Buch
Als »globale Bedrohung« bezeichnet die Weltgesundheitsorganisation WHO die »endokrinen Disruptoren« – jene Schadstoffe, die im Körper wie Hormone wirken und die in unserem Alltag omnipräsent sind. Doch es gibt Möglichkeiten, den Kontakt zu reduzieren. Katharina Heckendorf liefert wertvolle Hilfestellungen, wie man die Gifte im Alltag vermeiden kann.
Autorin
Katharina Heckendorf arbeitet als freie Journalistin, Moderatorin und Mediatorin in Hamburg. Sie schreibt unter anderem für DIE ZEIT und das Zeit-Magazin Online. Das Medium Magazin hat sie im Jahr 2019 als eine der »Top 30 bis 30«-NachwuchsjournalistInnen ausgezeichnet.
Katharina Heckendorf
UMWELT-
HORMONE
das alltägliche Gift
Warum sie uns schaden, wo sie enthalten sind
und wie wir uns schützen können
Alle Ratschläge in diesem Buch wurden von der Autorin und vom Verlag sorgfältig erwogen und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Eine Haftung der Autorin beziehungsweise des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist daher ausgeschlossen.
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Originalausgabe Dezember 2021
Copyright © 2021: Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlag: Uno Werbeagentur, München
Umschlagmotiv: FinePic®, München
Redaktion: Birthe Vogelmann
Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering
CH ∙ IH
ISBN 978-3-641-27251-7
V001
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Inhalt
Vorwort
Kapitel 1
Die unterschätzte Gefahr
Kapitel 2
Wie erkenne ich Umwelthormone?
Kapitel 3
Wo lauern die Gefahren?
Kapitel 4
Diabetes, Unfruchtbarkeit, Fettleibigkeit, Krebs –
so können uns Umwelthormone krank machen
Kapitel 5
Wie die Gifte in die Umwelt kommen und wie sie der Tierwelt schaden
Kapitel 6
Wie Umwelthormone verharmlost werden
Kapitel 7
Warum versagt der Staat?
Kapitel 8
Der Weg aus dem Chemiesumpf – was Firmen tun können
Kapitel 9
Ein Alltag ohne Schadstoffe?
Kapitel 10
So gelingt die Umstellung
Anhang
Vorwort
Vor 15 Jahren habe ich die Pille abgesetzt, weil ich gelesen hatte, dass die tägliche Dosis Hormone so viele Nebenwirkungen hat. Fertiggerichte, die man in der Mikrowelle warm machen muss, habe ich noch nie gegessen. Viel zu ungesund! Zuletzt habe ich auch noch meinen Plastikwasserkocher gegen einen aus Edelstahl ersetzt. Neue Kleidung wasche ich wegen der Färbemittel stets vor dem ersten Tragen. Schadstoffe? Nicht in meinem Körper, so dachte ich bislang.
Heute weiß ich: Es braucht nicht die Pille, um sich mit hormonwirksamen Stoffen zu vergiften, es reicht eine Dose Konserven. Jedes Mal, wenn ich den Kassenbon mitnehme, vergifte ich mich, jedes Mal, wenn ich meine Haare mit einem herkömmlichen Shampoo samt anschließender Spülung wasche, genauso. Im vergangenen Jahrhundert haben wir unsere Welt verschadstofft – und tun das bis heute. Davor sind auch unsere Körper nicht gefeit. Wäre mir das früher bewusst gewesen, ich hätte viele Dinge nicht gekauft, viele Konsumentscheidungen in den vergangenen Jahren anders getroffen. Wir gefährden unsere Gesundheit, wenn wir uns weiterhin gedankenlos allerhand Schadstoffe zuführen. Um darauf aufmerksam zu machen, habe ich dieses Buch geschrieben. Dabei war mir am wichtigsten, dass es verständlich und zugänglich ist, damit nicht nur die wenigen von ihm profitieren, die vielleicht auch wissenschaftliche Studien wälzen würden.
