Marianne Ehrmann

Nina's Briefe

an ihren Geliebten

 

 

 

Marianne Ehrmann: Nina's Briefe an ihren Geliebten

 

Neuausgabe mit einer Biographie der Autorin.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Albert Edelfelt, Eine Frau schreibt einen Brief

 

ISBN 978-3-7437-0292-9

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-9476-4 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-9477-1 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erstdruck: Anonym ohne Ort und Verlag [Bern (Typographische Gesellschaft)] 1788.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Marianne Ehrmann: Nina’s Briefe an ihren Geliebten, [o. O. u. V.], 1788.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

Nina's Briefe an ihren Geliebten

Von der Verfasserinn der

Geschichte Amaliens

Nodo piu forte

Fabricato da noi é non dalla Sorte.

 

Vorbericht

Mein Weibchen sagt, ich solle ihr eine Vorrede zu den Briefen schreiben, die ich mit ihrer gütigen Erlaubnis hier dem Publikum vorlege. Nun ich will's gerne thun, denn was thut man nicht einem lieben Weibchen zu Gefallen! Aber ich weis in Wahrheit nicht, was ich schreiben soll.

Soll ich meinen Lesern sagen, daß alle diese Briefe wirklich originell und wahr sind? – Nun, daß möchte ich wohl, aber ich fürchte, man glaubt mir es nicht; sollte ich nun noch vollends hinzusezzen, daß ich der Friz bin, an welchen alle diese Briefe geschrieben sind, so würde man gar Zeter über meine Eitelkeit schreien.

Die Herren Kritiker mögen aber auch sagen, was sie wollen, es ist nun einmal so! Die Verfasserinn dieser Briefe ist meine liebe Gattinn, und hat diese Briefe, so wie sie hier stehen, an mich geschrieben![3] Lachen Sie nicht, meine wertheste Leser und Leserinnen, ich sage Ihnen die Wahrheit! –

Es mag Ihnen freilich etwas sonderbar vorkommen, daß der Ehemann die Briefe drukken läßt, die als Liebhaber von seiner nunmehrigen Gattin an ihn geschrieben worden sind; die Sache bleibt aber an sich selbst doch ganz natürlich! –

Ob diese Briefe wirklich auch für andre Leser den innern Werth besizzen, den Sie für mich haben, das kann ich nicht entscheiden! Ich lese sie als Ehemann noch mit den nämlichen Augen, mit welchen ich sie als Liebhaber las, und darum glaube ich auch, daß sie dem Publikum gefallen werden, so wenig empfindelnd sie auch sind.

Was übrigens gewisse Herren Kunstrichter und Kritikaster dazu sprechen werden, das soll mich und mein Weibchen wenig kümmern. Gefällt das Büchelchen, nun so kann ihr Tadel ohnehin nichts schaden, und daß es gefallen werde, das hoffe ich.

Der Herausgeber.[4]

 

I. Brief

Mein Werthester! –

 

Aber um Gotteswillen, was kann ich Ihnen in meiner Lage für Trost geben? Von allen Seiten umringt, verfolgt von den Ihrigen, an der Ehre gekränkt, und dann von einem Freund gequält, der mich besser kennen sollte Erfordert meine Lage nicht mehr Vorsicht, als die Ihrige? Sie sind Mann, ich bin Weib. Mündlich will ich Sie über alles beruhigen; aber schriftlich wage ich es bis izt noch nicht. Sind Sie toll, daß Sie sich Menschen, (sie seyen auch, wer sie wollen) anvertrauen? Wie können Fremde von meiner Lage schwazzen, die nur Ihnen und mir bekannt ist? – Hüten Sie sich, je wieder einem Ihrer Freunde Ihr Herz zu öffnen! Diese Kalten verstehen weder Sie noch mich! Ich bin übrigens stolz auf meinen Karakter; wer mich nicht kennen will, den kann ich nicht bei den Haaren zur guten Beurtheilung hinreißen! Ich wünschte, daß Sie männlicher dächten, und das für unumstößlich gut hielten, wovon Sie überzeugt sind, daß es[5] wirklich gut ist. Sie wanken ja wie ein armer Verrükter in Ihren Affekten hin und her. Mündlich sollen Sie Saz für Saz aus Ihren Briefen beantwortet bekommen. Könnten Sie wohl, wenn es anfängt dunkel zu werden, zu mir kommen? ... Doch nein, Sie werden nicht können; folglich erwarte ich Sie Morgen frühe, so bald es seyn kann. Aber gelaßner, gelaßner, mein Freund, mit einer Armen, die von allen Seiten gequält wird! Sie haben über mein kleines Billet gebraußt? – Warum denn? Ich kenne doch nur Einen Gott, nur Eine Liebe, nur Eine Redlichkeit; und was wollen Sie denn weiter? – Ich gehe heute nicht ins Schauspiel, um den neidischen Schandmäulern auszuweichen, die mich in Ihren Augen verdächtig machen wollen. – Schlafen Sie ruhiger, als ihre arme, verwundete und gebeugte

