DIE NEUE GROSSE DEPRESSION
WAS SIE JETZT WISSEN MÜSSEN, UM NACH DER PANDEMIE ZU DEN GEWINNERN ZU GEHÖREN
New York Times - BESTSELLERAUTOR
DIE NEUE GROSSE
DEPRESSION
WAS SIE JETZT WISSEN MÜSSEN, UM NACH DER PANDEMIE ZU DEN GEWINNERN ZU GEHÖREN
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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2. Auflage 2021
© 2021 by FinanzBuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,
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Die englische Originalausgabe erschien 2021 bei Portfolio unter dem Titel The New Great Depression. © 2020 by James Rickards.
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This edition published by arrangement with Portfolio, an imprint of Penguin Publishing Group, a division of Penguin Random House LLC.
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Übersetzung: Karsten Petersen
Redaktion: Werner Wahls
Umschlaggestaltung: in Anlehnung an das Cover der Originalausgabe Marc-Torben Fischer, München
Umschlagabbildung: © Daniel Lagin
Satz: Daniel Förster, Belgern; Andreas Linnemann, München
Druck: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN Print 978-3-95972-420-3
ISBN E-Book (PDF) 978-3-96092-782-2
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96092-783-9
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Vorwort zur deutschen Ausgabe
Einführung
Kapitel eins
Ein neues Virus kommt aus China in eine Stadt in Ihrer Nähe
Kapitel zwei
Hundert Tage – Chronik eines Lockdowns
Kapitel drei
Die neue Große Depression
Kapitel vier
Staatsschulden und Deflation vereiteln einen Aufschwung
Kapitel fünf
Der dünne Lack der Zivilisation
Kapitel sechs
Investieren in einer post-pandemischen Welt
Schlussbemerkungen
Danksagung
Anmerkungen
Ausgewählte Quellen
Für alle Menschen, die unter dem neuen Virus litten,
für jene, die noch immer darunter leiden, und für deren
Familien. Und für alle, die unter der neuen Großen
Depression leiden.
Und im Gedenken an Sara Lesley –
»too young to die«.
Und ich sah ein andres Zeichen am Himmel, das war groß
und wunderbar: sieben Engel, die hatten die letzten sieben
Plagen; denn mit ihnen ist vollendet der Zorn Gottes.
Offenbarung 15, 1 (Lutherbibel)
Ich bin dankbar für diese Gelegenheit, ein Vorwort für die Leser der deutschen Ausgabe meines Buches zu schreiben. Zurzeit erleidet die Welt die größte Pandemie seit 1918 und den größten wirtschaftlichen Kollaps seit 1929 zur gleichen Zeit. Dieses Zusammentreffen von zwei Jahrhundertereignissen hat das öffentliche Gesundheitswesen, das Wirtschaftswachstum und die politische Arbeit von Regierungen unter beispiellosen Druck gesetzt. Deutschland, als viertgrößte Volkswirtschaft der Welt (nach den Vereinigten Staaten, China und Japan) und eine der führenden Nationen der Europäischen Union, deren wirtschaftliches Produktionsvolumen nur von den Vereinigten Staaten übertroffen wird, ist zwangsläufig eines der Länder, die sowohl von der Pandemie als auch von der neuen Depression am stärksten betroffen sind. Die in diesem Buch ausgesprochene Kritik an den Kosten von wirtschaftlichen Lockdowns und den Grenzen der fiskal- und geldpolitischen Möglichkeiten, die Wirtschaft anzukurbeln, ist für die deutschsprachige Leserschaft so relevant wie überall sonst auf der Welt.
Trotz tragischer Verluste ist Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern und unter Berücksichtigung der jeweiligen Bevölkerungsgrößen relativ gut mit der Pandemie fertiggeworden. Bis zum 1. September 2020 hatte Deutschland über 243 000 bestätigte Covid-19-Erkrankungen registriert und 9300 Todesfälle zu beklagen. Im Vergleich zu 9200 Todesfällen in Kanada, dessen Bevölkerung nicht einmal halb so groß ist wie die deutsche, und über 183 000 Todesfällen in den Vereinigten Staaten, mit einer viermal so großen Bevölkerung, ist das ein gutes Ergebnis. Ganz unabhängig davon, ob diese bessere Bewältigung der Krankheit auf bessere medizinische Behandlung, eine höhere Bereitschaft der Bevölkerung, die staatlich verordneten Seuchenschutzmaßnahmen umzusetzen, oder einfach auf Herdenimmunität zurückzuführen ist – Deutschland hat den viralen Sturm mit wesentlich besseren Ergebnissen abgewettert als andere große und bevölkerungsreiche Länder.
Doch hinsichtlich der Wirtschaft sieht es anders aus. Im Großen und Ganzen ist eine Volkswirtschaft auf Konsum, Investitionen, Staatsausgaben oder Exportüberschüsse angewiesen (in der einen oder anderen Kombination), um Wachstum anzutreiben. Die US-Wirtschaft wird hauptsächlich durch Konsum angetrieben, die chinesische vor allem durch Investitionen. Die deutsche Wirtschaft ist dagegen (ebenso wie Japan und Südkorea) in hohem Maße von Exportüberschüssen abhängig. In einer Pandemie und weltweiten Depression hat sich diese Abhängigkeit als Deutschlands Achillesferse erwiesen.
Deutschland ist eines der weltweit führenden Exportländer für Autos, Industrieanlagen, Elektronik und Telekommunikationsgeräte. Durch den von der Pandemie herbeigeführten wirtschaftlichen Schock ist zur gleichen Zeit und weltweit sowohl das Angebot als auch die Nachfrage eingebrochen. Das Angebot brach ein, weil Fabriken geschlossen und Transportnetzwerke stillgelegt wurden, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern. Die Nachfrage kam zum Erliegen, weil die Verbraucher in den Vereinigten Staaten und anderen konsumgetriebenen Wirtschaftsnationen aufgrund diverser staatlich verordneter Quarantänemaßnahmen und Reiseeinschränkungen zu Hause bleiben mussten und angesichts einer zu erwartenden Entlassungswelle vorsichtshalber mehr Geld zurücklegten.
