Weniger ist mehr – dies wird für immer mehr Menschen zum Leitspruch für die eigenen vier Wände. Tiny Houses und Minimalismus sind Trend. Ob Mini-, Mikro- oder Kleinhaus, Wohnwürfel, ausgebauter Bauwagen oder Austragshaus, ob aus der Not geboren oder freie und bewusste Entscheidung: Der Verzicht auf viel Platz und viele Sachen ist befreiend und macht glücklich. Die BR-Journalistin Julia Seidl hat 10 Menschen besucht und erzählt, wie sie den Weg in ihr jeweiliges (kleines) Zuhause fanden. Der preisgekrönte Fotograf Stefan Rosenboom liefert Bilder dazu und fängt damit die besonderen Stimmungen ein, wie erfülltes Leben auf kleinem Raum aussehen kann. Einfach faszinierend.
JULIA SEIDL
KLEINES ZUHAUSE
GROSSE FREIHEIT
Erfüllt leben auf weniger Raum
10 Porträts minimalistischer Lebensmodelle
Mit Fotos von Stefan Rosenboom
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Originalausgabe 5/2019
Copyright © 2019 by Ludwig Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Redaktion: Angelika Lieke
Umschlaggestaltung: Eisele Grafik·Design, München
Umschlagfoto Cover: © Daniel J. Glasl;
Umschlagfoto Rückseite: © Stefan Rosenboom
Satz: Schaber Datentechnik, Austria
ISBN: 978-3-641-23223-8
V002
www.Ludwig-Verlag.de
VORWORT
BETTINA – HANDWERKERIN MIT FANTASIE
28 m2, Schiffscontainer
REINHARD – BOOTSBAUER MIT VISION
12,5 m2, Tiny House
MICHAEL – EREMIT AUF ZEIT
25 m2, Scheune
NICKI – NEUSTART IM »FAST HOUSE«
46 m2, Modulhaus
CORINNA UND THERESA – BÜFFELN IM CONTAINER
7 m2, Mini-Wohnwürfel
BERTHOLD – LEBEN OHNE ADRESSE
6 m2, Kiste
MARIA – MIT LIEBE ZUM DETAIL
85 m2, Kleinbauernhaus
ANDI – REBELL MIT PLAN
28 m2, Lifthütte
KATHARINA UND JOSEF – GROSSFAMILIE UNTER ZWEI DÄCHERN
75 m2, Austragshaus
SELBSTVERSUCH MIT »MAX«
15 m2, Tiny House
BILDTEIL
Es gibt Themen, die einen Journalisten durch sein berufliches Leben begleiten wie ein roter Faden, wie ein treuer Hund, der ihm nie von der Seite weicht. Ich habe mich in meiner Laufbahn zielsicher immer wieder mit Menschen beschäftigt, die im landläufigen Sinne arm sind, extrem wenig Dinge besitzen oder auf besonders kleiner Fläche wohnen. Vor fast 20 Jahren zum Beispiel habe ich einen Dokumentarfilm über eine bescheidene alte Frau mit Namen Resi gedreht, die eine besondere Begabung hatte: wunderschöne filigrane Sterne aus einem speziellen Gras zu basteln. Als »einschichtige Frau« – wie man in Bayern zu Alleinstehenden sagt – lebte sie in einem Kleinbauernhaus mit nur zwei Zimmern. Ihre winzige Küche, ausgestattet mit einem quadratischen Tischchen und einem alten Kanapee, war gleichzeitig auch ihr Ess- und Wohnzimmer. In diesem Raum kochte und aß sie, schrieb Briefe und bastelte ihre Sterne – immer mit Blick auf eine weiß-blaue Lourdes-Madonna aus Gips, die von ihr sehr verehrt wurde. Nur eine Holztüre trennte dieses multifunktionale Zimmer vom Stall, wo sie täglich ihre drei Ziegen molk. Im Erdgeschoss dürfte die Resi insgesamt nicht mehr als 25 Quadratmeter zur Verfügung gehabt haben. Im Obergeschoss, am Ende einer uralten, etwas abenteuerlichen Holztreppe, hatte sie noch ein nicht beheizbares Schlafzimmer, das wir als Fernsehteam aber nie betreten durften. Resis Haus war winzig, geradezu ärmlich. Für sie alleine reichte es, aber einst hatte sie dort auch mit ihren Eltern zusammengewohnt. Wie das gehen konnte, ist mir heute noch schleierhaft.
Schon damals hat mich der einfache Lebens- und Wohnstil und die Reduzierung auf das Wesentliche fasziniert. So sehr, dass ich immer nach Menschen gesucht habe, die sich freiwillig von ihrem Besitz lösten und meistens auch auf kleiner Wohnfläche lebten. Diese jahrelange Suche brachte mich bei eisigen Minustemperaturen in den alten Lieferwagen von Paula, den sie selbst ausgebaut hatte und mit dem sie auf dem Wagenplatz von »Stattpark Olga« in München lebte. An einem frischen sonnigen Frühlingsmorgen landete ich bei Michael, dessen Saison als »Teilzeit-Eremit« in einer alten Scheune gerade begann. Heiße Sommernachmittage verlebte ich bei dem Besitzer eines Schäferwagens, der damit alleine quer durch Deutschland fuhr, um den Unfalltod seines Sohnes zu verarbeiten. All diese Menschen habe ich zu einer Zeit porträtiert, als in Deutschland noch niemand von Tiny Houses sprach.
