Georg Weerth

Fragment eines Romans

 

 

 

Georg Weerth: Fragment eines Romans

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Georg Weerth (Daguerrotypie, um 1851/52)

 

ISBN 978-3-7437-0759-7

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-7437-0683-5 (Broschiert)

ISBN 978-3-7437-0684-2 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Entstanden 1843/44 und 1846/47. Erstdruck in: Sämtliche Werke, Berlin (Aufbau) 1957.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Georg Weerth: Sämtliche Werke in fünf Bänden. Herausgegeben von Bruno Kaiser, Berlin: Aufbau, 1956/57.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

 

 

Seitwärts vom Rhein, in einem reizenden Tale, liegt das Jagdschloß des Baron d'Eyncourt. Ein altes, wunderliches Gebäude mit kleinen Fenstern und ungeheuerm Giebel, halb bedeckt von Efeu und Weinranken, die bis oben aufs Dach gewachsen sind, von wo sie in dichten, buschigen Matten wieder nach den Seiten zu hinunterhängen. Uralte Walnußbäume bilden mit ihren riesigen Ästen und den großen tiefgrünen Blättern den Hintergrund des Gebäudes. Nach vorne dehnt sich bis zu dem schmalen Wege, der nach dem nächsten Dorfe führt, ein weiter, geräumiger Garten, dessen ganze Einrichtung auf den ersten Blick verrät, daß man wenig Sorgfalt mehr auf die Erhaltung früherer Anlagen verwendet und Stauden durcheinanderwachsen läßt, wie es ihnen gefällt; nur unmittelbar unter den Fenstern des Schlosses scheint noch eine ordnende Hand der lustig sprossenden Rosen und Nelken zu warten; von vier oder fünf Wasserbächen, die durch den Garten verteilt sind, sprudelt auch hier noch ein kristallener Strahl aus dem Marmorbehälter und wirft seine zitternden Perlen rechts und links auf die Kelche der Blumen.

Sorglos, als wüßten sie, daß niemand ihren Gesang unterbrechen würde, durchjubeln die Spatzen diese reizende Wildnis und ziehen sich nur ärgerlich in das Gezweig der Holunderbüsche zurück, wenn oft vom nahen[147] Walde herüber die Amseln kommen oder andere schönere Vögel, welche sich den Garten des Schlosses als allgemeines Rendezvous erwählt zu haben scheinen und dann ihre melodische Unterredung beginnen, mit soviel Takt, in so hübschen Kadenzen, daß jedem ehrlichen Mann das Herz im Leibe lacht, daß aber jeder ehrliche Spatz vor Neid und Ärger vergehen möchte.

Das einzige, was die heiteren Meetings der gefiederten Gesellen bisweilen unterbricht und den ganzen Konvent im Nu auseinanderjagt, ist die große rotbraune Angorakatze, die langjährige Bewohnerin des Schlosses, die alle Ecken und Winkel des Gebäudes und des Gartens kennt und sich gewissermaßen als Statthalterin des Besitztums betrachtet, wenn die Herrschaft verreist, in der Stadt weilt. Schlummernd kauert sie auf der Schwelle der Gartentüre, in Traum und Gedanken versunken. Alles ist still. – Da beginnt das Vogelkonzert: die Amsel ruft, es zwitschert der Stieglitz, der Buchfinke schreit, und es lärmen die Spatzen. Sie erwacht, sie rümpft die Nase, die langen Spürhaare bewegen sich dreimal und viermal, ein unbehagliches Knurren und Murren dringt durch die halbgeöffnete zierliche Schnauze, und unheimlich blinzeln die grünen Augen durch die schützenden Wimpern. Es ist hart, so im besten Träumen gestört zu werden – in Träumen, wer weiß worin, in Träumen, wer weiß worüber-, wo man sich vielleicht für eine verwunschene Prinzessin hielt, für eine reiche Äbtissin, für eine himmlische Unschuld – und ach! und wo man dann doch zuletzt nur eine alte Katze ist. Aber wer weiß, wovon die Katzen träumen? Genug, unsre Angorakatze erwacht. Sacht und behutsam gleiten die zwei schneeweißen reinlichen Vorderpfoten aus dem warmen Pelze, erst kaum[148] bemerkbar, allmählich deutlicher, schimmernd in ihrer ganzen krallengeschmückten Schönheit, und stemmen sich endlich fest und sicher auf den Boden. Die Hinterpfoten, weniger glänzend und mehr braungestreift und gesprenkelt, folgen sofort dem Beispiel der beiden vordern, schieben die blanken Tatzen vorsichtig unter die Rundung des glatten Leibes, jetzt das Holz der Schwelle kräftiger packend und den ganzen Körper emporhebend, mit dem buckligen Rückgrat, mit dem wedelnden Schweif und dem drohenden Haupte, das sich stolz in den Nacken wirft, die Augen wild funkeln läßt und noch einmal weit aufgähnend seine rosenrote Höhle zeigt und die Reihen blitzender, scharfgeschliffener Zähne.

