Frank Uekötter

Im Strudel

Eine Umweltgeschichte der modernen Welt

Campus Verlag

Frankfurt/New York

Über das Buch

Vor 500 Jahren war der Eukalyptus ein in Australien heimischer Baum, der Dodo lebte friedlich auf einer Insel im indischen Ozean und Holz war das wichtigste Brennmaterial. Heute gibt es rund um den Globus Eukalyptusplantagen, der Dodo ist ausgestorben und die Welt verbraucht jeden Tag 95 Millionen Barrel Erdöl. Menschen und Materialien sind in nie gekanntem Umfang in Bewegung, die ökologischen Folgen unseres Lebensstils sind Schlüsselthemen der Weltpolitik. Doch nur wenigen Menschen ist klar, in welchem Ausmaß unser Reden und Handeln über Umweltfragen von der Vergangenheit geprägt ist. Die Krise der Gegenwart – Klimawandel, Umweltverschmutzung, Artensterben – versteht man aber erst dann wirklich, wenn man sie als Ergebnis einer langen, wechselvollen Geschichte begreift. Frank Uekötter verfolgt in dieser Umweltgeschichte der Moderne, wie sich ökologische Verwerfungen und Konflikte im Laufe der Jahrhunderte entwickelten. Er zeigt zudem die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Faktoren hinter den weltweiten Weichenstellungen auf, die von den reichen Gesellschaften des Westens geprägt wurden.

Vita

Frank Uekötter lehrt seit 2013 Geschichte und geisteswissenschaftliche Umweltforschung an der Universität Birmingham in Großbritannien. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zur deutschen und internationalen Umweltgeschichte. Bei Campus erschien 2011 sein Buch »Am Ende der Gewissheiten. Die ökologische Frage im 21. Jahrhundert«.

Inhalt

Prolog: Eine neue Geschichte für ein junges Jahrhundert

Wege durch das Buch

Teil 1: Grundbedürfnisse

Einleitung

Potosí — Reich an Metallen

Im Untergrund

Boomtowns

Hinterlassenschaften

Zucker — Die neue Landwirtschaft

Kleine Inseln, globale Netzwerke

Machtspiele

Das süße Leben

Der Canal du Midi — Die neue Mobilität

Transportfragen

Verbunden

In Bewegung

Nachhaltige Forstwirtschaft — Bäume und Mächte

Einen Wald besitzen

Eine Art Schadensabwicklung

Bäume ohne Förster

Abwracken in Chittagong — Überbleibsel

Resteverwertung

Das Müllgeschäft

Gewissensbisse

Teil 2: Aneignungen

Einleitung

Landbesitz — Ein Recht auf Land

Ordnung im Land

Agrarreformen

Allen Zweifeln zum Trotz

Die Brotfrucht — Entscheidungen über das Essen

Auf der Suche nach Innovationen

Nummernspiele

Raubtierfütterung

Guano — Das Geschäft mit der Bodenfruchtbarkeit

Fäkalien als Handelsgut

Farmers’ Little Helpers

Erschöpfungssymptome

Walfang — Maritime Ressourcen

Die Jagd nach Profit

Margarine aus dem Meer

Am Ende der Jagd

United Fruit — Großunternehmen

Vertikale Integration

Unruhe im Land

Mehr als ein Krake

Teil 3: Unumkehrbar

Einleitung

Der Dodo — Das Sterben der Arten

Naturgeschichte

Das sechste Mal

Vom Bewahren der Biodiversität

Der Baumwollkapselkäfer — Die Nemesis der Monokultur

King Cotton

Eine Frage der Größe

Kein Weg zurück

Providence Canyon — Erodierende Böden

Neuland

Die Retter des Landes

Wen kümmert Bodenerosion wirklich?

