Über die Autorin
Johanna Lindbäck, geboren 1972 in Stockholm, lebt in Stockholm. Bevor sie sich ganz dem Schreiben von Jugendbüchern widmete, war sie Englisch- und Schwedischlehrerin. In Schweden hat sie schon viele Romane für Jugendliche veröffentlicht.
Gut. Besser. Das Beste auf der Welt ist ihr erstes Buch in deutscher Sprache.
Impressum
Editorische Notiz: In Schweden ist es üblich, alle zu duzen. Auch Eltern von Freunden. Das wurde in der deutschen Übersetzung beibehalten, auch wenn man sich erst ein bisschen daran gewöhnen muss.
Dieses E-Book ist auch als Printausgabe erhältlich
(ISBN 978-3-407-81144-8)
Die Übersetzung dieses Buches wurde gefördert vom Swedish Arts Council, Stockholm
www.beltz.de
© 2013 Beltz & Gelberg
in der Verlagsgruppe Beltz · Weinheim Basel
Alle Rechte der deutschsprachigen Ausgabe vorbehalten
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel
Välkomen hem bei Rabén & Sjögren, Stockholm
© 2011 Johanna Lindbäck
Published by agreement with Rabén & Sjögren Agency
Aus dem Schwedischen von Gabriele Haefs
Lektorat: Eva-Maria Kulka
Neue Rechtschreibung
Einbandgestaltung: Moni Port
unter Verwendung eines Fotos von Giorgio Magini © getty images
E-Book: Beltz GmbH Bad Langensalza, Bad Langensalza
ISBN 978-3-407-74413-5
»Du erkennst doch bestimmt alles wieder, Herzchen?« Papa sah mich im Rückspiegel an. »Die Bergnäsbrücke?«
»Die Bergnäsbrücke«, wiederholte ich brav.
»Viel schöner als die – wie heißt die doch noch gleich? Die Tower Bridge?«
»Ja, ach ja. Viel schöner.«
Papa nickte zufrieden, so ist das richtig, als sich unsere Blicke trafen, und wir lächelten.
»Macht ihr denn auch mal ein Klassentreffen?«, fragte mein Bruder Svante. »Ich meine, mit deiner Schule in London?«
»Mmm. Mal sehen. My und ich wollen uns jedenfalls so bald wie möglich treffen.«
»Aber Kind, jetzt musst du erst mal wieder richtig zu Hause ankommen, ehe du irgendwelche Klassentreffen planst«, sagte Mama vorwurfsvoll. »Wir wollen doch ins Ferienhaus fahren und alle zusammen sein und es uns gemütlich machen.«
»Na wunderbar!«, rief Svante und wir kicherten beide.
Mama seufzte.
»Klar wollen wir zusammen sein«, sagte ich schnell. »Mit Ferien und Gemütlichkeit und allen Schikanen.«
»Sieh mal, Sara!« Papa zeigte begeistert nach rechts. »Deine neue Schule!«
»Die sehe ich ja auch erst mein ganzes Leben lang, ja«, murmelte ich.
Papa hatte mich nicht verstanden und fragte: »Was?«
Ich schüttelte den Kopf. Svante warf mir einen Blick zu. Ich weiß, die sind ein bisschen … aber reiß dich zusammen, das machen sie nicht lange.
Als wir uns auf dem Flugplatz umarmt hatten, hatte er gut gerochen. Deo oder Aftershave oder so was. Mein kleiner Bruder. Und offenbar war ihm neuerdings sogar seine Frisur wichtig. Er sah richtig süß aus. Als ich ihm das sagte, stöhnte er natürlich nur, aber ich glaube, er hat sich doch auch ein wenig gefreut.
»Hätte ich vielleicht die längere Strecke nehmen sollen?«, fragte Papa, als wir in unsere Straße einbogen. »Soll ich das noch machen, Wuschel?«
Ich drehte mich um und schaute zum Haus von Bella und Mattias hinüber. Alles sah so aus wie immer. Ihr Wagen stand in der Einfahrt, das Tor war geschlossen, damit Cooper nicht weglaufen konnte. Genau wie sonst auch.
»Papa, ich schwöre dir, ich kann mich gut an unsere Stadt erinnern«, sagte ich. »Fahr einfach nach Hause.«
Ob Mattias wohl wusste, dass ich an diesem Wochenende zurückkommen würde, ob Bella ihm etwas gesagt hatte? Ob dieser Samstag für ihn zu einem ganz besonderen Datum geworden war, hatte er die ganze Woche daran gedacht, die Tage gezählt? Und war er jetzt zu Hause, stand er vielleicht hinter einem der Fenster unten im Wohnzimmer und schaute heraus, als unser Wagen um die Ecke bog, und dachte … ja, was dachte er wohl? Ich hatte keine Ahnung. Wusste nicht einmal, ob ihn das überhaupt noch interessierte. Oder wie er aussah oder was er so machte. Ich wusste nur, dass ich das alles bald wieder wissen würde, wenn er es nur zuließ.
Ein dunkelblaues Auto mit Anhänger stand quer am Straßenrand und blockierte unseren Parkplatz vor dem Haus.
Papa fuhr ein wenig weiter, aber alles war voll. »Wir packen aus und ich erledige das später.« Er setzte zurück.
Während wir meine Reisetasche und den Rucksack und die Tüte mit den Süßigkeiten aus dem Duty-free-Laden und die beiden Taschen auspackten, die ich als Handgepäck mitgenommen hatte, obwohl sie schweineschwer waren, kletterten zwei Typen aus dem Anhänger und hoben die Stühle herunter, die darin gestanden hatten.
»Ist das vielleicht euer Parkplatz?«, rief der eine. »Ich kann wegfahren. Jocke, hast du …«
Der ältere Typ, der offenbar Jocke hieß, fischte die Wagenschlüssel aus seiner Jeanstasche und gab sie ihm.
Mama und Svante nahmen jeweils eine Tasche und gingen zum Haus. Als ich mir den Rucksack aufladen wollte, blieb mein Armband an einer Schnalle hängen und das Gummiband zerriss. Ich erstarrte, wie man das macht, wenn etwas kaputtgeht. Wie in Zeitlupe sah ich die blauen und roten Perlen in alle Richtungen auseinanderfliegen.
»Oh nein. Verdammt!«
Der Typ, der Jocke hieß, drehte sich um. Er sah mich an und schaute dann zu Boden. »Ach je.« Er stellte die Stühle ab. »Soll ich dir helfen?« Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er in die Hocke und las die Perlen in seiner Nähe auf.
»Danke«, sagte ich, bückte mich ebenfalls und fing mit Aufsammeln an. »Es ist ja kein kostbares Armband oder so, aber …«
»Aber trotzdem«, sagte er und deutete ein Lächeln an. »Ärgerlich, wenn es zerreißt.«
»Ja.«
Obwohl die Perlen ziemlich groß waren, dauerte es seine Zeit, und als der jüngere der beiden Typen sein Auto weggestellt und Papa vor dem Haus geparkt hatte, waren wir noch immer damit beschäftigt.
»Mein Armband«, erklärte ich ihnen.