Ein Satz, und sie verschwindet im Gebüsch. Lebhaft unterhalten sich indes in den Zweigen des großen Oleanders die Vögel von ihren wichtigsten Angelegenheiten. Ein Zeisig schreit, als wäre er außer sich; wahrscheinlich jammert er über ein Mitglied seiner Familie, das sich aus Versehen in den Schlingen fing, die eigentlich für viel bessere, große Vögel gelegt waren, für Amseln und Tauben etwa. Eine sonst sehr sanfte Lachtaube kichert daher laut auf und freut sich nicht wenig, daß sie durch die Intervention des Zeisigs gerettet worden ist. Über diese Schadenfreude entzürnen sich aber die andern, so daß bald vor allem Klagen, Lachen und Schelten niemand den andern mehr verstehen kann und ein alter Spatz, halb vor Wut erstickt, den heiligen Schwur tut, nimmer in so unmoralischer Gesellschaft die Rednerbühne wieder zu besteigen.

Da hat sich die Katze an den Fuß des Baumes geschlichen. Zum Sprunge sich rüstend, setzt sie sich auf die Hinterbeine, peitscht mit dem Schwanz den Boden, und,[149] den Blick nur nach oben gerichtet, zerstört sie, die Fürchterliche, in einem Nu die künstlichen Bauten eines redlichen, arbeitsamen Ameisenvolks, indem sie die eben noch so glücklichen Bürger rechts und links aus den Wohnungen geißelt. Da ist sie fertig. Zischend und sprudelnd fliegt sie am Stamm des Baumes hinan und – husch! verschwinden die Vögel.

Alles wieder still.

So geht es im Garten her. Hat die Katze ihren Streifzug beendet, da kehrt sie ruhig zurück in den Hof des Schlosses, innerlich lachend über die dummen Vögel, welche sich noch immer vor ihr fürchten, sie, die so leicht sind und so lustig beschwingt, daß sie sicher die Lüfte durchjubeln können, wenn eine arme Katze an den lieben, trockenen Boden gefesselt ist mit den lieben vier zierlichen Beinen.

Die Katze muß wirklich jedesmal lachen und schleicht dann zu dem kleinen, grünbemalten Hause am Fuße eines Walnußbaums, wo sie einen alten Freund wohnen hat, einen alten Praktikus, mit dem sie schon lange in stillem, zärtlichem Einverständnis steht, nach treuer Übereinkunft geschlossen vor Jahren und selten verletzt. Die Angorakatze besucht nämlich Nero, den alten Hofhund.

Früher haßten sie einander schrecklich, als das Blut noch ungestüm in den Adern floß, und manche Fehde entbrannte, die nur der Stiefelknecht des Kutschers oder die Feuerzange der Köchin zu schlichten vermochte. Als aber die Zeit und die Erfahrung den Mut in der Brust gedämpft hatten, als sie beide einsahen, daß alles übel ist auf dieser Welt, da schlossen sie Frieden und versprachen lieber, einander beizustehen mit Rat und Tat in den Bedrängnissen eines schlimmen Jahrhunderts. Und also groß[150] ist ihre Freundschaft geworden, daß die Katze, wenn sie den guten Nero im Schlafe findet, nicht das geringste Geräusch macht, um ihn zu erwecken, sondern sich zu ihm setzt, ihm die Fliegen fortscheucht und die Narben ihm leckt, die entsetzlichen Narben verschollener Schlachten.

Erwacht dann Nero, so schauen sie sich diplomatisch innig an und gedenken der Tage der Jugend. Die schöne Katze, der treffliche Nero! Friedlich verbringen sie ihre Tage. Sie ruhen auf ihren Lorbeeren; und wie die Katze mehr zum Spaß als zum Ernst oft noch nach Amseln schnappt und pfiffigen Spatzen, so fühlt Nero sich auch nur im Traum oft noch auf der Jagd und fährt dann empor mit der alten Wildheit, das Stroh seines Lagers durchwühlend, heulend und hinauf stierend in die düstern Wipfel des Walnußbaumes.

Die Stunde, zu der wir die halbverwilderte Besitzung des Baron d'Eyncourt betreten, ist die siebente des Abends; die Sonne neigt sich den Bergen zu – noch eine kleine Weile, da wird jenseits der Rhein in ihren letzten Strahlen zu leuchten beginnen, schon färben die Wipfel der Bäume sich purpurrot, golden wogen die Felder, und stiller und feierlicher wird es rings um das alte efeubehangene Schloß.

