Buch
Mit viel Liebe führt Cecilia ihre Vanillefarm im kalifornischen Napa Valley. Sie handelt aber nicht nur mit dem Gewürz, sondern stellt auch leidenschaftlich gern köstliche Produkte damit her. Leider lässt ihre Passion Cecilia kaum Zeit für ihre beste Freundin Julia, geschweige denn für ein Liebesleben. Ein TV-Bericht über Cecilias Plantage und ihre besonderen Vanillekreationen weckt das Interesse von Richard Banks, dem Inhaber eines luxuriösen Hotels, der sie prompt einlädt, dort an einem Gewürzseminar teilzunehmen und selbst Vorträge zu halten. Cecilia ist begeistert, denn das Resort liegt am verschneiten Lake Tahoe – die perfekte Gelegenheit, echte Winterstimmung zu erleben! Sie ahnt nicht, dass Richard nicht nur ihre Vanillekekse zuckersüß findet …
Autorin
Manuela Inusa wurde 1981 in Hamburg geboren und wollte schon als Kind Autorin werden. Kurz vor ihrem dreißigsten Geburtstag sagte die gelernte Fremdsprachenkorrespondentin sich: »Jetzt oder nie!« Nach einigen Erfolgen im Selfpublishing erscheinen ihre aktuellen Romane bei Blanvalet und verzaubern ihre Leser. Die Autorin lebt mit ihrem Ehemann und ihren beiden Kindern in einem idyllischen Haus auf dem Land. In ihrer Freizeit liest sie am liebsten Thriller und reist gerne, vorzugsweise nach England und in die USA. Sie hat eine Vorliebe für englische Popmusik, Crime-Serien, Duftkerzen und Tee.
Von Manuela Inusa bereits erschienen
Jane Austen bleibt zum Frühstück
Auch donnerstags geschehen Wunder
Die Valerie Lane
1 Der kleine Teeladen zum Glück
2 Die Chocolaterie der Träume
3 Der zauberhafte Trödelladen
4 Das wunderbare Wollparadies
5 Der fabelhafte Geschenkeladen
6 Die kleine Straße der großen Herzen
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MANUELA INUSA
ROMAN
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by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
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Redaktion: Angela Küpper
Umschlaggestaltung: © Johannes Wiebel | punchdesign,
unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com
(donatas1205; DiamondGT; Charcompix;
Lenushka2012; topseller; V J Matthew)
JF · Herstellung: sam
Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach
ISBN 978-3-641-24380-7
V004
www.blanvalet.de
Für Anoukh
– weltbeste Agentin und persönliche Superheldin
Prolog
»Siehst du, meine Kleine, das ist Vanille.«
Die fünfjährige Cecilia betrachtete den festen grünen Strang, den ihr Daddy in der Hand hielt. Einer der Onkel hatte ihn kurz zuvor von der langen Liane abgeschnitten, die den hohen Kakaobaum hinaufgeklettert war. Den Onkel kannte Cecilia nicht, genauso wenig wie die alte Frau, von der ihr Daddy ihr gesagt hatte, sie sei ihre Grandma Guadalupe. Auch war ihr die Gegend fremd, die ihr Vater Mexiko nannte. Sie wusste aber, dass ihre mamá aus Mexiko gekommen war, deshalb mochten diese Menschen wirklich ihre Familie sein, auch wenn sie sie noch nie zuvor gesehen hatte. Leider verstand sie all die spanischen Wörter nicht, und deshalb konnte sie auch keine der vielen Fragen stellen, die ihr auf der Zunge lagen. Nun, im Moment hatte sie nur eine Frage, denn etwas verwirrte sie ganz schön.
»Das ist Vanille?« Stirnrunzelnd sah sie ihren Vater an. Bisher hatte sie angenommen, Vanille sei gelb, so wie das Eis, das ihre mamá so gern gegessen hatte, bevor sie ihren Daddy und sie für immer verlassen hatte und in den Himmel hinaufgestiegen war.
Ihr Vater nickte und lächelte. »Ja, genau. Und zwar ist es eine ganz besondere Vanille. Nur deshalb haben wir uns auf den weiten Weg hierher nach El Corazón gemacht.«
Jetzt war Cecilia noch verwirrter, denn bis vor wenigen Sekunden noch hatte sie geglaubt, sie wären wegen der neuen Grandma Guadalupe, den Onkeln und Tanten und den vielen Cousins und Cousinen hier, die sie alle nicht kannte. Und nun erfuhr sie, dass sie die lange Reise nur gemacht hatten, damit ihr Vater diese grüne Vanille essen konnte, die gar nicht wie Vanille aussah.
Fragend sah sie zu ihrem Daddy hoch, der der größte Mann war, den sie kannte. Sein Lächeln aber wurde nur noch breiter. Er ging in die Hocke, sodass sie auf Augenhöhe waren.
»CeCe«, sagte er, weil er sie immer so nannte, »du weißt, dass deine mamá Vanille geliebt hat, oder?«
Sie nickte und wartete gespannt darauf, was ihr Vater ihr noch sagen würde.