Der jüngere Typ hob eine blaue Perle vor seinen Füßen auf. »Sind die wertvoll?«
Ich zuckte zusammen und schaute ihn überrascht an. Etwas lag in seinem Tonfall, als ob er mit dem Gedanken spielte, mir die Perlen nicht zurückzugeben, sondern sich die Taschen damit vollzustopfen.
»Und wie – die sind schließlich aus echtem Kunststoff. Steck sie ein und renn los!«
Er sah mich an und lächelte ein wenig belustigt. Aber dann beschloss er wohl, mir doch noch zu helfen. Er hielt eine Hand über meine geöffneten Hände und seine Ausbeute rieselte herab.
»Tausend Dank«, sagte ich ganz besonders herzlich, um die Ironie hervorzuheben, und er antwortete ebenso überschwänglich: »War mir ein Vergnügen.«
War das auch ironisch gemeint? Oder sogar spöttisch? Ich verkniff mir ein schnippisches »Amen!«. Trotzdem lächelte er wieder, als ob er begriffen hätte, dass er gewonnen hatte. Falls das also ein Wettkampf gewesen war. Wie war ich mit ihm überhaupt in diese Situation geraten, mit einem Menschen, den ich noch nie gesehen und zu dem ich nur einen einzigen Satz gesagt hatte? Verrückt.
Er strich sich eine Strähne hinter die Ohren. Seine Haare waren länger als meine. Hellbraun. Sie reichten ihm bis auf die Schultern. Einige Pickel oder eigentlich vor allem die Reste von Pickeln auf Wangen und Kinn. Blaue Augen. Kam mir ein paar Jahre älter vor als ich. Aber vielleicht dachte ich das ja nur, weil er so groß war. Große Leute wirken automatisch älter, und er ragte geradezu über mir auf, als ich da auf dem Boden hockte.
»Ich geh jetzt rein«, sagte er und packte die Stühle.
Jocke erhob sich ebenfalls und gab mir eine neue Perlensammlung, die ich in die Tasche stopfen konnte.
»Danke für die Hilfe«, sagte ich normalfreundlich zu ihm und nickte.
Ich sah dem langhaarigen Typen gerade noch hinterher, als er sich umdrehte. Er grinste zufrieden, als er es merkte, und schien so was zu denken wie: 2: 0 für mich. Verdammt.
»Hier.« Ich reichte Papa rasch die Tüte mit den Süßigkeiten, ehe ich mir den Rucksack aufsetzte.
»Wer war das denn?«, fragte ich, als wir unseren Eingang erreicht hatten. »Neue Nachbarn?«
»Ja, vielleicht«, sagte Papa. »Ich hab sie noch nie gesehen.«
Als ich die Wohnung betrat, empfing mich Mama mit ausgebreiteten Armen und drückte mich lange und fest. Als ob wir uns nicht erst vor fünf Minuten gesehen hätten.
»Willkommen daheim, Liebling!«
Papa zeigte mir allen Ernstes Häuser, die ich seit fünfzehn Jahren kannte, und Mama begrüßte mich gleich zweimal. Na gut. Jetzt war ich wieder zu Hause.
»Hello, this is your person«, sagte My, als ich mich am Sonntagabend an meinem Handy meldete.
»My person! Thank God, dass du es bist, ich wollte dich schon den ganzen Tag anrufen.«
»Ja, und jetzt kannst du das. Auf meinem neuen iPhone.«
»Was?« Darüber mussten wir erst mal in aller Ausführlichkeit quatschen.
»Aaaaalso …«, sagte sie danach mit ihrer besten Psychologinnenstimme. »Wie ist es bei dir so gelaufen?«
»Ich hab Mattias noch nicht gesehen. Anderthalb fucking Tage und ich hab noch immer keinen Schimmer von ihm entdeckt. Das ist verdammt nervig.«
»Soll das heißen, das Einzige, was passiert ist, ist, dass du ihn noch nicht gesehen hast?«
»Nicht ganz.« Ich erzählte von meiner Rückkehr, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben von meiner Familie Blumen bekommen, dass Papa gegrillt hatte und dass wir den ganzen Abend gemütlicht hatten, um meine Mutter zu zitieren. Und heute hatten wir bei meiner Oma zu Mittag gegessen, mit meinen Kusinen und Vettern und Tanten und der ganzen Bande. Als wir danach nach Hause gekommen waren, klingelte es an der Tür und Tove, Miranda, Hanna und auch Bella standen mit einem Picknick da. Sie hatten Zimtschnecken und Apfelkuchen gebacken, Toffees und blaue Fazerschokolade gekauft, die ich so gern esse, und wir setzten uns auf einer Decke auf den Rasen vor dem Haus. Es war zwar etwas windig, aber trotzdem eine tolle Idee, ja, wirklich!
»Bella war dabei?«, fragte My. »Das war doch gut?«
»Schon. Mir kam das nur ein bisschen angespannt vor. Ich weiß nicht, vielleicht bin ich ja besonders paranoid, aber ich hatte das Gefühl, dass sie mich ab und zu vorwurfsvoll anschaute, weil ich ihn nicht erwähnt habe. Aber was hätte ich denn sagen sollen? Wie geht es deinem Bruder, wo steckt er? Ich wollte dieses Gespräch jetzt einfach nicht führen. Und dann kam Cooper angestürzt und ich bin hochgesprungen, wirklich hochgesprungen, total peinlich, ich war so verdammt nervös, weil vielleicht Mattias mit ihr unterwegs sein könnte. Aber es war nur ihr Vater, der mit ihr Gassi ging. Danach konnte ich mich einfach nicht mehr richtig beruhigen. Ich muss ihn sehen und die Sache hinter mich bringen, ich kann einfach nicht locker sein, solange das nicht passiert ist.«
»Und mal kurz rübergehen und Hallo sagen?«
»Nein! Das nicht, das wäre zu dramatisch. Es müsste einfach … eher zufällig passieren. Wie das bei Nachbarn eben so ist. Aber das Ganze ist der totale Stress für mich. Als ob ich eine blöde Kuh wäre. Bin ich denn eine blöde Kuh?«
My stöhnte. Ich stellte die Frage wohl zum dreihundertsten Mal, aber ich konnte es einfach nicht lassen.
»Wie viele Menschen bleiben denn mit ihrem ersten Freund für den Rest ihres Lebens zusammen? Ein Prozent? Man wird nicht zur blöden Kuh, bloß weil man Schluss macht. Jedenfalls nicht, wenn man es auf faire Weise tut. So wie du. Und es ist ein ganzes Jahr her. Nach einem Jahr ist man absolut keine blöde Kuh mehr. Und wenn doch, dann braucht der andere professionelle Hilfe.«
»Aber es kommt mir gar nicht wie ein Jahr vor«, jammerte ich. »Es kommt mir vor wie eine Woche. Wohin ich auch blicke, überall gibt es diese Er-und-ich-Erinnerungen, und alle, die mir begegnen, kennen ihn, alle Orte, alles ist so verdammt durchtränkt davon. Das ist das Problem.«
My stöhnte erneut. »Also echt, Sara! Darf ich mal kurz erzählen, wie es bei mir war, ehe wir mit unserem Lieblingsthema weitermachen? Sechzig Sekunden, Darling. Tu einfach so, als ob du zuhörst, starting now.«
»Ach, du weißt doch, wie verrückt das ist.« Ich holte tief Luft. »Entschuldige, los, das interessiert mich wirklich. Ich bin echt superinteressiert, my person.«
My hieß mit Nachnamen Person. Als sie vor dem Londonaufenthalt ihrer Gastgeberfamilie die erste Mail schrieb, waren die total verwirrt und dachten, sie habe mit »my person« unterschrieben. Und fragten: »What do you mean, ›my person‹?« Nachdem My das mir und Nick erzählt hatte, mussten wir sie einfach immer my person nennen.
