Drei Millionen Gründe zum Morden Berlin 1968 Kriminalroman Band 13

Tomos Forrest

Published by BEKKERpublishing, 2021.

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Drei Millionen Gründe zum Morden

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Drei Millionen Gründe zum Morden

Berlin 1968 Kriminalroman Band 13

von Tomos Forrest

Der Umfang dieses Buchs entspricht 121 Taschenbuchseiten.

Bernd Schuster wird von dem Direktor eines neuen Luxus-Hotels in Charlottenburg gebeten, die Polizei zu unterstützen. Der Brandanschlag auf das Hotel verlief relativ glimpflich, aber der Hausdetektiv ist verschwunden. Schuster erfährt sehr schnell, dass es um viel mehr geht als nur um Brandstiftung. Es geht um Millionen, die von einem obskuren Team als Spenden eingesammelt wurden...

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Ein CassiopeiaPress Buch CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

Cover: Nach Motiven und Grischa Georgiew 123rf – Steve Mayer, 2021

Titel/Charaktere/Treatment © by Marten Munsonius & Thomas Ostwald, 2021

Roman – Nach Motiven – by Tomos Forrest, 2021

© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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1

Darf man mal erfahren, was das jetzt wird?“

Bernd Schuster blickte von seinen Unterlagen auf, als Franziska in Begleitung seiner Tochter Lucy einen riesigen Farbeimer schleppte und zwischen seinem Büro und dem Vorzimmer abstellte.

„Renovierung, höchste Zeit!“, verkündete Lucy.

Bernd betrachtete seine Tochter kritisch.

Er war ja gewohnt, dass sie in knappem Höschen und T-Shirt herumlief, aber heute wirkte die Siebzehnjährige besonders verwegen. Sie hatte sich ein Sonnenhütchen aus Blümenstoff aufgesetzt, dass Bernd Schuster fatal an seine Ex erinnerte. Dazu die Schuhe mit den hohen Korksohlen, und die ewig langen Beine inzwischen schon gut gebräunt.

‚Es ist schon ein hübsches Ding geworden!‘, dachte Bernd. ‚Aber ich habe die schlimmsten Vorstellungen, wenn sie mal nicht pünktlich um 22 Uhr zu Hause ist. Ich weiß nur nicht, wie...‘

Franziska stand dicht vor ihm und lachte laut heraus.

„Bernd, du hast doch schon wieder deine Gedanken irgendwo anders, aber nicht hier beim Geschehen! Lucy und ich haben uns entschlossen, an diesem Wochenende die Wände zu streichen. Hier im Vorzimmer und in deinem Büro. Komm, lass uns die alten Laken über die Schreibtische ausbreiten, in der nächsten Stunde ist alles bereit.“

„Dad, kannst du bitte noch die kleinen Farbeimer hereinholen? Sie sind uns einfach zu schwer geworden und stehen in der Parkstraße neben dem Mercedes.“

Bernd blickte verwundert von dem riesigen Eimer mit Wandfarbe durch die offene Tür der Detektei.

„Ihr habt das ganze Zeug vom Bauhaus herübergetragen?“

„Nein, wir haben es vor uns hergerollt wie ein Bierfass!“, lachte Franziska.

„Dad – was ist nun? Die Farbeimer und dann die Laken über deinen Krempel! Fass mit an, dann geht es leichter!“

Bernd holte die beiden kleineren Eimer mit der Abtönfarbe herein und stellte sie neben den anderen.

„Aber, Mädels – das ist doch nicht euer Ernst, oder? Das Wochenende bietet Superwetter, und ihr wollt wirklich die Zeit verplempern und hier streichen?“

„So ist es, Bernd. Wo hast du denn die Pinsel und Farbrollen gelassen?“

„Keine Ahnung. Ich glaube, die habe ich alle weggeworfen. Waren hart und eingetrockent!“

„Oh, Daddy, das ist nicht dein Ernst, oder? Gut, egal, gib mir bitte noch einen Zwanziger, dann gehe ich noch mal an die Ecke und kaufe das Zeug neu.“

Wortlos zog Bernd seine Geldbörse und händigte den Zwanzig-Mark-Schein aus. Insgeheim hoffte er darauf, dass er noch bis zum Wochenende einen neuen Auftrag bekam, der ihn seinen Räumen in der Kurfürstenstraße fern  hielt.

Die Gelegenheit sollte tatsächlich kommen.

Schneller sogar, als er hoffen konnte.

2

Die Stahltür öffnete sich mit einem hässlichen Quietschton. Er erinnerte Karsten Solinger daran, dass er vergessen hatte, die Angeln zu ölen. Sein eigentlicher Ärger galt allerdings dem Umstand, dass er beim Frühstück gestört wurde.

