Einführung

Es gibt wohl kein anderes Buch der klassischen indischen Literatur, dem ein so verheißungsvoller Zauber anhaftet wie dem Kamasutra. Die detaillierten Schilderungen über das Verhalten des Edelmannes, den Umgang mit Kurtisanen, Jungfrauen und Ehefrauen, vor allem aber die Ausführungen über die Liebesstellungen und erotischen Umarmungen haben das Buch, dessen Quellen sich bis in die indische Mythologie zurückverfolgen lassen, weltweit bekannt gemacht.

Wer »Kamasutra« liest, der mag zunächst an glutäugige Helden, Prinzessinnen in goldenen Saris, den Duft von Sandelholz, vielleicht aber auch an erotische Akrobatik denken. Die Frage ist jedoch: Warum sollten wir uns überhaupt mit dem Kamasutra beschäftigen? Hat dieses Werk uns denn heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, noch etwas zu sagen? Was hat es mit den sinnlichen Geheimnissen auf sich, die das Buch beinhaltet, oder mit anderen Worten: Was ist eigentlich die Essenz des Kamasutra?

Diese Fragen waren es, die mich dazu bewogen haben, über das Kamasutra zu schreiben. Schon vor vielen Jahren ist mir bei meinen Reisen durch die USA aufgefallen, was inzwischen auch für den deutschsprachigen Raum gilt: Entweder wird das Kamasutra auf reine Bildbände reduziert, die sich darauf beschränken, Liebespositionen aufzulisten, oder es werden relativ wortgetreue Übersetzungen des gesamten Originals angeboten, die zwar kulturhistorisch interessant, für die Freude an der Erotik jedoch kaum von Bedeutung sind. Und so schien es mir sinnvoll, das Thema einmal auf eine andere Weise anzugehen.

In den folgenden Kapiteln werden Sie das Wichtigste über Geschichte und Philosophie des Kamasutra sowie natürlich auch über Liebesstellungen, Küsse, Umarmungen usw. erfahren. Darüber hinaus wird es aber auch darum gehen, dass »Kama«, das Wohlgefühl, das beim Genießen der Liebe entsteht, erst durch Mitgefühl, Achtsamkeit und Meditation in seiner Tiefe erfahrbar wird. Nur wenn wir ebenso viel Wert auf unsere Geisteshaltung wie auf die erotischen Körperhaltungen legen, kann das Kamasutra für uns zu einer Brücke werden, die uns mit der Energie der Ekstase und der Kraft unserer Spiritualität verbindet.

Impressum

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© 2015 by Irisiana Verlag,
einem Unternehmen der
Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Satz und Layout: Christian Martin Weiss

Bildredaktion: Melanie Greier, Tanja Zielezniak

Redaktion: Sven Beier

Umschlaggestaltung: Geviert, Grafik & Typografie

Reproduktion: Regg Media GmbH, München

ISBN: 978-3-641-15045-7
V004

Hinweis für den Leser

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Bildnachweis:

Alle Bilder von Christian Martin Weiss

Das Kamasutra

ein Klassiker der Liebesliteratur

Die Praxis der Liebeskunst

Literaturempfehlungen

Burkhard, A.F.:

Achtsamkeit – Entscheidung für einen neuen Weg

(Schattauer, Stuttgart 2011)

Govinda, K.:

Atem-Yoga CD. Für mehr Energie und innere Balance

(Irisiana, München 2012)

Govinda, K.:

Chakra-Praxisbuch. Spirituelle Übungen für Gesundheit, Harmonie und innere Kraft

(Irisiana, München 2012)

Govinda, K.:

Tantra – Geheimnisse östlicher Liebeskunst

(Irisiana, München 2013)

Govinda, K.:

Tantra Massage. Die hohe Kunst der Berührung

(Irisiana, München 2012)

Govinda, K.:

Shiva Shiva. Das Geheimnis der indischen Götter. Mythen, Meditationen, Rituale

(Kailash, München 2014)

MALLANAGA, V., SCHMIDT, R. (ÜBERS.):