Das Ergebnis war eine einzigartige Störung der globalen Lieferketten, die seit dem Ende des Kalten Krieges sorgsam aufgebaut worden waren. Und als Fabriken wieder bereit waren, den Betrieb aufzunehmen, bekamen sie keinen Input. Selbst als Konsumenten wieder bereit waren, mehr Geld auszugeben, waren die Regale häufig leer. Es schien beinahe so, als sei die gesamte globale Wirtschaft wie durch Ausknipsen eines Lichtschalters zum Erliegen gekommen.
Als eines der weltweit führenden Exportländer, das auf Nachfrage von ausländischen Verbrauchern angewiesen ist, wurde Deutschland schwer in Mitleidenschaft gezogen. Im zweiten Quartal 2020 fiel das deutsche BIP im Vergleich zum Vorjahr um 11,3 Prozent, die größte jemals verzeichnete wirtschaftliche Kontraktion. Aus Sicht des öffentlichen Gesundheitswesens wurde Deutschland gut mit der Pandemie fertig, doch an der wirtschaftlichen Front erlitt es schwere Schäden. Diese Entwicklung führt das Hauptthema dieses Buches vor Augen: Die Pandemie und die Depression hängen eng miteinander zusammen. Es ist unmöglich, die Auswirkungen der einen zu beurteilen, ohne die andere in Betracht zu ziehen. Es werden andere Bücher über die Pandemie geschrieben werden, und es werden andere Bücher über die wirtschaftliche Kontraktion geschrieben werden, doch dieses ist das erste und vielleicht einzige Buch, das ausführlich auf beide Themen eingeht und die Querverbindungen aufzeigt.
Natürlich hat nicht die Pandemie die Depression verursacht, es war unsere Reaktion darauf. Die staatlichen Reaktionen auf den Coronavirus-Ausbruch standen in keinem Verhältnis zur Gefährdung. Natürlich sind gewisse Maßnahmen wie Social Distancing, häufiges Händewaschen und Gesichtsmasken durchaus sinnvoll und können dazu beitragen, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Auch die vorübergehende Absage von Sportereignissen, Konzerten und anderen Großereignissen ist vernünftig. Solche Maßnahmen kosten relativ wenig im Hinblick auf Produktionsausfälle.
Nicht sinnvoll war dagegen ein kompletter Shutdown von Fabriken, Schulen, kleinen und mittleren Unternehmen sowie ganzen Städten. Das war eine außerordentlich kostspielige Strategie, mit der wenig erreicht wurde, um die Ausbreitung der Krankheit zu verlangsamen. Entsprechende Daten aus diversen Ländern wie Schweden, Südkorea, Großbritannien, den Vereinigten Staaten und Deutschland zeigen, dass die Krankheit etwa acht bis zehn Wochen ihren Lauf nimmt, mit einem mehr oder weniger konstanten Verhältnis von Todes- zu Krankheitsfällen – und zwar unabhängig davon, ob im betreffenden Land ein Lockdown verhängt wurde oder nicht.
Die meisten Lockdown-Maßnahmen waren kostspielig und zeigten kaum Wirkung. Darüber hinaus ignorierten die Lockdown-Befürworter dessen versteckte Kosten, etwa die Zunahme von Suizid, Alkoholmissbrauch, häuslicher Gewalt, Wut, Ängsten und seelischen Depressionen aufgrund von fehlenden zwischenmenschlichen Kontakten. Diese Kosten werden sich jahre- oder gar jahrzehntelang auswirken, selbst wenn das Virus schon längst wieder verschwunden ist.
Deshalb werden in diesem Buch nicht nur die schädlichen Folgen für die körperliche und wirtschaftliche Gesundheit, sondern auch für die psychische Gesundheit der Menschen untersucht. Die durch Lockdowns und Quarantäne bewirkte Isolierung fordert einen hohen psychischen Preis von denen, die zu Hause gefangen sind. Solche psychischen Schäden wirken sich nicht nur auf die Menschen aus, die unter der Krankheit leiden, sondern auch auf solche, die nicht infiziert wurden, aber dennoch die Quarantäne ertragen mussten. Verlorene soziale Möglichkeiten können nicht so leicht wiedergewonnen werden. Viele Menschen, die aus Restaurants, Kinos und Konzerten ausgesperrt wurden, werden nicht so schnell wieder an solche Örtlichkeiten zurückkehren, wenn sie wieder geöffnet sind. Die Anpassungen des Verhaltens an die Pandemie werden womöglich auf unbestimmte Zeit anhalten und schädliche Auswirkungen auf die Wirtschaft nach sich ziehen. Es wäre nicht übertrieben zu sagen, dass die Wut und die Frustrationen, die sich während der Quarantäne aufstauten, eine der Ursachen für die Demonstrationen und Aufstände waren, die sich heute im Namen sozialer Gerechtigkeit und ideologischer Programme in vielen Regionen der Welt Bahn brechen.
Vor allem sollten die Leser in Deutschland und anderen Ländern der Welt sich bewusst machen, dass wir nicht nur eine typische Rezession erleben. Tatsächlich ist die technische Rezession – definiert als zwei aufeinanderfolgende Quartale mit schrumpfendem BIP – in den meisten Ländern schon wieder vorbei. Wir befinden uns vielmehr in einer Depression, die als schwaches oder schleppendes Wachstum unterhalb des Langzeittrends definiert ist. Diese Depression wird mehrere Generationen in Mitleidenschaft ziehen. Studien über die wirtschaftlichen Nachwirkungen der 15 schlimmsten Pandemien in den vergangenen 650 Jahren (angefangen mit der Pest, dem »Schwarzen Tod«, die im 14. Jahrhundert Europa verwüstete) zeigen, dass eine wirtschaftliche Normalisierung 30 bis 40 Jahre dauern kann. Die Nachwirkungen dieser Pandemie und der neuen Großen Depression werden uns bis 2050 und darüber hinaus zu schaffen machen.
Doch die Geschichte hat auch positive Aspekte. Tatsächlich können selbst in schlimmen Zeiten Vermögen bewahrt und neue große Vermögen gemacht werden. Während der Hyperinflation von 1921 bis 1923, in der Zeit der Weimarer Republik, nahm ein deutscher Industrieller namens Hugo Stinnes hohe Kredite in Reichsmark auf, um in Sachwerte wie Kohle, Stahl und Transport-Infrastruktur zu investieren. Als die Hyperinflation ausgestanden war, zahlte er die Kredite in wertlosen Reichsmark zurück und behielt die Sachwerte, die ihren realen Wert bewahrt hatten. So wurde er zum reichsten Mann Deutschlands – sein Spitzname war »der Inflationskönig«.
