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Vorwort

Ein Lockdown hat auch gute Seiten. Ohne diese erzwungene Entschleunigung hätte der Autor dieses Buch vielleicht noch nicht geschrieben.

In den letzten Jahren hat das Sachbuch Hund einen immer breiteren Raum am Buchmarkt eingenommen und für Autoren wurde es immer schwieriger, das Besondere des eigenen Werkes für den Leser erkennbar herauszuarbeiten.

Nicht so bei Sami El Ayachi.

Seinen Zugang zur Arbeit mit Hunden, die auf analoger Kommunikation beruht, einem breiteren Publikum zu vermitteln, stellt eine Aufgabe dar, für die er sehr wesentliche Voraussetzungen mitbringt:

Er ist von seinem Wesen her ein ruhiger, einfühlsamer und sehr subtiler Beobachter.

Er ist als ausgebildeter Jurist darauf trainiert, Begriffe und Fakten präzise und differenziert zu beschreiben.

Er hat sich, wie man diesem Buch auch entnehmen kann, sehr ausführlich mit zeitgemäßen Erkenntnissen über Kommunikation, die Paul Watzlawick wie kaum ein Zweiter von der Theorie der Wissenschaft in die Verständlichkeit des Alltags transferieren konnte, auseinandergesetzt.

Sami El Ayachi beginnt mit scheinbar einfachen Übungen. Er ist auch so fair darauf hinzuweisen, dass das Erreichen eines Erfolges nicht nur vom Vierbeiner Ausdauer und viele Wiederholung verlangt.

Diese Übungen sind innerhalb der einzelnen Kapitel im Ablauf detailliert beschrieben und in eine inhaltliche Erklärung eingebettet. Der eigenen Körperhaltung, dem Bewegungsablauf und der Blickführung kommen eine zentrale Bedeutung zu. Körpersprache als zentrale analoge Kommunikationsebene mit dem Hund, wird in ihrer Bedeutung differenziert dargestellt. Dafür gibt es auch Übungen, die ohne Hund, zum Teil mit Hilfsmitteln oder mit menschlichen Partnern, durchgeführt werden.

Erste gemeinsame Übungen mit körperlicher Nähe und Berührung sollen die Grundlagen für die Rollenverteilung, für Verbindlichkeit und Verlässlichkeit bilden; die Bedingungen bestimmt der Mensch („zu meinen Konditionen“), die Kooperation des Hundes wird mit einem Spektrum an Übungen gefördert.

Nicht das Leckerli, sondern die Freude des Menschen soll den Hund für seine Zuwendung zum Menschen belohnen.

Interaktionen, abgesehen von dem namentlichen Ansprechen des Hundes bei der Einladung zum gemeinsamen Handeln, verlaufen ohne Worte; der Blick, verbunden mit entsprechender Körperhaltung und Bewegung, führt den Hund.

© Anna Auerbach/Kosmos

Blicke sagen mehr als Worte – Sami El Ayachi mit seinen Hunden

Schritt für Schritt werden die Übungen komplexer und die Orientierung des Hundes am Menschen, trotz scheinbar minimalistischer aktiver Kommunikation, kann durch verfeinerte Beobachtung immer deutlicher erfahren werden.

Ein Kapitel widmet der Autor Klopftechniken, die von ihm als energetische Methode bei vielen Hunden erfolgreich eingesetzt werden, um Nähe und Entspannung zu begünstigen und gleichzeitig einen positiven Bindungseffekt auszulösen.

Interventionen, als von vielen Hundebesitzern im Zusammenhang mit Problemverhalten ihres Hundes häufig eingeforderte Lösungen, beleuchtet er unter dem Aspekt von Bindung und Zuwendung höchst kritisch und fordert feinfühlige Korrekturen ein, um „wieder ins Gespräch“ zu kommen und stellt Verbindlichkeit und Verlässlichkeit klar in den Vordergrund.

Sami El Ayachi fasziniert nicht nur in seinen Seminaren mit einer besonderen Ruhe, mit unaufgeregter, aber bestimmter Sprache und hoher Konzentriertheit; auch in diesem Buch, das eine Zusammenfassung der Theorie seiner Arbeit darstellt, schwingen diese Eigenschaften spürbar mit. Er vermittelt unter Vermeidung jeglicher Esoterik einen Umgang, der Respekt vor dem Lebewesen, das uns anvertraut ist, zeigt und der auch Verantwortung einfordert.