Das Kamasutra – die vollständige indische Liebeslehre

(e-Classica 2012, Kindle-Edition)

Neff, K.:

Selbstmitgefühl (Kailash, München 2012)

Vatsyayana, M., König, H. (Übers.) :

Das Kamasutra. Die Kunst der erotischen Liebe

(Dorling Kindersley, München 2009)

Inhalt

Einführung

Das Kamasutra – ein Klassiker der Liebesliteratur

Das Kamasutra aus moderner Sicht

Dhama, Artha, Kama und Moksha: die Philosophie des erfüllten Lebens

Die vier Lebensziele

Im Mittelpunkt die Lust

Vom rechten Lebenswandel des EDELmanns

Das Leben des Edelmanns

Sexualität als Tor zur
Spiritualität

Rituale der Liebe

Liebe in Achtsamkeit

Der Weg des Mitgefühls

Die Praxis
der Liebeskunst

Kamasutra – eine Art »Sexgymnastik«?

Weit geöffnete Stellung

Gähnende Stellung

Indras Gattin

Die Typologie der Vereinigung

Geschlossene Stellung

Geschlossene Stellung seitlich

Schenkelklammer

Mitgefühl als Schlüssel

Umrankende Stellung

Die Stute

Aufgestellte Lage

Die vierfache Natur der Liebe

Gestreckte Haltung

Gepresste Stellung

Halbgepresste Stellung

Achtsam im Hier und Jetzt

Den Bambus spalten

Den Nagel einschlagen

Die Stellung der Krabbe

Von den Umarmungen

Lotosblatt-Stellung

Die Mühle

Die gestützte Vereinigung

Zugewandte Stellung

Die Magie der Berührung

Hängebrücke

Stehende Kuhstellung

Die Stellung der Kuh

Das Geheimnis der Abwechslung

Einfache Gähnstellung

Offene Pflugstellung

Vom Küssen

Der Elefant

Geöffnete Perlmuschel

Liebesgrotte

Vom Kratzen und den Nägelmalen

Die Speerspitze

Liebesdiwan

Stellung des Ebers

Das Spiel der Liebe

Kreuzstellung stehend

Aufgestellte Schenkelpresse

Vom Beißen

Shaktis Hocke

Shaktis Ritt

Sexuelle Energien wecken

Umgekehrte Reiterin

Geschlossene Tigerstellung

Das Dreieck

Wenn Frauen die Rolle des Mannes spielen

Seitgedrehte Liane

Offene Tigerhaltung

Zugewandte Reiterin

Atmen

Stützstellung

Umgekehrter Lotos

Umschlingender Lotos

Vom Mundverkehr

Kamas Sitz

Bogenstellung

Die Katze

Beginn und Abschluss des Liebesspiels

Shaktis Thron

Die Auster

Liebesperle

In den Klang eintauchen

Scherenstellung

Geschlossene Perlmuschel

Blütenblatt

Positive Gefühle nähren

Literaturempfehlungen

Impressum

Die vier Lebensziele

undert Jahre lebt der Mensch. Er vergeude seine Zeit nicht, sondern strebe vielmehr danach, die Lebensziele zu verwirklichen – ein jedes zu der rechten Zeit und das eine auf das andere folgend. Solange die Kindheit währt, möge er sein Wissen vervollkommnen, in der Jugend und dem Erwachsenenalter Artha und Kama erlangen. Gegen Ende seines Lebens aber strebe er danach, Moksha zu erreichen und sich aus dem ewigen Kreislauf der Wiedergeburten zu befreien.

Vom rechten Lebenswandel des Edelmanns

rüh am Morgen stehe er auf, putze sich die Zähne, parfümiere den Leib maßvoll mit duftenden Salben, streiche sich Augenwasser auf die Augenlider und Alaktaka (roten Lack) auf die Lippen, wonach er seine Erscheinung im Spiegel kontrollieren soll.

Jeden Tag genieße er ein Bad, jeden zweiten salbe er sich mit Öl ein, jeden dritten reibe er seinen Leib mit Seifenschaum ein, alle vier Tage rasiere er sich das Gesicht und den Kopf und alle fünf oder zehn Tage den restlichen Körper, denn diese Pflichten sind für die Pflege des Leibes unverzichtbar.

