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Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe
1. Auflage 2014

ISBN 978-3-492-96188-2
© 2013 Piper Verlag GmbH, München
Umschlaggestaltung: Kornelia Rumberg
Umschlagmotiv: Diana Lawniczak
Datenkonvertierung: Fotosatz Amann, Memmingen

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Vorwort

Niemals habe ich daran gedacht, ein Buch zu schreiben, und es ist auch nicht so, als würden mir meine Arbeit als Palliativmedizinerin und der Familienalltag als Mutter dreier Söhne viel Muße lassen. Eines Tages jedoch rief mich Frau Rotter vom Piper Verlag an. Sie hatte den Film »Halt auf freier Strecke« von Andreas Dresen gesehen. Darin geht es um die Geschichte eines Mannes, der an einem Gehirntumor erkrankt und zu Hause sterben will. Die Rollen der verantwortlichen Mediziner in diesem Film waren mit echten Ärztinnen und Ärzten besetzt. Eine davon war ich. Meine Aufgabe war es, wie im wirklichen Leben, den Patienten palliativmedizinisch zu versorgen und ihm das Sterben zu Hause zu ermöglichen. Damit stand dieses Thema auf einmal im Licht der Öffentlichkeit.

Frau Rotter und ich verabredeten ein erstes Treffen. Sie wollte mehr wissen über meine Arbeit, meine Erfahrungen mit dem Sterben und den Sterbenden zu Hause, über die Angehörigen und deren Nöte sowie über die Hilfe und Beratung, die ich als Palliativmedizinerin leisten kann gegen die Schmerzen, die Komplikationen und die Angst. Denn genau das bedeutet Palliativmedizin: Wir versuchen nicht, zu heilen, was nicht zu heilen ist, wir lindern Schmerzen und Beschwerden und bemühen uns, den Patienten und ihren Angehörigen ihre Ängste zu nehmen. Davon, meinte Frau Rotter, sollte das Buch handeln.

Seit vierzehn Jahren begleite ich Sterbende und deren Familien, damit meine Patienten dort sterben können, wo sie gelebt haben. In meinem Beruf habe ich fast ausschließlich mit Krebskranken zu tun. Die Palliativmedizin ist aus der Onkologie hervorgegangen, der Erkenntnis folgend, dass eine Chemotherapie ab einem gewissen Stadium medizinisch sinnlos ist. Man kann gegen das Krebswachstum nichts mehr tun. Es geht nicht länger darum, ob der Patient stirbt, sondern nur noch um die Frage, wie. Und palliativmedizinische Dienste wie »Home Care Berlin« ermöglichen es ihm, sich für ein Sterben zu Hause zu entscheiden. Sie bilden Netzwerke zur ambulanten Versorgung, und sie vermitteln spezialisierte Pflegekräfte und Palliativmediziner wie mich.

Sterben ist ein sehr intimer Prozess. Jeder unheilbar Kranke ist unsicher und voller Angst. Er wünscht sich vor allem Ruhe und Geborgenheit, die er am besten in seiner vertrauten Umgebung findet. Fast jeder Mensch möchte sein Lebensende zu Hause verbringen, im Kreis seiner Familie, seiner Freunde oder auch allein. Fast jeder möchte so sterben, wie er gelebt hat.

Doch das Sterben wurde in den letzten Jahrzehnten immer weiter ausgelagert und versteckt. Es findet meist nicht mehr zu Hause statt, sondern in der Anonymität von Krankenhäusern und Pflegeheimen. Obwohl wir wissen, dass es früher oder später jeden von uns trifft, klammern wir es aus unserem Leben aus. Meist ist es nicht die Angst vor dem Tod, die uns an der Auseinandersetzung damit hindert, sondern die Angst vor dem Weg dorthin: vor den Schmerzen und Qualen, dem Alleingelassensein in einer Institution mit fremden Menschen, denen man sich ausgeliefert fühlt. Es ist die Angst vor dem Verlust jeglicher Selbstbestimmung und individueller Würde, vor dem Warten auf den Tod als letzten Gnadenakt. Zumindest diese Angst, nur noch eine Nummer in der medizinischen Maschinerie zu sein, kann uns das Sterben zu Hause nehmen.

Um aber unser Sterben so zu gestalten, wie es uns entspricht, müssen wir darüber reden. Wir müssen lernen, das Sterben zu einem unserer Lebensthemen zu machen. Nur wenn wir unsere Wünsche und Vorstellungen auch mitteilen, wissen unsere Angehörigen und Freunde, wie sie in unserem Sinne reagieren sollen, wenn es so weit ist. Wir selbst sind dafür verantwortlich, dass an unserem Lebensende Menschen da sind, die sich um uns kümmern. Ein Leben, das ohne Rücksicht auf andere Menschen geführt wurde, in dem es wenig Liebe, Fürsorge und echte Freundschaft gegeben hat, wird meist auch ein einsames Ende nehmen. Gerade im Sterben braucht man tragfähige soziale Bindungen. Das ist oft die Familie, aber es können auch enge Freunde sein, die in unserer Zeit häufig an die Stelle von nicht vorhandenen oder weit entfernt lebenden Familienmitgliedern treten. Ein riesiger Bekanntenkreis bedeutet jedoch nicht, dass man am Lebensende auf ihn bauen kann. Das Sterben entlarvt jede Art von Oberflächlichkeit.

