Lukian

Gespräche der Götter

und der Meeresgötter

 

 

 

Lukian: Gespräche der Götter und der Meeresgötter

 

Übersetzt von Christoph Martin Wieland

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Giovanni Battista Tiepolo, Neptun, 1750

 

ISBN 978-3-7437-1192-1

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-7437-1172-3 (Broschiert)

ISBN 978-3-7437-1173-0 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Gespräche der Götter

Entstanden um 150. Der Text folgt der Übersetzung von Christoph Martin Wieland.

Gespräche der Meeresgötter

Entstanden um 150. Der Text folgt der Übersetzung von Christoph Martin Wieland.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Lukian: Werke in drei Bänden. Aus dem Griechischen übersetzt von Christoph Martin Wieland. Herausgegeben von Jürgen Werner und Herbert Greiner-Mai. 2. Auflage. Berlin, Weimar: Aufbau-Verlag, 1981.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

Gespräche der Götter

(Theōn dialogoi)

I. Befreiung des Prometheus.

Prometheus, Jupiter.

 

PROMETHEUS. Laß mich los, Jupiter, du hast mich lange und schrecklich genug leiden lassen.

JUPITER. Dich sollt ich loslassen, dich, der immer noch zu gelinde bestraft wäre, wenn ich dich mit dreimal schwereren Fesseln belegt und dir den ganzen Kaukasus auf den Kopf gewälzt hätte? Dich, dem sechzehn Geier für einen nicht nur die Leber, sondern die Augen ausfressen sollten, um dich nach Verdienen dafür zu bestrafen, daß du uns eine so widersinnische Art von Tieren wie die Menschen auf die Welt gesetzt, das Feuer vom Himmel gestohlen und, was noch das ärgste ist, die Weiber erschaffen hast! Denn wie du mich selbst bei der Austeilung des Opferfleisches betrogen, da du mir nichts als Knochen mit Fett bedeckt vorsetztest und das Fleisch für dich behieltest, davon mag ich gar nicht reden.

PROMETHEUS. Bin ich nicht genug dafür gestraft, daß ich schon so viele tausend Jahre, an den Kaukasus angeschmiedet, diesen verdammten Adler mit meiner Leber füttern muß?

JUPITER. Und doch ist es nur der kleinste Teil dessen, was du zu leiden verdient hast.

PROMETHEUS. Ich verlange meine Freiheit nicht umsonst, Jupiter; ich will dir etwas dafür entdecken, das von der größten Wichtigkeit für dich ist.

JUPITER. Du willst mir was weismachen, Prometheus?

PROMETHEUS. Was könnte mir's helfen? Du würdest gewiß nicht vergessen, wo der Kaukasus liegt, und es würde dir nicht an Fesseln fehlen, wenn herauskäme, daß ich dir nur eine Nase gedreht hätte.[271]

JUPITER. Erst will ich wissen, was du mir denn entdecken kannst, das eine solche Gnade wert sei.

PROMETHEUS. Wenn ich dir sage, wohin du jetzt gehest und was du vorhast, wirst du mir dann glauben, was ich dir weissagen will?

JUPITER. Warum nicht?

PROMETHEUS. Du eilest zur Thetis, in der Absicht, sie – wie deine Gemahlin zu behandeln.

JUPITER. Das hat er getroffen! – Aber was nun weiter? Bald sollt ich glauben, daß du mir die Wahrheit sagen werdest.

PROMETHEUS. Nimm dich vor dieser Nereide in acht! Denn wird sie von dir schwanger, so hast du von dem Sohne, den sie gebären wird, das nämliche zu erwarten, was du deinem Vater Kronus getan hast.

JUPITER. Das soll soviel sagen, als er werde mich der Regierung berauben?

PROMETHEUS. Das sei ferne, o Jupiter! Aber daß die Verbindung, die du mit ihr vorhast, dich damit bedrohet, ist gewiß.

JUPITER. Um diesen Preis danke ich für die schöne Thetis! – Dich soll Vulkan für die Warnung wieder in Freiheit setzen.[272]

 

II. Jupiters Beschwerden gegen Amorn.

Jupiter, Amor.

 

AMOR. Und wenn ich auch was gefehlt habe, so verzeih es mir; ich bin eben noch ein Kind und unverständig.

JUPITER. Du ein Kind? und bist noch älter als der Japetus! Wie? weil du noch keinen Bart und keine grauen Haare hast, möchtest du gerne für ein Kind passieren, da du doch so alt und so voller Schelmerei bist!

AMOR. Aber was hab ich dir denn, wenn ich so ein Greis bin, zuleide tun können, daß du mich binden willst?

JUPITER. Sind das etwa Kleinigkeiten, du gottloser Bube, daß[272] du, bloß um deinen Mutwillen mit mir zu treiben, alles mögliche schon aus mir gemacht hast? Oder liegt es etwa nicht bloß an dir, daß mich auch nicht eine einzige Sterbliche lieben will, so daß ich mir nicht anders zu helfen weiß, als Zauberei gegen sie zu gebrauchen, und zum Satyr, zum Stier, zum Adler und zum goldenen Regen werden muß, wenn ich ihnen beikommen will. Und was gewinne ich damit? Sie lieben den Stier oder Schwan und sterben vor Angst, sobald sie mich in meiner eigenen Gestalt sehen.

