Mörderische Grüße aus Corleone Berlin 1968 Kriminalroman Band 15
Published by BEKKERpublishing, 2021.
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Mörderische Grüße aus Corleone
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Berlin 1968 Kriminalroman Band 15
von Tomos Forrest
Der Umfang dieses Buchs entspricht 114 Taschenbuchseiten.
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Auf alle Fälle haben sich drei Freunde etwas zu viel zugemutet. Als sie entdecken, was ihr Chef mit den alten Maschinen fabrizieren will, wittern sie dies als Gelegenheit für ein gutes eigenes Geschäft.
Aber eine große Nummer ist auch Vincent Paretti, der Geschäftsmann mit den zahlreichen Pizzerien in Berlin. Man sagt ihm Verbindungen zur Cosa Nostra nach. Und einem Mann aus der Umgebung von Palermo pfuscht man nicht ungestraft ins Handwerk... Bernd Schuster wird diesmal ohne jeden Auftrag in das turbulente Geschehen verwickelt und hat alle Mühe, mit heiler Haut daraus herauszukommen.
Ein CassiopeiaPress Buch CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author
Cover: Nach Motiven und Grischa Georgiew 123rf – Steve Mayer, 2021
Titel/Charaktere/Treatment © by Marten Munsonius & Thomas Ostwald, 2021
Roman – Nach Motiven – by Tomos Forrest, 2021
© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Bernd kam dazu, wie Carlo das Mädchen gerade verprügelte.
Carlo war gut einen Kopf größer als sie und hatte Fäuste, mit denen sich Holzpflöcke in den Boden rammen ließen.
Bernd kannte Carlo Rossi. Der Bursche war ihm so sympathisch wie eine Spinne im Morgenkaffee.
Das Mädchen war blond und gutgewachsen, nicht älter als Anfang der Zwanzig. Sie trug Schwarz.
Sie kreischte, sie wehrte sich mit Händen und Füßen. Doch gegen Carlo hatte sie keine Chance.
Er war nicht sehr schnell auf den Beinen. Seine weit hergeholten Schläge wirkten fast bedächtig, aber wenn er traf, gab es blaue Flecken, im ungünstigen Fall auch gebrochene Knochen und lockere Zähne.
Bernd hatte vor drei Jahren Carlos Verhaftung in die Wege geleitet. Der Richterspruch hatte Carlo für achtundvierzig Monate aus dem Verkehr ziehen sollen, aber daraus war nichts geworden. Anscheinend hatte man ihn wegen guter Führung vorzeitig entlassen.
Von dieser im Gefängnis praktizierten Tugend ließ er sich im Augenblick nichts anmerken. Im Gegenteil. Er drosch unbarmherzig auf das Mädchen ein.
Ort des Geschehens: der miserabel beleuchtete Vorplatz eines U-förmig angelegten Garagenkomplexes.
Zeitpunkt des Geschehens: 21.40 Uhr, am 4. November, einem Freitag.
Der Garagenkomplex reichte tief in schmale Gärten hinein, die zwischen zwei Häuserreihen verkümmerten, und für deren Pflege sich offenbar niemand zuständig fühlte.
Block und Zufahrt zweigten vom Burscheider Weg in Siemensstadt ab. Keine schlechte Gegend eigentlich, eine Mischung aus ein wenig Boheme und braver Bürgerlichkeit.
Bernd hatte in der Nähe einen Klienten besucht und befand sich auf dem Weg zur Kanalstraße. Dort parkte sein Mercedes 450 SEL vor einer Pizzeria. Bernd hatte sich vorgenommen, dort eine Pizza Margerita zu essen, einfach nur mit Salami belegt, aber es lag auf der Hand, dass daraus vorerst nichts werden würde.
„Stopp“, sagte er scharf. Carlo Rossi erkannte Bernds Stimme und hatte keinen Grund, sie zu lieben. Das war Bernd nur recht.
Carlo wirbelte auf den Absätzen herum. Sein letzter Schwinger war nicht ohne Wirkung geblieben.
Das Mädchen torkelte gegen die Garagenwand und versuchte, sich daran festzuhalten. Es gelang ihr nicht, in ihren Händen war keine Kraft mehr. Sie rutschte langsam an der Wand herab zu Boden, ihre Nägel nahmen dabei etwas bröckelnden Putz mit. Stöhnend blieb sie auf dem schmutzigen Asphalt liegen.
„Bernd Schuster!“, entfuhr es Carlo Rossi.
