Vor ein paar Jahrzehnten noch machte man sich bei der Katzenhaltung nicht viele Umstände.
Zum Essen servierte man mehr oder weniger geeignete Tischreste, für gegenteilige Zwecke verließ man sich einfach auf Mutter Natur. Wenn’s hochkam, stellte man eine Holzkiste mit Torf, Sand, Sägemehl oder Zeitungspapier im Flur auf.
Reine Wohnungshaltungen gab es wenige – wozu auch? Selbst in größeren Städten hatten Katzen Dächer, ausgedehnte Kellergewölbe und stille Hinterhöfe zur Verfügung. Die Konkurrenz von Artgenossen war klein, und es gab nur einen Bruchteil des heutigen Motorverkehrs.
Die Frage, was Katzen eigentlich wirklich wollen, stellte sich kaum, nicht etwa aus Gleichgültigkeit, sondern weil Miez in weit höherem Maße als heute die Möglichkeit hatte, sich selbst zu besorgen, was sie brauchte.
Es hat sich viel geändert seit damals – für Menschen und ihre Haustiere. Katzen haben spezielle Tierärzte, Physiotherapeuten und sogar Psychiater. Im Handel gibt es eine Unzahl von industriell gefertigten Nahrungsprodukten (einschließlich Katzenkonfekt), von denen stets behauptet wird, dass sie Katzen rundum gesund und glücklich machen. Raffiniertes Spielzeug, Katzenmöbel mit Kuschelhöhlen, Kratzgelegenheiten, eigens entworfenes Geschirr mit Mäusedekoration kann man ebenso erstehen wie das unverzichtbare Katzengras im Blumentopf oder die supersaugfähige, ultimativ geruchsbindende Katzenstreu. Einsamen, gelangweilten Katzen kann man eigens für sie komponierte Entspannungsmusik und DVDs mit Fischen, Kleinvögeln und lustig herumkrabbelnden Nagetieren vorspielen. Zum vollkommenen Katzenglück gibt es noch Wohlfühldüfte aus der Steckdose.
Fragten wir hingegen die Katzen selbst nach ihren Wünschen, so wäre die Antwort – zumindest aus der Katzenperspektive – ziemlich einfach:
»Lieber Mensch, hänge alle Türen in deiner Wohnung aus und stelle die Heizung auf angenehme 25 bis 30 Grad ein. Zum Essen wünsche ich mir täglich ein frischtotes Tier, aber schneide es mir freundlicherweise an mehreren Stellen an. Zwischendurch nehme ich auch gern etwas Lachs, Kaviar oder auch ein Stückchen Filetsteak. Mach bitte, dass es draußen nicht kalt ist, regnet oder schneit, wenn ich durch die freie Natur spazieren will. Und vor allem kündige gefälligst diesen sinnlosen Zeitvertreib, den du deine Arbeit nennst, damit du mir jederzeit zur Verfügung stehen kannst.«
Damit wären die meisten Katzenbesitzer wohl etwas überfordert, um es milde auszudrücken, und wahrscheinlich wäre eine Katze, der kein Wunsch mehr offen bleibt, nicht ganz so glücklich, wie man meinen könnte.
Das vor Ihnen liegende Buch soll dazu beitragen, die wilde wie die gezähmte Natur Ihrer Katze besser zu verstehen. Die Gründe für die wechselhaften Schicksale der Katze durch die Jahrtausende werden darin ebenso enträtselt wie das Geheimnis, was Menschen und Katzen so tief miteinander verbinden kann. Sie erfahren, was für ein mitunter raffinierter, hoch entwickelter Jäger unser Stubentiger eigentlich ist, obwohl er dies bisweilen hinter seinem Bedürfnis nach Bequemlichkeit (sprich: Faulheit) wohl zu verbergen weiß.
Dazu wird verraten, wie Sie dem kleinen, intelligenten und eigenwilligen Raubtier im engen Zusammenleben mit Menschen am ehesten gerecht werden und wie Sie seine Bedürfnisse erfüllen. Nicht zuletzt lernen Sie, was die Katze mit dieser oder jener Geste, Lautäußerung oder Mimik meint, sodass Missverständnisse gar nicht erst aufkommen. Zahllose praktische Tipps helfen Ihnen bei der Vorbeugung oder Lösung von Verhaltensproblemen. Damit sind die besten Voraussetzungen gegeben für eine harmonische Beziehung zwischen Ihnen und Ihrer Katze.
Ihre
Dr. Mircea Pfleiderer
Birgit Rödder
KAPITEL 1 WIE DIE HAUSKATZE ZU DEM WURDE, WAS SIE HEUTE IST: EIN FREUND DES MENSCHEN MIT EINER GUTEN PORTION UNABHÄNGIGKEIT.
Der eine oder andere Leser wird über diese Frage vielleicht lachen. Katzen kennt doch schließlich jeder. Sie sind heute die bevorzugten Fellnasen in den Wohnstätten des deutschen Sprachraums und auch in manch anderem Land. Trotzdem halten sich viele Irrtümer hartnäckig.
Was also ist eine Katze? Das Spektrum der Antworten reicht vom sogenannten »pflegeleichten Heimtier« bis zum hoch spezialisierten Räuber.
Als Heimtier schont die Katze (mit seltenen Ausnahmen) die Wohnungseinrichtung, verlangt keine Spaziergänge, verströmt keine üblen Körpergerüche und stört nicht durch Bellen. Sie kann sich selbst sauber halten, benötigt kein Aquarium oder Terrarium und ist zudem überaus anschmiegsam.
Sehr oft kommt der Mensch aus solchen Überlegungen heraus auf die Katze. Zufrieden mit seinem Entschluss geht er zum Züchter oder zum Bauern, vielleicht auch ins nächste Tierheim und – was holt er sich ins Haus? Ein Abenteuer!
Biologisch gesehen ist die Katze ohne Zweifel ein Raubtier, heute politisch korrekt »Beutegreifer« genannt. Und sie ist nicht nur irgendein Raubtier, sondern das höchstentwickelte und das »typischste« Raubtier unserer Erde.
Lassen Sie sich dieses Wunderwerk der Natur mit ein paar Zahlen und Fakten weiter vorstellen.
Nicht anders als bei uns selbst ist auch bei der Katze das Gehirn das Informationsspeicher- und Informationsverarbeitungssystem, sozusagen die Kommandozentrale des Körpers. Das Rückenmark stellt eine Art Datenautobahn dar für die Übermittlung all der Informationen, die die Sinnesorgane empfangen und die über das Nervensystem weitergeleitet werden.