Nina.[6]

 

II. Brief

Mit zitternder Angst im Herzen schrieb ich dies! – Gott! – Wie mich Ihre Lage ängstigt! Wie sie mir meine Sinnen raubt! Wie ich muthloses Kind werde! Wie ich für Sie zittere! Und wie ich mich Ungeheuer über alles selbst verdamme, daß ich eine unschuldige Ursache an Ihrer Zerrüttung bin; aber um Gotteswillen Friz verdamme mich nicht: Ich kann ja nichts davor, daß es just so kommen mußte! Ich bin rein vor den Augen Gottes, ich bin deiner Liebe nicht unwürdig! Ich fühle, daß dein Umgang meine Glückseligkeit ausmachen würde, wenn mich nur mein Schiksal nicht in Labyrinthe geworfen hätte, die fürchterlich sind! In Deine Hände lege ich mein Schiksal; siegen wir, so weißt Du, welche Wonne in der Liebe unser wartet! Halte[6] mich nur für keine Verbrecherinn; Du wußtest zum voraus, was ich Dir wegen meiner wirklichen, unwürdigen Bekanntschaft sagte. Der Zufall, und meine Leichtgläubigkeit hat mich in elende Hände gespielt. Aber ich will bei Gott meinem Schwur so lang als möglich treu bleiben! Du selbst bist der Engel von Mann, der mich keine Pflicht verlezzen hieß, bis ich von der ganzen Treulosigkeit eines Undankbaren überzeugt bin, und dann will ich entschließen. Was kannst Du, was kann ich, für die Harmonie unserer Karakter? Man soll Dich von mir reißen, man soll alles anwenden, um uns zu trennen; aber mein Herz, und meine Hofnungen sind doch frei! – Ich kann deinen Umgang entbehren, denn ich hange weder am Eigennuz, noch weniger am Körper, und wer hat denn Macht mir Dein Herz zu entreißen? Aber wenn Du es von dieser Stunde an noch einmal wagst, Mistrauen in meine absichtslose Liebe zu sezzen, dann sey Dir auch Gott gnädig! – Bei allen Heiligen beschwöre ich Dich, jedem, der etwas von mir spricht, den Rükken zu kehren! Handle Deiner Klugheit gemäß, und laß übrigens Gott walten. – Ha! So haben denn die Verläumder mein Heiligstes angegriffen! Ich weine und dulde. Könnte ich mich nur geschwind in das Gewand einer Heiligen hüllen, und mit dieser Außenseite meinen Feinden unter blutigen Thränen zurufen: Laßt mich ihr Boshaften, der bloße Schein war wider mich! Verdammt sey von dieser Stunde an meine Lebhaftigkeit, verwünscht jeder Augenblik, wo ich mich je wieder durch sie vergeßen könnte! Ich bin an die große Welt gewöhnt, ich bin frei ohne Frechheit, man dringt mir zu, sie flattern um mich herum die Elenden, aber mein Wiz soll zu Gift und mein Verstand soll zu Wasser werden, wenn ich nicht von nun an, auch den kleinsten Schein zu Deiner Beruhigung verhüte! – Doch Du wirst[7] sehen, es wird in dieser pöbelhaften Frau Basen-Stadt nichts nüzzen! Vielleicht glänze ich denn in deinen Augen desto heller! Aber deine Verwandten haben es einmal auf mich gefaßt, und ruhen gewiß nicht eher, als bis mich mein Feuer zu einem tollen Streiche verleitet. Hier hast Du nun alle Geheimniße meines Herzens, und bekömmt sie eine Seele außer Dir zu sehen, dann .... ha, dann wären ewige gräßliche Mißhandlungen von Deinem groben Nebenbuhler mein Loos! – Doch mein Friz ist vorsichtig! – Friz überlegt, Friz kann sein armes Weibchen nicht kränken! Aus Barmherzigkeit sey überall vernünftig, nur keiner Seele getraut!

