Einführung
Dieses Buch erzählt von meiner Lehrzeit im Garten. Dabei geht es eigentlich um zwei Gärten; der eine besteht mehr oder weniger in der Fantasie, der andere ist durch und durch real. Der erste ist der Garten der Bücher und Erinnerungen, jenes Utopia der Träume in der freien Wildbahn, mückenfrei und allzeit blühend, in dem die Natur unsere Wünsche erfüllt und wir das Gefühl haben, vollkommen zu Hause zu sein. Der zweite Garten ist ein Ort, den es tatsächlich gibt. Es handelt sich um das zweieinhalb Hektar große, felsige und widerspenstige Gelände am Hang in der Stadt Cornwall, Connecticut, mit dessen Pflege ich mich viele Jahre abrackerte. Es gibt viel, was diese beiden Gärten trennt, obwohl ich sie mit jedem Jahr ein wenig mehr zur Deckung bringe.
Beide Gärten hatten mir eine Menge beizubringen, und zwar, wie sich herausstellte, nicht nur in Bezug auf die Gartenarbeit. Ich kam nämlich sehr bald zu der Erkenntnis, dass ich das Gärtnern nicht richtig würde lernen können, bevor ich mich nicht über ein paar andere Dinge kundig gemacht hatte: über den Platz, der mir in der Natur zusteht (habe ich das Recht, dem Murmeltier den Garaus zu machen, weil es den ganzen Frühling hindurch meinen Gemüsegarten geplündert hat?); die etwas merkwürdige Einstellung zu Grund und Boden, die dem Amerikaner angeboren ist (woher kommt es, dass die Nachbarn ein derart leidenschaftliches Interesse für den Zustand meines Rasens entwickelt haben?); die problematischen Grenzen zwischen Natur und Kultur; und das Erlebnis des Ortes, die moralischen Fragen, die sich bei der Landschaftsgestaltung ergeben, sowie noch eine Reihe weiterer Probleme, auf die ich gar nicht vorbereitet war; ich wollte ja eigentlich nichts weiter, als irgendwann ein paar anständige Tomaten ernten. Es liegt vielleicht in meiner Natur, die Dinge unnötig kompliziert zu machen, nach großer Bedeutung in kleinen Dingen zu suchen, aber es war offenbar wirklich so, dass sich im Garten weit mehr abspielte, als ich erwartet hatte.
Ich begann mit dem Gärtnern aus den gleichen Gründen wie die meisten Leute: weil man Befriedigung spürt, wenn man die Karotten büschelweise aus dem eigenen Grund und Boden zieht; weil man den Wunsch hat, ein Stück Land einladender oder fruchtbarer zu machen; weil man einen Ort aus der frühen Kindheitserinnerung unbedingt wiederherstellen möchte und weil man sich schlicht und ergreifend dagegen wehren muss, dass der Wald das eigene Haus verschlingt. Bevor meine Frau und ich im Jahr 1983 unseren ersten Wohnsitz kauften – ein kleines Stück einer verlassenen Milchfarm auf der östlichen Talseite des Housatonic Rivers –, hatten wir einige Zeit in Manhattan gelebt, in einem Appartement, das pro Tag ungefähr 90 Minuten Sonnenlicht abbekam. Die Aussicht, ein paar Blumen und etwas Gemüse anzubauen, kam uns geradezu exotisch vor. Und da war auch die Sache mit dem Wald, der tatsächlich immer näher heranrückte und unser Haus zu vereinnahmen drohte. Es war ein kleines Cottage im Cape-Cod-Stil, zusammengezimmert aus Fertigbauteilen der Kette Sears, Roebuck. Irgendetwas musste ich tun – entweder den unkrautüberwachsenen Bereich, der unter der Bezeichnung »Rasen« lief, mähen oder einen richtigen Garten anlegen –, wenn ich den Wald in Schach halten wollte.
Man könnte also durchaus sagen, dass der Wald für mich der Auslöser war. Untrennbar vermischt mit meinen Motiven war da aber auch das Gefühl der Befriedigung, das ich in der Erinnerung mit den Gärten meiner Kindheit verband. Ich wuchs in den frühen 1960er-Jahren auf Long Island auf. Auf dem Vorstadtgrundstück meiner Eltern hatte ich in unterschiedlichen Ecken immer wieder kleine Gärtchen im Taschenformat unter meiner Obhut gehabt und zudem viele Samstage damit verbracht, meinem Großvater in dem viel weitläufigeren Garten zu helfen, den dieser einige Kilometer entfernt bearbeitete (Kapitel 1 ist eine Rückerinnerung an diese Orte). Nun hatte ich ein eigenes Stück Land und es kam mir irgendwie selbstverständlich vor, die Wochenenden mit Gartenarbeit zu verbringen; wer weiß, vielleicht hatte ich ja sogar ein Händchen dafür.