Mittels der Nervenbahnen gelangen so auch Befehle an die Muskeln – und zwar blitzartig.
Bei einer frei lebenden Hauskatze rasen solche Botschaften mit knapp 400 Stundenkilometern durch Gehirn und Rückenmark.
Die Leistungen der Sinnesorgane von Katzen sind Legende. Auch heute noch, da wir in einer High-tech-Gesellschaft leben und von Präzisionsinstrumenten umgeben sind, bringen sie uns immer wieder erneut zum Staunen.
Die Augen
Beim Betrachten eines Katzengesichts fallen als erstes Sinnesorgan die großen Augen und die veränderbare Pupillengröße auf.
Dämmerungssehen: Katzenaugen verfügen über 400.000 Sehzellen pro Quadratmillimeter Netzhaut, wir Menschen nur über ein knappes Viertel davon. Darüber hinaus ist ein großer Teil des Augenhintergrunds mit dem sogenannten Tapetum lucidum ( Glossar, >) ausgekleidet, einem Gewebe aus großen, flachen Zellen, die wie Spiegel wirken und die Lichtempfindlichkeit des Auges um etwa das 1,7-Fache weiter verstärken.
Allerdings – in völliger Dunkelheit sieht auch eine Katze nichts.
Räumliches Sehen: Beide Augen der Katze sind nach vorne gerichtet, ein Umstand, der entscheidend ist für die Treffsicherheit beim Springen und Greifen. Die Gesichtsfelder beider Augen überschneiden sich dadurch nämlich sehr weit, eine Voraussetzung, um Entfernungen gut abschätzen zu können. (Ganz anders zum Beispiel bei den Huftieren, bei denen die Augen an den Seiten des Kopfes liegen und die deswegen zwei fast völlig getrennte Bilder wahrnehmen, eines mit dem rechten und eines mit dem linken Auge, dadurch insgesamt aber ein ungemein weites Gesichtsfeld haben. Huftiere, die auf die Flucht angewiesen sind, brauchen eben »auch hinten« Augen.)
Farbsehen: Früher hielt man die Katzen für völlig farbenblind. Mittlerweile haben aber physiologische Untersuchungen eindeutig ergeben, dass sie durchaus Farben erkennen können, ihnen jedoch wenig Bedeutung beimessen.
Das Gehör
Katzen sind im wahrsten Sinne des Wortes hellhörige Tiere. Ihre Ohren nehmen noch Töne wahr, die wir Menschen längst nicht mehr hören. Vor allem reagieren sie sensibel auf hohe Töne, etwa das leise Fiepen einer Maus. Und noch schwächste Geräusche erregen die Aufmerksamkeit der Katze.
Sie vermag sie auch präzise zu orten, denn die beiden Ohrmuscheln lassen sich unabhängig voneinander auf eine Geräuschquelle ausrichten.
Die Geräuschempfindlichkeit der Katzen hängt auch von der Leistungsfähigkeit des Gehirns bei der Verarbeitung der Sinneseindrücke ab, worauf die Domestikation, aber auch bereits die Art der Haltung einen Einfluss hat. Doch davon später ( >).
Keinen Einfluss auf das Hörvermögen oder die Ortung des Schalls haben hingegen die manchmal auffälligen Haarbüschel an den Ohren mancher Katzenarten (Luchs, Karakal, Rohrkatze usw.). Noch in den Siebzigerjahren behauptete man, dass die Ohrpinsel des Luchses wie Antennen wirkten. Würde man die Pinsel abschneiden, so sei das Hörvermögen deutlich herabgesetzt.
Dies ist reiner Aberglaube. Tatsächlich sind die Ohrpinsel, die übrigens bei Karakal und Luchs ganz verschieden aufgebaut sind, nichts weiter als »Aufputz«, wenn auch ein wichtiger zur Unterstreichung der Ohrenmimik. Dieser kommt bei beiden Arten für die Mitteilung von Stimmungen eine besondere Bedeutung zu, da sowohl Karakal wie Luchs kurzschwänzig sind und dadurch ihre Ausdrucksmöglichkeiten mittels Schwanz zu einem Gutteil eingebüßt haben.
Der Geruchssinn
Der Geruchssinn ist zwar nicht der wichtigste, aber immerhin der erste Sinn, der bei einer Katze voll entwickelt ist. Ein neugeborenes Kätzchen, das noch blind und taub ist, vermag sich doch bereits an Gerüchen zu orientieren. Erst 14 Tage später sind auch das Sehen und Hören ausgebildet.
Wilde Katzen kann man zwar gelegentlich mit erhobenem Kopf wittern sehen, auch beriechen sie Objekte gründlich, sie verfolgen jedoch normalerweise keine Geruchsspur. Bei ihnen liegt die wesentliche Bedeutung des Geruchssinns im sozialen Bereich (Markier-, Sexualverhalten) und in der Beurteilung der Fleischqualität. Alle vernünftigen Katzen beriechen gewöhnlich ihr Mahl ausführlich, bevor sie mit dem Verzehr beginnen. Damit vermeiden sie beispielsweise in Notsituationen, in denen fast alle Katzen zu Aasfressern werden können, dass sie zu alte und damit unbekömmliche Nahrung aufnehmen. Vergammeltes Fleisch beriechen sie zwar, rühren es aber nicht an. Beutetiere, die nach scharfen, möglicherweise auch schädlichen Drüsensekreten riechen, werden ebenso liegen gelassen wie sehr kranke oder stark verschmutzte Tiere.
Das Jacobson’sche Organ: Bei diesem Organ handelt es sich um ein spezielles Hilfsorgan des Geruchssinns, eigentlich um ein zweites Geruchsorgan. Es liegt in der Mundhöhle am Gaumendach und kann wasserlösliche Duftstoffe wahrnehmen. Man findet es verbreitet bei den Reptilien, ebenso bei vielen Huftieren, bei Nagetieren und Mangusten – und eben bei Katzen.
Flehmen: Alle Säugetiere mit einem Jacobson’schen Organ flehmen, ein Verhalten, bei dem die Oberlippe meist recht auffällig zurückgezogen wird, um den Geruchsstoffen den Zugang zum Organ zu erleichtern. Wenn die Katze bestimmte Gerüche mit der Nase wahrnimmt und noch genauer prüfen möchte, flehmt sie: Sie hebt den Kopf, zieht die Mundwinkel mehr oder weniger stark zurück und hält kurz den Atem an.
