Mein Dank gilt folgenden Personen: Zuallererst meiner besten Freundin Kim Wilkins, ohne deren Unterstützung ich das Buch nie angefangen, geschweige denn zu Ende geschrieben hätte.
Davin für seine Ausdauer, sein Mitgefühl und seinen unerschütterlichen Glauben an das Projekt.
Oliver dafür, dass er meine emotionalen Grenzen erweitert und mir meine Schreibhemmung genommen hat.
Meiner Familie: Warren, Jenny, Julia und ganz besonders meiner Mutter Diane, deren Mut, Großzügigkeit und Eleganz mich beeindrucken.
Herbert und Rita Davies, lieben Freunden, dafür, dass sie die besten Geschichten erzählen.
Meiner fantastischen Agentin Selwa Anthony, deren Engagement, Fürsorglichkeit und Können unübertroffen sind.
Selena Hanet-Hutchins für ihre Bemühungen in meiner Sache.
Den sf-sassies für ihre schriftstellerische Unterstützung.
Allen bei Allen & Unwin, vor allem aber Annette Barlow, Catherine Milne, Christa Munns, Christen Cornell, Julia Lee und Angela Namoi.
Julia Stiles dafür, dass sie die beste Verlegerin ist, die ich mir wünschen konnte.
Dalerie und Lainie für die Betreuung von Oliver (wurde je ein kleiner Junge so geliebt?) und dafür, dass sie mir ihre kostbare Zeit geschenkt haben.
Den wunderbaren Leuten bei Mary Ryan’s für ihre Liebe zu Büchern und ihren köstlichen Kaffee.
Für Informationen: Danke an Mirko Ruckels für seine Unterstützung beim Thema Musik und Oper, an Drew Whitehead für die Geschichte von Miriam und Aaron, an Elaine Rutherford für Informationen zum Thema Medizin, und an Diane Morton für ihre ausführliche Beratung in Sachen Antiquitäten, Kostüme und für ihren Fleiß und guten Geschmack.
Schließlich möchte ich noch Beryl Popp und Dulcie Connelly erwähnen. Zwei innig geliebte und schmerzlich vermisste Großmütter. Ich hoffe, ich konnte in Grace ein wenig von euch beiden vereinen.
Kate Morton wuchs in den Bergen im Südosten von Queensland, Australien auf. Sie hat Theaterwissenschaften und Englische Literatur studiert und promoviert zurzeit an der University of Queensland. Ihr Debütroman wurde in dreizehn Länder verkauft und eroberte mittlerweile ein Millionenpublikum. Weitere Romane der Autorin sind in Vorbereitung. Kate Morton lebt mit ihrem Mann und ihrem Sohn in Brisbane.
Heute Nacht werde ich sterben und damit ein neues Leben anfangen.
Ich erzähle es dir und nur dir. Du begleitest mich schon so lange bei diesem Abenteuer, und wenn man in den nächsten Tagen den See nach meiner Leiche absucht, die man nicht finden wird, sollst du wissen, dass ich in Sicherheit bin.
Wir fahren zuerst nach Frankreich. Wohin es von dort aus geht, weiß ich noch nicht. Vielleicht werde ich Nofretetes Büste zu sehen bekommen!
Ich habe dir einen zweiten, an Emmeline adressierten Brief aufs Bett gelegt. Es ist ein Abschiedsbrief für einen Selbstmord, der nie stattfinden wird. Sie muss ihn morgen früh finden. Auf gar keinen Fall früher! Pass auf sie auf, Grace. Sie wird schon zurechtkommen. Sie hat genug Freunde.
Ich möchte dich um einen letzten Gefallen bitten. Es ist von größter Wichtigkeit. Egal, was passiert, halte Emmeline heute Abend vom See fern. Robbie und ich werden von dort aus fliehen. Ich kann nicht riskieren, dass sie es erfährt. Sie wird es nicht verstehen. Noch nicht.
