Zum Buch
Oft sind es nur wenige Sekunden, in denen die Weichen im Leben neu gestellt werden – Momente, die uns kristallklar erkennen lassen, welcher Lebensabschnitt beendet ist oder gerade beginnt, Aussichtspunkte, an denen wir mehr begreifen und intensiver wahrnehmen als sonst. Wie aber können wir solche Augenblicke erkennen und sie für das eigene Leben nutzen?
Dorothee Röhrig nähert sich dem Geheimnis der magischen Momente im Dialog mit Experten aus Psychologie, Philosophie, Neurowissenschaft und Biografieforschung. Mitreißend und plastisch erzählt sie von ihren eigenen Schlüsselerlebnissen und exemplarischen Wendepunkten bekannter und unbekannter Persönlichkeiten. Stück für Stück entsteht so die Blaupause für ein gelingendes Leben in Fülle und Achtsamkeit, in dem wir uns berührbarer und reicher denn je fühlen.
Zur Autorin
Dorothee Röhrig studierte Germanistik und war viele Jahre lang in gehobenen Positionen für verschiedene Frauen- und Publikumszeitschriften tätig. Sie war Gründungsmitglied und von 2009 bis 2015 Chefredakteurin bzw. Herausgeberin der Zeitschrift Emotion. Dorothee Röhrig ist Mutter einer Tochter und lebt mit ihrem Mann in Hamburg. Die fünf magischen Momente des Lebens ist ihr erstes Buch.
DOROTHEE RÖHRIG
Die 5
magischen
Momente
des
Lebens
Wie wir die Chancen ergreifen, die uns das Schicksal schenkt
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1. Auflage
Originalausgabe
© 2016 Kailash Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Lektorat: Anne Nordmann
Umschlaggestaltung: ki 36 Editorial Design, München, Daniela Hofner
Umschlagmotiv: iStockphoto/Anastasila Streichenko
Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering
ISBN 978-3-641-17603-7
V002
www.kailash-verlag.de
Meiner Mutter. Meiner Tochter. Meinem Mann.
Für festen Stand und Rückenwind.
Inhalt
Vorwort
Der magische Moment
Warum fünf?
Kapitel 1
Flashback – wie man in die eigene Geschichte eintaucht und magische Momente ans Licht holt
Mein erster magischer Moment: Einfach schreiben und Zweifel loslassen
Tamaras magischer Moment: »Auf der weißen Kirchenmauer von Santa Eulalia war mir plötzlich klar: Ich werde in den Süden ziehen!«
Praxis: Wie wir unseren magischen Momenten auf die Spur kommen
Den roten Faden im Leben finden
Morgenbriefe
Kapitel 2
Mein Drei-Sekunden-Jetzt!-Gefühl
Mein zweiter magischer Moment: Die Post mag misch nischt!
Hubertus’ magischer Moment: »Du bist nicht mehr mein Vater!«
Praxis: Wie wir unseren magischen Momenten auf die Spur kommen
Den Atem beobachten
Das Gehirn auf Mut programmieren
Kapitel 3
Mehr Spürsinn, mehr Vertrauen! Den Möglichkeiten des Lebens offener und aktiver entgegentreten
Mein dritter magischer Moment: Deine Kinder sind nicht deine Kinder
Sarahs magischer Moment: »Als ich entschied, mich nicht zu entscheiden, war ich wie befreit.«
Praxis: Wie wir unseren magischen Momenten auf die Spur kommen
Die Weisheit des Yoga
Lust auf Neues
Kapitel 4
Der Point of no Return – warum Umkehren zwecklos ist und was uns nach dem magischen Moment erwartet
Mein vierter magischer Moment: Ich hasse Sie, Sie eingebildete Prinzessin!
Christianes magischer Moment: »Seitdem ich mich fühlen kann, gehen alle Türen auf!«
Praxis: Wie wir unseren magischen Momenten auf die Spur kommen
Selbstvertrauen stärken
Von der Kunst loszulassen
Kapitel 5
Sternstunden zählen langsamer – wie magische Momente die Lebenszeit verlängern und wir Zusammenhänge neu erfassen können
Mein fünfter magischer Moment: Würden Sie meiner Frau bitte die Waschräume zeigen?