AMOR. Das geht sehr natürlich zu; wie sollten sie, da sie nur Sterbliche sind, Jupiters Anblick ertragen können?

JUPITER. Wie kommt es denn, daß Apollo sich vom Branchus und Hyazinthus lieben machte?

AMOR. Daphne hingegen lief vor ihm davon, wiewohl er ein glattes Kinn und die schönsten Haare von der Welt hat. Wenn du geliebt sein willst, so lege deinen Blitz und diese fürchterliche Ägide beiseite, mache dich so angenehm als möglich, laß deine struppichten Locken fein auskämmen, zu beiden Seiten zierlich aufwinden und mit einer goldenen Haarbinde zusammenschlingen, zieh einen schönen Purpurrock und Halbstiefel von vergoldetem Leder an, laß Pfeifen und Pauken vor dir hergehen, und siehe dann, ob du nicht ein schöneres Gefolge von Nymphen bekommen wirst als Bacchus selbst.

JUPITER. Geh mit deinem albernen Rate! Ich verlange um diesen Preis nicht, liebenswürdig zu sein.

AMOR. So solltest du auch den Liebhaber nicht spielen wollen. Das wäre doch so schwer nicht?

JUPITER. Schwer oder nicht, dem Vergnügen der Liebe will ich nicht entsagen, ich will nur, daß es mir wenig Mühe koste. Dies zu bewerkstelligen ist deine Sache, und unter diesen Bedingungen soll dir diesmal noch verziehen sein![273]

 

III. Io.

Jupiter und Merkur.

 

JUPITER. Merkur!

MERKUR. Was befiehlt der Herr Vater?

JUPITER. Du kennst doch die schöne Tochter des Inachus?

MERKUR. Die Io meinst du? O ja.

JUPITER. Kannst du dir vorstellen, daß das arme Ding zur Kuh gemacht worden ist?

MERKUR. Das wäre! wie kam es, daß sie so transfiguriert wurde?

JUPITER. Einer so eifersüchtigen Frau wie Juno ist alles möglich, aber sie hat der Unglücklichen einen noch schlimmern Streich gespielt: sie hat ihr einen gewissen vielaugichten Kuhhirten, namens Argus, einen Kerl, der gar nicht weiß, was schlafen ist, zum Wächter gegeben.

MERKUR. Was ist da zu tun?

JUPITER. Nichts als daß du nach Nemea, wo er weidet, hinabfliegen, den Argus töten, die Io aber nach Ägypten führen und zur Isis machen sollst. Dort soll sie künftig als eine Göttin verehrt werden, den Ergießungen des Nils vorstehen und den Seefahrern günstige Winde geben und ihre Schutzpatronin sein.

 

IV. Ganymed.

Jupiter und Ganymed.

 

JUPITER. Nun, mein lieber Ganymed, sind wir an Ort und Stelle angekommen. Küsse mich, mein Püppchen, damit du siehest, daß ich keinen krummen Schnabel, keine scharfen Klauen und keine Flügel mehr habe, wie es dir vorkam, da ich ein Vogel zu sein schien.

GANYMED. Wie, Mann? du warst doch nicht der Adler, der vor einer kleinen Weile herabgeflogen kam und mich mitten aus meiner Herde davonführte? wo wären denn deine[274] Flügel hingekommen? und warum siehst du denn jetzt ganz anders aus?

JUPITER. Das kommt daher, mein Kind, weil ich weder ein Mensch noch ein Adler, sondern der König der Götter bin, der die Adlersgestalt nur annahm, weil sie ihm zu seiner Absicht bequem war.

GANYMED. Was du sagst! Du bist also der Pan, von dem ich schon soviel gehört habe? Aber wo ist denn deine Pfeife? und warum hast du keine Hörner und keine Bocksfüße?

JUPITER. Meinst du denn, es gebe sonst keinen Gott als ihn?

GANYMED. In unserm Dorfe weiß man von keinem andern; darum opfern wir ihm auch einen ganzen Bock vor der Höhle, wo sein Bild steht. Du magst mir wohl einer von den garstigen Leuten sein, die die Menschen stehlen und dann für Sklaven verkaufen!

JUPITER. Sage mir einmal, hast du den Jupiter nie nennen hören und auf der Spitze des Ida nie den Altar des Gottes gesehen, der Regen, Blitz und Donner schickt?

GANYMED. Du wärst also der feine Herr, der uns neulich das entsetzliche Hagelwetter auf den Hals schickte? der, wie sie sagen, da oben wohnt und das Krachen in den Wolken macht und dem mein Vater neulich den Schafbock opferte? – Aber was hab ich denn begangen, daß du mich so davongeführt hast, o König der Götter? Nun werden meine Schafe indessen in die Wildnis geraten sein und sind vielleicht schon von den Wölfen aufgefressen worden.