Unsere Hauskatzen öffnen dabei den Mund nur ganz wenig. Deshalb wird diese Geste oft übersehen. Manchmal bemerkt man nur, dass die Katze in ihren olfaktorischen Untersuchungen innehält und mit leicht erhobenem Kopf und etwas »abwesend« wirkendem Gesichtsausdruck einige Sekunden reglos verharrt. Zum Abschluss des Vorgangs schlucken die Katzen und lecken sich ein-, zweimal über den Nasenspiegel.
Die großen Katzenarten flehmen viel auffälliger, weil sie dabei die Nase deutlich rümpfen, die Kiefer weit aufsperren und oft auch die Zunge vorstrecken. Meist sind es Duftstoffe aus der Sexualsphäre, die das Flehmen auslösen, doch führen es die Katzen auch an zahlreichen anderen (für sie ähnlich riechenden?) Gegenständen und Stoffen aus, etwa gewissen Pflanzen, Parfüms, alkoholischen Getränken, frisch gegerbtem Leder und anderen geruchsintensiven Dingen.
DIE SINNESORGANE DER KATZE
1 Augen: Im Dämmerlicht und in Mondnächten sehen Katzen um ein Vielfaches besser als wir Menschen, nämlich fast so gut wie am Tag. Bei hellem Lichteinfall sind ihre Pupillen schlitzförmig schmal, bei abnehmendem Licht erweitern sie sich stark, werden schließlich kreisrund und lassen so noch möglichst viel Licht ins Auge.
Katzenaugen reagieren auch auf kleinste Bewegungen, während ruhende Objekte oft nicht wahrgenommen werden.
2 Ohren: Das Gehör der Katzen reicht weit über die für uns wahrnehmbaren hohen Töne hinaus.
Sie reagieren noch auf Tonhöhen von 45 Kilohertz (Menschen nur bis 20 Kilohertz). Damit können Katzen das feine Piepsen von Mäusen viel besser hören als wir.
3 Nase: Der Geruchssinn ist bei den Katzen zwar gut ausgebildet, tritt aber in seiner Bedeutung stark hinter Sehen und Hören zurück. Verglichen mit anderen Fleischfressern, fällt Miezes Nase kurz und die Riechschleimhaut entsprechend klein aus.
4 Zunge und Gaumen: Katzen sind in der Lage, die Geschmacksrichtungen salzig, sauer und bitter eindeutig zu unterscheiden, ebenso »umami«, den herzhaften Geschmack von Fleisch. Der Nachweis, dass auf Zunge oder Gaumen auch Rezeptoren für Süßes vorhanden sind, steht noch aus.
Der Tastsinn
Ganz generell ist der Tastsinn der Katze auf der gesamten Körperoberfläche gut entwickelt. Die weiche, unbehaarte Haut der Vorderpfotenballen ist aber besonders reich mit Empfindungsnerven versehen. Vor allem Jungkatzen benützen häufig die Vorderpfoten beim Erkunden ihrer Umgebung, die sie im buchstäblichen Sinne zu »begreifen« trachten.
Sinneshaare: Ein ganz besonderes Wahrnehmungssystem stellen die Sinneshaare dar, mit denen die Katzen reichlich ausgestattet sind. Die ziemlich steifen Haare selbst spüren gar nichts, aber die Haarwurzeln sind in ein sehr empfindliches Gewebe eingebettet. Dieses spricht auf Ablenkungen der Haare von der Normalstellung an und gibt die Erregungsdaten an das Gehirn weiter, das die Reize dann auswertet.
Schnurrhaare: Sie wachsen links und rechts des Nasenspiegels und stellen den auffälligsten Teil des Tastsystems dar. Mit dem Schnurren haben sie freilich nichts zu tun, sie unterstützen vielmehr den Tastsinn. Man nahm bereits früher an, dass die Katzen damit die Weite enger Durchschlupflöcher »ausmessen«, doch erst der bekannte »Katzenprofessor« Leyhausen fand durch Beobachtungen und zahlreiche Experimente heraus, dass sie den Tieren auch noch zu einem anderen Zweck dienen: Vor dem Verzehren der Beute stellen die Katzen deren Haar- oder Federstrich fest, indem sie mit den Schnurrhaaren darüberfahren. Dies ist vor allem für die kleineren Katzenarten von Bedeutung, weil sich die Nahrungsbrocken »gegen den Strich« nur schlecht abbeißen und herunterschlucken lassen.
Nicht selten sind die Schnurrhaare auffällig und farblich vom übrigen Fell abgesetzt und werden damit nicht zuletzt auch zum Ausdrucksorgan: Zurückgelegt unterstreichen sie die Mimik des Zähnebleckens beim Fauchen. Eine angreifende Katze, die bereit ist zuzubeißen, streckt ihre Schnurrhaare hingegen vor, desgleichen bei der bloßen Drohung.
Weitere Sinneshaare: Als Hilfe bei der Orientierung in völliger Dunkelheit haben die Felidae (>, >) auch noch Sinneshaare über den Augen und an der Rückseite der Vorderpfotengelenke. Mit diesem Tastsystem ist die Katze in der Lage, Grad, Richtung, Geschwindigkeit, Dauer und gegebenenfalls auch den Rhythmus eines entsprechenden Reizes zu »erfühlen«.
Scharfe Sinne sind für einen Jäger ohne Zweifel wichtig, doch zu einer erfolgreichen Jagd sind auch noch andere Werkzeuge und Waffen vonnöten.
Die langen, spitzen Fangzähne sind gefürchtete Waffen, während die kleinen Schneidezähne auch dem »Strählen«, dem Kämmen des Fells, dienen.
Die Zähne
Eine Katze verfügt über 28 oder manchmal 30 Zähne. Wie wir haben auch junge Kätzchen zunächst ein Milchgebiss. Im Alter von etwa einem halben Jahr bekommen sie dann ihre bleibenden Zähne. Das Gebiss der Katzen stellt ein hoch entwickeltes Vielzweckwerkzeug dar. Sie benutzen es nicht nur zum Essen, sondern auch beim Beutefang, zum Kämpfen, bei der Liebe und auch zum Transport der Nachkommenschaft.
