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Stefan Albus

Jakobsweg –

und dann?

Was Pilgern mit Menschen macht

Gütersloher Verlagshaus

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Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

Coverfoto: © privat

ISBN 978-3-641-17358-6
V002

www.gtvh.de

Inhalt

Ein Ende und ein Anfang

Die Zeit nach dem Jakobsweg kann spannender sein als die Reise selbst!

»Ins Vertrauen gehen ist wichtig!«

Interview mit der Vortragsreisenden Beate Steger

Nur auf der Durchreise

Ein Ex-Banker entdeckt den Naturschutz

»Je mehr ich besitze, desto unfreier werde ich«

Interview mit dem Umweltfreund Carl Jung

Welt ohne Wegweiser

Eine Forscherin erklärt den Jakobsweg

»Pilgern war etwas Normales«

Interview mit der Archäologin Ulrike Steinkrüger

Stark werden, wenn alles aus ist

Eine Alkoholikerin findet zu sich

»Das bin nicht ich, ich will etwas anderes!«

Interview mit der Heimkehrerin Wiebke R. Beyer

Echt jetzt!

Zu Besuch auf einer Pilgermesse in Hamburg

»Die Leute sind völlig verändert«

Interview mit dem Hamburger Pilgerpastor Bernd Lohse

Zurück ins Licht

Ein Mann kommt an

»Ich glaube nicht mehr an Zufälle.«

Interview mit dem Schriftsteller Manolo Link

Erleuchtung garantiert?

Pilgern wird museumsreif

Der Zu-Fuß-Fetischist

Zu Besuch bei einem »Power-Walker«

»Sieh einfach mal, was das mit dir macht.«

Interview mit dem Marathon-Wanderer Martin Schmitz

Auf dem Jakobsweg den Krebs besiegen?

In Köln wird erforscht, wie gesund pilgern sein kann

Exkurs: Was Pilgern mit Biochemie zu tun hat

»Wenn ich etwas möchte, schaffe ich das!«

Interview mit der Sportwissenschaftlerin Dr. Sabrina Han

Zielsicher umeinander

Wie eine Pilgerreise zwei Menschen verbunden hat

»Einfach losgehen, aber nichts vornehmen«

Interview mit Dagmar Weinknecht und Roel Arts

Pilgergarn bei Salzgebäck und Bier

Zu Gast bei einem Pilgerstammtisch in Köln

Urvertrauen und Nägel mit Köpfen

Ein Pilger begegnet Gott und krempelt sein Leben um

»Das ist es jetzt!«

Interview mit Peter Schlippe, Priester in spe

Casa Paderborn

Ein Professor eröffnet eine Pilgerherberge in Spanien

»Ich helfe immer!«

Interview mit der »Pilgermutter« Gesine de Castro

Zum Mitnehmen

Willkommen auf www.wortpilger.de

Ein Ende und ein Anfang

Die Zeit nach dem Jakobsweg kann spannender sein als die Reise selbst!

»Als ich in meinem Heimatort aus dem Bahnhof trete, merke ich, dass etwas anders ist als bei meiner Abreise. Ich trage jetzt eine Rüstung. So aufgeregt war ich schon lange nicht mehr!«

Mit diesen Sätzen endet das Reisetagebuch, das ich während meiner Pilgerwanderung auf dem Deutschen Jakobsweg 2009 geführt habe. Am 29. April dieses Jahres hatte ich den Weg hinter mir gelassen, um in mein altes Leben zurückzukehren. Den Pilgerstab in die Ecke gestellt, den Rucksack ins Kellerregal geknüllt. Mit dem Hund eine lange Runde durch den Wald gedreht. Froh, wieder zu Hause zu sein. Und doch etwas traurig, dass es vorbei war. Und dass es das jetzt schon gewesen sein sollte.

Später, als ich über die Erfahrungen mein erstes Buch geschrieben hatte, hatten meine Lektorin und ich das Rückkehr-Kapitel bewusst außen vor gelassen. In einem engen Zugabteil zuzusehen, wie die stille Landschaft an einem vorbeirast, durch die man vor Tagen noch in aller Seelenruhe gewandert ist ... das ist wie Yoga-Musik im Zeitraffer hören: Be- statt Entschleunigung. Nicht wirklich schön. Außerdem waren wir damals der Ansicht, dass sich das Wesentliche einer Pilgerreise eben unterwegs ereignet. Logisch: Niemanden interessiert im Ernst, wie Edmund Hillary 1953 vom Mount Everest herunterkam, nachdem er es erst einmal rauf geschafft hatte.

Nun: Vielleicht hätte man ihn mal danach fragen sollen. Denn bald stellte sich heraus: Zu früh abgehakt, das war es nämlich noch lange nicht gewesen. Der Jakobsweg war nach meiner Ankunft zu Hause noch lange nicht fertig mit mir. Es war ein bisschen wie in einem dieser Horrorfilme, in denen eine Gruppe Jugendlicher knapp dem Tod entrinnt und dieser anschließend eine ganze Menge Fantasie entwickelt, sich die Bande doch noch zu holen. Nur das Ganze in schön eben. Wenn man sich einmal auf ihn eingelassen hat, klopft der Jakobsweg immer wieder an.