»Sie war ganz verrückt nach Vanille. Und deshalb werden wir uns ihr zu Ehren einer ganz besonderen Aufgabe annehmen. Wir werden diese Vanillestränge nach Hause bringen und einpflanzen, und dann werden wir uns eine Vanilleplantage aufbauen.«
»Damit?«, fragte sie ungläubig und deutete auf das grüne Ding mit den Blättern daran in den Händen ihres Vaters. Sie wusste nicht genau, was eine Vanilleplantage war, aber es hörte sich wirklich groß an, und sie bezweifelte, dass so etwas Großes möglich war mit solch einem kleinen Stück Pflanze.
Doch ihr Vater nickte erneut und lachte. »Oh ja. Und es wird das Beste sein, was wir beide je gemacht haben. Es wird unsere Lebensaufgabe sein … Wir werden deine mamá stolz machen.«
Jetzt musste auch Cecilia lächeln, denn es freute sie, dass sie vorhatten, ihre Mutter stolz zu machen. Dann würde sie vom Himmel aus auf sie heruntersehen und der Vanille beim Wachsen zugucken. Und sie würde glücklich sein, weil Vanille sie immer glücklich gemacht hatte.
»Das ist eine gute Idee«, befand sie und umarmte ihren Daddy.
»Ja, das finde ich auch.« Er drückte sie ganz fest und sagte: »Ich hab dich so lieb, kleine CeCe. Du bist alles, was ich noch habe.«
Die heiße mexikanische Sonne schien auf sie herab und machte, dass Cecilia die Augen zusammenkniff, weil das Licht so blendete. Als sie sie wieder öffnete, sah sie weit hinten auf dem Feld einen Esel, der einfach nur dastand und sie anblickte. Sie winkte ihm zu und löste sich dann von ihrem Vater, dem Tränen aus den Augen liefen.
»Warum weinst du denn?«, fragte sie ihn.
»Weil ich deine mamá so vermisse«, antwortete er.
»Das musst du nicht, Daddy. Sie ist doch immer bei uns.« Sie tätschelte seine nasse Wange.
Er lächelte traurig. »Ja, das ist sie, da hast du vollkommen recht.«
Ihr Vater erhob sich, hielt ihr seine freie Hand hin, die sie ergriff. Und zusammen gingen sie der Sonne entgegen, mit der Vanille, die ihr Leben von Grund auf verändern sollte.
Kapitel 1
»Und, wie schmeckt dein Kaffee?«, fragte CeCe Julia, ihre beste Freundin seit Jugendtagen. Sie standen zusammen am Pier 39, lehnten sich auf das hölzerne Geländer und sahen den Hunderten von Seelöwen dabei zu, wie sie sich auf den Stegen in der Sonne aalten, die an diesem Dezembertag wunderbar warm schien. Wäre nicht der ganze Pier weihnachtlich geschmückt, käme man überhaupt nicht darauf, dass die Feiertage vor der Tür stehen, dachte CeCe. Es hätte genauso gut September sein können. Doch die vielen Touristen, die auch an diesem Nachmittag mit ihren Weihnachtsmützen, ihren rentierbestickten Pullovern und den Tüten voller Geschenke umherliefen, verhießen etwas anderes: Das Fest der Liebe war nah, hier in San Francisco und überall auf der Welt.
»Zimtig«, antwortete Julia. »Lecker. Und deiner?«
»Seeehr süß. Und ich erkenne sofort, dass sie keine echte Vanille verwendet haben.« Mit Vanille kannte CeCe sich aus, da konnte ihr niemand etwas vormachen.
»War doch klar. Denkst du, die können sich echte Vanille leisten bei einem Vier-Dollar-Kaffee?«
CeCe zuckte die Schultern. Als sie an dem Coffeeshop vorbeigekommen waren, hatte sie unbedingt die neue Weihnachtssorte mit Vanille und Kardamom probieren wollen. Ein Fehler. Laien schmeckte das Getränk wahrscheinlich gar nicht mal schlecht, aber jetzt, da sie wusste, dass da nur ein Ersatz ihres Lieblingsgewürzes drin war, mochte sie nicht mehr weitertrinken. Sie stellte den Becher an den Fuß des Geländers und beobachtete einen besonders kecken Seelöwen, der immer wieder den Hals langstreckte und laute heulende Geräusche von sich gab.
Der Pier 39 war neben der Golden Gate Bridge wahrscheinlich San Franciscos meistbesuchte Attraktion. Die Seelöwen waren 1990 nach einem Erdbeben hergekommen und hatten sich hier angesiedelt, jegliche Boote verdrängt und die Stege für sich eingenommen. Sie lockten jedes Jahr Millionen von Leuten an, die das Phänomen mit eigenen Augen sehen wollten. CeCe war als Kind manchmal mit ihrem Vater hier gewesen, dann, wenn er sich mal für einen Tag von seiner geliebten Vanillefarm hatte trennen können, was nicht allzu häufig vorgekommen war.
