IMPRESSUM
© 2018: Manuela Bößel * www.tangofish.de und Peter Ripota * www.peter-ripota.de
Lektorat: Karin Law Robinson-Riedl * Gerhard Riedl www.robinson-riedl.de
Satz, Layout und Illustrationen: Manuela Bößel
Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 9783746073163
Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Informationen sind im Internet unter www.dnb.de abrufbar.
Dieses Buch verzichtet auf den heute gängigen „Gender-Sprech“. Ob mit den einschlägigen Figuren also jeweils Frauen, Männer oder Dazwischenliegende gemeint sind, dürfen die Les-er und Les-sies eigenständig entscheiden.
Die geschilderten Ereignisse haben die Autoren entweder selbst erlebt, sind ihnen von Vertrauenspersonen erzählt worden oder hätten sich – nach ihrer festen Überzeugung – jedenfalls genauso ereignen können. Die jeweilige Zuordnung wird dem Nutzer dieses Werks überlassen. Tipp: Je unglaubhafter sie klingen, desto wahrscheinlicher haben sie sich wirklich zugetragen!
Eine Haftung für die Umsetzung der geäußerten Ratschläge schließen die Autoren aus, insbesondere für den Fortbestand von Zweierbeziehungen nach Lektüre des Buches.
Vor den Risiken und Nebenwirkungen der Beschäftigung mit dem argentinischen Tango in Wort, Bild, Musik oder gar Tanz wird ausdrücklich gewarnt. Viele, welche dieser Sucht erlegen sind, wären froh, nie damit angefangen zu haben!
Ich gestehe gern, dass ich von der Idee zu diesem Buch begeistert war.
Das liegt zunächst einmal am Thema: Die Frage nach dem Mit- oder Gegeneinander der Geschlechter ist uralt, dennoch stets wieder interessant und nach wie vor fern jeglicher Lösung.
Noch mehr gilt dies für das vorliegende Sujet: den argentinischen Tango. Dessen angebliche Nähe, ja Erotik provoziert die ständige Ventilation der „Beziehungskisten-Frage“. Muss man sich nicht geradezu verlieben, wenn man Wange an Wange symbiotisch durch den Saal schwebt? Oder wird gerade dabei die Erkenntnis des unsterblichen Loriot umso deutlicher: »Männer und Frauen passen nicht zusammen.«
Klarstellen muss man aber: Dies ist kein Buch über den Tango! Der zeigt nur unter „Laborbedingungen“ die Gesetzmäßigkeiten im Freiland. Um die Gedanken und Erkenntnisse des vorliegenden Werkes zu verstehen und daraus vielleicht Nutzen zu ziehen, muss man keinen Tango tanzen. Vielleicht ist das sogar besser…
Das Kraut fett machen dann noch die beiden Autoren:
Beide sind zwar rettungslos dem Tanz vom Rio de la Plata verfallen, vertreten jedoch keinesfalls mehrheitsfähige Standpunkte der heutigen, sich immer mehr ausbreitenden Szene.
Peter Ripota darf man getrost als „Tango-Urgestein“ bezeichnen: Seit Ende der 1980-er Jahre ist er in diesem Tanz unterwegs. Neben vielen anderen Aktivitäten veranstaltet er seit 2007 zusammen mit seiner Frau Monika einen monatlichen Tangotanzabend, dessen Musikauswahl im jetzigen, sehr traditionell gestrickten Umfeld nur als skandalös zu bezeichnen ist.
Der studierte Mathematiker und Physiker arbeitete hauptberuflich 23 Jahre als Redakteur beim P.M.-Magazin, ist daneben aber auch Autor von Büchern – nicht nur über diese Wissenschaften, sondern unter anderem Astrologie, Handlesen, Kartenlegen, Märchen – und natürlich Tango. Wie passt das zusammen?