JUPITER. Was kümmern dich die Schafe? Du bist nun unsterblich und bleibst bei uns.

GANYMED. Wie? du willst mich nicht heute noch nach dem Ida zurückbringen?

JUPITER. Gewiß nicht! Wofür wär ich aus einem Gott ein Adler geworden?

GANYMED. Aber da wird mein Vater böse auf mich werden, wenn er mich nirgends finden kann, und ich werde Schläge dafür kriegen, daß ich meine Herde im Stiche gelassen habe!

JUPITER. Er soll dich nicht wieder zu sehen bekommen.

GANYMED. Nein, nein! ich will wieder zu meinem Vater! – [275] Schmeichelnd. Wenn du mich wieder zurückbringst, so versprech ich dir, er soll dir noch einen Widder dafür opfern; den großen dreijährigen, der immer vor der Herde hergeht, wenn ich sie auf die Weide treibe.

JUPITER vor sich. Wie offen und unschuldig der Junge noch ist! noch ein völliges Kind! – Mein lieber Ganymed, du mußt dir alle diese Dinge aus dem Sinne schlagen und gar nicht mehr an den Ida und deine Herde denken. Du bist nun ein Himmelsbewohner und wirst von hier aus deinem Vater und Vaterlande viel Gutes tun können. Statt Milch und Käse wirst du Ambrosia essen und Nektar trinken. Du sollst mein Mundschenk werden und, was das vornehmste ist, kein Mensch mehr sein, sondern ein Unsterblicher; und es soll ein Gestirn deines Namens am Himmel funkeln; kurz, es soll dir recht wohl gehen!

GANYMED. Aber wenn ich nun spielen will, wer wird mit mir spielen? Auf dem Ida hatte ich gar viele Knaben meines Alters.

JUPITER. Daran soll es dir hier auch nicht fehlen; ich will dir eine Menge schöner Keulchen geben, und Amor soll dein Spielgesell sein. Fasse nur ein Herz, mein Kind! mach ein fröhliches Gesicht und laß dich nichts mehr anfechten, was da unten ist!

GANYMED. Aber was kann ich euch denn hier nütze sein? muß ich hier etwan auch die Schafe hüten?

JUPITER. Beileibe nicht. Du wirst uns den Nektar einschenken und bei der Tafel aufwarten.

GANYMED. Das ist eben keine Kunst; ich verstehe mich recht gut darauf, Milch einzuschenken und den Efeubecher hinzureichen.

JUPITER. Daß du doch den Hirtenjungen nicht vergessen kannst! Du bist hier im Himmel, sag ich dir, und wir Götter trinken nichts als Nektar.

GANYMED. Schmeckt das besser als Milch?

JUPITER. »Wenn du nur einen Tropfen davon gekostet hast, wirst du keine Milch mehr verlangen.

GANYMED. Aber wo werd ich denn bei Nacht schlafen? Etwa bei meinem Kameraden Amor?[276]

JUPITER. Närrchen, deswegen hab ich dich ja entführt, daß du bei mir schlafen sollst.

GANYMED. Du kannst's also nicht allein und bildest dir ein, du werdest besser schlafen können, wenn du bei mir liegst?

JUPITER. Bei einem so hübschen Knaben wie du, allerdings!

GANYMED. Was kann die Schönheit zum Schlafen helfen?

JUPITER. O sie führt etwas gar angenehm Einschläferndes bei sich und macht einen viel sanftern Schlaf!

GANYMED. Mein Vater sprach ganz anders. Er wurde immer ungehalten auf mich, wenn ich bei ihm lag und klagte des Morgens, daß ich mich immer hin- und hergewälzt und ihn gestoßen oder im Schlaf aufgeschrien, so daß er gar keine Ruhe vor mir haben können; und deswegen schickte er mich meistens zur Mutter schlafen. Wenn du mich also nur dazu geraubt hast, so kannst du mich immer wieder auf die Erde tragen; denn ich werde dir sehr überlästig sein, weil ich mich so oft umkehre.

JUPITER. Das wird mir eben das angenehmste sein, wenn ich recht viel bei dir wachen und dich nach Herzenslust küssen und drücken kann.

GANYMED. Das magst du! ich werde schlafen und dich küssen lassen.

JUPITER. Das wird sich schon geben. Zu Merkur. Jetzt führe du ihn weg und laß ihn den Trank der Unsterblichkeit trinken. Dann zeige ihm, wie er den Becher mit Anstand reichen muß und bring ihn zurück, damit er sein Amt bei Tafel antreten kann.[277]

 

V. Ein ehlicher Wortwechsel zwischen Jupiter und seiner Gemahlin.

Juno, Jupiter, Ganymed als stumme Person.

 

JUNO. Seitdem du den phrygischen Knaben da vom Ida geraubt und hieher gebracht hast, finde ich dich sehr kalt gegen mich, Jupiter.

JUPITER. Du bist also auch über den unschuldigen harmlosen[277]