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Mit einem Vorwort von Teresa Bücker
Aus dem Schwedischen von Regine Elsässer
Der Verlag dankt dem Swedish Arts Council für die Förderung dieser Übersetzung.
Der Auszug aus dem Gedicht im Kapitel »Eines Tages werde ich in den Hafen einlaufen« ist folgendem Band entnommen: Marianne Brentzel, Anna O. – Bertha Pappenheim: Biographie, Wallstein Verlag, 2002. S. 153, bereits vergriffen.
© Malin Lindroth 2018
Titel der schwedischen Originalausgabe:
»Nuckan«, Nordstedts, Stockholm 2018.
© der deutschsprachigen Ausgabe:
Piper Verlag GmbH, München 2020
In Zusammenarbeit mit Nordstedts Agency.
Covergestaltung: FAVORITBUERO, München
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Die Geschichte von Jessie Gallan, die bis ins hohe Alter von 109 Jahren als eine der ältesten Frauen in Schottland gelebt hat, wird auch nach ihrem Tod 2015 in sozialen Netzwerken immer wieder geteilt: Das Geheimnis ihres langen Lebens sei gewesen, sich von Männern fernzuhalten, erzählte sie in einem Zeitungsinterview. Das Leben als alte Jungfer: ein Jungbrunnen! Wenn Menschen von ihren Lebensmodellen erzählen und damit Zuhörer*innen finden wollen, dann müssen es Geschichten von bewussten Entscheidungen sein oder zumindest solche, in denen die Umstände, die ihr Leben prägten, schließlich einen Sinn ergaben. Die erfolgreich machten oder glücklich. Wer sich von Männern fernhält, wird beinahe unsterblich, so die Weisheit dieser schottischen Dame. Welche heterosexuelle Frau könnte über diesen Tipp nicht lachen und darin nach einem Funken Wahrheit suchen? Aber ist das die Wahrheit für alle Frauen?
Die Single-Bücher, die Frauen heute für andere Frauen schreiben, erzählen vom Glück ohne Partner, von Unabhängigkeit als größtem Wert. Sie stehen in der Tradition des »Choice Feminism«, ein Pseudofeminismus, der alle Entscheidungen, die Frauen selbstbestimmt fällen, als feministisch labelt: sich die Brüste vergrößern zu lassen, Hausfrau zu sein, Verteidigungsministerin zu werden oder eben keine Beziehung zu führen. Die Geschichten rund um selbstbewusste Entscheidungen wollen Zweifel ausräumen und die Gewissheit vermitteln, das Richtige getan zu haben. Malin Lindroth erzählt jedoch in ihrem Essay Ungebunden eine andere Geschichte, und von dieser kann der liberale Feminismus lernen.
Das Problem am Choice-Feminismus ist: Er übersieht, dass zum einen nicht jede Entscheidung feministisch ist, nur weil sie von einer Frau getroffen wird. Frauen können mit ihren Entscheidungen die Diskriminierung anderer verstärken, während lediglich sie selbst oder eine kleine Gruppe davon etwas haben. Frauen werden nicht solidarisch geboren. Außerdem sind unsere Entscheidungen viel weniger frei, als die meisten glauben. Die Entscheidungen, die Menschen treffen, ergeben sich aus ihren Lebensumständen. Die Dinge, über die wir überhaupt entscheiden können, sind limitiert – durch konkrete Optionen und den eigenen Vorstellungshorizont. Oft entscheidet das Leben für uns, ohne dass wir es merken.
Haben wir einen freien Willen? Schönheitsoperationen eignen sich als Beispiel, um darüber nachzudenken, wie frei wir tatsächlich sind. Oberflächlich betrachtet bieten kosmetische Operationen eine neue Freiheit, um sich von etwas Belastendem zu lösen und über den eigenen Körper zu entscheiden. Das feministische »My body, my choice«, der Slogan des Kampfes um das Recht auf Schwangerschaftsabbruch, wird hier übertragen auf die Gestaltung des eigenen Aussehens. Schönheitsoperationen werden schon lange umgedeutet zu etwas, das nichts mit den Erwartungen anderer zu tun haben soll. Man tue das allein für sich selbst, heißt es dann. Doch wie selbstbestimmt ist es, sich ohne Not unters Messer zu legen? Gäbe es ästhetische Chirurgie in einer Welt, in der ein attraktives Äußeres keinen Einfluss auf die soziale Position hätte? In einer Welt, die ohne rigide Schönheitsnormen auskäme? Die vermeintlich freie Entscheidung für eine andere Nase ergibt sich also erst aus dem gesellschaftlichen Kontext, der vermittelt hat, dass solch ein Körper erstrebenswert ist, weil er Vorteile verspricht. Diejenigen, die dem Schönheitsideal nicht entsprechen, denken schließlich, sie seien ein Fehler der Natur. In einer Welt, in der Schönheit hingegen freier definiert wäre, müssten Menschen sich nicht entscheiden, ob und wie sie ihren Körper verändern wollten. Sie müssten nicht einmal Zeit darauf verschwenden, darüber nachzudenken. Es ist nicht feministisch und selbstbestimmt, ein von außen gesetztes Ideal zu akzeptieren.