Ich werde mich später bei ihr melden, wenn die Gefahr vorüber ist.
Und nun zum letzten Punkt. Vielleicht hast du schon bemerkt, dass das Medaillon, das ich dir gegeben habe, nicht leer ist? Darin verborgen ist ein kleiner Schlüssel für ein Schließfach bei Drummonds auf der Charing Cross Street. Das Schließfach lautet auf deinen Namen, Grace, und alles, was es enthält, ist für dich. Ich weiß, dass du nicht viel von Geschenken hältst, aber bitte, nimm es einfach und such nicht nach Gründen. Ist es vermessen, wenn ich sage, es ist deine Eintrittskarte in ein neues Leben?
Leb wohl, Grace. Ich wünsche dir ein langes Leben voller Abenteuer und Liebe. Wünsch mir dasselbe …
Ich weiß ja, wie gut du ein Geheimnis für dich behalten kannst.
Die in Das geheime Spiel auftretenden Figuren sind ausnahmslos fiktiv, das Milieu, in dem sie sich bewegen, dagegen nicht. Das sozio-historische Umfeld, in dem der Roman spielt, hat mich schon immer fasziniert: Das neunzehnte Jahrhundert war gerade erst dem zwanzigsten gewichen, und die Welt, wie wir sie heute kennen, begann, Formen anzunehmen. Königin Victoria starb, und mit ihr wurden nicht wenige bis dahin unumstößliche Gewissheiten zu Grabe getragen; das aristokratische System fing an zu bröckeln, die Menschheit erlebte einen Krieg mit Schlachten nie da gewesenen Ausmaßes, und die Frauen begannen, sich von rigiden gesellschaftlichen Erwartungen zu befreien.
Um eine historische Epoche wiederaufleben zu lassen, die man selbst nicht miterlebt hat, muss man intensive Recherchen betreiben. Natürlich kann ich unmöglich jede einzelne Quelle auflisten, derer ich mich bedient habe, doch ich möchte gern einige davon erwähnen, ohne die das Buch wesentlich ärmer geblieben wäre. The Rare and the Beautiful von Cressida Connolly, 1939: The Last Season und The Viceroy’s Daughters von Anne de Courcy, Vita (Vita Sackville West – Eine Biographie) von Victoria Glendinning, The Mitford Girls von Mary S. Lovell, Life in a Cold Climate von Laura Thompson, und The Edwardian Country House, eine Fernsehserie auf Channel 4, haben mir ein lebhaftes Bild vom englischen Landhausleben zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts vermittelt.
Auf breiterer Ebene fand ich wertvolles Informationsmaterial in The Bronte Myth von Lucasta Miller, Voices from the Trenches: Letters to Home von Noel Carthew, The Theory of the Leisure Class (Theorie der feinen Leute) von Thorstein Veblen, Paris 1919 von Margaret MacMillan, Forgotten Voices of the Great War von Max Arthur, A History of London von Stephen Inwood, Yesterday’s Britain von Reader’s Digest, The Repression of War Experience von W. H. Rivers, Flapper Jane von Bruce Bliven, Moving Frontiers and the Fortunes of the Aristocratic Townhouse von F. M. L. Thompson, und auf Michael Duffys Website firstworldwar.com.
Außerdem erwiesen sich Sweet and Twenties von Beverley Nichols, Child of the Twenties von Frances Donaldson, Myself When Young (Ich möchte nicht noch einmal jung sein) von Daphne du Maurier, das Punch-Magazin und The Letters of Nancy Mitford and Evelyn Waugh, herausgegeben von Charlotte Mosley, lauter authentische Berichte über das literarische Leben in den Zwanzigerjahren, als reichhaltige Quelle. Erwähnen möchte ich weiterhin den Aufsatz »Life Below Stairs at Gayhurst House« von Esther Wesley, der auf der Website der Stoke Goldington Association zu finden ist. Für Informationen über die edwardianische Etikette habe ich wie zahllose junge Frauen vor mir The Essential Handbook of Victorian Etiquette von Professor Thomas E. Hill zurate gezogen sowie Manners and Rules of Good Society or Solecisms to be Avoided, im Jahre 1924 von »einem Mitglied der Aristokratie« veröffentlicht.
