cover

Buch

Ein Sohn ersticht eines Nachts seine Mutter.

Vor einem Hochhaus wird ein totes Baby aufgefunden.

Ein hochbetagter Mann wird in seiner Wohnung totgetreten.

43 Jahre lang war Peter Schnieders als Polizist in Köln tätig. Im Laufe seiner Karriere hat er über tausend Leichen gesehen und noch weit mehr Fälle bearbeitet: in der Mordkommission, im Raubdezernat und bei der Sitte. Es ist die Faszination des Bösen, die für Schnieders den Reiz seines Berufs ausmachte, und sie lässt ihn bis heute nicht los. In seinem zweiten Buch erzählt er von neuen Fällen, die die Abgründe des Lebens offenlegten und ihm besonders unter die Haut gingen.

Autoren

Peter Schnieders wurde 1948 geboren. Er war 43 Jahre Polizist in Köln, davon 36 Jahre bei der Kriminalpolizei. Inzwischen pensioniert, lebt der ehemalige Erste Kriminalhauptkommissar heute in einem kleinen Ort in der Nähe von Köln.

Fred Sellin, Jahrgang 1964, arbeitete bei verschiedenen Tages- und Wochenzeitungen, u. a. in Köln, wo er Peter Schnieders kennenlernte und als Polizeireporter über einige Fälle des Kripokommissars berichtete. Heute lebt Sellin als Journalist und Buchautor in Hamburg.

Peter Schnieders

Fred Sellin

Faszination

des Bösen

Neue Fälle des bekannten

Kriminalkommissars

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1. Auflage

Originalausgabe März 2014

Copyright © 2014 by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Umschlagfoto: © Boris Breuer

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Lektorat: Doreen Fröhlich

DF · Herstellung: Str.

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-09312-9
V002

www.goldmann-verlag.de

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Die geschilderten Fälle beruhen auf wahren Begebenheiten. Aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen wurden alle Personen anonymisiert, Handlungen an andere Orte verlegt und bestimmte Details, sowohl der Taten als auch der Ermittlungen, verändert.

Das absurde Verbrechen ist wie Religion.

Unglaublich, aber faszinierend.

Alfred Hitchcock

Inhalt

Der CD-Player

Angst

Das Baby

Es ist 11.35 Uhr und ich verabschiede mich

Ausgeblendet

Räuber

XY … ungelöst

Der CD-Player

Für Gertrud Klabuske war es der erste Termin an diesem Morgen. Der erste in der Woche überhaupt – es war Montag. Ursprünglich hatte die Dreiundfünfzigjährige eine halbe Stunde eher an ihrem Ziel sein wollen, doch ihr Auto war nicht angesprungen. Sie besaß einen alten Alfa Spider, den Klassiker, in Rot, der mittlerweile häufiger in der Werkstatt stand, als dass sie mit ihm fahren konnte. Trotzdem brachte sie es nicht übers Herz, den Wagen wegzugeben oder gar zu verschrotten; sie hing zu sehr an ihm. Und da sie seine Macken kannte, hatte sie, als der Motor mal wieder keinen Mucks von sich gab, nur leise vor sich hin geflucht: »Nicht schon wieder … du zickige Diva!«, und war zur S-Bahn gehetzt. Je früher am Morgen sie bei den Leuten aufkreuzte, das wusste sie aus Erfahrung, desto größer war ihre Chance, jemanden anzutreffen.

Knapp fünfundzwanzig Minuten dauerte die Fahrt, dann stieg sie aus der Bahn und überquerte eine mehrspurige Straße, die im morgendlichen Berufsverkehr stark befahren war. Sie lief so schnell, dass man meinen konnte, sie wolle jeden Moment losrennen. Kaum war sie auf der anderen Straßenseite angelangt, verschwand sie auch schon in dem Labyrinth aus Hochhäusern, die sich wie riesige Betonklone vor ihr auftürmten. Dicht aneinandergekeilt ergaben sie eine gigantische Wohnburg der Anonymität.

Gertrud Klabuske stoppte kurz, um sich zu vergewissern, in welche Richtung sie musste. Dann wandte sie sich nach links und hastete an mehreren Eingängen vorüber, von denen jeder zu mehr als hundert Wohnungen führte, die auf mindestens fünfzehn Stockwerke verteilt waren. Manche Häuser hatten auch achtzehn Geschosse, die höchsten einundzwanzig. Am ehesten konnte man die Blöcke anhand ihrer Höhe unterscheiden, denn niemand hatte sich die Mühe gemacht, den Fassaden unterschiedliche Farbanstriche zu verpassen, was nicht nur die Orientierung erleichtert, sondern ihnen auch etwas von der Trostlosigkeit genommen hätte, die sie ausstrahlten. Wohin man sah, nichts als Grau, in helleren und dunkleren Schattierungen – die Spuren jahrzehntelanger Verwitterung. An diesem Morgen hob sich das Grau der Häuser kaum von dem des Himmels ab, den man zwischen den Wohnblöcken allerdings nur sehen konnte, wenn man seinen Kopf tief in den Nacken legte.