Wir lauschen noch, ob denn niemand sich regt, nicht ein einziger menschlicher Bewohner des finstern Gebäudes, da öffnet sich eine kleine Seitentür und, das Haupt mit schneeweißem Haare geschmückt, wandelt ein sehr bejahrter Mann langsam die moosige Steintreppe hinab in den schon halb düstern Hofraum. Es ist der alte Bediente des Barons, Jean Baptiste, grau und weiß geworden im Dienste seines Herrn, des einzigen Herrn, den er jemals hatte. Er legt die Hände auf den Rücken und[151] spaziert auf und ab unter den riesigen Bäumen, jedesmal einen Augenblick innehaltend, wenn er an die Ecken des Hauses kommt, um über den Garten hinweg das Tal hinunterzuschauen, als ob er jemand erwarte, der dem Schlosse zueilen werde.

Niemand könnte besser zu der ganzen Umgebung passen als der alte Jean Baptiste – er ist auch so ein zahmer, treuer Hofhund, grade wie der Nero, und beide lieben sich auch, als wenn sie wüßten, daß sie Ähnlichkeit miteinander hätten.

Sinnend bleibt der alte Diener vor dem kleinen Hause des Hundes stehn, der auch bald seinen Freund bemerkt und herausschaut, als wollte er sagen: »Jean Baptiste, guten Abend, Jean Baptiste«, und: »Guten Abend, Nero«, murmelt unwillkürlich der alte Diener, und wie Mann und Hund sich freundlich begrüßen, sieh, da kommt von der andern Seite auch schon die große Angorakatze schnurrend und spinnend und reibt den Kopf an den ledernen Gamaschen des Hausfreunds, so daß Jean Baptiste sich bald hierhin, bald dorthin wenden muß, um die Karessen seiner beiden Bekannten in gehöriger Weise zu erwidern.

Da klang in der Ferne das Rasseln eines Wagens. Jean Baptiste eilte rasch hinaus. Er hatte sich nicht geirrt. Es war der Baron, der mit seiner Tochter aus der Stadt zurückkehrte. Das große Gittertor war schon geöffnet, die Hufe der Pferde klirrten bald auf dem Steinpflaster des Hofes, und der Wagen hielt vor der breiten Treppe des Gartensaales. Freundlich grüßend stieg der Baron aus. Eine schlanke, schöne Gestalt von militärischer Haltung, fast zu jugendlich für das Alter, das den Glanz der braunen[152] Haare und des kräftigen Schnurrbarts bereits in Silbergrau verwandelt hatte. Die prächtige Stirn, das feine Profil und die lebendig funkelnden Augen des alten Adligen gewannen auf der Stelle, und wenn man hiernach gestehen mußte, daß man einen Mann vor sich habe, welcher von trefflicher, nobler Rasse abzustammen schien, so bewiesen zu gleicher Zeit die stets graziösen Bewegungen seines elegant geformten Körpers, daß dieser auch einst eine gute Schule durchgemacht hatte.

Rasch übergab der Baron dem dienstfertigen Jean Baptiste eine Rolle Karten und Papiere und wandte sich dann nach dem Wagen zurück, aus dem ihm die lächelnde Tochter schon leicht beflügelt nacheilte.

»Da sind wir wieder in unsrer schönen Wildnis, liebes Kind, in unserm grauen Besitz«, und Vater und Tochter wandelten hinauf in das alte Gemach, durch dessen schwere rotseidene Vorhänge die letzten Strahlen des Abendlichtes zitternd niederfielen.

Jean Baptiste hatte indes die Lichter des Kronleuchters angezündet, der von dem Getäfel der Decke niederhing und einen Tisch beleuchtete, auf dem Bilder und Bücher in buntem Gemisch durcheinanderlagen. Allmählich erhellten sich auch die entfernteren Teile des Zimmers, die bei den kleinen, niedrigen Fenstern des alten Gebäudes längst in tiefe Dämmerung gehüllt waren. Die gewirkten Tapeten, die von den Wänden niederhingen, zeigten jetzt ihre seltsamen Gestalten, Bärenhetzen und Hirschjagden mit Jägern und Hunden, wie sie die Hand des Künstlers gezeichnet und das Geschick eines fleißigen Webers in Stoffen nachgebildet. Dann einige Ölgemälde in kolossalen, vergoldeten Rahmen, die Porträts längst verschollener Vorfahren, einige noch im Harnisch, mit[153] bunter Schärpe darüber, andre in grünem Jagdkleid, die Falkenfeder am Hut, die letzten in modernem Gewand, und an dem Fuß eines jeden Bildes das Wappen des Hauses. Ferner der breite Kamin mit dem Marmorgesims, über ihm der phantastisch gerahmte Spiegel, mit halbverdorrten Kränzen und Girlanden darauf, Trophäen und Erinnerungen vergangener fröhlicher Zeiten, die mit Gold und Elfenbein zierlich ausgelegten Mahagonischränke in den zwei hinteren Ecken des Gemaches, die gewaltigen Sessel mit hoher Lehne, geschnitzt in gotischem Stile, oder endlich der vom Alter gebräunte Boden, in der Mitte bedeckt mit dem Brüsseler Teppich – alles, was vergangene Tage für schön und komfortabel gehalten, hier war es beieinander, düster und unfreundlich zwar für das Auge, das an die lichte Pracht moderner Gemächer gewöhnt ist, aber traulich und erheiternd für die Sprossen eines alten Geschlechts, die durch diese ganze Umgebung sich gern an die Freuden und Launen ihrer Ahnen erinnern ließen.