Das fängt im Kleinen an. Etwa wenn man sich auf einmal immer öfter dabei ertappt, dass man sich ein »Okay, blöd jetzt, aber das wird schon irgendwie« zuraunt – bei Ereignissen, die noch vor Monaten das Aufreger-Potenzial eines Auftragskillers im Schlafzimmer gehabt hätten. Auf bis dahin höchstens als seltsam empfundene Zufälle reagiert man mit einem »Ach ja, ich verstehe!«, und konfrontiert mit schwierigen Menschen überlegt man öfter, ob man sich solche Typen überhaupt noch antun will. Ich kann Ihnen sagen: Da steigen die Preise für ein paar unangenehme Minuten beträchtlich! Und manchmal erwischen einen Flashbacks, bei denen einem plötzlich Dinge klar werden, die einen auf dem Camino noch ratlos gelassen haben. Beispiel? Aus heiterem Himmel verstand ich erst Wochen (!) nach meiner Heimkehr, warum ich bei diesen unvermeidlichen Kreuzwegen, die einem unterwegs blühen wie Springkraut, immer wieder mit Tränen in den Augen vor Simon von Cyrene gestanden hatte. Das ist der Typ, der Jesu’ Kreuz ein Stück trägt. Wollen Sie wissen warum? Ganz einfach: Ich hatte mir schlicht und einfach jemanden gewünscht, der mir auch mein Kreuz mal abnimmt. Bis dahin hatte ich nur gejammert und gewartet, dass irgendjemand die Dinge tut, die ich selbst längst hätte erledigen müssen. Fast noch schlimmer ist, dass ich das, was ich da all die Jahre durch mein Leben geschleppt hatte, all die ungefällten Entscheidungen, Notlösungen und faulen Kompromisse, überhaupt als Kreuz wahrgenommen habe. Also als etwas, an das man genagelt wird, um daran zu sterben. Ich hatte es mir auflegen lassen – oder, schlimmer noch, selbst vom Haken genommen – und mich daran abgearbeitet, anstatt es einfach wegzuwerfen.

Auch die großen Bögen, die das Leben so spannt, nahmen in der Zeit Jakobsweg plus X einen dezent anderen Verlauf. In den ersten Tagen nach dem letzten Schritt mit Pilgermuschel am Rucksack zog ich mir mein altes Leben ganz allmählich an wie einen gut passenden Handschuh. Die Erinnerung an Details der Reise, Gesichter und Gespräche, all die schönen Momente, die einen unterwegs streifen wie ein Sommerwind, verblassten allmählich wie die wunden Stellen unter den Füßen; selbst der Pilgerstab wanderte irgendwann unters Bett und dann in den Keller, neben den Rucksack.

Aber dann nahmen die Dinge auf einmal Fahrt auf! Als ob man auf eine Rutsche steigt: Da geht es auch langsam los, und später fliegen die Haare. Kurzfassung: Ich bin den ersten (bislang allerdings auch einzigen) Marathon meines Lebens gelaufen – und sogar lebend angekommen. Okay, in meiner Zielzeit wären andere hin- und zurückgekommen, aber auch so war das bis dahin so undenkbar, wie Astronaut zu werden (was ich allerdings nicht vorhabe). Ich habe meinen Fernseher abgeschafft, weil mir die Zeit fürs Zappen zu schade war. Und wundere mich heute beim heimlichen TV-Gucken in Hotelzimmern, was für einem Quatsch und was für aufgeblasenen Spinnern ich so lange gestattet hatte, mich zu paralysieren. Ich habe weniger Angst, Fehler zu machen, denn ich weiß, dass mir im Grunde nichts mehr passieren kann. Irgendwo in der tiefsten deutschen Provinz im strömenden Regen zu stehen, während einem das Wasser aus den Armen der angeblich regendichten Jacke läuft – und trotzdem ist nur ein paar Stunden später alles wieder gut: Das prägt.

Ich bin in eine andere Stadt gezogen, eine, die schon seit Jahrzehnten nach mir gerufen hatte. Ich habe einen guten Schwung alter Klamotten weggeworfen, in denen ich mich eigentlich schon seit Jahren nicht mehr sehen mochte. Ich trage bequemere Schuhe. Gehe öfter aus. Habe neue, spannende Menschen kennengelernt, coole Bücher geschrieben und endlich angefangen, kreativ zu arbeiten: Mittlerweile habe ich ein Atelier, bald steht die erste Ausstellung an, es gibt bereits Menschen, bei denen meine Bilder an der Wand hängen. Wenn ich gute Songtexte höre, werde ich nicht mehr grün und gelb vor Neid wie früher, sondern freue mich darüber, dass auch jemand anderem etwas Schönes gelungen ist. Überhaupt: Ich habe wieder Zeit für schöne Dinge – und so viele sind seither in mein Leben getreten!