»Also, das war so, dass ich mit dem Flug DL 103 aus Amsterdam gekommen bin, Platz 18D, oder war das 18C? Aber jedenfalls sind wir am Freitag um 14.35 in Arlanda gelandet, fünf Minuten zu früh, und da standen mein Vater und mein großer Bruder und …«, begann sie übertrieben detailliert. Ich kicherte.
Großzügige sechs Minuten oder nicht weniger als 360 Sekunden später war My fertig mit ihrer Willkommensparty samt iPhone-Geschenk und Gott weiß was sonst noch alles. Wir legten eine Pause ein und holten erst mal Luft.
»Ich könnte jetzt wirklich eine Nummer 8 brauchen«, sagte My und meinte damit unser Lieblingswokgericht in unserem Restaurant in London. »Ich habe die absolute Wahnsinnslust auf Nummer 8.«
My war ein Mensch, der von Essen träumte. Sie konnte morgens aufwachen und genau wissen, dass dieser Tag ein bestimmtes Sushi oder eine perfekt reife Avocado bringen müsste, alles andere wäre eine Katastrophe.
»Don’t I know it«, sagte ich. »Dann geh doch einkaufen. Ingwer, Cashewnüsse, Hähnchen. Was kommt da noch rein? Porree?«
»Ich versuche auch gerade, mich zu erinnern«, sagte sie. »Hast du schon mit Nick gesprochen?«
»Nope. Es war die ganze Zeit so viel los. Ich bin total erledigt. Totaaaal.«
»Hm. Ist es nicht unglaublich, dass wir jetzt wieder hier sind? Kannst du das begreifen?«
»Nöhö. Echt nicht.«
Ich hatte mal eine Geschichte gehört von einem Indianer, der mit dem Flugzeug gereist war und dann einige Tage auf dem Flugplatz verbracht hatte, damit auch seine Seele ankommen könnte. Ich hatte das bescheuert gefunden, aber jetzt konnte ich ihn verstehen. Nicht, dass ich Lust gehabt hätte, mich auf dem Flughafen Kallax niederzulassen, aber es war anfangs ziemlich verwirrend gewesen, mitten in riesige Familientreffen, Picknicks mit den besten Freundinnen und nicht existierende Zusammenstöße mit Mattias zu fallen. Auch morgens in meinem Zimmer aufzuwachen und Mama und Papa draußen rumoren zu hören, war mir komisch vorgekommen. Meine Seele war einfach noch nicht so weit, obwohl ich doch das ganze Jahr gewusst hatte, dass ich Anfang Juni nach Hause fahren würde. An manchen Heimwehtagen hatte ich mich ungeheuer darauf gefreut, aber als es dann so weit war, kam es mir vor wie: »Doch nicht etwa jetzt schon?«
»Du bist keine blöde Kuh«, sagte My mit sanfter Stimme, nachdem wir eine Weile geschwiegen hatten. »Merk dir das. Es ist nicht deine Schuld, dass er dir irgendwann nicht mehr so viel bedeutet hat wie am Anfang. So was passiert dauernd, auch wenn man hofft, dass es nicht so weit kommt. Und es ist natürlich besonders blöd, dass er zufällig der Zwillingsbruder von einer deiner besten Freundinnen ist, aber auch das ist nicht deine Schuld. Soll man etwa einen lebenslangen Liebe-forever-Vertrag unterschreiben, ehe man einen Typen auch nur anguckt? Das geht doch nicht. Haben Mattias und Bella das noch immer nicht kapiert … Entschuldige, aber dann haben sie große Probleme. Huge.«
»Mmm«, antwortete ich zögernd.
»Da siehst du.« Es klang, als ob My lächelte. Lieb und geduldig, ganz der wunderbare Mensch, der sie eben war, anders als Ego-Ich. Aber ich fühlte mich deshalb nur noch mieser. Ich hatte sie schamlos ausgenutzt, um ständig alle Phasen in meiner und Mattias’ Beziehung zu diskutieren und Strategien für meine Rückkehr aus London zu ersinnen.
»Und wie läuft es bei dir sonst so?«, fragte ich, um mein schlechtes Gewissen zu übertönen. »Hast du dich schon mit deiner Schwester gestritten?«
»Nein, und weißt du, was das für ein Weltrekord ist? Drei Tage! Ich frag mich ja schon, ob sie Drogen nimmt, weil sie so gelassen bleibt. Aber ich sollte es wohl einfach dankbar hinnehmen. Sprechen wir uns morgen?«
»Klar doch. Cheers, darlin’.«
»Love you, too, sweetie.«
Sommerferien sollten entspannt und sommerlich sein. Oder, wenn man meine Mama fragt, sommerlich und arbeitsam. Nicht genug, dass sie mir einen Sommerjob als Frühstückshilfe und Putzfrau im Hotel besorgt hatte. Ehe ich da anfing, sollte ich mich zu Hause offenbar warmlaufen. Als ich so gegen halb zehn aus dem Bett stieg, lag auf dem Küchentisch ein Zettel.
Sara! Kannst du bitte deine alten Klamotten aus Kommode und Schrank aussortieren, ehe du die neuen reinlegst? Hab um 13 Uhr Wäschezeit für dich gebucht. Sieh auch Socken und Unterhosen durch. Und es wäre schön, wenn du die Schubladen auswischen könntest, wenn du sie leergeräumt hast.
Neben dem Zettel lagen der Schlüssel zur Waschküche und ein schwarzer Müllsack, in den ich vermutlich meine alten Sachen stopfen sollte.
Als ich unten ankam, waren zu allem Überfluss die Maschinen belegt. Der langhaarige Typ vom Samstag, der Nervbolzen, der meine Plastikperlen hatte stehlen wollen, saß da und las in einem Buch, und um seine Füße herum lagen die Packung mit dem Waschpulver und einige Plastiktüten aus dem Supermarkt. Er wohnte also hier im Haus. Na, super.
»Wer hat die Maschinen belegt?«, fragte ich ihn.
»Ich«, sagte er.
»Aber die sind zufällig gebucht.« Ich ließ meine Wäschetüten mit einem gereizten Seufzer auf den Boden fallen. Alle Waschmaschinen liefen, es gab keine mehr, die ich hätte nehmen können. »Du hast nicht zufällig mal daran gedacht, das vorher zu überprüfen, oder?«
Er schaute auf seine Uhr, dann sah er mich an.
»Es ist dreiundzwanzig nach.«
»Und?«
»Und schau mal da.« Er nickte zu einem Aushang neben der Tür hinüber. Darauf stand, dass man die gebuchten Zeiten übernehmen dürfte, wenn sie nicht innerhalb einer Viertelstunde genutzt würden. Ich hatte das bestimmt schon hundert Mal gelesen, aber ich folgte seinem Nicken wie ein Superdussel und schaute noch einmal den Aushang an.