Ulrikes magischer Moment: »Ich könnte gesund nicht glücklicher sein. Dieses Gefühl nahm mir fast den Atem.«
Praxis: Wie wir unseren magischen Momenten auf die Spur kommen
Lebenszeit gewinnen
Das Geheimnis der Resonanz
Die besonderen Momente der elf Experten
Dank
Literaturverzeichnis
Vorwort
Sie kennen das bestimmt auch – dieses Gefühl, wie auf der Autobahn durchs Leben zu rasen, den Blick stur auf das nächste Etappenziel gerichtet. Und dabei fast alles auszublenden, was darüber hinaus noch lebens- und liebenswürdig sein könnte.
Bei mir war das so. Woher ich komme, hatte ich längst vergessen. Wohin ich wollte, wusste ich auch nicht so richtig. Hauptsache, das Tempo war hoch, die Spur sicher und der Tank voll. Doch in den kurzen Pausen, die zum Nachtanken nötig waren, etwa bei Spaziergängen und Gesprächen, wurde mein Gefühl immer deutlicher: Ich verpasse mich! Ich muss dieses Grundrauschen in meinem Leben stoppen. Und erst neu durchstarten, wenn ich mich besonnen habe: Auf welcher Strecke bin ich eigentlich? Welche Abzweigungen habe ich genommen? Warum diesen Weg und nicht den anderen?
Ich empfand plötzlich das Bedürfnis, mir die verschiedenen Stationen, die Haltestellen und Wendepunkte meines Lebens bewusst zu machen. Die Momente, in denen sich entschieden hat, wer ich heute bin. Mich wieder zu öffnen für Neues, für die Lebendigkeit, die irgendwo in mir vergraben liegt. Und der Vielfalt des Lebens eine Chance zu geben.
Das brachte mich zu der Frage: Was geht eigentlich in mir vor, wenn ich so etwas spüre wie Jetzt! Oder: Das war’s! Oder: Dieser Satz, dieser Gedanke, dieser Hinweis verändert alles? Wenn sich in Sekunden mein Leben dreht? Was genau passiert in solchen entscheidenden Momenten?
Ich nenne sie magische Momente, weil sie für einen kurzen Augenblick die Routine stoppen, diesen Tunnelblick auf der Lebensautobahn, und aus dem Alltäglichen herausführen. Weil sie einen Impuls auslösen, der einen Richtungswechsel möglich macht. Ohne Scheu oder bequeme Ausreden nehmen wir dann plötzlich einen Weg, von dem wir nicht mit Sicherheit sagen können, wohin er führt. Voller Vertrauen, denn in einem magischen Moment sind wir ganz bei uns. In uns selbst verankert. Wir lassen uns nicht von Zweifeln beherrschen, sondern vom Leben berühren. Von der Fülle seiner Möglichkeiten. Von einer Intensität des Erlebens, nach der wir uns heimlich sehnen. Magische Momente sind für mich wie Aussichtspunkte auf der Lebensstrecke. Wie im Touristenführer würde ich sie mit einem Stern markieren. Da muss man hin, um mehr zu sehen, mehr zu erleben, mehr zu begreifen als sonst.
Magische Momente können laut daherkommen oder leise, sie können fast unsichtbar nach außen stattfinden oder sich nahezu dramatisch äußern. Die Form ist nicht entscheidend. Auch nicht, wie viele Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, bereits begegnet sind oder noch begegnen werden. Es mag einer sein oder viele mehr. Ich selbst habe für mein Leben fünf besondere Momente ausgemacht. Vielleicht werden es schon bald mehr. Entscheidend ist, dass jeder von uns solche Augenblicke erlebt hat und erleben kann. Hier und jetzt. In jeder Sekunde. In jedem Moment. Überall finden sich Impulse, denen nur wir selbst eine Bedeutung geben können. Allerdings: Erstmal müssen wir sie überhaupt bemerken. Danach fühlt sich das Leben größer an und erfüllter. Ich habe es selbst so erlebt.
Den magischen Momenten auf die Spur zu kommen, ist Anliegen dieses Buches. Dafür habe ich mich durchgefragt, wie es meinem Beruf als Journalistin entspricht. Bei Fachleuten, von denen ich weit mehr erfahren konnte, als ich jemals geahnt hatte. Experten aus Neurowissenschaft, Theologie, Philosophie, Psychologie, aus der Biografieforschung, der Medizin oder aus dem Zen verdanke ich wunderbare Gespräche. Und Erkenntnisse, die mir ebenso überraschend wie verständlich und nachvollziehbar erscheinen.