Und so viele waren immer schon da, ohne dass ich sie bemerkt hätte. Ich bin geduldiger geworden, ertrage Widersprüche besser und gewichte das Gute meistens höher als das Schlechte. Und erlebe, wie sich die Menschen auch mir gegenüber wieder mehr öffnen. Denn ich weiß jetzt zumindest in groben Zügen, wer ich bin, wo ich hinwill im Leben und was ich einmal zurücklassen möchte.

Alles Dinge, von denen ich früher dachte: Wär’ ja schon irgendwie nett. Aber nicht in diesem Leben, mein Lieber! Aber irgendwann wurde mir klar: Ich bin längst im nächsten Leben angekommen. Und es fühlt sich wunderbar an!

Und dann war da plötzlich die Frage: Wie geht es eigentlich anderen? All diesen Hunderttausenden von Pilgern, die sich Jahr für Jahr nach Santiago de Compostela schleppen – oder sogar noch weiter. Kommen die nach Hause, gehen unter die Dusche und dann zur Arbeit, als ob sie niemals über sich selbst hinausgewachsen wären? Oder, anders ausgedrückt: Wer will sich nach etlichen Hundert Kilometern zu Fuß tatsächlich noch in öden Meetings von Grünschnäbeln anöden lassen, die von der Welt gerade mal ein paar Fünf-Sterne-Hotels gesehen haben – die sie noch nicht mal per pedes angesteuert haben?

Im Buchladen finde ich dazu nichts – nur die üblichen Pilgerberichte von unterwegs, die spätestens mit dem Klicken der Haustür enden. Ich mouse mich durch Facebook – und da habe ich in Nullkommanix eine Nachricht von einem Ex-Pilger im Kasten, der seiner Partnerin nach seiner 900-Kilometer-Wanderung praktisch schon auf der Türschwelle die Brocken hinwarf: »Ich fühlte mich so stark«, schreibt er mir, »wenn nicht jetzt, wann dann? So was kommt natürlich nicht aus heiterem Himmel«, erklärt er weiter, »da sind vor dem Weg schon Zweifel gewesen, und der Weg hat nur die nötige Kraft gegeben. Alles war längst überfällig.« Kurz darauf meldet sich eine Frau bei mir: »Nach dem Jakobsweg (2011) dauerte es zwar noch ein wenig, aber es war der Auslöser, dass ich noch mal komplett von vorne angefangen habe: Scheidung, zurück nach Deutschland, natürlich ein neuer Job etc. Und das, obwohl viele mir gesagt hatten, in meinem Alter (zu der Zeit 45) würde ich es schwer haben, wieder auf die Füße zu fallen.« Die Frau heißt Wiebke B. Beyer – von ihr werden Sie gleich noch ein wenig mehr erfahren. Denn jetzt war mein Interesse geweckt: Es gibt noch andere bewohnte Planeten!

Ich besuche Heinrich Wipper von der Jakobusbruderschaft Düsseldorf, einem altehrwürdigen Verein, der sich seit 1979 um allerlei Pilgerbelange kümmert; dieser und ähnliche »Clubs« mit einer Jakobsmuschel oder gleich dem ganzen Heiligen im Logo sind ein hervorragender erster Anlaufpunkt, wenn man sich mit Infos zum Thema eindecken möchte. Ich hatte Wipper vor Jahren schon einmal aufgesucht, damals fuhr ich nach einem längeren Gespräch mit einem Pilgerpass und einer Wundertüte voller topografischer Karten nach Hause, auf denen er mir die Pilgerroute von Essen nach Köln persönlich mit einem Textmarker eingezeichnet hatte. Seither hat der Mann sich kaum verändert; auch die Regale in seinem Gelehrtenstübchen, die sich schon damals unter Tonnen von Büchern, Karten und Ordnern bogen, sind dieselben – das Papier ist höchstens noch ein Stück dichter gepackt. Wipper ist ein agiler Mann mit kurzem weißen Bart, der mich an einen dieser Bibliotheks-Mönche aus dem »Namen der Rose« erinnert – was vielleicht auch daran liegt, dass ihn der Internet-Buchhändler Amazon als Autor einer ganzen Reihe von Pilgerführern und Unterkunftsverzeichnissen ausweist. Auch diesmal bietet er mir sofort einen Stuhl, Kaffee und Kekse an; ich überlege, wie ich damals drauf war, als ich zum ersten Mal hier Platz genommen hatte. Wipper darf man ruhig als Pilger-Urgestein bezeichnen, und natürlich ist er auch in der Pilgerszene bestens vernetzt. Ihn hatte es 1979 auf die sogenannte Via Podensis verschlagen, den bekanntesten der historischen Jakobswege, die Frankreich durchziehen – damals allerdings eher dürftig markiert, aber mit einer simplen Topo-Karte ging es dann doch halbwegs. Die Reise muss ein derart geniales Erlebnis gewesen sein, dass der Mann sich später nicht nur die Ärmel hochkrempelte, um den vermissten Pilgerführer einfach aus eigener Feder nachzureichen, sondern mit Kollegen auch gleich den genannten Düsseldorfer Pilgerverein aus der Taufe hob. Als erste Neugründung auf deutschem Boden seit dem Mittelalter wohlgemerkt – was Wipper natürlich direkt zu einem Kandidaten für dieses Projekt macht. Okay, die wirklich älteste Jakobusbruderschaft, die aus Trier, wurde zwar schon 1239 gegründet, aber eben auch 1803 wieder aufgelöst, bevor sie 2003 wiederbelebt wurde, ähnlich wie die der Kollegen in Bamberg: 1496 gegründet, irgendwann erloschen, 2006 auferstanden. Trotzdem weht kurz ein wenig Ehrfurcht durch den Raum.