Solinger ließ die Zeitung sinken und wandte ärgerlich den Kopf. Er kannte den Mann nicht, der den Raum betrat. Es gab viele Angestellte im Hotel, deren Namen Solinger nicht geläufig waren, weil sie in anderen Abteilungen arbeiteten, aber den Besucher hatte er niemals zuvor gesehen.

„Zutritt verboten!“, sagte Solinger unwirsch.

Der Mann lächelte. Er war mit einem dunklen, unauffälligen Anzug bekleidet, hatte einen grauen Filzhut auf dem Kopf und trug die billige Imitation eines Diplomatenköfferchens in der Hand. „Mein Name ist Schwarz“, stellte er sich vor. „Ich bin der Versicherungsinspektor.“

Karsten Solinger legte verdrossen die Zeitung aus der Hand, schraubte den Deckel seiner Thermoskanne zu und erhob sich.

„Sie können sich ausweisen, hoffe ich?“, fragte er.

„Aber ja“, meinte der Besucher und sah sich in dem kleinen Vorraum um. Er enthielt einen Spind und einen Tisch, an dem zwei Klappstühle und eine Kiste standen, die gleichfalls als Sitzgelegenheit diente. Eine weitere Stahltür führte in den Maschinenraum. In ihm waren die Sprinklerzentrale und die zwölf Motoren untergebracht, die mitsamt den schweren Stahlwinden den Liftbetrieb des großen Hotels sicherten.

„Sie arbeiten doch nicht allein hier oben?“, fragte der Besucher und legte seinen Koffer auf dem Tisch ab.

„Wir sind sechs Leute, zwei pro Acht-Stunden-Schicht“, erwiderte Solinger. „Mein Kollege Max kuriert eine Erkältung aus, deshalb schmeiße ich den Laden hier im Augenblick allein. Kann ich jetzt Ihren Ausweis sehen, bitte?“ Seine Stimme klang ungeduldig. Er wischte sich die Hände an seinem Overall ab. Der Mann öffnete den Koffer. Solinger konnte nicht sehen, was darin war, denn der aufgeklappte Deckel versperrte ihm die Sicht. Der Mann griff in den Koffer.

Im nächsten Moment sah Solinger, was er für einen Inhalt hatte.

Der Mann nahm eine Waffe heraus, dessen aufgeschraubter Schalldämpfer die Waffe besonders klobig aussehen ließ.

„He, Mann!“, murmelte Solinger und bekam runde Augen. „Was soll der Quatsch?“

„Wann kommt Ihre Ablösung?“, fragte der Mann und richtete die Waffe auf Solinger.

„Um vier Uhr.“

Der Mann griff mit der Linken in den Koffer. Eine Kette klirrte. Der Mann stopfte sie in seine Jackentasche.

„Geh’ voran!“, forderte er und wies mit der Waffenmündung auf die Stahltür, die in den Maschinenraum führte.

Solinger schluckte. Er war ein großer, schwergewichtiger Mann mit einem Gesicht, dem man Gefühlsregungen nicht ansah und von dem manche behaupteten, es sehe immer zu gleich teigig aus, egal, ob sein Besitzer fröhlich, traurig oder einfach nur gleichgültig war. Vermutlich war diese Typisierung der Tatsache zuzuschreiben, dass Solinger fast niemals lachte.

Er sah als Vater von fünf Kindern, der mit einer zänkischen, rechthaberischen Frau verheiratet war und ständig mit Schulden zu kämpfen hatte, wohl nur selten Anlass zur Heiterkeit. Dennoch verbarg sich hinter seiner ständigen Verdrossenheit viel Leben. Er hatte den Wunsch, den anderen zu beweisen, dass er mehr war als ein roboterhaft anmutender Mechaniker. Ja, einmal wollte er Schlagzeilen machen, einmal wollte er ein Held sein - vor allem Sabine, seine Frau, sollte erfahren, dass bedeutend mehr in ihm steckte, als man ihm zutraute. Er begriff, dass dies eine Chance war.

Es stand außer Frage, dass er dabei viel riskierte, unter Umständen sogar sein Leben, aber erstens hing er nicht so wahnsinnig daran, und zweitens würde man sein Handeln nur umso höher einstufen, wenn es sich mit einem tödlichen Risiko verband.

„Was haben Sie vor?“, fragte er und ballte die Hände. Er war ein sehr großer Mann und überragte den Besucher fast um Haupteslänge.