Vielleicht werden wir am Ende nicht alle so reich werden wie Hugo Stinnes, doch sein Beispiel zeigt, dass selbst unter den schlechtesten wirtschaftlichen Bedingungen großer Wohlstand angesammelt werden kann. Dieses Buch zeigt Ihnen, wie Sie das schaffen können, selbst in einer neuen globalen Depression. Ich hoffe, dass Sie dieses Buch nützlich finden werden und dass es Ihnen ebenso viel Freude machen wird, es zu lesen, wie es mich erfreut hat, es dem deutschen Publikum zu präsentieren.
James G. Rickards
Aus historischer Sicht haben Pandemien die Menschheit stets
gezwungen, mit der Vergangenheit zu brechen und ein neues
Weltbild zu entwickeln. Das gilt auch für diese Pandemie – sie ist
ein Portal, ein Übergang von einer Welt zu einer anderen.
Arundhati Roy, »The pandemic is a portal«, 3. April 20201
Es wird schwierig werden, zur Normalität zurückzukehren –
zumal uns jetzt ständig gesagt wird, wir könnten
nicht zur Normalität zurückkehren.
Lionel Shriver2
Das Thema dieses Buches ist ein Virus, das eine weltweite Wirtschaftskrise verursacht hat, eine neue Große Depression. Oder genauer gesagt, wie unsere Reaktion auf ein Virus eine weltweite Depression verursacht hat. Ein Virus kann Erkrankungen und eine Pandemie verursachen, aber keinen wirtschaftlichen Kollaps; das müssen wir schon selbst machen.
Als das Ausmaß der viralen Attacke klar wurde, haben wir zahlreiche Entscheidungen getroffen. Diese Entscheidungen orientierten sich an wissenschaftlichen und ökonomischen Erkenntnissen, und in manchen Fällen beruhten sie auf Fehlinformationen. Da es ein neuartiges Virus war und unter Wissenschaftlern* keine Einigkeit bestand, waren die von der Wissenschaft angebotenen Optionen konfus und voller Widersprüche. Dass vor allem die von Ökonomen vorgeschlagenen Lösungsansätze konfus und widersprüchlich waren, versteht sich von selbst. Dennoch müssen wir den meisten Wissenschaftlern und Ökonomen zugutehalten, dass sie nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben; sie standen aufgrund der raschen Ausbreitung der Krankheit und ihrer Letalität unter einem extremen Druck. Sie gaben ihr Bestes, und es ist keineswegs klar, ob andere Experten unter den gegebenen Umständen besser abgeschnitten hätten. (Die Letalität ist das Verhältnis der Todesfälle zur Erkrankungsfallzahl, das heißt die Wahrscheinlichkeit, an der Krankheit zu sterben.)
Wie in jeder Krise gab es auch dieses Mal Helden. Krankenschwestern, Ärzte und Krankenhauspersonal wurden von der Vielzahl neuer Infektionen regelrecht überfahren und mussten zudem mit akutem Mangel an Schutzausrüstung, Behandlungsgeräten und einfachen Medikamenten fertigwerden. Viele von ihnen arbeiteten bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Einige infizierten sich, leider starben manche von ihnen. Viele Menschen kümmerten sich um Angehörige, die durch das Virus erkrankt waren, wenn im Krankenhaus kein Platz mehr frei oder ein Aufenthalt dort nutzlos war. Desinfektionsteams schrubbten Gebäude und Straßen von innen und außen, um das Virus zu bekämpfen. Ehrenamtliche Helfer brachten Essen für Menschen, die unter Quarantäne standen oder anderweitig isoliert waren. Religiöse Gruppen bauten auf brachliegenden Feldern Zeltlazarette auf. Auch das US Army Corps of Engineers, die Nationalgarde und andere militärische Einheiten bauten in großen öffentlichen Gebäuden wie etwa dem Javits Convention Center in New York City fast über Nacht Notlazarette auf. Zoll- und Grenzschutzbeamte fungierten als medizinische Kontrolleure für Reisende, die ins Land kamen. Die US Navy kommandierte zwei Lazarettschiffe ab, die USNS Mercy nach Los Angeles und die USNS Comfort nach New York City, um zusätzliche Intensivpflege- und OP-Kapazitäten bereitzustellen und das überforderte Gesundheitssystem zu entlasten. In vielen anderen Staaten der Welt wurden ähnliche Maßnahmen in die Wege geleitet, vor allem in besonders schwer betroffenen Ländern wie Italien, Spanien, Brasilien und Großbritannien. Es gibt noch unzählige andere unbesungene Helden; sie alle verdienen unseren Dank und unsere Gebete.
Doch das Leiden der Opfer des Virus und der selbstlose Einsatz der Pflegekräfte sollten uns nicht blind machen für eine andere Ursache von Not und Elend: die neue Große Depression. Diverse angesichts der Pandemie getroffene politische Entscheidungen haben den größten wirtschaftlichen Kollaps der US-Geschichte verursacht. Und dieser Kollaps beschränkt sich nicht nur auf die Vereinigten Staaten. Die Pandemie begann in China. In den Vereinigten Staaten ist die größte Zahl an Menschen betroffen, wenn man den Daten aus China Glauben schenken kann, was zumindest zweifelhaft ist. Die USA und China sind die beiden größten Volkswirtschaften der Welt, sie produzieren insgesamt 40 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung. Wenn wir die Europäische Union (EU), in der insgesamt über 120 000 mit dem Virus zusammenhängende Todesfälle zu beklagen sind (Stand August 2020), als ein einziges Wirtschaftssystem betrachten und die USA und China hinzurechnen, beträgt der Anteil der globalen Produktion, der einem pandemiebedingten Shutdown unterworfen wurde, über 60 Prozent.