In den kommenden Minuten erzählt mir Heinrich Wipper von einer ganzen Menge Ausnahme-Pilger, denen der Weg immer noch eine Menge bedeutet. Kurt-Peter Gertz zum Beispiel: Der Pfarrer hat mittlerweile ein halbes Regal Bücher geschrieben und ist den Weg sogar mehrmals gelaufen, um zu sehen, wie er sich mit der Zeit verändert. »Ein Leben im Zeichen des Jakobswegs!«, meint Wipper. Er erzählt auch von drei Kölner Ehepaaren, die gemeinsam eine Pilgerherberge errichtet haben – »da entstehen ganz neue Lebensfreundschaften!«. Ich erfahre von Thomas E. Fuchs, der sich als junger Mann per Anhalter bis Santiago durchgeschlagen hat und die Strecke jetzt, mit 70 Jahren, noch einmal zu Fuß abgeht – alle Achtung: Es ist noch nicht lange her, da hatte man mit 70 im Ohrensessel zu sitzen und Dalli Dalli zu gucken. Und von Georg Huber, der sich in Leon als Hospitalero um Pilger gekümmert hat. Überhaupt Herbergen: Die scheinen eine gute Gelegenheit zu sein, dem Weg etwas zurückzugeben. Wipper berichtet von einer Casa Paderborn, die nicht nur bei deutschen Pilgern hohes Ansehen zu genießen scheint, und von einer Frau namens Gesine de Castro aus Paderborn mitgegründet wurde – und das ist gar nicht mal so lange her. Ich bin sofort neugierig. »Nach der Wanderung ist man nicht mehr der, der man vorher war«, sagt Heinrich Wipper, als er mich kurz darauf zur Tür bringt, »einmal Pilger, immer Pilger.«

Diesmal verlasse ich seine Wohnung mit einem Block voller Notizen und Telefonnummern. Allerspätestens jetzt bin ich angefixt! Die kommenden Wochen und Monate werde ich mich durch Web-Foren klicken, telefonieren, Menschen besuchen, etliche Stunden mit ihnen zusammensitzen und zahllose Seiten meiner Notizbücher mit ihren Erlebnissen füllen. Und dabei erfahren, was der Jakobsweg mit den Menschen macht. Auch lange nach ihrer Rückkehr.

Bald bekomme ich den Eindruck: Das eigentlich Spannende am Jakobsweg ist gar nicht die Reise selbst! Sondern die Zeit danach! Ein Student wirft alles hin und wird Priester, ein Banker schnallt den Gürtel enger und verteilt fortan Nistkästen und Insektenhotels entlang von Pilgerwegen, eine Frau will sich über ihre Ehe klar werden und lernt unterwegs, ohne es zu wollen, auf arg verschlungenen Pfaden ihren neuen Partner kennen: Der Jakobsweg ist eine Lupe für das Leben, Schraubenschlüssel für verklemmte Getriebe und frische Brise für verstaubte Gewohnheiten, Abschminktuch, Krawatten-Abschneider, Feuerzeug – und ein Freund, der im richtigen Moment »jetzt aber mal im Ernst« sagt.

Am Ende meiner Reise bleiben einige spannende Erkenntnisse: So verschieden die Menschen sind, die ihren Weg gegangen sind: Ex-Pilger erkennt man. Sie wirken häufig entschlossener, gesetzter, ihrer Mitte näher – und manche schaffen es sogar loszulassen. Nicht nur um Neues zu schaffen, sondern um Gelassenheit zu erlangen. Loslassen und Gelassenheit: Diese Worte haben nicht umsonst einen ähnlichen Ursprung.

Und noch etwas: Nicht nur der Weg verändert die Menschen. Auch die Menschen haben längst begonnen, den Weg zu verändern. Indem sie ihn durch immer neue Brillen betrachten und ihm neue Bedeutungen zuweisen – wodurch er wiederum anders in unsere Welt hineinwirkt. Nicht nur dort, wo Archäologen sich um neue Wegabschnitte kümmern, wo alte Pfade zum Beispiel unter Autobahnen begraben sind. Historiker erforschen, wie sich die Pilgerei über die Jahrhunderte verändert hat – das ist heute etwas völlig anderes als noch vor 1.000 Jahren, als man auch mal Kriminelle auf die Walz schickte, in der Hoffnung, dass sie unterwegs auf der Strecke bleiben und dann zu Hause nicht mehr stören. Soziologen und Theologen schauen sich das Phänomen »Pilger« immer genauer an und finden auf den alten Wegen genau die spirituell bewegten Menschen, die der Kirche den Rücken kehren. Und Mediziner entdecken Pilgerpfade als eine Art Heilmittel.