Der Kerl lächelte. Er hatte feste, regelmäßig gewachsene Zähne, die freilich ziemlich dunkel waren. Seine Augen machten den Eindruck, als seien sie von wallendem Nebel erfüllt. Sie waren steingrau.

„Das ist rasch erklärt“, sagte der Mann. „Ich kette dich an, stopfe dir einen Knebel in den Mund und verändere ein paar Kleinigkeiten an der Technik.“ Er lachte. „Du kannst sie morgen wieder in Ordnung bringen - falls es ein Morgen für dich geben sollte“, schloss er drohend. Ihm war nicht entgangen, wie Solingers Muskeln sich spannten.

„Das läuft so nicht. Nicht bei mir“, presste Solinger durch seine Zähne.

Der Mann lächelte nicht mehr. Er war spürbar irritiert. Er hatte auf die Wirkung seiner Waffe gebaut und begriff nicht, dass Solinger ihr nicht den gebührenden Respekt zollte.

„Nimm die Hände hoch!“, fuhr er Solinger an.

Solinger grinste. Er bewunderte sich selbst. Er hatte keine Angst vor dem Gegner, nicht einmal vor dessen furchteinflößender Pistole. Der Mann war sicherlich nicht verrückt. Er war gewiss nicht bereit, seinen Auftrag mit einem Mord durchzusetzen.

„Du musst mich schon umnieten, wenn du in den Maschinenraum gelangen willst“, höhnte Solinger. „Aber das wagst du nicht!“ Er lachte und ging auf den Mann zu. „Du bist’n Experte, nehme ich an, einer der was von Technik versteht. Deshalb hat man dich geschickt. Aber ein Techniker ist kein Mörder. Habe ich recht, großer Meister?“

Solinger war richtig in Form und bedauerte, dass Sabine ihn nicht sehen konnte. Oder die Kinder. Verdammt, ein Karsten Solinger ließ sich nicht einschüchtern, der stand seinen Mann.

„Stehenbleiben!“, stieß der Andere hervor. Der Nebel wich aus seinen Augen, sie waren hart und glänzend. „Stehenbleiben, oder es knallt!“

„Dir schlottern die Knie, was?“, spottete Solinger. Er machte einen weiteren Schritt auf den Fremden zu. Solinger fühlte, dass er die Kraft hatte, seinen Gegner in die Knie zu zwingen. Diese Siegeszuversicht vermittelte ihm ein Empfinden, das an Trunkenheit grenzte, es war überwältigend schön.

„Karsten wird dir ...“, sagte Solinger. Weiter kam er nicht. Die Waffe in der Hand des Gangsters bäumte sich auf, sie entließ einen grellen Feuerblitz, der sich mit einem dumpfen Knall verband, und mit einem harten, gar nicht so schmerzhaften Schlag, den Karsten Solinger auf der Brust verspürte.

Er stand wie erstarrt. Er konnte und wollte nicht glauben, dass dieser Wahnsinnige getan hatte, was weder zu rechtfertigen noch zu erwarten gewesen war.

Karsten Solinger brach in die Knie. Er öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Wie gut, dass Sabine ihn in diesem Augenblick nicht sah. Er spürte, wie ein Zittern seinen Körper durchlief.

Solinger bemühte sich, stark zu sein, er wollte sich erheben und diesem Dreckskerl zeigen, wozu er imstande war, aber dann traf ihn die Schwäche wie eine Flutwelle. Sie spülte ihm das Denkvermögen aus dem Kopf und ließ ihn vornüberkippen. Er schlug mit der Stirn auf den Betonfußboden und verlor das Bewusstsein.

3

Gregor Gantz“, sagte der Mann am Telefon. „Ich bin der Direktor des King’s Plaza in der Otto-Suhr-Allee in Charlottenburg. Ich brauche Sie, und zwar dringend. Sind Sie frei?“

„Frei wofür?“, fragte Bernd Schuster. Seine Füße lagen auf dem Schreibtisch, und es bedurfte einer ziemlichen Anstrengung, um die etwas außer Reichweite liegende Packung Roth Händle heranzuziehen. Bevor die Renovierungsarbeiten begannen, hatte er erklärt, noch an seinem Schreibtisch arbeiten zu müssen und kurzerhand die Hälfte des alten Bettlakens zur Seite geschlagen, die seine Unterlagen schützen sollten. Er schob sich eine Zigarette zwischen die Lippen und lächelte dankbar, als Franziska, seine junge, attraktive Lebensgefährtin und Mitarbeiterin, das Büro betrat und heraneilte, um ihn aus seinen Nöten zu befreien. Sie gab ihm Feuer.

