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Originalcopyright © 2021 Südpol Verlag, Grevenbroich

Autorinnen: Andrea Poßberg, Corinna Böckmann

Illustrationen: Corinna Böckmann

E-Book Umsetzung: Leon H. Böckmann, Bergheim

ISBN: 978-3-96594-107-6

Alle Rechte vorbehalten.

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Inhalt

Kleiner Abendsegler

Wald mit Hindernissen

Doppelte Überraschung

Nur ein dummer Streich?

Goldener Fund

Schlechte Neuigkeiten

Blitzeinschlag mit Folgen

Geheimnisvolles Treffen

Streit in der Hundeschule

Auf der Suche nach Beweisen

Fette Beute

Heiße Spur

Der mysteriöse Anrufer

Die Lage spitzt sich zu

Ausgetrickst!

Alles dreht sich

»Bist du sicher, dass das der richtige Weg ist?« Lennart zerrte eine Brombeerranke von seiner Jacke und stapfte missmutig hinter seinem Bruder her, der unbeirrt dem schmalen Pfad durch den Bieberheimer Forst folgte.

»Na klar, komm schon«, rief Jannik. Er blieb stehen und wartete ungeduldig auf seinen Bruder, der sich die langen schwarzen Haare aus dem Gesicht pustete.

»Warum bin ich bloß mitgekommen?!«, stöhnte Lennart theatralisch.

Jannik grinste. »Ganz einfach, weil Mama dich gezwungen hat. Sie möchte eben nicht, dass einer von uns alleine durch den Wald läuft.«

»Nur weil du noch so ein Baby bist«, sagte Lennart und pikte Jannik seinen Zeigefinger in den Bauch.

Der schlug die Hand weg. »Du bist nur ein paar Wochen älter, wenn ich dich erinnern darf«, schnaubte er.

Lennart und Jannik waren beide zehn Jahre alt und Brü­der, seit Lennarts Mutter und Janniks Vater geheiratet hatten. Sie sahen zwar völlig unterschiedlich aus – Lennart war groß, dünn und hatte die asiatischen Gesichtszüge seiner Mut­­ter, Jannik dagegen hatte braune, wuschelige Haare und war etwas pummelig. Wie wahre Brüder aber zogen sie sich gerne gegenseitig auf und hielten zusammen, wenn es darauf an­kam.

»Also, wo geht’s jetzt lang?«, fragte Lennart.

Jannik zog eine Karte aus der Jackentasche und breitete sie vorsichtig auf einem Baumstumpf aus. Ein dichtes Netz aus Linien und Farbflächen überzog das Papier. Zeichen und Symbole für Häuser und Bäume wechselten sich mit allen mög­­­­lichen Tieren und Pflanzen ab.

»Das sieht schon cool aus«, stellte Lennart beeindruckt und auch ein wenig neidisch fest.

Die Karte war Janniks Beitrag für die Umwelt-Projekt­woche, an der alle Schülerinnen und Schüler der Erich-Käst­­ner-Grundschule teilnahmen. Die Viertklässler hatten selbst ein Thema wählen können, das sich mit Natur- oder Klima­schutz befassen sollte.

Janniks Idee war, alle schützens­werten Orte rund um Bie­­berheim in seinen Plan einzuzeichnen. So hatte er kleine Feld­hamster genau an der Stelle ge­malt, an der Marvin, der Sohn von Bürgermeister Klotzmeier, vor Kurzem versucht hatte, die Löcher der Hamsterbaue zuzustopfen1. Zum Glück hatten die unter Naturschutz stehenden Tiere keinen Schaden ge­­­nommen.

Gewissenhaft hatte Jannik alle Bäume mit Vogelnestern mar­­­kiert, die er bisher entdeckt hatte, sogar der Nistplatz eines Rotmilan-Paares im Bieberheimer Forst war darunter. Darauf war er besonders stolz, denn die majestäti­­schen rostroten Greifvögel mit ihren gegabelten Schwänzen ge­hörten zu seinen Lieblingstieren. Neben die Chipsfabrik, die auf Janniks Plan aus einem orangen Rechteck mit der Auf­­schrift HAPPY CHIPS bestand, hatte er einen alten Ahornbaum mit einem Eichhörnchenkobel skizziert. Die dünne blaue Linie, die sich durch eine grün schraffierte Fläche schlängelte, sollte den renaturierten Elsbach darstellen, an dem sich seit eini­­­ger Zeit wieder Biber angesiedelt hatten. Die sahen bei Jannik allerdings eher wie ein paar krumme Würste mit Zäh­­nen aus, hatte Lennart kichernd festgestellt und sich damit einen ordentlichen Boxhieb seines Bruders eingefangen.

»Mirandas Freund hat gesagt, dass es an dieser Stelle eine Baumhöhle mit Fledermäusen gibt«, erklärte Jannik und deu­­­tete mitten in die dunkelgrüne Fläche. Ein kleines Stück darunter war ein großes Schiff gezeichnet, darauf eine Frau, ein schwarzer Hund, zwei Katzen und drei Hühner.