Schauen Sie sich einmal in Ihrem Zuhause um! Zum Beispiel in der Küche: In vielen konventionellen Lebensmitteln und selbst in Mineralwasser finden sich bedenklich hohe Mengen unterschiedlicher Pestizide. Sogar in der EU verbotene besonders gefährliche Spritzmittel landen durch Lebensmittel-Importe aus dem EU-Ausland auf unseren Tellern. Auf Obst oder Gemüse sind häufig mehrere Pestizide aufgesprüht. Bei Tests wurden bis zu 30 verschiedene Chemikalien auf einem Lebensmittel gefunden. Diese können in einer Art Cocktaileffekt im Körper derart miteinander interagieren, dass ihre Wirkung sogar noch schädlicher wird.
Aus Verpackungen gehen Schadstoffe wie Phthalate oder Bisphenole in unsere Nahrung über. Dazu kommen Kochutensilien wie beschichtete Pfannen oder Kochlöffel aus Plastik, aus denen sich ebenso bedenkliche Stoffe lösen können.
Wir streichen unsere Möbel, Fenster oder Fußböden mit giftigen Lacken, die etwa Lösemittel oder Weichmacher enthalten. Möbel und Textilien sind oft mit Insektiziden behandelt, zum Beispiel mit dem Nervengift Permethrin, das unser Hormonsystem durcheinanderbringen könnte. Außerdem besteht der überwiegende Teil der hierzulande verlegten Fußböden aus Plastik, genauer Vinyl oder PVC, von dem sich kleinste Partikel lösen, die dann über den Hausstaub eingeatmet werden können.
Auch die Kosmetikartikel im Badezimmer bergen gefährliche Bestandteile. In Cremes, Shampoos oder Make-up dienen Stoffe mit hormonähnlicher Wirkung meistens als Konservierungsmittel oder als UV-Filter. Einige Hersteller nutzen zudem kleine Plastikteilchen, sogenanntes Mikroplastik. Es findet sich etwa in Peelings, Cremes, Shampoos oder Haarsprays. Die Plastikteilchen können eine feste oder flüssige Form haben und werden als Schleifmittel in Hautpeelings oder als günstiges Bindemittel in Cremes genutzt. Über die Kosmetik gelangen die Schadstoffe ins Abwasser und schließlich in die Umwelt. Denn die Kläranlagen können sie nicht gänzlich herausfiltern, und der übrig bleibende Klärschlamm wird teilweise als Dünger auf die Felder ausgebracht.
Seit ich versuche, ohne diese Stoffe auszukommen, merke ich, dass es in einigen Produktkategorien kaum Ware ohne Schadstoffe gibt. So habe ich in der Drogerie auf der Suche nach einer Sonnencreme nur wenige ohne Mikroplastik gefunden. Dabei ist es gerade dort bedenklich, denn wenn wir im Meer oder in Seen baden, gelangen die Stoffe gänzlich ungefiltert in die Umwelt. Schlimmer noch: Mikroplastik wird zu einer Art Giftmagnet. Je länger sich die Teilchen im Wasser von Flüssen, Seen oder im Meer befinden, desto mehr Chemikalien binden sich an sie. Darunter auch solche, die schon lange verboten sind, wie das Insektengift DDT oder die Industriechemikalie PCB.
Auch an der frischen Luft können wir den Umwelthormonen nur bedingt aus dem Weg gehen. In der Stadtluft ist es vor allem der Feinstaub, dessen Bestandteile endokrin wirken können, also das Hormonsystem durcheinanderbringen können. Die Konzentration ist meist dann besonders hoch, wenn es lange Zeit nicht geregnet hat oder schwülwarmes Wetter herrscht, bei dem eine Art Wolkenglocke die Schadstoffe am Abziehen hindert. Auch auf dem Land ist man keineswegs auf der sicheren Seite: Dort können die auf den Feldern ausgebrachten Pestizide über mehrere Kilometer durch die Luft getragen werden. Auch bei der Ausbringung von Saatgut, das mit Bioziden behandelt wurde, können belastete Feinstaub-Wolken entstehen. Das Fatale ist, dass sich all diese hormonähnlichen Stoffe, die auf unterschiedlichsten Wegen in unsere Körper gelangen, zu einem unberechenbaren Feind entwickeln können. Dieses Buch soll helfen, sich so weit wie möglich vor den Gefahren zu schützen.