Es sollte dem Autor mit diesem Buch gelingen, Leser, die sich vielleicht nur einen Ratgeber erwartet haben, in eine spannende Beziehungsarbeit mit ihrem vierbeinigen Liebling zu verwickeln.

Dr. med. Max Neumann

Neuropsychiater, Kinder- und Jugendpsychiater

Willkommen im Buch

LIEBE LESERIN, LIEBER LESER!

Das ist ein Buch über Sehnsucht. Die Sehnsucht nach Gemeinschaft, nach wortlosem Verstehen, nach entspannten Momenten, Verständnis, harmonischem Miteinander, klarer und angemessener Aufgabenverteilung zwischen Mensch und Hund.

Das ist ein Buch über Hoffnung. Die Hoffnung auf gelungene Verständigung, auf ein kooperatives Miteinander, auf Entwicklung zum einander zugewandten Team aus Mensch und Hund.

Das ist ein Buch über den Weg, der dich dieser Sehnsucht und dieser Hoffnung immer näherbringt, der dahin führt, wo sich die Sehnsucht und die Hoffnung erfüllen können.

Wir Menschen können das erleben und gestalten – durch und mit unseren Hunden. Sie halten uns den Spiegel vor, unverblümt. Das ist unsere Chance für Erkenntnis. Und sie bleiben offen für unsere Angebote, reagieren auf unsere Authentizität und Entschlossenheit. Das ist unsere Chance auf Entwicklung.

Ich freue mich, diesen Weg gemeinsam mit dir und deinem Hund zu gehen.

LIEBE HUNDE!

Ja, auch ihr lest mit. Denn während eure Menschen dieses Buch durcharbeiten, wird etwas mit ihnen passieren. Sie werden ihren Körper neu kennenlernen. Ihre Bewegungen bewusster wahrnehmen und klarer ausführen. Euch Hunde direkter ansprechen. Ihre Wünsche und Anforderungen an euch eindeutiger formulieren. Sie werden komische Dinge mit euch machen, wie euren Kopf halten, im Wohnzimmer mit euch im Viereck laufen, auf eure Schädelplatte klopfen. Und sie werden bereits entschlossen und klar formulierend agieren, bevor ihr überhaupt auf „dumme Gedanken“ kommen könnt.

Wie fühlt sich das für euch an?

Vertraut euren Menschen – so wie ihr es schon so lange tut. Erlebt dabei, wie wohltuend es ist, einander zugewandt zu sein und zu bleiben. Dafür lohnt es sich, euren Leuten Zeit zu lassen, dieses Buch zu lesen. Versprochen!

LIEBE HUNDETRAINERINNEN UND -TRAINER!

Ich freue mich, wenn ihr, meine professionellen Kolleginnen und Kollegen, das Buch lest. Gern teile ich mein Wissen, meine Erkenntnisse und die von mir entwickelten Übungen mit euch. Mein Buch ist ein detaillierter Leitfaden für systematischen Trainingsaufbau. Ihr könnt darin entdecken, wie ich Hundemenschen anleite. Wenn ihr euch auf dieses hier angelegte Trainingsgelände begebt, werdet ihr in vielen Situationen das Verhalten von Hunden frühzeitiger erkennen können. Ihr findet Vorschläge dafür, Menschen dabei zu unterstützen, das Verhalten ihres Hundes zu modifizieren. Ich freue mich, wenn mein Buch dazu anregt, Grundsatzthemen zwischen Mensch und Hund neu zu beleuchten. Dank geschulter Körpersprache findet ihr im Gespräch mit dem Hund ungewohnte Lösungswege. Das wünsche ich euch genauso wie den Hunden und Menschen, mit denen ihr arbeitet. Mir wünsche ich – ganz im Sinne der kollegialen Fairness – dass ihr zumindest mal in einem Nebensatz auf die von mir entwickelte Arbeit hinweist. Schön, wenn wir weiter im Austausch bleiben.

Sami El Ayachi

© Anna Auerbach/Kosmos

Entspannt das Leben mit den Hunden genießen

© Anna Auerbach/Kosmos

Dieses Buch ist ein bisschen wie dein Leben mit deinem Hund.