Auf den kommenden Seiten werde ich Ihnen einige Ex-Pilger und spannende Leute von »drumherum« vorstellen. Und da das am besten natürlich in Form persönlicher Begegnungen geht, finden Sie am Ende praktisch jeden Kapitels ein vertiefendes Interview, in dem »Jakobsweg-Menschen« von ihren Motivationen und Ängsten, aber auch spannenden Erfahrungen, Erkenntnissen und glücklichen Momenten berichten.

Als Erstes möchte ich Ihnen Beate Steger nahebringen – eine starke Frau, die Anfang des Jahrtausends ihren Job gekündigt hat, um mit dem Rad um die Welt zu fahren – wobei sie auch auf dem Jakobsweg ihre Reifenabdrücke hinterlassen hat. Seitdem bestreitet sie ihren Lebensunterhalt als Vortragsreisende unter anderem mit Diashows zum Thema Pilgern. Ich kenne Beate, seit ich vor Jahren durch Zufall auf ihre Webseite www.deutsche-jakobswege.de gestoßen bin – die auch Sie natürlich gerne nutzen können, um sich irgendwann vielleicht Ihren eigenen Weg herauszusuchen. Was man von ihr lernen kann: Ängste überwinden, Ziele setzen, dem Leben und seinen Mitmenschen vertrauen. Und vor allem: einfach mal machen!

Aber lesen Sie selbst, tauchen Sie auf den kommenden Seiten ein in den bunten, weiten, uralten und neuen Jakobspilger-Kosmos – und lassen Sie sich inspirieren! Wer weiß, was auf Sie wartet, wenn Sie sich auf Ihre Reise machen. Und nach Wochen, in denen Sie den Muschel-Wegweisern gefolgt sind, wieder Ihre eigenen Wege gehen – dann vielleicht endlich in die Richtung, die Sie schon immer einschlagen wollten.

»Ins Vertrauen gehen ist wichtig!«

Interview mit der Vortragsreisenden Beate Steger

Beate, wie bist du damals auf den Jakobsweg aufmerksam geworden?

Das kann ich heute gar nicht mehr sagen. Wir haben einen Teil des Caminos als zweite Etappe unserer Fahrradweltreise ausgewählt, die meine Freundin Carol Anne Streeter und mich 2001 rund um den Globus geführt hat. Aber wie wir darauf gekommen sind: Das ist mir heute ein Rätsel! Ich weiß nur: Als ich das erste Mal davon gehört hatte, wusste ich, dass ich da hinwill.

Wie seid ihr denn auf die Idee mit der Weltumrundung per Rad gekommen?

Ich hatte mich im Jahr 2000 frisch von meinem Partner getrennt, Carol musste um ihren Vater trauern. Aber irgendwie haben wir damals durch diese Ereignisse beide so ein Freiheitsgefühl verspürt und sind einfach mal zu einer Radtour aufgebrochen. Irgendwann saßen wir auf einer Bank, und ich kam auf den völlig verrückten Gedanken: Wie wäre das wohl, wenn wir das nicht 14 Tage machen, sondern ein ganzes Jahr? Um die ganze Welt? Ich hatte erwartet, dass Carol das für eine bekloppte Idee hält. Aber sie ist eine hartgesottene Schottin – wenn es regnet, geht sie extra auf den Campingplatz statt ins Hotel! Sie fand die Sache gut.

Eine ziemlich krasse Idee. Wie habt ihr euch vorbereitet?

Du meine Güte: Das war schlimm. Wir hatten ja keine Ahnung, nicht mal wie man ein Rad belädt, und sind ganz naiv an die Sache herangegangen. Unsere Karten haben wir uns beim ADAC besorgt, ausgerechnet! Heute würde ich aber sagen, dass diese Naivität das Beste war, was uns passieren konnte. Aber wir hatten uns einen Starttermin gesetzt, das sollte der 1. April 2001 sein, und den haben wir dann auch eingehalten. Wir sind pünktlich losgefahren, nach sieben Monaten Planung.

Was war das für ein Gefühl, endlich aufzubrechen?

Gigantisch! Das war Freiheit pur! Ich werde nie vergessen, wie ich nach der ersten Nacht auf dem Zeltplatz morgens zum Bäcker radelte, um Brötchen zu holen. Das war in Neckargemünd, 20 Kilometer von meinem Wohnort entfernt. Das Gefühl: »Das geht jetzt ein Jahr so«, das war überwältigend und großartig! Vor allen Dingen, da die Planungszeit sehr stressig war. Was man alles beachten muss vor so einer Weltreise ... das ist enorm.