Bufo marinus — Einwanderungsfragen

Es war einmal eine gute Idee

Invasiv

Metamorphosen

Saudi-Arabien — Die Ressourcen der Staaten

Der größte Preis

Der richtige Preis

Der Preis des Öls

Teil 4: Die Macht der Technik

Einleitung

Smog in London — Im Zeitalter der Kohle

Großstadtprobleme

Der Staat in Aktion

Prioritäten

WC — Die Technologie der Hygiene

Sauberkeit

Systemfragen

Der Dreck der Städte

Die Schlachthöfe von Chicago — Fleisch als Industrieprodukt

Warenkette mit Tieren

Kettenreaktionen

Konsumenten in Ketten

Stickstoffdünger — Ackern mit Chemie

Das Trägheitsmoment der Technik

Viel hilft viel

Stoffkreisläufe

Die Klimaanlage — Die Atmosphäre kontrollieren

Klima als Manipulationsobjekt

Versiegelt

Körperliche Bedürfnisse

Zwischenspiel: Opium

Teil 5: Umbrüche

Einleitung

Cholera — Die Natur der Krankheit

Angst vor dem Kollaps

Suche nach Kontrolle

Krankheitswelten

Baedeker — Ratgeber für die Reise

Bücher für eine neue Zeit

Alle Macht den Büchern

Massen auf Reisen

Gandhi und das Salz — Die Welt verändern

Promis

Die Macht der Ideen

Alternative Projekte

Ein Treffen in Tokio — Internationale Konventionen

Diskussionen und Resolutionen

Buzzwords

Ernsthafte Versprechen

Das Erdbeben von Tangshan — Die Natur der Katastrophe

Erschütterungen

Im Krisenmodus

Die menschliche Dimension

Teil 6: Die letzten Reserven

Einleitung

Der Kruger-Nationalpark — Natur im Reservat

Die beste Idee

Im Zeitalter der Territorialität

Eine Form von Apartheid

Der Eukalyptusbaum — Das beste Holz

Wachstumsraten

Botanischer Austausch

Kampf der Giganten

Hybridmais — Die Macht der Züchtung

Das Manhattan-Projekt der Landwirtschaft

Rechtstitel

Geschäftsmodelle

Der Assuan-Staudamm — Die Kontrolle des Wassers

57 985 Shades of Grey

Hydraulische Macht

Pfadabhängigkeiten

Der Traum vom Reis essenden Kautschukbaum — Die Erfahrung der Dependenz

Im Traum

In der Theorie

Mythenpflege

Teil 7: Das Katastrophenzeitalter

Einleitung

Holodomor — Hunger und Politik

Sowjetische Landwirtschaft

Der Hunger der Moderne

Schuldfragen

Die Urbarmachung der Pontinischen Sümpfe — Ein Kampf um Land

Marschbereit

Lebensraum

Entwicklung planen

Chemurgie — Die Geburt des Biokraftstoffs

Priester einer neuen Zeit

Märkte machen

Essen im Tank

Autobahn — Der Endsieg des Automobilismus

Kampf um die Straße

Eine Frage der Freiheit

Sackgassen

Die Kiefernwurzeln-Kampagne — Der totale Krieg

Nationale Mobilmachung

Mobilisierung der Wissenschaft

Landschaften des Krieges

Teil 8: Die Große Sklerose

Einleitung

Das Käfighuhn — Das industrialisierte Tier

Geschäftsideen

Der Preis der Freiheit

Befreiungsbewegungen

Glücklicher Drache Nr. 5 — Atome ohne Grenzen

Globale Kontamination

Nukleare Pläne

In der Luft

DDT — Aus einem Buch lernen

Wundermittel

Eine Frage der Demut

Verbannt in alle Ewigkeit

Torrey Canyon — Das Scheitern der Technik

Die Welt war Zeuge

Lernen aus der Katastrophe

Begrenzte Sichtbarkeit

Die Plastiktüte — Flüchtiger Konsum

Material der Moderne

Konsumentscheidungen

Dissipationen

Leben und Überleben im Strudel. Eine Schlussbemerkung

Die Große Externalisierung

Das Große Aussieben

Ein Patchwork namens Moderne

Historiographisches Nachwort I: Vom Vermessen eines Strudels

Umweltgeschichte auf einem komplizierten Planeten

Der Strom der Geschichte

Lernkurven: Die Erfahrung der Moderne