Darüber hinaus habe ich wertvolle historische Informationen verwertet, die in Romanen und Theaterstücken aus jener Zeit enthalten sind. Vor allem den folgenden Autoren fühle ich mich zu Dank verpflichtet: Nancy Mitford, Evelyn Waugh, Daphne du Maurier, F. Scott Fitzgerald, Michael Arlen, Noel Coward und H. V. Morton. Auch einige zeitgenössische Werke haben meine Begeisterung für die Zwanzigerjahre genährt: Remains of the Day (Was vom Tage übrig blieb) von Kazuo Ishiguro, Gosford Park von Robert Altman und natürlich die britische Fernsehserie Upstairs Downstairs.
Sowohl als Leserin als auch als Literaturwissenschaftlerin habe ich mich schon immer für Romane interessiert, die ebenso wie Nebelschwaden Metaphern aus der Gruselliteratur verwenden: die Überschattung der Gegenwart durch die Vergangenheit, die Hartnäckigkeit von Familiengeheimnissen, das Wiederauftauchen von allem Unterdrückten und Verdrängten, die zentrale Bedeutung von Erbschaft (sowohl materieller, psychologischer als auch physischer Art), das Misstrauen gegenüber neuer Technologie und sich ändernden Methoden, die ausweglose Situation von Frauen (physischer wie sozialer Art) und die damit einhergehende Klaustrophobie, parallele Identitäten, die Unzuverlässigkeit von Erinnerungen und der parteiische Charakter der Geschichte, Mysteriöses und Unsichtbares, vertrauliche Bekenntnisse und eingebettete Textstellen. An dieser Stelle möchte ich einige Beispiele nennen, falls einige unter meinen Lesern dieses Interesse teilen: The Chatham School Affair (Wer das Dunkel erblickt) von Thomas H. Cook, Possession (Besessen) von A. S. Byatt, The Blind Assassin (Der blinde Mörder) von Margaret Atwood, Half Broken Things (Des Hauses Hüterin) von Morag Joss und A Dark-Adapted Eye (Die im Dunkeln sieht man doch) von Barbara Vine.
Und schließlich, nachdem ich mir die Freiheit genommen habe, so viele Quellen und Interessen zu nennen, erkläre ich mich persönlich verantwortlich für sämtliche auftretenden Fehler und Irrtümer.
Endgültige Fassung, November 1998, Seiten 1 – 4
Nebelschwaden
Buch und Regie Ursula Ryan © 1998
Musik: Titelmelodie. Wehmütige Musik, wie sie um die Zeit des Ersten Weltkriegs populär war. Eine romantische Melodie, in der gleichzeitig etwas Unheilvolles mitschwingt.
Eine Landstraße, die an endlosen grünen Feldern vorbeiführt. Es ist 20:00 Uhr. Die Sommersonne zögert noch am fernen Horizont, als sträubte sie sich dagegen unterzugehen. Wie ein glänzender schwarzer Käfer gleitet ein Automobil der Zwanzigerjahre über die schmale Landstraße, fährt an alten Brombeerhecken vorbei, die im Abendlicht blau schimmern und deren Ranken über die Straße hängen.
Die Lichtkegel der Scheinwerfer wackeln, während das Auto über die holprige Straße fährt. Wir holen langsam auf, bis wir neben dem Wagen herfahren. Die Sonne ist inzwischen untergegangen, es ist Nacht. Der Vollmond wirft weißes Licht auf die dunkle, glänzende Kühlerhaube.