Da hast gesagt, dass ihr die Sache naiv angegangen seid ...

Ja, naiv waren wir schon, weil wir beide noch nie eine solche Reise gemacht hatten. Aber im Nachhinein gesehen war die Reise schon sehr durchgeplant, alleine durch die vorab gebuchten Flüge. Andere Weltreisende machen das vielleicht anders. Aber zu wissen: Wann werden wir wo sein, in welchem Land und für wie lange, das war eine Sicherheit, die vielleicht wichtig war. Das hat der ganzen Reise eine Struktur gegeben, das war gut so.

Habt ihr unterwegs Hilfe benötigt?

Ja, Hilfe haben wir immer wieder bekommen. Zum Beispiel durch zwei fahrradverrückte Jungs, die uns in Kanada gezeigt haben, wie man ein Rad richtig repariert bzw. überholt. Ansonsten hatten wir viele Begegnungen und Einladungen, die uns einfach gezeigt haben, wie gut die Welt ist. Sie ist eben nicht so schlecht, wie es in den Medien immer dargestellt wird.

Was hat eigentlich dein Arbeitgeber zu deiner Auszeit gesagt?

Der war leider alles andere als begeistert. Dabei war das ein Unternehmen, das seinen Mitarbeitern sonst viele Freiheiten lässt. Aber ich war noch nicht lange da, darum wollte man mich erst einmal nur ein halbes Jahr freistellen.

Deine Reaktion?

Ich habe gekündigt! Mir war sehr schnell klar, dass diese Reise die Chance meines Lebens ist. Ich wollte immer selbstständig sein. Ich hatte mir vorher bereits einen kleinen Verlag für Kinder-Theaterstücke aufgebaut. Da habe ich zum Beispiel Märchen für Amateurtheater umgeschrieben; die haben oft mehr weibliche als männliche Schauspieler, also habe ich ein paar Rollen umgebaut und weitere weibliche Figuren erfunden. Damit hatte ich schnell Erfolg, aber mir wurde auch rasch klar, dass das unterm Strich nicht reicht. Darum hatte ich mir diesen Job gesucht. Aber ich tauge wohl einfach nicht zur Angestellten.

Wird einem da nicht mulmig, für so ein Abenteuer auf jede Sicherheit zu verzichten?

Nein, in der Hinsicht bin ich Optimist und vertraue darauf, dass alles so kommt, wie es richtig ist. Da bin ich kein sicherheitsbewusster Mensch. Und ich habe ja Recht bekommen: Als unsere Reise konkret wurde, wusste ich, was ich machen wollte!

Und was?

Ich habe damals schon live im Internet von unserer Reise berichtet und digital fotografiert. Damals passten gerade einmal 40 Bilder auf eine Speicherkarte, jedes ein Megabyte groß. Ich hatte einen Laptop mit, der hatte schon eine 10 Gigabyte-Festplatte. Den habe ich am Ende nicht mehr aus den Augen gelassen, wenn der gestohlen worden wäre, wäre alles weg gewesen. Außerdem hatte ich ein Modem mit; ich habe mir unterwegs Telefonzellen gesucht, über die ich die Daten hochladen konnte – das Internet war ja damals noch in den Kinderschuhen. Da musste ich den Hörer rausziehen, um den Stecker reinzustecken ... Einmal hat mir ein Privatmann seinen Internet-Zugang geliehen, das Passwort habe ich dann drei Wochen lang genutzt. Auf diese Weise habe ich immerhin 34 Reiseberichte verschicken können.

Wie ist das angenommen worden?

Gut! Irgendwie ist das SWR-Radio auf uns aufmerksam geworden. Die haben über uns berichtet, so hatten wir relativ schnell eine kleine Newsletter-Gemeinde. Das war nicht unwichtig für uns, denn so haben wir uns nicht getraut aufzuhören. Die Menschen warteten ja auf unseren Newsletter.

Beate, du bist dann den Camino später noch mal zu Fuß gelaufen ...

Ja, das war 2007, also schon noch was hin. Dabei fand ich den damals, als wir mit dem Rad unterwegs waren, gar nicht so toll. Aber zu der Zeit stand mein 40. Geburtstag bevor, und ich war inzwischen tatsächlich selbstständig, also konnte ich mir die Zeit gönnen. Ich bin damals im März gestartet, von Saint-Jean-Pied-de-Port aus. In den Pyrenäen lag meterhoch Schnee.

Wie lief das mit deiner Selbstständigkeit? Hat sich dein Traum erfüllt, sind deine Pläne aufgegangen?

Zunächst bin ich wieder bei meinem alten Arbeitgeber eingestiegen, ich brauchte ja dringend Geld. Aber ich hatte es so eingerichtet, dass ich den Freitag frei hatte. In der Zeit habe ich dann Vorträge vorbereitet und DVDs produziert. Das war nicht einfach damals; in den 1980er-Jahren sind die Leute noch in Strömen in Diavorträge gegangen, aber mit dem Aufkommen des Internets konnte sich irgendwann jeder seine eigenen Shows am Bildschirm angucken. Aber es lief trotzdem ganz gut an. Irgendwann konnte ich meine Arbeitszeit auf 60 % reduzieren, Ende 2004 habe ich wieder gekündigt. Von da an lebte ich nur noch von meinen Vorträgen. Es gab eine Zeit, da war meine Jakobsweg-DVD die bestverkaufte bei Amazon.