Sämtliche Katzenarten sind normalerweise reine Fleischfresser, das heißt, sie essen das frische Fleisch selbst getöteter Tiere. Das Katzengebiss ist, ebenso wie ihr Verdauungsapparat, in hohem Maße an Fleischnahrung angepasst. Die geringe Menge pflanzlicher Nahrung, die Katzen etwa zusammen mit dem Verdauungstrakt ihrer Beutetiere oder in Form von Gräserspitzen aufnehmen, ist zwar ernährungsphysiologisch wichtig, doch anteilsmäßig vernachlässigbar.
Mit den langen Eckzähnen, den sogenannten Canini oder Fangzähnen, lassen sich die Beutetiere sicher festhalten und präzise töten ( >). Die Reißzähne hingegen, die aus dem hinteren Vorbackenzahn des Oberkiefers und dem Backenzahn des Unterkiefers bestehen, bilden eine scharfe Brechschere, mit deren Hilfe die Katze Fleischstücke von der Beute abschneidet ( >).
Die Pfoten
Nach dem Gebiss sind die Pfoten das wichtigste Jagdwerkzeug der Feliden. Die Vorderpfoten haben fünf, die Hinterpfoten vier Zehen. Da aber die nur vorne voll entwickelten Daumen den Boden nicht berühren, erscheinen alle Katzenfußspuren vierzehig.
Doch anders als etwa Hundepfoten sind die vorderen Katzenpfoten nicht nur Laufinstrumente, sondern auch Greifwerkzeuge und daher weicher, beweglicher und vielseitiger verwendbar als jene – fast wie Hände.
INFO
WIE KATZEN DIE WELT WAHRNEHMEN
Immer wieder kommt es vor, dass wir die Reaktionen unserer Katzen nicht nachvollziehen können. Viele dieser Missverständnisse entstehen, wenn wir unsere Wahrnehmungen allzu unbedarft auf die Katze übertragen. Schon allein durch ihre »Froschperspektive« hat sie eine andere Sicht auf die Welt, außerdem reagieren Katzen auf Geräusche und Gerüche, die wir schlichtweg nicht wahrnehmen können. So sind nicht alle unsere Handcremes oder Parfüms auch bei Katzen beliebt und können dazu führen, dass sich Mieze »beleidigt« von uns abwendet.
Krallen: Dass Katzen scharfe Krallen haben, weiß wohl jedermann aus schmerzlicher Erfahrung; dass sie sich zurückziehen lassen, genauer gesagt im Ruhezustand eingezogen sind, zeigt das sprichwörtliche »samtweiche Katzenpfötchen«.
Die sichelförmigen, bei einem Angriff vorgestreckten Katzenkrallen eignen sich hervorragend, Beutetiere festzuhalten. Sie wachsen ständig schichtweise nach und sind in besonderen Krallenscheiden vor dem Stumpfwerden geschützt.
Die Muskulatur
Katzen haben kräftigere Muskeln als Hunde. So hat zum Beispiel auch ein gut trainierter Hund beim Überwinden höherer Hindernisse große Mühe, sich mit den Vorderbeinen hochzuziehen – was jeder Katze ohne Anstrengung gelingt. Die Oberschenkel der Hinterbeine verraten eine große Sprungkraft. Ganz allgemein erweisen sich Katzen als erstaunlich stark, ermüden aber schnell, denn ihre Muskeln sowie auch das Herz-Kreislauf-System sind nicht auf Dauerleistung eingerichtet. Dieser Umstand erklärt nicht nur das große Ruhe- und Erholungsbedürfnis der Katzen, sondern auch ihre Jagd-, Angriffs- und Fluchtweise.
Gestützt werden die Muskeln durch ein überaus bewegliches Skelett. Nicht nur das Rückgrat ist besonders flexibel, auch Schulter- und Beckengürtel erlauben der Katze eine bemerkenswerte Bewegungsfreiheit. Manchmal hört man, dass die Katzen kein Schlüsselbein hätten. Das stimmt aber nicht. Dieser für den Spielraum der Armbewegungen so wichtige Knochen ist bei der Katze nur unauffällig, weil er teilweise nur verknorpelt ist.
WILDKATZEN – GROSSE UND KLEINE JÄGER AUF LEISEN PFOTEN
Bis auf wenige Ausnahmen gehen Katzen alleine auf die Jagd. Sowohl Karakal als auch Schwarzfußkatze vermögen Tiere zu erbeuten, die mehr als doppelt so schwer sind wie sie selbst. Durch ihre enorme Sprungkraft sind die Vertreter beider Arten außerdem exquisite Vogeljäger.
1 Karakal: Der bis zu 25 Kilogramm schwere Karakal oder Wüstenluchs ist in vielen Gebieten Afrikas und Asiens heimisch und kann auch ausgewachsene Schafe und Ziegen überwältigen.
2 Schwarzfußkatze: Trotz ihres geringen Gewichts von weniger als zwei Kilogramm legt die strikt nachtaktive Schwarzfußkatze in einer Nacht oft mehr als 10 Kilometer zurück – auch in einem Gehege. Den Tag verbringt sie in »ausgemusterten« Höhlen von Erdferkeln oder in hohlen Termitenhügeln.
Die Tierfamilie, zu der unsere Hauskatze gehört, heißt in der Sprache der Biologen Felidae, zu deutsch: Katzenartige. Weltweit zählen etwa 40 Katzenarten dazu. Zu den bekanntesten gehören der sozial lebende Löwe und seine kleineren, einzelgängerischen Vettern, Leopard und Jaguar.
Auch Luchs und Tiger, Puma und Gepard sind wohl jedermann ein Begriff. Doch wer kennt schon die Iriomotekatze aus Japan, den Manul aus den Höhen des Himalaja, die Marmorkatze, den Nebelparder, die Sicheldünenkatze, den Jaguarundi, die Kleinfleckkatze und so weiter?
Trotz gewaltiger Größenunterschiede sind alle Mitglieder dieser Familie mühelos als Katzen erkennbar, der »Sprint-Spezialist« Gepard ebenso wie der »Berufskämpfer« Mähnenlöwe oder die kleine, wasserliebende Flachkopfkatze. Mit 300 Kilogramm Körpergewicht und einem Kopf-Schwanz-Maß von gut drei Metern ist der Tiger das größte Katzentier. Die kleinste Katzenart ist die Schwarzfußkatze aus Südafrika: Sie misst vom Kopf bis zur Schwanzspitze kaum 35 Zentimeter und wiegt nicht mehr als ein bis zwei Kilogramm.
Das Wilde im Sofatiger
Was hat diese ganze wilde Vetternschaft mit unserer Hauskatze zu tun? Erstaunlich viel, denn unsere Hauskatze weist eine Menge Eigenschaften auf, die wir auch in Löwe, Luchs, Puma & Co. finden.