Es schlägt zwölf Uhr, und ich springe wieder wütend aus dem Bette! Dauert es so fort, o dann weh mir! Wenn Du mich nicht aufrichten kannst, so bin ich, – so ist meine Gesundheit verloren. Das hiesige Bürgervorurtheil erwürgt mich fast! Und doch kann ich meine Feinde nicht haßen. O wenn die Grausamen mich kennen wollten, sie würden mich gewiß lieben. Hängen doch Personen meines Geschlechts leidenschaftlich an mir, und es sollte unmöglich seyn, Deinen eigensinnigen Bruder zu bereden?

Ich bin arm, verlaßen in die Welt hingeworfen, aber reich und stolz in meinem Herzen! Doch was kümmert mich das Nattergezücht; wenn Du mich kennst, und ruhig bist, dann mögen sie plaudern, die Knaben, die in Weiberrökken stekken, und die mich wegen einer bloßen öffentlichen Unterhaltung verdammen wollen! Bedenken denn die Elenden nicht, daß es meine Ehre gilt, daß es die Ruhe eines Jünglings gilt, der seit so vielen Monaten Umgang von mir eines beßern überzeugt ist? Friz! – Ich will nicht mehr zürnen! – Aber ich kanns nicht tragen; meine Unschuld, mein Stolz empört sich, ich möchte laut weinen! Ich bin es meinem würdigen Erzieher schuldig,[8] mich selbst zu ehren, und von heute an, will ich von nichts weiter mehr wissen, als was uns etwa trennen könnte! Das übrige sind kleinstädtische Schlangenbiße, die uns lebendig ins Grab reißen, wenn wir ihnen Gehör geben! – Also nichts mehr, Freund, als was uns trennen könnte, und dabei kömmt's doch, glaub ich, nicht auf den Willen Anderer an? Sey aber sanft gegen deine Aeltern, sonst könnte ich Dich verabscheuen. Diese schwachen Leute haben dies Kreuz eben so wenig als wir verdient, und sollte diesem Ungerechten die Entbehrung meines Umgangs Ruhe schaffen, so richte Du es ein, wie Du willst, wie Du kannst. Es wird Dich und mich schröklich viel kosten; aber was ist denn auch das für große denkende Seelen? Laure nach, es müßen Schurken unter der Verläumdung stekken, sonst könnte man nicht so in Dich dringen, mich zu verlaßen; vielleicht gar ein Geweb von Eifersucht? Gleich viel; vertheidige mich nicht weiter; Gott ist meine Hülfe, Er läßt mich gewiß nicht ganz unterdrükken! Nicht wahr Friz, izt sind meine Ahndungen erfüllt, die ich vor etwelchen Tagen hatte? Wie mich's da preßte, wie Du alle Macht der Vernunft zu Hülfe rufen mußtest, um mich zu trösten! – Forsche nach, ob nicht etwa in meinem Hause Spionen sind? Ich will eher das Bürgergeschmeiß meiden. Mache indessen bei den Deinigen den kalten Hofmann, wenn es Dir möglich ist, aber nur Schonung für mein Herz! Bei dem Allmächtigen Schonung für meine Empfindsamkeit, Du kennst meine Erziehung! – Gaßengeschwäz ist mir unausstehlich! Denn ich fühle mich, Gott sey Dank, über den Weiberkram erhaben!

Nina.