Vergleiche zu der globalen Finanzkrise von 2008, dem Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000 und der Börsenpanik von 1998 gehen an der Sache vorbei. Diese Krisen waren zwar verheerend für die betroffenen Menschen, doch im Vergleich zu dem, womit wir es jetzt zu tun haben, waren sie geradezu trivial. Die erste Weltwirtschaftskrise, die Great Depression von 1929 bis 1940, stellt einen passenderen Vergleichsmaßstab dar, doch selbst diese Katastrophe erreichte nicht das Ausmaß dessen, was 2020 bereits geschehen ist und was noch auf uns zukommen wird. Der Absturz der Aktienmärkte um 89,2 Prozent während der Weltwirtschaftskrise vollzog sich in mehreren, über vier Jahre verteilten Phasen (1929 bis 1932). Der Verlust von 60 Millionen US-Arbeitsplätzen in der neuen Großen Depression hat sich in gut vier Monaten abgespielt – und es werden noch mehr Jobs verloren gehen.
Dieses Buch wurde aus der Perspektive der Ökonomik geschrieben, nicht aus der Sicht der Virologie. Doch die Themen der beiden Disziplinen sind miteinander verwoben. Ein Buch über die neue Große Depression zu schreiben, ohne auf das Virus (SARS-CoV-23) einzugehen, wäre ungefähr so, als wollte man über die Zerstörungen und den Verlust an Menschenleben in New Orleans im Jahr 2005 schreiben, ohne Hurrikan Katrina zu erwähnen. Das Virus ist der Hurrikan. Die Depression ist die Zerstörung, die es anrichtet. Wir gehen auf beide ein, um die ganze Geschichte zu erzählen.
Was ist ein Virus? Die Wissenschaftler sind nicht ganz sicher. Sie wissen eine Menge über Viren, doch selbst nach einem Jahrhundert ganz erstaunlicher wissenschaftlicher Fortschritte sind Mediziner sich nicht darüber einig, was ein Virus eigentlich ist.4 Der Historiker und Autor John M. Barry hat in seinem 2018 erschienenen Buch The Great Influenza beschrieben, wie rätselhaft Viren sind:
Viren nehmen keine Nahrung und keinen Sauerstoff auf. In Viren laufen keine Prozesse ab, die man als Stoffwechsel bezeichnen könnte. Sie produzieren keine Ausscheidungen. Sie haben keinen Sex. Sie erzeugen keine Nebenprodukte, weder zufällig noch absichtlich. Sie können sich nicht einmal von sich aus vermehren. Sie sind weniger als ein vollwertiges Lebewesen, aber mehr als ein reaktionsträger Klumpen chemischer Stoffe.5
Erstaunlicherweise sind Virologen nicht einmal sicher, ob ein Virus überhaupt ein Lebewesen ist. Einige von ihnen vertreten die Auffassung, ein Virus sei eine primitive Lebensform, aus der sich andere, komplexere Lebensformen entwickelt hätten. Andere meinen dagegen, ein Virus sei das Ergebnis einer Devolution statt einer Evolution – das würde bedeuten, dass Viren einen Vorgänger hatten, eine höhere Lebensform, die einfacher wurde oder zu dem degenerierte, was wir heute beobachten können. Eine andere These besagt, dass Viren ihr Dasein als Teil einer lebenden Zelle begannen, der sich abtrennte und bestimmte Eigenschaften entwickelte, ohne jedoch ein voll ausgebildetes Lebewesen zu sein. Die Ungewissheit, ob ein Virus überhaupt lebt, ist nur der Beginn des Kampfs der Menschheit gegen diesen mikroskopisch winzigen Feind.
Immerhin wissen wir, dass Viren Meister der Replikation sind. Doch das tun sie nicht von selbst. Vielmehr dringen Viren in eine lebende Zelle ein, übernehmen die Energie und DNA der Wirtszelle, verankern ihre eigenen Gene (codiert in RNA, einer weniger komplizierten Form von DNA) und befehlen dann im Endeffekt der Wirtszelle, das Virus tausendfach zu reproduzieren. Über kurz oder lang platzt die Zellwand, die replizierten Viren werden freigesetzt, und dann wiederholt sich dieser Prozess in viel größerem Umfang – ein viraler Schwarm hat begonnen.
Ein Virus ist nicht mehr als eine eiförmige Hülle, die genetischen Code enthält. Der Schlüssel zur Replikation ist das, was sich auf der Oberfläche der Hülle befindet. Das Grippevirus hat zwei Arten von Protuberanzen (Vorsprüngen). Die erste ist ein Speer, der aus Hämagglutinin besteht (»H«). Die zweite hat die Form eines stacheligen Strauchs und besteht aus Neuraminidase (»N«). Die Hämagglutinin-Speere verankern sich an der Target-Zelle »wie mit Enterhaken, die von Piraten auf ein Schiff geworfen werden«, so Barry, und starten die genetische Invasion. Die Neuraminidase wirkt wie ein Rammbock, der die Sialinsäure auf der Oberfläche der Target-Zelle zersetzt. Wenn die replizierten Viren aus der Target-Zelle herausplatzen, würden sie normalerweise an der Säurehülle kleben bleiben. Aber durch die Neuraminidase wird diese zerstört, die neuen Viren kommen frei und können andere, gesunde Zellen angreifen.
Die Abkürzungen »H« und »N« sind selbst beiläufigen Beobachtern von Grippeausbrüchen bekannt. Virologen haben 18 Elementarformen von Hämagglutinin identifiziert und neun für Neuraminidase. Die sogenannte Spanische Grippe von 1918 war vom Typ H1N1. Die Hongkong-Grippe von 1968 war vom Typ H3N2, der auch heute noch im Umlauf ist. Die genaue HN-Struktur von SARS-CoV-2 ist nicht bekannt; sie ist der Gegenstand intensiver Forschungen zu Struktur und Verhalten des Virus. Diese Forschungsarbeit wird behindert durch die allem Anschein nach rapide Mutation des Virus schon in dieser frühen Phase der Pandemie.