So ist das Buch aufgebaut
Im ersten Kapitel erfahren Sie, was Umwelthormone genau sind und welche Gefahren von ihnen ausgehen. Wie Sie die Stoffe im Alltag identifizieren können und wieso sie unsere körpereigenen Funktionen durcheinanderbringen können, lesen Sie im zweiten Kapitel.
Im dritten Kapitel mache ich eine Bestandsaufnahme: Wie ungesund ist unser Lebensstil, wie verseucht sind unsere Körper, und welche giftigen Stoffe finden sich eigentlich in unseren Lebensmitteln, Wohnungen und Häusern? Im vierten Kapitel schaue ich mir an, welche Krankheitsbilder und Störungen uns durch Umwelthormone drohen. In Kapitel 5 lesen Sie, warum uns ein Blick in die Natur eine Warnung sein sollte, denn viele Tiere sind den Giften schutzlos ausgeliefert und leiden längst beträchtlich. Die Schäden in Flora und Fauna werden uns Menschen früher oder später einholen, denn über die Nahrungskette und das Trinkwasser kommen all diese von uns produzierten Umwelthormone letztlich wieder zu uns zurück. Deshalb schaue ich mir an, über welche Wege all die Stoffe überhaupt ihren Weg in die Natur finden, wie das der Tierwelt schadet und wie wir das Ökosystem besser schützen können.
Schon im Jahr 2014 rief das französische Parlament die EU-Kommission in einem Bericht dazu auf, eine Strategie gegen hormonähnliche Stoffe zu entwickeln, denn sie seien eine Gefahr für die Gesundheit künftiger Generationen. In Deutschland dagegen herrscht Gelassenheit. BPA ist zwar seit 2011 EU-weit in Babyfläschchen und seit 2020 in Kassenzetteln verboten, doch in Verpackungen bleibt es erlaubt. Das ist äußerst paradox: Die Gefahren für Mensch und Tier sind den Verantwortlichen in Industrie und Politik offensichtlich bekannt, doch die Gesetze bleiben lasch. Was hilft ein Verbot in Fläschchen und Kassenzetteln, wenn der Stoff ansonsten erlaubt bleibt? Warum tut sich nichts? Warum »versagt« die EU an endokrinen Disruptoren, und warum wird nur in »Trippelschritten« reguliert, wie es die taz im Sommer 2019 formuliert? Und was hat der Lobbyismus der Industrie damit zu tun? Das schaue ich mir in den Kapiteln 6 und 7 genauer an.
Mit meinem Buch möchte ich Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, das Wissen und das Werkzeug an die Hand geben, Umwelthormonen aus dem Weg zu gehen, denn es sieht nicht so aus, als würde die Politik das Problem demnächst ernsthaft angehen. Genau das machen sich junge und auch einige alteingesessene Unternehmen zum strategischen Wettbewerbsvorteil, indem sie bewusst Produkte auf den Markt bringen, die ohne problematische Chemikalien auskommen. In Kapitel 8 stelle ich einige von ihnen vor. Außerdem finden Sie am Ende dieses Buches in Kapitel 9 allerhand praktische Tipps, Rezepte und Tricks für den Alltag ohne Umwelthormone – alle am eigenen Leib getestet und erprobt. Viel Spaß beim Lesen!