Für das Buch durfte ich weiterhin mit mir nahestehenden Menschen sprechen, die mir ihre besonderen Momente anvertraut oder selbst aufgeschrieben haben. Manche sind in der Öffentlichkeit bekannt, manche nicht. Jedem Einzelnen bin ich dafür dankbar. Mir selbst ist die Suche nach meinen magischen Momenten nicht immer leichtgefallen, aber sie war ein Abenteuer, bei dem ich mich besser kennengelernt habe und das ich nie mehr missen möchte.
Aus vielen Zuschriften, Leserinnenabenden und Gesprächen in meiner Zeit als Chefredakteurin weiß ich, dass die meisten Frauen – und, warum auch nicht, Männer – das Bedürfnis haben, für sich herauszufinden, wo sie im Leben stehen und wie sie dahin gekommen sind. Weil sie ihre Zukunft bewusster und gezielter gestalten wollen als bisher. Dazu ist es wichtig, all die größeren und kleineren Erfahrungen nicht nur in Windeseile vorbeiziehen und geschehen zu lassen, sondern intensiver wahrzunehmen und aktiv daran teilzuhaben. Wir erleben jede Menge Krisen, aber keine magischen Momente. Unser Leben, das auf Effizienz ausgerichtet ist und unter Erfolgsdruck steht, braucht ein Gegengewicht, bildlich gesprochen den Parkplatz an der Autobahn. Wer anhält, findet wieder Kontakt mit sich selbst.
Mein wichtigstes Anliegen ist, Sie auf meiner spannenden Reise zu den magischen Momenten mitzunehmen. Werden Sie beim Lesen zur Sammlerin, zum Sammler Ihrer eigenen, ganz besonderen Augenblicke. Nehmen Sie Inspirationen auf – und vor allem mit! Plankton sammeln, nannte das eine wunderbare Kollegin früher. Fangen Sie den leuchtenden Nährstoff Ihres Lebens ein!
Ich möchte Sie von dem Thema so begeistern, wie ich selbst beim Schreiben begeistert war. Sie anregen, Ihre eigenen Momente zu entdecken und Erfahrungen, die Sie gemacht haben, vielleicht neu zu bewerten. Sie können ab sofort Einfluss nehmen – auf Ihr Denken, Ihr Spüren, Ihre Aufmerksamkeit. Und sich so für den magischen Moment vorbereiten. Durch eine unvoreingenommene, positive Grundhaltung. Den Anfängergeist, wie die Buddhisten es nennen. Entdecken Sie Ihre eigene Lebendigkeit. Öffnen Sie sich der Fülle Ihres reichhaltigen Lebens. Haben Sie den Mut, glücklich zu sein. Im besten Fall wird das Lesen dieses Buches für den einen oder anderen von Ihnen ein magischer Moment.
Dorothee Röhrig,
Spiekeroog im April 2016
Der magische Moment
Um es gleich vorwegzusagen: Ich habe mein Leben auf dem Boden der Realität verbracht, bis heute. Dieser Boden hat mich immer gut getragen.
Trotzdem gibt es Momente, in denen mich eine emotionale Intensität erfasst, für die ich keine Erklärung habe. Wo mir der Verstand nicht weiterhilft. In denen ich deutlich tiefer berührt bin als sonst, ohne zu wissen, warum. Ein überraschendes Gefühl von Lebendigkeit breitet sich in solchen Augenblicken in mir aus und der spontane Gedanke: Das ist jetzt nicht von dieser Welt. Der magische Moment hat also unmittelbar mit mir zu tun, mit meinem Erleben. Ich gebe ihm seine Bedeutung.
Solche Momente kann ich bei einem Spaziergang in der Natur erleben, wenn ich eine besonders schöne Stimmung aufnehme. Sie zwingt mich zum Stehenbleiben, während meine Begleiter scheinbar unbeeindruckt weitergehen. Es kann auch eine Begegnung sein, eine erstaunliche Vertrautheit mit jemandem, die mehr ist als bloße Sympathie. Ich spüre, dass ich etwas mit einem fast fremden Menschen teile, ohne Worte für dieses Etwas zu finden. Ich weiß nur, dass es so ist. Sogar kleinste Impulse, ein Satz, ein kaum sichtbarer Hinweis, eine blitzartige Erkenntnis, können solche einzigartigen Augenblicke auslösen.