Peter würde wahrscheinlich antworten: »Muss es doch gar nicht.« Er ist ein Dialektiker, der erst bei Widerspruch so richtig in die Gänge kommt. »Das Schlimmste beim Tango argentino ist es, so zu tanzen wie alle anderen«, schreibt er in einem seiner Texte. Das sagt eigentlich genug…
Auch für junge Menschen hat der Autor einen wichtigen Tipp:
»Ich kann nur allen Kindern und Jugendlichen raten, wenn die Eltern Tango tanzen, schaut euch rechtzeitig nach einem guten Waisenhaus um. Da seid ihr besser aufgehoben als in einer kalten, einsamen Bude.«
„Der andere Sonderling im Tango“ (so hat ihn ein Blogger einmal bezeichnet) hat mir gegenüber einmal bekannt, er habe sein ganzes Leben lang versucht, sich anzupassen. Es sei ihm nur nie gelungen. Wer seine Texte liest, ahnt, warum – und wer der „eine Sonderling“ ist…
Damit wären wir übergangslos bei der zweiten Autorin: Auch Manuela Bößel hat nach eigenem Bekenntnis lange, aber dennoch am Ende vergeblich versucht, die Rolle des treusorgenden Eheweibs auszufüllen. Inzwischen bemüht sie sich, ihre Anlage zur „Kümmererin“ lediglich als Krankenschwester in der ambulanten Intensivmedizin, Heilpraktikerin, Webdesignerin und Buchautorin auszuleben.
Nach Ballett und Steptanz blieb sie Ende des letzten Jahrtausends beim Tango hängen. Die Mängel bei dessen „Familien-Kompatibilität“ kennt sie aus erster Hand. Ob man sie deshalb oder wegen Sätzen wie diesen eventuell als „eigenartiges Frollein“ sieht, kümmert sie wenig:
»Unter‘m Strich rentiert sich‘s wahrscheinlich doch, einfach die Arbeitszeit des Kfz-Schraubers meines Vertrauens zu kaufen. Der ist günstig und wechselt die Reifen einwandfrei. Und seine Bartstoppeln bleiben garantiert nicht in meinem Waschbecken liegen.«
Wie man schon ahnt, leiden die Schreiber an erheblichen Defiziten ihres weiblichen respektive männlichen Rollenbildes – und sie sind beide typische „Eigenbrötler“. Ich war sehr gespannt, wie ihre Arbeit an einem gemeinsamen Buch enden würde.
Als ich den Manuskript-Entwurf in Händen hielt, wusste ich: Es funktioniert vielleicht gerade deshalb. Die passende Form konnte jedoch nur ein Dialog sein, in dem beide die Themen aus ihrer subjektiven Sichtweise beleuchten. Dieser ist stets spannend – auch weil die Machart ständig zwischen ernsthaftem Bemühen und horrendem Blödsinn wechselt.
Männer führen, Frauen folgen?
Liebe Leser, sehen Sie selbst, ob an diesem nicht nur den Paartanz beherrschenden Klischee etwas dran ist. So viel kann ich verraten: Das Fragezeichen ist berechtigt!
Seien Sie allerdings gewarnt: Es warten auf Sie keine aufbauenden, menschenfreundlichen Sentenzen, im Gegenteil: Beide Geschlechter erhalten teilweise höchst ernüchternde Botschaften.
Peter hat das Anliegen der Autoren so zusammengefasst:
» In unserem Buch ist zwar viel vom Tango die Rede, doch geht es uns nicht in erster Linie um diesen Tanz. Vielmehr wollen wir die Tücken zwischenmenschlicher Beziehungen zwischen Männern und Frauen darstellen, in angemessener, wenngleich nicht immer todernster Form. Der Tango ist dabei ein vereinfachtes Modell dieser Beziehungen, an dem Probleme und Chancen deutlich sichtbar werden. Wer mit wem und warum gerade so? Im Tango sind Verhaltensweisen, Beziehungsmuster und Charaktereigenschaften leichter erkennbar als im wahren Leben. Deswegen wählen wir als Beispiel für das, was in einer Beziehung funktioniert – oder meistens nicht – diesen Tanz, der alles enthält, was eine Beziehung so erhebend oder kaputt macht. «
In diesem Sinne: viel Vergnügen!