»Du warst zu spät und wir hatten ziemlich viel zu waschen«, sagte er dann.
»Du hast also nur dreizehn und fünfzehn und los gesagt?«
»Ja?«
3: 0. Ich zeigte wütend auf meine Tüten. »Ja?! Ich war zufällig ein ganzes Jahr weg, da kannst du dir ja denken, wie viel ich zu waschen habe.«
Der Typ sah mich an. Okay, er trug typische »großes Wäschebedürfnis«-Klamotten: unter einer hellblauen und weißen Adidas-Trainingsjacke blitzte ein verwaschenes T-Shirt mit einem schrillen und scheußlichen, neongrünen Firmenlogo quer über der Brust. Ein T-Shirt, das man einwandfrei nicht anzog, wenn man die Wahl hatte. Und beige Shorts, obwohl es überhaupt kein Shortswetter war, und dazu unterschiedliche Socken, eine blaue und eine graue. Aber trotzdem!
»Na gut, du kannst doch einfach nach mir waschen. Ich bin in … einundvierzig Minuten fertig und die nächste Schicht geht dann erst in zwei Stunden los.« Es hörte sich an, als ob er mir einen riesengroßen Gefallen täte, so, wie er sich am Ende herabgelassen hatte, ungefähr fünf Perlen aufzulesen.
»Ach, wie reizend von dir«, sagte ich säuerlich. »Bist du auch sicher, dass dir das nichts ausmacht? Wo ich doch eine ganze Sekunde zu spät gekommen bin und überhaupt?«
Er zuckte ungerührt mit den Schultern und wandte sich wieder seinem Buch zu. »Mach, was du willst.«
Einundvierzig Minuten später saß ich wieder mit verschränkten Armen in der Waschküche und sah zu, wie er seine Wäsche aus den Maschinen zerrte. Die eine Maschine enthielt Buntwäsche in hellen Farben, rosa, beige, hellgrau und so. Handtücher, Bettwäsche, Hemden und T-Shirts. Ein Paar Chinos. In einer anderen waren die dunklen Farben, schwarz und dunkelblau. Jeans, eine Kapuzenjacke, T-Shirts, jede Menge Socken und Unterhosen. Und so ein Beutel für BHs. Ob er hier wohl mit seiner Freundin wohnte oder gehörte der seiner Mutter?
»Bitte sehr«, sagte er, nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass wirklich alle Maschinen leer waren.
»Dann kriege ich also in einer Stunde den Trockner und den Trockenschrank?«, fragte ich noch, ehe ich nach oben ging.
»Ja, das wäre sicher das Beste für alle.« Er kehrte mir den Rücken zu und hängte ruhig und methodisch seine rosa Handtücher in den Trockenschrank.
Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, überlegte mir die Sache dann aber anders und ging.
Mittwoch
Sara! Kannst du den Balkon fegen und Geländer, Stühle und Tisch ordentlich abwischen? Und bitte, feg den Dreck nicht zu den Nachbarn unter uns, sondern kehr ihn zusammen und tu ihn in eine Tüte. Und bring bitte noch das Altpapier weg. Kuss!
»Alle Angestellten in Schweden haben das Recht auf eine Stunde Sport pro Woche«, teilte ich meiner Mutter mit, als sie gegen zehn anrief und wissen wollte, wie es mir ging. Das bedeutete im Mamasprech so viel wie: Arbeitest du schon? »Und heute nehme ich meine. Und zwar genau jetzt. Ich werde erst mal joggen gehen, ehe ich irgendwelchen blöden Dreck zusammenfege.«
Eins hatte mir in London wirklich gefehlt: meine Laufrunde. Ich lief immer zuerst um Gültzauudden am Wasser entlang, dann machte ich noch Abstecher, abhängig davon, wie ich mich fühlte oder wie viel Zeit ich hatte. Ab und zu, wie heute, lief ich um die Landzunge herum auch zurück, einfach, weil es da so schön war, wegen der Aussicht und überhaupt.
Ich bog in Richtung der alten Werft ab, um wieder zu meiner üblichen Strecke zu gelangen. Und als ich gerade um eine Kurve laufen wollte, wäre ich fast mit einem mir gut bekannten, schwarzen Hund zusammengestoßen. Einem superlieben Hund. Cooper. Und nach ihr kam eine mir gut bekannte Gestalt in blauen Shorts und schwarzem T-Shirt. Ich erkannte Mattias sofort, obwohl ich wirklich nicht damit gerechnet hätte, bei meiner Joggingrunde auf ihn zu stoßen. Es war ein so unerwarteter Anblick, ihn joggen zu sehen! Wirklich ein Schock! Shit, ist er das? Das kann doch nicht er sein! Doch, er ist es. Shit! Im selben Moment sah er mich und wirkte ebenso geschockt.
»Seit wann gehst du joggen?«, fragte ich, als wir abwartend einige Meter voneinander entfernt anhielten.
»Seit Donnerstag vor zwei Wochen«, antwortete er atemlos.
Unsere Blicke sprangen nervös hin und her, von uns zum Wald, wieder zu uns, zu Cooper.
»Das wievielte Mal ist das also? Das dritte oder vierte?«
Coop sprang in ihrer üblichen hysterischen Freude um mich herum und ich bückte mich und begrüßte sie und war froh über die Ablenkung. Versuchte, mich zu beruhigen, während ich ihren Kopf streichelte und sie an Ohren und Hals kraulte.
»Hallo, meine Alte, hallo«, flüsterte ich und bekam als Antwort eine feuchte Zunge ins Gesicht.
»Nein, das zweite Mal«, sagte er. »Anfangs soll man ja nicht übertreiben, habe ich gehört.«
H-h-habe ich gehört. Er stotterte ein bisschen. Beziehungsweise, ich fand, er stotterte ein bisschen, er fand, er stotterte sehr viel. Er war überzeugt davon, dass alle nur daran dachten, wenn er etwas sagte. Ich glaubte nicht, dass irgendwer das weiter wichtig nahm, und dass es sogar etwas Positives sein könnte. Wenn er nur aufgehört hätte, sich davon irritieren zu lassen, hätte man ihm immer liebend gern und ständig zugehört, viel mehr als anderen, die perfekt sprachen. Aber ich glaube, er würde mir niemals abnehmen, dass es an seinem Stottern auch etwas Gutes geben könnte.
Ich ließ Coop los und richtete mich auf. Gab mir alle Mühe, Mattias ruhig und freundlich anzusehen. Nicht wie eine nervöse Irre von einem Fuß auf den anderen zu treten. »Und geht es gut? Das Laufen?«
Er holte Luft und schüttelte den Kopf.
»Na, dann warte mal bis zum zehnten, zwölften Mal, dann wird es schon besser«, sagte ich. »Man kommt rein, das kannst du mir glauben, und es wird ganz anders, wenn man erst …«
Sein Blick wich mir aus und er schaute zum Wasser hinüber. Ich hätte mich treten können. Das Erste, was ich tue, wenn wir uns nach einem halben Jahr wiedersehen, ist, gleich mit einem alten Lieblingsthema loszulegen. Wie oft hatte ich schon versucht, ungefähr auf diese Weise das Phantastische am Joggen zu erklären? Ich hatte meine üblichen Sprüche: »Es ist so entspannend und schön, Mattias!«, und er hatte seine üblichen Antworten: »… und leider so saulangweilig, Sara.« Wir hätten das im Schlaf durchziehen können. Es stand auch in den Regieanweisungen, dass er spöttisch lächeln musste, dass ich die Beleidigte spielte und dass es dann zum Schluss einen Versöhnungskuss gab. Aber das alles gehörte in eine andere Zeit mit anderen Rollen, und ich wollte ihn nicht daran erinnern, dass wir jetzt nur noch Nachbarn sein konnten. Bestenfalls.