Als Gertrud Klabuske den Eingang mit der Hausnummer 19 erreichte, war es kurz vor halb neun. Vor der Tür wartete bereits ein Mitarbeiter der Hausverwaltung auf sie. Es war der Mann, mit dem sie am Freitag zuvor telefoniert hatte, um den Termin zu vereinbaren. Sie schätzte ihn auf Ende fünfzig, Anfang sechzig. Er trug blaue Arbeitshosen und eine dunkelgraue Wattejacke, die er trotz der Kälte nicht zugeknöpft hatte, sodass man den graublau melierten Rollkragenpullover sehen konnte, der sich über einen imposanten Bauch spannte. Die Jahre hatten im Gesicht des Mannes tiefe Furchen hinterlassen. Seine Augen verbarg er hinter dicken Brillengläsern, die von einem braunen Gestell aus Horn eingefasst waren.

Die beiden begrüßten sich, nicht unfreundlich, aber ohne einander die Hand zu reichen. Der Hausverwaltungsangestellte hatte die Zeit, die er warten musste, damit zugebracht, auf dem Klingelschild den Namen des Mieters ausfindig zu machen, dem ihre frühe Verabredung galt: Beschwelke. Der Vorname, Hans-Werner, hatte nicht mit in das kleine Schriftfeld gepasst, aber da sich auf dem gesamten Tableau nur ein Beschwelke finden ließ, musste es der richtige sein.

Angemeldet hatten sie sich nicht bei ihm – und das aus gutem Grund: Gertrud Klabuske war als Gerichtsvollzieherin im Einsatz.

Seit vier Monaten hatte Hans-Werner Beschwelke keine Miete gezahlt und sämtliche Mahnungen ignoriert. Mehrmals hatte die Hausverwaltung den Versuch unternommen, ihn persönlich zu kontaktieren, doch der Einundvierzigjährige war weder zu Hause anzutreffen noch telefonisch erreichbar gewesen. Gertrud Klabuskes Auftrag bestand nun darin, die Zwangsräumung der Wohnung einzuleiten, indem sie dem Mietpreller den Räumungsbeschluss zustellte – und zwar persönlich. In dem amtlichen Schreiben stand, dass er innerhalb von zwei Monaten aus der Wohnung auszuziehen hatte.

Die Gerichtsvollzieherin und ihr Begleiter nahmen den Fahrstuhl, der sie in die fünfzehnte Etage brachte. Es dauerte ein Weilchen, bis sie die richtige Wohnungstür fanden. Dass auf ihr Klingeln niemand reagierte, erschien ihnen angesichts der Vorgeschichte nicht weiter verwunderlich. Wahrscheinlich wären sie eher überrascht gewesen, hätte plötzlich jemand geöffnet und sie hereingebeten. Nachdem sie mehrmals den Klingelknopf gedrückt und danach jedes Mal gelauscht hatten, ob aus der Wohnung Geräusche zu hören waren, sich aber nichts tat, schloss der Mitarbeiter der Hausverwaltung mit einem Spezialschlüssel die Tür auf.

Sofort schlug ihnen ein stechender Geruch entgegen, er traf sie wie ein unsichtbarer Schlag gegen den Kopf. Beide wichen zurück. Gertrud Klabuske kannte solche Situationen. Schnell zog sie ein Zellstofftaschentuch aus ihrem Aktenkoffer und hielt es vor Mund und Nase, erst dann betrat sie die Wohnung. Ihr Begleiter war zwei Schritte vorausgegangen, aber auch er schien es nicht mehr eilig zu haben. Zögernd setzte er einen Fuß vor den anderen, als sei er unschlüssig, ob er tiefer in die Wohnung vordringen oder doch besser kehrtmachen sollte.

»Herr Beschwelke, sind Sie da?«, fragte er mit gepresster Stimme in den Raum, da ihnen niemand entgegenkam. »Herr Beschwelke …?«

Keine Antwort.

Vom Flur, der in der Länge keine drei Meter maß, gelangten sie durch eine Tür – sie stand offen – ins Wohnzimmer. Dort wurde der unangenehme Geruch noch intensiver. Gertrud Klabuske verzog angewidert das Gesicht und drückte das Taschentuch fester auf Mund und Nase. Auf dem Couchtisch, dessen Platte grünlich-grau gefliest war, stand ein Vogelkäfig, in dem sich nichts rührte. Als sie näher herantraten, sahen sie, dass auf dem Boden des Käfigs zwei Kadaver lagen, bei denen es sich anscheinend um die mumifizierten Überreste von Wellensittichen handelte. Erkennen konnte man das zwar nicht mehr, so vertrocknet und zusammengeschrumpft wie die kleinen Leiber waren. Doch die Vermutung drängte sich auf, da auf dem Boden eine angebrochene Packung Wellensittichfutter lag.

Hinter dem Tisch, an der Wand, die der Tür gegenüberlag, durch die sie hereingekommen waren, stand ein Zweisitzer-Sofa. Es war mit braunem Stoff in grober Leinenstruktur bezogen, die Sitzfläche von Brandlöchern übersät, wie sie glimmende Zigarettenglut hinterlässt. Einige davon sahen aus wie Einschüsse aus einer großkalibrigen Waffe. Links vom Sofa gab ein Fenster den Blick nach draußen frei. Direkt daneben eine verglaste Tür, die auf einen winzigen Balkon hinausführte. Komplettiert wurde die Einrichtung des Zimmers, das kaum größer als zwanzig Quadratmeter war, durch eine Schrankwand aus Kiefernholz, die zum überwiegenden Teil aus offenen Regalelementen bestand, einem schwarzen Ledersessel mit verchromtem Drehfuß und einem flachen Beistelltisch aus Eiche, dekoriert mit einer Batterie Schnapsflaschen – verschiedene Weinbrände, Wodka mit russischem Etikett, Korn und Rum. Auf den Flaschen, von denen keine mehr voll war, hatte sich Staub abgesetzt, sie schienen länger nicht angerührt worden zu sein.