Judith hatte da ganz andere Vorstellungen. Im Lauf der Zeit wurde sie zwar etwas nachgiebiger in ihrer Haltung, zu Anfang jedoch war sie ein eingefleischter Feind jeglicher Gartenarbeit, da man sie als Kind gezwungen hatte, dabei mitzuhelfen. Die heruntergekommenen Bereiche unseres Anwesens machten ihr wohl auch weniger aus als mir. Wenn Gestrüpp sich den Weg quer über eine aufgelassene Heuwiese bahnte oder wenn ein Apfelbaum kopflastig wuchs und wucherte und eigentlich hätte kräftig zurückgeschnitten werden müssen, dann sah sie darin etwas Schönes. Also fing sie an, Landschaftsbilder zu malen, während ich anfing, Landschaft zu gestalten. Meine Ergebnisse waren allerdings nicht ganz so beeindruckend wie ihre.
Es dauerte nicht lange, bis ich merkte, dass ich für mein Vorhaben schlecht gerüstet war. Die Landschaft in Neuengland – ein Fleckenteppich aufgelassener Farmen, die rasch vom Sekundärwald vereinnahmt wurden – erwies sich für meine Pläne erheblich weniger zugänglich als die fügsamen Vorstadtparzellen meiner Kindheit. Hier gab es große räuberische Tiere, übermächtiges Unkraut, milliardenfaches Auftreten jedes einzelnen im Gartenhandbuch aufgeführten Insekts, tödliche Fröste im Juni und im September sowie Felsbrocken, unvorstellbar an Gewicht und Anzahl. Es gab aber noch ganz andere Hürden, die sich als ebenso irritierend erwiesen: nämlich die gänzlich unhinterfragten Einstellungen gegenüber der Natur, mit denen ich an den Garten heranging.
Wie die meisten Amerikaner, die das Leben im Freien lieben, stand ich unter dem Einfluss von Thoreau. Die Sicht auf die Natur, die ich von ihm übernommen hatte, wie auch die ganze Tradition der auf ihn zurückgehenden Naturschriftstellerei wollten aber gar nicht mit meinen eigenen Erfahrungen zusammenpassen. Wenn es um die Auseinandersetzung mit den hier ansässigen Murmeltieren ging oder wenn ich zum Beispiel entscheiden musste, ob ich dazu verpflichtet war, meinen Rasen zu mähen, oder wie viel Großzügigkeit ich mir in Bezug auf Unkraut erlauben durfte, dann war ich tief mit der Natur verbunden, dessen war ich mir gewiss; meine Gefühle ihr gegenüber waren auch stark, jedoch alles andere als romantisch oder andächtig. Als ich einmal im Sommer auf Emersons Behauptung stieß, Unkraut (welches gerade dabei war, meine einjährigen Pflanzen abzuwürgen) sei nichts weiter als ein Fehler in meiner Wahrnehmung, verspürte ich eine gewisse kognitive Dissonanz. Alle schrieben sie davon, wie es ist, in der Natur zu sein, wie man sie wahrzunehmen hat, aber keiner sagte, wie man sich dort betätigen sollte. Im Gegensatz zum Naturforscher muss der Gärtner aber tätig werden, er will es sogar.
Nun ist es zwar richtig, dass dem ratlosen Gärtner unzählige Handbücher mit praktischen Anleitungen zur Verfügung stehen, ich hatte aber darüber hinaus noch das Bedürfnis nach philosophischer Beratung. Bevor ich in die Erdhöhle eines Murmeltiers Brandbomben werfe, habe ich doch gerne etwas Theorie zur Hand. Kaum ein Amerikaner, der über die Natur schreibt, befasst sich jedoch mit dem Garten, also mit von Menschen geformter Landschaft und dem Prozess der Gestaltung. Ein eigenartiges Versäumnis, denn wenn auch die Gartenarbeit auf den ersten Blick nichts von der Dramatik oder Großartigkeit etwa des Bergsteigens hat, so erleben wir doch fast alle gerade bei der Gartenarbeit die Natur auf die unmittelbarste und intimste Weise – die Befriedigung, die sie geben kann, ihre Verletzbarkeit und auch ihre Macht.