Du lebst also vom Jakobsweg?

Nein, ich mache ja auch andere Reisen ... Über den Jakobsweg wollte ich zunächst eigentlich überhaupt keinen Vortrag halten. Ich hatte ja damals auch nur eine Mini-Kamera mit. Aber ich bin nun mal Fotografin und Filmemacherin aus Leidenschaft, und natürlich habe ich unterwegs einige schöne Begegnungen im Bild festgehalten. Später brachte mir eine Freundin dann eine bessere Kamera mit, das hat die berufliche Geschichte dann angestoßen.

Zurück zu deinem 40. Geburtstag. Wieso hast du dir den Weg davor noch mal unter die Schuhe genommen?

Na ja ... ich hatte auf unserer Radtour die Fußpilger beneidet: Die bekamen von dem Weg einfach mehr mit. Es gab Tage, da wusste ich nicht einmal die Namen der Orte, in denen ich war. Natürlich hat Radfahren auch Vorteile: Wir waren bei Regen zum Beispiel schneller in der Herberge, aber es kam auch vor, dass Fußpilger schneller waren als wir – zum Beispiel auf dem Weg zum Cruz de Ferro, wir hatten schließlich 33 Kilo Gepäck und das Gewicht des Rads zu bewegen. Unterm Strich hatte ich das Gefühl, dass man zu Fuß mehr von der Reise hat. Seitdem war das in meinem Kopf, obwohl ich nie längere Strecken zu Fuß gelaufen bin.

Hattest du als allein reisende Frau eigentlich keine Angst, dass etwas passieren könnte?

Nein! Ich bin ein spiritueller Mensch, ich wusste immer, dass mir nichts passieren kann. Gott oder die Welt oder das Universum, je nachdem, woran man glaubt, meint es gut mit einem. Mir ist nie irgendetwas passiert. Ich hatte nur einmal ein seltsames Gefühl, als mir auf einem einsamen Wegstück mal ein Mann entgegenkam ... Aber man kann sich auch mit Gedanken schützen. Und ich glaube, dass alle Menschen im Herzen gut sind.

Was mir zunächst aber wirklich schwergefallen ist, war die Einsamkeit, denn ich war in meinem Leben eigentlich nie allein. Ich habe zwei Brüder ... Das hat mir zunächst tatsächlich etwas Angst gemacht. Ich hatte einige Tiefpunkte und habe Herbergen zunächst sogar gemieden.

Dabei wärst du doch gerade dort nicht alleine geblieben ...

Ja, das ist komisch ... Abends war es aber sogar am schlimmsten, unter vielen geselligen Spaniern kam ich mir erst recht alleine vor. Unterwegs nicht, da muss man nach dem Weg gucken und ist beschäftigt. Aber das hat sich dann gelegt, ich habe allmählich andere Pilger kennengelernt, und als nach drei Wochen meine Freundin nachgereist kam, hatte ich die Hürde schon überwunden und konnte auf Leute zugehen.

Wie war die Ankunft?

Leider nicht so schön. Ich hatte Nierenkoliken und konnte nicht einmal an der Pilgermesse teilnehmen. Dafür bin ich dann im August noch einmal hingeflogen und habe dann an meinem Geburtstag in Finisterre gebadet. Angeblich fallen dann ja alle Sünden von einem ab; ich zeige in meinen Vorträgen seither immer ein Bild von mir im blauen Wasser: Sie sehen hier einen sündenfreien Menschen (lacht).

Du hast dir für deine folgenden Reisen auch Nebenstrecken und »Zubringer« des Camino Francés ausgesucht. Warum?

Gute Frage. Es hatte auch damit zu tun, dass ich mich von Kollegen abheben wollte. Es gab damals etwa ein Dutzend Referenten, die mit dem Thema gereist sind: Als Hape Kerkelings Buch eingeschlagen war, hatten viele Dollarzeichen in den Augen. Auch ich hatte an manchen Abenden über 200 Zuhörer, deutlich mehr als zu anderen Themen, und habe meine DVDs gut verkauft. Einmal, bei einer Matinée in Uelzen, mittelgroßer Kinosaal, mussten wir in einen größeren Saal umziehen, weil weit über 300 Leute kamen. An einem Sonntagmorgen! Und dann in einer Viertelstunde die Technik umbauen, das war Stress pur. Aber das Interesse lag eher nicht an mir, sondern am Thema. Da habe ich mich dann entschieden, noch sechs weitere Wege zu gehen, zum Beispiel den Küstenweg oder den Camino del Salvador, der im Mittelalter sehr beliebt war, weil man in Oviedo das Schweißtuch Christi besuchen konnte. Warum gehst du zum Knecht, aber nicht zum Herrn, hieß es damals, daher haben die Pilger den Umweg in Kauf genommen. Ich bin die Wege aber nicht vollständig abgelaufen, sondern nur in Etappen.