Sie war im Napa Valley aufgewachsen, einem Gebiet, in dem sonst nur Wein angebaut wurde. Auch die Vanilleplantage war einmal ein kleines Weingut gewesen, das ihr Vater von seinem Großvater geerbt hatte. Jedoch hatte er selbst jahrelang nichts angebaut und dort lediglich ab und zu ein Wochenende verbracht, um aus der hektischen Stadt herauszukommen und ein wenig durchzuatmen. Joseph Jones war Staubsaugervertreter gewesen, war von Haus zu Haus gefahren und hatte versucht, den Leuten ein viel zu teures Gerät aufzuschwatzen. Bis er eines Tages an der Haustür einer jungen Frau klingelte, in die er sich auf den ersten Blick verliebte … CeCe hatte zu Hause ein Foto ihrer Eltern, auf dem sie zusammen hier am Pier standen und glücklich in die Kamera lächelten. An diesem Ort fühlte sie sich den beiden immer ganz nah.
»Hast du Louis mal wiedergesehen?«, hörte sie ihre Freundin fragen und riss sich aus den Gedanken an ihre Eltern.
»Können wir bitte nicht über Louis sprechen?«, bat sie. Sie wollte gerade wirklich nicht an diese enttäuschende Episode ihres Lebens denken, sondern viel lieber den schönen Nachmittag mit Julia genießen. Ihren gemeinsamen Freitag. Seit sie nach der Highschool getrennte Wege gegangen waren, war der Freitag der Tag, an dem sie sich immer sahen, komme, was wolle.
»Okay, okay. Worüber willst du denn dann sprechen?«
CeCe überlegte. Dann fiel ihr etwas ein, über das es sich zu sprechen lohnte, und sie musste lachen.
»Was ist so lustig?«
»Benedict.«
»Benedict ist lustig? Was hat er denn gemacht?«
Seit einiger Zeit war CeCe mit dem Sohn eines Winzers befreundet, der ein paar Jahre jünger war als sie. Sie hatten sich in dem Forum der Farmers of California im Internet kennengelernt. Benedict war auf einem Weingut in der Nähe von Sonoma aufgewachsen und half seit seiner Kindheit bei der Ernte und bei der Weinverkostung, die das Familienunternehmen Touristen anbot. Er hatte selbst eine besondere Vorliebe für Weine entwickelt und mutete sich dann und wann ein wenig zu viel davon zu. Doch mit Benedict wurde es wenigstens nie langweilig.
»Er hat einen Job als Santa Claus im Kaufhaus angenommen«, informierte CeCe ihre Freundin, die Benedict durch einige gemeinsame Treffen ebenfalls kannte. »Vor über zwei Wochen schon, aber erst jetzt hat er sich getraut, mir davon zu erzählen.«
Jetzt musste auch Julia lachen. »Nicht dein Ernst! Benedict? Der elegante, immer schick und teuer gekleidete Benedict, der es darauf abgesehen hat, jede Frau unter dreißig zu beeindrucken? Die Vorstellung von ihm im Santa-Claus-Kostüm ist absurd!«
»Allerdings! Und vor allem – kannst du ihn dir mit kleinen Kindern auf dem Schoß vorstellen, die ihn damit vollquatschen, was sie sich zu Weihnachten wünschen?«
»Nein. Und ganz ehrlich: Das will ich sehen! In welchem Kaufhaus ist er? Nicht etwa bei Macy’s?«
»Bei Rawley’s. Wollen wir gleich hin?«
»Was ist denn das für eine Frage? Natürlich! Nehmen wir die Cable Car?«
Da war CeCe sofort mit dabei, denn die uralten Waggons, die noch immer auf drei Linien die Hügel von San Francisco rauf- und runterfuhren, waren zur Weihnachtszeit ein ganz besonderes Erlebnis. Sie waren nämlich mit allerlei Girlanden, Tannenzweigen, Christbaumkugeln und sogar Mistelzweigen geschmückt. CeCe warf den Becher Fake-Vanille-Weihnachtskaffeedingsbums in den nächsten Mülleimer und hakte sich bei Julia ein. Fröhlich machten sie sich zu Fuß auf zur Ecke Hyde und Beach Street, wo die Cable Car abfuhr.
Als sie an den vielen Ständen in Fisherman’s Wharf vorbeikamen, an denen fangfrische Meeresspezialitäten angeboten wurden, blieb Julia abrupt stehen. »Hast du auch so Lust auf ein Fischbrötchen wie ich?«
Da musste CeCe nicht lange überlegen. »Hört sich toll an!« Schnurstracks marschierte sie auf einen der Stände zu und betrachtete die Auslage. »Was hältst du von diesen Sauerteigbrötchen mit fangfrischen Flusskrebsschwänzen?«
Ihre Freundin grinste. »Die mit dem Kilo Mayonnaise und mindestens fünftausend Kalorien?«
»Genau die.«
»Die sehen köstlich aus. Wir hätten gerne zwei davon!«, sagte Julia zu dem Mann mit der weißen Schürze und dem schwarzen Schnurrbart, der sie anlächelte.
»Eine gute Wahl«, erwiderte er, nahm nacheinander zwei vollbepackte Brötchen heraus, wickelte sie in Servietten und legte sie auf die Theke.
Bevor Julia ihr Portemonnaie aus der Handtasche holen konnte, sagte CeCe: »Das übernehme ich. Du hast schon den Kaffee ausgegeben.« So machten sie das immer, sich abwechseln. Sie hatten seit jeher eine Freundschaft, die in jeder Hinsicht ausgeglichen war.