Genial. Total. Kein bisschen.
»Übrigens: Hallo«, sagte er und fuhr sich mit der Hand über Stirn und Augen. »Ich habe gehört, dass du wieder zu Hause bist.«
»Ja. Seit Samstag.«
»Alles klar.« Er nickte.
»Ja«, sagte ich wieder und nickte ebenfalls.
Ich hatte so viel über diesen Augenblick nachgedacht. Aber wie viel ist viel? Ich hatte mir wie eine Besessene den Kopf zerbrochen. Was passieren würde, wie es sein würde, was ich sagen würde, was er vielleicht sagen würde. Es hatte mehrere mögliche Szenarien gegeben, und ich hatte mich gefragt, ob es jetzt etwas leichter sein würde als bei unserem Treffen zu Weihnachten. Irgendwann wäre es doch sicher an der Zeit dafür? Zum Beispiel jetzt? Oder würde er wütend sein? Total steif? Noch immer ausweichend?
Mein Traumszenario war, dass wir uns an einem neutralen Ort begegneten und beide irgendwie zurückhaltend freundlich waren. Wir begrüßten uns und plauderten eine Weile auf eine angenehm undramatische Weise. Wir wollten beide weder sofort weglaufen noch brachen wir in Tränen aus. Wir würden es schaffen, es hinter uns bringen. Wir würden einander ansehen können, fast normal. Ich würde ihn vielleicht sogar ein wenig zum Lachen bringen können. Das wäre der totale Traumstart: Lachen und dass telepathische Unterströmungen zwischen uns fließen würden.
Telepathie-Ich: Du, es tut mir wirklich leid, dass es so gekommen ist. Das bedeutet nicht, dass ich dich nicht für einen feinen Menschen halte, denn das bist du. Ein unglaublich feiner Mensch! Wunderbar geradezu. Und ich hab dich so unendlich, unendlich gern, nur nicht auf diese Weise. It wasn’t you, it wasn’t me, das weißt du doch.
Telepathie-Er: Ja, das weiß ich, Sara. Ich hatte ja ein Jahr, um mir alles zu überlegen, und jetzt verstehe ich, was du meinst. Ich glaube, ich bin jetzt bereit, um zur nächsten Phase überzugehen. Sind wir wieder Freunde?
Telepathie-Ich, überglücklich: Klar doch! Freunde!
Dann würde er nach Hause gehen und Bella Bericht erstatten, und sie würde mich nicht mehr vorwurfsvoll ansehen, sondern wir könnten alle drei wieder eine Art friedliche Co-Existenz führen. Very happy ending. Und dann, das Wichtigste, a very happy new beginning.
Ich weiß nicht so recht, was ich mir vorgestellt hatte, worüber wir plaudern könnten, während wir miteinander so wundervoll telepathierten. Aber als wir nun hier standen, fiel mir kein einziger sinnvoller Satz ein. Alles, was mir durch den Kopf wirbelte, kam mir zu belastet oder einfach unmöglich vor. Du hast das doch nicht ernst gemeint, dass wir niemals wieder richtige Freunde sein könnten?
Etwas anderes, womit ich nicht gerechnet hatte, war, was das Wiedersehen in Wirklichkeit für ein Gefühl sein würde. Welche Wirkung es auf mich haben würde. Er kam mir so groß vor, als wir nebeneinander standen. Er musste im vergangenen Jahr mindestens fünf Zentimeter gewachsen sein. Wenn man überhaupt so viel wachsen kann. Jetzt war er sicher über 1,80, was seiner Ansicht nach für Männer ein Minimum war.
Er hatte längere Haare und das sah einfach super aus. Genau wie Adam Brodys Frisur, als er bei The OC war.
Mattias sah total gut aus. Das hatte ich immer gefunden, schon, als wir noch längst nicht zusammen waren, und das bedeutete wohl, dass er das objektiv gesehen wirklich tat. Obwohl sie zweieiige Zwillinge waren, sahen er und Bella sich ziemlich ähnlich. Eine weibliche und eine männliche Version mit dunkelblonden Haaren, blauen Augen und listigem Lächeln. Sie sahen beide aus, als ob sie es faustdick hinter den Ohren hätten, und das lag sicher vor allem daran, dass der Mund die größte Ähnlichkeit zwischen ihnen war. Die Mundwinkel zeigten ständig ein wenig nach oben. Tove ärgerte sich immer darüber, dass sie gefragt wurde, weshalb sie denn sauer sei, wenn sie einfach nur ganz normal guckte. Das passierte Bella und Mattias garantiert nie.
Am liebsten wäre ich in diesem Augenblick erstarrt, um ihn in aller Ruhe ansehen zu können, um ganz gelassen jedes kleine Detail durchzugehen. Die Augen, die phantastische Halsgrube, die Hände, die Blicke, die Wangen, bei denen ich noch genau wusste, wie es war, mit den Händen darüberzustreichen, den Hals, an den ich mich schmiegen konnte. So unendlich viel anzusehen. So unendlich viel Schönes. Das schönste Schön der Welt.
Er räusperte sich. »Ich muss weiter, wir sehen uns sicher mal.«
»Ja.« Ich trat beiseite, um ihn und Cooper vorbeizulassen, und er zog an Coopers Leine und sah mich ein letztes Mal an, ehe er weiterlief. Dieser Blick war an sich nicht direkt hasserfüllt, aber er war auch alles andere als munter und entspannt.
Wir sehen uns sicher mal. Bedeutete das auf Telepathisch: »Wir sehen uns sicher mal, leider«?
»Ach, wie süüüß!« Hanna riss begeistert die Augen auf, als ich mein Secondhandkleid hochhielt, das ich eine Woche vor meiner Abreise gefunden hatte. Dunkelrot mit schmalen, hellroten Streifen, roten Knöpfen und einem kleinen Kragen.
»Ich wollte ja eigentlich nichts mehr kaufen, aber bei dem hier konnte ich einfach nicht widerstehen.«
Den ganzen Frühling hindurch hatte ich jede Menge schöner Sachen gefunden, die perfekt zu all den verschiedenen Situationen passten, auf die ich hoffte. Eine Secondhandjeans, die genau richtig blassblau verschlissen war, wäre ideal für Spaziergänge mit Cooper. Ein gelbes T-Shirt im Stil der Siebzigerjahre mit braunem Rand am Hals und an den Ärmeln. Schön locker für einen Filmabend. Ein kurzer, grüner Rock mit winzigen, schwarzen Blumen, wie geschaffen zum gemeinsamen Kaffeetrinken oder auch nur, um im Garten von Mattias und Bella herumzusitzen und stundenlang über alles und nichts zu reden. Kurze Pausen, um mit dem Hund zu spielen.
