworte ich: »Ja, natürlich ist es manchmal anstrengend, insgesamt sehe ich mich als sehr glücklichen Menschen und bin ganz bewusst aus strategischen Gründen eben temporär für ganz kurze Augenblicke unzufrieden.«

Und dann folgt häufig gleich die nächste Frage: »Du musst doch alles, was du schon erreicht hast, auch irgendwann mal richtig genießen können, einfach nur innehalten und zufrieden zurückblicken?« Meine Antwort: »Auch das tue ich, und das eine schließt das andere überhaupt nicht aus, sondern eher mit ein.«

An dieser Stelle eine Sache vorab, weil ich überhaupt kein Interesse an Schulmeisterei habe. Letztlich kann jeder für sich selbst entscheiden und justieren, welches Leben er führen will. Ich habe bei vielen tollen Menschen, mit denen ich zusammenarbeiten darf, und auch für mich selbst jedoch eines ganz deutlich festgestellt:

Wir Menschen leben, wir atmen, wir sind nicht statisch. Leben ist Bewegung, in welcher Form auch immer. Wir brauchen die Entwicklung, und so ist es auch in der Natur, deren Teil wir sind. Ein Baum wächst immer weiter, irgendwann stagniert sein Wachstum, wenn er kein Licht, kein Wasser und keine Nährstoffe erhält, und dann stirbt er ab. Wir benötigen unbedingt eine positive Entwicklung, egal worin. Leben ist Entwicklung, und daher ist das Vorankommenwollen nichts anderes als das Andocken an den Lebensstrom. Das ist ein relevanter Punkt. Durch das Andocken an den Lebensstrom, durch die Herausforderung, durch die Veränderung kommen wir in die Balance. Wir benötigen das Neue, wir benötigen das Scheitern und natürlich auch die Erfolge, um eins mit uns selbst zu sein. Das macht mental stark.

Ich kenne keinen Menschen, der sich über Erfolge ärgert, es sei denn, dieser Mensch ist nicht bereit, mit den damit verbundenen Konsequenzen zu leben. Doch das Ereignis selbst – wenn du dir etwas vornimmst und es gelingt –, das ist doch zweifelsfrei wunderbar. Das ist in der Schule die gute oder sehr gute Note, im Studium die gelungene Klausur, im Sport der persönliche Rekord, im Business der langersehnte Auftrag, im Privatleben der Erwerb des Traumhauses, um nur einige von unzähligen Beispielen zu nennen. Erfolg ist übrigens nicht nur ein erfreuliches Ergebnis durch einen Leistungsvergleich. Erfolg ist generell als positives Ergebnis einer Bemühung zu verstehen, die selbstverständlich auch ohne Wettbewerb auskommen kann. Was auch immer du für dich als Erfolg definierst: Der Erfolg selbst ist fantastisch, der gute Umgang mit dem Erfolg ist die eigentliche Herausforderung. Somit ist das Innehalten und eine mit Dankbarkeit gepaarte innere Zufriedenheit ein wunderbares Lebensglück. Es ist wie Ebbe und Flut, wie Yin und Yang. Yin (Ruhe) und Yang (Aktivität) bekämpfen sich nicht, sondern ergänzen sich. Das ist das große Ziel: eins mit uns selbst zu sein.

Und so ist es auch mit Erfolg und Misserfolg. Auf einen Sieg folgt eine Niederlage, folgt ein Sieg, folgt eine Niederlage, folgt ein Sieg. Es gibt Zeiten, in denen es mehr Siege gibt, und Zeiten, in denen zu viele und vor allem harte Niederlagen uns ins Zweifeln bringen. Genau dann zeigt sich, wie mental stark du bist. Wie schnell und gut bist du beispielsweise in der Lage, kluge Schlüsse aus den Niederlagen zu ziehen? Topsportler sind sich einig, dass Niederlagen sie am stärksten vorangebracht haben, und zwar genau dann, wenn sie etwas erkannt, gelernt und schließlich auch umgesetzt haben.

Merksatz

Sei mutig, stelle dich der Entwicklung und docke an den Lebensstrom an!

Auch für das Business gilt die Bedeutung der Entwicklung, des Fortschritts unbedingt. Reinhold Würth, der nach dem frühen Tod seines Vaters 1954 mit 19 Jahren dessen Schraubenhandlung als Zweipersonen-Unternehmen übernahm, setzte konsequent auf Entwicklung und etablierte über die Jahrzehnte die Würth-Gruppe zum weltweit führenden Handelskonzern für Befestigungs- und Montagematerial sowie Werkzeuge mit über 125 000 verschiedenen Produkten. Ende 2019 zählte die Würth-Gruppe über 78 000 Mitarbeiter bei einem Umsatz von mehr als 14 Milliarden Euro. Auch mit 85 Jahren im Jahre 2020 ist Reinhold Würth noch aktiv und zudem ein sehr gefragter Talkgast und Interviewpartner. Dabei spricht der Mann, der als Schraubenkönig Milliardär wurde, auch davon, dass er die Entwicklung von Unternehmen in drei Phasen einteile: die des Werdens, des Seins und des Vergehens. »Ich möchte, dass wir uns, so lange es geht, in der Phase des Werdens bewegen. Das erreicht man am besten, indem man die Umsätze vergrößert, Firmen zukauft, neue Geschäftsfelder aufmacht – indem man agil und vital bleibt.« Schon die Phase des Seins symbolisiere Stillstand, eine Buchhaltermentalität greife um sich, es werde nur noch verwaltet. Firmen müssten dann oft ihr Tafelsilber verkaufen, um den Betrieb am Laufen zu halten: »Ich hoffe, dass wir nicht dahin kommen.«1