Vom Wohnzimmer ging eine Kochnische ab, die durch eine Art Duschvorhang, halb durchsichtig, abgetrennt war. Kühlschrank, Spüle, zwei Unterschränke – für mehr war kein Platz. Auf einem der Schränke stand ein kleiner Elektroherd mit zwei Kochplatten und einem beigefarbenen Emailletopf darauf. Im Spülbecken stapelte sich benutztes Geschirr, Tassen und Teller, auf dem obersten Teller moderten Essensreste vor sich hin, hier und da blühten Schimmelpilze.

Gertrud Klabuske beschlich ein ungutes Gefühl.

Die Tür, die nach nebenan führte – ins Schlafzimmer, wie sie vermutete –, war verschlossen, der Schlüssel abgezogen und nirgends zu finden. Durch das Schlüsselloch konnte man das Kopfende eines Bettes erkennen und ein Stück von der Matratze, die mit einem vergilbten Laken bezogen war. An der Wand über dem Kopfende waren zahlreiche dunkle Flecken unterschiedlicher Größe auszumachen; sie sahen aus wie Spritzer. Das Bett schien leer zu sein, keine Kopfkissen, keine Decke.

Der Mann von der Hausverwaltung klopfte an die Tür – auf der anderen Seite rührte sich nichts.

»Herr Beschwelke, sind Sie da drin? Ich komme von der Hausverwaltung «

Stille.

Er klopfte noch einmal, diesmal etwas kräftiger, obwohl es ihm sinnlos erschien. So wie das Wohnzimmer und die Küche aussahen, und so wie es dort stank, dürfte seit längerer Zeit niemand mehr die Wohnung betreten haben. Aber warum war das Schlafzimmer verschlossen?

»Herr Beschwelke, hören Sie mich? … Brauchen Sie Hilfe?«

Die Tür war kein besonders robustes Modell. Wohnungen in solchen Häusern wurden für gewöhnlich mit schlichten und vor allem preiswerten Exemplaren ausgestattet. Ein kräftiger Fußtritt hätte vermutlich genügt, und sie wäre offen gewesen. Doch damit hätten sie gegen die Vorschriften verstoßen. Für Fälle wie diesen war die Feuerwehr zuständig. Wer weiß, was sie hinter der Tür erwartete.

Es dauerte eine halbe Stunde, dann rückten zwei Feuerwehrmänner an. Gertrud Klabuske und der Angestellte der Hausverwaltung hatten derweil im Flur vor der Wohnung gewartet, froh darüber, dem ärgsten Gestank entkommen zu sein.

Tatsächlich war es kein großer Aufwand, sich Zutritt zum Schlafzimmer zu verschaffen. Die Feuerwehrleute benötigten zwei oder drei Minuten, kaum länger. Falls sie sich nicht schon im Wohnzimmer sicher gewesen waren, spätestens jetzt hatten sie keinen Zweifel mehr: Bei dem Gestank, der im Schlafzimmer so intensiv war, dass ihnen der Atem stockte, handelte es sich eindeutig um Verwesungsgeruch. Das Problem war nur: Sie sahen keine Leiche.

Das Zimmer war spartanisch ausgestattet: ein Doppelbett mit silberfarbenem Metallgestell, links neben dem Kopfende ein Regalwürfel aus Kiefernholz, der als Nachttisch diente. Unter dem Fenster eine weiße Kommode mit Schubfächern. Das unterste Fach war komplett herausgezogen, die beiden Fächer darüber waren halb geöffnet. Alle drei sahen aus, als wären sie durchwühlt worden.

Das Bettzeug lag auf dem Boden links von der Tür, zwischen Bett und Wand. Aber nicht so, als hätte es jemand einfach von der Matratze heruntergeschoben. Vielleicht traf das auf die beiden Kissen zu, die Bettdecke jedoch musste jemand in die Hand genommen haben, sie war neben dem Bett regelrecht ausgebreitet worden.

Den Grund dafür fanden die Feuerwehrmänner, als sie erst die Kissen und anschließend die Decke hochhoben – darunter lag eine Leiche. Oder besser gesagt das, was von ihr übrig war. An ein menschliches Wesen erinnerte kaum noch etwas. Die Überreste waren nicht nur stark verwest, sondern auch von allerlei Getier besiedelt, das eifrig damit beschäftigt war, Leichengewebe zu vertilgen.

Wenn jemand stirbt, und seine Leiche wird nicht gleich gefunden und entsprechend verwahrt, kühl und in einem luftdicht abgeschlossenen Raum, kann man förmlich darauf warten, dass Schmeißfliegen angeflogen kommen und ihre Eier darauf ablegen. Jede von ihnen sondert Hunderte Eier ab, bevorzugt auf warmen und feuchten Schleimhäuten. Diese Viecher können den Tod förmlich riechen, und sie sind äußerst ungeduldig. Manche düsen bereits heran, wenn die Person noch gar nicht tot ist, sondern erst im Sterben liegt. Aus ihren Eiern entwickeln sich erst Maden, dann Puppen, bis schließlich Fliegen daraus werden. Die Maden sind besonders gefräßig. Und da sie nie allein, sondern immer in Kolonien auftreten, so dicht aneinandergedrängt, dass es fast wie ein Teppich aussieht, schaffen sie es in relativ kurzer Zeit, einen menschlichen Körper bis zur Unkenntlichkeit zu entstellen.