Julia nickte und bedankte sich. Der Fischhändler wünschte ihnen noch einen schönen Tag, und sie gingen weiter.
»Oh Gott, ist das lecker«, sagte CeCe, nachdem sie in ihr Fischbrötchen hineingebissen hatte.
»Total! Du hast da übrigens Mayonnaise im Gesicht.« Julia lachte und deutete auf ihren Mund.
»Wo denn?«
»Überall.«
CeCe musste ebenfalls lachen. »Vielleicht sollten wir uns irgendwo hinsetzen und in Ruhe aufessen«, schlug sie vor und wischte sich mit der Serviette den Mund ab.
»Auf die Treppen dort?«
CeCe war einverstanden, und sie nahmen Platz und beobachteten das Treiben. Scharen von Touristen strömten in die berühmte Boudin Bakery, wo es deren allseits beliebte Sauerteigbrote in jeder nur erdenklichen Form gab. So konnte man für schlappe zwanzig Dollar eine Schildkröte aus Sauerteig oder – typisch San Francisco – sogar einen Cable-Car-Waggon bekommen. Außerdem war der Bäckerei ein Restaurant angeschlossen, wo Julia und sie schon an manchen Freitagen gewesen waren. Dort hielt man sich selbstverständlich auch an Sauerteig. Die Pizza hatte es CeCe angetan, während Julia sich jedes Mal über die leckeren Sandwiches hermachte. Ihre beste Freundin hegte nämlich eine Vorliebe für Sandwiches und hatte vor knapp zwei Jahren sogar ihren eigenen Laden, Julia’s Sandwich Heaven, aufgemacht.
»Wie läuft das Geschäft?«, erkundigte CeCe sich nun und klemmte sich eine dunkle Haarsträhne hinters Ohr, damit sie nicht in der Mayonnaise landete.
»Oh, das läuft super, danke. Ich meine, all die Studenten haben Hunger, und meine Preise sind wirklich angemessen, wie ich finde.« Julia’s Sandwich Heaven befand sich im Universitätsstädtchen Berkeley, nicht weit von San Francisco entfernt. Dort hatte sie studiert, und es hatte ihr so gut gefallen, dass sie einfach dageblieben war.
»Das freut mich für dich.« CeCe lächelte Julia an und blickte in die Ferne. Die Sonne stand bereits ganz niedrig über dem Meer und hüllte alles in ein wunderschönes Orange.
»Ja, ich freue mich auch. Wer hätte gedacht, dass das so gut funktionieren würde? Es ist ja nicht so, dass es in Berkeley sonst keine Sandwichläden gäbe.«
»Deine Sandwiches sind aber die besten. Und die Leute wissen halt, was gut ist.«
Julia strahlte. »Das ist lieb, dass du das sagst. Ich habe übrigens gerade beschlossen, dass ich ein Sandwich mit Flusskrebsschwänzen ins Sortiment aufnehmen werde. Diese kleinen Dinger sind wirklich superlecker.« Sie steckte sich den Rest ihres Brötchens in den Mund.
»Das solltest du unbedingt tun. Die Leute werden dir die Türen einrennen.« CeCe leckte sich die Finger ab.
Ihre Freundin nickte zufrieden und fragte sie dann: »Und, wie läuft es bei dir? Viel zu tun jetzt zur Weihnachtszeit?«
»Und ob! Vor allem die Vanilleplätzchen gehen weg wie nichts. Ich glaube, ich muss heute Abend noch mal neue backen, spätestens aber morgen früh. Ich hab schon wieder echt viele Bestellungen reinbekommen.«
»Du wolltest ja unbedingt deinen eigenen Onlineshop. Als ob du mit den Auslieferungen in der Gegend nicht schon genug zu tun gehabt hättest«, sagte Julia mit einem leicht vorwurfsvollen Unterton. CeCe wusste, woher der rührte: Seit sie ihre Ware auch online anbot, hatte sie kaum noch Zeit für irgendetwas anderes. Sie war seit Ewigkeiten zu keinem von Julias Auftritten gekommen, und dabei liebte sie es, ihrer Freundin und dem Gospelchor, dem sie mit fünfzehn Jahren beigetreten war, zuzuhören. Doch die Freitagnachmittage waren ihr heilig, und sie nahm sie sich trotz der vielen Arbeit frei, um Julia wenigstens einmal die Woche zu sehen.
»Ich weiß, ich weiß. Es war eine dumme Idee. Oder auch die beste meines Lebens. Die Vanille boomt. Wusstest du, dass der Kilopreis gerade auf siebenhundert Dollar gestiegen ist?«
»Ja, ich hab neulich was davon im Radio gehört und musste gleich an dich denken. Vanille ist teurer als Silber! Du wirst noch zur Millionärin.« Sie zwinkerte ihr zu.
CeCe lachte. »Na, so weit wird es wohl nicht kommen. Ich freue mich aber, dass die Vanille endlich gewürdigt wird.« Dass die Preise nur so gestiegen waren wegen der schlechten Ernte auf Madagaskar, dem Hauptanbaugebiet des Gewürzes, und einigen anderen nicht so schönen Faktoren, blendete sie lieber aus. Sie wollte sich den Tag nicht verderben lassen, er war nämlich nahezu perfekt. Sie war hier mit ihrer besten Freundin im vorweihnachtlichen San Francisco und konnte endlich mal ein bisschen entspannen.