Wie kamst du auf die deutschen Wege? Hier hast du dir mit deiner Webseite echte Meriten erworben ...

2008 hatte ich überlegt, welches Projekt ich mir 2009 vornehme. Ich hatte zunächst vor, den Rhein entlang zu wandern, aber dann bin ich auf die deutschen Jakobswege gestoßen. Da war die Sache schnell klar. Das war damals allerdings Kraut und Rüben, da gab es 1.000 Webseiten, niemand fand sich da zurecht. Da habe ich mir gedacht: Warum nicht eine Webseite einrichten, wo alle diese Infos gebündelt sind? Durch Zufall habe ich damals Hans-Jörg Bahmüller kennengelernt. Er hat vor Jahren einen Zweig des Deutschen Jakobswegenetzes beschildert und im Web eine Kontrollwanderung angeboten. Da bin ich mit, und seither arbeiten wir zusammen. Das war eine Begegnung der besonderen Art, denn Hans-Jörg ist ein Computerfachmann, er hat mir dann bei der Erstellung der Seite geholfen. Pilger kennen das: Man trifft immer wieder die richtigen Menschen zur richtigen Zeit. Die Webseite läuft sehr gut, ich bekomme täglich Anfragen.

Was für welche?

Oft dreht es sich darum, dass die Leute noch nicht bereit sind loszulassen und etwas suchen, woran sie sich festhalten können. Was ist, wenn ich keine Herberge finde? Kann ich meinen Hund mitnehmen? Was ist, wenn ich auf einmal alleine im Wald bin? Solche Sachen.

Was antwortest du?

Na ja, es gibt Optimisten und Pessimisten. Als Pessimist könnte ich meine Reisen nicht machen. Ich sage immer: Da, wo deine Angst ist, da führt dich dein Weg hin. Es ist in Ordnung, Angst zu haben. Sich zuzugestehen, dass man Angst hat, kann eine Offenbarung sein! Obwohl meine Vorträge gut laufen, habe ich ja keine regelmäßigen Einnahmen. Und ich muss immer wieder Tausende von Euro in meine Technik investieren, und manchmal weiß ich nicht, wo ich das Geld dafür hernehmen soll. Aber es kommt immer wieder etwas rein. Es ist sehr wichtig, immer ins Vertrauen zu gehen! Aber viele Leute haben Schwierigkeiten, sich fallen zu lassen, die wollen ihre Reise von Anfang an kontrollieren. Die Menschen wollen weg, raus aus dem Hamsterrad, trauen sich aber nicht. Ich sage dann immer: Geh los, lass dich drauf ein, alles andere wird sich finden!

Beate, du hast so viele Wanderwege gesehen – ist der Jakobsweg dann überhaupt noch etwas Besonderes?

Ja! Und zwar wegen der Menschen, die dort unterwegs sind. Auf anderen Wegen, meinetwegen dem schottischen West Highland Weg, findet man schöne Landschaften, meinetwegen auch Abenteuer, und kann sich sportlich betätigen, aber auf dem Jakobsweg findet man Menschen, die auf der Suche nach dem großen Ganzen sind, vielleicht auch auf der Suche nach Gott. Jeder Pilger hat ein Anliegen. Dadurch erlebst du den Weg anders. Sein wir mal ehrlich: Der Camino kann dem Vergleich mit anderen Premium-Wanderwegen wie etwa dem Rheinsteig nicht standhalten ... Er hat eben eine andere Qualität. Vielleicht, weil er so alt ist und man spürt, wer da schon alles war und was die Leute mitgebracht und wieder mitgenommen haben. Die Freude der Leute vor der Kathedrale, diese Energie ist doch mit Händen zu greifen!

Stichwort Kathedrale: Was hältst du vom Pilgern in Deutschland?

Es gibt ja viele, die sagen: Richtig pilgern kann man nur in Spanien. Ich glaube, das ist Quatsch! Es ist egal, welchen Weg man nimmt, Hauptsache, die Mission stimmt. Natürlich ist die Herbergssituation in Spanien besser, aber in Deutschland kommt das allmählich ... Man hat erkannt, dass es dem Pilger auch um Schlichtheit geht. Um Entschleunigung! Dazu gehören auch Begegnungen in Herbergen.

Was sind deine nächsten Projekte?

Als Nächstes stehen ein Bildband und ein Vortrag über Mallorca an. Ich habe für einen Verlag zwei Bildbände betextet und jetzt die Chance bekommen, einen eigenen zu machen. Da möchte ich auch eine Strecke im Kanu zurücklegen. Das lerne ich gerade – das macht ungeheuren Spaß! Und im nächsten Jahr will ich mir die Jakobswege in Frankreich anschauen. Aber ich bin auch wahnsinnig gerne zu Hause.