Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.piper.de

ISBN 978-3-492-98385-3

© 2017 Piper Verlag, München

Originalausgabe

© Piper Verlag GmbH, München 2013

Covergestaltung: FAVORITBUERO, München

Covermotiv: Masson/shutterstock

Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich der Piper Verlag die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Das ist ja interessant. Soeben habe ich in der jüngsten Ausgabe von Women’s Bazaar gelesen, dass in Deutschland aktuell circa zweiundvierzig Millionen Frauen leben. Davon sind 42,5 Prozent verheiratet, 8,3 Prozent geschieden, 11,4 Prozent verwitwet und 37,8 Prozent ledig. Von den ledigen Frauen wiederum geben 1,2 Prozent an, lesbisch zu sein, sechsunddreißig Prozent sind gar nicht auf der Suche nach einem Partner (weil zu alt; zu egoistisch; zu enttäuscht; zu wenig kompromissbereit), aber immerhin 62,8 Prozent sind noch auf der Suche nach dem Richtigen beziehungsweise können sich vorstellen, eines Tages eine Ehe mit einem geeigneten Partner einzugehen.

Sechzehn Millionen Ledige also, und davon wollen 62,8 Prozent heiraten, das ergibt sage und schreibe zehn Millionen heiratswillige Frauen.

Zehn Millionen.

Plus eine.

Denn ich, Molly Becker, bin ja auch noch unverheiratet.

Immer noch.

Hm …

Spanking

Nicht, dass Sie das jetzt falsch verstehen. Ich habe es nicht unbedingt nötig, geheiratet zu werden. Im Gegenteil, in meinem Leben gibt es eine Menge Umstände, die mich völlig unabhängig machen.

Ganz auf die Schnelle fällt mir da zum Beispiel ein:

1) Ich bin allein verantwortliche Geschäftsführerin von Winners only, einer erfolgreichen und ständig weiter expandierenden Lifestylekette.

2) Ich verfüge neben meinem hohen Einkommen aus oben genannter Tätigkeit über ein ansehnliches Vermögen in Höhe von circa … ähm … also, das hängt vom aktuellen Aktienkurs ab, aber Daumen mal Pi schätze ich es im Moment auf etwa eineinhalb Millionen Euro (zum Mitschreiben: 1,5 Millionen)!

3) Abgesehen davon ist mein Lebensgefährte niemand Geringerer als Philip Vandenberg, seines Zeichens Gründer des legendären Eragon-Konzerns, Selfmade-millionär und seit zwei Jahren auch noch Haupteigentümer von Winners only (aber dass mir jetzt ja keiner denkt, ich wäre mit ihm nur in die Kiste gehüpft, um diesen Job zu kriegen; Philip und ich hatten schon Sex, bevor er den Laden übernahm!).

4) Ach ja, und ein schmuckes Haus mit Pool besitze ich auch noch (offiziell ist es jedoch nur von mir und meinen­ Freundinnen Tessa und Lissy zu einem lächerlich geringen Preis gemietet).

5) Philip verwöhnt mich in jeder Hinsicht, wie es kein Ehemann der Welt besser könnte.

6) Das beinhaltet auch hervorragenden Sex, sowohl bezüglich Qualität als auch Quantität (na ja, Letztere zumindest, wenn er nicht wieder einmal für seine neue Firma in Paraguay weilt; wir haben’s übrigens auch schon mit Telefonsex versucht, aber da ticken wir anscheinend nicht ganz synchron).

7) Philip ist mir hundertprozentig treu. Woher ich das weiß? Na, weil mir sonst schon längst etwas aufgefallen wäre. Frauen haben schließlich einen sechsten Sinn für so etwas, nicht wahr?

8) Ich habe ein äußerst abwechslungsreiches Berufs- und Privatleben, sodass ich für Sachen wie Familie und Kinder­ im Moment eigentlich gar keine Zeit hätte.

9) Und nur damit keine Irrtümer aufkommen: Philip und ich sind nur deshalb noch nicht verheiratet, weil ich seine Anträge mehrmals abgewiesen habe, weshalb mich übrigens …

10) … die ganze Welt für verrückt hält – einschließlich Lissy und Tessa –, was genau genommen aber nur daran liegt, dass …

11) … weder Philip noch Lissy, noch Tessa, noch meine Eltern, noch sonst irgendjemand von meinen Vermögenswerten aus den Punkten 2 und 4 wissen, die ich einem Lottogewinn vor zwei Jahren zu verdanken habe, und ich diesbezüglich unbedingt Klarheit schaffen will, bevor ich meine Einwilligung gebe.