Und dann das, was ich gerade anhatte: eine neue, rote Jeans und ein weißes Oberteil. Ich-verlasse-das-Haus-und-da-laufen-wir-uns-vielleicht-über-den-Weg-Kleider. Für den Fall muss man ja schließlich auch gut aussehen.
»Das ist doch teuflisch gut«, sagte Hanna über das rote Kleid. »Es ist perfekt für dich, Sara. Und die Haare! Tolle Frisur. Du siehst ein bisschen aus wie diese Justine F-sowieso, die mit dem Sänger von Blur zusammen war.«
»Wie wer?«
»Die sieht super aus. Rockig. Zuerst war sie mit dem von Suede zusammen und dann mit dem von Blur. Die waren so eine Art Jay-Z und Beyoncé der Neunzigerjahre. Nur britisch.«
»Ehrlich, woher weißt du so was?«
Hanna zuckte mit den Schultern. »Internet.«
Ich sah mein Spiegelbild an und fuhr mir mit der Hand durch die Haare. Die Haare schneiden zu lassen, war ebenfalls eine meiner letzten Aktivitäten gewesen, ehe ich London verlassen hatte. Ich hatte seit Jahren nicht mehr so kurze Haare gehabt, eine Art Pagenfrisur, aber nicht glatt und ordentlich gekämmt, sondern eher wild und struppig. Genau wie Hanna gesagt hatte: rockig.
»Na gut. Fertig.« Sie schwenkte die Hände, damit der grüne Nagellack, den sie von mir geliehen hatte, schneller trocknete.
Sie hatte nachmittags angerufen und gefragt, ob ich abends mit zur Odde kommen wollte. Irgendwelche Leute vom Wirtschaftszweig wollten grillen, andere hatten sich drangehängt und das Ganze könnte vielleicht zum Fest ausarten.
»Entweder wird es groß und superlustig oder eben winzig, ich weiß nicht, aber wir können uns ja alles mal ansehen«, sagte sie, und ich wollte gern mitkommen.
»Und wann lerne ich Wonderboy kennen?«, fragte ich, als wir unser Haus verließen und am Wasser entlangspazierten.
»Ganz bald, aber heute Abend hatte er mit seinen Kumpels etwas anderes vor. Sag bloß nicht Wonderboy, wenn du ihn siehst, versuch, dir das zu merken!«
»Ist also nicht sein offizieller Spitzname?«
Hanna lächelte. »Er braucht jedenfalls nicht zu erfahren, dass wir ihn so nennen.«
»Aber er wirkt Wunder?«
»Oh ja. Er ist so lieb und einfach reizend und sieht gut aus und …« Hanna fing typisch frischverliebt an, lauter gute Eigenschaften aufzuzählen. Mit geröteten Wangen und einem Lächeln, das genau auf der Grenze zwischen leicht verlegen und superstolz balancierte.
»You’re in loooove«, verkündete ich und versetzte ihr einen Rippenstoß. Das war allerdings nichts Neues. Fast alle ihre Mails im vergangenen halben Jahr waren kichernd neuverliebt gewesen.
Auf der Odde waren ziemlich viele Leute, aber sonst lief nichts Besonderes. Eine Klasse schien beim Fahnenmast zu grillen, das waren die vom Wirtschaftszweig, dann gab es noch kleinere Gruppen, die picknickten oder einfach nur tranken. Die meisten waren offenbar gekommen, um nachzusehen, ob etwas lief, genau wie wir. Wir gingen zum Wasser hinunter und hielten Ausschau nach Leuten aus Hannas Klasse, die vielleicht hatten kommen wollen, aber noch waren sie nicht aufgetaucht.
»Du hättest mal beim letzten Abi dabei sein sollen«, erzählte sie. »Da wurde so richtig gefeiert!«
»He, Sara!«, rief plötzlich hinter uns jemand und ich fuhr herum. Es war Arash, Mattias’ Kumpel. Und Mattias und Bella. Sie kamen langsam am Ufer entlang.
Shit, Mattias, dachte ich wieder, obwohl ich ihm doch nun schon einmal begegnet war und eigentlich ruhiger sein müsste. Er trug eine weinrote Kapuzenjacke, die ich noch nicht kannte. Sie sah super aus. An den Füßen seine alten, schwarzen Converse. Jeans, blau, eher anonym. Seine Haltung, er war ganz bestimmt gewachsen. Und schmaler geworden? Seine Haare waren jetzt frisiert, sahen aber noch immer umwerfend aus. Seine Miene, ernst. Vielleicht ein wenig nervös und sauer?
Wir sehen uns sicher mal, leider?
Die drei waren offenbar über die Joggerpiste vom Wasser hochgekommen. Wir blieben stehen, damit sie uns einholen konnten.
»Aber hallo!«, sagte Arash fröhlich und umarmte mich so heftig, dass ich vom Boden abhob. »Schön, dich zu sehen, Mädel.«
»Ebenfalls.«
Ich mochte Arash unheimlich gern. Er war so einer mit mindestens dreihundert Telefonnummern, und man begriff sofort, warum, wenn man eine Viertelstunde mit ihm zusammen gewesen war. Die perfekte Kombination aus lustig und lieb und offen.
»Verstehst du noch immer Schwedisch?«, fragte er übertrieben deutlich und laut, als ob ich nicht nur Sprachprobleme hätte, sondern auch schwerhörig wäre.
»Glaube schon«, antwortete ich auf dieselbe Weise und wir lachten.
»Und ist es schön, wieder zu Hause zu sein?«
»Ja, unbedingt.«
»Frag in einer Woche noch mal«, sagte Bella zu Arash. Sie und Mattias hatten uns jetzt eingeholt, trotz ihres Schneckentempos. »Wenn sie zwanzig Mal durch die Hauptstraße gegangen ist und ihr auffällt, dass es sonst nichts gibt.«
Bella lächelte mich an und wir küssten die Luft neben unseren Wangen. Dann sah ich zu Mattias hinüber, um festzustellen, ob wir uns ordentlich begrüßen oder einander nur zunicken würden. Er sagte kurz Hallo, dann wandte er sich halb ab und machte sich an seinem Handy zu schaffen.
»Ach, und selbst?«, fragte ich also Arash. (Rede nur, rede, rede, nimm es dir nicht zu Herzen, immer weiter!)
»Machst du Witze? Noch zwei Tage Schule und dann nach Mittsommer ein Sommerjob als Bademeister.«
»Waas? Baywatch?«
Arash lachte. »Ja, ich hab im Frühling ein bisschen extra gestemmt«, sagte er und zeigte seine Muskeln. »Man will die Leute doch nicht enttäuschen, wo sie schon Eintritt bezahlen und überhaupt.«
»Du meinst also, sie kommen deinetwegen und nicht zum Baden?«, fragte ich ebenfalls lachend.
»Ja, was hast du denn gedacht?« Sein Blick wanderte zum Eingang, wo langsamen Schrittes zwei Polizisten näher kamen. Es sah nicht aus wie ein Einsatz, sondern als ob sie ruchlose Verbrechen oder wie immer sie das nun nannten verhindern sollten. Arash wurde leiser. »Oha. Ihr müsst jetzt alle wahnsinnig unschuldig aussehen, dann passiert uns nichts. Matte, weg mit dem Stoff, und zwar sofort!«
Ich kicherte und sah Mattias an, der meinem Blick sorgfältig auswich und nur ein wenig die Augen verdrehte.