Abends wird musiziert. Schließlich empfängt der Edelmann in Gesellschaft eines Freundes seine Geliebte – der Raum ist reich geschmückt und von allerlei Räucherwerk erfüllt. (…) Sobald die Geliebte eingetreten ist, unterhalten er und sein Freund sie mit freundlichen, heiteren Reden.

Sexualität als Tor zur Spiritualität

Auf den ersten Blick mag das Kamasutra wie eine bloße Aufzählung von Verhaltensweisen, Liebesstellungen und zahlreichen Regeln für die Begegnung zwischen Mann und Frau wirken. Wer jedoch zwischen den Zeilen liest, wird schnell bemerken, dass es hier um viel mehr geht. Der Vergleich zum Yoga drängt sich auf: Auch hier werden zwar Körperstellungen und Atemtechniken genau beschrieben – es geht jedoch nicht um Akrobatik, sondern um die Entwicklung unseres Bewusstseins. Ebenso geht es auch beim Kamasutra letztlich nicht darum, Blumen in der richtigen Weise zu streuen oder seine Beine in der optimalen Weise anzuwinkeln, sondern es geht um Achtsamkeit und neue Erfahrungen, die das seelisch-geistige Wachstum anregen sollen.

Die Wiederentdeckung der Sinnlichkeit ist gerade in der heutigen Zeit von entscheidender Bedeutung für unser Glück. Und natürlich erst recht für das Glück und die Erfüllung in unserer Beziehung. Das Kamasutra lädt uns dazu ein, weniger zu denken und dafür mehr zu spüren. Wer die Regeln des Kamasutra beherzigt, weckt nicht nur alle seine Sinne, sondern lernt, dem spielerischen Element der Sexualität neuen Raum zu geben. Dies kann dazu führen, dass sogar Partner, die seit vielen Jahren Schwierigkeiten miteinander haben und deren Lust längst erloschen scheint, wieder lernen, sich »zu berühren« – nicht nur körperlich, sondern auch seelisch.

Rituale der Liebe

Das Kamasutra beschreibt im Grunde ritualisierte Formen der Liebe. Ob es um das Studium der 64 Künste, um die korrekte Beschreibung von Liebesstellungen oder Empfehlungen für den Tagesablauf und die Reihenfolge der Reinigung geht – immer wieder begegnen uns die verschiedenen Stadien des Liebesspiels in Form von Ritualen.

Rituale haben den Vorteil, dass sie das Bewusstsein aus den Fesseln des Alltags zu befreien vermögen. Doch trotz aller Empfehlungen, die das Kamasutra gibt, geht es nicht darum, sich strenge Regeln aufzuerlegen. Ein Ritual sollte uns dienen, nicht wir dem Ritual. Das äußere Befolgen festgelegter Schritte ist nur ein Mittel zum Zweck. Dieser Zweck besteht darin, tief in die Liebe einzutauchen. Und er besteht darin, sich für den Reichtum, den wir in der Verbundenheit mit unserem Partner erleben können, zu öffnen. Rituale wirken reinigend und sie helfen, den Kontakt zum eigenen Körper und zu dem des oder der Geliebten zu intensivieren.

Im Wesentlichen besteht ein Liebesritual aus einfachen Elementen: Zunächst sollte viel Wert auf die Atmosphäre gelegt werden – Schönheit, Ästhetik und Sinnlichkeit stehen im Mittelpunkt des Liebesakts. Einen gewöhnlichen Raum in einen Liebestempel zu verwandeln ist nicht schwierig. Farben, Düfte und Klänge sind dabei die wichtigsten »Zutaten«. Einige Punkte sind darüber hinaus hilfreich:

Die Zeit sollte keine Rolle spielen. Befreien Sie sich von allen Terminen und verbannen Sie sämtliche Uhren aus dem Raum.

Zimmer und Bett sollten mit Blumen, bunten Tüchern und Kissen geschmückt werden.