Was ich damit sagen will: Ich bin eine moderne und unabhängige Frau, und meine Beziehung mit Philip Vandenberg funktioniert auch ohne Trauschein ausgezeichnet.

Wozu dann also heiraten?

Hab ich doch gar nicht nötig.

»Was liest du da gerade?« Das kam von Tessa, die mir am Pool Gesellschaft leistet. Sie angelt sich träge ihren Erdbeerdaiquiri und saugt am Strohhalm.

»Ach, nichts Besonderes«, antworte ich ausweichend. »Nur so eine Frauenzeitschrift.«

»Schon klar.« Sie wirft ihr superlanges, blondes Haar zurück und sieht mich aus ihren blauen Augen direkt an. »Ich wollte wissen, welchen Artikel du gerade liest.«

»Ach so. Also, das ist nur … Statistikkram, über Bevölkerung, unverheiratete Frauen und so, weißt du.«

Tessas Augen werden augenblicklich schmal. »Unverhei­ratete Frauen? Ach, deswegen wirkst du auf einmal so verkrampft.«

»Wie bitte? Verkrampft? Ich? Unsinn!« Ich lache künstlich auf. »Wieso sollte ich bei diesem Thema denn bitte schön verkrampft sein?«

Tessa starrt mich ungläubig an. »Das ist ein Witz, oder? Du bist jetzt schon seit zwei Jahren mit Philip zusammen …«

»Ein Jahr und elf Monate«, korrigiere ich, als könnte ich damit abwenden, was unweigerlich folgen wird.

»Sag ich doch, fast zwei Jahre«, reitet Tessa ungerührt auf ihrer Welle weiter, »und Philip hat dich noch immer nicht geheiratet.«

»Ja, aber nur, weil ich das nicht wollte«, stelle ich hastig klar.

»Was noch doofer klingt«, meint sie mit einem leichten Kopfschütteln, um dann nachzulegen: »Falls es überhaupt stimmt …«

»Natürlich stimmt es!«, rufe ich empört aus.

»Was stimmt?« Das kam von Lissy, die in diesem Moment aus dem Haus gekommen ist. Sie stoppt vor unseren Liegestühlen und sieht uns fragend an.

»Verdammt, wie siehst du denn aus?«, entfährt es Tessa bei ihrem Anblick.

Jetzt fällt es mir auch auf. Lissy ist bleich wie ein Gespenst, dazu wirkt sie abgemagert und hat dunkle Ringe unter den Augen.

»Keine Ahnung. Was meinst du?« Lissy zuckt die Achseln, wobei ihr ein Bikiniträger von der hageren Schulter rutscht.

»Ich sage es ja nicht gern, Lissy«, mische auch ich mich vorsichtig ein, »aber du siehst wirklich ziemlich fertig aus. Es ist die Prüfung, stimmt’s?«

Lissy studiert neben ihrem Job bei Winners only auch noch Jura, und im Herbst will sie ihr Staatsexamen machen.

»Zugegeben, es ist ein bisschen anstrengend im Moment«, versucht sie mit einer lässigen Handbewegung abzuwiegeln. »Aber du kennst mich ja, wenn ich etwas mache, dann richtig.«

Stimmt. Lissy ist der zuverlässigste Mensch, den ich kenne. Das war übrigens auch der Grund, warum ich ihr damals den Job in unserer Rechtsabteilung verschafft habe. Na ja, das und der Umstand, dass sie meine beste Freundin ist, natürlich.

»Du bist gut«, schnaubt Tessa. »Die Prüfung ist erst in drei Monaten, und du hast den Stoff doch sicher schon zehnmal durch, stimmt’s?« Ihr Kopf ruckt zu mir herum. »Sie kann das ganze Grundgesetz auswendig, kannst du dir das vorstellen?«

»Quatsch, Tessa, ich kann es natürlich nicht auswendig«, protestiert Lissy sofort.