Der Baron hatte sich in einen Sessel niedergelassen und die Papierrolle geöffnet, welche er von der Stadt herüberbrachte. Sie mußte wichtige Sachen enthalten, denn er fuhr emsig im Lesen fort, was sonst gar nicht seine Gewohnheit war. Dem alten Edelmanne war nichts verhaßter, als sich mit Briefen, Berichten, Dokumenten oder gar mit Rechnungen zu befassen, was er stets seinem Schreiber oder Notar überwies. Dem letzteren hatte er heute einen Besuch abgestattet und schien grade keine sehr erfreulichen Nachrichten davongetragen zu haben, denn trotz der scheinbaren Heiterkeit, die er stets in Gegenwart anderer beizubehalten wußte, lag doch heute eine gewisse Besorgnis auf der sonst so freien Stirn.[154]

Bertha wagte lange nicht, ihren Vater im Lesen zu stören; schon zehnmal hatte sie etwas Verschiedenes angefangen, um die Zeit zu kürzen, und warf endlich ärgerlich Bücher und Handarbeiten beiseite, indem sie das zierliche Kinn auf den Rücken der Hand stützte und manchmal ihre klugen Augen seitwärts zum schweigenden Vater hinüberschweifen ließ. Es wurde ihr so unheimlich heute abend zumute, sie wußte selbst nicht warum, und als wieder eine halbe Stunde verflossen war, in welcher der Vater nicht ein Wörtchen gesprochen, nicht einmal vom Papier aufgesehen hatte, da konnte sie es nicht länger aushallen, sie sprang vom Sitze empor, bog sich über die Lehne des Sessels, und des Vaters Stirne küssend, bat sie ihn in wehmütigem Tone, doch nur ein einziges Mal aufzusehen, doch nur ein Wörtchen mit seinem Kinde zu sprechen.

»Gewiß, der dumme Notar in der Stadt ist an allem schuld, ich weiß es, ich kann es mir denken, wirf die häßlichen Papiere fort!« Und sich dicht vor den Sessel drängend, legte sie dann ihre Hände auf die Schultern des Vaters und sah ihn nochmals bittend an.

Der Baron, noch halb betäubt von alledem, was er gelesen, und verwundert über das Ungestüm seines Kindes, blickte einen Augenblick auf, ohne etwas zu erwidern.

»Und du sagst nichts, lieber Vater?«

»Komm in meine Arme, Bertha! Du hast recht, es ist unverzeihlich, daß wir uns den ganzen Abend noch nichts erzählt haben, aber du siehst, ich bin sehr beschäftigt, ich habe viel zu tun, der Notar –«

»Ja, der Notar – ich wußte es wohl!«

»Der Notar hat mir manches zu lesen gegeben, und das will erledigt sein!«[155]

»Ich will es dir vorlesen.« Und da griff Bertha unwillkürlich nach den Papieren, die der Vater eben auf den Tisch gelegt hatte. »Halt, mein Kind! Laß sie ruhig liegen, du kannst sie nicht lesen, und es sind auch wenig erfreuliche Sachen, die weder dir noch mir viel Vergnügen machen würden.«

»Habe ich es doch gedacht! – Du bist noch niemals froh gewesen, wenn du vom Notar zurückkamst, aber heute, mit der Papierrolle, das merkte ich gleich, daß uns das den Abend verderben würde; und sieh, wenn du es mir nicht übelnehmen willst, so will ich dir gestehen, daß ich dich eben während dem Lesen etwas beobachtet habe, und ganz finster hast du oft mit deinen Augbrauen gezuckt – komm, lieber Vater, wirf die häßlichen Papiere fort!« Und Bertha zögerte auch keinen Augenblick, das Paket zu ergreifen und es weit fort in die Ecke eines Sofas zu schleudern, so daß einige Blätter sich lösten und wild durch den Saal flatterten.

»Ja, wirf sie nur fort, liebes Kind!« – und mit einem etwas gezwungenen Lächeln schob der Baron, ans Fenster tretend, die rauschenden Vorhänge zurück und blickte lange schweigend in das mondhelle Tal hinaus.