In seiner Stimme lagen Überraschung, Hass und grimmige Wut. Bernd störte ihn bei der Ausübung einer Tätigkeit, die sich mit seinen Bewährungsauflagen nicht vertrug. Außerdem hatte er noch eine alte Rechnung mit Bernd zu begleichen. Wenn Carlo trotzdem nicht gleich auf Bernd losging, so hatte das seinen guten Grund. Carlo hatte gelernt, wie riskant es war, sich mit Bernd Schuster anzulegen.
„Diese miese kleine Nutte“, keuchte Carlo. „Sie hat mich beklaut.“
„So, hat sie das“, sagte Bernd mit flacher Stimme und fragte sich resigniert, woran es wohl liegen mochte, dass man in dieser Stadt kein Wochenende ohne Zwischenfälle und kriminelle Einlagen beginnen konnte.
Carlo Rossi schwieg. Er hatte eine Figur wie ein Modellathlet, aber sein verbeultes Gesicht hinderte ihn daran, sich um den Titel eines Mr. Universum zu bewerben. Die breitgeschlagene Nase ließ ihn wie einen Boxprofi aussehen. Sie war das Ergebnis eines unglücklichen Sturzes, den er erlitten hatte, als er eine Mutprobe absolvieren musste, um sich vor anderen Jugendlichen zu beweisen.
Bernd warf einen Blick auf das Mädchen.
Sie hatte ihr Gesicht im Winkel des Ellbogens verborgen. Das seidige Blondhaar fiel wie ein Vorhang darüber. Es war anzunehmen, dass Carlo log. Andererseits gab es hier wie überall eine Menge Frauen, die ihre Charmeoffensiven dem Inhalt männlicher Brieftaschen widmeten.
„Okay, ich bin vielleicht etwas zu weit gegangen“, schnaufte Rossi wie entschuldigend, „aber, wenn man an so eine gerät, platzt einem der Kragen, dann sieht man rot.“
„Du kannst verschwinden“, sagte Bernd.
Er hatte keine Lust, die Unterhaltung mit Carlo fortzusetzen. Wenn das Mädchen bereit war, Anzeige gegen den Burschen zu erstatten, konnte Bernd den Behördenapparat auf Trab bringen, das genügte. Seine Pizza wartete. Es gab nirgendwo bessere, sah man ab von seinem Lieblingsitaliener da Giovanni in der Kurfürstenstraße. Auch seine Pizza war Extraklasse, aber in der letzten Zeit bestellte Bernd bei ihm lieber ein Saltimbocca, das auf der Zunge zerging und nach römischer Art mit Zitrone perfekt abgeschmeckt war.
„He, Detektiv ...“, murmelte Carlo und wusste nicht so recht, ob er erleichtert oder beunruhigt sein sollte. Er wollte noch etwas sagen, aber der Ausdruck von Bernds Augen nahm ihm die Lust dazu. Carlo straffte den Knoten seiner grellvioletten Krawatte, zog die Hose hoch und entfernte sich.
Bernd ging auf das Mädchen zu. Er beugte sich über sie und berührte behutsam die runde Schulter. „Sind Sie verletzt?“, fragte er.
Das Mädchen hob den Kopf aus der Beuge des Ellbogens und musterte Bernd aus großen, langbewimperten Augen. Sie war ungewöhnlich hübsch. Ihre stupsnasige Attraktivität machte freilich auch klar, dass das Mädchen niemals sonderliche Anstrengungen zur Entwicklung ihres Intellekts unternommen hatte.
Sie gab keine Antwort.
Bernd half ihr auf die Beine. Die schwarze Bluse des Mädchens war aufgerissen und zeigte pralles, weißes Fleisch, das von keinem Wäschestück betreut wurde. Sie kümmerte sich nicht um ihre Blöße.
Bernd auch nicht.
„Bernd Schuster, Privatdetektiv“, stellte er sich vor.
Das Mädchen schwieg immer noch.
Bernd warf einen Blick über seine Schulter. Rossi hatte sich aus seinem Gesichtskreis entfernt. Auch sonst war niemand zu sehen.
Es gab in dieser Stadt nicht sehr viele Leute, die sich mit abendlichen Spaziergängen fit zu halten versuchten. So etwas konnte sich leicht ins Gegenteil verkehren.
Bernd wandte sich erneut dem Mädchen zu.