„Ein Fall für Sie. Mein Hoteldetektiv ist verschwunden. Außerdem wurde ein Anschlag auf das Haus verübt. Einer der Angestellten wurde durch einen Schuss verletzt - lebensgefährlich.“

„Wann war das?“

„Gestern. Seit diesem Zeitpunkt ist auch Janssen, der Hausdetektiv, verschwunden.“

„Was sagt die Polizei dazu?“

„Sie tappt im Dunkeln. Offen gestanden, traue ich den Männern, die behördlicherseits den Fall bearbeiten, nicht viel mehr zu als ihren guten Willen. Deshalb würde ich es begrüßen, wenn Sie kommen können - am besten sofort.“

„Ich bin zwar frei“, erklärte Bernd, „aber ich sollte Ihnen klipp und klar sagen, dass es für Sie billigere Möglichkeiten gibt, einen tüchtigen Privatdetektiv zu engagieren. Ich wette, dass es in West-Berlin mindestens ein halbes Dutzend gibt.“

„Ich will nicht irgendeinen. Ich will Sie“, sagte der Anrufer. „Das hat seinen guten Grund.“

„Darf man erfahren, welchen?“

„Aber gewiss“, sagte der Anrufer. „Sie sind in den Fall verwickelt, Herr Schuster.“

„Das müssen Sie mir schon genauer erklären“, meinte Bernd.

„Sie erfahren es, sobald Sie hier sind. Eine Bitte vorab. Suchen Sie mich zunächst nicht im Hotel auf! Niemand braucht zu wissen, dass ich Sie hergebeten habe. Sie erreichen mich privat nicht weit entfernt. Charlottenburger Ufer 23.“

„Gut, ich bin in einer halben Stunde bei Ihnen.“

„Ich freue mich auf Ihren Besuch“, sagte Gantz und legte auf.

Bernd schwang die Füße auf den Boden, legte den Hörer auf die Gabel und blickte Franziska an. Sie hatte über den eingeschalteten Telefonlautsprecher mitgehört.

„Das scheint ein dicker Fisch zu werden“, meinte sie. „Was ist das für ein Hotel?“

„Das King’s Plaza in Charlottenburg.“

Franziska gab einen dünnen Pfiff von sich.

„Die King’s Hotelkette ist eine der größten ausländischen und hat ja das Ding in Charlottenburg erst vor ein paar Jahren eröffnet. Jetzt schickt man sich an, die Nummer eins auf dem Weltmarkt zu werden. Luxus zu erschwinglichen Preisen. King’s betreibt eine aggressive Preispolitik. Man wirft der Konzernleitung vor, dass sie mit Dumpingreisen die potentiellen Konkurrenten aus dem Markt zu drängen versuchen. Angeblich ist es ihr Ziel, diese Konkurrenten zu ruinieren und aufzukaufen. Diese Leute meinen, er habe vor, seine Preise schlagartig zu erhöhen, sobald er die Konkurrenz geschluckt hat.“ Sie lächelte und seufzte: „Ich wünschte, ich könnte dich begleiten.“

„Es ist nicht fast schon um die Ecke. Wir sehen uns heute Abend auf alle Fälle noch“, sagte Bernd und erhob sich.

Um halb eins lenkte Bernd seinen Mercedes 450 SEL auf den Kiesweg, der von der Straße zu dem großen, weißen Bungalow am Ende eines riesigen Gartengrundstücks führte, direkt an der Spree gelegen. Bernd stoppte vor der Doppelgarage, deren Tor offenstand. Eine Box war leer, in der anderen parkte ein Alfa Spider.

Bernd kletterte ins Freie und ging auf das Haus zu. In diesem Moment knallte es. Bernd machte einen Satz und landete flach auf dem Bauch in einer Bodenmulde.

Er hörte das Zwitschern der Vögel. Aus der Ferne kam das Tuten eines Schleppkahns. Bernd hob vorsichtig den Kopf. Er zog das rechte Knie an, sprang auf und begann zu rennen. Er erreichte die Haustür ohne weiteren Zwischenfall und klingelte. Die Tür öffnete sich. In ihrem Rahmen zeigte sich eine junge, rothaarige Frau, deren strahlende Schönheit Bernd fast den Atem verschlug.

Er war normalerweise von weiblicher Attraktivität nicht so leicht aus der Fassung zu bringen, aber sein Gegenüber hatte das gewisse Etwas, eine elektrisierende Mischung aus damenhafter Kühle und prickelndem Sex Appeal.

„Frau Gantz?“, fragte Bernd.