Es sind aber nicht nur Maden, die am Zersetzungsprozess mitwirken. Seine einzelnen Stufen werden von verschiedenen Insekten begleitet. Ameisen zählen ebenso zu den sogenannten Erstbesiedlern von Leichnamen. Sie sind vor allem auf die Fliegeneier scharf, die sie jedoch nicht an Ort und Stelle verputzen, sondern erst einmal abtransportieren. Allerdings scheinen sie auch das Gewebe der obersten Hautschichten nicht zu verachten. Häufig werden an Leichen, die etwas länger liegen, bevor sie entdeckt werden, Fraßschäden festgestellt, die von Ameisen verursacht wurden.

Die Nächsten, die während des Verwesungsprozesses angelockt werden, sind Käfer, und davon mehrere verschiedene Arten. Manche begnügen sich damit, die Maden der Fliegen zu fressen, und verschwinden von der Leiche, sobald kein weiteres Futter mehr vorhanden ist. Andere, die es zunächst auf Maden abgesehen haben, schwenken nach dem ersten Gang auf Leichengewebe und Knochen als Nahrung um. Generell kann man sagen, dass Käfer meistens erst auftauchen, wenn die Leiche schon ziemlich ausgetrocknet ist. Dagegen machen Schmeißfliegen dann für gewöhnlich den Abflug.

Die Leiche im Schlafzimmer lag auf dem Rücken, war nackt und großflächig von unzähligen Maden bevölkert. Sie bot einen Anblick, den man sich nicht vorstellen möchte. Ungefähr die Hälfte des Körpers war schlicht nicht mehr vorhanden, vom Kopf angefangen – besonders die Gesichtspartie – bis zum Unterleib und den Gliedmaßen. Der Grad der Verwesung und das Ausmaß des Madenfraßes machten es unmöglich, ohne genauere rechtsmedizinische Untersuchung zu erkennen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte.

Demzufolge vermochte zu diesem Zeitpunkt auch niemand die Frage zu beantworten, ob es die Überreste von Hans-Werner Beschwelke waren, die dort lagen. Das Einzige, was klar schien: Um wen auch immer es sich bei dem Toten handelte, er – oder sie – konnte sich unmöglich selbst ins Jenseits befördert haben. Die Handgelenke der Leiche waren mit einem braunen Ledergürtel gefesselt, dessen anderes Ende um den Hals geschlungen war. Mir fiel – nachdem ich zum Tatort gerufen worden war und einen Blick auf den Leichnam geworfen hatte – jedenfalls keine Möglichkeit ein, wie jemand das an sich selbst hätte zuwege bringen sollen.

Der Fall ereignete sich Anfang der neunziger Jahre in einem Randbezirk von Köln. Ich wurde damals mit der Leitung der Mordkommission beauftragt. Wir stellten ein gutes Team zusammen, fähige Kollegen, von denen jeder seinen Job verstand. Trotzdem schwante mir noch am selben Tag, dass wir an dem Fall schwer zu knabbern haben würden.

Zwar sprach vieles dafür, dass der Tote Hans-Werner Beschwelke war, doch sicher konnten wir erst sein, wenn es den Rechtsmedizinern gelang, ihn zu identifizieren. Oder wenn wir jemanden fanden, der uns mit verlässlichen Informationen weiterhalf. Aber Beschwelke war nicht einmal vermisst gemeldet worden. Was war mit seinen Nachbarn? Hatte er keine Arbeitskollegen oder irgendwelche Verwandte gehabt? Auch das mussten wir erst einmal herausfinden.

Angenommen, es war tatsächlich Beschwelke: Was verriet uns das über ihn und seine Lebensweise? Dass er inmitten von zweihundert oder noch mehr Menschen gewohnt, aber keinerlei soziale Kontakte gepflegt hatte? War so etwas vorstellbar, in seinem Alter? Von wem und warum wurde er dann umgebracht? Noch dazu in seiner Wohnung? Es sah nicht so aus, als hätte er dort Reichtümer verborgen gehalten. Aber vielleicht täuschte das ja.

Wir begannen mit unseren Nachforschungen in dem Hochhaus. Alte Regel: Man startet am Tatort und zieht von dort aus immer größere Kreise. In den meisten Fällen muss man sich gar nicht weit fortbewegen. Oft liegt die Lösung recht nah. Damit meine ich nicht nur die räumliche Distanz. Die überwiegende Zahl aller Tötungsdelikte sind Beziehungstaten. Es wäre sicherlich falsch zu sagen, dass die einfacher aufzuklären sind. Aber die Chancen stehen in der Regel um einiges besser, als wenn sich Täter und Opfer vorher nicht kannten, es keine Bezugspunkte zwischen beiden gab. Schon weil man es mit einem überschaubaren Personenkreis zu tun hat. Weil die Spurenlage dann mehr hergibt, meistens jedenfalls. Und weil man beim Aufdröseln eines Beziehungsgeflechts eher auf ein Motiv stößt.