„Er hat Sie geschlagen“, sagte Bernd. „Ich kann es bezeugen. Sie müssen Anzeige gegen Carlo erstatten. Wenn Sie wollen, begleite ich Sie zum nächsten Revier.“
Das Mädchen holte tief Luft, dann erklärte sie: „Mich hat niemand geschlagen.“ Ihre Stimme war dunkel metallisch und voll spröder Entschlossenheit. „Hauen Sie ab, Mann!“
Bernd durchlebte einen Moment der Frustration.
Er kannte diese Augenblicke. Da bot sich einem die Möglichkeit, einen Akt von Gewalt zu sühnen, aber das Opfer zog nicht mit, es hatte Angst vor den Folgen.
Das Mädchen entspannte sich. Es schien zu spüren, dass es dumm und unfair war, ihren Retter so rüde zu behandeln.
„Ich bin Christa Meissner“, sagte sie widerwillig und nannte Bernd ihre Adresse.
Bernd prägte sie sich ein und fragte: „Soll ich Sie nach Hause bringen?“
„Danke. Das schaffe ich allein.“
Bernd schätzte das Mädchen auf neunzehn Jahre. Er fragte sich, ob er einem Vampir ähnelte oder was wohl sonst an ihm sein mochte, das den Widerwillen des Mädchens erzeugte. Er verspürte keine Lust, der Frage auf den Grund zu gehen. Er machte kehrt und betrat wenig später die Pizzeria.
Während des Essens fragte er sich, ob in dem Lokal tatsächlich die beste Pizza des Stadtteils serviert wurde, oder ob es an seiner miesen Laune lag, dass sie ihm nicht schmecken wollte. Er zahlte und ging, setzte sich in seinen Wagen und fuhr zum nahen Lüdenscheider Weg.
Inzwischen war es 22.15 Uhr geworden.
Das Haus, in dem Christa wohnte, hatte zwei Etagen und eine Mansarde. Es war eines der vom Krieg verschont gebliebenen Häuser aus der Gründerzeit, aber offenbar tadellos renoviert und in Ordnung gebracht.
Christas Bleibe befand sich in der ersten Etage. Bernd blickte an der verschnörkelten Fassade empor. Hinter Christas Wohnungsfenstern brannte kein Licht. Die Haustür war unverschlossen. Bernd öffnete sie und trat ein.
Aus irgendeinem Grund funktionierte die Hausbeleuchtung nicht. Bernd knipste sein Feuerzeug an, ging nach oben und entdeckte, dass Christa Meissners Wohnungstür nur angelehnt war. Er klingelte.
In der Wohnung rührte sich nichts.
Bernd knipste das Feuerzeug aus. Er hörte das Krachen von Schüssen. Sie kamen aus einem Lautsprecher. Nachfolgendes Hufgetrappel machte klar, dass irgendwo im Hause ein Western über den Bildschirm flimmerte.
Bernd wiederholte das Klingeln.
In seinem Magen spürte er ein seltsames Kribbeln. Er kannte dieses Gefühl und hatte gelernt, damit zu leben. Sobald es auftauchte, war er wie verwandelt. Dann gehorchte er Instinkten und Reflexen, die sich nur schwer mit dem Verstand erfassen ließen.
Er schob die Tür mit dem Fuß zurück, tastete nach dem Lichtschalter und blinzelte, als sein Fingerdruck die kleine Deckenlampe aufflammen ließ.
Die Diele war winzig. Von den knallrot gestrichenen Wänden hoben sich tiefschwarz lackierte Möbel ab. Ein Spiegel mit breitem Rahmen, in dem ein paar bunte Postkarten steckten, eine Kommode und ein Hängeschrank bildeten die Einrichtung. An einem der Garderobenhaken hing ein schwarzer Lederblouson.
Von der Diele zweigten drei Türen ab. Es war leicht zu erkennen, dass sie in Küche, Bad und Wohnschlafzimmer führten. Bernd betrat letzteres zuerst, griff nach dem Lichtschalter und betätigte ihn.
Bernds Blick fiel auf eine breite, fellbezogene Couch, der sichtlich die Aufgabe zukam, auch als Bett zu dienen. Der junge Mann, der auf ihr ruhte, hielt seine Augen zwar geschlossen, aber er schlief nicht.
Er war tot.
Bernd rührte sich sekundenlang nicht vom Fleck. Er stand einfach da und prägte sich ein, was er sah.
Es war viel und wenig zugleich.