Heißt das Wort halten? Bis eilf Uhr ohne Fehl Antwort. Später kann es nicht seyn! –[9]

 

III. Brief

Acht Uhr vorbey! – Und dennoch ist Ihre Antwort nicht da! Dafür wünsche ich Ihnen ein andermal eine ähnliche Folter, wenn Sie auf etwas paßen! Sie kennen doch, dünkt mich, meine feurige Ungedult so ziemlich? Aber vielleicht hat man Sie am Schreiben gehindert? Wie ich alle Entschuldigungen hervorsuche, um mich zu beruhigen! In unserer Lage ist Furcht und Angst ganz natürlich, weil von allen Seiten Niederträchtige uns stören möchten! – Gestern paßierte ich den halben Tag bei der Freundinn K.... – Gott! Was dort für herzige kleine Kinder sind! Nachher gieng ich zu einer andern Freundinn, die hat mich wegen Ihnen in die Preße genommen, oder noch beßer mit unzeitiger Moral gemartert! Sie weiß dem ohngeachtet nichts positives, nur sagte sie, meine Schwermuth verriethe Seelen-Krankheit. – Kann seyn, sagte ich, und wurde über und über roth! – Aber weißt du was, lieber Friz! Morgen will ich wieder etwas von dir lesen, eh ich ausgehe, und dann dafür ein paar Duzzend Küße von Deiner guten

Nina.

 

IV. Brief

Nachts um eilf Uhr.

So eben verließ ich ein freundschaftliches Nachtmal; und warum sollte ich dem guten, lieben Friz nicht Rechenschaft vom heutigen Tage geben? Aber zuerst will ich dem Lieben Saz für Saz seinen Brief beantworten. – Daß[10] Sie gestern in etwas von Ihren Grundsäzzen abglitschten, ist Ihnen herzlich vergeben, nur wollte es meinem Stolz nicht schmekken, daß Ihr voriges Mädchen auf reinere Liebe Ansprüche hatte. Mehrere Zurükhaltung ihrer Triebe ist mir bei meiner würklichen Verfassung nöthig; weil dies gerade das ist, was mir Standhaftigkeit in der Liebe verspricht, und was Sie so himmelhoch von andern Männern unterscheidet. Wären Ihre Triebe gröber, so würde mir bald der Sturz Ihrer Liebe drohen, aber so glaube ich, daß Sie sich nicht so leicht können von mir reißen; ist Ihnen also meine Ruhe lieb, so handeln Sie, wie bisher. Sie schliefen die vergangene Nacht ruhig? Gott segne diese Ruhe; auch ich schlief so ziemlich; nur war es mir enge um die Brust. Nicht wahr Freund? – Sie können mich nicht weiter mit Nachrichten von Verläumdungen kränken; dafür kenn ich Ihr Herz. Es müßten nur neue Schurkenstreiche dieses Herz verwildern, und das wolle der Himmel verhüten!