»Super, du hast sogar an Mirandas Hausboot gedacht«, stellte Lennart fest.

»Ja sicher, das ist doch auch besonders selten und wertvoll«, grinste Jannik.

Die Chemikerin Miranda Mühlberg, Ehrenmitglied der Grünen Piraten, wohnte auf einem Hausboot im alten stillgelegten Bieberheimer Hafen und hatte den Kindern schon oft geholfen, wenn es einen kniffligen Fall zu lösen gab. Und die Grünen Piraten, zu denen nicht nur Jannik und Lennart, sondern auch die Geschwister Ben und Flora und ihre Freun­din Pauline gehörten, hatten schon einige Umweltverbrechen aufgedeckt. Ganz im Geheimen, denn niemand in Bieber­heim sollte wissen, wer hinter den Grünen Piraten steckte – sonst wäre es mit ihren unauffälligen Ermittlungen vorbei gewesen.

Miranda hatte engen Kontakt zur örtlichen Bürgerinitia­tive, die sich für die Natur in und um Bieberheim einsetzte. Von Klemens Walter, der dort auch Mitglied war, hatte Jannik den Tipp mit der Fledermaus-Baumhöhle bekommen.

Lennart knuffte seinen Bruder in die Seite. »Na los, gehen wir, aber dafür hilfst du mir nachher zuhause die Mess­­geräte anzubringen.«

Jannik nickte und faltete die Karte wieder zusammen. »Mach ich, versprochen.«

Lennart hatte sich für sein Umweltprojekt Strommess­geräte geliehen, die er an Fernseher, Kühlschrank, Computer und Waschmaschine anschließen wollte. So konnte er herausfinden, wie viel Strom ihre Familie in einer Woche verbrauchte, und überlegen, wo sich vielleicht Strom sparen ließ.

Etwas besser gelaunt folgte Lennart jetzt dem blauen Ruck­sack seines Bruders, der sich vor ihm durch die Büsche schlug. Plötzlich stoppte Jannik und deutete auf eine Gruppe aus drei großen Kiefern, die vor ihnen aufragte.

»Da muss es sein.« Er hatte seine Stimme automatisch zu einem Flüstern gesenkt und näherte sich langsam den alten Bäumen. Wie Mirandas Freund gesagt hatte, befand sich in dem mittleren Baum in drei Meter Höhe eine große Baum­höhle, in der eine Kolonie Kleiner Abendsegler eingezogen sein sollte.

»Also ich seh weit und breit keine Fledermaus«, maulte Lennart und ging näher an den Baum heran.

»Die schlafen doch tagsüber. Aber das da«, Jannik deutete auf eine dunkle Spur, die sich von der Baumhöhle den Stamm herunterzog, »ist Fledermauskacke, daran erkennt man, dass die Höhle bewohnt ist. Riech mal.«

Lennart ging näher an die Kiefer heran und schnup­perte, dann verzog er das Gesicht. »Bäh, das stinkt ja wie Hölle.«

Sein Bruder grinste. »Der Geruch ist krass, oder? Wir müssen noch mal zurückkommen, wenn es dunkel wird, und sie beobachten.«

»Das erlauben Mama und Papa nie«, prophezeite Lennart. »Aber cool wär‘s schon.«

»Na sag ich doch.« Zufrieden beugte Jannik sich über den Plan und holte ein paar Stifte aus seinem Rucksack.

Lennart beschloss sich ein wenig umzugucken, so lange sein Bruder damit beschäftigt war, Fledermäuse in einer Baum­­­­höhle zu zeichnen. Er hatte gerade ein Nest hoch oben im Geäst entdeckt, da hörte er etwas, das so gar nicht in die Stille des Waldes passen wollte: das Geräusch eines Motors. Überrascht blieb Lennart stehen und lauschte, das Motor­brummen brach ab. Stimmen wehten zu ihm herüber und eine Autotür klappte. Doch dann schüttelte er den Kopf und musste über sich selber lachen. Das war bestimmt nur der Förster, der hier im Wald seinen Job machte. Schnell lief Lennart zurück zu den drei Kiefern, wo sein Bruder gerade Stifte und Karte in den Rucksack räumte.

»Fertig«, sagte Jannik und stand stöhnend auf. »Mist, mein Fuß ist eingeschlafen.« Er trampelte heftig auf der Stelle, um das Kribbeln zu vertreiben, doch plötzlich hielt er entsetzt inne – ein markerschütternder Schrei gellte durch den Wald.

Die Brüder sahen sich erschrocken an.

»Was war das?!«, flüsterte Jannik.

»Komm, wir gucken nach. Vielleicht braucht jemand Hil­fe.« Lennart spurtete los in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war. Sein Bruder warf sich den Rucksack über die Schulter und humpelte ihm nach.

Plötzlich blieb Lennart mit dem Fuß an etwas hängen und schlug der Länge nach hin, mitten in die überall wuchernden Brombeerranken. Fluchend richtete er sich wieder auf und zupfte sich einen Dorn aus der Hand. Hinter ihm steckte ein kleiner, rot markierter Holzpflock im Boden.