Da ich als Journalistin gerne dem Zeitgeist nachspüre – mit langen Dokumentationen über Urban Gardening, Wildpflanzen oder die Situation der Bienen –, begegnete mir schon sehr früh das Thema »Tiny Houses« oder »Small House Movement«. Vor sechs Jahren war das noch ein Trend, der mich sofort neugierig machte. So war ich die erste Journalistin im Bayerischen Rundfunk, die Filme über Tiny-House-Besitzer machte. Ein schwieriges Unterfangen: Denn damals war es nicht ganz einfach, Protagonisten zu finden, die schon in Tiny Houses wohnten. Und wenn, dann wollten sie nicht in den Medien erscheinen, da sie meist illegal oder nur geduldet ihre Wagen aufgestellt hatten. »Wenn das rauskommt« oder »Das darf keiner sehen« – diese Sätze habe ich auf der Recherche allzu oft gehört.
Die Menschen, die in diesem Buch wie in einem bunten Blumenstrauß versammelt sind, habe ich dann über die verschiedensten Wege und Kontakte gefunden. Schreiner, Architekten, Facebook-Gruppen oder Kräuterfrauen brachten mich zu ihnen. Stets freundlich unterbrachen sie für mich eine Zeit lang ihr zurückgezogenes Leben und gewährten der Öffentlichkeit einen Blick auf ihren Alltag.
Auch die zehn Porträtierten, die ich für dieses Buch ausgesucht habe, bewegen sich abseits vom üblichen Weg. Sie wagen es, in sich selbst hineinzuhorchen und sich Fragen zu stellen wie: Wie will ich leben? Welche Wohnform passt zu mir? Mit einer gewissen Sturheit und einem starken Willen haben sie aus dieser Reflexion heraus mutige Lebensentscheidungen getroffen. Sie haben eingefahrene Bahnen verlassen: Heute trifft man sie in Schiffscontainern, Tiny Houses, Modulhäusern oder Wohnwürfeln an. Ihr gemeinsames Ziel ist: wenig Besitz und eine Wohnform, die finanziell und zeitmäßig nur minimal belastet, für einige von ihnen ist darüber hinaus die Nähe zur Natur ein wichtiger Aspekt. Mein Buch erhebt dabei aber keinen Anspruch, alle Facetten des Tiny-House-Lebensgefühls zu beleuchten. Die Leser werden keine Bauanleitungen und nur wenig technische Details finden. Auch habe ich den Begriff »Kleines Zuhause« bewusst dehnbar gehalten, um eine große Bandbreite von kleinen Wohnformen aufzeigen zu können.
Das Ankommen in einem kleinen Zuhause bringt gleichzeitig den Abschied von vielen Dingen mit sich. Egal ob man es Downsizing, Minimalismus, Magic Cleaning oder Death Cleaning nennt – die Frage, »Wie viele Dinge braucht der Mensch?« haben sich alle Porträtierten gestellt. Da ich als Kind von Sammlern aufgewachsen bin, war mir diese Welt fremd. Ich kannte eher Wände, die bis auf jeden Zentimeter mit Ölgemälden und Hinterglasbildern vollgehängt waren. Schränke voller Wachskunst, bemalten Gläsern, antiken Textilien. Volle Garagen mit bemalten Schränken, Truhen oder Vitrinen. Beim Sammeln gibt es kein Limit nach oben. Mich hat dieser Überfluss an Dingen so gesättigt, dass ich dieses Gericht mein Leben lang nur noch in geringen Dosen zu mir nehmen kann. Den Anblick meiner wenigen schönen Antiquitäten genieße ich dafür umso mehr.
Gerade deshalb hat mich die freiwillige Dinge-Diät, das Nicht-besitzen-Wollen, das Wegwerfen, das Aussortieren immer interessiert. Was würden Sie denn mitnehmen, wenn Sie freiwillig »verschlanken« müssten? Was würde übrig bleiben von Ihrem Leben? Eine anrührende Antwort darauf gab 2015 die Ausstellung »Mitgenommen. Heimat in Dingen« im Haus des Deutschen Ostens in München. Dort bestanden die Exponate aus Gegenständen, die die Menschen auf ihrer Flucht aus dem östlichen Europa vor 70 Jahren begleitet hatten. Die ausgestellten Sachen waren erstaunlich: Da fanden sich ein ganzes Kaffeeservice, ein kleiner Kinderstuhl, ein Zeiss-Fotoapparat, ein kompletter Geburtshilfekoffer oder eine Meerschaumpfeife. Alles Dinge, die dem Besitzer so viel bedeuteten, dass er dafür fast alles andere in der Heimat zurückließ.
In diesem Buch werden Sie viel über Reduzieren, Verkleinerung und Befreiung lesen. Die zehn Menschen, die sich hier in ihrer Verschiedenheit bunt entfalten, haben diese Erfahrungen alle gemacht. Die wenige Wohnfläche hat ihren Verbrauch an Gütern, Geld und Ressourcen verringert.
Oft habe ich mir beim Filmen und Schreiben die Henne-Ei-Frage gestellt. Was war zuerst da: die Henne oder das Ei? Was ist Ursache, was ist Wirkung? Haben sich die Gedanken bereits um Vereinfachung gedreht, und ist deshalb die Entscheidung für eine kleine Wohnform gefallen? Oder hat das kleine Zuhause die Befreiung, das Downsizing befördert? Vielleicht hat mich das am Ende zu dem Selbstversuch in einem Tiny House verleitet, weil ich dort meine eigene Antwort finden wollte. Fruchtbar war dieser Aufenthalt ebenso wie die vielen inspirierenden Gespräche, die ich mit den Porträtierten führen durfte. Es ist nur ihrer Geduld zu verdanken, dass ich meinem Lebensthema wieder näher gekommen bin. Dafür bin ich ihnen allen unendlich dankbar.