Doch wieder zu meinem Kummer zurück, der mir von einer teuflischen Verläumdung aufgebürdet wurde; dieser garstige Verdacht in meinem Wandel ist der erste, der mir seit acht Monaten zu Ohren kam. Ich würde darüber gelacht haben, wenn er nicht gerade an den gerathen wäre, der mir das Theuerste auf der Welt ist; blos um deinen Verlust zittere ich, die übrigen Thränen der Unterdrükkung sind süß; denn Unschuld erleichtert sie. – Aber noch mein Beßter! weiß ich keinen dritten Ort, wo wir uns sehen könnten; bei K.... kann es nicht seyn. – Lieber gar nicht sehen, als sich mit Zwang sehen. – Holbauer ist ein Schurk, und weiter nichts. Sie haben ihn brav bei der Rase herumgeführt? Vielleicht glaubt er bei mir izt seinen Roman anzufangen; aber er wird so abgewiesen werden, daß er sich's gar nicht vermuthen wird. Und hiemit genug über diesen Buben.[11]– Weißt Du auch lieber Junge! daß Du die Zierde Deines Geschlechts bist? – O Du verdientest ein beßeres Mädchen, als ich bin! – Guter Wille, ein fühlendes Herz, und eine mächtige Standhaftigkeit in der Liebe ist mein ganzer Reichthum. – Aber Gott! Gott! Wenn man deine Plane rükgängig machte! – Wenn Du nicht siegtest! Und wir führen dann so fort, unsere Herzen in einander zu gießen, und unsere Köpfe mit Leidenschaft zu erhizzen! – Heiland der Welt, wären wir nicht die Elendesten unter der Sonne! – Friz! Um Gotteswillen mache mir dann keine Vorwürfe; ich habe Dir alles zum voraus gesagt; ich habe Dich nicht mit Kunstgriffen gelokt, Du sankst freiwillig an meinen Busen, und der meinige kämpfte nicht lange. Denn es ist für ein und allemal wahr, wir beide harmoniren bis auf den kleinsten Punkt, das fühle ich, das sage ich mir alle Augenblikke. – Schark war eine Frazze gegen Deine Wärme; und nun hätte ich in so weit deinen Brief beantwortet. Aber izt zum heutigen Tag zurük, von sechs Uhr bis zehn Uhr hatte ich tödtende Stunden, weil ich auf Nachrichten von Dir wartete. Die Schuld der Zögerung lag zwar nicht an Dir, doch mag Dir meine Unruhe für ein andersmal zur Warnung dienen. Dein Brief war mir dann ganz natürlich willkommen, aber meine Freude trübte mich demohngeachtet bei Tische äußerst! – Ich gestehe es, Schark wandte alles an, um mich aufzuheitern, nur gelang es ihm nicht. – Nun raffte ich mich auf, und gieng zur Familie R.... Dort traf ich eine Menge Mädchen und Jünglinge an, die sich an der Seite der Hausfrau munter ihres Daseyns freuten; doch sah ich leider keinen Friz unter ihnen, folglich fühlte ich Drang! Mein Gott, was das für eine Unruhe ist! Wie die beßten Menschen mir auch nicht ein Theilchen meiner Leiden ersezzen können! Sonst war mir das gesellschaftliche Leben sehr[12] willkommen. Aber izt auf einmal zum schüchternen Kind zu werden. – Sag, wie gieng das zu? – Friz Du hast mir den Kopf verdrehet, Du bist mein Ruhestörer! – – Doch weiter. –