Umgekehrt zeigen die wilden Verwandten Eigenschaften, die auch in der Hauskatze stecken. Die Beobachtung des Dschungeltigers hilft also, den Haustiger besser zu verstehen.
Der Grund dafür liegt darin, dass die genetische Distanz zu den gemeinsamen Urahnen bei allen heutigen Katzen etwa gleich weit ist. Das bedeutet, dass, bildlich gesprochen, in jeder Hauskatze neben der Falbkatze auch ein kleines Stückchen Löwe, Karakal, Serval, Gepard oder Fischkatze steckt. In Menschenobhut kann die Hauskatze dieses wilde Erbe ebenso entfalten wie beispielsweise verschiedene Farbschläge, Fellmuster, Haarformen oder Augenfarben.
INFO
KATZEN SIND KEINE MARATHONLÄUFER
Katzen haben ein relativ kleines Herz, und auch ihre Lunge ist nicht gerade groß.
Der Katzenkörper ist nicht auf Dauerleistungen ausgelegt, sondern für kurzzeitige, explosionsartige Kraftausbrüche geschaffen, denn sämtliche Katzen sind Ansitz-, niemals aber Hetzjäger. Selbst die für ihre hohen Laufgeschwindigkeiten berühmten Geparden sind nach einer Strecke von nur 500 Metern so erschöpft, dass sie die Jagd abbrechen müssen beziehungsweise – falls sie Erfolg hatten – mit dem Verzehr der Beute warten müssen, bis sie wieder zu Atem gekommen sind und sich der rasende Puls beruhigt hat.
DAS VERHALTEN UNSERER STUBENTIGER war noch vor 70 Jahren ein Buch mit sieben Siegeln.
Inzwischen hat man es mit viel Aufwand, Fleiß und Liebe studiert. Arbeiten über die wilde Stammmutter, die Falbkatze, haben dagegen nach wie vor Raritätscharakter, obwohl deren natürliches Verbreitungsgebiet riesig ist. Die heimliche Lebensweise dieser Katzenart ist daran nur zum Teil schuld.
Zunächst gab es nämlich Zweifel an der Abstammung der Hauskatze von der Falbkatze. Wie konnte ein so unscheinbarer Graurock all die farbigen Varianten mit kurzen und langen Haaren, Streifen- und Tüpfelmustern, spitzen und rundlichen Ohren hervorbringen? Wie kommt es, dass manche Haustiger wie Waldwildkatzen aussehen?
Weshalb gibt es Hauskatzen, die gerne schwimmen? Warum klettert Kater Miro kopfabwärts den Baum hinunter wie ein Baumozelot, während Minz und Wutz den sicheren Weg im Krebsgang wählen?
Die Verschiedenheit von Hauskatzen im Aussehen wie in ihren Verhaltensweisen ist auffallend. Die ganze Palette ist so groß und so bunt, dass die Vermutung naheliegt, in unserer Hausmieze steckten die Eigenschaften verschiedener Felidenarten.
Auf der Suche nach den Katzenahnen wurden zum Teil abenteuerliche Theorien aufgestellt. So nahm man an, dass die Rohrkatze, auch Sumpfluchs genannt, an der Entstehung der Hauskatze beteiligt sein musste, weil man in den ägyptischen Grabstätten neben Falbkatzenmumien auch Rohrkatzenmumien gefunden hatte. In einer anderen Hypothese wurde dem langhaarigen Manul eine Beteiligung an der Hauskatze nachgesagt. Woher sollten sonst die Perser- oder Angorakatzen kommen?
Haben unsere rundlichen deutschen Hausmiezen mit dem dicken Winterfell nicht doch einen Einschlag von der europäischen Wildkatze, kommen die Ohrpinsel mancher Katzenrassen nicht doch vom Luchs?
Nichts von all dem! Inzwischen können wir nämlich beweisen, dass die Falbkatze, und zwar die Unterart, die in Ägypten heimisch ist, und niemand anders die Ahnfrau unserer Hauskatzen ist ( >).
Die Falbkatze – die geheimnisvolle Unbekannte
Nachdem wir nun wissen, dass die Falbkatze die Ururgroßmutter all unserer Stubentiger ist, wird es Zeit, dieses rätselhafte Wesen näher vorzustellen:
Die Falbkatze hat ein sehr großes Verbreitungsgebiet, das sich von der Südspitze Afrikas bis nach Vorderasien erstreckt. Nur in der Westsahara und in der westafrikanischen Regenwaldzone kommt sie nicht vor.
Auf den ersten Blick sieht sie wie eine sehr unscheinbare Hauskatze aus. Erst bei genauerer Betrachtung entfaltet sich die besondere Schönheit dieser Katzenart.
• Die Falbkatze ist vergleichsweise groß und schlank, muskulös, hat einen langen Rücken, einen langen, spitzen Schwanz sowie auffallend hohe Beine. Selbst schlanke Hauskatzen wirken im Vergleich zur Falbkatze gedrungen. Bedingt durch die Länge der Beine, sieht eine sitzende Falbkatze sehr aufrecht aus, ihre Haltung erinnert dabei in der Tat an die Form altägyptischer Statuetten, die ja diesem »Urmodell« einer Katze nachempfunden sind.
• Die Kopfform dieser Katzenart ist schmal und wirkt bei den Katern männlich-kantig. Hauskater haben fast stets viel rundere und dickere Wangen. Das harmonisch geschwungene Falbkatzenprofil ist weder übertrieben lang und gerade, noch ist es gedrungen und kurz.
• Das auffälligste Merkmal sind die großen, an der Rückseite leuchtend orangefarbenen Ohren, die mit kleinen, farblich nicht abgesetzten Ohrbüscheln geschmückt sind.
• Die Fellgrundfärbung variiert von grau über beigebraun bis zu rötlich gelben Tönen. Alle Unterarten sind an den Flanken mehr oder weniger blassbraun gefleckt oder gestreift. Außer im hellen Licht kann man die Streifen aber kaum sehen, das Tier wirkt fast einfarbig graubeige, an Bauch und Brust gelblich. Die einzige Ausnahme: Am Ansatz der Vorderbeine und an den Außenseiten der Hinterschenkel finden sich vier bis fünf kräftige, tiefschwarze Querstreifen, und die Fußsohlen sind schwarz. Auch das hellgraue Schwanzende zieren drei schwarze Streifen, die Schwanzspitze ist schwarz. Die grau getönten Jungen tragen schwarze Querstreifen, die sich bis zum Alter von zwölf Wochen allmählich verlieren.