Im dunklen Innern des Wagens erkennen wir die Profile der Insassen: ein MANN und eine FRAU in Abendgarderobe. Der Mann sitzt am Steuer. Die Pailletten auf dem Kleid der Frau schimmern, wenn das Mondlicht darauf fällt. Beide rauchen, die orangefarben glühenden Spitzen ihrer Zigaretten bewegen sich im Takt mit den Autoscheinwerfern. Die FRAU lacht über etwas, das der MANN gesagt hat, wirft den Kopf zurück, sodass ihr blasser, schlanker Hals unter der Federboa zum Vorschein kommt.
Sie halten vor einem großen, schmiedeeisernen Tor, hinter dem eine von hohen Bäumen überschattete Allee zu sehen ist. Der Wagen biegt in die Einfahrt ein und fährt durch den dunklen Korridor aus Baumkronen. Wir schauen durch die Windschutzscheibe, bis das dichte Laub sich teilt und den Blick auf unser Ziel freigibt.
Vor uns auf einem Hügel erhebt sich ein herrschaftliches englisches Herrenhaus: drei Stockwerke mit jeweils zwölf spiegelnden Fenstern; Gauben und Kamine ragen aus dem Schieferdach. Im Vordergrund, mitten auf einem perfekt gepflegten Rasen, prangt ein großer marmorner, von Laternen beleuchteter Springbrunnen: riesige Ameisen, mächtige Adler und gewaltige feuerspeiende Drachen, dazwischen Wasserfontänen, die fast dreißig Meter hoch in die Luft schießen.
Wir behalten unsere Position bei und verfolgen, wie der Wagen ohne uns um den runden Brunnen herumfährt. Als er vor dem Hauseingang hält, öffnet ein junger DIENER die Wagentür und hilft der FRAU beim Aussteigen.
Untertitel: Riverton Manor, England. Sommer 1924.
Der warme, schwach beleuchtete Dienstbotentrakt von Riverton Manor. Eine Atmosphäre emsiger Betriebsamkeit. Wir befinden uns auf Knöchelhöhe und sehen die Beine der Dienerschaft in alle Richtungen über den grauen Steinboden eilen. Im Hintergrund knallen Champagnerkorken, werden Befehle erteilt, Küchenmädchen gescholten. Eine Glocke läutet. Immer noch auf derselben Sichthöhe folgen wir dem DIENSTMÄDCHEN in Richtung Treppe.
Wir folgen dem DIENSTMÄDCHEN die schwach beleuchtete Treppe hinauf; ein leises Klimpern verrät uns, dass ihr Tablett mit Champagnergläsern beladen ist. Mit jedem Schritt hebt sich unser Blick – von ihren schmalen Knöcheln zu ihrem schwarzen Rocksaum, weiter zu den weißen Spitzen der Schürzenschleife und hin zu den blonden Locken in ihrem Nacken – bis wir die Umgebung schließlich mit ihren Augen sehen.
Die Geräusche aus dem Dienstbotentrakt werden leiser, während die Musik und das Lachen der Gäste lauter werden. Am Ende der Treppe öffnet sich vor uns die Tür.
Gleißendes Licht, als wir die imposante, mit Marmor geflieste Eingangshalle betreten. An der Decke ein glitzernder Kronleuchter. Der BUTLER öffnet die Haustür, um das elegant gekleidete Paar aus dem Auto zu begrüßen. Ohne innezuhalten durchqueren wir die Eingangshalle und gehen zu der breiten, doppelflügeligen Glastür, die auf die Terrasse führt.
Die Glastüren öffnen sich. Musik und Lachen schwellen an: Wir befinden uns mitten in einer glamourösen Party. Eine Atmosphäre von Nachkriegsextravaganz: Pailletten, Federn, Seide, so weit das Auge reicht. Bunte chinesische Lampions schaukeln an einer über den Rasen gespannten Schnur im leichten Sommerabendwind. Eine Jazzband spielt, und Frauen tanzen Charleston. Wir bewegen uns durch die Menge lachender Gesichter. Sie wenden sich uns zu, nehmen ein Glas Champagner vom Tablett: eine Frau mit leuchtend roten Lippen; ein dicker Mann, dessen gerötetes Gesicht von Erregung und ausgiebigem Alkoholgenuss zeugt; eine magere alte Dame, über und über mit Schmuck behängt, eine lange Zigarettenspitze mit aufsteigenden Rauchkringeln in der knochigen Hand.