Unserer Tradition entsprechend haben wir uns jedoch immer dann, wenn wir das Bedürfnis hatten, über unser Verhältnis zur Natur nachzudenken, in die Wildnis begeben, an Orte, die noch kein Mensch angerührt hat. Genau genommen war Thoreau der letzte bedeutende amerikanische Naturschriftsteller, der überhaupt noch etwas zur Gartenarbeit zu sagen hatte. Er pflanzte am Walden ein Bohnenbeet und widmete den Erfahrungen, die er dabei machte, ein ganzes Kapitel. Mit dem Bohnenbeet (auf das ich in Kapitel 6 noch näher eingehen werde) handelte sich Thoreau jedoch alle möglichen Probleme ein. Seine romantischen Vorstellungen von der unberührten Natur stürzten ihn in Schuldgefühle, wenn er Unkraut schlecht behandelte (er verflucht die Notwendigkeit solcher »verhassten Unterscheidungen«), und er konnte keinen Grund erkennen, warum er selbst mehr Anrecht auf die Ernte in seinem Garten haben sollte als die hier ansässigen Murmeltiere und Vögel. Böse verstrickt in die Widersprüche zwischen seinen Bedürfnissen und den Vorrechten der Natur, musste Thoreau das Bohnenbeet aufgeben und verkündete schließlich, er werde nun dem trostlosesten Sumpf den Vorzug geben gegenüber Gärten jeder Art. Mit dieser Erklärung war im Grunde der Garten aus der amerikanischen Naturschriftstellerei verbannt.
Ich finde das bedauerlich, und zwar nicht nur, weil ich gerade eben vernünftige gärtnerische Ratschläge gut brauchen könnte. Die Gewohnheit, Natur und Kultur als unversöhnliche Gegensätze anzusehen, ist den Amerikanern tief eingewachsen. Wir gehen ganz selbstverständlich davon aus, dass immer dann, wenn die eine Seite gewinnt, die andere zwangsläufig verliert. Sind wir gezwungen zu wählen, dann entscheiden wir uns normalerweise (zumindest in unseren Büchern) für die Natur. Es ist genau diese Entscheidung – die ich für falsch halte –, die dazu geführt hat, dass Thoreau und seine Nachfolger sich vom Garten verabschiedeten. Selbstverständlich kann man in der Wildnis viel lernen; unsere unübertroffene Tradition der Naturschriftstellerei gibt dafür ausreichend Belege. Aufgrund meiner Erfahrung bei der Gartenarbeit bin ich allerdings zu der Überzeugung gelangt, dass vieles, was für unsere Beziehung zur Natur wichtig ist, in der Wildnis gar nicht gelernt werden kann. Zum einen müssen wir lernen – und das ist heute notwendiger als je zuvor –, wie wir die Natur nutzen können, ohne ihr Schaden zuzufügen. Das kann kaum funktionieren, solange wir fortfahren, Natur und Kultur nur als Gegenspieler zu sehen. Was können wir also tun, um einen Mittelweg zwischen beiden zu finden? Um unsere Bedürfnisse und Wünsche zu befriedigen, ohne die Natur zu beschneiden? Dieses Buch geht von der Prämisse aus, dass man so manche Antworten auf diese Fragen vielleicht nicht in den Wäldern suchen sollte, sondern lieber im Garten.
Auch wenn dieses Buch keine Streitschrift ist, so findet sich doch viel streitbare Auseinandersetzung darin: Auseinandersetzung zwischen mir und diesem verflixten Stück Land, wie auch zwischen mir und einigen Formen der Naturbetrachtung, die man traditionellerweise in Amerika pflegt. Ich stelle fest, dass ich viel Zeit im Streit mit Thoreau verbringe. Zahlreiche Konfliktpunkte werden nicht endgültig beigelegt. Dieses Buch ist eher eine Übung darin, Dinge zu entdecken, als zu sagen, was wahr ist. Es ist, wie gesagt, die Geschichte meiner Lehrzeit; aus der hohen Dichte an Torheiten auf diesen Seiten wird dabei zu entnehmen sein, dass ich mich nach wie vor mehr als Schüler denn als Lehrer fühle. Am Ende meiner Erzählung weiß ich mehr als am Anfang, und meistens bin ich eher der Logik meiner Erfahrungen gefolgt, so wie sie sich im Ablauf der Jahreszeiten entwickelten, als den Gesetzen einer wissenschaftlichen Arbeit. Dennoch zieht sich meiner Meinung nach eine durchgehende Argumentation (die in Kapitel 10 noch im Einzelnen ausgeführt wird) wie ein roter Faden durch dieses Buch: dass nämlich die Idee des Gartens – als eines realen und metaphorischen Ortes, an dem Natur und Kultur sich auf eine Weise vermählen können, die beiden zum Vorteil gereicht – für uns heute ebenso hilfreich sein könnte, wie es früher einmal die Idee der Wildnis war. Dem Leser mag dies wie ein ziemlich unzeitgemäßer optimistischer Gedanke vorkommen. Eigentlich teile ich ja die allgemeine Besorgnis, was unsere Umwelt betrifft. Was ich aber nicht teile, das ist der zunehmende Pessimismus. Im Garten finde ich einigen Anlass zur Hoffnung.