»Doch, kannst du«, behauptet Tessa ungerührt. »Oder glaubst du, ich höre es nicht, wenn du im Nebenzimmer andauernd deine öden Paragrafen runterleierst wie ein Mufti sein Gebet?«

»Jetzt übertreibst du aber gewaltig«, versucht Lissy einen weiteren lahmen Protest. »Und ich glaube, du meintest einen Muezzin

»So, ich übertreibe?« Tessa hat sich aufgesetzt und starrt Lissy herausfordernd an. »Und woher kenne ich das: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt?«, beginnt sie aufzusagen.

Lissy und ich wechseln einen erstaunten Blick.

»Äh, keine Ahnung«, murmelt Lissy dann und wird ein bisschen rot dabei.

»… Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit der Welt«, fährt Tessa mit grimmigem Blick fort. »Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. …«

»Schon gut, schon gut«, versucht Lissy sie zu bremsen, aber Tessa kommt gerade erst richtig in Fahrt.

»… Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern …«

»Hör mal, Tessa …« Lissy bekommt hektische Flecken an den Wangen.

»Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung …« Tessa muss kurz Luft holen, und Lissy nützt die Unterbrechung.

»Okay, Tessa, wir haben’s kapiert: Du hast mich also beim Lernen erwischt.« Lissy stemmt die Arme in die Hüften. »Aber das ist doch kein Verbrechen, oder?«

»Wenn man damit seine Zimmernachbarin in den Wahnsinn treibt, schon«, behauptet Tessa. »Ehrlich, Leute, schön langsam komme ich mir in diesem Haus vor wie zwischen zwei völlig durchgeknallten …«

»Moment mal, wieso zwei?«, falle ich ihr ins Wort. »Wer denn noch?« Ich zögere. »Nicht, dass ich dich für durchgeknallt halten würde«, füge ich schnell mit einem entschuldigenden Blick zu Lissy an.

»Das fragst du noch?« Jetzt hat Tessa mich ins Visier genommen. »Denkst du, ich merke nicht, wie es dich nervt, dass ihr noch nicht verheiratet seid?«

»Wie bitte?« Ich schnappe empört nach Luft. »Aber das stimmt doch gar nicht, Tessa, das nervt mich kein bisschen.«

»So?« Tessa ist auf einmal ganz ruhig geworden, was mich ehrlich gesagt ein bisschen nervös macht. »Und was steht dann in diesem Artikel, der dir diese tiefe Furche zwischen die Augen gezaubert hat?«

»Welche Furche?« Meine Hand zuckt automatisch hoch. Mist. Da ist tatsächlich eine Furche. Nicht tief zwar, aber sie ist da! Ich reibe ein paarmal hastig über die Stelle, jedoch ohne damit die geringste Wirkung zu erzielen.

»Wie ich schon sagte, es sind nur ein paar belanglose Sta­tistiken«, murmle ich und lasse die Zeitschrift dabei achtlos neben mir zu Boden gleiten – woraufhin Tessa sich prompt bückt und sie sich greift. Es dauert keine drei Sekunden, bis sie den verdammten Artikel gefunden hat.

»Sieh mal einer an …« Sie nickt gewichtig, während Lissy sich neben mir auf die Liege gesetzt hat und interessiert ihren Kopf in die Hände stützt. »Lissy, wusstest du, dass es in Deutschland mehr als zehn Millionen Frauen gibt, die nur darauf warten, geheiratet zu werden?«

»Echt, so viele?«, meint Lissy erstaunt.

»Unsinn, Tessa«, fahre ich dazwischen. »So steht das da doch gar nicht. Sie schreiben nur, dass diese Frauen grundsätzlich bereit wären zu heiraten – sofern sie überhaupt irgendwann einmal einen geeigneten Partner finden.«

»Den du aber schon hättest«, wirft Lissy mit entwaffnender Logik ein.

»Genau«, nickt auch Tessa, bevor sich ihre Augen wieder auf den Artikel heften. »Oh, alles klar. Da steht auch, dass die Frauen in Deutschland im Durchschnitt mit dreißig heiraten.« Sie sieht uns bedeutungsvoll an. »Molly läuft die Zeit davon, das ist es.«

»Von wegen, das ist es«, brause ich auf. »Im Durchschnitt bedeutet, dass sehr viele Frauen auch wesentlich später heiraten, mir läuft also gar nichts davon.«

Eine kleine Pause entsteht, bevor Lissy zaghaft sagt: »Aber ein bisschen merkwürdig ist es schon, Molly, das musst du zugeben. Was hindert euch denn daran, endlich zu heiraten? Du und Philip seid doch das perfekte Paar.«

Ich starre sie an und suche gleichzeitig krampfhaft nach einer guten Antwort – einer Antwort, bei der ich ihnen nichts von meinem Lottogewinn erzählen muss, den ich damals vor der ganzen Welt verheimlicht habe, wohlgemerkt.