„Sie sind Herr Schuster, nicht wahr?“, meinte die Rothaarige, nachdem sie Bernds Frage mit einem Kopfnicken beantwortet hatte. „Treten Sie ein, bitte. Herzlich willkommen!“

„Auf mich ist soeben geschossen worden“, sagte Bernd, der ein Gefühl der Erleichterung verspürte, als Tina Gantz die Tür hinter ihm ins Schloss drückte. Die Diele war sehr groß. Man hörte das monotone Rauschen der Klimaanlage.

„Ich habe einen Knall gehört“, sagte Tina Gantz, die sehr große, grünlich schimmernde Augen hatte und einen Mund, dessen schwungvolle Kurven etwas Lockendes hatten, aber auch etwas Kindhaftes, dem sich kaum ein Betrachter entziehen konnte. Das schulterlange Haar machte den Eindruck, als sei es soeben von der erfahrenen Hand einer Friseurin betreut worden, es hatte einen seidigen Glanz. Tina Gantz trug ein weißes Kleid. Sein Schnitt war von raffinierter Schlichtheit. Ein schmaler, roter Schlangenledergürtel machte deutlich, wie schmal und zerbrechlich die Taille war, während die üppige Oberweite ganz andere Maße zu bieten hatte. Die hochhackigen Sandaletten bestanden aus dem gleichen Material wie der Gürtel. Tina Gantzs Beine präsentierten sich mit nackter, untadeliger Haut, aber weder sie noch das Gesicht waren so braun, wie man es von einem Bewohner dieser Gegend am Ufer der schönen Spree vielleicht erwartete.

„Als ich den hörte, war es fast schon zu spät, da hatte ich das Gefühl, dass mir jemand das Haar zu versengen wünschte“, sagte Bernd.

„Das kann nur dieser dumme Lars gewesen sein.“

„Lars?“

„Der Sohn des Nachbarn. Eine Landplage. Er jagt wilde Kaninchen mit dem Kleinkalibergewehr seines Vaters. Mir ist auch schon mal eine Kugel um die Ohren geflogen. Er denkt, dass hier am Ufer kaum mal jemand spazieren geht.“

Bernd Schuster antwortete nicht, und die rothaarige Schönheit fuhr fort:

„Hatte Ihnen Gregor gesagt, dass er möchte, dass Sie während Ihrer Ermittlungen bei uns im Haus wohnen?“

„Wie bitte? Nein, davon war nicht die Rede. Außerdem kann ich doch...“

„Aber nein, Herr Schuster, tun Sie mir das bitte nicht an. Vielleicht hat Greg das in der Hektik vergessen, zu erwähnen. Ich habe alles für Sie vorbereitet – jetzt dürfen Sie mir keinen Korb geben!“

„Ungewöhnlich, gnädige Frau, und ich habe doch überhaupt nichts mitgebracht, weil ich davon ausgegangen bin, dass ich jeden Abend wieder in meiner eigenen Wohnung verbringe.“ In Gedanken setzte er hinzu: ‚So schlecht ist die Idee eigentlich nicht, denn wenn auch die Büroräume und nicht meine Wohnung neu gestrichen wird, so wird Lucy mit den Malersachen schon für genügend Unordnung bei uns oben sorgen. Ist jedenfalls eine nette Idee, mal in der Nähe des eigentlichen Tatorts zu übernachten.‘

„Ach, kommen Sie, Herr Schuster!“, lächelte Tina und zeigte einen verführerischen Augenaufschlag. „Das ist sicher besser so, und sie müssen nicht täglich durch den Berufsverkehr zu uns herausfahren. Falls erforderlich, kann Sie mein Mann dann gleich mit ins Hotel hinübernehmen.“

„Na ja, ausnahmsweise!“, sagte Bernd und erwiderte das charmante Lächeln der Schönen.

„Ich zeige Ihnen das Bad, Sie können sich ein wenig frisch machen und mir dann auf der Terrasse Gesellschaft leisten. Oder ziehen Sie es vor, im kühlen Haus zu bleiben?“

„Offen gestanden, bin ich nicht versessen darauf, die derzeitige, ungewöhnliche Mittagshitze auszuloten“, meinte Bernd, den jedoch weniger klimatische Vorbehalte plagten, als vielmehr die Überlegung, dass er auf der Terrasse erneut ein fabelhaftes Ziel bieten würde.

Nachdem er sich im Bad das Gesicht rasch abgespült hatte, setzte er sich mit der Dame des Hauses in das große, elegant und geschmackvoll möblierte Wohnzimmer. Die Temperatur wurde gleichfalls von einer gut funktionierenden Klimaanlage bestimmt.