Welches sind die Qualifikationen, die mich berechtigen, ein solches Buch zu schreiben? Ich bin ganz gewiss kein Fachmann – weder was das Gärtnern und die Natur betrifft noch in vielen anderen Bereichen. Dieses Buch ist zuvörderst die Unternehmung eines Amateurs. Meine einzige Qualifikation (wenn man das so nennen darf) ist die Wette, die ich zu Beginn dieses Projekts bewusst eingegangen bin: dass es sich lohnen könnte, Gartenarbeit ernst zu nehmen, und dass diese, ernsthaft betrieben, für die eine oder andere interessante Geschichte und hilfreiche Idee gut sein könnte. Ich habe allerdings den Verdacht, dass seit Beginn meiner gärtnerischen Tätigkeit kein Weg mehr an diesem Buch vorbeigeführt hat. Wie die meisten Gärtner bezeugen werden, folgt auf den Wunsch, einen Garten anzulegen, sehr häufig der Wunsch, die dabei gemachten Erfahrungen schriftlich festzuhalten – in einem Notizbuch, in einem Brief an einen ebenfalls gärtnernden Freund oder, wenn man wie ich von Wörtern lebt, in einem Buch. Das Schreiben und die Gartenarbeit, diese zwei Methoden, die Welt in Zeilen zu ordnen, haben sehr viel gemeinsam. In meiner Gegend gibt es in jedem Jahr eine lange, gelegentlich recht fruchtbare Saison, in der das Gärtnern ausschließlich auf dem Papier und in der Vorstellung geschieht. Wie ich die letzten derartigen Perioden in meinem Garten verbracht habe, das zeigt dieses Buch.
Ich hatte das Glück, bei diesem Unterfangen von vielen Menschen Hilfe und Ermutigung zu erhalten; aber erst durch Judiths Hilfe und Unterstützung wurde dieses Buch überhaupt möglich. Ihre anfängliche Zurückhaltung gegenüber dem Garten machte schließlich einer ansteckenden Begeisterung Platz, und bei allem, was nun kommt, haben wir eng zusammengearbeitet – im Buch ebenso wie im Garten. Beide, Buch wie Garten, wären ohne jede Relevanz, gäbe es ihr Auge, ihr Ohr und ihre Klugheit nicht.
Mein besonderer Dank gilt dem Großmut und dem Verständnis von Mark Edmundson, der mir mit unschätzbarer Kritik und gutem Rat in jeder Phase zur Seite stand, obgleich er sich für nichts, was mit Gartenarbeit zu tun hat, interessiert. Wesentliche Unterstützung erhielt ich auch von Mark Danner und meinen Kollegen bei Harper’s Magazine. Danken möchte ich auch Amanda Urban, Ann Godoff und Carl Navarre dafür, dass sie an dieses Projekt glaubten, und zwar schon lange bevor es dafür irgendwelche Gründe gab.
Es gibt noch einige andere Leute, deren Einfluss eine entscheidende Rolle gespielt hat, obwohl sie das gar nicht wissen. Dieses Buch ist aus meinen Erfahrungen entstanden, ob in der Bibliothek oder im Garten, und ich wäre wohl nicht weit gekommen, wäre ich nie den Werken von Wendell Berry begegnet, von Frederick Turner, Eleanor Perényi, Richard Rorty, William Cronon und J. B. Jackson. Dies sind ganz unterschiedliche Autorinnen und Autoren, aber sie sind alle Pioniere an der Grenze zwischen Natur und Kultur und aus diesem Grund – möglicherweise ohne sich dessen bewusst zu sein – hervorragende Führer, wenn es um den Garten geht.