Und da für sie zum Entspannen auch Schokolade dazugehörte, bat sie Julia, noch einen Abstecher zu Ghirardelli zu machen. Die willigte ein, sie versorgten sich mit der lebensnotwendigen Süßigkeit und waren beide ganz erstaunt, dass es schon dämmerte, als sie den Laden verließen. Sie betrachteten den hübschen Weihnachtsbaum auf dem Ghirardelli Square, während sie sich die kleinen Schokoladentäfelchen, die ihnen beim Betreten des Ladens in die Hand gedrückt worden waren, auf der Zunge zergehen ließen. Dann hakte CeCe sich bei Julia unter, und sie liefen fröhlich zur Cable-Car-Endhaltestelle, wo der Waggon gerade auf der runden Plattform von zwei starken Männern um hundertachtzig Grad gedreht wurde, um seine Fahrt in die Richtung, aus der er gekommen war, fortzusetzen. Sie kauften sich Tickets für sieben Dollar pro Person und stellten sich in die lange Warteschlange.
Die Leute vor ihnen stiegen ein. Eine Großfamilie mit sechs Kindern besetzte die eine Hälfte des Waggons, und eine Gruppe Japaner nahm wild fotografierend auf der anderen Seite Platz. Im Nu war die Cable Car voll, und CeCe und Julia waren kaum ein paar Meter vorangekommen. Es war klar gewesen, dass sie an einem Freitagnachmittag nicht gleich mit dem ersten Wagen mitfahren konnten, also warteten sie geduldig weiter, aßen Schokolade und erzählten sich dabei, was ihnen seit letztem Freitag alles passiert war.
»Du wirst nicht glauben, womit Kenneth uns überrascht hat«, sagte Julia plötzlich ganz aufgeregt. Kenneth war der Chorleiter, der beinahe wie ein Vater für ihre Freundin war. »Nächste Woche Sonntag geben wir ein Konzert in der Grace Cathedral!«
CeCe staunte. »Ehrlich? Hier in San Francisco?« Die Grace Cathedral war eine große, gut besuchte Kirche, dort aufzutreten war etwas ganz Besonderes.
»Ja. Ich würde mich freuen, wenn du auch kämst.«
»Das werde ich auf jeden Fall, dafür nehme ich mir die Zeit«, sagte sie. »Tut mir leid, dass ich so lange bei keinem deiner Auftritte war.«
»Alles gut. So spielt das Leben manchmal. Wir beide haben doch viel um die Ohren.«
»Ich komme, versprochen.«
Julia lächelte zufrieden, und CeCe freute sich für ihre Freundin. Welch eine großartige Gelegenheit. Vielleicht wollte Benedict auch mitkommen, sie würde ihn auf alle Fälle fragen.
Sie fröstelte ein wenig und knöpfte sich die Jacke zu. Und nun bemerkte sie auch, dass es richtig dunkel geworden war. Die Sonne war komplett verschwunden, und die Stadt wurde von Abermillionen Lichtern erhellt. Wenn sie sich nach rechts hinten drehte, konnte sie die Golden Gate Bridge in ihrem erleuchteten Glanz sehen. Es war bereits halb sechs, als sie endlich an der Reihe waren, und die Lichterkette an dem Waggon funkelte ebenfalls. Als sie jetzt einstiegen, fanden sie natürlich wieder mal keinen Platz. Doch das machte nichts, denn war es nicht das Aufregende am Cable-Car-Fahren, dass man sich einfach auf die äußeren Stufen stellen und sich den Fahrtwind ins Gesicht wehen lassen konnte?
CeCe und Julia standen nebeneinander und umfassten die eiserne Stange, um nicht vom Waggon zu fallen. Das war CeCe als kleines Mädchen einmal passiert, oder besser gesagt, es wäre beinahe passiert, wenn ihr Vater sie nicht im letzten Moment an ihrer Jacke festgehalten und zurückgezogen hätte. Der Schreck saß tief, und lange Zeit hatte sie sich gar nicht mehr in eine Cable Car getraut. Aber der Spaß überwog dann doch, und sie überwand ihre Furcht – so wie sie es in allen Bereichen ihres Lebens tat. Hätte sie sich von der Angst überwältigen lassen, hätte sie die Herausforderung bestimmt nicht angenommen, nach dem Tod ihres Vaters vor neun Jahren die Vanillefarm zu übernehmen. Sich ihr mit jeder Faser ihres Seins zu widmen. Die Plantage war ihr Herz und ihre Seele, nichts war ihr wichtiger, mal abgesehen von ihren Freunden, ihrer Grandma Angela und natürlich ihren Erinnerungen an ihre Eltern. Doch sie würde alles tun, um die Farm, das Lebenswerk ihres Dads, aufrechtzuerhalten – was es auch kostete.