INFO
STECKBRIEF DER FALBKATZE
Körperbau: Schlank, »großrahmig«, Schulterhöhe bis etwa 40 Zentimeter; maximale Länge vom Kopf bis zur Schwanzspitze bis zu 90 Zentimeter; Gewicht schwankt zwischen drei und sechs Kilogramm.
Färbung: Grau bis beige, mit schwacher, bräunlicher Flanken- und Gesichtszeichnung; schwarze Bänder an den Gliedmaßen und am Schwanzende, schwarze Sohlen und Pfotenunterseiten; Mundregion, Tasthaare und Kinn weiß, Brust und Bauch gelb, Ohrenrückseiten orange.
Augen: Groß und rund, gelb bis grünlich.
Nasenspiegel: Kräftig ziegelrot.
Wurfzahl und -größe: Einmal, seltener zweimal im Jahr zwei bis fünf Junge.
Lebensdauer: Acht bis zehn Jahre in freier Wildbahn, in Gefangenschaft bis etwa 15 Jahre.
Das Verhalten der Falbkatze
Sie ist eine fürsorgliche Mutter, die ihren Nachwuchs noch länger versorgt als die Hauskatze. Bis zu neun Monate lang lässt sie sich von ihren Kätzchen die Beute abnehmen, putzt, erzieht und versorgt sie, spielt mit ihnen und lässt sie sogar nach der Säugeperiode ab und zu nuckeln. Manche Kater unterstützen die Katzenmutter nicht nur bei der Nahrungsbeschaffung, sondern auch bei der Aufsicht, Pflege und der spielerischen Unterhaltung der Halbwüchsigen. Ich beobachtete einmal einen Falbkater, der sich von einem Jungen ab dem Alter von zwölf Wochen regelmäßig bei seinen Revierausflügen begleiten ließ.
Anders als die übrigen Wüsten- und Savannenkatzenarten hält sich die Falbkatze gern im dichten Buschwerk auf, klettert gut und liebt erhöhte Ruheplätze. Darin erinnert sie stark an unsere Mieze, wenn sie ein Bücherregal zu ihrem Lieblingsruheplatz erkoren hat. Und wie ihre domestizierten Verwandten finden auch junge Falbkätzchen schwierige Kletterexpeditionen besonders interessant. Sie verbringen Stunden im Geäst. Falls der Baum nicht zu hoch ist, lassen sie sich einfach wie reifes Obst aus den Ästen fallen, wenn es etwas zu essen gibt, also besondere Eile geboten ist.
Der kleine Unterschied
Falbkatzen sind schneller und stärker, sie springen höher und sind gewandter als Hauskatzen. Sie verfangen sich beispielsweise selbst beim wildesten Spiel nie ernsthaft in einem Strick. Ein hoher Sprung, eine geschickte Wendung des Körpers, und sie sind die lästige Fessel los.
Die Kindheit der Falbkatzen dauert durchschnittlich länger als die der Hauskatzen. Sie verlieren die Milchzähne mit sechs Monaten (Hauskätzchen schon mit vier bis fünf Monaten). Geschlechtsreif werden die Weibchen erst mit neun bis zwölf Monaten, die Kater brauchen oft noch länger. Ich beobachtete mehrmals, dass Kater erst im Alter von zwei Jahren einen Reifeschub erlebten, nämlich, wenn sie eine passende Partnerin bekamen. Erst dann entwickelten sich die Hoden zur vollen Größe, und der Harn, den sie unversehens eifrig zu verspritzen begannen, bekam den katertypisch strengen Geruch.
Auch wenn sie mit ihren Mitkatzen alle möglichen sozialen Kontakte unterhält, pirscht und jagt die Falbkatze allein. Selbst ihre Lieblingsbeute ist ähnlich, nämlich kleine Nagetiere. Allerdings nutzt sie ihre größere Kraft und Gewandtheit, um sich auch an Beute zu wagen, die für eine normale Hauskatze zu groß ist. So leben auf unserer Forschungsstation in Südafrika Hauskatzen und Hühner in friedlicher Gemeinschaft, und auch die Kaninchen bleiben unbehelligt. In der Nähe einer Falbkatze indes überleben die Vertreter beider Tiergruppen keine zehn Sekunden.
Alles in allem sind die genetischen wie auch die Verhaltensunterschiede zwischen der Falbkatze und ihrer domestizierten Form nicht groß. Sie sind in den meisten Fällen mehr graduell als grundsätzlich. So kommt es auch immer wieder vor, dass Haus- und Falbkatzen miteinander Nachkommen erzeugen. Diese Mischlinge sind genauso überlebensfähig wie die reine Wildform und auch fortpflanzungsfähig. Das ist zwar einerseits ein Kompliment für die Schlauheit und Zähigkeit der Hauskatze, andererseits oft ein Ärgernis für die Naturschützer, die die Existenz der Falbkatzen bedroht sehen.
Falbkatzen sind gute Mütter, die ihre Jungen vorbildlich versorgen und lange Zeit soziale Kontakte mit ihnen pflegen.
Wild bleibt wild
Der einzige durchschlagende Unterschied zwischen Falb- und Hauskatze liegt in der Zahmheit.
Eine Hauskatze bedarf lediglich einer kurzen Phase der Sozialisierung ( >) zum rechten Zeitpunkt, und sie wird ihr Leben lang den Menschen als freundliches oder zumindest harmloses Wesen betrachten. Ein liebevoller, geschickter Mensch kann mit etwas Glück, Geduld und Spucke sogar eine verwilderte Bauernkatze zu einem vertrauten Hausgenossen ummodeln ( >).
Falbkatzen, die von der Mutter großgezogen werden, bleiben dagegen wild, auch wenn man sie täglich füttert, mit ihnen spielt und sie mit besonderen Leckerbissen versorgt. Selbst gegenüber einem an und für sich vertrauten Menschen bleiben sie schreckhaft und halten meist einen gewissen Sicherheitsabstand ein. Fremde meiden sie wie die Pest.
Wirklich handzahm werden nur handaufgezogene Tiere. Aber selbst diese entwickeln gelegentlich eine Neigung zur Bissigkeit, manchmal aus Übermut, manchmal auch aus Angriffslust. Beides trifft vor allem auf die Kater zu. Handaufgezogene Falbkatzen vertrauen grundsätzlich nur Menschen, die sie gut kennen. Sie müssen auch nach der Geschlechtsreife in einem Gehege wohnen, denn sonst gehen sie fort, um sich ein eigenes Revier zu suchen.