1. EIN TANZ
Neben dem, was wir hier Tango nennen, gibt es auch noch einen Marsch, der bedauerlicherweise auch diesen Namen trägt. Der „Standardtango“, wie er im Programm der Tanzschulen gelehrt wird, und der „Tango argentino“, wie er in Buenos Aires, Montevideo und vielen anderen Städten praktiziert wird, unterscheiden sich in Folgendem:
Der Standardtango (im Englischen: ballroom tango = Tanzsaaltango) hat einen strikten Viererrhythmus, klingt wie ein Marsch und wird auch so getanzt. Er ist ein genormter Tanz mit vorgeschriebenen Figuren und oft fester Choreographie. Wer einen Schritt falsch macht, kriegt Punkte abgezogen. In Schlachten wäre er als Anfeuerungsmusik gut geeignet. Die Haltung ist unten eng und oben weit. Die Oberkörper sind also zurückgelehnt, damit Arme und Köpfe ihre weit ausladenden bzw. ruckartigen Bewegungen machen können. Geprägt ist der Standardtango von Regeln und Wettbewerb – er ist also ein Sport. Jede Abweichung von der Norm ist ein Fehler. Das Schlimmste beim Standardtango (wie bei uns im Leben) ist es, zu spät zu kommen.
Der Tango argentino hat einen variablen Zweierrhythmus, enthält viele Synkopen und Pausen, ist rhythmisch, harmonisch und melodisch sehr abwechslungsreich. Er ist ein sinnlicher Tanz, bei dem nichts vorgeschrieben ist und das Paar jeden Schritt improvisiert. Zwar gibt es Grundfiguren, doch die werden ständig abgewandelt, modifiziert, den Bedürfnissen und dem Können der Tanzenden angepasst. „Falsche“ Schritte oder Figuren existieren nicht, nur unelegante. Jede Abweichung von der Norm (die es aber gar nicht gibt) ist eine neue Figur:
„Wenn du zweimal den gleichen Fehler machst, hast du eine neue Figur erschaffen.“ Die Haltung ist oben eng, unten weit (damit die Beine ihre Figuren machen können). Geprägt ist der Tango argentino von einer Art trotzigem Individualismus, der sich nicht darum kümmert, was die anderen machen (außer, auf sie Rücksicht zu nehmen).
Das Schlimmste beim Tango argentino ist es, so zu tanzen, wie alle anderen – oder rechtzeitig zu kommen. Ersteres zeigt einen Mangel an Persönlichkeit, Letzteres eine Einschränkung der Freiheit.
2. EIN TRAUM
Der Tango ist eine echte Sucht mit all ihren Wohltaten und Übeln. Da gibt es Abende, wo keine mit dir tanzen will, und die paar Damen, die sich doch dazu hergeben, können nichts, laufen davon, grüßen während des Tanzens ihre Bekannten oder sagen, sie hätten schon bessere Partner gehabt. Und alle Männer tanzen besser als du, das ist klar zu sehen.
Am nächsten Abend geschieht dann das genaue Gegenteil. Die Stimmung ist aus irgendeinem Grund anders, und schon die zweite Dame findet einen Schritt toll, den du machst. Sie möchte ihn lernen, ihr übt, erst verwickeln sich die Beine ineinander, dann die Körper. Irgendwie kommt ihr wieder auseinander, und da merkt ihr, wie die Musik von Astor Piazzolla den Saal mit wunderbar melancholischen Klängen übergießt. Der Zauber, den nur der Tango kennt, beginnt zu wirken, die roten und blauen Lichter verschmelzen mit den Klängen des Bandoneons, der Rhythmus fließt wie von selbst in die Beine, die Stimmung der Verlorenheit berührt die Seelen. Vergessen sind Schritte und Figuren, Mühen und Plagen. Zwei Körper gestalten gemeinsam ein Kunstwerk, zwei Seelen verschmelzen wortlos mit der Musik, zwei Herzen pulsieren synchron, und die Umwelt existiert nicht mehr...
Am nächsten Abend siehst du sie wieder, die Dame, mit der du einen so wundervollen Tango-Abend erlebt hast, und möchtest mit ihr tanzen, ein wenig von dem Zauber des gestrigen Abends entzünden. Doch sie liegt, glückselig lächelnd, in den Armen ihres Liebsten und sieht dich nicht ... Das ist Tango!