Der eine Polizist verließ den Weg und ging zu einer kleinen Gruppe von Jungen. Der aus der Waschküche war auch dabei! Seine schlecht zusammenpassende Kleidung war nun ersetzt worden durch Jeans, ein weißes T-Shirt und darüber die hellblaue Adidasjacke. Das sah immerhin etwas besser aus.
»Wisst ihr, wer das ist?«, fragte ich die anderen. »Der da hinten, Adidas.«
»Keine Ahnung«, antwortete Arash. »Wieso?«
»Er hat neulich meine Waschküchenzeit geklaut. Ganz schön nervig, der Typ.«
»Ach, aber jetzt wird er ja eingebuchtet, das sieht man sofort. Ich habe gehört, dass gerade Waschzeitdiebstahl von nun an viel strenger bestraft werden soll. Drei bis fünf Jahre mindestens.« Arash nickte zufrieden, während wir weiter zusahen, was der Typ und der Polizist da machten. Sie schienen einander sehr gut zu kennen, und vermutlich auf eine nicht verbrecherische Weise, denn der Polizist legte Adidas zur Begrüßung einen Arm um die Schultern.
Trotzdem holte Arash erwartungsvoll Luft, als ob wir einen spannenden Actionfilm sähen und beim großen Showdown angekommen wären.
Ich spielte mit und soufflierte dem Polizisten mit gebieterischer Stimme: »Kommst du freiwillig mit auf die Wache?« In Wirklichkeit stand er ruhig da und redete mit dem Typen und dessen Kumpels, lachte sogar ein wenig.
»Ich habe meine Männer überall postiert, da, da und da.« Ich nickte diskret zu unterschiedlichen Stellen am Waldrand hinüber. »Ein Wort und … Widerstand ist zwecklos. You’re going down, baby. You. Are. Going. Down.«
Ich wusste, es wäre strategisch sinnvoll, es nicht zu tun, aber ich wollte Mattias eben doch ein drittes Mal ansehen, jetzt, wo Arash und Hanna mit mir kicherten. Das hier hatte immer so gut zwischen uns funktioniert. Ich fing mit einer Phantasiegeschichte an und er stieg ein. Oder umgekehrt. Manchmal konnten wir einander zu absolut hysterischen Lachanfällen treiben. Ich weiß nicht, wie viele Internwitze sich im Laufe der Jahre aus solchen Situationen ergeben hatten.
Na los, dachte ich, während ich vorsichtig über meine Schulter hinweg zu ihm hinüberlinste. Nun lach schon, Mann! Nur ein wenig, nur eine Andeutung!
Aber nein. Er schaute Bella an und die flüsterte ihm etwas ins Ohr. Vielleicht hatten sie uns nicht einmal zugehört.
»Na, toll!«, rief Arash neben mir enttäuscht. Der Polizist hatte den Typen und seine Kumpels verlassen und war auf dem Weg zurück zu seinem Kollegen. Ohne Festnahme. »Einwandfrei Mangel an Beweisen. Aber bald schnappen sie ihn. Es ist doch zu übel, einfach so die Waschzeit von anderen Leuten zu klauen.«
Mattias trat neben Arash. »Gehen wir.«
Das war keine Frage.
Bella ging ebenfalls mit, nachdem sie uns zum Abschied kurz zugezwinkert hatte.
Hanna und ich blieben schweigend stehen, bis sie außer Hörweite waren.
»Gott, was war das denn?!«, sagte ich. »Nichts! Nichts, gar nichts!«
Bellas obligatorische Umarmung zur Begrüßung und zum Abschied war einem Zwinkern gewichen, sie hatte keine zwei Sätze mit mir gesprochen und Mattias hätte mich nicht deutlicher ignorieren können.
Hanna machte ein mitleidiges Gesicht. »Gib ihm Zeit.«
»Ach, und wie viel? Vielleicht ein Jahr? Und Bella ist doch auch stocksauer auf mich.«
»Sie ist absolut nicht stocksauer. Sie ist nur hin- und hergerissen. Jedenfalls in solchen Situationen.«
»Aber von jetzt an wird es nur noch solche Situationen geben.«
Ich schaute ihnen nach, doch sie waren bereits hinter dem Adidastypen und seiner Bande verschwunden. Adidas hingegen entdeckte mich und nickte kurz zu uns herüber. Grüßte er mich? Na gut, und? Ich schaute zurück, aber er hatte sich schon wieder umgedreht.
»Anfangs ist es immer besonders … schwierig. Für alle. Du weißt, wir müssen uns erst daran gewöhnen«, sagte Hanna vorsichtig, als wir weitergingen, um am Wasser entlang den Heimweg anzutreten. »Tut es dir leid?«
»Dass ich Schluss gemacht habe?«
»Nein! Dass du mit ihm zusammen warst.«
»Vielleicht, manchmal. Aber dann auch wieder nicht. Damals kam es mir so verdammt richtig vor.«
Sie nickte. »Ich glaube, ihr musstet einfach versuchen, zusammen zu sein, auch wenn es dann nicht geklappt hat. So was weiß man ja vorher nie.«
»Manchmal tut es mir nur leid, dass ich nach London gegangen bin. Das hat einen Wahnsinnsstress gemacht, und es war zu spät, um mir noch alles anders zu überlegen. Aber London möchte ich auch nicht ungeschehen machen, verstehst du?«
»Bittersüß«, sagte Hanna und ich stimmte ihr zu.
Sie hakte sich bei mir unter. »Wenn er sich erst mal abgeregt und an alles gewöhnt hat, wird er das auch so sehen.«
»Meinst du?«
»Na klar, Saralein.« Sie lächelte aufmunternd. »Du bist es doch, und sie wissen, wie du bist.«
Ich kannte Mattias und Bella schon, als ich noch ganz klein war. So ungefähr seit zehn Jahren. Bella war meine Freundin, aber Mattias war oft dabei, wie das in dem Alter eben so ist. Alle zusammen. Ich hatte ihn immer gemocht, aber nicht super gemocht. Glaube ich wenigstens. Er war kurz mit einem Mädchen zusammen, und ich hatte keine schlaflosen Nächte, in denen ich mir raffinierte und tückische Methoden ausdachte, um sie auseinanderzubringen. Aber nach neuneinhalb Jahren ruhiger, unkomplizierter Freundschaft passierte etwas. Ich weiß noch immer nicht so recht, was es eigentlich war.
Vielleicht hatte es angefangen, als wir beim selben Sommerjob landeten. Drei Wochen lang schnitten wir Büsche und jäteten Unkraut. Wir hatten vorher keine Ahnung, dass wir den gleichen Job machen würden, deshalb war es am ersten Morgen eine lustige Überraschung. Diese Wochen waren einfach super. Die Arbeit war nicht so toll, aber ich fand es schön, jeden Tag sechs Stunden mit ihm zusammen zu sein, das gefiel mir immer besser.
Nach dem Sommer fingen er, Bella und Hanna auf dem Gymnasium an, und ich kam in die Neunte, deshalb traf ich sie nicht mehr so oft wie vorher. Aber immer, wenn ich bei Bella vorbeischaute und Mattias auch zu Hause war, hatten wir uns endlos viel zu erzählen. Einmal, als Bella sich die Nägel lackierte, ging ich allein in die Küche und wollte Tee kochen. Mattias kam herein und wir fingen an zu reden.