Plötzlich ertönt ein lauter KNALL, und alle Blicke richten sich nach oben, wo ein riesiges Feuerwerk den Nachthimmel erleuchtet. Freudenschreie und Applaus. Bunte Feuerräder spiegeln sich in den staunenden Gesichtern, die Kapelle spielt noch lauter, und die Frauen tanzen immer schneller.
Schnitt
Einen halben Kilometer weit entfernt steht ein JUNGER MANN am dunklen Ufer des Riverton-Sees. Im Hintergrund sind Partygeräusche zu hören. Der JUNGE MANN schaut in den Himmel. Wir nähern uns und sehen, wie das rote Licht des Feuerwerks auf seinem schönen Gesicht spielt. Obwohl elegant gekleidet, strahlt er etwas Wildes, Ungezähmtes aus. Sein braunes Haar ist zerzaust, fällt ihm in die Stirn und verdeckt beinah seine dunklen Augen, mit denen er in panischer Angst in den Nachthimmel starrt. Er senkt den Blick und schaut an uns vorbei zu jemandem hinüber, der im Schatten nicht zu erkennen ist. Seine Augen sind feucht, er wirkt plötzlich entschlossen. Seine Lippen öffnen sich, als wollte er etwas sagen, aber er seufzt nur.
Wir hören ein KLICKEN. Unser Blick geht nach unten. Der JUNGE MANN hält eine Pistole in der zitternden Hand. Er bewegt die Pistole aus unserem Gesichtsfeld heraus. Wir hören einen Schuss. Seine andere Hand, die an seiner Seite herabhängt, zuckt plötzlich und erstarrt dann. Der JUNGE MANN stürzt auf den schlammigen Boden am Seeufer. Eine Frau schreit, während die Partymusik weiterspielt.
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Abspann: »Nebelschwaden«
Ursula Ryan
Focus Film Productions
1264 N. Sierra Bonita Ave 32
West Hollywood, CA
90046 USA
Mrs Grace Bradley
Heathview Pflegeheim
64 Willow Road
Saffron Green
Essex, CB10 IHQ UK
27. Januar 1999
Sehr geehrte Mrs Bradley,
bitte verzeihen Sie, dass ich mich erneut an Sie wende, aber ich habe leider keine Antwort erhalten auf meinen letzten Brief, in dem ich Ihnen mein Filmprojekt »Nebelschwaden« vorgestellt habe.
Bei dem Film handelt es sich um eine Liebesgeschichte, die Geschichte des Dichters R.S. Hunter, um sein Verhältnis mit den Hartford-Schwestern und seinen Selbstmord im Jahr 1924. Zwar haben wir die Genehmigung erhalten, die Außenaufnahmen vor Ort in Riverton Manor zu drehen, werden die Innenszenen jedoch im Studio aufnehmen.
Viele Sets konnten wir anhand von alten Fotos und Beschreibungen rekonstruieren, aber ich würde sie gern von jemandem beurteilen lassen, der sie aus erster Hand kennt. Der Film liegt mir sehr am Herzen, und ich möchte um jeden Preis historische Ungenauigkeiten vermeiden, seien sie auch noch so gering. Ich wäre Ihnen also sehr zu Dank verpflichtet, wenn Sie sich bereit erklärten, sich den Set einmal anzusehen.
Ich habe Ihren Namen (Ihren Mädchennamen) auf einer Liste in einem von mehreren Notizbüchern gefunden, die dem Museum of Essex geschenkt wurden. Auf die Verbindung zwischen Ihnen und Grace Reeves bin ich nur gekommen, weil ich im Spectator ein Interview mit Ihrem Enkel Marcus McCourt gelesen habe, in dem er kurz die weit zurückreichende Verbundenheit seiner Familie mit dem Dorf Saffron Green erwähnt.