Wenn ich von magischen Momenten schreibe, meine ich genau solche Momente, allerdings mit noch einer zusätzlichen, besonderen Qualität: Sie markieren einen Wendepunkt im Leben. Eine sekundenkurze Begebenheit, die eine unerwartete Entwicklung in Gang setzt. Es geht um Veränderung, die groß sein kann oder klein, nach außen sichtbar oder leise im Inneren. Wie auch immer, die magischen Momente, die ich beleuchten möchte, geben dem Leben in jedem Fall eine neue Richtung.
Das Wort magisch verwende ich, wenn ich einen Zauber empfinde, eine Kraft, die mich aus dem Alltäglichen herausführt. Wenn ich etwas nicht erklären kann. Ich glaube, viele tun das. Ich fühlte mich wie magisch angezogen, sagen wir am Anfang einer Liebesbeziehung. Unglaublich, nicht zu fassen, irgendwie magisch! umschreiben wir die Situationen im Leben, in denen das Geheimnis größer ist als unser Verstand.
Magische Momente haben viel mit unserer Intuition zu tun. Unseren Träumen und Ahnungen. Manche sagen, mit dem siebten Sinn, also mit unserem Unbewussten.
Sie treffen uns ungeplant, für eine Sekunde, eine Minute, oder länger.
Es sind Momente, in denen wir hellwach sind und von großer Offenheit. Wir stehen mit uns selbst und mit unserer Umgebung in einem stärkeren Kontakt als sonst. Wir staunen. Und werden unter Umständen still. Empfinden uns dabei aber als quicklebendig, spüren Verbundenheit und fühlen uns eins mit der Welt. Wir sind maximal beteiligt an allem, was außen oder innen passiert. Für Buddhisten bedeutet dieser Zustand: Präsenz.
»Magische Momente sind Augenblicke tiefer Berührung, in denen das Leben auf eine Weise zu leuchten beginnt, die wir vorher nicht kannten. Und oft haben sie einen hohen persönlichen Erkenntniswert«, sagt die Philosophin Natalie Knapp, mit der ich für dieses Buch ausführlich sprechen konnte. Die Vorstellung, dass das Leben in diesen Momenten aufleuchtet, gefällt mir gut. Ich stelle mir, zugegeben fast kindlich, gelbe Sonnenstrahlen vor, die punktuell auf mein Leben leuchten, das sich unter ihnen ausbreitet. Solche hellen Strahlen sind das Gegenteil von Grau, so, wie uns der Alltag manchmal vorkommt.
In magischen Momenten verbirgt sich der Zauber des Lebens. Er hält sich jeden Tag bereit, nur nehmen wir ihn viel zu selten wahr. Weil uns Routine am Wickel und Druck im Griff hat. Weil wir zu gern auf der vertrauten Spur und möglichst ohne Risiko weiter wollen. Weil eingefahrene Denkmuster und Ängste unsere Offenheit für Neues, Unerwartetes blockieren. So verpassen wir das Leben mit seinen vielen Möglichkeiten, die uns ein magischer Moment schenken kann. Übrigens auch das Glücksgefühl, die Zufriedenheit, die mit ihm verbunden sind.
Magische Momente, so behaupte ich, erlebt jeder. Mehr oder weniger bewusst. Nur lassen wir ihnen oft keine Chance, sich zu entfalten. Deshalb versuche ich in diesem Buch, Sie, liebe Leser, anzuregen, Ihren besonderen Momenten auf die Spur zu kommen. Aus der Gedächtnisforschung ist bekannt, dass wir Erinnerungen vor allem über Emotionen speichern. Denken Sie an Situationen, in denen Sie völlig bei sich waren, so sehr, dass Sie sich selbst vielleicht nahezu vergessen haben. Denken Sie an Momente, in denen Sie wichtige Entscheidungen getroffen, Ihrem Leben eine neue Wendung gegeben haben. Welche Momente waren das? Wie kam es dazu? Was haben Sie in diesem Augenblick empfunden? Gesehen? Gehört? Welcher Geruch lag in der Luft?
Holen Sie sich Ihre besonderen Augenblicke zurück, das geht auch noch Jahre später. Magische Momente verlieren nichts von ihrer Kraft. Sie führen Ihnen auch im Rückblick vor Augen, was Sie ganz persönlich ausmacht. Die Intensität, mit der Sie Ihrem Leben begegnen, Ihre Fähigkeiten, Ihre ganz persönliche Entwicklung. Erfahren Sie mehr über sich. Öffnen Sie Ihre verborgene Schatzkiste. Für die Vergangenheit – und für die Schätze, die Sie in Zukunft noch hineintun werden. Reisen Sie zu Ihren magischen Momenten. Ich steige jetzt in mein Buch ein, fahre schon mal voraus und freue mich, wenn Sie mir folgen.