Kumulative Verstrickungen

Auf dem Weg zu einer Sozialgeschichte des ökologischen Lernens

Die Geschichte und ihre Öffentlichkeiten: Für eine ökologische Erinnerungskultur

Erinnerungsforschung ohne Grenzen

Ein Vorschlag zur Lektüre

Historiographisches Nachwort II: Die Qual der Wahl

Am Ende einer Odyssee

Anhang

Anmerkungen

Potosí: Reich an Metallen

Zucker: Die neue Landwirtschaft

Der Canal du Midi: Die neue Mobilität

Nachhaltige Forstwirtschaft: Bäume und Mächte

Abwracken in Chittagong: Überbleibsel

Einleitung zu Teil 2

Landbesitz: Ein Recht auf Land

Die Brotfrucht: Entscheidungen über das Essen

Guano: Das Geschäft mit der Bodenfruchtbarkeit

Walfang: Maritime Ressourcen

United Fruit: Großunternehmen

Einleitung zu Teil 3

Der Dodo: Das Sterben der Arten

Der Baumwollkapselkäfer: Die Nemesis der Monokultur

Providence Canyon: Erodierende Böden

Bufo marinus: Einwanderungsfragen

Saudi-Arabien: Die Ressourcen der Staaten

Einleitung zu Teil 4

Smog in London: Im Zeitalter der Kohle

WC: Die Technologie der Hygiene

Die Schlachthöfe von Chicago: Fleisch als Industrieprodukt

Stickstoffdünger: Ackern mit Chemie

Die Klimaanlage: Die Atmosphäre kontrollieren

Zwischenspiel: Opium

Einleitung zu Teil 5

Cholera: Die Natur der Krankheit

Baedeker: Ratgeber für die Reise

Gandhi und das Salz: Die Welt verändern

Ein Treffen in Tokio: Internationale Konventionen

Das Erdbeben von Tangshan: Die Natur der Katastrophe

Einleitung zu Teil 6

Der Kruger-Nationalpark: Natur im Reservat

Der Eukalyptusbaum: Das beste Holz

Hybridmais: Die Macht der Züchtung

Der Assuan-Staudamm: Die Kontrolle des Wassers

Der Traum vom Reis essenden Kautschukbaum: Die Erfahrung der Dependenz

Einleitung zu Teil 7

Holodomor: Hunger und Politik

Die Urbarmachung der Pontinischen Sümpfe: Ein Kampf um Land

Chemurgie: Die Geburt des Biokraftstoffs

Autobahn: Der Endsieg des Automobilismus

Die Kiefernwurzeln-Kampagne: Der totale Krieg

Einleitung zu Teil 8

Das Käfighuhn: Das industrialisierte Tier

Glücklicher Drache Nr. 5: Atome ohne Grenzen

DDT: Aus einem Buch lernen

Torrey Canyon: Das Scheitern der Technik

Die Plastiktüte: Flüchtiger Konsum

Leben und Überleben im Strudel. Eine Schlussbemerkung

Historiographisches Nachwort I: Vom Vermessen eines Strudels

Historiographisches Nachwort II: Die Qual der Wahl

Bildquellenverzeichnis

Register

»If you know exactly what you are going to do, what is the point of doing it?«

Pablo Picasso

Prolog: Eine neue Geschichte für ein junges Jahrhundert

Geschichtsschreibung spiegelt stets die Erfahrungen ihrer Zeit, und Synthesen werden in besonderem Maße vom Strom der Ereignisse beeinflusst. Zu den Erfahrungen, die das vorliegende Buch geprägt haben, gehört zum Ersten ein Bündel von Entwicklungen, das heute üblicherweise als Globalisierung bezeichnet wird. Ein welthistorisches Projekt bedarf keiner langen Begründung in einer Zeit, in der die Welt intensiver und auf ganz unterschiedliche Weisen vernetzt ist als je zuvor. Glücklicherweise gab es in den vergangenen 20 Jahren auch einen Boom einschlägiger Forschungen und besonders einen Aufschwung wissenschaftlicher Studien, die sich mit Umweltproblemen jenseits der westlichen Welt beschäftigen. Die Zeiten sind vorbei, in denen eine Weltgeschichte von Europa oder Nordamerika ausgehen musste, weil der Stand der Forschung nichts anderes erlaubte.