Was ist eine Depression? Ökonomen haben ebenso große Schwierigkeiten, diese Frage zu beantworten, wie Virologen, denen man die Frage stellt, ob ein Virus lebt. Zumindest suchen die Virologen noch nach Antworten; dagegen haben die Ökonomen das Konzept einer »Depression« aufgegeben und das Wort aus ihrem Lexikon verbannt. Dieses Verhalten ist typisch für Ökonomen, die den Kopf in den Sand stecken, wenn sie mit realen Problemen konfrontiert sind. Aber es gibt sie nun mal, die Depressionen, wir befinden uns ja gerade mitten in einer. Und wie Viren verändern und entwickeln sie sich, lauern darauf, gesunde Volkswirtschaften zu befallen – einem Virus gleich, das eine gesunde Zelle angreift. Die US-Wirtschaft leidet nicht öfter unter einer Depression als die Menschheit unter einer Pandemie. Doch wenn das geschieht, können die Folgen verheerend sein. So wie Wissenschaftler nach Impfstoffen suchen, sind Ökonomen auf der Suche nach politischen Lösungen, um hohe Arbeitslosigkeit, Produktionsausfälle und den Einbruch des weltweiten Handels zu bekämpfen. Wissenschaftler haben am Anfang nicht alle Antworten, doch sie haben bewährte Methoden, um Antworten zu finden. Im Gegensatz zu Ökonomen. Das ist der Grund, warum die neue Große Depression länger als die Pandemie andauern und länger anhaltende negative Auswirkungen haben wird.
Ökonomen ziehen den Begriff »Rezession« vor. Eine Rezession wird normalerweise definiert als zwei aufeinanderfolgende Quartale mit zurückgehendem Bruttoinlandsprodukt (BIP) und steigender Arbeitslosigkeit. Die offizielle Definition, wie sie vom National Bureau of Economic Research (NBER) – der maßgeblichen Instanz für wirtschaftliche Rezessionen und Aufschwünge – angewendet wird, ist etwas komplizierter, doch »zwei Quartale negatives Wachstum« ist eine gute Faustregel. Ökonomen übernehmen diese Definition des NBER für eine Rezession, weil sie objektiv und quantifizierbar ist und daher in mathematische Gleichungen eingesetzt werden kann.
Eine Depression entzieht sich solchen objektiven Kriterien. Sie ist ungenauer definiert und hat eine folgenschwere psychische Komponente, die sich nicht quantifizieren lässt. Eine Depression lässt sich nicht ohne Weiteres in Gleichungen einsetzen. Depressionen sind so selten, dass sie in den meisten Wirtschaftsdaten-Zeitreihen keine Rolle spielen, die in den Regressionen und Korrelationen zur Anwendung kommen, dem Lebenselixier der an der Wall Street üblichen Pseudoökonomie.
Selbst viele von denen, die den Begriff »Depression« verwenden, interpretieren ihn falsch. Entsprechend der Definition der Rezession wird häufig angenommen, eine Depression bestehe aus fünf oder mehr Quartalen des Abschwungs – mit anderen Worten, eine Depression sei lediglich eine länger andauernde Rezession. Das ist nicht richtig. Die erste Große Depression, die 1929 begann, umfasste zwei technische Rezessionen. Die erste dieser Rezessionen dauerte von August 1929 bis März 1933 an; in dieser Zeit ging das BIP um 26,7 Prozent zurück. Die zweite Rezession dauerte von Mai 1937 bis Juni 1938 an und brachte einen Rückgang des BIP um 18,2 Prozent. Von 1933 bis 1936 wurde hingegen starkes Wachstum verzeichnet; 1933 stiegen die Aktienkurse um 63,7 Prozent, 1934 waren es 5,4 Prozent, 1935 immerhin 38,5 Prozent und 1936 immer noch 24,8 Prozent, bevor 1937 die zweite Rezession zuschlug und der Aktienmarkt um 32,8 Prozent fiel. Dennoch wird der gesamte Zeitraum von 1929 bis 1940 zutreffend als Große Depression bezeichnet. Das Wachstum von 1933 bis 1936 reichte nicht aus, um den Rückgang der Aktienkurse von 1929 bis 1932 auszugleichen; tatsächlich erreichte der Aktienmarkt erst 1954 wieder das Kursniveau von 1929, ganze 25 Jahre später. Die Arbeitslosenquote ging zwar nach ihrem Maximum im Jahr 1933 wieder zurück, verharrte aber bis 1941 oberhalb von 14 Prozent. Anders ausgedrückt: Die Wirtschaft erholte sich nach 1933 wieder, war aber vorher auf ein so niedriges Niveau von Beschäftigung, Produktion und Aktienkursen gefallen, dass die wirtschaftlichen Aktivitäten selbst nach der Erholung immer noch sehr schleppend verliefen.
Ein ähnliches Muster zeigte sich von 1873 bis 1897, eine Zeit, die Wirtschaftshistoriker als The Long Depression bezeichnen. Diese 24 Jahre anhaltende Depression umfasste sechs technische Rezessionen unterschiedlicher Dauer sowie drei Börsenpaniken (1873, 1893 und 1896). Zwischen diesen von Produktionsrückgängen und Finanzmarktcrashs geprägten Phasen kam es zu beachtlichem realem Wachstum und enormen technischen Innovationen. Diese lange Depression wurde akzentuiert durch Pleiten wie die von Jay Cooke & Company, der ersten US-Investmentbank, die im Sezessionskrieg die Nordstaaten-Union finanziert hatte. Der Grund, warum diese Periode als The Long Depression bezeichnet wird, ist nicht in erster Linie auf Produktionsrückgänge zurückzuführen, sondern auf die hartnäckig anhaltende Deflation, die Unternehmen und landwirtschaftliche Betriebe zu schaffen machte, weil sie den realen Wert ihrer Schulden erhöhte – ein Thema, auf das wir im vierten Kapitel näher eingehen werden. Falls Sie 24 Jahre für eine sehr lange Depression halten, denken Sie nur einmal an Japan, das sich seit 30 Jahren in einer Depression befindet, die 1990 begann.
Das bringt uns zur eigentlichen Bedeutung des Wortes »Depression«. Damit ist kein stetiger Rückgang der Produktion gemeint, sondern vielmehr ein gedämpftes Wachstum, das unterhalb des Langzeittrends verharrt. Wenn ein Wirtschaftssystem in der Lage ist, mit 3 Prozent pro Jahr zu wachsen, doch für einen längeren Zeitraum nur mit 2 Prozent wächst, befindet es sich in einer Depression. Auch in einer Depression kann Wachstum stattfinden, ganz so, wie es während einer Expansion zu Produktionsrückgängen kommen kann. Das entscheidende Kriterium ist nicht die Wirtschaftsleistung pro Quartal, sondern der Langzeittrend im Vergleich zum Potenzial.