»Das ist eine herrliche Nacht!« flüsterte Bertha, die ihrem Vater leis nachgeschlichen war und sich dicht hinter ihn gestellt hatte. »Sieh nur, man kann die fernsten Gegenstände erkennen, wie ein silberweißer Faden läuft der Weg hinter dem Garten her nach dem Dorf zu, rechts und links die Marienbilder, halb in den Kornfeldern stehend, und weiter nach den Seiten der Berge zu die Gärten, so hell vom Monde beschienen, daß man jeden Weinstock von hier aus zählen könnte, und den Kirchturm im Dorfe sieht man ganz genau aus dem Duft des[156] Rheintales emporragen. Im hellen Sonnenscheine sehen wir alles das freilich den ganzen Tag vor uns, aber bei Nacht bekommt jeder Gegenstand eine so ungewohnte und geheimnisvolle Färbung, daß man sich aufs neue daran ergötzt. Ach, die Welt ist doch so schön! Nicht wahr, lieber Vater?«

Der Baron schwieg.

Bertha erschrak darüber unwillkürlich und sah den Vater aufmerksamer an. Unverwandt war sein Blick in die Weite gerichtet; regungslos ruhte seine Hand auf dem Griffe des Fensters.

»Was ist dir, lieber Vater?« fragte ihn die Tochter mit so lieblicher Stimme, daß es bis in das Innerste seines Herzens drang. »Was fehlt dir? Du bist so ernst heute abend.«

»Laß mich, mein Kind!« erwiderte der Baron und wandte sich in das Zimmer zurück.

»Nein, ich lasse dich nicht! Ach, sage deiner Bertha, warum du traurig bist, sag mir, woran du denkst!«

»Liebes Kind, mußt du denn alles wissen?«

»Gewiß, ich muß!«

»Nun wohl, ich dachte daran, was du wohl sagen würdest, wenn ich und du und Jean Baptiste und Max mit seinen beiden Rossen und unser treuer Nero – kurz, wenn wir allesamt an einem frühen Morgen für lange Zeit, vielleicht für immer dies schöne Tal und unser altes Kastell verließen.«

»Wie, das Kastell verlassen – für lange Zeit – vielleicht für immer? Lieber Vater –«

»Ja, ja! Und weit fort von hier zögen, in eine fremde Stadt, in ein fremdes Land, wo uns niemand kennt, wo wir niemanden kennen, dort zu leben und zu wohnen[157] und zu – sterben – vielleicht – sprich, liebe Bertha, was würdest du dazu sagen?«

»Es ist nicht möglich! Ist es denn nicht herrlich genug hier? Gibt es einen Strom in der Welt, der stolzer dahinrollte, dessen blitzende Fläche reizendere Ufer widerspiegelte, dessen Hügel vollere Trauben trügen, dessen Sagen und Märchen lieblicher in unser Ohr klängen als die unsres gewaltigen Rheines? Sage mir, rauscht ein zweiter Rhein auf der Erde?«

»Gewiß nicht, mein Kind.«

»Und gibt es ein zweites Tal, rechts oder links, soweit dieser Rhein die Felsen durchfurcht, das freundlicher wäre als das unsere, wo das Korn höher steht, wo die Rosen üppiger wachsen, wo die Lerche jubelnder aufsteigt und die Nachtigall wehmütiger singt, wenn der Abendstern still zu uns herüberschaut?«

»Gewiß, meine Bertha, ich weiß kein schöneres!«

»Und findest du Menschen, die dich lieber haben könnten als die, welche uns hier umgeben, die du alle bei Namen kennst von Jugend auf, in deren Hütten du gesessen, die du unterstützt in der Not, denen du jederzeit mit Rat und Tat zur Seite stehst und die dich alle verehren wie ihren Herrn und Vater?«

»Du hast recht, mein Kind, wir haben viele arme Freunde!«

»Oder gefällt dir unsre alte Wohnung nicht mehr? Die grauen Giebel, mit Efeu, Reben und Nußlaub geschmückt, die Treppen, überwuchert von Blumen, und die kleinen Fenster, strahlend in lustigen Farben? Oder liebst du diese grauen Gemächer nicht mehr, mit demselben Gerät, das alle unsere Ahnen besaßen, diese Bilder, diese Vasen, diese Sessel, jedes eine Erinnerung, jedes ein Andenken an[158] ein Geschlecht, das dreihundert Jahre lang gern und froh hier geweilt hat?«

Bertha schwieg und sah ihren Vater unverwandt an. Der Baron war in den Hintergrund des Zimmers getreten, den Kopf tief gesenkt, die Arme über der Brust übereinanderschlagend; jetzt kehrte er zurück, und vor den Sessel tretend, auf welchem Bertha saß, hob er plötzlich stolz sein graues Haupt empor, in entschiedenem Tone fragend:

»Und wenn wir trotz aller unsrer Liebe den Rhein und dies Tal und dies Haus verlassen müssen?«

»Müssen?« erwiderte Bertha mehr verwundert als erschrocken.