Von dieser guten Familie gieng ich zur lieben Freundinn Sch.... ihr Junge kam mir entgegen gehüpft, fiel mir um den Hals, herzte und küßte mich! – Der Bube heißt Friz! Friz heißt er! Wie herzlich gerne ließ ich mich von ihm küßen! Seine Mutter ist auch ein herzgutes Weib, und liebt mich feurig; ich konnte mich nicht enthalten, ich mußte ihr etwas weniges von meinen Drangsalen merken laßen; doch ohne Dich zu nennen. »Halten Sie ihn vest, meine Liebe, (sagte sie) halten Sie ihn vest; er mag heissen wie er will, nach Ihrer Beschreibung ist er Ihrer würdig, Sie verdienen gerade eine Seele, wie die seinige. Die übrigen Menschen taugen für Sie nicht. –« Endlich unterbrach man uns, dann lief ich an's Fenster, sah Dich aber nicht vorbeigehen. – Es drückte mich schröklich im Herzen, bis es nach und nach wieder etwas leichter wurde. – Die Gutherzigkeit dieser Familie gab meinem Kummer Linderung; man küßte, man herzte, tändelte mit mir von allen Seiten; – und kurz man hielt mich tausendmal schadlos für meine Feinde. – Und nun Friz höre! Einem zehenjährigen Jungen legte die Mutter folgende Fragen vor: – »Mein Sohn, wie muß einst dein Weib seyn, wenn du eine heirathest?« Sie muß Vernunft haben, antwortete der Knabe. Nun sagte ich, denn kann ich ihre Frau nicht werden. O ja schrie der junge Knabe, heute noch, heute noch! – Aber woher wissen Sie, daß ich Vernunft habe? – Hm! – plazte der Bube heraus. – Wenn man so schöne Briefe schreibt, und so in allen Gesellschaften gesucht, geliebt wird, wie Sie, dann[13] hat man gewiß Vernunft. – Dieses unschuldige Urtheil entzükte mich! Ich hätte mich im nämlichen Augenblik Engel zu seyn gewünscht, um für Dich genug Reize zu haben! – O mein Friz, ich bin nicht schön, habe keine blühende Gestalt, wie ists möglich, daß ich Dich feßeln konnte? Mein Karakter ist bieder, mein Herz ist gut, da sey Gott mein Zeuge! Aber kann das allein die feurigen Wünsche eines Jünglings ausfüllen? Kann mein redlicher Umgang Dich immer vor andern Wünschen sichern? – O Gott! Wenn mir manchmal solches Zeug einfällt, da möchte ich Dich bitten, daß Du Dich in Deiner Wahl nicht übereiltest! – Sieh', ich durchlöchere dadurch die schönsten Hofnungen meines Lebens, und das blos um Dein zukünftiges Wohl! – Ich will mich lieber selbst zu Grunde richten, um Dich zu erhalten! – O Friz! – Wie elend hast Du mich gemacht! – Wahrlich ich bin sehr, sehr verwirrt!!! – – Deine