Kapitel 1
Die unterschätzte Gefahr
Täglich begegnen mir Menschen, die sich Chemikalien aussetzen. Ich sehe sie beim Einkaufen, beim Spazierengehen oder im Baumarkt. Da sind die Paare, die sich für den Spaziergang noch schnell einen Coffee to go holen. Die Grüppchen im Park, die sich ihr Abendessen bequem in Pizzakartons oder Aluschalen dorthin liefern lassen. Die Menschen mit riesigen Einkaufstüten voller Fast Fashion. Meine Nachbarn, die ihre komplette Wohnung mit grauen Holzoptikvinylbelägen auslegen. Die jungen Frauen, die ihre Gesichter mit Contouring buchstäblich bemalt haben. Der Mann im Supermarkt, der nur Mikrowellenfertiggerichte und Wasser in Plastikflaschen aufs Band legt. Kinder, die an »Quetschies« nuckeln. Und so weiter.
Den allerwenigsten dürfte bewusst sein, dass Coffee-to-go-Becher oder Pizzakartons mit einer dünnen Plastikschicht überzogen sind, aus der sich besonders bei Hitze Schadstoffe lösen können. Oder dass aus vielen neuen Kleidungsstücken die Überreste der giftigen Färbemittel austreten, dass Bodenbeläge aus Kunststoffen noch Jahre später giftige Substanzen ausdünsten können, dass Kosmetika und auch in Kunststoffen abgepackte Lebensmittel problematische Chemikalien enthalten können.
Wir leben in einer Zeit, in der alle Alltagsprodukte möglichst das Leben erleichtern, Zeit sparen und pflegeleicht zu handhaben sein sollen. Das hat dazu geführt, dass Lieferdienstunternehmen so hohe Börsenkurse verbuchen wie noch nie, die Mülleimer in den Stadtparks stets von den vielen Coffee-to-go-Bechern und Pizzakartons überquellen und die Fast-Fashion-Industrie immer kürzeren Produktzyklen hinterherrennt – mit immer minderwertigeren Kleidungsstücken.
Zu unserer Zeit gehört, dass wir mit diesem Konsumverhalten nicht nur der Umwelt, sondern auch uns selbst enorm schaden. Viele Chemikalien wirken im Körper ähnlich wie Hormone und können unser endokrines System (Hormonsystem) durcheinanderbringen. Die Umwelthormone, fachsprachlich sogenannte endokrine Disruptoren, werden unter anderem für Fettleibigkeit, Diabetes, Krebs, Unfruchtbarkeit oder ADHS mitverantwortlich gemacht, die heutigen Volkskrankheiten. Bekannt ist das schon lange. »Chemie mit kastrierender Wirkung«, schrieb die Süddeutsche Zeitung bereits 1996; »Diese Sünden hat uns die Natur bis heute nicht verziehen«, titelte das SZ-Magazin im selben Jahr; »Der Fluch der Hormone«, hieß es im Stern 1997; »Sabotage an der Zukunft, Unfruchtbar durch Umweltgifte«, schrieb die Natur und Umwelt ebenfalls 1997. Passiert ist seither erschreckend wenig.
Die WHO nennt endokrine Disruptoren ein »globales Gesundheitsrisiko«. Die US-Epidemiologin und Professorin für Umweltmedizin Shanna Swan macht sie in ihrem Buch Countdown dafür verantwortlich, dass »die Lebewesen unseres Planeten in großer Gefahr« sind.