»Sie können doch nicht die Tür zuschlagen, wenn meine Finger noch dazwischen sind!«, schallte jetzt eine weibliche Stimme durch den Wald. »Sind Sie verrückt?!«

Jannik hatte aufgeholt und schob sich zwischen den Büschen durch.

»Pass auf, hier steckt so ein Pfahl im Boden«, warnte Lennart ihn und deutete auf den Holzpflock. Dann winkte er seinem Bruder ihm zu folgen und huschte weiter in die Richtung, aus der er gerade die Frauenstimme gehört hatte.

Nach ein paar Metern tauchte ein unbefestigter Waldweg vor ihnen auf, tiefe Spurrillen hatten sich in den lehmigen Boden gedrückt.

»Ach, guck mal einer an, den Jeep kennen wir doch!« Jannik zeigte auf ein klobiges schwarzes Gefährt, das ein Stück weiter zwischen den Bäumen sichtbar wurde.

Lennart verdrehte die Augen. »So klar, dass der feine Herr Bürgermeister nicht den Besucherparkplatz nehmen kann. Der braucht echt immer ’ne Extrawurst. Komm, wir müssen näher ran, ich möchte zu gerne wissen, was der Klotzmeier hier macht.«

Bürgermeister Erwin Klotzmeier war immer auf der Suche nach einem guten Geschäft und dabei kümmerte es ihn nicht weiter, wenn die Umwelt Schaden nahm. Die Grünen Piraten waren ihm schon mehrfach auf die Schliche gekommen, doch Klotzmeier verstand es immer, sich herauszureden und am Ende gut dazustehen.

Die beiden Jungs pirschten sich an das große Auto heran und warfen ein Blick hinein. Der Innenraum war leer, aber durch die Scheiben konnten sie in einiger Entfernung vier Personen zwischen den Bäumen ausmachen, die wild gestikulierten.

»Klotzmeier hat sich ja richtig in Schale geworfen«, wunderte sich Jannik.

Der kleine, dicke Bürgermeister, den sie bisher nur im Anzug kannten, trug jetzt nagelneue grüne Gummistiefel und darüber eine knallgelbe Regenjacke.

»Sieht aus wie ein Gartenzwerg, oder?« Grinsend spähte Lennart durch die Autoscheiben.

»Aber wer sind die anderen?« Jannik holte ein Mini-Fernglas aus seiner Hosentasche und betrachtete den bärtigen Mann und die rothaarige Frau neben Klotzmeier. Beide waren bestimmt einen Kopf größer als der Bür­ger­meister. Dann schwenkte er nach rechts auf einen drahtigen Mann mit braun­gelockter Kurzhaarfrisur, der genau in diesem Moment in ihre Richtung deutete. Hastig nahm Jannik das Fernglas herunter. Ob der Mann sie bemerkt hatte? Viel­leicht einen Lichtreflex auf den Linsen?

»Und?«, fragte Lennart.

Sein Bruder schüttelte den Kopf. »Also, außer Klotzmeier kenn ich keinen von denen.«

Leise traten die Jungs den Rückzug an. Sie hatten nicht die geringste Lust, dem Bürgermeister vor die Füße zu laufen und bahnten sich ihren Weg zurück durch die Brom­beerbüsche, bis sie wieder auf den Pfad stießen, der an den drei Kiefern vorbeiführte.

»Was meinst du, was die hier machen?«, fragte Jannik.

Lennart zuckte mit den Schultern. »Bei Klotzmeier vermute ich ja immer das Schlimmste, aber mir fällt grade nichts ein, was der hier anrichten könnte.«

Mit einem Mal summten ihre Handys.

Lennart war schneller: »Nachricht von Pauline. Kommt sofort ins Hauptquartier, habe etwas unglaublich Tolles dabei!«

»Das muss aber noch einen Moment warten.« Jannik blieb stehen und drehte sich zu seinem Bruder um. »Ich will erst noch zu dem Storchennest auf der alten Eiche.«

»Nicht dein Ernst, oder?! Das kannst du doch einfach so einzeichnen, du weißt ja, wo die Storcheneiche steht«, maulte Lennart. »Wir haben Opa Hermann oft genug geholfen, die Bienenkästen dort hinzubringen.«

Jannik und Lennarts Opa war Imker und im Frühjahr stellte er immer zwei seiner Bienenbeuten* in der Nähe von Bauer Hamachers Rapsfeld auf. Die Bestäubung der Bienen sorgte für einen höheren Ertrag beim Raps und Opa Hermanns Bienen produzierten dank des Nektars der gelben Blüten mega­leckeren Rapshonig. Jannik lief schon das Wasser im Mund zusammen, wenn er nur daran dachte.

Am Rand von Bauer Hamachers Acker stand eine riesige uralte Eiche, in deren höchster Astgabel ein Storchenpaar sein Nest gebaut hatte.