»Seht ihr, ich hatte recht«, übernimmt jetzt wieder Tessa mit einer ordentlichen Portion Triumph in ihrer Stimme. »Die eine macht sich fertig, weil ihr Märchenprinz sie nicht schon längst zum Traualtar geschleift hat, und die andere dröhnt sich den ganzen Tag lang mit dämlichen Gesetzen zu. Ehrlich, Lissy, das ist wirklich nicht mehr zum Aushalten, da war es mir noch lieber, als du mit Manfred die Wände hast wackeln lassen. Wie sieht’s denn damit aus? Läuft da nichts mehr zwischen euch?«

Manfred ist übrigens der Nachbarsohn. Er ist ein riesiger Bodybuilder mit dem Gemüt von Fozzie Bear und Lissys allseits bekannter heimlicher Liebhaber.

»Doch, schon«, nickt Lissy. »Aber in letzter Zeit natürlich seltener, da mir ja kaum noch Zeit dafür bleibt. Und wir haben überhaupt nicht die Wände wackeln lassen«, stellt sie dann noch klar.

»So, meinst du?« Tessa gibt sich damit nicht zufrieden. »Und wonach klingt deiner Meinung nach dann: Oh, Manfred, du bist ja unersättlich ah  ah …« Sie imitiert wollüstiges Stöhnen, um dann auf eine tiefere Stimme umzusteigen: »Selber schuld, Baby, dein kleiner Knackarsch macht Mr. Beaufort eben scharf!«

Mir entfährt ein spontanes Kichern.

»Mr. Beaufort?«

»Ja, so heißt ein amerikanischer Basketballspieler, ein baumlanger Kerl«, antwortet Lissy automatisch, um gleich darauf knallrot anzulaufen.

»Baumlang, damit hätten wir das Stichwort«, meint Tessa grinsend. »Kein Wunder, bei Manfreds Beule in der Hose. Egal, wie auch immer«, wischt sie den Gedanken mit einer ener­gischen Handbewegung zur Seite. »Jedenfalls war mir euer Gestöhne noch allemal lieber als diese verdammten Paragrafen. An manchen Tagen kriege ich sie gar nicht mehr aus meinem Kopf.« Wie zum Beweis verfällt sie wieder ins Zitieren: »Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft. Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und …«

Plötzlich stoppt sie abrupt und schlägt sich die Hand vor den Mund.

»Oh mein Gott!«, ruft sie aus, und ihr Blick bleibt gebannt an meinem Gesicht hängen – um nach ein paar Sekunden bedeutungsvoll hinunter zu meinem Bauch zu wandern.

»Was ist?«, frage ich verwundert, während ich automatisch versuche, ihn ein bisschen einzuziehen.

»Dein Bauch …«, stammelt Tessa und zeigt jetzt auch noch mit dem Finger darauf. Dann beginnt sie auf einmal übers ganze Gesicht zu strahlen. »Ich werd verrückt, Lissy, Molly ist schwanger!«, ruft sie aus.

»Schwanger?« Auch Lissys Augen heften sich jetzt fasziniert auf meinen Bauch. »Dann ist es ja kein Wunder, dass sie es auf einmalig so eilig hat mit der Hochzeit.«

Mist.

Sosehr ich mich auch bemühe, ich kriege meine Wampe nicht flach. Scheint so, als hätte da jemand ein bisschen zu viel gefuttert in letzter Zeit. Und ich hatte schon den Wäschetrockner in Verdacht, unsere Wäsche schrumpfen zu lassen, und deshalb letzte Woche einen neuen bestellt.

Wie auch immer, als Erstes muss ich meine aufgekratzten Freundinnen von ihrem Trip herunterholen.

»Kriegt euch wieder ein, Leute!«, rufe ich. »Ich bin nicht schwanger!«

»Wie bitte?« Tessa und Lissy wechseln irritierte Blicke. »Ja, und … dein Bauch?«

Jetzt starren wir alle drei gemeinsam darauf.