Wir klingelten an jeder Wohnungstür. Es waren mehr als hundertfünfzig. Das Resultat lohnte den Aufwand kaum, es war äußerst dürftig, aber das kann man vorher nie wissen. Keiner im Haus wollte den Einundvierzigjährigen besser gekannt haben als nur flüchtig, und nicht einmal davon gab es viele. Lediglich ein paar von den Leuten, die auf derselben Etage wohnten, wussten etwas über ihn zu sagen. Ein ruhiger Nachbar sei er gewesen, nur mit dem Putzen habe er es nicht so genau genommen. Vor seiner Tür habe er so gut wie nie den Besen oder einen Wischmopp geschwungen. Ein älterer Mann, dessen Wohnung direkt neben der von Beschwelke lag, meinte, ihm sei nichts Besonderes aufgefallen, er habe auch nichts gerochen. Aber er erinnerte sich, dass sein Nachbar früher in einer Gaststätte gearbeitet habe, angeblich hinterm Tresen, irgendwann aber gefeuert wurde, den Grund wisse er nicht. Immerhin ein Ansatz. Nachdem der Rentner eine Weile überlegt hatte, fiel ihm sogar der Name der »üblen Spelunke« ein, wie er sie bezeichnete. Sie lag ganz in der Nähe.

Der Pächter war auf seinen früheren Mitarbeiter alles andere als gut zu sprechen. Kaum hatten meine Leute seinen Namen ausgesprochen, polterte er los: »Hören Sie mir auf mit dem! Hat er was ausgefressen? Würde mich nicht wundern.« Anfangs sei er mit ihm klargekommen, die ersten fünf, sechs Wochen vielleicht. Aber dann hatte die Schlamperei begonnen. Ständig sei Beschwelke zu spät gekommen, manchmal habe er sich auch gar nicht blicken lassen und hinterher behauptet, er sei krank gewesen. Auf die ärztlichen Atteste, meinte der Gastwirt, würde er heute noch warten.

»Und wann haben Sie Herrn Beschwelke das letzte Mal gesehen?«

»Seit dem Rausschmiss? Gar nicht mehr. Der hat sich hier nicht wieder blicken lassen. Ist auch besser so.«

»Wann war das?«

»Vor einem Dreivierteljahr, schätze ich. Kann auch etwas länger her sein.«

Aber wir hatten auch Glück. Hans-Werner Beschwelke war nämlich kein Unbekannter für die Polizei, wie sich herausstellte. Gegen ihn waren in der Vergangenheit mehrere Verfahren anhängig gewesen – mal wegen Unterschlagung, mal wegen Diebstahls, oder gleich wegen beidem zusammen. Im Grunde lächerliche Geschichten, bei denen man sich fragte: Warum macht einer so etwas? Und vor allem: Warum macht er es immer wieder? Jedes Mal war es um Videokassetten gegangen, genauer gesagt um Pornovideos, Gay-Movies vom härteren Kaliber. Entweder hatte Beschwelke sie in einer Videothek mitgehen und sich dabei erwischen lassen, oder er hatte sie regulär ausgeliehen und nicht wieder zurückgebracht. Einige der Verfahren waren wegen Geringfügigkeit eingestellt worden, ein paar Mal hatte er eine Geldstrafe zahlen müssen.

Das Wichtigste für uns aber war: Im Zuge dieser Verfahren hatten sich die Kollegen vom Erkennungsdienst mit ihm befasst, nicht nur einmal – das heißt, wir hatten seine Fingerabdrücke. Damals arbeiteten wir noch nicht mit dem Automatisierten Fingerabdruckidentifizierungssystem (AFIS), das wurde erst ein oder zwei Jahre später in Deutschland eingeführt. Beschwelkes Fingerabdrücke waren noch nach der alten Methode gespeichert worden, auf Mikroplanfilm, sogenannten Mikrofiches.

Die Fingerabdrücke waren es dann auch, durch die die Leiche identifiziert werden konnte. Allerdings vergingen bis dahin einige Tage. Durch die fortgeschrittene Verwesung mussten die Fingerkuppen – auch Fingerbeeren genannt – erst einmal aufwendig präpariert werden. Dafür wurde der Leiche eine Hand abgetrennt und diese in eine spezielle Flüssigkeit eingelegt, die dafür sorgte, dass sich die Oberhaut von den Fingern ablöste. Anschließend nahm ein Beamter des Erkennungsdienstes die Fingerbeeren des Toten und stülpte sie über die eigenen Finger, um einen Abdruck davon machen zu können – gewissermaßen stellvertretend für den Toten. Auf den Fingerbeeren befinden sich die Papillarleisten, die bei jedem Menschen anders angeordnet und ausgeprägt sind und somit einen Fingerabdruck ergeben, der einmalig ist.

Das wird übrigens bis heute so gehandhabt. DNA-Analysen, mit denen man Leichen auch identifizieren könnte, sind vergleichsweise teuer, und sie dauern relativ lange. Ich erinnere mich, dass es nach der Tsunami-Katastrophe im Dezember 2004 in Südostasien einigen Ärger gab, weil europäische Rechtsmediziner, die zur Identifizierung der Opfer eingesetzt waren, den Leichen einzelne Finger oder auch Hände abschnitten, um sie später entsprechend präparieren und Fingerabdrücke machen zu können. Das kam bei den Einheimischen nicht gut an, vermutlich aus religiösen Gründen. Soviel ich mitbekommen habe, hat man einige dieser Rechtsmediziner sogar von den Hilfsmaßnahmen abgezogen und nach Hause geschickt.

