Prolog
Die Toskana (ital. Toscana) ist eine Region in Italien und grenzt im Norden an Ligurien und die Emilia-Romagna, im Osten an die Marken und an Umbrien und im Süden an Latium. Die Bezeichnung leitet sich vom in der Antike hier ansässigen Volk der Etrusker her.
Kapier ich nicht. Müsste es dann nicht eigentlich Truskana heißen?
Die Toskana hat eine Fläche von rund 23000 km² und 3,61 Millionen Einwohner. Die Hauptstadt der Toskana ist Florenz im Norden der Region. Weitere wichtige Städte sind Pisa, Siena, Grosseto und Lucca.
Lucca, genau. Da werden wir wohnen. In einer Jugendherberge. Ich werde meinen achtzehnten Geburtstag in einer italienischen Jugendherberge feiern. Na, super. Ja, ja, ich weiß. Ich bin eigentlich viel zu alt für die zehnte Klasse. Aber meine Eltern hatten mich bei einem Ausflug im Wald vergessen und es dauerte zwei Jahre, bis ich wieder nach Hause gefunden hatte, also wurde ich erst mit acht eingeschult. Bullshit, natürlich. Ich bin zweimal hängen geblieben, das ist alles. Soll vorkommen. Halb so wild. Das einzig Blöde daran war, dass es zweimal hintereinander passiert ist.
Die Achte war mein Verhängnis. Nicht, dass ich zu dumm gewesen wäre. Ich hatte nur in dieser Zeit irgendwie keinen Bock auf Schule, also bin ich eher selten hingegangen. Beim zweiten Mal brachte ich es auf sage und schreibe einhundertsiebenundvierzig unentschuldigte Fehlstunden. Und zur Belohnung wurde ich nicht nur auf die Realschule abgestuft, sondern durfte die Achte dort gleich noch mal machen. Dreimal die Achte, ich bin jetzt schon eine Legende bei uns an der Schule, das vergessen die nie, das wird noch in fünfzig Jahren den Enkelkindern erzählt, zur Abschreckung. Wenn du nicht immer brav lernst, holt dich der Jonas, und dann bleibst du in der achten Klasse, bis du schwarz wirst! Genau so.
Das hört sich jetzt vielleicht so an, als ob ich auch noch stolz darauf wäre, zweimal hängen geblieben zu sein. Aber das ist es nicht. Ich bin nicht stolz darauf. Allerdings bereue ich es auch nicht, kein bisschen. Das waren zwei sehr lockere Jahre, die ich nie missen wollen würde, mit allem Drum und Dran. Okay, auf den Ärger mit meinen Eltern hätte ich gerne verzichtet, sie mit Sicherheit auch, aber wir haben es alle überlebt, und mittlerweile biete ich ihnen auch keinen Grund mehr zur Klage. Das ist jetzt mein drittes Jahr als Klassenbester, was allerdings nicht bedeuten soll, dass ich zum Streber mutiert bin, auf keinen Fall. Mir fällt das alles nur ziemlich leicht, keine Ahnung warum. Ich mache immer meine Hausaufgaben und das reicht auch schon, großartig lernen muss ich dann gar nicht mehr. Auf diese Weise habe ich es geschafft, dass ich nach den Sommerferien wieder aufs Gymnasium darf und mein Abi machen kann. Für mich ist das also im Grunde genommen gar keine richtige Abschlussfahrt. Zum Glück, denn ich habe sowieso noch keine Ahnung, was ich mal werden will. Absolut null. Aber ich habe ja jetzt noch drei Jahre Schonfrist bis nach dem Abi. Vielleicht fällt mir in der Zwischenzeit was ein. Hoffentlich. Sonst muss ich nämlich Jura studieren. Der Traum meiner Eltern. Träumt weiter. Nicht mit mir. So viel steht fest. Als Anzugträger und Paragrafenverdreher sehe ich mich auf gar keinen Fall. Immerhin etwas, was ich schon weiß: was ich nicht werden will. Jetzt müsste ich eigentlich nur noch eintausendzweihundertsiebenundachtzig andere bezahlte Beschäftigungsmöglichkeiten ausschließen und ich hätte meinen Traumberuf. Wie viele Berufe es wohl gibt? Ob das auch bei Wikipedia steht? Ach, egal. Nicht so wichtig. Erst mal muss ich dieses blöde Referat hinter mich bringen. Hey! Ein weiterer Beruf, den ich ausschließen kann: Reiseführer in der Toskana. Das scheint noch langweiliger zu sein als Anwalt.
Der Toskanische Archipel umfasst neben Elba, der drittgrößten Insel Italiens, unter anderem auch die kleineren Inseln Giglio, Capraia, Pianosa, Montecristo, Giannutri und Gorgona.