Sie fuhren die Hyde Street entlang und an der Lombard Street, der angeblich kurvenreichsten Straße der Welt, vorbei, die sich einen kleinen Hügel hinabschlängelte. Während CeCe das Haar ins Gesicht wehte und ihre Hand an der eisernen Stange immer kälter wurde, passierten sie viktorianische Gebäude, Einkaufsstraßen mit wunderschön dekorierten Schaufenstern und zuletzt den Union Square, der mit seinen mit Lichterketten geschmückten Palmen und dem großen beleuchteten Weihnachtsbaum mit den roten und goldenen Kugeln und dem roten Stern an der Spitze eine abstrakte Mischung aus Exotik und Idylle versprach. Eine Eislaufbahn war aufgebaut, und das Kaufhaus Macy’s hatte wieder mal in jedem seiner Fenster einen großen Kranz hängen, während über der Eingangstür ein Schild mit der Aufschrift BELIEVE hing.
Sie lächelte. Ja, zu dieser Zeit des Jahres konnte man wirklich an alles glauben, sogar an Unmögliches. Unvorstellbare Dinge konnten wahr werden, wie zum Beispiel, dass Benedict sich als Santa Claus verkleidete oder dass Wunder geschahen. Dass sie selbst langsam wieder an die Liebe glaubte, zumindest wenn sie all die glücklichen Menschen um sich herum sah, die Familien und die Paare, die vor den vielen schönen Motiven für Fotos posierten. Jeder schien an diesem Tag zufrieden zu sein, und sie war es auch. Ja, sie war verletzt worden, und das nicht zu knapp, aber sie war bereit, diese Episode ihres Lebens hinter sich zu lassen und sich wieder zu öffnen. Für die Liebe, für jemanden, der ihr Herz erobern wollte … Nur war das leider gar nicht so leicht, wenn man seine Tage zwischen Vanillepflanzen verbrachte und nur einmal die Woche in die Stadt kam. CeCe glaubte andererseits aber auch fest daran, dass Amor sie schon finden würde, wenn der Zeitpunkt gekommen war. Das Schicksal würde sie führen, so wie es ihren Vater und ihre Mutter zusammengeführt hatte.
Sie erreichten das Ende der Strecke in der Powell Street, sprangen ab und begaben sich in die Market Street. Dort im Westfield Shoppingcenter befand sich Rawley’s, wo CeCe hoffte, Benedict anzutreffen.
»Bist du sicher, dass er heute arbeitet?«, fragte Julia.
»Er hat mir erzählt, dass er fast jeden Tag arbeiten muss, ich denke also schon.«
»Wieso hat er den Job überhaupt angenommen? Ich dachte nicht, dass es ihm an Geld mangelt. Das Weingut seiner Eltern wirft doch ziemlich viel ab, oder?«
»Schon, ja. Aber Benedicts Vater hat ihm wohl den Geldhahn zugedreht, weil er so viel für schicke Designerklamotten ausgegeben und sich einen Mercedes geleast hat. Sein Dad ist der Meinung, dass all diese Dinge nicht nötig sind.«
»Sind sie ja auch nicht«, sagte Julia und stellte sich auf die Seite von Benedicts Vater.
»Na ja, Benedict sieht das ein wenig anders, wie du weißt. Er hat mal wieder irgendeine Frau kennengelernt, die er beeindrucken und fein ausführen will. Der er etwas Schönes zu Weihnachten schenken will. Da ihm das aber zurzeit nicht möglich ist, hat er den Job als Santa angenommen. Er verdient wohl ziemlich gut dabei. Fünfzehn Dollar die Stunde, hat er mir verraten. Wenn er das fünf Wochen lang durchzieht, springt dabei ein hübsches Geschenk für Candy raus.«
»Candy? Das wird ja immer schlimmer.« Julia zog eine Grimasse.
CeCe musste schmunzeln. »Rate, was sie beruflich macht.«
»Nageldesign?«, riet Julia, weil es wahrscheinlich das Erste war, was ihr einfiel. Benedicts Freundinnen hatten stets falsche lange Nägel.
»Knapp daneben. Sie ist Hundefriseurin.«
»Haha. Wo ist das denn bitte knapp daneben?«
»Na, beide hübschen … Lebewesen auf, oder?«
Sie kicherten noch ein bisschen vor sich hin und hatten bald darauf das Kaufhaus erreicht. Benedict fanden sie auch auf Anhieb, er war gar nicht zu übersehen auf seinem riesigen goldenen Stuhl, ein kleines Mädchen auf dem Schoß, das weinte. Obwohl er toll aussah in seinem roten Anzug, mit dem langen weißen Bart, den klobigen schwarzen Stiefeln und der Weihnachtsmannmütze auf dem Kopf, wirkte er ein wenig unbeholfen, fand CeCe und beobachtete ihn gespannt. Dann jedoch holte er ein Taschentuch heraus, reichte es der Kleinen und tröstete sie. Sogleich strahlte sie auch schon wieder und erzählte ihm langatmig, was sie am Weihnachtsmorgen gerne unter dem Baum liegen haben würde. Das glaubte CeCe zumindest, hören konnte sie Santa und das Mädchen nicht, dafür waren sie zu weit weg von dem abgesperrten Bereich, den sie lieber nicht betreten wollte. Benedict würde sie umbringen, erstens dafür, dass sie Julia von seinem Nebenjob erzählt hatte, und zweitens, weil sie sich extra aufgemacht hatten, um ihm auch noch dabei zuzusehen.