Beiliegend finden Sie einen kurzen Artikel aus der Sunday Times über meine bisherigen Filme, damit Sie sich ein Bild von meiner Arbeit machen können, sowie einen Artikel aus der LA Film Weekly über »Nebelschwaden«. Sie werden feststellen, dass es uns gelungen ist, eine Reihe hervorragender Schauspieler für die Rollen von Hunter, Emmeline Hartford und Hannah Luxton unter Vertrag zu nehmen, unter anderen Gwyneth Paltrow, die kürzlich für ihre Rolle in »Shakespeare in Love« einen Golden Globe erhalten hat.
Bitte verzeihen Sie mir meine Aufdringlichkeit, aber wir werden bereits Ende Februar in den Shepperton Studios nördlich von London mit den Dreharbeiten beginnen, und ich brenne darauf, Sie persönlich kennenzulernen. Ich hoffe sehr, Ihr Interesse für dieses Projekt geweckt zu haben, und würde mich freuen, wenn Sie uns Ihre Unterstützung zusagen könnten.
Sie erreichen mich unter folgender Adresse: Mrs Jan Ryan, 5/45 Lancaster Court, Fulham, London SW6.
Mit freundlichen Grüßen
Ursula Ryan
Letztes Jahr im November hatte ich einen Albtraum. Es war das Jahr 1924, und ich war wieder in Riverton. Alle Türen standen weit offen, seidene Vorhänge bauschten sich im Sommerwind. Ein Orchester spielte auf dem Hügel unter dem alten Ahornbaum. Schwungvolle Geigenmelodien, helles Lachen und das Klirren von Kristall erfüllten die warme Luft, und der Himmel erstrahlte in einem Blau, von dem wir alle geglaubt hatten, der Krieg hätte es für immer geraubt. Einer der Diener, adrett in Schwarz und Weiß gekleidet, goss Champagner in das oberste Glas eines Turms aus Sektflöten, und alle klatschten Beifall und amüsierten sich über diese köstliche Verschwendung.
Wie es oft in Träumen der Fall ist, konnte ich mich selbst zwischen den Gästen sehen. Ich bewegte mich sehr langsam, viel langsamer, als es in Wirklichkeit möglich ist, und nahm die anderen nur noch verschwommen als Meer aus Seide und Pailletten wahr.
Ich suchte jemanden.
Dann änderte sich das Bild, und ich befand mich in der Nähe des Sommerhauses, nur dass es nicht das Sommerhaus von Riverton war – das konnte es unmöglich sein. Es war nicht das nagelneue Haus, das Teddy selbst entworfen hatte, sondern ein alter Schuppen, umrankt von Efeu, das durch die Fenster hineinkroch und sich wie würgend um die stützenden Balken schlängelte.
Eine Frauenstimme, die ich erkannte, rief vom Seeufer hinter dem Haus meinen Namen. Als ich den Weg hinunterging, streiften meine Hände das Schilf. Am Ufer hockte eine Gestalt.
Es war Hannah in ihrem Hochzeitskleid, die am Oberteil applizierten Rosen waren mit Schlamm bespritzt. Sie blickte mit bleichem Gesicht zu mir auf. Als ich ihre Stimme hörte, lief mir ein eiskalter Schauer über den Rücken. »Du kommst zu spät.« Sie zeigte auf meine Hände. »Du kommst zu spät.«
Ich betrachtete meine Hände, junge, mit dunklem Flussschlamm bedeckte Hände; sie hielten den kalten, steifen Körper eines toten Jagdhundes.