Nina.[14]

 

V. Brief

Lieber! Ich bin heute sehr zu beneiden, denn ich bekam gestern durch die Familie K.... Anlaß eine gute Handlung auszuüben. – Ich war schon frühe bei L... und seiner Frau, denen ich eine vortheilhafte Versorgung ankündete. Er lief sogleich zur Familie K.... und die Sache ward richtig; wie beschämte mich der ehrliche Mann durch seinen Dank, denn ich war fast eben so entzükt, als er, über diesen glüklichen Anlaß. Freue Dich doch mit mir, lieber Friz! Mein Herz klopft so heftig, so zufrieden, und meine Küße müßen Dir heut gewiß feuriger vorkommen! Aber komm ja nicht so spät!

Nina.[14]

 

VI. Brief

Nachts um Zehn Uhr.

Holder, lieber Friz! – Mich martert Angst über Dein Schiksal! Man sagte mir, als ich zu Hause kam, Dein Bedienter seye hier gewesen. Diese Nachricht hat mich zu Boden gedonnert! Herr Gott im Himmel! Was magst Du gewollt haben? Bist Du etwa wieder in die Enge getrieben worden? – Hat man wieder neue Seelen-Marter für uns zubereitet? Sind wir vielleicht aufs neue unglüklich? – So ist es denn ewig wahr, daß mich jeder Gedanke der Freude haßt! – Gräßlich niedergebeugt; schlaflos werde ich mich bis morgen frühe nach der Zehner Stunde sehnen! – O, mein Friz! – Wenn Dir doch meine Leiden in Dein Herz flögen, daß Du izt kämst mich zu trösten! – Um Gottes willen, was ist denn vorgefallen? Bin ich unglüklich, bin ich verloren? – Sag, bin ich es? – Fürchterlich rollt izt der Donner am Himmel! – Hell leuchten die Blizze; schaudernd plazt der Regen herab! Finster ist der Himmel! Das ganze Donnerwetter scheint mir deutlich zu sagen; Weib die Natur haßt dich! Trostlos, schwermüthig sizze ich hier, seufze nach Nachricht von Dir, und Ungewißheit foltert meine Seele! Sag Friz! warum hab ich denn noch kein ganzes Zutrauen in Dich? O vergieb, Herzens-Junge, vergieb der wankenden Seele eines schwachen Weibs, deren Leben aus gränzenlosem Elende zusammen gewebt war! Verzeihe der Armen, an deren Herz ein hartnäkkiger Wurm der Traurigkeit nagt! Die Glokken läuten gräßlich! – Es dünkt mich, als ob ihr Ton mich zum Grabe rief, es dünkt mich, als ob Du mich aus dem Sarg zurükhaschen wolltest, es dünkt mich, als ob Du vor mir stündest, und zitternd meinen kalten Körper anstauntest! –[15] Ha, Friz! mein Herz ist tief angefreßen, ich bin hingeschleudert in die Leiden einer Unendlichkeit! Schwerlich wirst Du Dich, muntrer Junge, mehr Deiner Nina freuen! – Sie ist gebeugt, sie leidet an Seelenkrankheit, die Dir dein Leben verbittern wird! – Alle ihre Leidenschaften zielen zügellos auf ihre Ruhe, trüben schröklich ihr Gemüth, und das alles um Dich, um Deine Liebe! O Jüngling! Du bist zu beneiden, denn Dich haßt das Leben nicht so wie mich. Ich komme heute Abend aus einer Gesellschaft Adelicher. – Mit Unwillen, mit Ekkel, ob man mir gleichwohl herzlich begegnete. Die Weiber küßten mich, und die Männer überhäuften mich mit Lobsprüchen, wegen einem Bischen Vernunft. Gott! Gott! – Wie ich da saß, als wie eine leibhafte Verbrecherinn: Ich wollte mich um fünf Uhr losreißen; denn mir ahndete etwas von Dir! Aber Frau von N.... schnitt mir den Weg ab, ich mußte bleiben, und trug Kummer im Herzen, tiefen, tödtlichen Kummer! – Ha, könnte ich doch diesem Kummer Luft machen, der mich beynahe erstikt! – Montag ist wieder Punschpartie, und die Zudringenden zwangen mir mein Jawort dazu ab! – Der Wille dieser Freunde ist gut, aber mein Herz leidet unendlich dabei, weil ich Dich immer vermiße! – Politik habe ich ohnehin wenig, und wie könnte ich sie haben, wenn Liebe im Herzen herrscht? Du bist doch nicht böse, daß Du heute noch keine Zeilen von mir erhieltst? Gestern gieng mir Schark spät nicht vom Halse, und heute wollte ich Deinen Bedienten nicht warten lassen, als er mir Dein Briefchen brachte, Gott! Wenn ich nur geschwind wüßte, ob du wohl bist, ob du mich noch liebst? – Ich bin unglüklich, das sage ich Dir, ich bin unglüklich! Denn ich kann kaum mehr die Trennung von einigen Stunden ertragen! Es bringt mich um, wenn es so fort dauert, so wahr als diese Thränen auf dies Papier rollen .... ich weiß nicht .... aber ich zittere für meinen Verstand. Wenn Du ein fühlend[16] Herz im Busen trägst, so eile ohne Verzug morgen frühe zu mir! Dieser Brief mag Dir sagen, wie es um Deine Nina aussieht![17]

 

VII. Brief

Nachts um zwölf Uhr.