Zum Zweiten haben wir in den vergangenen Jahrzehnten gelernt, dass der Zustand unseres Planeten Anlass zu großer Sorge gibt. Es fehlt nicht an Erfolgen bei bestimmten Themen und an bestimmten Orten, aber die Gesamttendenz im Wechselspiel zwischen den Menschen und ihren natürlichen Umwelten ist offenkundig negativ. Anthropogener Klimawandel, Verlust biologischer Vielfalt, Verschmutzung, Ressourcenprobleme – wir kennen den ökologischen Preis der globalen Modernität in großer Detailfülle und mit mehr Gewissheit als jemals zuvor. Wir wissen auch, dass sich die Probleme auf absehbare Zeit nicht von selbst lösen werden. Jeder weiß, dass ökologische Herausforderungen zu den Schlüsselfragen des 21. Jahrhunderts gehören.

Keiner dieser beiden Aspekte ist grundsätzlich neu. Das Gewicht der ökologischen Krise und die globale Vernetzung der Probleme haben Umwelthistoriker seit den 1970er Jahren beschäftigt und angetrieben. Sie haben auch in Joachim Radkaus Natur und Macht und John McNeills Something New under the Sun ihren Niederschlag gefunden, den beiden großen Weltumweltgeschichten, die passenderweise im Jahr 2000 zum Beginn eines neuen Jahrtausends erschienen. Ich bin dieser Tradition zu großem Dank verpflichtet – zweifellos mehr, als die Fußnoten dokumentieren –, aber dieses Buch geht noch von einer dritten Erfahrung aus, die einen Bruch mit einem wesentlichen Teil der bisherigen Forschung markiert. Ökologische Herausforderungen sehen im 21. Jahrhundert anders aus als die Probleme, über die frühere Generationen von Forschern und Aktivisten schrieben.

Als sich die heutige Umweltbewegung in den 1970er Jahren konstituierte und Wissenschaftler sich neu orientierten (darunter mit professionstypischer Verspätung auch die Historiker), standen meist die unbeabsichtigten Folgen des technisch-industriellen Fortschritts im Mittelpunkt. Das muss man den Zeitgenossen nicht rückblickend zum Vorwurf machen. Ich habe selbst in den 1990er Jahren meine Doktorarbeit über ein solches Folgeproblem – die Luftverschmutzung in deutschen und amerikanischen Städten – geschrieben. Aber nach den Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte und speziell der Art und Weise, wie sich klassische Umweltprobleme mit Ernährungs- und Ressourcenkrisen verquickt haben, scheint es geboten, ökologische Themen als Teil des Gesamtprozesses der Ressourcenallokation in seiner ganzen Komplexität zu diskutieren. Das ist kein ganz neuer Gedanke. Es ist eine Rückkehr zu einem breiteren Verständnis von Umweltgeschichte, das sich in umwelthistorischen Darstellungen avant la lettre wie etwa Fernand Braudels Werk über das Mittelmeer und die mediterrane Welt zur Zeit Philipps II. niedergeschlagen hat, in dem Braudel im weiten Ausgriff auch die natürliche Umwelt in den Blick nahm. In diesem Buch geht es um viel mehr als um Nebenfolgen. Es geht um das Leben und Überleben auf einem kleinen und ziemlich komplizierten Planeten.

Ökologische Herausforderungen sind im neuen Jahrtausend nicht nur größer, sondern auch schwerer zu verstehen als in früheren Zeiten. Akteure, Nationalstaaten, Prioritäten, sogar die Definition von Problemen – Kategorien, die vor einer Generation noch selbstverständlich waren, sind heute unscharf und Gegenstand kontroverser Diskussionen. Es gibt im globalen 21. Jahrhundert augenscheinlich keinen Weg zurück zu einem gemeinsamen Verständnis ökologischer Herausforderungen. Mehr noch: Immer deutlicher kristallisiert sich heraus, dass die Vorstellung eines weltumspannenden Konsenses stets mehr Wunsch als Realität war – und dass sich dahinter eine kulturelle Hegemonie des Westens verbarg, die inzwischen unwiederbringlich der Vergangenheit angehört. In einem globalen Zeitalter müssen wir eine Umweltgeschichte der modernen Welt gleichermaßen vom Standpunkt des industrialisierten Westens und des Globalen Südens schreiben, des Politikers und des Konsumenten, des Experten und des Laien, des Stadtbewohners und des Landwirts und so weiter.