In den letzten zwei, drei Jahren wurde eine neue Methode entwickelt, Fingerkuppen von fäulnisveränderten Leichen so aufzubereiten, dass man verwertbare Fingerabdrücke davon nehmen kann. Das Verfahren, das eine Zeit lang getestet wurde und jetzt immer häufiger angewendet wird, nennt sich »Thanatoprint«. Dabei wird – vereinfacht dargestellt – über einen Katheder eine spezielle Flüssigkeitsmischung in eine Arterie am Unterarm gespritzt, die die Finger »aufquellen« lässt, sodass sie wieder ein gewisses Volumen und auch Spannung bekommen. Parallel dazu entzieht man dem Gewebe Flüssigkeit, damit die obere Hautschicht abtrocknet. Nach etwa dreißig bis sechzig Minuten können Abdrücke von den Fingerbeeren genommen werden. Allerdings nur, wenn die Finger beziehungsweise Hände vorher nicht bereits mumifiziert waren, dann funktioniert es nicht – weil nichts mehr »aufquillt« und sich die ursprüngliche Struktur der Fingerbeere nicht wieder herstellen lässt.

Jedenfalls wurde durch den Abgleich der Fingerabdrücke des Toten aus der Wohnung mit denen von Hans-Werner Beschwelke auf Mikrofilm vorhandenen amtlich, was wir die ganze Zeit vermutet hatten: Es war die Leiche des Einundvierzigjährigen.

Wenn ich daran zurückdenke! Unsere Experten vom Erkennungsdienst mussten wirklich gute Augen haben. Die Abdrücke wurden damals an speziellen Lesegeräten verglichen. Das waren ziemlich große Kisten mit Sichtbildschirmen. Man legte unten den Mikrofiche ein und konnte die Abbildung auf dem Bildschirm entsprechend vergrößern. Die Qualität der Abdrücke auf den Fiches war nicht schlecht, aber kein Vergleich zu heute. Es hat dann auch meistens einige Zeit gedauert, bis man sicher sagen konnte, ob die Abdrücke übereinstimmten oder nicht. Am Computer ging das später natürlich viel schneller und genauer. Wir hatten damals aber auch ein paar Spezialisten dabei, Sachverständige für Daktyloskopie – ausgewiesene Fingerschau-Experten –, die manchmal nur einen kurzen Blick auf den Fingerabdruck warfen und dann direkt wussten, ob er einem bestimmten Tatverdächtigen zuzuordnen war.

Die Gewissheit zu haben, dass es sich bei dem Toten tatsächlich um Beschwelke handelte, war zweifellos ein Fortschritt, machte unsere Arbeit allerdings kaum einfacher. Hätte mich damals jemand gefragt, wie groß ich die Chance einschätzte, dass wir den Fall gelöst bekommen, meine Antwort wäre zumindest zurückhaltend ausgefallen. Wenn nicht mal jemand den Mann vermisste!

Wir wussten inzwischen auch, dass Beschwelke Opfer eines Tötungsdeliktes geworden war. Davon waren wir zwar vom ersten Tag an ausgegangen. Die abgeschlossene Schlafzimmertür, die Fesselung mit dem Gürtel, die über der Leiche ausgebreitete Bettdecke, die Blutspuren auf dem Bettzeug – offensichtlicher ging es kaum. Doch der letzte Beweis hatte uns bisher noch gefehlt. Den hatten uns nun die Rechtsmediziner geliefert, die ich noch weniger als sonst um ihre Arbeit beneidete – so wie die Leiche aussah, die sie auf den Seziertisch bekommen hatten.

Zunächst erhielten wir nur ein »Vorläufiges Gutachten«, da die Rechtsmediziner einigen Fragen mit Hilfe von feingeweblichen und toxikologischen Untersuchungen genauer auf den Grund gehen wollten. Die Todesursache stand für sie jedoch fest: ein ausgedehnter Schädeltrümmerbruch in Kombination mit Strangulation. Demnach hatte der Täter Beschwelkes Kopf mit einem stumpfen Gegenstand malträtiert. Dessen rechtes Schläfenbein war durch einen Schlag zerschmettert worden. Vielleicht waren es auch mehrere Schläge gewesen, dann aber ziemlich genau auf die gleiche Stelle. Von dort zogen sich Bruchausläufer fast über den gesamten knöchernen Schädel. Die Weichteile darunter schienen eingeblutet zu sein, vermuteten die Rechtsmediziner. Sie sahen, dass das betreffende Gewebe dunkel verfärbt war, aber ob es durch Blut verfärbt wurde, würden sie erst mittels feingeweblicher Untersuchung klären können.

Auch für eine Strangulation hatten sie deutliche Anzeichen ausgemacht. Womit nicht der um den Hals der Leiche geschlungene Gürtel gemeint war, der allein sagte erst mal nicht viel aus. Den hätte der Täter ebenso gut nach der Tat dort positionieren können. Für eine Strangulation sprach, dass das linke Zungenbeinhorn – das Zungenbein befindet sich am Mundboden, unterhalb der Zunge – und auch das linke Schildknorpelhorn, das zum größten Knorpel des Kehlkopfs gehört, abgebrochen waren. Außerdem waren die Halsweichteile auf der linken Seite verfärbt, was auf eine Unterblutung hindeutete. Noch klarer wären die Anzeichen für eine Gewalteinwirkung gegen den Hals gewesen, hätten die Rechtsmediziner in den Augenbindehäuten und in den Lidhäuten punktförmige Einblutungen finden können oder in der Gesichtshaut. Nur gab es in diesem Bereich des Kopfes nicht viel zu finden – weil dort nicht mehr viel vorhanden war.