Du wirst anfangen darin zu lesen,

deine Gedanken werden abschweifen,

du wirst blättern,

lächeln,

den Kopf schütteln,

die Übungen studieren,

daran verzweifeln,

dich ertappt fühlen,

mit Hundefreundinnen und -freunden über deine neuen Erkenntnisse philosophieren,

anfangen, mit deinem Liebsten auf zwei Beinen körpersprachlich zu kommunizieren, Übungszeiten auf deine To-do-Liste schreiben,

dich über das Mehr an Zugewandtheit freuen,

eine neue Nähe spüren,

du wirst es zur Seite legen,

Dinge sacken lassen,

schludrig werden mit den eigentlich fest eingeplanten Wiederholungen,

dich selbst beschwichtigen,

nochmal von vorne anfangen,

dran bleiben,

immer konstruktiver im Gespräch sein,

Variationen an Übungen erfinden

und dich aus tiefstem Herzen über die Veränderungen freuen, die dein Hund und du erleben.

MAN KANN NICHT NICHT KOMMUNIZIEREN

© Anna Auerbach/Kosmos

© Anna Auerbach/Kosmos

BEGEGNUNGEN AUF AUGENHÖHE

Der Blick eröffnet das Gespräch.

© Anna Auerbach/Kosmos

Mensch und Hund – verschieden und doch so ähnlich

Was der Kommunikationswissenschaftler und Psychologe Paul Watzlawick für Menschen formuliert hat, gilt ganz genauso auch für Hunde. Da staunst du jetzt vielleicht, denn sind Mensch und Hund nicht zwei sehr unterschiedliche Lebewesen?

Ich antworte mit Radio Eriwan: Im Prinzip ja – und dennoch haben wir Menschen mit Hunden so viel gemeinsam. Wo der erste Eindruck vor allem die Unterschiede erfasst, lässt sich mit einem tieferen Verständnis die Gemeinsamkeit schnell erkennen. Beide – Mensch und Hund gleichermaßen – sind hoch soziale Lebewesen. Uns verbindet das übereinstimmende Ziel, in stabilen Gemeinschaftsstrukturen leben zu wollen, mehr noch: leben zu müssen. Das ist nicht etwa nur ein theoretisches Konstrukt, auf das wir analysierend und reflektierend zustreben. Evolutionär ist die Gemeinschaft die Garantie für das Überleben als Spezies. Das gilt für uns Zweibeiner genauso wie für unsere geliebten Vierbeiner. Damit können wir auf eine gemeinsame Basis für soziale Interaktionen zurückgreifen, über alle Unterschiede hinweg. Wir leben seit ungezählten Generationen mit einem zugewandten Blick zum Gegenüber. Das hat uns Jahrtausende lang geschult in der für Mensch und Hund gemeinsamen (Körper-)Sprache.

GEMEINSCHAFT IST SINNVOLL

Eine Gemeinschaft zu bilden, ist also zutiefst biologisch sinnvoll. Deshalb setzt sowohl der Mensch als auch der Hund auf den Zusammenschluss – wir in Familien-, Nachbarschafts- oder Freundesstrukturen, der Hund im Rudel, in der Gruppe. Nur die Gemeinschaft gibt den Schutz und die Sicherheit, die sowohl für den Menschen als auch für den Hund überlebenswichtig sind.

Was zeichnet diese Gemeinschaften aus? Ihre existenzielle Kraft entsteht, weil innerhalb der Gemeinschaft jeder seine Fähigkeiten einbringt, neue Kompetenzen wachsen können, die Rollenverteilung klar ist und Schwächere gestützt werden (zumindest im Idealfall). Schon von klein auf lernt der Nachwuchs von den Älteren, von denen mit Erfahrung, mit Kompetenz. Wie vermittelt sich diese sinnvolle Ordnung? Richtig, durch Kommunikation. Wie sie sich konstruktiv entwickeln lässt – selbst über Artgrenzen hinweg – werden wir gemeinsam entdecken.