Warum fünf?
»You are the sum of your moments« – so warb einmal eine Automarke in einer kanadischen Zeitung. Du bist die Summe deiner Momente. Das Motiv, die dunkle Kontur eines Bergrückens gegen den verblassenden Abendhimmel und ein winzig kleiner Mensch, der, kaum erkennbar, den Weg zum Gipfel nimmt, dieses Motiv hat mir so gefallen, dass ich die schon etwas abgegriffene, aus Kanada mitgebrachte Anzeigenseite irgendwann zum Poster vergrößern ließ. Das Bild hängt jetzt im Wohnzimmer.
Die Couch darunter ist gewissermaßen mein Parkplatz an der Autobahn. Dort halte ich inne, bin auf der Suche nach den Momenten in meinem Leben, die mir magisch erscheinen, weil sie etwas Wesentliches in mir ausgelöst haben. Wendepunkte, Veränderungen, die mich ausmachen, Richtungswechsel, die meinem Leben seine heutige Form geben und die mich schließlich bis hierher gebracht haben, auf das Sofa unter diesem wundersamen Bild.
Von hier aus beginne ich meine Reise rückwärts. Für mein Buch, und für mich. Du bist die Summe deiner Momente. Was in fast verblichenen Buchstaben auf dem Poster steht, kommt mir plötzlich wie eine Aufforderung vor, meine eigenen Momente zu zählen. Wie lange habe ich mich nicht mehr mit dem beschäftigt, was einmal war. Was zu mir gehört. Was immer noch in mir ist. Nur unsichtbar, weggesteckt, verborgen unter dem Alltäglichen, Schnellen, dem Hektischen. Ich sollte mal Ruhe geben. Die Augen zumachen. Schließlich bin ich ja auf meinem Sofa, auf meinem Parkplatz sozusagen. Die Augen bleiben nicht lange geschlossen, eher blinzele ich vor mich hin, betrachte aus halb geöffneten Lidern das Poster über mir wie ein sorgfältig gemaltes Mantra. Und langsam, ganz langsam wird die Erinnerung wach, Bilder entstehen. Sie erscheinen zahlreich, ungeordnet, ohne Zusammenhang. Ist ja auch klar, schließlich habe ich einiges erlebt in all den Jahren. Immer mehr tauche ich ein in meine Vergangenheit, Details blitzen auf, eine wütend weggeworfene Brezel, als ich etwa vier Jahre alt war, eine Autofahrt durch das bayerische Voralpenland mit Rod Stewart und Grateful Dead, die verzweifelte Suche nach einem Ohrring, den ich nie mehr wiederfand. Erinnerungen reihen sich scheinbar willkürlich aneinander.
Ich bin dabei, mich auf meiner Reise zu verlieren, bemerke ich. Wenn ich die Lebensmomente finden will, denen ich ganz bewusst die Bedeutung »magisch« gebe, die ich gezielt heraushebe aus der Summe meiner Momente, muss ich genauer hinschauen. Mir konkretere Fragen stellen. Tiefer in mich hineinspüren. Wann hat eine weitreichende Veränderung stattgefunden, wann habe ich dieses Gefühl gehabt: Jetzt! Jetzt passiert etwas Entscheidendes. Neues. Einmaliges. Etwas, was nie mehr rückgängig zu machen ist, was längst in mir lauert und in diesem unerwarteten Augenblick den Weg nach draußen findet. Dieses Gefühl von Klarheit an der Weggabelung, von der Richtigkeit einer Entscheidung, von Verbundenheit mit meiner inneren Stimme. In welchen Situationen ging mir so ein Licht auf? Wann gab es diesen magischen Moment? Einmal? Mehrmals? Wie oft genau?
Zweiter Versuch. Ich krieche noch einmal in mich und mein Leben hinein. Konzentriere mich. Oder, besser gesagt, lasse meinem Gefühl, meiner Intuition freien Lauf. Ich fange an, gewissermaßen die Kamera über mein Leben zu schwenken. Nur wenige Minuten, so kommt es mir vor. Von Anfang bis jetzt, los geht’s. Das Gefühl dabei ist leicht, fast schwebend, so, als ob ich die Spurensuche nach meinen magischen Momenten sportlich nehme. Zielgerichtet, aber nicht verbiestert. Ein gutes Gefühl. Waren es Sekunden oder ein paar Minuten, keine Ahnung.