»Jawohl, verlassen müssen!« rief der Baron aufs neue. »Wenn es uns die – Ehre geböte, was würde dann meine Tochter sagen?«

»Wo unsre Ahnen mit Ehren jahrhundertelang gewohnt haben, da wird die Ehre den Aufenthalt nimmer verbieten.« Berthas Augen blitzten. Ein höheres Rot flog über ihre zarten Wangen. »Ha, wer wollte uns von hier vertreiben? Ich weiß, lieber Vater, daß du manche Kränkungen in der letzten Zeit erduldet hast, man hat dich belogen und betrogen und verleumdet – aber ist das ein Grund, um dich zurückzuziehen? Die Ehre gebietet dir gerade, auf dem Fleck zu bleiben! Jene schlechten Gesellen, welche unsre armen Nachbarn stets drücken und plagen, denen du stets kräftig entgegengetreten bist wie ein Mensch und Edelmann, sie werden sich noch vor dir beugen müssen, über kurz oder lang, und dein Name und unser Name, er wird gefeiert bleiben, solange der Rhein an den Hütten der Armen vorüberrauscht.«

»Liebes, braves Kind!«[159] »Oh, es kann mich wütend machen, wenn ich nur halb daran denke, daß jene schlechten Buben dich je veranlassen könnten, auch nur einen Zollbreit nachzugeben; und es ist doch unmöglich, du wirst es nicht tun – ach, ich bin ein lächerliches Mädchen. – Du weißt, vor einiger Zeit wollten die Fischersleute unten im Dorf ihre zwei prächtigen Knaben, der eine kaum zwölf, der andre erst vierzehn Jahre alt, nach der Stadt in den Dienst schicken, weil man den Kindern einen guten Lohn versprochen hatte. Du rietest den Eltern davon ab, weil man dort die armen Jungen gewöhnlich schon nach ein paar Jahren mit aller Arbeit zugrunde richtet, und die beiden Knaben wurden dann auch auf dem Lande gelassen. Das soll aber den Herrn in der Stadt entsetzlich verdrossen haben, so daß er auf der Stelle den Schwur tat, er werde dich dafür packen, koste es, was es wolle, und die Gelegenheit solle sich schon finden. Auch andere ähnliche Sachen haben mir die Leute im Dorfe schon erzählt, und, lache mich nicht aus, lieber Vater, ich setzte es mir in den Kopf, jene schlechten Menschen könnten vielleicht ihre Drohungen einmal in Erfüllung gehen lassen – unser alter Nero ist mit der Zeit sehr zahm geworden, Jean Baptiste ist auch kein großer Held mehr, Max hat einen entsetzlich guten Schlaf – wer sollte dich beschützen? Ich habe daher eins der Gewehre oben vom Boden geholt, und ich hab es geputzt und mit Pulver und Schrot geladen, und sieh, lieber Vater, der erste Mensch, der uns überfällt, ich fürchte mich nicht, und ich schieße ihn über den Haufen, so wahr ich Bertha heiße!«

So niedergeschlagen der alte Baron auch einen Augenblick vorhin noch gewesen war, so heiter stimmte ihn[160] plötzlich dieser kriegerische Vorsatz seiner lustigen Tochter.

»Nun, ich sehe, daß du Mut hast!« rief er lachend. »Da wird schon alles gut gehen und niemand uns vertreiben können.«

»Nein, sicher und gewiß nicht! Und kämen ein Dutzend Männer – wir bieten ihnen die Spitze! Den ersten Angriff schlagen wir allein zurück; durch unser Schießen wach geworden, springt Jean Baptiste erschrocken aus dem Bette, Max wird hinten auch lebendig, kleidet sich schnell an, eilt aus seinem Häuschen zu uns herüber, indem er unterwegs noch den Nero auffängt und mitbringt; keine fünf Minuten vergehen, da sind wir alle beieinander. Im Nu werden die Türen verrammelt, die Fensterläden geschlossen, Jean Baptiste und Nero bleiben unten im Hause zurück, um sich davon zu überzeugen, daß keiner unsrer Feinde die Befestigungswerke durchbricht. Wir andern steigen hinauf auf den Söller, du stellst dich an den hinteren Giebel, ich an den vorderen. Max bleibt in der Mitte zwischen uns, um die Gewehre zu laden. Wenn alles so arrangiert ist und ich noch des Urgroßvaters alten Helm auf den Kopf gesetzt und in der Eile seinen Panzer umgebunden habe, da strecke ich meinen Oberkörper durch die Wein- und Efeuranken aus dem Erker hinaus und spreche im tiefsten, schrecklichsten Baß, den ich erfinden kann: ›Meine Herren Schufte und Banditen, bleiben Sie uns gütigst drei Schritte vom Leibe, oder Sie sind des Todes!‹ Wir warten einen Augenblick auf Antwort, und wenn diese nicht erfolgt oder unbefriedigend ausfällt, so ergreifen wir unsre Karabiner, die Hähne werden gespannt und die Mündungen der Läufe nach Hof und Garten hinabgerichtet. Ist dies geschehen,[161] so rufe ich, um nichts unversucht zu lassen, abermals mit einer Löwenstimme, daß man sich entfernen soll, und wird dann nicht im Nu das Feld geräumt, so beginnen wir die Kanonade, rechts und links, bis wir Kugeln und Schrot und Kiesel und das Blei der Fenster verschossen und natürlicherweise komplett gesiegt haben. Was unsern Kugeln nicht erliegt, fällt natürlich in die Krallen Neros und der Angorakatze, denen wir die Verfolgung der etwaigen Flüchtlinge überlassen. Am andern Tag werfen wir die Toten in die Fontäne, und es kräht kein Hahn und kein Huhn mehr danach.«