»Wir sollten uns anstellen und uns auch auf seinen Schoß setzen«, schlug Julia augenzwinkernd vor.
»Witzige Idee. Da dreht er mir aber den Hals um, und ich bin im Frühjahr nicht mehr da, um meine Vanille zu ernten. Und wer kümmert sich dann um meine Farm?«
Julia schüttelte den Kopf. »Das ist wieder mal typisch für dich. Wenn du es schon in Vanillisch sagen willst: Viel schlimmer wäre, wenn die vielen Leute, die bei dir Plätzchen bestellt haben, keine bekommen sollten. Ich wünsch mir übrigens auch eine große Tüte.«
»Was ist denn Vanillisch?«, lachte CeCe.
»Na, die Sprache, die du seit Jahren sprichst. Eigentlich, seit ich dich kenne. Nur wird es mit jedem Jahr schlimmer.«
»So ein Unsinn.«
»Siehst du, du hörst es nicht einmal mehr.«
»Dann könnte ich genauso gut sagen, du sprichst Sandwichisch.«
»Wann habe ich denn heute bitte Sandwiches erwähnt?«
»Als du von deiner neuen Honigsauce erzählt hast, als du laut über ein neues Weihnachtssandwich mit Truthahnbrust und Preiselbeeren nachgedacht hast … Als du in Fisherman’s Wharf gesagt hast, du willst Flusskrebsschwänze ins Sortiment aufnehmen …«
»Jaja, okay, du hast recht. Wir sind wohl zwei hoffnungslose Fälle.«
»Ach, wieso denn? Ich finde es schön, dass wir so leidenschaftlich bei der Sache sind.«
»Das stimmt auch wieder. Sag das aber mal der männlichen Spezies. Die sieht unsere Leidenschaft nämlich anscheinend nicht.«
»Die Männer wollen ja auch Leidenschaft für etwas ganz anderes.« CeCe stupste Julia leicht mit der Schulter an.
»Für Weihnachten?« Ihre Freundin deutete grinsend auf Benedict, und sie folgte ihrem Blick. Der Gute hatte gerade einen Jungen auf dem Schoß sitzen, der augenscheinlich zwar höchstens zehn Jahre alt war, jedoch mindestens genauso schwer wie Benedict selbst. Der war nämlich eher zierlich und schien von der unerwarteten Last ganz schön erdrückt zu werden.
CeCe legte sich eine Hand vor den Mund, um nicht laut loszuprusten. Als Julia aber zu gackern anfing, konnte sie sich ebenfalls nicht mehr zurückhalten. Und in diesem Moment entdeckte Benedict sie. Mit großen Augen und purem Entsetzen blickte er sie an. Sie winkten ihm zu und liefen so schnell wie möglich davon.
»Julia, ich glaube, das war’s mit deinen Vanilleplätzchen«, japste CeCe. »Wenn er uns einholt, bin ich tot.«
»Dann musst du mir aber vorher noch schnell das Rezept verraten.«
»Keine Chance. Das nehme ich mit ins Grab«, schwor CeCe wie so oft.
Sie standen wieder auf der Straße und rangen nach Luft.
»Meine Bahn kommt gleich. Ich denke, ich muss los, heute Abend habe ich noch Probe«, sagte Julia.
»Oh, das hattest du gar nicht erwähnt. Ich dachte, wir gehen vielleicht noch ins Kino oder so.«
»Ein anderes Mal, ja? Wir müssen doch für unseren großen Auftritt üben.«
»Alles klar, das verstehe ich natürlich. Ich wünsche euch gutes Gelingen.«
»Danke, meine Liebe.« Julia lächelte herzlich, umarmte sie und stieg die Treppen zur BART hinunter, die sie direkt nach Berkeley bringen würde.
CeCe hatte ihren Wagen ein paar Seitenstraßen weiter geparkt, und als sie sich nun auf den Weg dorthin machte, dachte sie darüber nach, wie tapfer Julia war, trotz allem weiterhin beim Chor mitzumachen. Denn sie wusste, dass ihre Freundin bei jeder Probe, bei jedem Meeting und bei jedem Auftritt dem Mann begegnete, den sie am liebsten nie wiedergesehen hätte.
Sie stieg in ihren Pick-up und fuhr aus San Francisco hinaus, in Richtung Norden. Wie immer nahm sie die Route, die sie über die Golden Gate Bridge und entlang der San Pablo Bay führte. Sie hätte ihrer Grandma, die in Sausalito wohnte, einen Besuch abgestattet, wusste aber, dass diese heute Abend ein Date hatte. Also beschloss sie, da sie nun früher als erwartet zu Hause sein würde, auf jeden Fall noch zu backen.
Als sie die Lichter der Großstadt hinter sich gelassen hatte, öffnete sie ihr Fenster und atmete die frische Luft ein. Im Sommer duftete es nach unendlich vielen Blumen und Früchten, im Herbst nach reifem Wein, und jetzt im Dezember wehte ihr eine Brise aus kühler Seeluft und weihnachtlichen Gewürzen entgegen, deren Duft CeCe sich vielleicht nur einbildete, der aber auch aus den Fenstern der vielen kleinen Häuser entlang der Strecke kommen konnte, in denen man sich auf den Winter einstimmte.