Die beste Definition einer Depression stammt von John Maynard Keynes: »Ein chronischer Zustand unternormaler Tätigkeit, ohne irgendeine ausgesprochene Tendenz zur Wiederbelebung oder zum vollständigen Zusammenbruch.«6
Im historischen Zusammenhang und nach Keynes’ praktischer Definition befinden wir uns heute in einer neuen Depression, die wesentlich weitreichender ist als eine bloße technische Rezession. Produktions- und Beschäftigungszahlen spielen zwar eine Rolle, doch das veränderte Verhalten der Menschen ist wichtiger. Wenn das Wachstum zurückkehrt, was es bald tun wird, dann werden die Zugewinne auf einem so niedrigen Niveau aufbauen, dass die Produktionszahlen aus der Zeit vor der Pandemie jahrelang nicht erreicht werden können. Die Arbeitslosigkeit wird allmählich zurückgehen, doch ausgehend von einem so hohen Niveau, dass nach wie vor viele Millionen Arbeitnehmer auf Jahre hinaus ein schweres Leben haben werden. Doch abgesehen von den Zahlen wird es auch zu fundamentalen und generationenübergreifenden Verhaltensänderungen kommen: Die Menschen werden weniger Geld ausgeben und mehr sparen, trotz der vom Weißen Haus ausgegebenen Parole, sie sollten Kredite aufnehmen und konsumieren »wie in der guten alten Zeit«. Diese Zeit ist vorbei.
Viren sind rätselhaft, obwohl sie von der Wissenschaft gründlich erforscht wurden, während Depressionen real sind, aber von der Zunft der Ökonomen ignoriert werden. In diesem Buch werden wir untersuchen, wie das Rätsel der Viren entstand und wie unsere Reaktion darauf eine globale Depression verursachte. Wir können dem Virus nicht die Schuld für die Depression in die Schuhe schieben; wir können nur uns selbst die Schuld geben für unsere Reaktion auf das Virus. Diese Reaktion ist die eigentliche Ursache der Depression, und ihre Folgen werden uns auch dann noch zu schaffen machen, wenn das Virus längst eingedämmt ist.
Ein Wort zum Thema Wissenschaft. Manche Epidemiologen und Immunologen fordern, dass Wirtschaftsanalysten sich aus medizinischen Fragen heraushalten sollten. Die Wissenschaft von Viren, Influenza (Grippe), Impfstoffen und Pandemien ist sehr anspruchsvoll, erfordert ein jahrelanges spezialisiertes Studium, um sie zu beherrschen, und erfordert klinische Versuchsreihen und Laborexperimente, um sie qualifiziert zu praktizieren. Das versteht sich von selbst.
Gleichwohl haben Immunologen wie etwa Anthony Fauci, der Berater von US-Präsident Trump, keine solche Zurückhaltung an den Tag gelegt, wenn es um praktische Fragen der Wirtschaftspolitik geht. Sie behaupten, sie würden lediglich evidenzbasierte Empfehlungen aussprechen und die Wirtschaftspolitik anderen überlassen. Das ist nicht richtig. Wenn Immunologen fordern, die größte Volkswirtschaft der Welt in einem Lockdown herunterzufahren, um die Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus zu bremsen, setzen sie die tiefgreifendste wirtschaftspolitische Kursänderung der Geschichte durch. Das passt nicht zusammen. Immunologen können nicht einerseits die Wirtschaft der USA und der Welt fundamental verändern, womöglich auf Jahrzehnte hinaus, und andererseits zugleich darauf bestehen, dass Wirtschaftspolitiker sich aus immunologischen Fragen heraushalten müssten.
Im historischen Rückblick wird der Lockdown der US-Wirtschaft ab 2020 als der größte politische Fehler aller Zeiten betrachtet werden. Die Vermögens- und Einkommensverluste durch den Lockdown werden sich auf viele Billionen Dollar belaufen. Jeglicher Nutzen in Form von geretteten Menschenleben und verhinderten Schäden wird als verfehlt gelten, da es ebenso wirkungsvolle politische Optionen gab, die aber nicht erprobt wurden. Es gibt keine Hinweise darauf, dass Epidemiologen die Todesfälle durch Medikamente und Drogen, Alkohol, Suizid und Verzweiflung berücksichtigt hätten, als sie politische Maßnahmen empfahlen, die 60 Millionen Amerikaner* ihren Job kosteten.
In den Jahren 1968 und 1969 grassierte der H3N2-Stamm des Influenza-A-Virus weltweit. Er wurde damals als Hongkong-Grippe bekannt und forderte weltweit über eine Million Menschenleben, davon über 100 000 in den Vereinigten Staaten.7 Es war die drittschlimmste Grippe-Pandemie der Geschichte, die in der Anzahl der Todesopfer nur von der Asiatischen Grippe (1957 bis 1958) und der Spanischen Grippe (1918 bis 1920) übertroffen wurde. Zu ihren prominentesten Opfern zählen der frühere CIA-Direktor Allen Dulles und die Hollywood-Legende Tallulah Bankhead. Präsident Lyndon B. Johnson infizierte sich mit der Hongkong-Grippe, überlebte sie aber. Der Apollo-Astronaut Frank Borman erkrankte während einer Weltraummission an der Grippe. Es war eine massive Pandemie mit tragischen Verlusten an Menschenleben, doch es gab keinen Lockdown. Das Leben in den Vereinigten Staaten ging weiter wie eh und je. Immunologen arbeiteten an einem Impfstoff (der im August 1969 gefunden wurde), und die Bevölkerung verließ sich auf die Wissenschaftler. Davon abgesehen ging das Leben weiter. Das legendäre Woodstock-Festival fand während dieser Pandemie statt; in Woodstock gab es kein Social Distancing.
Das soll keineswegs heißen, dass heute keine Seuchenschutzmaßnahmen umgesetzt werden sollten, ganz im Gegenteil. Dennoch müssen Immunologen, die eine 21-Billionen-Dollar-Wirtschaft stilllegen wollen, damit rechnen, dass andere Analysten das anders sehen. Ich habe im Zuge der Recherchen für dieses Buch Dutzende von Peer-Review-Artikeln über Epidemiologie und Ökonomik gelesen; beide Disziplinen sind für einen gebildeten Laien, der sich ein bisschen Mühe gibt, die Wissenschaft zu verstehen, durchaus zugänglich. Ich bin zwar kein Epidemiologe, lasse mich aber auch von wissenschaftlichen Papieren nicht einschüchtern. Vielleicht haben mich zwei akademische Abschlüsse an der Johns Hopkins University gegen Angst vor Wissenschaft immunisiert, soweit es um Naturwissenschaften geht. Und natürlich kenne ich mich in den Domänen von Gesellschaftspolitik und ökonomischer Analyse ganz gut aus.