»Ach, das … das sind nur … Blähungen«, fällt mir im letzten Moment ein. »Ich habe … ähm … eine Laktoseintoleranz, wisst ihr?«

»Eine Laktoseintoleranz, echt?« Lissy guckt besorgt. »Davon hast du uns nie etwas gesagt.«

»Natürlich nicht«, schüttle ich den Kopf. »Ich wollte nicht, dass ihr euch deswegen Gedanken macht, außerdem ist es auch nur eine ganz leichte. Der Arzt hat gemeint, sie wäre nur marginal und würde bald vorübergehen.«

»Bald vorübergehen, einfach so?« Tessa runzelt kritisch die Stirn. »Also, soviel ich weiß …«

Das Läuten meines Handys unterbricht sie.

Ich atme insgeheim auf. Ich bin nicht gerade sattelfest, was das Thema Nahrungsmittelintoleranzen angeht, weswegen das jetzt ein bisschen peinlich hätte werden können.

Ich werfe schnell einen Blick auf das Display. Es ist Frank Lessing.

Frank hat einen Summa-cum-laude-Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften und ist mir letztes Jahr ziemlich auf die Nerven gegangen, weil er für die finanziellen Belange bei Winners only zuständig ist und anfangs mit meinen Geschäftsstrategien nicht ganz einverstanden war. Aber schließlich ist es mir dann doch gelungen, ihn durch ein paar ziemlich gefinkelte Schachzüge von meiner Professionalität zu überzeugen, und seit er mit seinen Investitionen bei Winners only sogar ein paar Millionen verdient hat, ist er endgültig ein Fan von mir und meinem unglaublichen Geschäftssinn.

»Es ist Frank«, verkünde ich, bevor ich abnehme.

Lissy zieht die Augenbrauen hoch, und Tessa wirkt auf einmal ganz angespannt. Kein Wunder, hatte sie doch eine heiße Affäre mit Frank, nachdem der durch eine … nennen wir es kleine Indiskretion, an der ich nicht unbeteiligt war … in den Besitz ziemlich pikanter Privataufnahmen aus Tessas Zimmer gekommen ist.

»Hallo, Frank«, sage ich.

»Hi, Molly«, gibt er zurück.

Im Hintergrund höre ich, wie Lissy mit gedämpfter Stimme zu einer Retourkutsche für Tessa ansetzt: »Apropos Ge­­stöhne, Tessa: Bei Franks Besuchen musste ich mir auch immer allerhand anhören.«

»Was hast du auf dem Herzen, Frank?«, sage ich ins Telefon, während ich das Mikro mit der hohlen Hand abschirme.

»Es geht um die bevorstehende Aktionärsversammlung«, kommt er ohne Umschweife zum Thema.

»Keine Ahnung, was du meinst«, murmelt Tessa als Entgegnung auf Lissys Bemerkung.

»Ja, was ist damit?«, frage ich.

»Der springende Punkt dabei ist die Vorschau auf den diesjährigen Geschäftsverlauf«, erklärt Frank. »Ich habe mir gerade die Zahlen des ersten Quartals angesehen, und ich denke, darüber sollten wir reden.«

»Ach ja? Ich hoffe, es ist alles in Ordnung damit«, sage ich zögernd. Um ehrlich zu sein, habe ich die aktuellen Zahlen gar nicht im Kopf. Ich weiß nur, dass unsere Läden brummen wie nie, und das ist doch wohl die Hauptsache bei einem Geschäft.

Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass zur Abwechslung Lissy jetzt Tessa herausfordernd anstarrt. »Damit meine ich zum Beispiel den einen Abend, als du Frank Spanking angeboten hast. Was zum Teufel habt ihr da überhaupt angestellt? Den Geräuschen nach hätte ich darauf getippt, dass ihr euch gegenseitig ohrfeigt.«

»Nun, rein vom Ergebnis her sind sie nicht gerade berauschend«, höre ich Frank sagen.

»Wirklich?«, frage ich verwundert. »Aber unsere Umsätze sind im letzten Jahr durch die Decke gegangen, unsere Leute kommen ja kaum mit der Arbeit nach.«

Tessa hat jetzt ein klein wenig Farbe im Gesicht gekriegt.