»Hallo, was ist los?«, rief Bella nach einer Weile. »Musst du die Teeblätter erst noch pflücken?« Es war mir vorgekommen wie einige Minuten, aber wir standen seit über einer halben Stunde da.
»Ich mail ihn dir«, sagte Mattias, als Bella zu uns nach unten kam. Wir hatten über einen Flashmob-Film geredet. »Der wird dir gefallen.«
In dieser Zeit sprachen Papa und ich aber auch ernsthaft über ein Jahr an der schwedischen Schule in London. Ich hatte über einige Mädchen gelesen, die einen Teil des Gymnasiums im Ausland verbracht hatten und die nach ihrer Rückkehr trotzdem kein Schuljahr wiederholen mussten. Je mehr ich darüber nachdachte, umso mehr bekam ich Lust darauf, ein Jahr in London zu verbringen und dann zu Hause mit der Schule weiterzumachen.
In Luleå hatte ich das Gefühl, von ganz besonderen Menschen umgeben zu sein: Bella und Hanna hatten ihre Frisuren und ihre Schminke und den Plan, sich nach dem Abi nach Stockholm abzusetzen. Sie wollten sich selbstständig machen und mit Styling und Modefotografie Geld verdienen. Mattias machte einen Film-Leisungskurs und hatte schon mit ungefähr drei Monaten beschlossen, später mal Filme zu machen, wenn er groß wäre. Miranda hatte ihren Fußball und wollte unbedingt die neue Marta werden, wenn auch eine halbchilenische. Sie spielte in der Bezirksmannschaft und war bereits mehrmals in der Zeitung gewesen. Sie waren alle schon so viel.
Tove und ich dagegen wetteiferten darum, wer im Vergleich zu den anderen besonders nichtssagend war. Wir waren keine Sportstars, nicht superschön oder superbegabt und auch keine dynamischen Persönlichkeiten mit einem außergewöhnlichen Ziel im Leben. Eben nichts Besonderes, Durchschnitt. Und ich hatte das endlos satt. Ich wollte weg davon, hatte aber keine Ahnung, wie. Alle hier wussten doch schon, wie ich war. Ich wusste das auch. Es schien keine Rolle zu spielen, was ich wollte oder wofür ich mich entschied. Hier war ich eben einfach Sara.
Wir waren einmal in den Ferien in London gewesen und seitdem liebte ich diese Stadt. Alles, wonach ich mich sehnte, würde dort wirklich anfangen können. Niemand kann doch ein Jahr lang an einem anderen Ort wohnen, ohne sich zu verändern. Das ist total unmöglich. Man kommt allein nach London, hat eine neue Adresse, eine neue Schule. Niemand weiß auch nur das Geringste über einen, alle sind Fremde. Es muss der beste Anfang aller Zeiten für ein Leben sein. Man kann einfach alles werden.
Ich sah es genau vor mir. Ich ging in ein Café. Ich war in einem Konzert. Ich stand in einem Laden. Ich suchte eine U-Bahn-Station. Ich verpasste einen Papierkorb, als ich einen Apfelrest wegwerfen wollte. Das könnte niemals in Luleå passieren, jedenfalls nicht so. Es war, als ob das ganze Leben einfach von einem Fuß auf den anderen trat und auf den Startschuss wartete, und der würde in London fallen.
Papa fand die Idee gut, denn er hatte ein Highschool-Jahr in den USA verbracht und das war eine phantastische Erfahrung gewesen, bla, bla, bla. Ich hatte gedacht, meine Eltern würden gleich Nein sagen, wie sie das immer taten und wie Mama es jetzt auch versuchte: »Das können wir uns nicht leisten, London ist zu teuer, du bist noch viel zu jung.«
Aber Papa fing an, eine Menge zu erzählen, und dann sagte er, er würde mir helfen, Infos zu suchen und festzustellen, ob man sich für ein Stipendium bewerben könnte und solche Dinge, falls ich noch immer Lust hätte, wenn die Zeit näher rückte.
Während ich von London träumte, lud Bellas und Mattias’ Großmutter im Oktober ihre ganze Familie zu einer Woche auf Mallorca ein.
Als sie wieder zurück waren, rief Bella mich an. »Komm sofort her und sei neidisch auf meine Bräune, die verschwindet doch jetzt hier wie der Blitz«, sagte sie am Telefon.
Ich ging hin. Ich war neidisch. Sie wurde immer goldbraun wie ein Fotomodell. Sogar nach einer kurzen Woche, wo man schon herbstblass hätte werden können. Mattias dagegen …
Er schaute aus seiner Zimmertür, kam mit einem Wäschekorb in den Armen heraus, und ehrlich, mein Herz machte einen Extraschlag. Ich weiß noch genau, was das für ein Gefühl war, als ob ich ihn zum ersten Mal sähe. Vielleicht fing in diesem Moment alles an?
Sonnenbraune Hände und Arme und Wangen, ein grünes T-Shirt, in dem ich ihn noch nie gesehen hatte. Es sah so unheimlich gut aus, oder lag es daran, dass es so gut zu seinen Augen passte? Oder dass er so schöne Augen hatte oder dass seine Haare viel besser aussahen, wenn er sie einfach trocknen ließ, statt zu versuchen, sie irgendwie zu stylen? Oder an diesem Grübchen am Schlüsselbein? Hatte er das immer schon gehabt? Es war mir jedenfalls nie aufgefallen. Vielleicht hatte er es sich auf Mallorca zugelegt?
»Sara, hallo!« Er strahlte und mein Herz schlug einen fetten dreifachen Salto.
Es ist Mattias. Herrgott, das ist doch bloß Mattias, sagte ich mir.
Ich kam mir vor wie Cooper, die immer übertrieben froh wird, wenn man sie begrüßt, auch wenn sie einen gerade erst gesehen hat. Ich hatte Mattias vor einer Woche zuletzt gesehen. Genauer gesagt, vor einer Woche und zwei Tagen. Aber trotzdem, es war kein Monat. Und auch kein Jahr.
Also reg dich ab. Übertreib nicht so. Herzklopfen. Schweißausbrüche. Kinnrunterfallen. Jesus Christ, also echt.
»Was ist los?« Er sah mich fragend an und schaute dann an sich hinunter, um sich davon zu überzeugen, dass er nichts verschüttet hatte oder so.
»Nein, nichts. Alles in Ordnung.« Ich drehte mich rasch zu Bella um und hoffte 1), dass ich nicht rot geworden war, und 2), wenn doch, dass er es nicht gesehen hatte.
Papa hatte mit mir ein so genanntes »ernstes und erwachsenes Gespräch über das Leben im Ausland« geführt: was schwer sein könnte, worauf ich mich vorbereiten müsste, auf das Heimweh, die Sehnsucht und so weiter. Dass es nicht jeden Tag in einem ganzen Jahr »so cool in London« sein könnte.
Jetzt wusste ich, dass es einen Menschen gab, der mir in London auf jeden Fall fehlen würde. Er fehlte mir ja schon, wenn er nur wenige Meter von mir entfernt war.