Manuela:
Was Peter da so romantisch beschreibt, ist in Wirklichkeit eine ganz gefährliche Angelegenheit. Es könnte sein, dass dich der Tango auf seinen Armen über eine Schwelle trägt, die deine gewohnte Sicht „des Lebens und der Liebe und all das“ ändern könnte. Also Obacht! Eine Begegnung im Tango kann den Bund fürs Leben begründen (sehr selten) oder eine Ehe scheitern lassen (häufiger). Zumindest eine, die ohnedies schon auf wackeligen (Nichttänzer-) Beinen steht und in der ein Partner tanzt und der andere nicht. Welche Prozesse dabei ablaufen, schildern jetzt Peter aus männlicher und ich aus weiblicher Sicht:
Absoluten Nichttänzern die Faszination des Tango argentino zu erklären ist wirklich schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Andere Hobbys haben es leichter mit ihrer Daseinsberechtigung: In neonfarbener Wursthaut auf einem Radl, das mehr gekostet hat als mein Auto, durch die Gegend zu kurven, nach Norwegen reisen und dort fischen (obwohl man keinen Fisch isst), Steine zerklopfen – um zu sehen, was drin ist oder Biberrutschen respektive Vogeldreck kartieren... Das sind sinnvolle Tätigkeiten! Leibesertüchtigung! Wissenschaft! Naturschutz!
Und der Tango nur ein wahrscheinlich sehr egozentrisches, frivoles Vergnügen.
Jede(r) Tangotanzende – hier muss man noch nicht nach Geschlecht unterscheiden – wird im Laufe seines Tangolebens die Versuche der Tangosuchtrechtfertigung aufgeben: sich aufs Genießen und Schweigen beschränken, mit den Achseln zucken und in sich hinein lächeln. Zumindest, was Außenstehende betrifft, Freunde, weitere Familienkreise, Kollegen etc.
Beim eigenen Partner sieht die Sache aber anders aus: Diesem meint die Ehefrau so nahe zu sein, dass er es doch verstehen MUSS! (Hier beginnt die unterschiedliche Kommunikation von Männern und Frauen zu wirken. Einem Mann wäre es wurscht.) Außerdem kennt der Herzallerliebste sie ja schon lange genug. Auch wenn Tanzen nicht sein Ding ist, sollte er doch wenigstens das Maß seiner Leidenschaften (Fußball o.ä.) mit ihrer Tangoliebe vergleichen und anerkennen können! Wenn nicht sogar wertschätzen. Typisch weibliche Illusionen!
So folgen von ihrer Seite verschieden aufbereitete Kurzreferate, beim Mittagessen Abstracts und auf der nächsten längeren Autofahrt die ganze Studie (wissenschaftlich, ethnologisch, soziologisch...), aktuelle Berichte mit Bild von der letzten Milonga, Hinweise auf die gesundheitsfördernden Wirkungen wie Depressionsprophylaxe oder Funktionserhalt, Tango in Film und Ton und vielleicht sogar live bei einer erzwungenen Exkursion.
Die Frau möchte ihm doch erzählen, was sie beschäftigt, ihre schönen Erlebnisse, ihre Erfahrungen, die sie tangotanzend fürs Leben gemacht hat – wenn schon nicht auf dem Parkett – wenigstens beim Nachschmecken teilen, auch vom Genuss abgeben, ihn kosten lassen.
Phase 1
Die logische Folge: Das nervt den Nichttänzer-Partner-Mann wie die Sau. Tango, immer und überall Tango! Er kann's nicht mehr hören! Ohren zu, der Bau des 87. Insektenhotels oder den Bohrstock in die Erde zu hämmern versprechen Ruhe und Frieden in tangofreien Zonen.
Dann hört sie eine Zeitlang auf, mit ihm über den Tango sprechen zu wollen.
Trotzdem wird er merken, dass seine Frau irgendwann irgendwie ungut wird, wenn sie ihre Tangodosis nicht bekommt – obwohl sie wirklich versucht, den Tango aus dem gemeinsamen Leben hinaus zu schweigen. Sie wirkt unleidlich, schneller reizbar als sonst, ist ungeduldiger mit den Kindern und ihm. Unpässlichkeiten wie Kopfschmerzen stellen sich ein und stören die Alltagsroutine. Die Stereoanlage dudelt pausenlos diese schräge Musik. Manchmal sitzt sie dann niedergeschlagen im Flur, streichelt ihre Tanzschuhe, bevor sie selbige seufzend zurück in den Beutel steckt und sich ein bemühtes Lächeln ins Gesicht pflanzt. Als motivierende, lustige Gefährtin ist sie in diesem Zustand gar nicht zu gebrauchen. Sie vergisst auch zu viel, zum Beispiel, wo sein Hausschlüssel ist.