Die Kosten, die durch Krankheiten und körperliche Fehlfunktionen in Verbindung mit hormonwirksamen Stoffen entstehen, werden allein in Europa von einem ForscherInnenteam rund um den US-Forscher Leonardo Trasande auf mindestens 163 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Ist man den Schadstoffen ausgesetzt, kann das zu zahlreichen Erkrankungen und Funktionsstörungen beitragen – vom Beginn des Lebens im Mutterleib bis ins Alter. Die AutorInnen der Studie halten es zum Beispiel für sehr wahrscheinlich, dass Umwelthormone unter anderem für eine Minderung des IQs und für damit verbundene geistige Behinderungen verantwortlich sind, außerdem für Autismus oder Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störungen, kurz ADHS. Genauso wie für Endometriose, eine chronische Erkrankung mit Wucherungen der Gebärmutterschleimhaut außerhalb der Gebärmutterhöhle, die zu starken Schmerzen bis hin zu Unfruchtbarkeit führen kann. Die WissenschaftlerInnen machen Umwelthormone aber auch für starkes Übergewicht von Kindern und Erwachsenen sowie Diabetes verantwortlich. Auch für Entwicklungsstörungen wie Hodenhochstand bei Jungen und für Unfruchtbarkeit vermuten sie die Ursache in der zunehmenden Zahl an hormonähnlichen Chemikalien in unserer Umwelt und unserem Alltag.
Es scheint, als würde mit jeder Studie, die veröffentlicht wird, klarer: Die Umwelt und auch unsere Körper verzeihen uns die Chemiesünden nicht. Diesen Zusammenhang in jedem Einzelfall zu beweisen ist unmöglich. Doch beim Blick in die Studien der EpidemiologInnen sehen wir längst, dass Umwelthormone signifikante Auswirkungen auf unsere Gesundheit haben – was viele von uns längst am eigenen Leib spüren.
Wie verbreitet die gefährlichen Stoffe sind, zeigen bereits einige ausgewählte Studien: Bis in die letzten Winkel der Erde haben es Umwelthormone schon geschafft. Darunter leiden zum Beispiel Eisbären, die am oberen Ende der Nahrungskette stehen. In ihren Körpern konnten sich die Umweltchemikalien aus Fischen, Robben und anderen Meeresbewohnern anreichern. US-WissenschaftlerInnen wiesen in ihrem Blut Hunderte Chemikalien nach, darunter zahlreiche hormonwirksame Stoffe, die der Reproduktion und der Entwicklung schaden können.
Auch im menschlichen Körper sieht es nicht besser aus: Eine Studie der Schweizer Universität Lausanne zeigt, dass jedes zweite Schweizer Kleinkind zwischen sechs Monaten und drei Jahren Rückstände von problematischen Stoffen wie Phthalaten und Bisphenolen im Körper hat. Auch hierzulande sind diese Chemikalien weit verbreitet, und sie finden sich auch in der vulnerabelsten Gruppe: Kindern und Jugendlichen. WissenschaftlerInnen fanden im Blut und Urin von Kindern und Jugendlichen zwischen drei und 17 Jahren zahlreiche endokrine Disruptoren, zum Teil in bedenklich hohen Konzentrationen. Sie fanden unter anderem Weichmacher, als Konservierungsstoffe eingesetzte Parabene oder langlebige Polychlorierte Biphenyle (PCB). Wie sehr unsere Konsumentscheidungen beeinflussen, was man in unseren Körpern findet, zeigt Folgendes: In den Proben fast aller Teilnehmenden fand man Perfluoroctansulfonsäure (PFOS), und in 86 Prozent der Proben fand man auch Perfluoroctansäure (PFOA). Chemikalien wie PFOS und PFOA werden zum Beispiel zum Beschichten von Einweg-Kaffeebechern oder Bratpfannen, für Regenkleidung oder Zeltausrüstung genutzt. Produkte also, die sich in fast jedem Haushalt finden. Dabei lagen die Werte in rund einem Fünftel der Proben so hoch, dass eine gesundheitliche Beeinträchtigung selbst bei der isolierten Betrachtung der einzelnen Substanz nicht auszuschließen ist. Tatsächlich aber befinden sich in unseren Körpern viele verschiedene Schadstoffe, die auch miteinander interagieren können.
Wie gelangen Umwelthormone in unsere Körper?