In Kapitel eins werden die fundiertesten wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Ursprung des SARS-CoV-2-Virus und der Covid-19-Pandemie dargestellt. Kapitel zwei umreißt die Kosten und das Chaos, die der globale wirtschaftliche Shutdown verursacht. Kapitel drei beschreibt die neue Große Depression im Detail, sowohl aus quantitativer Sicht als auch aus der Perspektive von Menschen, die in dem Abschwung gefangen sind. Eine Erholung wird bald einsetzen, doch sie wird lange dauern und mühsam werden, und sie wird besonders hart für die US-Geringverdiener, die am schwersten betroffen sind. In Kapitel vier wird erklärt, warum 4 Billionen Dollar an neuem Zentralbankgeld der Federal Reserve und 4 Billionen Dollar an neuen Staatsschulden, die vom Kongress beschlossen wurden, die wirtschaftliche Depression nicht werden überwinden können. Frisch gedrucktes Geld und hohe Staatsausgaben können vielleicht helfen, die Wirtschaft am Leben zu erhalten, doch diese Maßnahmen sollten nicht verwechselt werden mit »Stimuli« (staatlichen Anreizen zur Ankurbelung der Wirtschaft). Die Staatsverschuldung der USA hat schon jetzt den Punkt überschritten, an dem solche Maßnahmen überhaupt noch wirken können, abgesehen von einer kaum bekannten Strategie. Kapitel fünf zeigt, dass weder die Pandemie noch eine wirtschaftliche Depression die schlimmsten zu erwartenden Entwicklungen sind: Jeden Tag kommt es in jeder Ecke des Landes zu sozialen Unruhen. Der Lack der Zivilisation ist dünn wie Seidenpapier, und dieses Papier ist jetzt gerissen. In Kapitel sechs werden konkrete Anlagestrategien präsentiert, mit denen der Investor in einer post-pandemischen Welt seine Vermögenswerte bewahren kann. Zu guter Letzt wird in den Schlussbemerkungen die einzige wirtschaftspolitische Strategie beschrieben, die die Wirtschaft retten kann. Diese Strategie wird von Politikern nicht verstanden und von Ökonomen verabscheut, obwohl sie im 20. Jahrhundert von zwei US-Präsidenten umgesetzt wurde und in beiden Fällen gut funktionierte. Wenn die Regierung diesem Plan nicht folgen will, um die Wirtschaft zu retten, können Sie ihn für sich selbst umsetzen, um Ihren Wohlstand zu bewahren und in einer post-pandemischen Welt zu prosperieren. Hoffentlich wird dieser Plan allmählich die Unterstützung gewinnen, die er verdient, sodass sowohl die Wirtschaft als auch Ihr Portfolio gedeihen können.
Machen wir uns auf die Reise durch diese verwüstete Landschaft und suchen wir uns am Ende unseren Weg in eine bessere Welt.
Alle wahren Wissenschaftler existieren an der Grenze des menschlichen Wissens. Selbst die unambitioniertesten unter ihnen begegnen dem Unbekannten, wenn auch nur einen Schritt jenseits des Bekannten. Und die besten von ihnen dringen tief in eine Wildnis vor, in der sie fast überhaupt nichts wissen.
John M. Barry, The Great Influenza (2005)1
Die Welt wartet darauf, dass ein aus Wuhan stammendes Virus wieder verschwindet. Doch das wird vielleicht nie geschehen.
Das Virus wird durch normale Mutationen weniger aggressiv werden. Vielleicht werden einige Bevölkerungen eine Gruppenimmunität entwickeln, wenn sie dem Virus lange genug ausgesetzt sind. Womöglich können durch neue Medikamente und Therapien die schlimmsten Folgen gemildert und Menschenleben gerettet werden. Doch obwohl ein Impfstoff nun vorliegt, kann es noch eine Weile dauern, bis eine flächendeckende Impfung stattgefunden hat. Bisher konnte keines der sechs bekannten Human-Coronaviren durch einen Impfstoff unter Kontrolle gebracht werden. Die Wundermittel, über die in den Medien berichtet wird, können gegen andere Krankheiten wie Grippe immunisieren, die opportunistisch Patienten heimsuchen, die schon durch dieses Virus geschwächt sind. Andere Medikamente, die zurzeit entwickelt werden, können vielleicht Komplikationen aufgrund einer Infektion mit dem Virus behandeln, menschliches Leid lindern und Leben retten. Solche Medikamente sind wertvoll und werden der Menschheit helfen, mit dem Virus fertigzuwerden, doch sie können keine Heilung bewirken. Vielleicht wird es nie eine Heilung geben, sondern nur einen Modus Vivendi mit einem unsichtbaren Angreifer.
Das Virus SARS-CoV-2 ist im allgemeinen Sprachgebrauch als Coronavirus bekannt. Die Krankheit, die von dem Virus verursacht wird, heißt Covid-19. Die Erkrankung selbst ist rätselhaft: Mal präsentiert sie sich als eine gewöhnliche Erkältung, mit Husten, leicht erhöhter Temperatur, Kopfschmerzen und laufender Nase, mal zeigt eine infizierte Person gar keine Symptome; das Virus kommt und geht, ohne ein Zeichen, dass es jemals da gewesen sei, abgesehen von einer unsichtbaren Spur von Antikörpern, die vielleicht später durch einen Test erkannt werden.
Doch in manchen Fällen zeigt sich das Virus in seiner aggressiven und potenziell tödlichen Form. Der Patient bekommt Atembeschwerden, die Folge einer Lungenentzündung. Winzige Luftbläschen in den Lungen füllen sich mit Flüssigkeit, die es der Lunge unmöglich machen kann, Sauerstoff ins Blut zu übertragen. Letzten Endes ertrinkt der Patient dann in seinen eigenen Körperflüssigkeiten – ein Zustand, der als Lungenödem (oder Wasserlunge) bezeichnet wird. Manche Patienten berichten von starken Lungenschmerzen und sagen, es fühle sich an, als würden sie Glasscherben schlucken. Viele Opfer leiden unter hohem Fieber.