All dies bedeutet, dass eine Umweltgeschichte der modernen Welt im 21. Jahrhundert sowohl dringlicher wie auch komplizierter ist als je zuvor. Manche Autoren haben – nicht zuletzt unter dem Einfluss der Anthropozän-These – den Versuch unternommen, diese Komplexität unter Rückgriff auf die vermeintlich unerschütterlichen Ergebnisse der Naturwissenschaften zu umgehen und Kategorien einfach zu setzen, aber ein solches Unterfangen ist letztlich zum Scheitern verurteilt: Es gibt in unserer Zeit keinen archimedischen Punkt mehr. Dieses Buch verfolgt deshalb einen anderen Weg, indem es die Komplexität selbst zum Gegenstand der historischen Analyse erhebt. Es verfolgt, wie sich Ambivalenzen, Verwerfungen und Konflikte im Laufe der Zeit entwickelten und wie diese jeweils in materiellen Interessen, Artefakten, Machtbeziehungen, Institutionen und kulturellen Topoi verankert waren. Komplexität fiel nicht einfach vom Himmel. Sie entstand in konkreten Zusammenhängen mit realen Menschen auf eine Weise, die man historisch und vielleicht auch nur historisch verstehen kann.

Eine solche Geschichte bietet mehr Überraschungen und auch mehr Irritationen als vergleichbare Darstellungen, aber sie hat nicht nur historiographische Meriten. Wir gewinnen auf diesem Weg auch einen neuen Blick auf die ökologische Debatte der Gegenwart. Wenigen Menschen ist klar, in welchem Ausmaß unser Reden und Handeln über Umweltfragen von der Vergangenheit geprägt ist: Was auf den ersten Blick ein geschichtsfreier Raum zu sein scheint, in dem sich Politiker und Naturwissenschaftler nach Lust und Laune austoben können, ist in Wirklichkeit ein Feld voller historischer Traditionen, die vor allem deshalb wirkmächtig sind, weil sie nur selten als solche erkannt werden. Dabei ist von vornherein zu betonen, dass die Vielfalt der Sichtweisen nicht auf ein postmodernes anything goes hinausläuft. Tatsächlich läuft es auf das genaue Gegenteil hinaus. In einem Zeitalter, in dem sich ganz verschiedene, zum Teil jahrhundertealte Traditionen zu einem globalen Netz versponnen haben, das fest in Technologien, Materialitäten, politischen Entscheidungen und kulturellen Deutungsmustern verwurzelt ist, gibt es nicht mehr viele Dinge, die einfach »gehen«.

Die methodischen Prämissen dieses Buches werden in einem historiographischen Nachwort vertieft, das den Freunden der Geschichtstheorie eine Menge Futter bieten wird. Hier mag die Feststellung genügen, dass es sich um eine neue Art von Geschichtsschreibung handelt, in dem sich Menschen und andere historische Akteure in einem mächtigen Strom der Geschichte wiederfinden – genauer gesagt einem Strudel –, der gängige Vorstellungen von Kausalität und Handlungsmacht fraglich werden lässt. In diesem Buch ist die Umweltgeschichte moderner Gesellschaften auch ein Prozess, in dem Menschen immer wieder an Grenzen gerieten: materiell, technisch, institutionell, kulturell. Wenn man die Moderne als gigantischen Strudel versteht, der gleichermaßen Menschen, Massen, Technologien und Umwelten umfasst, entsteht eine neue, dynamische Form der Geschichtsschreibung, vor allem dann, wenn man diesen Strudel nicht nur aus der Vogelperspektive betrachtet. Für jene, die im Strudel gefangen sind, geht es darum, wie die Dinge in Bewegung kommen, wie sich Wesen und Formen der Dinge verändern, wie sich plötzlich neue Arrangements ergeben und wie Menschen der Macht der Naturgewalten ausgesetzt sind oder sich jedenfalls so fühlen. Die folgenden Seiten führen den Leser deshalb mehr als einmal auf eine ziemlich turbulente Reise, und das mit voller Absicht. Dieses Buch entstand auch aus einer Unzufriedenheit mit Weltgeschichten, die einen Geist von Ordnung verströmen.