Eine interessante Beobachtung am Rande: Ich erlebte Freundschaften unserer südafrikanischen Hauskatzen mit Karakals und auch mit unserem sonst ziemlich rabaukigen, wilden Servalkater. Eine »Verbrüderung« zwischen den Haus- und Falbkatzen hingegen fand niemals statt.
VIELE BESUCHER, DIE MEINE zahmen Falbkatzen Gerrie und Ilse sehen und für ein Erinnerungsbild sogar auf den Arm nehmen können, sagen: »Oh, diese beiden sind aber gut domestiziert.«
Das sind sie ganz und gar nicht. Der Begriff der Domestikation wird oft missverstanden, weil er mit »Zähmung« oder »Gewöhnen ans Haus« gleichgesetzt wird. Domestikation bedeutet aber etwas ganz anderes: Menschen »erschaffen« durch gezielte Zucht aus Wildtieren Haustiere. Sie suchen sich Tiere aus, die erwünschte Eigenschaften haben, und verpaaren sie über viele Generationen hinweg miteinander. Dadurch verändern sich allmählich die Eigenschaften des Wildtiers. Aus dem Überlebenskünstler in der freien Natur wird ein Haus- und Nutztier, das wirtschaftliche Leistungskriterien oder auch ästhetische Erwartungen erfüllt.
So ist es jedenfalls normalerweise. Bei unserer Hauskatze freilich verhielt es sich ganz anders. Sie ist ja auch für ihre Eigenwilligkeit bekannt …
Vor 20.000 Jahren, als wir im kalten Mitteleuropa noch in Höhlen hausten, hatten wir zwar eine schützende Unterkunft, und Hunde hatten wir auch, wie Knochenfunde beweisen, aber noch keine Katze. Auch später, als wir bereits den Auerochsen zum Hausrind gemacht hatten, als Schwein, Schaf und Ziege aus dem Osten zu uns gefunden hatten und sich als Letztes auch das Pferd zu den Haustieren gesellt hatte, war noch weit und breit keine Hauskatze zu finden. Als Mäusefänger in Haus und Hof dienten andere kleine Raubtiere, nämlich der bekanntermaßen etwas streng riechende Iltis beziehungsweise dessen Haustierform, das Frettchen. Erst sehr viel später, in der Epoche der Karolinger, erscheint die Hauskatze ganz unvermittelt bei uns, freilich zunächst nur an Königs- und Fürstenhöfen, in Form überaus kostbarer Geschenke aus den Mittelmeerländern. Dort kannte man die Hauskatze schon etwas länger – die alten Römer hatten sie, ebenso wie einen Teil des Götterkults, von ihren Kriegszügen aus Ägypten mitgebracht.
Wann genau die Katze zum Haustier wurde, lässt sich bis heute schwer sagen, denn die sonst so hilfreichen Knochenfunde nützen in diesem Falle überhaupt nichts. Die Skelette von Falb- und Hauskatzen sind einander jahrtausendelang ziemlich ähnlich geblieben, und die Archäologen verfügen über nur wenige Funde.
Die mit etwa 7000 Jahren älteste Darstellung einer vornehmen Dame, die eine Katze auf dem Schoß hat, stammt aus dem Vorderen Orient, genauer gesagt aus Jericho. Es ist jedoch stark anzunehmen, dass es sich hierbei nicht um eine domestizierte Hauskatze, sondern um eine gezähmte Wildkatze handelt. In einem etwa 4500 Jahre alten ägyptischen Grabmal findet man das Bild einer Katze mit prächtigem Halsschmuck. Auch sie war vermutlich eine zahme Falbkatze, denn der damals schon alte Katzenkult bezog sich auf diese Katzenart. Die frühesten Nachweise von unzweifelhaften Hauskatzen sind nur etwa 3500 Jahre alt. Sowohl Mumienfunde als auch die Bilder jener Epoche zeigen den hauskatzentypischen runden Schädel und – manchmal – auch Streifenmuster.
Ihre Vorliebe, sich von Mäusen zu ernähren, machte die Katze zu einem gern gesehenen Kulturfolger.
In den späteren Epochen der langen Kulturgeschichte Ägyptens sind Katzendarstellungen häufig zu finden: Katzen bei der Jagd, Katzen auf dem Schoß vornehmer Damen, als Mittelpunkt des Haushalts und natürlich als weitverbreitete Kultfigur. Sie zierten Tempel und Gräber, Hausrat und Mumienschreine. Vor allem die Tempelkatzen erhielten feierliche Begräbnisse einschließlich der königlichen Würde, einbalsamiert zu werden.
Man gab ihnen sogar einen Satz präparierter Mäuse mit ins Grab, damit sie auf dem langen Weg ins Jenseits keinen Hunger leiden sollten.
Die Archäologen des vorletzten Jahrhunderts entdeckten in den unterirdischen Grabkammern eines Katzenfriedhofs mehr als eine Viertelmillion liebevoll präparierter und geschmückter Katzenmumien. Aus heutiger Sicht unverständlich: Fast diese gesamte wertvolle Hinterlassenschaft wurde nach Großbritannien verschifft, um dort zermahlen die Felder zu düngen.
Die Ägyptische Mau stammt wie die ersten Hauskatzen aus Ägypten, wird aber erst seit Kurzem als Rasse gezüchtet.
Wieso ausgerechnet die unscheinbare, grau-beige Falbkatze als einzige Felidenart den Weg in die Domestikation gefunden hat, lässt sich nicht ohne Weiteres erklären. Sicherlich hängt es nicht mit dem früher allgemein angenommenen Umstand zusammen, dass die Falbkatzen sich leichter zähmen ließen als andere kleine Wildkatzenarten. Die scheuen Tiere fassen (ausgenommen natürlich bei Handaufzucht) mindestens so schwer Zutrauen zum Menschen wie andere Katzenarten.
Warum liegt das Entstehungsgebiet einer domestizierten Form überhaupt in Nordafrika? Nachweislich sind die klassischen Zentren der Domestikation in Europa und Vorderasien zu finden, wo auch eine ganze Reihe mehr oder weniger geeigneter katzenartiger Kandidaten vorhanden war.