»Quatsch, das haben wir natürlich nicht«, antwortet sie steif auf Lissys Behauptung, ohne jedoch weitere Erklärungen zu liefern.

»Es hat aber so geklatscht«, meint Lissy lauernd. »Als hättet ihr euch geschlagen.«

»Also gut, ja, ein bisschen vielleicht«, räumt Tessa widerwillig ein. »Aber nicht ins Gesicht, wenn du verstehst.«

»Ach, du meinst …« Lissy führt den Satz nicht zu Ende, sondern zieht stattdessen ein bisschen schockiert die Augenbrauen hoch.

»Das stimmt schon«, vernehme ich wieder Franks Stimme. »Die Umsätze haben sich auch gut entwickelt, das Problem ist nur wieder einmal die Umsatzrendite. Wenn man die Deckungsbeiträge im Verhältnis zu den Roherträgen heranzieht …«

Okay, wir sind soeben wieder bei den Begriffen angekommen, die mich unweigerlich auf Schleuderkurs bringen. Das ist das Problem bei diesen Fachleuten: Sie sprechen mit Vorliebe Sprachen, die kein normaler Mensch versteht.

»Und was war dann diese andere Sache?« Lissy kramt in ihrem Gedächtnis. »Bond… irgendwas?«

»Du meinst Bondage?«, fragt Tessa zurück.

»Ja, genau.«

»Ich bitte dich, Lissy, sag nicht, dass du das nicht kennst.« Tessa klingt regelrecht erschüttert.

»Nein, woher auch?«, sagt Lissy verwundert.

»Jetzt komm schon, jeder kennt das.« Tessa scheint sich nicht sicher zu sein, ob Lissy sie nur auf den Arm nimmt, weswegen ihr Blick jetzt Hilfe suchend zu mir schwenkt. »Du kennst doch Bondage, Molly, oder?«

Mein Bewusstsein kann sich nicht entscheiden zwischen Franks Wirtschaftschinesisch, das unaufhörlich aus dem Hörer flutet, und der Frage meiner Freundin, weshalb ich ganz automatisch antworte: »Klar kenne ich das – kennt doch jeder!«

»Wie bitte?« Ups, das war Frank.

»Oh, nichts, Frank, ich habe nur Tessas Frage beantwortet, red nur weiter«, beeile ich mich zu sagen.

»Tessa ist bei dir?« Er zögert kurz. »Lass sie von mir grüßen.« Dann macht er weiter mit seinem Vortrag: »Also, um noch einmal auf unser Kurs-Gewinn-Verhältnis zurückzukommen …«

»Siehst du?«, sagt Tessa triumphierend zu Lissy. »Sogar Molly kennt das.«

Moment mal, was soll das denn heißen? Sogar Molly kennt das.

Als wäre ich Lieschen Müller, die keine Ahnung von gutem Sex hat – jetzt mal vorausgesetzt, Bondage hat etwas mit gutem Sex zu tun.

»Schön, von mir aus. Und was ist es nun?« Lissy ist jetzt neugie­rig geworden.

»Also gut, hör zu …« Tessa rückt näher an sie heran, um dann leise flüsternd und gestenreich auszuführen, worum es sich bei diesen Spielchen handelt.

Ungünstigerweise textet Frank mich inzwischen weiter mit seinem Statistikkauderwelsch voll, sodass ich nicht mitbekomme, welche Geheimnisse die beiden da austauschen. Ich sehe nur, wie Lissy große Augen macht und immer wieder nickt, und als Tessa fertig ist, wirkt sie auf einmal ziemlich … begeistert?

Schön langsam wird mir das Ganze ein bisschen zu verwirrend.

»Okay, Frank, hör zu«, unterbreche ich ihn. »Wir sollten das in aller Ruhe besprechen. Wie dringend ist es denn, ich meine, wann hättest du Zeit?«

»Es ist ziemlich dringend, da die Aktionärsversammlung schon in zwei Wochen ist«, meint er. »Und Zeit hätte ich sofort, falls es dir passt. Zufälligerweise habe ich sogar am Nachmittag in der Nähe von eurem Laden einen Termin.«

»Okay …« Ich werfe einen Blick auf die Uhr und überlege. »Dann würde ich sagen, wir treffen uns gleich nach dem Mittagessen in unserer Cafeteria«, schlage ich vor. »Bei der Gelegenheit können wir auch den neuen Kaffee testen, den wir jetzt im Sortiment haben, es soll der beste der Welt sein.«

»Der beste der Welt? Na, ich bin gespannt!«

Nach dem Gespräch kann ich mich endlich wieder der an­­geregten Diskussion meiner Freundinnen widmen, doch an­­scheinend sind sie bereits durch mit ihrem Thema. Tessa nickt zufrieden, und Lissy hat einen Schimmer in den Augen, den ich nicht richtig deuten kann.