Dieses Buch ist deshalb ein subversives Projekt. Es fordert sogar die Grundordnung jedes Buches heraus: die Kapitelstruktur. Das Inhaltsverzeichnis enthält eine Reihenfolge der Kapitel, aber das ist eigentlich nur ein Tribut an die legitimen Wünsche der Druckerei, die wissen wollte, wie die Seiten vor dem Binden sortiert werden sollten. Jeder Leser ist hiermit aufgefordert, die vorgegebene Struktur zu unterwandern und einem der folgenden Wege durch das Buch zu folgen. Diese Wege betonen unterschiedliche Gesichtspunkte, Herausforderungen, Themen oder Naturräume und geben dem Leser damit die Möglichkeit, im Lichte der eigenen Interessen zu lesen. Bei aller Vielfalt der Themen, Orte, Zeiten und Perspektiven vermitteln sämtliche Kapitel einen Eindruck von der Dynamik, den Wechselwirkungen und den zahlreichen reversiblen und irreversiblen Entscheidungen, die Menschen getroffen haben, während der Strom der modernen Geschichte sich in einen Strudel verwandelte. Die Erfahrungen der Menschen im Strudel sind nie homogen gewesen und werden das auch nie sein. Das Gleiche sollte für die Erfahrungen der Leser dieses Buches gelten.

Normalerweise weiß man bei einem Umweltbuch nach ein paar Seiten, wer die Guten und wer die Bösen sind. Solche Gewissheiten bietet dieser Band genauso wenig wie eines der gängigen Horrorszenarien. Die Apokalypse dominiert die ökologische Imagination in westlichen Gesellschaften, aber das wahrscheinlichere Szenario ist, dass sich zahlreiche kleine und mittelgroße Probleme in den kommenden Jahrzehnten wechselseitig aufschaukeln werden. Ohnehin zerfließt im Folgenden auch die Grenze zwischen Problemen und Lösungen, denn einige unserer größten Erfolge sind mit hartnäckigen Herausforderungen aufs Engste verbunden. In diesem Buch ist das »Projekt der Moderne« das kumulative Ergebnis ganz unterschiedlicher Bauunternehmen mit verschiedenen Plänen, die nicht unbedingt voneinander wussten. Viele Lernkurven führten von der Euphorie zur Aporie, und sie haben uns mit Unsicherheiten und ungelösten Spannungen zurückgelassen, die wir auf eigenes Risiko ignorieren.

All das bedeutet gewiss nicht, dass wir nun ökologisch gesehen in einer Welt jenseits von Gut und Böse leben. Ganz im Gegenteil tritt die Notwendigkeit ethischer Reflexion in den folgenden Seiten eher noch stärker hervor. Es gibt mehr als einen Weg, in einem Strudel über Wasser zu bleiben, aber es ist selten eine gute Idee, sich einfach treiben zu lassen. Es geht eher darum, dass wir heute aus schmerzlicher Erfahrung wissen, dass es von guten Absichten zu guten Ergebnissen ein langer Weg ist. Dieses Buch ist eine Weltgeschichte für ein Zeitalter, in dem die Dinge irgendwie nicht zusammenfinden – in dem wir wissen, was kommt, in dem wir über jede Menge Erfahrung und technische und andere Mittel verfügen, aber irgendwie nicht die Kurve kriegen. Das bedeutet nicht, dass uns der Strudel unweigerlich verschlingen wird. Aber wir werden es nicht schaffen, uns mit der Dynamik der modernen Welt zu arrangieren, wenn wir uns nicht mit dem Weg oder vielmehr den vielen Wegen auseinandersetzen, die uns zu diesem Punkt gebracht haben.

Wege durch das Buch

Teil 1: Grundbedürfnisse