Bertha schwieg – es wurde angeklopft, und der alte Jean Baptiste trat herein, dem Baron einen Brief überreichend.

»So spät am Abend noch? Und wartet man auf Antwort?«

»Der Mann, der den Brief brachte, hat sich gleich wieder entfernt, Herr Baron«, erwiderte Jean Baptiste und trat in den Hintergrund des Zimmers zurück, ohne sich indes gleich zu entfernen, denn nichts war dem alten Manne lieber, als wenn er sich einige Augenblicke in dem Gemache der Herrschaft aufhalten konnte. Der Baron hatte den Brief schon erbrochen und wollte ihn eben auseinanderfalten, als er ihn nochmals gleichgültig auf den Tisch warf und, sich zu seiner Tochter wendend, mit fröhlichem Tone fortfuhr: »Also du meinst, daß wir bleiben sollen!«

»Gewiß, lieber Vater!« Und lustig sprang Bertha dann von ihrem Sitze auf, wünschte dem Baron von Herzen gute Nacht, und dem alten Jean Baptiste eine Wachskerze aus der Hand nehmend, hüpfte sie rasch durch die niedrige Seitentür in das Innere des stillen Kastelles.[162]

»Laß sehn, wer uns noch so spät in der Nacht schreibt«, rief der Baron, als er mit Jean Baptiste allein war. »Wie? Der Notar – mit dem ich den ganzen Tag lang gesprochen?« So war es. »Ich kann Ew. Hochwohlgeboren den Inhalt unsrer heutigen Unterredung nur bestätigen«, schrieb der Notar. »Sie wissen, wie Ihre Angelegenheiten stehen; seit Sie mich verließen, ging mir Ihre Sache fortwährend durch den Kopf, ich finde keinen Ausweg – und nun in diesem Momente kommt es mir plötzlich in den Sinn, daß es nur noch einen Mann gibt, der Sie retten kann, und dieser Mann ist der Herr Friedrich Preiss, der Fabrikant; an den Mann wenden Sie sich. Das rät Ihnen von Herzen Ew. Hochwohlgeboren ergebenster usw.« Der Baron faltete den Brief ruhig zusammen, hielt ihn ins nächste Licht und warf das brennende Papier dann in den dunklen Kamin.

Nachdem der Baron seinem Diener noch befohlen hatte, die auf dem Sofa und auf dem Boden zerstreut umherliegenden Tabellen und Dokumente zusammenzusuchen und in das Privatgemach zu bringen, ließ er sich über den hallenden Korridor leuchten.

»Morgen früh, Punkt 9 Uhr, fahren wir wieder in die Stadt!« Der Baron warf die Tür seines Schlafgemaches hinter sich zu. Traurig schritt Jean Baptiste durch das finstere Schloß und schüttelte bedenklich mit dem Kopfe.

 