Auf welche Weise er stranguliert worden war, konnte man schwer sagen. Generell unterscheidet man drei Arten der Strangulation: Erhängen, Erwürgen, Erdrosseln. Eine beidseitig zum Nacken hin ansteigende Strangmarke wäre charakteristisch gewesen für Erhängen. Ob es eine solche gab, war in diesem Stadium der Verwesung nicht mehr festzustellen. Aber Erhängen schied hier wohl sowieso aus. Es gab in der Wohnung keine Stelle, wo man das hätte durchführen können. Und warum hätte der Täter sich die Mühe machen sollen, sein Opfer erst aufzuhängen, anschließend auf den Boden zu verfrachten und ihm dann den Gürtel anzulegen?

Wäre Beschwelke erdrosselt worden, hätte man eine horizontal verlaufende, zirkuläre Drosselmarke finden müssen. Vom Erwürgen wären äußerlich vor allem Hautrötungen am Hals als Spuren geblieben, streifige oder eher flächenhafte, je nachdem, wie der Täter vorgegangen war. Beides war bei den Resten, die noch vorhanden waren, nicht zweifelsfrei nachzuweisen. Die Tatsache, dass das Zungenbein gebrochen war, ließ sowohl das eine als auch das andere denkbar erscheinen – Erdrosseln und Erwürgen. Da die Gewaltanwendung gegen den Hals aber offenbar von unterschiedlicher Intensität war, auf der linken Seite stärker als auf der rechten, kam wohl am ehesten Erwürgen in Betracht.

Ungeklärt blieb schließlich auch, was von beidem letztlich zum Eintritt des Todes geführt hatte: die Zertrümmerung des Schädels oder die Strangulation? Was war davon zuerst erfolgt? Der Täter konnte schwerlich zugeschlagen und gleichzeitig gewürgt haben – oder umgekehrt. Wobei vermutlich jedes für sich tödlich gewesen wäre.

Und noch eine Frage konnten uns die Rechtsmediziner nicht beantworten, nämlich wann Hans-Werner Beschwelke gestorben war. Nur dass es eine ganze Weile her sein musste – zwei Monate mindestens, vielleicht aber auch drei oder vier.

Diese vage Zeitspanne konnten wir etwas eingrenzen, nachdem wir mit dem Arzt gesprochen hatten, bei dem Beschwelke zuletzt in Behandlung gewesen war. Aus der Patientenkartei ging hervor, dass er ziemlich genau vier Monate, bevor seine Leiche gefunden wurde, einen Termin bei ihm gehabt hatte. Danach habe er sich nicht wieder gemeldet, sagte der Arzt, obwohl die Behandlung nicht abgeschlossen gewesen sei. Bei diesem letzten Besuch habe sein Patient über Angstzustände und Schlafstörungen geklagt. Nicht zum ersten Mal, beides schien Beschwelke seit Jahren belastet zu haben. Einige Male tauchte in den Behandlungsunterlagen auch das Wort »Depression« auf. Und häufiger ging es um die Diagnose »Nikotinabusus«. Bis zu siebzig Zigaretten, stand dort, soll er pro Tag konsumiert haben. Dass ihm das nicht gut bekommen war, konnte man auf dem Anamnesebogen ablesen: Bei einer Körpergröße von 1,76 Meter hatte er gerade mal achtundvierzig Kilo gewogen. Es war noch kein halbes Jahr her, dass er diese Angaben gemacht hatte.

Überhaupt hatte er dem Arzt viel von sich offenbart, bis hin zu seiner sexuellen Neigung. Beschwelke war schwul und schien darunter gelitten zu haben – in doppelter Weise. Einmal, weil sein Vater ihn deswegen verstoßen und danach nie wieder ein Wort mit ihm gesprochen hatte, über zwanzig Jahre lang, bis zu dessen Tod, der mehrere Jahre zurücklag. Zum anderen, weil er keinen festen Partner gefunden hatte, zumindest seit er bei dem Arzt in Behandlung war. Es soll Phasen gegeben haben, da sei er Abend für Abend in die Innenstadt gefahren und wie ein streunender Hund durch die einschlägigen Lokale gezogen, um jemanden aufzugabeln, der ihn mit nach Hause nahm oder den er mit zu sich nehmen konnte.

Keine feste Beziehung, keinen Kontakt zur Familie, und Arbeitskollegen gab es auch keine, nicht einmal einen guten Freund oder eine gute Freundin. Anders gesagt: Wir suchten die Nadel im Heuhaufen. Und das war in diesem Fall noch optimistisch formuliert. Denn der Heuhaufen, das waren die Lokale – Kneipen, Clubs und Bars

Ganz sicher?

Absolut.

»Können Sie sich dann erklären, warum er Ihre Telefonnummer in seiner Brieftasche hatte?«

Ich habe sie ihm bestimmt nicht gegeben.

Aber die Nummer bekommt man nicht so einfach heraus

Ach, was meinen Sie, wie viele Leute meine Nummer haben.