Die Antwort liegt im Wie. Die Eigenwilligkeit der Katze verknüpfte sich günstig mit der ägyptischen Hochkultur. Dies ergab für die Katze eine von allen anderen Haustieren abweichende Domestikationsgeschichte. Darin spielt eine weit fortgeschrittene Art der Vorratshaltung eine Rolle, die damals in anderen Kulturen noch weitgehend unbekannt war, nämlich die Aufbewahrung mehrerer Ernten in großen Getreidekammern.
Die Falbkatzen suchten selbstständig solche Zentren der Vorratswirtschaft auf, angezogen durch das massenweise Vorkommen von Mäusen und Ratten, ihren bevorzugten Beutetieren.
Der Mensch erkannte bald den Nutzen dieser Katzen, die seine Vorräte ziemlich wirksam vor allzu großen Verlusten durch die Nager bewahrten. So duldete er die kleinen Räuber nicht nur, sondern begann bald, sie mittels kleiner Leckerbissen anzulocken. Als sesshafte Reviertiere blieben die Falbkatzen am Ort und gewöhnten sich an die Anwesenheit der Menschen, die sie mit der Zeit als ungefährliche, ja freundliche Mitlebewesen betrachteten.
Eigenwillig von Anfang an
Trotzdem blieb die Katze lange Zeit unbeeinflusst von den Folgen nachdrücklicher Domestikation.
Die Katzenmumien, die man daraufhin untersucht hat, wiesen kaum oder gar keine der typischen Merkmale wie Schädelverkürzung, Veränderungen an Extremitäten oder Fellstrukturen auf ( >).
Nun gibt es zwar auch bei der Katze einen Teil der Mutationen, die bei anderen Haustieren bald eine große Vielfalt an Farben und Formen hervorbrachten. Doch hat sie sich bei aller Anhänglichkeit lange Zeit der Zuchtwahl durch den Menschen widersetzt, der ihr seinerseits auch lange den Bewegungsraum und die freie Partnerwahl überließ. Fast alle der heute anerkannten, weil gezielt herangezüchteten Katzenrassen sind, ungeachtet ihrer oft in die graue Vorzeit reichenden Entstehungslegenden, kaum älter als ein Jahrhundert.
Schon Darwin schilderte 1859 seine Vorstellungen über die mangelnden Voraussetzungen für eine erfolgreiche Katzenzucht: »Katzen lassen sich hingegen wegen ihrer nächtlichen Streifzüge nur schwer verpaaren; man sieht daher auch, so beliebt sie auch bei Frauen und Kindern sein mögen, kaum eine neue Rasse entstehen ...« An anderer Stelle schrieb er weiter: »... ich meine, die Seltenheit oder das Fehlen unterschiedlicher Rassen bei Katzen (...) hauptsächlich auf die Tatsache zurückführen zu können, dass bei ihnen keine Zuchtwahl zur Anwendung kam.«
Die planmäßige Katzenzucht dient außerdem lediglich der Liebhaberei. Sie hat daher kaum einen Einfluss auf die weit überwiegende Zahl der »gewöhnlichen« Hauskatzen mit nach wie vor freier Wahl des Geschlechtspartners, deren Lebensweise und Funktion in den agrarwirtschaftlich dominierten Bereichen aller Kontinente sich nur unwesentlich von derjenigen des alten Ägyptens unterscheidet. So führt die Katze als unabhängiges Haustier bis heute gewissermaßen ein Doppelleben.
Freiwillig zum Haustier geworden
Sie ist ein wahrer Sonderfall der Domestikation: Die Falbkatze war wohl das einzige Haustier, das nicht vom Menschen frühzeitig eingefangen, gezüchtet und so zum Haustier »umgemodelt« worden ist. Vielmehr hat sie sich über den »Vermittler Maus« freiwillig uns Menschen angeschlossen, sich aber stets ihre Unabhängigkeit und damit auch einen gewissen Grad an Wildheit zu wahren gewusst. Leyhausen war der Erste, der hier von einer »Selbstdomestikation« sprach. Inzwischen ist diese naheliegende Vorstellung Allgemeingut geworden; wohl kaum ein Katzenkenner wird sie heute noch ernsthaft anzweifeln.
Leyhausen sagte, eingedenk eines bekannten Buchtitels von Konrad Lorenz (»So kam der Mensch auf den Hund«): »Die Katze kam nicht auf den Menschen, sondern auf den Geschmack häuslichen Komforts.«
INFO
WAS SICH DURCH HAUSTIERWERDUNG ÄNDERT
Das gewinnt ein Tier durch die Domestikation:
• Schutz vor einer feindlichen Umgebung (Raubfeinde, Klima …)
• Zuteilung von Wasser und Nahrung durch den Menschen, ebenso des Sexualpartners, des Lebensraums. Damit entfallen die Mühen und Gefahren, die mit Suchstrategien verbunden sind.
• Eine höhere Dichtetoleranz, das heißt, Haustiere konkurrieren untereinander weniger hart und vertragen sich besser.
• Eine größere Variationsbreite in Körperbau, Fellfarbe und Fellstruktur
• Eine größere Toleranz im Umgang mit Menschen
Das verliert ein Tier durch die Domestikation:
• Freiheit, zum einen durch die Haltung in einem eingeschränkten Bereich, zum andern, weil es nicht mehr frei um Rang, Nahrung und Revier konkurrieren kann.
• Die uneingeschränkte Wahl seines Paarungspartners
• Einen Teil seiner Überlebensfähigkeit in der freien Natur
Im Wandel der Zeiten spielte die Katze in den Augen der Menschen die unterschiedlichsten Rollen. Sie wurde wahlweise verehrt, verfolgt oder verwöhnt, galt als Sinnbild des Guten wie des Bösen.
Die alten Ägypter waren nicht so naiv, ihre Katzen für Götter zu halten. Wohl aber erschien es ihnen naheliegend, dass sich ihre Götter gelegentlich ein so schönes und eigenwilliges Tier, das darüber hinaus auch noch durch das große, helle Augenpaar einen »ansprechenden« Blick hat, als Sitz für ihre Verkörperung aussuchten.
Wie dem auch sei, die Ägypter liebten und verehrten ihre »Mau«, wie sie ihr nützliches Haustier nannten. Die Göttin, der die Mau geweiht war und die auch zuweilen mit einem Katzenkopf dargestellt ist, hieß Pasht, Bast oder Bastet.
Die Katze war den Ägyptern so viel wert, dass sie jede Ausfuhr untersagten und diesem Verbot mit drastischen Strafen Nachdruck verliehen. So dauerte es ziemlich lange, bis die Katze (um 550