Die Gegenwart des Toten überschattete das andere, das Popgrün der Wände, die schlichten, aber sehr modernen Plastikmöbel, die knalligen Poster an den Wänden, die recht aufwendige Stereoanlage im Turmbau-System, die auf dem Spannteppich liegenden Schallplattenhüllen mit ihren phantastischen Cover, das hölzerne Whiskyfass in der Ecke, auf dem ein paar Flaschen standen und Kneipengemütlichkeit zu vermitteln versuchten.
Es gab keine Kampfspuren.
Der Tote lag sehr friedlich da, wie aufgebahrt.
Seine ausgestreckten Arme ruhten dicht am Körper. Der Tote war mit olivgrünen, engen Cordjeans bekleidet, die aufgekrempelt über derben Fallschirmjägerstiefeln endeten. Sein Hemd war weiß und rot.
Das Rot war kein aufgedrucktes Muster, es war feuchtschillerndes Blut. Es sickerte aus einer Einschusswunde, die in der Höhe des Herzens lag.
Ein leises Knacken ließ Bernd den Kopf wenden.
Die Skalenbeleuchtung des Stereo-Receivers brannte. Auf dem Plattenteller lag eine LP. Das Knacken kam aus einer der beiden Standboxen. Es war anzunehmen, dass das Mordopfer sich eine Platte angehört hatte. Der automatische Plattenspieler hatte danach den Tonarm zurück in die Ausgangsstellung bewegt.
Bernd trat an die Couch heran.
Er schätzte den Toten auf zwanzig Jahre.
Der Mann hatte das schmale, harte Gesicht eines Burschen, den das Leben in den zu ungewollter Askese erzogen hatte.
Bernd hörte ein weiteres Geräusch. Einen kaum wahrnehmbaren Quietschlaut. Er kam weder aus den Standboxen noch von dem Plattenspieler. Er kam von draußen.
Bernd wirbelte auf den Absätzen herum und erreichte mit wenigen Schritten die Schwelle. Um ein Haar wäre er dabei auf einer der Plattenhüllen ausgeglitten. Er stabilisierte sein Gleichgewicht und sah gerade noch, wie sich jemand aus der Wohnung stahl.
Eine Hand, die vorsichtig die Tür hinter sich zuzog, verschwand im Dunkel des Hausflurs.
Bernd rannte los und stieß die Wohnungstür auf.
Vor ihm stürmte jemand die Treppe hinab, jeweils drei bis vier Stufen auf einmal nehmend. Es war klar, dass der Flüchtende sich in dieser Umgebung auskannte. Sein dumpfes, federndes Aufsetzen und Weiterhasten ließen Beweglichkeit und Routine erkennen.
Im Erdgeschoss holte Bernd ihn ein.
Vor dem Straßenlampenlicht, das durch die beiden schmalen Mattglasscheiben der Haustür hereinfiel, sah Bernd, dass er es mit einem jüngeren Mann zu tun hatte. Er war so groß wie Bernd, ungefähr eins achtzig, und hatte stark gekräuseltes Haar.
Bernd packte den Burschen am Arm und fühlte harte Muskeln unter grobem Jeansstoff. Er riss den jungen Mann zu sich herum.
Bernds Gegner schlug zu, aus der Drehung heraus. Seine Faust schrammte brutal über Bernds rechtes Ohr und schien darin ein paar Glühfäden zu entzünden.
Bernd wuchtete ihm die Rechte in die Magengrube. Es war, als träfe er einen Resonanzboden. „Ugh“, stöhnte der junge Mann und sackte in die Knie.
Bernd trat einen Schritt zurück. Er fischte sein Feuerzeug aus der Tasche und bemerkte zu spät, was hinter ihm vor sich ging.
Aus dem Dunkel sauste ein schwerer Knüppel auf seinen Schädel. Bernd hörte es krachen und registrierte den heftigen Schmerz, der sein Nervensystem traf.
Er fiel um und fiel in tiefe Schwärze.
Als er wieder zu sich kam, hatte er den Geschmack von Blut in seinem Mund. Er kam auf die Beine, lehnte sich gegen die Wand und spürte mit seinen Fingerspitzen behutsam die Stelle auf, wo sich der Prozess der Beulenbildung in seiner ersten Phase befand.
Bernd hatte keine Ahnung, wie lange er ausgeschaltet war, aber um mehr als eine Minute konnte es sich nicht gehandelt haben. Er schleppte sich nach oben, in Christa Meissners Bleibe.