ALLES BEGINNT MIT BLICKEN

Das erste Bemühen um Verständigung – und nichts anderes ist letztlich Kommunikation – geht sowohl beim Menschen als auch beim Hund von den Augen aus. Der Blick wird für den Einstieg in ein Gespräch eingesetzt. Mit Blicken laden wir uns gegenseitig ein, grenzen uns ab – und Hunde tun das ganz genauso über ihre Augen. Wer jemals beobachten konnte, wie eine Mutterhündin mit eindringlichem Blick ihre aufgeregten Welpen in die Ruhe schickt, weiß sicherlich, wovon ich hier rede. Oder der Augenblick (warum heißt das wohl so?), in dem ein halbstarker 14-Jähriger sich mit dem Oberkörper leicht in Richtung seines Kontrahenten verlagert, sich Raum nimmt und sein Terrain „markiert“, ähnelt doch absolut der Körpersprache – dem Kommunikationsverhalten – von Hunden untereinander, die zum Beispiel den Anspruch auf ihren Knochen in dieser Art behaupten.

KOMMUNIKATION IST ALLGEGENWÄRTIG

Es ist ja kein Zufall, dass Mensch und Hund zueinander gefunden haben, Freunde, Partner, Lebensgefährten werden konnten. Uns verbindet nahezu die gleiche Körpersprache. Mit dieser Aussage könnte das Buch enden. Nur folgt jetzt das große Aber: Trotz der vielen Gemeinsamkeiten erleben wir in der Mensch-Hund-Beziehung zum Teil folgenschwere Missverständnisse. Den Ursachen dafür gehen wir auf den nächsten Seiten auf den Grund. Und wenn du magst, begibst du dich mit konkreten Übungen auf den Weg der Veränderung, damit die Kommunikation mit deinem Hund immer klarer, nachvollziehbarer, einleuchtender wird. Denn auch wenn du nicht weiter daran arbeitest: Kommunikation ist allgegenwärtig.

Menschen – oder besser Lebewesen – sind immer in Kommunikation, ob durch Sprache oder Körpersprache, ob durch Verhalten im Sinne von Taten oder Unterlassungen. Denn Kommunikation, so Watzlawick, findet sowohl verbal als auch nonverbal sowie bewusst als auch unbewusst statt. Da sich Lebewesen immer in irgendeiner Weise verhalten, stehen sie stets in Kommunikation. In neuerer Zeit hat sich in der Neurobiologie und in Kommunikationswissenschaften für dieses Phänomen der Begriff „verkörperte Kommunikation“ bzw. „embodied communication“ eingebürgert (www.socialnet.de/rezensionen/17842.php).

Solange wir uns zueinander verhalten, senden und empfangen wir Botschaften auf vielerlei Ebenen. Und Hunde lesen uns Menschen, sowohl wenn sie uns voll und ganz zugewandt sind als auch aus den Augenwinkeln, wenn sie vermeintlich dösend im Körbchen liegen.

Hunde sind perfekt in ihrer Körpersprache, während für uns Menschen unsere eigene Körpersprache oft gar nicht wahrnehmbar ist, allzu oft unbewusst bleibt. Das ABC der hündischen Körpersprache beherrschen wir Menschen manchmal auch nur lückenhaft, also ist es bestimmt sinnvoll, auf diesem Terrain dazuzulernen.

© Anna Auerbach/Kosmos

Vertrautes Miteinander macht vieles möglich.

DREI KS

Den beiden „Ks“ Körpersprache und Kommunikation will ich deshalb noch ein drittes „K“ zur Seite stellen: konstruktiv. Es geht mir (und ich gehe fest davon aus auch dir) darum, in konstruktive Gespräche mit dem Hund einzutreten. Häufig überwiegt beim Hundetraining der destruktive Teil, der Blick auf den Mangel, das Misslungene, den Missmut. Ja, auch diese Erfahrungen gehören zum Leben mit dem Hund dazu. Welche Beziehung bringt keine Konflikte mit sich? Gut ist es, daraus zu lernen und Missverständnisse aufzulösen. Vielleicht schaffst du es sogar, dabei in eine innere Haltung der Dankbarkeit zu kommen, dankbar für das Feedback, dankbar für ein konstruktives Gespräch, dankbar dafür, eine gute Lösung zu finden, auch wenn das viel Arbeit und Diskussionen mit sich bringen kann.

ZU|GE|WANDT

Das Stichwort „zugewandt“ ist das Partizip zu „zuwenden“.

Bedeutung: seine Aufmerksamkeit o. Ä. auf etwas richten; sich mit jemandem, etwas befassen, beschäftigen

Synonyme zu „zuwenden“: sich hindrehen, sich hinwenden, sich [eingehend/näher] befassen, sich [intensiv] beschäftigen

Quelle: Duden

AUF DEM WEG ZUM ZUGEWANDTEN HUND

© Anna Auerbach/Kosmos

© Anna Auerbach/Kosmos

SO SOLL’S WERDEN!