Natürlich weiß ich, was den Traum verursacht hat. Es war der Brief von dieser Filmemacherin. Ich bekomme schon lange kaum noch Post: hin und wieder mal eine Urlaubskarte von pflichtbewussten Freunden, einen nichtssagenden Brief von der Bank, bei der ich ein Sparkonto unterhalte, eine Einladung zur Taufe eines Kindes, dessen Eltern, wie mir dann plötzlich bewusst wird, inzwischen selbst keine Kinder mehr sind.
Ursulas Brief war an einem Dienstagmorgen Ende November eingetroffen, und Sylvia hatte ihn mir ans Bett gebracht. Mit hochgezogenen Brauen hatte sie mit dem Brief in der Luft gewedelt.
»Post für Sie. Irgendwas aus den Staaten, nach den Briefmarken zu urteilen. Vielleicht von Ihrem Enkel?« Ihre linke Braue krümmte sich zu einer Art Fragezeichen, und sie senkte die Stimme zu einem heiseren Flüstern. »Schreckliche Sache. Einfach schrecklich. Dabei ist er doch so ein netter junger Mann.«
Während Sylvia seufzend den Kopf schüttelte, bedankte ich mich für den Brief. Ich mag Sylvia. Sie gehört zu den Wenigen, die hinter meinem faltigen Gesicht die Zwanzigjährige erkennen können, die noch immer in mir lebendig ist. Aber in ein Gespräch über Marcus lasse ich mich deswegen noch lange nicht von ihr verwickeln.
Als ich sie bat, die Vorhänge aufzuziehen, schürzte sie einen Moment lang die Lippen, dann ging sie zu einem ihrer anderen Lieblingsthemen über: das Wetter. Sie überlegte, wie groß die Wahrscheinlichkeit war, dass wir zu Weihnachten Schnee bekämen, und was für eine Katastrophe das für die alten, gebrechlichen Leute wäre. Ich antwortete auf ihre Fragen, war jedoch eigentlich mit dem Umschlag auf meinem Schoß beschäftigt, wunderte mich über die krakelige Schrift, die ausländischen Briefmarken, die zerknitterten Ecken, die darauf schließen ließen, dass der Brief einen langen Weg hinter sich hatte.
»Kommen Sie, ich lese Ihnen den Brief vor«, sagte Sylvia, während sie meine Kissen noch einmal aufschüttelte. »Dann können Sie Ihre Augen ein bisschen ausruhen.«
»Nein danke. Aber würden Sie mir bitte meine Brille reichen?«
Nachdem sie sich mit dem Versprechen verabschiedet hatte, noch einmal zurückzukommen und mir beim Anziehen zu helfen, sobald sie ihre Runde gemacht hatte, nahm ich mit meinen ständig zitternden Händen den Brief aus dem Umschlag, in der vagen Hoffnung, dass Marcus endlich wieder nach Hause kommen würde.
Doch der Brief war nicht von ihm. Er kam von einer jungen Frau, die einen Film über die Vergangenheit drehte. Sie wollte, dass ich mir ihre Kulissen ansah, dass ich mich an Dinge und Ereignisse erinnerte, die lange zurückliegen. Als hätte ich mich nicht mein Leben lang bemüht, all das zu vergessen.
Ich schenkte dem Brief keine weitere Beachtung. Ich faltete ihn sorgfältig wieder zusammen und steckte ihn in ein Buch, das zu Ende zu lesen ich längst aufgegeben hatte. Und dann atmete ich tief durch. Es war nicht das erste Mal, dass ich an das erinnert wurde, was Robbie und den Hartford-Schwestern auf Riverton widerfahren war. Einmal hatte ich das Ende eines Dokumentarfilms im Fernsehen gesehen, eine Sendung über Soldatendichter, die Ruth sich gerade anschaute. Als Robbies Gesicht auf dem Bildschirm erschien, darunter sein Name in geraden Buchstaben, lief ein Prickeln über meine Haut. Aber nichts passierte. Ruth zuckte nicht zusammen, der Sprecher fuhr fort, und ich trocknete weiter die Teller ab.