Im Wohnzimmer gab es kein Telefon. Bernd ging ins Bad und hielt seinen Kopf unter den weit aufgedrehten Kaltwasserhahn. Als er das Wasser abdrehte, sagte eine harte Mädchenstimme hinter ihm: „Wie wär’s, wenn Sie meine Wasserrechnung berappten?“
Bernd griff nach einem Frottiertuch, legte es um seinen Kopf und drehte sich um.
Christa Meissner lehnte am Türrahmen. Unter ihrem rechten Arm klemmte die Handtasche. Eine Imitation aus Babykrokodil. Das Mädchen halte offensichtlich gerade die Wohnung betreten. Christa machte nicht den Eindruck, als wüsste sie, welcher Anblick sie im Wohnzimmer erwartete.
Bei Licht besehen sah Christa noch besser aus als auf dem Garagenvorplatz. Daran konnten auch der gelbe Fleck unter ihrem linken Auge und die aufgeplatzte Unterlippe nichts ändern. Das Loch in der Bluse hatte sie provisorisch mit einer Sicherheitsnadel geschlossen.
„Ich hasse Schnüffler“, sagte sie giftig. „Wie sind Sie hereingekommen?“
„Durch die Tür“, erwiderte Bernd und rieb sich vorsichtig den Kopf trocken. „Genau wie der Mörder.“
Christa besaß wirklich schöne Augen. Bernd beobachtete, wie sich etwas in ihnen veränderte, wie sie starr wurden, von jäher Furcht erfüllt.
„Der Mörder?“, hauchte sie.
Bernd warf das Frottiertuch beiseite und kümmerte sich nicht darum, dass das Wasser aus seinem Nackenhaar in den Kragen sickerte. „Machen Sie sich auf einiges gefasst“, warnte er das Mädchen, legte seine rechte Hand unter ihren Ellbogen und geleitete Christa zur offenen Wohnzimmertür.
Er spürte, wie sich das Mädchen in einer bösen Vorahnung straffte. Sie stoppte an der Schwelle. Sie wäre beim Anblick des Toten gefallen, wenn Bernd sie nicht in seinen Armen aufgefangen hätte.
Christa verlor das Bewusstsein. Es war klar, dass sie den Toten kannte. Gut kannte. Er war für sie kein Irgendwer, er hatte ihr viel bedeutet.
Bernd ließ Christa behutsam zu Boden gleiten und stopfte ihr ein Kissen unter den Kopf. Dann ging er in die Diele und holte aus der Tasche des am Garderobenhaken hängenden Lederblousons eine Plastikhülle mit den Papieren des Toten.
Horst Gerstner, 20 Jahre alt.
Das Mädchen stöhnte leise. Bernd kehrte zurück ins Wohnzimmer, legte die Ausweispapiere auf den Tisch und wartete. Er war voll nervöser Ungeduld. Es wurde Zeit, dass er das Morddezernat informierte.
Christa schlug die Augen auf. Sie musterte Bernd verwirrt, dann setzte schlagartig ihre Erinnerung ein. Sie starrte hinüber zur Couch und schluchzte leise vor sich hin.
„Hat jemand im Haus Telefon?“, fragte Bernd.
Er kam sich widerlich vor. Das Mädchen brauchte in diesem Augenblick Trost und das Gefühl menschlicher Anteilnahme, aber dies war nicht der Zeitpunkt, ihr etwas davon zu bieten.
„Obere Etage“, schluchzte Christa. „Genau über mir.“
Bernd verließ die Wohnung, stieg die Treppe zum oberen Stockwerk hinauf und klingelte. Das Mädchen, das ihm öffnete, hatte Lockenwickler im Haar, machte mit der spitzen, hässlichen Nase und ihrer großen Brille aber nicht den Eindruck, als ob ein paar aufgedrehte Locken ihr zu größerer Attraktivität verhelfen könnten.
Sie trug einen grünen Bademantel, dessen tiefer Ausschnitt eine betonte Knochenstruktur freilegte und keine Männerblicke zu animieren vermochte.
Bernd stellte sich vor und bat das Mädchen darum, das Telefon benutzen zu dürfen. Als er im Wohnzimmer durchgab, was geschehen war, ließ sich die junge Frau mit einem Entsetzensschrei in den Sessel fallen. Bernd führte das Gespräch zu Ende, legte auf und schaute das Mädchen an. „Kannten Sie Horst Gerstner?“, fragte er.
„Horst? Aber klar! Er war Christas Freund!“, erwiderte die Hagere mit bebender Stimme.
„Seit wann?“