Übel muss Übel vertreiben! So wird er ihr eine Mindestdosis Tango erlauben, gerade genug, um den Spiegel zu erhalten, so dass sie verträglich bleibt. Nicht zu viel, Euphorie ist auch nix. Dann würde sie übermütig. Mögen wird er den Tango trotzdem nicht. Je mehr er über die Szene lernt, desto geschickter kann er sein Wissen einsetzen und sie in seinem Sinne steuern. Und sie fügt sich – der Familie zuliebe. Auf diese Weise lässt sich ihr Tangoschmarrn ganz gut ausblenden.
Dieses Modell kann über Jahre funktionieren, solange der nichttanzende Ehegatte die stabilen Rahmenbedingungen kennt und das Verhalten ihrer „Tango-Sproguzzis“ einschätzen kann.
Phase 2
Kommen neue Unwägbarkeiten hinzu, etwa der Besuch einer Milonga in der Nachbarstadt oder nicht einschätzbare, ihm unbekannte Tangofreunde, wird‘s eng.
Dann beginnt ihre Erklärungsschleife erneut mit angepassten Inhalten und Zusatzangeboten, die ihn beruhigen sollen. Er muss sich doch keine Sorgen machen! Sie sieht dazu keinen Grund. Wozu auch? Sie will ja nur ab und zu mal schön Tango tanzen. Ist leider in der Heimatstadt nicht mehr möglich. Außerdem achtet sie ja strikt darauf, ihre Tanz-Unternehmungen familienfreundlich zu gestalten – was schlicht bedeutet, dass die Familie fast nix davon mitbekommt, da anderweitig beschäftigt. Das muss er ihr doch nicht sagen!
Trotz ihrer Bemühungen folgt eine grundlegende Wendung: Er steigt ein in die Gespräche über den Tango und seine Durchführung. Hartnäckig, leidenschaftlich. Immer wieder. Gut, dass er viel Hintergrundwissen über den Tango angesammelt hat. Das lässt sich nun wunderbar in Gegenargumente umbauen: dieses Einlassen auf den Tanz-Partner, die körperliche Nähe, das Werben, die dunklen Hinterhöfe, wo die Milongas stattfinden, die langen Fahrten, nachts allein auf der Autobahn, … kurz: Sodom und Gomorrha.
Da prallen ihre harmlosen Berichte, zum Beispiel vom Durchschnittsalter der Milongabesucher (Rentner+), von der beschützenden Begleitung zum Auto und der Hinweis auf den ADAC einfach ab. Dass sie auf sich selber gut aufpassen kann und wirklich vorsichtig agiert, mag wohl stimmen. Zugeben muss der Non-Tangopartner das keineswegs.
Ganz aufgeben soll sie den Tango auf keinen Fall! Dann würde sie ja wieder ungut. Es soll nur alles wieder so sein, wie in Phase 1: niedrigspiegel dosierter Tango, kontrollier- und ausblendbar, Tangogassi einmal pro Woche in der Kneipe am Heimatort. Von dort hat er die Telefonnummer, wie die von einigen ihrer Tangokollegen. Der Wirt kennt ihn, und seine Frau ebenso. Der sagt ihm schon, was sie gerade tut, oder holt sie ans Telefon, wenn sie ihr Handy nicht hört.
Tödlich für sein Wunscharrangement ist der Fortgang der Zeit. Alles ändert sich: Tangoszenen gleiten gelegentlich ab in dumpfe Fadheit, gute, liebgewonnene Tanzpartner wandern ab. Der Kneipenwirt stirbt. Mit ihrer eigenen tänzerischen Entwicklung steigt zwangsläufig ihre Neugier auf die weite Tangowelt und die Lust, diese zu erforschen: Mal andere DJs hören, erleben, wie in XY getanzt wird, die Milonga von den netten Veranstaltern besuchen, die vor einiger Zeit hier waren usw. Ließe sich alles familienkompatibel verwirklichen. Logistisch muss das kein Problem darstellen.
Phase 1 ist aber trotz heftigster Bemühungen beider Partner einfach nicht reproduzierbar! Die beiden werden versuchen, diese Tatsache zu ignorieren. Je nachdem, wie sturköpfig sie sind, kann auch diese Phase einige Zeit halten.