Herzens-Junge! – Liebe gehört zu den anstekkenden Krankheiten! Sie greift um sich, aber ihr Kummer macht uns zur Beschäftigung thätig! Was das unter zwei Liebenden ein gegenseitiger, gränzenloser, guter Wille ist, wenn man jeden Wink benuzt, um sich einander Freude zu machen. Wie man geizig jede Gelegenheit ergreift, um mit seinem Liebchen zu plaudern; wie man keine einzige Minute im Tage vorbeistreichen läßt, ohne sie zum Vergnügen seines Geliebten zu nüzzen; wie da alles im Kopf arbeitet, wie das Herz voll gutem Willen hoch aufschlägt, wie die Einbildung sich zur Seligkeit spannt, oder der reizende Tiefsinn wollüstig an den kranken Nerven nagt! – Wie Kummer, Furcht, Freude, Verlangen, Angst, und noch mehrere solche Leidenschaften, angenehm traurig im Kopf herumkreuzen! Wie das gränzenlose Wünschen unersättlich ist! Wie man zusammen tändelt, lacht, sich herzt, küßt, und auch zuweilen ein Bischen zankt! – Wie die Stunden dahin eilen, an der Seite eines denkenden Mannes; wie Liebe von dieser Art so selten gefühlt und vergolten wird, – O das ist traurig für die Menschheit! Nicht wahr Friz! Ich denke mir immer, ich bin das einzige Mädchen auf Gottes Erdboden, die just, weil sie wahr liebt, so wenig verstanden wird. – Immer gerieth ich an Niederträchtige, an Dummköpfe, oder an Undankbare. Oft rißen sie mein Herz in Stükken, zerfleischten meine Gesundheit durch[17] Leichtsinn, oder gemeine Grundsäzze. Du bist noch der Einzige unter dem Himmel, der sich meinen Ideen nähert; der Einzige, bei dem mein Kopf Nahrung und mein Herz Zufriedenheit findet. – Du bist so ganz mein Wiederhall, sanft, ehrlich, gutherzig und edel. Sag mir lieber Sohn der Natur, sag, wer hat Dich so äusserst fein lieben gelehrt? – Schuf Dich der Himmel nur darum, um mich mit Deinem Nattergeschlecht zu versöhnen? – Glück zu Friz! Mein Zutrauen wächst! – Aber Mord wäre auch mein Loos wenn Du es ..... doch weg abscheulicher Verdacht! Komm Junge, dafür drükke ich Dich izt desto vester an meinen Busen! Nicht wahr, so viel Schwung meiner hizzigen Einbildungskraft hattest Du in jenem kalten Monate unserer bloßen Freundschaft nicht vermuthet? Ja, siehst Du, es kömmt nur darauf an, daß man seinen Mann findet. Es ist freilich toll von mir, so zu schwärmen; – aber ich trage doch keine lasterhafte Liebe im Herzen, und darum schäme ich mich ihrer auch nicht. – Es ist izt bald ein Uhr; mein Herz schlägt um vieles leichter, als gestern Nachts. – War ich nicht eine Närrinn, meine Gesundheit so gewaltthätig zu tödten? Aber wer kann denn auch dafür, wenn's im Busen so schröklich ängstet? – Ich bin Dir doch ein grämliches Ding, ein Ding, das blos mein Friz ertragen kann. Ich plage Dich ja täglich um Briefe, um Deinen Besuch; aber Du bist denn doch auch nicht viel beßer in diesem Stük, als ich. Siehst Du, wie es mir gerieth, in Dir ein neues Gefühl der Liebe aufzuwekken, weil ich Dich geizen lehrte nach der kleinsten Gefälligkeit von Deinem Liebchen. – Schark war heute Abend sehr mürrisch. Ich mußte alle Kräften zusammen suchen, um mich nicht durch Brausen zu verrathen. Mein Mädchen trat in's Zimmer, und hier glitschten seine wollüstigen Augen auf ihren Busen. Zu einer andern Zeit hätte ich beide über die Treppe hinuntergeworfen; aber izt that es mir blos weh,[18] und weiter nichts. – Bin ich nicht eine glükliche Prinzeßin? – Hab ich es nicht weit gebracht in der Welt, daß die Mannsleute blos an meiner Seele hangen? Ich bin aber auch ein recht gutes Geschöpf, versteht sich, wenn ich Dich an meiner Seite habe. Aber nun schlafe sanft, holder Lieber! Gott möge bei Dir wachen! Das wünscht von Herzen Deine rein liebende

Nina.[19]

 

VIII. Brief

Guten Tag Friz! Nimm einstweilen diesen Kuß, bis nach Tische. – Lebe wohl Liebchen! – Ich würde Dir jezt mehrers schreiben; aber ich kann ohnmöglich. – Du kennst meine unglükliche Lage! Kennst aber auch mein Herz. – Werde nicht böse, brause nicht, hörst Du! Nach Tisch Millionen Küße von Deinem Liebchen.

Nina.

 

IX. Brief

Eben schlägts zwölf Uhr, und ich trete in's Zimmer! Woher? Aus der Gesellschaft, wo ich meinen Friz verlies. – Was bekümmert mich izt mein Bette, ich muß Dir noch zuerst meine Empfindung schildern. Aber lieber Friz, warum bist Du denn in der Gesellschaft nicht geblieben? – O es gieng die halbe Nacht durch noch toll unter den Leuten zu! L.... ist die lustigste Seele, die ich jemals kannte! Was der Komiker den ganzen Abend durch für Karikaturen machte! Du hättest Dich närrisch gelacht! – Er kopierte einige Situationen aus der Natur ganz vortreflich! – Wir waren[19][20][21]