Ein anderes Mal entdeckte ich beim Studieren der Fernsehzeitschrift einen vertrauten Namen in einer Filmbeschreibung. Es ging um eine Sendung mit dem Titel »Siebzig Jahre britischer Film«. Mit klopfendem Herzen notierte ich mir die Uhrzeit, überlegte, ob ich es wirklich wagen würde, mir das anzusehen. Am Ende schlief ich während der Sendung ein. Emmeline wurde nur flüchtig erwähnt. Ein paar Fotos, von denen keins ihre wahre Schönheit zeigte, und ein Ausschnitt aus einem ihrer Stummfilme, The Venus Affair, in dem sie einen recht merkwürdigen Eindruck machte, hohlwangig und mit ruckartigen Bewegungen wie eine Marionette. Es gab keine Hinweise auf ihre anderen Filme, die beinahe einen Skandal ausgelöst hätten. Wahrscheinlich ist so etwas heute, in Zeiten der sexuellen Freizügigkeit, nicht mehr der Rede wert.
Ich war also durchaus schon mit solchen Erinnerungen konfrontiert worden, aber Ursulas Brief war etwas anderes. Zum ersten Mal seit über siebzig Jahren brachte jemand mich in Verbindung mit den Ereignissen, zum ersten Mal erinnerte sich jemand daran, dass eine junge Frau namens Grace Reeves in jenem Sommer auf Riverton gewesen war. Ich fühlte mich irgendwie verwundbar, ertappt und – schuldig.
Nein. Ich würde diesen Brief auf keinen Fall beantworten.
Und dabei blieb ich.
Aber dann passierte etwas sehr Merkwürdiges. Erinnerungen, die lange in den dunkelsten Ecken meines Unterbewusstseins geschlummert hatten, begannen durch Ritzen zu sickern. Bilder tauchten vor meinem geistigen Auge auf, so klar und frisch, als wäre nicht inzwischen eine halbe Ewigkeit vergangen. Und dann, nach den ersten vereinzelten Rinnsalen, kam die Sintflut: ganze Gespräche, wortwörtlich, mit allen Einzelheiten, Szenen, die wie Kurzfilme vor mir abliefen.
Ich wundere mich über mich selbst. Während mein Gedächtnis mich schon seit einigen Jahren oft schmählich im Stich lässt, stehen meine Erinnerungen an diese längst vergangenen Ereignisse klar und deutlich vor mir. Sie kommen immer häufiger, die Geister der Vergangenheit, und zu meiner eigenen Überraschung beunruhigen sie mich gar nicht sonderlich. Längst nicht so sehr, wie ich befürchtet hatte. Im Gegenteil, die Gespenster, vor denen ich ein Leben lang davongelaufen bin, haben inzwischen beinahe etwas Tröstliches, ich freue mich auf sie wie auf eine von diesen Fernsehserien, von denen Sylvia dauernd schwärmt, wenn sie sich beeilt, um mit ihrer Runde pünktlich zum Sendebeginn fertig zu sein. Ich hatte wohl ganz vergessen, dass unter all den düsteren Erinnerungen auch einige heitere wiederzuentdecken sind.
Als vergangene Woche der zweite Brief kam, in derselben krakeligen Handschrift und auf dem gleichen weichen Papier, wusste ich, dass ich ja sagen würde. Ich würde mir die Kulissen ansehen. Ich war tatsächlich neugierig, ein Gefühl, das ich schon lange nicht mehr empfunden hatte. Wenn man achtundneunzig Jahre alt ist, gibt es nicht mehr viel, worauf man neugierig sein kann, aber diese Ursula Ryan wollte ich kennenlernen, die Frau, die sie alle zum Leben erwecken will, eine Frau, die sich so leidenschaftlich für ihre Geschichte einsetzt.
Also schrieb ich ihr einen Brief, bat Sylvia, ihn für mich zur Post zu bringen, und wir verabredeten ein Treffen.