Der Hund bleibt zugewandt. Volle Orientierung am Menschen trotz Ablenkung durch Begegnung und Futter.

© Anna Auerbach/Kosmos

Was hilft, was stört?

Du willst einen Hund an deiner Seite, der sich bereitwillig an dir orientiert, sich dir vor allem in konfliktbehafteten Situationen vertrauensvoll zuwendet? Es ist nie zu spät, dafür eine gute Basis zu schaffen.

Voraussetzung für den Erfolg ist, kontinuierlich an den Grundlagen für Vertrauen und Verbindlichkeit zu arbeiten. Zentral dabei ist es, Nähe herzustellen. Dein Hund versteht, dass du und die Nähe zu dir ihm Schutz garantieren. So kannst du das Gemeinschaftsversprechen für deinen Hund nachvollziehbar machen. Er trägt das Verhaltensmerkmal, die Fähigkeit zu Kooperation und Gemeinschaft, das Wissen um Nähe als Schutzfaktor ohnehin in sich. Darauf kannst du aufbauen.

EHER STÖRENDE BEGLEITER

Perfektionismus. Verabschiede dich von diesem Anspruch. Er liefert die Anleitung zum Unglücklichsein stets ungefragt mit. Es kann gar nicht immer alles perfekt sein. Das Leben ist keine permanente Trainingssituation.

Intervention. Zu schnelle und/oder zu häufige Interventionen hemmen nicht nur Verhalten, sondern bremsen auch Kreativität und Kooperationsbereitschaft. Besser ist es, Verhalten auch mal zuzulassen.

EIN HILFREICHER BEGLEITER AUF DEINEM WEG

Achtsamkeit. Sie bedeutet, dich immer wieder in das Hier und Jetzt zurückzuholen, den Augenblick und seine Essenz zu erkennen.

KOOPERATIONSBEREITSCHAFT FÖRDERN

Um einen zugewandten Hund an deiner Seite zu haben, gilt es, seine Kooperationsbereitschaft zu fördern. Natürlich entwickelt sich die Zugewandtheit am besten, wenn du dabei seine Persönlichkeit und den Entwicklungsstand berücksichtigst. Aber jeder Hund kann ein gewisses Maß an Zugewandtheit erreichen. Dein Hund zeigt dir, ob du Regeln so definierst und erklärst, dass er sie versteht und sie umsetzen kann. Wenn er Nähe zu dir als Alternativverhalten zum Außenreiz begreift, kann er bei dir zur Ruhe kommen und dir entspannt zugewandt bleiben – Stress lass nach! Formulierst du auf für ihn verständliche Weise, was ihr aus diesem sicheren Hafen dann gemeinsam tun werdet, kann euer Zusammensein die Harmonie erreichen, von der du schon lange geträumt hast. Und dein Hund vielleicht auch, denn aus der Sicherheit heraus kann seine Freiheit größer werden. Behalte im Hinterkopf, dass wir in diesem Buch den Idealfall durchspielen – und das Leben immer mal wieder dazwischenkommen wird. Das gehört dazu, und erinnert dich daran, tolerant zu bleiben und diese Basisarbeit nie als erledigt anzusehen.

© Anna Auerbach/Kosmos

Die Nähe zum Menschen neu entdecken

Nah bei dir ist es schön!

Erkläre deinem Hund in kleinen Schritten, dass die Nähe zu dir angenehm ist und sie ihm Schutz bietet. Und wenn du selber sicher weißt, wohin euer gemeinsamer Weg führen soll, darfst du von deinem Gegenüber auf vier Pfoten das vertrauensvolle Mitgehen verlangen.

Lerne körpersprachlich zu formulieren, was du willst und dein Hund wird dir folgen. Du wirst verlässlich für ihn, er verlässt sich deshalb gern auf dich. So wird eure gegenseitige Verbindlichkeit gefestigt. Ich erkläre das gern so: „Lerne eine Geschichte so zu erzählen, dass dein Hund darauf brennt, mehr davon zu erfahren.“ Dann ist eure Gemeinschaft tragfähig, auch in Konfliktsituationen. Und der Wohlfühlfaktor wächst bei Mensch und Hund gleichermaßen spürbar, da sich beide aufeinander verlassen können.