Sie fuhr durchs Sonoma Valley, an Weingütern entlang, die zu dieser Zeit des Jahres mit ihren kahlen Weinreben ein wenig trostlos wirkten. In der Dunkelheit sah sie einen Kojoten die Straße entlanghuschen.
Als sie sich nach gut einer Stunde dem Napa Valley näherte, fühlte sie sich gleich wieder in ihrem Element. Fühlte sie sich zu Hause. So gern sie einen kleinen Ausflug nach San Francisco, zu Julia nach Berkeley oder zu ihrer Grandma nach Sausalito unternahm, war sie doch jedes Mal froh, wieder auf ihrer Farm anzukommen. Nur hier empfand sie etwas, das sie mit dem Begriff Heimat verband. Der süße Duft der Vanille war allgegenwärtig, und ihre Eltern waren es auch. Wie so oft hatte sie nun, als sie aus ihrem Wagen stieg, das Gefühl, sie wären anwesend, gäben auf sie Acht. Passten auf, dass sie alles richtig machte, dass der Farmbetrieb lief. In jedem Frühsommer, wenn die Vanillepflanzen aufs Neue ihre gelben Blüten hervorbrachten, sprach sie ein Gebet und dankte nicht nur dem lieben Gott, sondern auch ihren Eltern für die bevorstehende gute Ernte, und bisher war sie nicht enttäuscht worden.
Jetzt ging CeCe auf das von ihrem Vater selbst gebaute Lagerhäuschen zu, das beheizt und mit einer Alarmanlage gesichert war. Dabei warf sie einen Blick auf den kleinen Hügel, der im Dunkeln vor ihr aufragte. Die Blockhütte darauf war erleuchtet, sie vermutete, dass Louis wie so oft am Abend mit einem Buch in seinem Lieblingssessel saß und las, ein gutes Glas Rotwein auf dem Tischlein neben sich. Sie schüttelte den Kopf, warf die Gedanken an ihn ab. Sie wollte nicht an ihn denken, dieser Abend gehörte allein der Vanille.
Sie schaltete das Licht ein und betrachtete das Ergebnis der vorigen Ernte: Tausende von schwarzbraunen Vanilleschoten, als Bündel zusammengehalten mit Bastbändern oder einzeln verpackt in dünnen Glasröhrchen. Im Dezember war nicht viel zu tun, was das Pflanzen oder das Ernten anging. Erst ab März würden die ersten Kapseln reif sein, und sie könnte sie von den Lianen pflücken, um sie aufwendig zu blanchieren und zu trocknen. Um die Blüten würde sie sich nicht vor Ende Mai kümmern müssen. Doch dann würde eine Menge Arbeit auf sie zukommen, da hier in Kalifornien nicht die speziellen Bienen- und Kolibriarten lebten, die in Mexiko, dem Heimatland der Vanille, das Bestäuben übernahmen. CeCe musste sich per Hand darum kümmern und die Augen weit offen halten, da die einzelnen Blüten sich nur ein einziges Mal öffneten, und das lediglich sechs Stunden lang. Wurden sie dann nicht bestäubt, starben sie ab und brachten keine Vanille hervor. Ja, die anderen Jahreszeiten waren sehr geschäftig, doch alles, was sie im Winter tun musste, war, darauf zu achten, dass die Pflanzen es schön warm hatten und genügend gegossen wurden. Sie konnte sich also ganz darauf konzentrieren, den Weihnachtsversand anzugehen und die vielen Plätzchen zu backen, die verlangt wurden. Neben denen bot sie auf der Website noch selbst gemachte Marmeladensorten, Vanillehonig, Vanilleöl, Vanillezucker, verschiedene Tees und andere Dinge an, deren Bestand sie morgen prüfen wollte, damit auch alles reichte. Ansonsten würde sie Neues herstellen müssen. Aber das kam morgen. Die nächsten Stunden wollte sie allein zum Backen nutzen, und deshalb nahm sie sich einen kleinen geflochtenen Bastkorb, legte zwei Handvoll Vanilleschoten hinein, die abgebrochen oder nicht so schön schwarzbraun geworden waren – denn sie verkaufte nur Eins-a-Ware –, und nahm sie mit ins Haus. Bevor sie jedoch die Tür zum Lager zuzog, atmete sie noch einmal den einzigartigen Duft ein und schloss die Augen. Vanille. Ihr Leben. Sie konnte sich kein anderes vorstellen.
Sie knipste das Licht aus, verriegelte die hölzerne Tür, tippte den Code für die Alarmanlage ein, ging ins Haus und holte alle Backzutaten hervor. Dann legte sie eine Weihnachts-CD mit einem Mix der letzten zwei Jahrzehnte ein, goss sich einen Tee auf und zündete eine Duftkerze mit Vanillearoma an. Jetzt war sie bereit für einen Plätzchen-Backabend, und es gab nichts, das sie in diesem Moment lieber getan hätte.