Ein Ideal, das Feminist*innen ebenso hinterfragen sollten, ist das Singleleben als persönliches »Empowerment«. Denn solange Singles ihr Lebensmodell als empowered beschreiben müssen, müssen sie sich auch dafür rechtfertigen, von einem anderen Leben abgewichen zu sein. Man kann nach wie vor nicht einfach alleine leben, ohne eine gute Erklärung dafür zu haben. Die fehlende Partnerschaft wird nur dann von der Gesellschaft übersehen, wenn an ihre Stelle etwas anderes Großes getreten ist, für das sich die Person stattdessen entschieden hat. Sie darf keine seltsame alte Dame mit Katzen sein. Andere müssen zu ihr aufschauen wollen. Die feste Beziehung oder Familie als Indiz für ein gelungenes Leben verlieren zwar an Bedeutung, doch um ein gelungenes Leben als alleinstehender Mensch vorzuweisen, muss dieses maximal selbstbestimmt sein. Alleinstehende müssen »Überzeugte« sein, unverwundbar, die Sehnsucht nach etwas anderem abgelegt haben. Sie müssen selbstbewusste, charismatische, unabhängige Singles sein. Entscheidungsstark. Ihr Stereotyp liest sich wie eine Jobanzeige voller leerer Buzzwords. Mit der Realität von Alleinlebenden hat das wenig zu tun.
Moderne Wahlfreiheit heißt also: Du musst dich entscheiden. Dinge geschehen zu lassen ist out. Doch unsere Wahlmöglichkeiten sind nicht nur durch das kulturelle Phänomen beschränkt, dass man nur innerhalb eines sozial vorgeformten Spektrums entscheiden kann. Die Möglichkeiten, überhaupt zu entscheiden, sind auch noch ungleich verteilt. Manchen Menschen stehen mehr Möglichkeiten offen als anderen. Hätten wir uns nicht alle ausgesucht, in einem wohlhabenden Land geboren worden zu sein, von liebevollen, gut aussehenden Eltern, wenn wir nur gekonnt hätten? Würde sich jemand aussuchen, zu einer diskriminierten Gruppe zu gehören, damit das Leben anstrengender wird? Wie viele Menschen wünschen sich wirklich, bis ins hohe Alter allein zu leben und auf Liebe zu verzichten? Die Wahl zu haben ist selten Ergebnis harter Arbeit, sondern geht einher mit Privilegien, die Menschen von Geburt an haben, die ihnen zugefallen sind, und sehr viel Glück. Daher muss die feministische Reflexion über unterschiedliche Lebenskonzepte beinhalten, dass viele davon nicht Ergebnis einer selbstbestimmten Entscheidung sind und dass sie sich oftmals auch nicht völlig verändern lassen. Die Welt wird nicht gerechter und lebenswerter, wenn Menschen einander erzählen und am Ende glauben, man habe in jeder Lebensfrage die Wahl. Nicht alle Sehnsüchte, die Menschen haben, lassen sich als Recht erkämpfen. Ob jemand Liebe findet, ist keine Frage der Gerechtigkeit.
»Im neoliberalen Choice-Paradigma«, so schreibt die Philosophin Heather Widdows in ihrem Buch Perfect Me, sei »wenig Raum dafür da, bedauerliche Entscheidungen anzuerkennen, oder für Entscheidungen, die getroffen wurden, obwohl man sich eigentlich andere Wahlmöglichkeiten gewünscht hätte«. Malin Lindroth erzählt in Ungebunden davon, wie es ist, wenn das Leben immer wieder Entscheidungen trifft, die dem eigenen Wunsch widersprechen. Von Möglichkeiten, die nicht vorhanden waren und die keine noch so große Anstrengung zutage fördern konnte. Sie lebt unfreiwillig allein.
Dass Malin Lindroth ihre Geschichte der glücklosen Suche nach Nähe erst mit über fünfzig aufgeschrieben hat, muss als kritischer Hinweis an die Menschen gelesen werden, die sich als Teil einer aufgeklärten, offenen Gesellschaft verstehen. Denn das Bekenntnis dazu, alleine zu leben und dies zu bedauern, hat die letzten zehn Jahre wenig in den Diskurs gepasst. Schmerz muss eleganter sein. In einer Gesellschaft, in der in ohrenbetäubender Lautstärke erzählt wird, dass es an jeder Person selbst liege, das Beste aus ihrem Leben zu machen, dass, wenn sie sich nur genug anstrenge, alles gelingen könne, in solch einer Gesellschaft ist es kaum möglich, diese Dinge nicht selbst, wenigstens ein bisschen, zu glauben. Wer kann, optimiert sich – und behauptet, das tue sie oder er freiwillig. Für sich selbst. Die schlimmste aller Lügen der Selbstoptimierungsgesellschaft ist, dass, wenn es dem Herzen an etwas fehle, genügend Selbstliebe auch diesen Schmerz lindern könne. Es gehört Mut dazu, sich diesem Paradigma ausgerechnet beim Thema Partnerschaft entgegenzustellen und den kursierenden Rezepten für das Finden einer Liebe eine Absage zu erteilen. Denn wir richten viel von unserem Leben danach aus, geliebt zu werden. Aber das funktioniert nicht für alle, erinnert Malin Lindroth ihre Leser*innen.