Dass man bei Untersuchungen so viele verschiedene Schadstoffe in uns Lebewesen findet, ist wenig verwunderlich. Denn Umwelthormone können über die Luft, über die Nahrung und über die Haut aufgenommen werden. Wir verbauen sie seit vielen Jahrzehnten in unseren Wohnungen und Häusern, atmen sie ein, cremen uns mit ihnen ein, essen und trinken sie. Die hormonähnlichen Stoffe lösen sich zum Beispiel aus Plastikverpackungen und -flaschen und gehen in unsere Nahrungsmittel über. Sie finden sich überall, vom Käse bis hin zum Wasser. Sie sind Kosmetika zugesetzt, um sie haltbarer zu machen oder um sie billiger produzieren zu können, sie entweichen aus Kaltschaummatratzen oder PVC-Fußbodenbelägen, sie sind in Feinstaub und Pestiziden enthalten, auch in Lacken und Farben, und sogar in Kinderspielzeug stecken sie.
Ich frage mich: Würden die Menschen weiterhin so viel Plastik einkaufen, PVC verlegen, Chemiekeulenputzmittel nutzen und Fast Fashion kaufen, wenn sie wüssten, dass sie sich und ihren Familien damit schaden können? Für all diejenigen, die an der Aufklärung interessiert sind und die bereit sind, ihr Konsumverhalten zu verändern, habe ich dieses Buch geschrieben. Denn WissenschaftlerInnen und VerbraucherschützerInnen rufen schon seit vielen Jahren dazu auf, diese problematischen Stoffe zu vermeiden. Das dänische Umweltministerium etwa warnt Frauen, die schwanger werden wollen oder schwanger sind, explizit vor all diesen Alltagschemikalien. In einer Broschüre des Ministeriums heißt es, dass Chemikalien uns zwar das Leben leichter machen würden, viele durch ihre endokrine Wirkung oder als Allergene aber besonders gefährlich für Babys seien. Um die Stoffe zu vermeiden, so heißt es, sollten Frauen beispielsweise darauf verzichten, sich während der Schwangerschaft die Haare zu tönen. Zudem sollten sie so wenig wie möglich Parfum nutzen und Produkte aus PVC vermeiden.
Das ist ein guter Anfang, nach meiner rund 24-monatigen Recherche weiß ich aber: Um die Stoffe konsequent zu vermeiden, reicht das längst nicht aus. Dabei ist der erste Schritt der schwierigste, denn man muss die Umwelthormone erst mal im eigenen Leben und Haushalt ausfindig machen. Auf Kosmetikprodukten verbergen sie sich allenfalls hinter kryptischen chemischen Bezeichnungen. Auf Lebensmittelverpackungen, Baumaterialien oder Küchenutensilien aus Plastik müssen sie nicht mal gekennzeichnet werden.
Ich möchte Sie dabei unterstützen, potenziell schädliche Produkte auszumisten und Ihren Einkauf künftig so zusammenzustellen, dass die Chemikalienlast in Ihrem Zuhause möglichst niedrig ausfällt. Wir VerbraucherInnen sind den Stoffen nicht ohnmächtig ausgeliefert. Doch so viel kann ich gleich verraten: Mal eine Seife am Stück zu kaufen und eine Edelstahltrinkflasche zu benutzen, das wird nicht reichen, um die Umwelthormone aus Ihrem Leben zu verbannen.
Wir müssen unseren Konsum verändern – für unseren Planeten, für uns selbst und für die Generationen, die noch kommen werden. Als VerbraucherInnen können wir nicht länger darauf warten, dass PolitikerInnen die nötigen Regeln vorgeben, denn viele Produkte, die heute in den Einkaufscentern, Drogerien, Super- oder Baumärkten verkauft werden, sind nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen gesundheitlich bedenklich. Damit Sie das Projekt »Umwelthormone verbannen« informiert und motiviert angehen können, lesen Sie im kommenden Kapitel, wie genau die Stoffe in unseren Körpern Schäden anrichten und lernen die verbreitetsten Umwelthormone kennen.