Von diesem Punkt an kommt es schnell zu diversen Komplikationen. Sobald die Sauerstoffzufuhr zu stark beeinträchtigt ist, kann es zu Organversagen kommen. Nierenversagen, Herzanfälle, Blutgerinnsel, hoher Blutdruck und Sepsis, eine Art Blutvergiftung, können auftreten. Da der Patient bereits stark geschwächt ist, kommt es zu weiteren Infektionen, wenn andere Viren und Bakterien opportunistisch angreifen, was zu einer schweren Grippe und einer sowohl bakteriellen als auch viralen Lungenentzündung führen kann. Manche dieser Komplikationen können jede für sich behandelt werden, aber es gibt keine allumfassende Therapie, die Heilung verspricht.
In den schlimmsten Fällen können, aus bislang unbekannten Gründen, in fast allen Organen und Systemen des Körpers Komplikationen auftreten. Manche Opfer erleiden Hirnschäden und Störungen des Nervensystems, was zu kognitiven Fehlfunktionen oder Halluzinationen führen kann. Häufig gehen Geruchs- und Geschmackssinn verloren. Auch über Schlaganfälle und Darmentzündungen wird berichtet. Das hohe Fieber, die akute Atemnot, mehrere Infektionen und die Schnelligkeit, mit der diese zusammenwirken, führen bei einem signifikanten Prozentsatz der akuten Fälle zum Tod des Patienten.
Angesichts der resultierenden Flut von Informationen, die in manchen Fällen fachkundig sind, in anderen fahrlässig, ist es wichtig, zwei Punkte deutlich zu machen: Covid-19 ist weder eine Grippe noch eine Lungenentzündung. Das sind andere Krankheiten, die Covid-19-Opfer allerdings heimsuchen und tödlich verlaufen können, zumal in Verbindung mit anderen, von Covid-19 verursachten Komplikationen. Covid-19 selbst ist eine seltsame neue Krankheit. In ihrer reinen Form und ohne Komplikationen manifestiert sie sich ähnlich wie eine akute Höhenkrankheit, wie ich sie selbst beim Bergsteigen erlebt habe. Für den Bergsteiger ist das beste Gegenmittel ein möglichst rascher Abstieg, obwohl in extremen Fällen ein tragbarer Überdrucksack (ein sogenannter Gamow-Sack) oder eine Rettung per Hubschrauber notwendig sein können. Dabei kommt es nur darauf an, möglichst schnell mehr Sauerstoff zu geben. Auch für ein Covid-19-Opfer ist reiner Sauerstoff, der über eine Kanüle oder eine Beatmungsmaske zugeführt wird, eine der wirkungsvollsten Therapien.
So wurde der britische Premier Boris Johnson während seiner akuten Covid-19-Attacke, die sich Anfang April 2020 über zwei Wochen hinzog, mit reinem Sauerstoff behandelt. Johnson erzählte Reportern später, es sei »kaum zu glauben, dass mein Gesundheitszustand sich in wenigen Tagen dermaßen verschlechtert hat«.2 Johnsons Ärzte trafen die richtige Entscheidung – die Alternative wäre der Einsatz eines Beatmungsgeräts und ein künstliches Koma gewesen. Inzwischen gibt es überzeugende Belege dafür, dass durch den zu häufigen Einsatz von Beatmungsgeräten für Covid-19-Patienten mehr Schaden als Nutzen entstand, da viele von ihnen nicht überlebten.3 Die meisten Patienten brauchen keine mechanische Lunge, sie brauchen Sauerstoff.
Die Rätselhaftigkeit von Covid-19 wurde in einem Artikel des Wall Street Journal eingefangen, in dem es in erster Linie um die ungewöhnlich hohe Zahl von Komplikationen ging, die bei Patienten auftraten, und um die Reaktion von erfahrenen Medizinern auf ein völlig neues Krankheitsbild:4
Die ungewöhnlichen Auswirkungen des Virus gehen über alles hinaus, was laut Aussagen von Ärzten normalerweise bei anderen Virusinfektionen zu beobachten ist. »Es scheint so viele Organe und Systeme in Mitleidenschaft zu ziehen«, so Maya Rao, eine Nierenspezialistin […] in New York, die Covid-19-Patienten mit akutem Nierenversagen behandelt. »Wir verstehen nicht, wer daran erkrankt.« […]
»Manchmal sieht man bei sehr schweren Infektionen ähnliche Symptome«, sagt Magdy Selim, ein Neurologe […] in Boston, der Covid-19-Patienten behandelt, die einen Schlaganfall erlitten haben. »Aber nicht die gesamte Symptomatik bei einem einzigen Patienten. Dies sind schwer kranke Patienten.«
Von Dezember 2019 bis März 2020, also in nur wenigen Monaten, wuchs Covid-19 sich von einer regionalen Epidemie zu einer globalen Pandemie aus. Bis Anfang Oktober 2020 waren weltweit über eine Million Menschen an der Krankheit gestorben, und jeden Tag wurden es mehr.
Bevor wir uns den wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie – dem Hauptthema dieses Buches – zuwenden, ist es wichtig, den Ursprung und die Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus nachzuverfolgen. Zum Glück gibt es zu diesem Thema reichlich Hinweise. Die Ausbreitung des Virus hat geopolitische Implikationen, die ebenso wichtig werden können wie andere epochale Ereignisse, etwa das Ende des Kalten Kriegs im Jahr 1991 oder die Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1940. Es ist unmöglich, die gesellschaftlichen Auswirkungen des Virus zu verstehen, ohne seine Ausbreitung selbst verstanden zu haben.
Chinas Fahrlässigkeit (oder Schlimmeres) führte dazu, dass ein lokaler Ausbruch sich zu einer globalen Pandemie auswuchs. Die Vereinigten Staaten litten darunter am meisten und zahlten den höchsten Preis, in Form von verlorenen Menschenleben und Vermögenswerten. Heute sind alle Länder der Welt intensiv damit beschäftigt, das Virus einzudämmen oder die wirtschaftlichen Trümmer wegzuräumen – oder beides. Doch hinsichtlich der Verantwortlichkeit für die Pandemie sind zwischen den beiden wirtschaftlichen Supermächten der Welt, den USA und China, noch einige Fragen offen.
In H. G. Wells’ 1898 erschienenem Science-Fiction-Klassiker Der Krieg der Welten