Der Systemzusammenbruch kommt trotzdem. Unaufhaltsam.
So könnte es weitergehen:
Gibt sie – der Familie zuliebe – den Tango ganz auf (so wie vorher praktizieren geht ja nicht mehr), wird sie eingehen wie eine vergessene Primel hinter dem Komposthaufen. Das Lebenselixier fehlt. Dann ist sie auch nicht mehr die glitzernde Lebensfreudige, die sie mal war – folglich ungut, auch wenn sie sich das nicht eingestehen will.
Ob er das möchte?
Oder sie verlagert ihre Tangoleidenschaft in ein anderes Gebiet: Gärtnern, Kuchenbacken, Naturschutz, was auch immer. Bleibt sie auf Dauer mit ihrer Alternative glücklich, dann befürchte ich, dass der Tango auch vorher schon nicht ganz so tief im Herzen verwurzelt war, wie es ihr schien. Paarprognostisch optimal wäre es in diesem Fall, wenn sie sich in seinen Interessengebieten ausleben könnte. Gemeinsam Insektenhotels bauen oder so.
Eine weitere Option wäre, dass sich die beiden Partner einigen, Kompromisse schließen. Er ihr die Liebe zum Tango lassen und ihr die schönen Erlebnisse von Herzen gönnen lernt. Wäre ein krasser Persönlichkeitsumschwung.
Wünschenswert? Machbar? Vielleicht, wenn beide außergewöhnlich lernfähige, reflektierte Menschen sind. Aber leider ein rein hypothetischer Fortgang. Die „Kompromisse“ nach langen Gesprächen bestehen meist nur darin, dass sie einsieht, wie „egoistisch” ihr Verhalten war und anschließend in einer nur punktuell anders gestalteten ersten Phase.
Bleibt sie beim Tango, dann kracht‘s, und zwar gewaltig. Dann kann sie damit rechnen, entsorgt, aus der Familie ausgemustert oder gleich substituiert zu werden. Leicht ist dieser Weg gewiss nicht. (Die Autorin weiß, wovon sie spricht.) Und ich kenne keine, die den leichtfertig beschritten hätte. Aber gesünder, als seine Seele zu verkaufen.
Fazit:
Natürlich ist die Grundlage dieser Geschichte ein Zusammentreffen zweier ganz bestimmter Charaktere – die meiner Erfahrung nach häufiger vorkommt als man vermuten würde: Fast alles spielt ja beziehungsintern, die öffentlich sichtbare Oberfläche scheint sauber poliert, ohne Kratzer.
Um dem Drama einen positiveren Verlauf zu schenken, müssen wir ganz am Anfang ansetzen – nämlich schon bei der Partnerwahl. Zwei Menschen, die beide als Geschäftsgrundlage formulieren können:
»Jeder spinnt auf seine Weise – und manchmal auch für sich allein« – wären bestimmt ein Gespann, in dem der Tango Platz hat – auch wenn nur sie ihn tanzt.
Peter:
Da sagt der zugehörige Mann: »Es war alles ganz anders. In Wirklichkeit hat es sich so zugetragen: ...«
Ja ja ja, ‘s ist traurig, aber wahr: Meine Frau hat mich betrogen. Nicht mit einem Mann (hoffe ich jedenfalls), aber mit ihren Interessen. Dass sie jetzt Tango tanzt, ist eigentlich nur der Höhepunkt einer Entwicklung, die ich in meiner Gutgläubigkeit nicht wahrhaben wollte. Dabei fing alles so schön an, damals, als wir verliebt waren. Ich zumindest, und von ihr nahm ich das auch an.
Wir hatten so viele gemeinsame Interessen. Fußball zum Beispiel. Sie ging mit mir auf den Fußballplatz und bejubelte, wie ich, den Sieg meiner Mannschaft. Zumindest am Anfang. Als ich dann selber spielte, war sie keineswegs immer dabei, und als ich in ein Loch im Boden stürzte, mit dem niemand rechnen konnte, da gab es kein Mitleid von ihrer Seite, nur Vorwürfe. Dabei beeilte ich mich, den Riss im Knie schnell zu kitten, und dass ich kurz danach wieder stürzte, war wirklich nicht meine Schuld. Ich konnte meine Mannschaft ja nicht im Stich lassen. Wegen der vielen Krankheitstage hat mir die Firma gekündigt, was kann ich dafür? Ich fand das ungerecht und gemein, doch Mitleid von ihr – Fehlanzeige.