Plötzlich ist sie da, die Zahl Fünf. Ich mache fünf eindeutige Momente in meinem Leben aus, die ich von nun an als magisch bezeichnen werde und von denen Sie, liebe Leserinnen und Leser, in diesem Buch erfahren.
Fünf. Die Zahl gefällt mir. Sie kommt mir erstaunlich vertraut vor. Ich vermute, ich habe sie schon immer gern gemocht. Was hat es mit der Fünf auf sich? Die Frage fängt an mich zu interessieren. Ach ja, die Fünf Freunde – Bücher von Enid Blyton. Jeden Band habe ich verschlungen. Fünf Mutmacher, Vorbilder, inklusive Timmy, dem Hund. Schon als Kind hat mich also die Zahl Fünf begleitet. Ich erinnere mich weiter. An die Fünf Tibeter, die Entspannungsübungen, die wohl fälschlicherweise den tibetischen Mönchen zugeschrieben werden und die in den 1990er-Jahren mein Morgenritual bildeten, noch bevor ich wusste, wie Yoga geschrieben wird. Die Fünf Tibeter zogen dann Bücher über Ernährung nach den Fünf Elementen nach sich, das fand ich damals auch spannend. Mit den Elementen Holz, Feuer, Erde, Metall, Wasser verbindet man in Asien seit vielen tausend Jahren die unterschiedlichen Wandlungsphasen des Lebens. Die Fünf begleitet mich tatsächlich schon lange.
Wo ist diese Zahl noch vorhanden? Ich denke an die fünf Weisen, die sogenannten Wirtschaftweisen, exzellente Sachverständige, sie begutachten die Entwicklung unseres Bruttosozialprodukts. Und an die Big Five, die Tiere in Afrika, die man angeblich gesehen haben sollte auf einer erfolgreichen Safari. Ich denke aber auch an unsere fünf Sinne. Hören, Sehen, Fühlen, Schmecken, Riechen – daraus setzen wir uns zusammen. Und, ach ja, der menschliche Körper hat fünf Enden, den Kopf, zwei Hände und zwei Füße. Zeichnet man die Form eines ausgestreckten Menschen nach, entsteht ein Stern mit fünf Zacken, der sogenannte Fünfstern, das Pentagramm. Die Zahl Fünf scheint mit uns eng verbunden zu sein, bei den Indianern, so lese ich, symbolisiert sie die Zahl des Menschen. Sie setzt sich zudem aus der ersten geraden Zahl, der Zwei, und der ersten ungeraden Zahl, der Drei zusammen. Das gefällt mir, denn in der Fünf könnte so etwas wie Balance, Ausgewogenheit, in gewissem Sinn auch Erfüllung stecken.
Die Fünf ist also eine vielfältige Zahl, so vielfältig wie meine fünf magischen Momente. Wer weiß, schon morgen könnten es ja sechs sein! Sie, liebe Leserinnen und Leser, kommen vielleicht auf eine andere Zahl magischer Momente in Ihrem Leben. Eine kleinere, oder eine größere. Egal. Sicher ist nur, dass Sie Ihre Wendepunkte, Ihre inneren wie äußeren Richtungswechsel, Ihre Momente, in denen Sie vollständig in einer Begegnung, einer Situation, einer Umgebung aufgegangen sind, erkennen werden. Und dass Sie einen neuen Blick auf sich und Ihre Fähigkeiten werfen können anhand Ihrer ganz besonderen Augenblicke.
Sollten Sie wie ich zunächst Schwierigkeiten beim Aufspüren haben, fangen Sie doch einfach mal an, nach der Zahl Fünf zu suchen. Nach fünf magischen Momenten in Ihrem Leben. Sie liegen nämlich auf der Hand. Ich meine das wirklich so. Betrachten Sie aufmerksam Ihre Hand, schauen Sie auf die Linien und Verzweigungen der Innenfläche, die Ihr Leben darstellen, wenn Sie so wollen. Und betrachten Sie vor allem Ihre fünf Finger. Für jeden Finger gibt es einen Moment in Ihrem Leben. Davon bin ich überzeugt. Machen Sie sich auf Ihre ureigene Erinnerungsreise, Finger für Finger, und sollte es nicht auf Anhieb klappen, lassen Sie die Fünf ruhig mal gerade sein. Auch vier Momente zählen, oder zwei, oder nur ein einziger. Wie auch immer das Ergebnis aussieht, die Summe Ihrer Momente sind ganz einfach: Sie.