Beim Schreiben dieser Geschichten aus meiner palliativmedizinischen Praxis kamen mir oft die Tränen. Ich habe jede Sterbebegleitung noch einmal durchlebt. Manchmal dachte ich, ich könnte nicht weiterschreiben, weil es so viel Kraft kostete, mich diesen Erfahrungen vom Leben und Sterben wieder zu stellen. Es sind tröstliche, manchmal auch weniger tröstliche Geschichten. Sie beschreiben mit größtmöglicher Ehrlichkeit den Sterbeweg sehr verschiedener Menschen. Nicht jede Geschichte hat ein versöhnliches Ende, so wie nicht jedes Leben eines hat. Doch in allen Geschichten wird deutlich, dass das Sterben leichter ist, wenn man Menschen um sich herum hat, die bereit sind, diesen letzten Weg mitzugehen, weil sie einen Teil des Lebens mitgegangen sind. Die Liebe zu einem Menschen lässt einen vieles ertragen, auch, dass man in der Sterbebegleitung manchmal an das Ende seiner Kräfte gerät. Denn selbst in den Momenten der Unruhe, der Krisis, erkennt man den Menschen, den man liebt, und denkt oft in schwierigen Phasen: »Ja, so ist er immer gewesen, so kenne ich ihn …«

Sicher gibt es manchmal Krankheitsverläufe, die ein Sterben zu Hause erschweren oder verhindern. Manchmal ist es gut zu wissen, dass als letztes Mittel die Möglichkeit einer Einweisung in ein Hospiz oder ein Krankenhaus besteht. Doch die meisten Menschen sterben ohne große Komplikationen in Ruhe und Frieden, wenn die palliativmedizinische Versorgung gewährleistet ist. Man muss sich nur trauen, dieses Wagnis einzugehen. Hat man sich dafür entschieden, wird man überrascht sein, wie viele Menschen zu helfen bereit sind. Wer offen über das Sterben redet, trifft in der Regel auch auf Offenheit bei seinen Mitmenschen. Darauf vertraue ich auch, wenn ich dies schreibe und nach Worten suche für diese sehr persönlichen Begegnungen, die mich durch meine Arbeit und mein Leben begleiten.

Also doch ein Buch! Es enthält Geschichten vom Sterben in den unterschiedlichsten Facetten – so vielfältig wie die Personen, denen sie sich widmen. Keinem meiner Patienten ist der Schritt von der stationären Behandlung im Krankenhaus in die palliativmedizinische Versorgung zu Hause leichtgefallen. Jeder Angehörige hatte anfangs seine eigenen kleinen oder großen Schwierigkeiten. Doch die meisten blicken heute gern auf diese Zeit zurück, dankbar dafür, dass ein geliebter Mensch sich ihnen anvertraut hat, und stolz darauf, dass sie ihm das Gefühl geben konnten, als Individuum respektiert zu werden bis zuletzt. Die Sterbebegleitung hat ihnen etwas gegeben, was sie nicht missen möchten. Und sie hat ihnen nicht zuletzt die Angst vor dem eigenen Sterben genommen.

Diese sich immer wieder bestätigende Erfahrung hat mich beim Erzählen der Geschichten geleitet. Es sind Geschichten gegen die Angst, Geschichten der Zuversicht, dass sich auch schwierigste Situationen gemeinsam bewältigen lassen. Meine Hoffnung ist, dass vielleicht der eine oder andere Leser in diesen Geschichten ein Stück von sich selbst wiederfinden kann und den Mut fasst, im eigenen Familienkreis über das Sterben zu Hause zu sprechen.

Ich konnte diese Geschichten nur mit der Unterstützung eines Autors schreiben. Vor meinem ersten Zusammentreffen mit John von Düffel war ich sehr skeptisch, ob es funktionieren würde. Ich bin kein Kopfmensch, bei mir muss die emotionale Seite stimmen, zumal bei diesen Geschichten, die meine Gedanken, meine Gefühle und einen wichtigen Teil meines Lebens beinhalten.

John von Düffel ist ein Mensch und Autor, dem ich mich öffnen konnte. Durch seine ruhige, wohlwollende Art schaffte er einen Raum, in dem ich mir alles von der Seele reden konnte, weil ich wusste, dass da einer saß, der mich verstand. Er verstand mit seinem Herzen, was ich ausdrücken wollte, ohne lange Erklärungen. Und er gab mir immer wieder den Mut, weiterzuschreiben. Ohne ihn wäre dieses Buch nie entstanden. Fast bin ich traurig darüber, dass es nun geschrieben und unsere Zusammenarbeit damit beendet ist. Es war für mich eine fruchtbare Zeit, denn die Bedeutung vieler Geschehnisse wurde mir erst durch die gemeinsame Arbeit an diesen Geschichten bewusst.

Petra Anwar