Arno Holz

Phantasus

 

 

 

Arno Holz: Phantasus

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Ernst Haeckel, Strahlentierchen, 1899

 

ISBN 978-3-7437-1394-9

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-7437-1366-6 (Broschiert)

ISBN 978-3-7437-1367-3 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Der lyrische Zyklus wurde erstmals geschlossen in zwei Heften gedruckt: Berlin (Sassenbach) 1898/99. Einen großen Teil der Gedichte hatte Holz zuvor in Zeitschriften und Anthologien publiziert. Der Zyklus wurde vom Autor später mehrfach umgearbeitet und stark erweitert.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Arno Holz: Phantasus. Verkleinerter Faksimiledruck der Erstfassung. Herausgegeben von Gerhard Schulz, Stuttgart: Reclam, [1978].

Arno Holz: Dafnis. Lyrisches Portrait aus dem 17. Jahrhundert, München: Piper & Co., 1904.

 

Die Paginierung obiger Ausgaben wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

 

 

 

 

 

 

 

Erstes Heft

Nacht

 

Nacht.

 

Der Ahorn vor meinem Fenster rauscht,

von seinen Blättern funkelt der Thau ins Gras,

und mein Herz

schlägt.

 

Nacht.

 

Ein Hund .. bellt, ... ein Zweig ... knickt, – still!

 

Still!!

 

Du? ... Du?

Ah, deine Hand! Wie kalt, wie kalt!

Und ... deine Augen ... gebrochen!

 

Gebrochen!!

 

Nein! Nein! Du darfst es nicht sehn,

dass die Lippen mir zucken,

und auch die Thränen nicht, die ich kindisch um dich vergiesse –

 

Du armes Weib!

 

Also nachts,

nachts nur noch wagst du dich,

schüchtern,

aus deinem Sarg?

Um dich auf Zehen zu mir zu schleichen?

 

Armes Weib![5]

 

Verblüht

 

Verblüht

die Kränze, die du gewunden,

verweht

die Lieder, die du gesungen,

und in deinen Haaren, in deinen schönen Haaren,

klebt nun die

Erde.

 

Tot, tot, tot ...

 

Und deine Flügel, deine armen Flügel!

Unbarmherzig heruntergeschnitten

von den schimmernden Schultern – ah, weine nicht!

Weine nicht!

Hier! Hier! Zu mir sollst du dich setzen,

nächtlich, allnächtlich.

bis der Morgen

graut,

bis die Sonne

scheint,

und die Welt,

die kluge Welt, wieder gleichgültig über dein Grab rollt

 

Horch!

 

Der Ahorn vor meinem Fenster rauscht,

der Thau tropft,

und mein Herz

schlägt.

 

Nacht, Nacht, Nacht ...[6]

 

Durch die Friedrichstrasse

 

Durch die Friedrichstrasse

– die Laternen brennen nur noch halb,

der trübe Wintermorgen dämmert schon –

bummle ich nach Hause.

 

In mir, langsam, steigt ein Bild auf.

 

Ein grüner Wiesenplan,

ein lachender Frühlingshimmel,

ein weisses Schloss mit weissen Nymphen.

 

Davor ein riesiger Kastanienbaum,

der seine roten Blütenkerzen

in einem stillen Wasser spiegelt![7]

 

Ich liege noch im Bett und habe eben Kaffee getrunken

 

Ich liege noch im Bett und habe eben Kaffee getrunken.

Das Feuer im Ofen knattert schon,

durchs Fenster,

das ganze Stübchen füllend,

Schneelicht.

 

Ich lese.

 

Huysmans. Là Bas.

 

... Alors,

en sa blanche splendeur,

l'âme du Moyen Age rayonna dans cette salle ...

 

Plötzlich,

irgendwo tiefer im Hause,

ein Kanarienvogel.

 

Die schönsten Läufe!

 

Ich lasse das Buch sinken.

 

Die Augen schliessen sich mir,

ich liege wieder da, den Kopf in die Kissen – –[8]

 

Zwischen Gräben und grauen Hecken

 

Zwischen Gräben und grauen Hecken,

den Rockkragen hoch, die Hände in den Taschen,

schlendre ich durch den frühen Märzmorgen.

 

Falbes Gras, blinkende Lachen und schwarzes Brachland

so weit ich sehn kann.

 

Dazwischen,

mitten in den weissen Horizont hinein,

wie erstarrt,

eine Weidenreihe.

 

Ich bleibe stehn.

 

Nirgends ein Laut. Noch nirgends Leben.

Nur die Luft und die Landschaft.

 

Und sonnenlos, wie den Himmel, fühl ich mein Herz!

 

Plötzlich ein Klang,

 

Ich starre in die Wolken.

 

Ueber mir,

jubelnd,

durch immer heller werdendes Licht,

die erste Lerche![9]

 

Mitten auf dem Platz

 

Mitten auf dem Platz,

wo die Kinder lärmen,

bleib ich stehn.

 

Jungens,

die sich um eine Murmel zanken,

ein kleines Mädchen, das Reifen spielt ...

 

Herr Gott, Frühling!

 

Und nichts, nichts hab ich gesehn!

 

Aus allen Büschen

brechen ja schon die Knospen![10]

 

Fern liegt ein Land

 

Fern liegt ein Land!

 

In dunklen Nächten

rauschten schwermütig seine Eichen.

Weiche Flocken deckten mein Grab.

 

Jetzt blühn die Primeln,

die Drossel singt,

und über grüne Wiesen, um den blauen See

treibt der Schäfer seine Schafe.

 

Weisse Wölkchen gleiten.

 

Du süsse Welt!

Auf deinen glänzendsten Stern

hast du ein Herz, das dich liebt, gerettet![11]

 

Schönes, grünes, weiches Gras

 

Schönes, grünes, weiches Gras.

Drin liege ich.

Mitten zwischen Butterblumen!

 

Ueber mir,

warm,

der Himmel:

ein weites, zitterndes Weiss,

das mir die Augen langsam, ganz langsam

schliesst.

 

Wehende Luft, ... ein zartes Summen.

 

Nun bin ich fern

von jeder Welt,

ein sanftes Roth erfüllt mich ganz,

und deutlich spür ich,

wie die Sonne mir durchs Blut rinnt –

minutenlang.

 

Versunken Alles. Nur noch ich.

 

Selig.[12]

 

Aus weissen Wolken

 

Aus weissen Wolken

baut sich ein Schloss.

 

Spiegelnde Seen, selige Wiesen,

singende Brunnen aus tiefstem Smaragd!

 

In seinen schimmernden Hallen

wohnen

die alten Götter.

 

Noch immer,

abends,

wenn die Sonne purpurn sinkt,

glühn seine Gärten,

vor ihren Wundern bebt mein Herz

und lange ... steh ich.

 

Sehnsüchtig!

 

Dann naht die Nacht,

die Luft verlischt,

wie zitterndes Silber blinkt das Meer,

und über die ganze Welt hin

weht ein Duft

wie von Rosen.[13]

 

In einem Garten

 

In einem Garten

unter dunklen Bäumen

erwarten wir die Frühlingsnacht.

 

Noch glänzt kein Stern.

Aus einem Fenster,

schwellend,

die Töne einer Geige ...