Dem deutschen Adel geht es wie allen andern Teilen (Klassen) der deutschen Gesellschaft, er hat so wenig Entschiedenes und Ausgeprägtes, daß er nie mehr dazu kommt, eine Partei zu bilden, und auch deshalb schon längst aufgehört hat, politisch bedeutend zu sein. Dies Aufhören einer politischen Bedeutung des deutschen[163] Adels, wenn diese Bedeutung überhaupt jemals im Großen existierte, ist auch schon so lange her, daß die heute lebenden einzelnen Individuen dieser Klasse sich ganz bei ihrer Nichtigkeit beruhigt haben. Jenen großen Schmerz, den eine gewaltige Partei bei ihrem Sturz empfindet, den der französische Edelmann bei der Revolution empfand und den heute der englische Aristokrat zu erkennen gibt, wenn ihm die Bourgeoisie täglich neue Wunden schlägt, hat seit undenklicher Zeit den Seelenfrieden unsrer deutschen Gentilhommes nicht mehr gefährdet. Sie haben sich daran gewöhnt, politisch Null zu sein, und während ihre soziale Bedeutung zur einen Hälfte darin besteht, besser schießen, reiten, tanzen und Schulden machen zu können als mancher Plebejer, hat sich der andre Teil mit redlichem Eifer auf den Staatsdienst geworfen oder bestellt seine Felder als guter Ökonom oder wirft sich der Industrie in die Arme wie jeder andere vernünftige Mensch. Es kann uns daher auch nicht einfallen, in diesem Roman einen alten Adligen im englischen oder französischen Sinne des Wortes allseitig als Gegensatz zu einer bürgerlichen Gesellschaft schildern zu wollen, nein, unser Baron d'Eyncourt ist in dieser Klasse jener bürokratisch, ökonomisch oder industriell tätigen Edelleute nur eines jener still regalierenden deutschen Individuen, die hin und wieder noch auf dem Sitz ihrer Väter fortwuchern, halb schon zur Mumie geworden, halb der Gegenwart angehörend, ohne große Trauer um das Vergangene und ohne viel Interesse an der Zukunft. Unser Baron ist ein Mann, der gern lebt und gern leben läßt, der sich leicht freut und selten erzürnt, der sich selbst mit einem guten Humor über alles hinwegsetzt, was seiner materiellen Glückseligkeit[164] schadet und schaden kann, und nur dann stolz und indigniert sein graues Haupt erhebt, wenn jemand einen Makel auf seine eigne übrigens redliche und biedere Sinnesart werfen oder andere in seiner unmittelbaren Nähe lebende Personen grausam unterdrücken wollte. Mit einem Wort, unser Baron ist ein patriarchalisch aufrichtiger Philanthrop; dies ist das einzige, was bei ihm entschieden im Vordergrunde steht, und daher auch das einzige, was ihn entschieden mit der Gesellschaft in Konflikt bringt. Daß dieser Konflikt immer größer wird, je mehr das harmlose Treiben unsres stationären Barons mit der übrigen sich entwickelnden Welt in Widerspruch gerät, versteht sich von selbst, und daß er zuletzt eine grelle Form annehmen muß, wird unsern Lesern klar werden, wenn wir die Verhältnisse des Barons von der Zeit seiner Heirat an, als des bedeutendsten Moments seines Lebens, kurz schildern.

Der Baron liebte seine Gemahlin mit seltener Treue, mit wahrer Aufopferung und bot damals alles auf, um sie mit jenem Glanz, mit jener Pracht zu umgeben, die seine Frau durch das Leben der Residenz gewohnt war. Natürlich hielt dies auf einem Landsitz, den das junge Paar wenigstens den Sommer und Herbst durch bewohnte, durch die ziemlich weite Entfernung von jedem größern, mit allen Lebensbedürfnissen versehenen Orte ziemlich schwer, und wenn dadurch eine Reihe glänzender Feste, welche mit der Ankunft der adligen Familien in dem alten Jagdschlosse begannen und erst mit ihrem Fortziehen endeten, schon für den reichsten Edelmann fühlbar gewesen sein würden, so war dies für Baron d'Eyncourt, da die Mitgift seiner übrigens altadlig-reizenden Gemahlin keineswegs die schon seit einiger[165] Zeit im Sinken begriffenen Vermögenszustände des Barons gebessert hatten, um so fühlbarer. Zu den Jagdpartien, Bällen und glänzenden Banketts, welche mehr als zwanzigmal in der Hälfte des Jahres die ganze Umgebung des Landsitzes in Bewegung brachten, kamen noch die Reisen nach Nord und Süd, welche der Baron jährlich einmal unternahm, ferner der kostspielige Winteraufenthalt in der Residenz und endlich die unbegrenzte Freigebigkeit des Barons, welcher nichts weniger als den Wert des Geldes kannte und sich nur freute, wenn er andern Freude und Glückseligkeit damit bereiten konnte. Wenn daher die Leute am Rhein den Edelmut des Baron d'Eyncourt laut priesen, zu gleicher Zeit aber mitleidig mit den Köpfen schüttelten, so hatten sie nur zu recht, denn kaum hatte Bertha in diesem Taumel von Vergnügen, welchen die Baronin sich als etwas ganz Gewöhnliches gefallen ließ, ihr zwölftes Jahr erreicht, als der Baron plötzlich mit Schrecken einsah, daß er das Leben seiner Familie aus eignem Antrieb auf einen andren Fuß bringen müsse, wenn dies nicht im kurzen durch andre gezwungen geschehen sollte. Der Schmerz, eine solche Notwendigkeit seiner Gemahlin gestehen zu müssen, hielt den Baron fortwährend zurück; Jagden und Bankette folgten vor wie nach in bunter Reihe, die Verlegenheiten des Barons stiegen täglich, Felder und Waldparzellen wurden gegen bare Vorschüsse unterderhand fortgegeben, schon murmelte man in der ganzen Gegend von dem nahen totalen Ruin der Eyncourts – die Geschichte konnte nicht länger so weitergehen, und der Baron faßte endlich den Entschluß, keinen Augenblick länger zu zögern und die ganze Angelegenheit offen und frei mit seiner Gemahlin zu besprechen, hoffend, daß[166] ihr gesunder Sinn keinem seiner Pläne widerstreben werde.