DNA

In komplizierten Situationen sind es manchmal denkbar einfache Dinge, auf die man als Ermittler seine Hoffnungen setzt. So war es auch in diesem Fall. Die Spurensicherung hatte gründlich gearbeitet. Wir hatten inzwischen herausgefunden, dass aus Beschwelkes Wohnung einige Gegenstände entwendet worden waren, unter anderem zwei silberne Armbänder, beide mit Gravur, eine grobgliedrige goldene Herrenkette, eine antike mechanische Armbanduhr, die angeblich sehr wertvoll war, und ein CD-Player japanischen Fabrikats. Vielleicht hatte der Täter ja versucht, die Sachen – oder wenigstens einige davon – in Bargeld umzusetzen. Es wäre nicht besonders schlau von ihm gewesen, das in der Stadt zu tun, in der er die Tat verübt hatte. Nachgehen mussten wir dieser Möglichkeit aber natürlich trotzdem.

CD

Ich wagte es kaum, daran zu glauben. Wie viele CD-Player von dieser Sorte gab es in Köln? In den Wochen mühseliger Fahndungsarbeit, deren Ausbeute mehr als bescheiden war, hatte ich mich manchmal bei dem Gedanken ertappt, den Fall womöglich niemals gelöst zu bekommen. Dieses Gefühl des Auf-der-Stelle-Tretens kann einem ganz schön zusetzen. Wie oft lag ich nachts wach und grübelte: Warum kamen wir nicht weiter? Was hatten wir übersehen?

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CD

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msterdam. Richtige Entdeckungsreisen seien das jedes Mal für ihn gewesen, sagte er, meinte es aber nicht im touristischen Sinne. Er war vielmehr darauf gepolt, möglichst schnell herauszufinden, wo er Geld verdienen konnte– auf seineW

CD

»«

CD

Ich war in dem Laden, das stimmt. Ob genau an demTag, das weiß ich nicht mehr, kann aber sein. In der Zeit war ich auf jeden Fall in Köln… Er machte eine kurze Pause, in der er seinen Oberkörper über denTisch vor sich beugte, um dieAbbildung auf dem Plakat genauer zu betrachten. Ja, das scheint so ein Gerät zu sein. Ist die gleiche Marke. Meins hatte das -Fach auch auf der linken Seite, rechts daneben waren die ganzenTasten und darüber das Display– so eine roteAnzeige.

Okay, dann können wir ja gleich zu den anderen Gegenständen kommen. Sind Ihnen die bekannt?

Also, eins von denArmbändern müsste in meiner Zelle liegen, auf demTisch neben dem Radio. Die Uhr auch. Das andereArmband kenne ich nicht, nie gesehen…

Und die goldene Kette?

So eine hatte ich auch mal, aber die habe ich an einenTypen verkauft, hier im Knast, kurz nachdem ich eingefahren bin. Der wollte sie unbedingt haben– für drei Schachteln Zigaretten.Aber der ist inzwischen wieder draußen.

Sein Name?

KeineAhnung… Ich glaube, der hieß Guido, bin mir aber nicht sicher. Das war so ein Großer mit längeren Haaren, bisschen lockig, dunkelblond.

Den Familiennamen wissen Sie auch nicht?

Nee, der war dann gleich weg.Wir haben uns gar nicht richtig kennengelernt.

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Kann jemand bezeugen, dass Sie dort waren?

Vielleicht die Frau, die mich reingelassen und mir den Schlüssel gegeben hat. Bei der habe ich auch bezahlt.

Ihren Namen wissen Sie wahrscheinlich nicht…

Die hat sich ja nicht vorgestellt.

Können Sie die Frau beschreiben?

Na ja, es war ziemlich dunkel in dem Flur.Aber sie war schon etwas älter, vielleicht fünfzig oder so. Und ein bisschen pummelig. Ihr Gesicht habe ich nicht so richtig gesehen. Sie hatte lange Haare, schwarz, glaube ich, oder braun.

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Wo haben Sie gestanden, im Bahnhof oder davor?

Drin. Erst da, wo es zu denToiletten runtergeht, dann bin ich einfach rumgelaufen, habe mir die Schaufenster angeguckt.

Wie lange?

Bis drei… also fünfzehn Uhr.

Warum wissen Sie die Zeit so genau?

Vielleicht war es auch zehn nach drei.Wenn man da rumsteht und wartet, dass ein Freier kommt, und es kommt ewig keiner, wird man ramsig und guckt ständig auf die Uhr, ganz automatisch. Und dann merkt man jedes Mal, dass erst drei oder vier Minuten vorbei sind. Deswegen weiß ich das mit der Uhrzeit.

enn man allerdings ein wenig darüber nachdachte, drängte sich die Frage auf, warum er sich ausgerechnet diese eine Uhrzeit hatte merken können; seit demT

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Haben Sie uns diesen Brief geschrieben?

Das steht ja wohl drauf.

Können Sie es uns bitte trotzdem noch mal bestätigen?

Ja, der Brief ist von mir. Ich habe ihn geschrieben. Sie können gern eine Schriftprobe machen lassen. Es ist meine Schrift.

Wann haben Sie ihn geschrieben– und wo?

In meiner Zelle. Zwei oder dreiTage, nachdem Sie das letzte Mal hier waren. Ich musste mir erst mal Papier besorgen. Dann habe ich mich hingesetzt und alles aufgeschrieben. Es ging eigentlich ganz schnell. Es hatte keinen Sinn mehr, weiter zu lügen. Ich wollte endlich reinenTisch machen.

Wir müssen IhreAussage trotzdem überprüfen. Können Sie noch mal ganz genau erzählen, wie es zu derTat gekommen ist?

Wo soll ich anfangen? Ich meine, die ganze Geschichte vom Bahnhof auch noch mal?

Fangen Sie in derWohnung von Herrn Beschwelke an– was hat sich dort abgespielt?

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