Inseln, genau. Da wollten wir eigentlich hin. Auf eine Insel. Nach Malle. Wie die 10c. Die fahren nach Malle auf Abschlussfahrt. Wir fahren in die Toskana. Wegen der Kultur. Und den tollen Kirchen. Und dem Schiefen Turm. Und weil Goethe mal da war. Ohne Scheiß. Das war Wuttkes Begründung. Nur weil er unser Klassenlehrer ist und wir Geschichte und Deutsch bei ihm haben und dieser fucking Goethe irgendwann mal durch die Toskana gelatscht ist, müssen wir jetzt auch dahin. Und wenn ich müssen sage, dann meine ich auch müssen. Gefragt wurden wir nämlich nicht. Unsere Eltern wurden gefragt. Und die haben dann auch entschieden. Schließlich würden sie das alles ja bezahlen, also wäre es nur gerecht, wenn sie das entscheiden. An uns hat dabei natürlich keiner gedacht. Ich war immer der Meinung, eine Abschlussfahrt sei dazu da, um noch mal richtig Spaß zu haben. Leider verstehen Eltern anscheinend keinen Spaß, wenn es um ihre fast volljährigen Kinder geht, meine schon gar nicht.
Toskana. Kultur. Kirchen. Das wird in etwa so spaßig und aufregend wie eine Chihuahua-Beerdigung auf dem Hundefriedhof. Und je mehr ich darüber lese, desto tiefer sinkt meine Hoffnung, dass es doch noch ganz lustig werden könnte.
Wirtschaft: Hauptsächlich Tourismus und Landwirtschaft (vor allem Wein und Olivenöl). Zu den bekanntesten toskanischen Weinen zählen der Chianti, der Sassicaia und der Vino Nobile di Montepulciano.
Na, immerhin. Zu saufen gibt es wenigstens schon mal was. Ich hoffe nur, die haben auch gescheites Bier da unten. Keine Lust, auf meinen Achtzehnten mit einem gepflegten Glas Chianti anzustoßen. Ich mag keinen Wein. Das nervt mich eigentlich noch am meisten. Dass ich meinen Achtzehnten nicht gebührend zu Hause feiern kann, mit Party und Freunden und allem Drum und Dran. Klar, mit den Jungs aus meiner Klasse wird es bestimmt auch ganz lustig, die meisten sind echt okay, trotzdem, zu Hause wäre mir doch lieber gewesen. Und selbst wenn dann nachgefeiert wird, das ist nicht das Gleiche. Achtzehn wird man nur einmal und nur an diesem einen Tag.
Ein weiterer wichtiger Wirtschaftsfaktor ist seit der Herrschaft der Etrusker die Stahlproduktion in der Gegend um Piombino. Die Rinderrasse Chianina, die größte Rinderrasse der Welt, hat ihren Ursprung ebenfalls in der Toskana.
Ja, super. Das wird ja immer besser. Wir verbringen fünf Tage in einem Gebiet, das für seine Rindviecher berühmt ist.
Im Vergleich mit dem BIP der EU ausgedrückt in Kaufkraftstandards erreicht die Region einen Index von 118.0 (EU-25:100) (2003).
Wie bitte, was? Das lassen wir mal lieber weg, am Ende muss ich es noch erklären.
»Jonas?«
Meine Mutter. Kann man denn in diesem Haus nicht mal in Ruhe ein blödes Referat schreiben? Nicht jetzt, Mama. Ich muss mich auf diesen stinklangweiligen Text konzentrieren.
»Jonaaas!«
Ja, ist ja gut, verdammt.
»Was ist denn?«, brülle ich genervt zurück.
»Herr Schneider ist da!«, ruft sie. »Komm, du hast Fahrstunde!«
Wie, jetzt? Schon so spät? Ich schaue auf die Uhr an meinem Computer. Oh, tatsächlich, kurz vor fünf. Das ist ja perfekt. Ich habe sowieso keine Lust mehr auf dieses Scheißreferat, das kann bis morgen warten. Autofahren macht auch viel mehr Spaß.
»Jonas! Kommst du?«, ruft meine Mutter.
»Ja, ja! Gleich! Moment noch!«, rufe ich zurück und fahre den Computer runter.
Noch so eine Sache, die mir diese blöde Toskana versaut. Genau in der Woche, in der wir weg sind, hätte ich den Termin für meine Führerscheinprüfung haben können. Okay, das wäre auch so gewesen, wenn wir nach Malle gefahren wären. Trotzdem: Die Toskana ist schuld. An allem. Basta.