SOZIALE GEMEINSCHAFTEN ALS VORBILD

Nehmen wir uns soziale Gemeinschaften von Wölfen und Hundegruppen als Vorbild. Bis etwa zum dritten, vierten Monat bleiben die jungen Wölfe/Hunde ganz nah im körperlichen Kontakt zu den erwachsenen Tieren und den Geschwistern. Sie schlafen, essen, ruhen in unmittelbarer Nähe der anderen. So wird die Grundlage für den Zusammenhalt der Gemeinschaft gelegt. Wird der sichere Unterschlupf verlassen, gilt das Gebot des Zusammenbleibens ebenso klar und eindeutig. Die Gemeinschaft sichert das Individuum. Diese Tatsache wird durch das gemeinsame Tun definiert. Jeder selbstständige Austritt eines Einzelnen aus der Gruppe stellt eine Gefahr für alle dar. Das Zusammenbleiben der gesamten Gruppe hat also stets höchste Priorität. Entfernt sich einer unaufgefordert von den anderen, wird er sanktioniert oder unterbrochen. Nur innerhalb eines vorgegebenen Raumes dürfen die Jungen sich frei bewegen.

Die soziale Gemeinschaft der Menschen war Jahrhunderte lang nahezu identisch aufgebaut. Inzwischen werden feste soziale Strukturen und stabile Gemeinschaften aber immer seltener. Die Sicherheit, dass Konflikte in der Gruppe sowohl ausgehalten als auch durch für alle verbindliche Regeln moderiert werden, kann dadurch verloren gehen. Führt das immer häufiger dazu, dass Trennung als die einfachste Lösung angesehen wird?

Hunde bringen uns Menschen dazu, alte und vielfach bewährte Gemeinschaftsstrukturen, die auf Vertrauen, Verlässlichkeit, Verbindlichkeit und Nähe im Sinne der Gemeinschaft basieren, wieder zu entdecken. Wenn der Mensch sich darauf einlässt, mit seinem Verstand und mit seinem Herzen, entsteht häufig bereits über diese Veränderung eine Vertiefung der Mensch-Hund-Beziehung.

Mein Bild dafür: die Tasse mit einem stabilen Henkel. Fühlt sich dein Zusammensein mit deinem Hund schon so an oder bringt der Hund die Tasse häufig zum Kippen, weil er die Nähe noch nicht als angenehm und existenziell wichtig erlebt hat? Um das Bild zu weiten: Wenn der Hund es schon in der Statik nicht schafft, dem Wunsch des Menschen zu folgen und ihm nah zu sein, wird es in der Entfernung oder bei Außenreizen mit Sicherheit nicht klappen.

Viele von uns lassen Hunde oft zu sehr gewähren. Wir geben großzügig oder unbedacht Freiräume, verzichten darauf, die Gemeinschaft gezielt zu stabilisieren. Lässt du deinen Hund im Schlafzimmer ruhen, wenn du im Wohnzimmer bist? Schon damit etablierst du Distanz statt Nähe und verbaust euch die Chance, eure Gemeinschaft zu stabilisieren. Erst wenn eine Verbindung fest geknüpft ist, wenn in dieser Verbindlichkeit innere Stabilität und Sicherheit wirken, dürfen Freiheit und Selbstständigkeit aufleben. Dann kann die Entdeckerfreude wachsen. Und das am besten zunächst gemeinsam, um zu festigen, dass in jedem Zweifelsfall die Rückversicherung und die Nähe beim Menschen die beste Lösung sind.

© Anna Auerbach/Kosmos

Einladung zum Rankommen

GEMEINSCHAFT BILDEN OHNE STRESS

Wohl jede Hundehalterin und jeder Hundehalter möchte den eigenen Hund im Konfliktfall so nah wie möglich bei sich haben. So nah soll er dann – gefälligst! – auch bleiben. Wenn die Gemeinschaft vorher nicht in stressfreien Zusammenhängen entwickelt und gefestigt wurde, ist diese Erwartung ehrlicherweise unrealistisch, wenn nicht sogar unverschämt. Unseren Kindern muten wir ja auch nicht zu, bei Tante Ernas 80. Geburtstags plötzlich perfekt mit Messer und Gabel zu essen, ohne es vorher ausreichend am häuslichen Esstisch geübt zu haben, oder?