Das Singleleben war und ist insbesondere für Frauen emanzipatorisch, doch in der Empowerment-Version bewirkt es das Gegenteil. Das öffentliche Bild des starken Singles macht nicht freier. Die Menschen jedoch, die sich mit dieser Version nicht identifizieren wollen, müssen sich auf die Suche danach machen, wer und was sie sind, wo sie ihren Platz haben, wo ihr Dasein als Alleinlebende Anerkennung erfahren wird. Wo sie facettenreich sein dürfen.
Malin Lindroth hat diesen Raum eröffnet mit der Rückeroberung eines Begriffs, der zunächst rein gar nicht feministisch ist. Denn die alte Jungfer definiert die Frau, die so genannt wird, als eine Person, der vermeintlich etwas fehlt: Sie war nie verheiratet. »Sie hat keinen abbekommen«, »Er hat keine abbekommen«, so spricht man über Frauen und durchaus, wie Lindroth schreibt, auch über Männer. Im Englischen existiert für diese Eigenschaft, die alten Jungfern fehlt, der Begriff marriage material. Wenn Sie einmal kurz innehalten und nachdenken, was Sie mit diesem Begriff assoziieren, wird vermutlich klar, dass sich hinter diesem Begriff tatsächlich eine kulturelle Vorstellung davon verbirgt, was eine Person zu einem Menschen macht, der für eine Ehe infrage kommt. Noch immer. Manche Menschen können wir uns in einem Hochzeitskleid vorstellen, andere bleiben immer daneben stehen: als Brautjungfer, schließlich als alte Jungfer. Welche Wertung steckt in dem Urteil, eine Person tauge zwar für eine Affäre, jedoch nicht für eine langfristige Beziehung? Was erzählt es über unser Menschenbild, dass diese Urteile tatsächlich oft und schnell getroffen werden? Und warum traf es Malin Lindroth so häufig, dass sie die Affäre war, die ihr Liebhaber zwar führte, die er aber lieber versteckte?
Lindroths Text adressiert die feministische Sensibilität: den Blick um uns herum, stets offen für die Realitäten anderer. Das Vorstellungsvermögen, dass andere Menschen eine ähnliche Erfahrung völlig anders erleben. Das Wissen, dass man das Leben und die Empfindungen anderer erst verstehen kann, wenn man ihnen zuhört. Wie viele unterschiedliche Geschichten von allein lebenden Menschen kennen wir wirklich? Kennen Sie eine alte Jungfer? Eine Person, die sich nach Liebe gesehnt hat, aber keine fand? Eine Person, die eine andere Entscheidung getroffen hätte, hätte sie nur gekonnt?
Man könnte den Begriff der alten Jungfer vorschnell ablehnen als etwas, das zu sehr Bezug auf ein sexistisches Weltbild nimmt und den Wert einer Frau in Abhängigkeit eines männlichen Urteils definiert. Dann wäre sie ein Opfer. Das Label würde ein ähnliches Missverständnis auslösen wie das Hashtag #metoo, das von den Menschen, die darunter ihre Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt teilten, keineswegs dazu genutzt wurde, fortan mitleidig getätschelt zu werden. Sie wollten Respekt. Für Malin Lindroth drückt ihre neue Selbstbezeichnung etwas Ähnliches aus: Es ist ein relevanter Aspekt ihrer Lebenserfahrungen, der hier zum Ausdruck kommt und den sie nicht mehr verstecken will. Auch #metoo steht dafür, eine relevante Erfahrung ans Licht zu bringen, um die Personen, die sie gemacht haben, besser verstehen zu können. Schließlich die Summe ihrer Erlebnisse zu sehen, nicht nur die leichten, glänzenden, über die man gemeinsam lacht. Setzt man sich also über die Opfer-Zuschreibung hinweg, die besonders Frauen so schnell trifft, lädt der Begriff der alten Jungfer dazu ein, genau hinsehen zu wollen und sich für eine weitere weibliche Lebenserfahrung zu interessieren. Wer alle Frauen als Menschen sieht, muss im Begriff der alten Jungfer kein trauriges Schicksal sehen, sondern eine relevante Erfahrung, über die gesprochen werden kann und die kein Tabu sein muss. Sowohl hinter #metoo als auch hinter dem Schreiben über die alte Jungfernschaft verbirgt sich das feministische Anliegen, Menschen in ihrer Komplexität sehen zu wollen: Wir dürfen verletzlich sein und gleichzeitig stark. Daher ist Malin Lindroths Text fordernd: Ihr geht es nicht darum, tröstend in den Arm genommen zu werden. Ihre Geschichte ist nicht tragisch.