Oder die Sache mit dem Schützenverein, auch ein gemeinsames Hobby. Na gut, mehr von mir, aber sie zeigte Interesse oder hat es die ganze Zeit geheuchelt. Schießen wollte sie nicht, nachher am gemeinsamen Essen (und Trinken) dabei sein aber schon. Und dann sagte sie nach einer solchen kleinen Feier: Ich geh nicht mehr mit. Die Leute sind primitiv. Und der Hans, mein bester Freund, sei ein gemeines Arschloch.
Wie der seine Frau in der Öffentlichkeit fertig gemacht hat, das müsse sie sich nicht mehr anhören. Dabei hat sie von ihm einen völlig falschen Eindruck! Gut, er hatte seine Frau öffentlich als blöde Schlampe bezeichnet und ihr versehentlich Bier in den Schoß geschüttet. Aber der war halt ein bisschen betrunken, und die Bemerkung, die war scherzhaft gemeint. So hat das auch seine Frau gesehen, denn sie hat gar nichts gesagt. Hätte ihr das nicht gefallen, hätte sie ja protestiert. Der Hans, der macht halt gern ein paar kleine Scherze, ist alles nicht so gemeint.
Auch ist ihr Interesse an Automarken und den zugehörigen Details langsam verschwunden. Dabei hat sie sich früher sogar aus dem Internet informiert, und dann – nix. Schließlich verlor sie sogar das Interesse an Schwedenkrimis. Die haben wir uns immer im Fernsehen gemeinsam angesehen. Schön, manchmal hat sie gemeint, sie müsste was auf ARTE sehen oder so. Da hab ich fünf Minuten zugeschaut und bin dann gegangen. Ich will am Abend was Beruhigendes sehen, keine Berichte über Umweltverschmutzung und so ein Zeug.
Irgendwann hat sie gesagt, jetzt möchte ich meine eigenen Hobbys, und ich gehe tanzen. Erst wollte sie Ballett machen, aber das war ihr zu anstrengend. Dann wollte sie mit mir einen Tanzkurs machen, aber da hab ich mich geweigert. Was sollen meine Kumpels von mir halten, wenn sie erfahren, dass ich tanze! Die halten mich dann für einen Schwulen, oder zumindest ein Weichei. Tanzen ist doch nichts für Männer! »Dann geh ich eben allein«, hat sie gesagt, und ich hab ihr alles Gute dabei gewünscht. Und das auch noch toleriert.
Hätte ich gewusst, was sie da treibt, ich hätte es ihr verboten oder gleich die Scheidung eingereicht. Sie tanzte nämlich Tango, und die ganze Zeit hat sie erzählt, wie toll das ist. Sogar wenn der Schwedenkrimi am Abend noch lief und sie heimkam, fing sie zum plappern an, und ich versäumte den Showdown mit dem Mörder. Wirklich sehr rücksichtslos.
Dann hab ich mich mal breitschlagen lassen, ihr beim Tanzen zuzuschauen. Ich war entsetzt. Was die da in aller Öffentlichkeit treiben, das grenzt an Pornografie. Die schieben sich ganz langsam und eng umschlungen übers Parkett und finden nichts daran. Sie auch nicht, ich schon. Ihre Beteuerung, das wäre alles harmlos, mag für sie zutreffen, für mich nicht. Alle unsere gemeinsamen Hobbys hat sie aufgegeben, und jetzt das!
Wie‘s weitergeht, weiß ich nicht. Aber ich sage euch, irgendwann wird sie mit einem der Tangojünglinge durchbrennen, obwohl die meisten alte Knacker sind. Dann sitze ich allein vorm Fernseher, und meine Kumpels werden schadenfroh sagen: Das hätten wir dir gleich sagen können! Schließlich weiß man, der Tango ist nur der vertikale Ausdruck eines horizontalen Gedankens. Was auf Deutsch heißt: erst tanzen, dann bumsen. Wie harmlos ist dagegen Fußball oder ein zünftiges Schützenfest!