»Und, meine Lieben?« Ich klatsche in die Hände und sehe sie erwartungsvoll an. »Hab ich was versäumt?«

Lissy antwortet: »Nein, hast du nicht … nachdem du das ja schon kennst.«

»Was kenne?«, frage ich begriffsstutzig.

»Na, Bondage.« Sie sieht mich versonnen an. »Wobei ich mir das bei dir und Philip irgendwie gar nicht vorstellen kann.«

»So, meinst du?« Jetzt bin ich es, die ein bisschen rot anläuft. An dieser Stelle wäre es vielleicht ganz hilfreich zu wissen, wovon zum Teufel wir da überhaupt reden. Andererseits, Tessa hat ge­­sagt, dass das jeder kennt, also kann es doch nicht so schlimm sein. Aber sicherheitshalber ergänze ich: »Mit Philip mache ich das auch nicht, ich kenne es nur … von früher.«

»Von früher?«, wiederholt sie mit aufblitzenden Augen. »Ach, du meinst mit Frederic. Hätte ich mir eigentlich denken können – nachdem ihr schon das ganze Kamasutra durchhattet.«

Genau, das Kamasutra. Oder zumindest, was Frederic, mein Schweinebacke-Ex, darunter verstand. Allein beim Gedanken daran steigert sich die Grundspannung meiner Muskeln.

»Äh, ja, genau.« Ich stemme mich von meiner Liege hoch. »Wie auch immer, Lissy, du solltest jedenfalls dringend eine Pause einlegen, sonst machst du dich noch kaputt.«

»Ja, du hast recht.« Sie nickt merkwürdig widerspruchslos, während ihr Blick suchend über das Nachbarsgrundstück gleitet. »Vielleicht lade ich mir Manfred für den Abend ein.«

»Oh nein, bitte nicht«, stöhnt Tessa auf. »Dann geht das Gegrunze wieder los.«

»Ich kann auch gerne meine Paragrafen durcharbeiten, falls dir das lieber ist«, kommt es schnippisch von Lissy zurück. »Wie wär’s zur Abwechslung mal mit ein bisschen Strafrecht? Das hatten wir noch nicht.«

»Bloß nicht!«, winkt Tessa ab. »Dann schon lieber Manfred. Aber weißt du was? Mir ist das sowieso egal, weil ich heute Abend ausgehe.«

»Ach ja, und mit wem?«, frage ich.

»Mit … jemandem, den ihr noch nicht kennt. Er ist schwerreich und so ganz nebenbei wesentlich jünger als Frank. Und er besitzt einen Fußballclub in England«, ergänzt sie. »Du kannst Frank übrigens ruhig davon erzählen. Du triffst dich doch mit ihm, oder nicht?«

Ah, daher weht der Wind.

Ich nicke.

»Ja, um eins in der Cafeteria.«

»Worum geht es dabei?«, will Lissy wissen.

»Nichts Besonderes, bloß der übliche Geschäftskram«, antworte ich. »Nächste Woche ist Aktionärsversammlung, und dafür müssen wir noch ein paar Zahlen durchgehen.«

»Die müssten eigentlich ziemlich befriedigend sein, oder? Soviel ich gehört habe, kommen deine Neuerungen bei den Kunden extrem gut an.«

»Das stimmt, die Geschäfte laufen hervorragend«, bestätige ich. »Also, dann bis später.« Ich will mich vom Acker machen.

»Einen Moment, Molly«, lässt Tessa sich vernehmen.

»Ja?«, frage ich.

»Du bist uns noch eine Antwort schuldig«, behauptet sie.

»Eine Antwort?«, frage ich verwirrt.

»Ja, wir wollten wissen, warum du und Philip nicht endlich heiratet, schon vergessen?«

»Oh, das …« Verdammt, jetzt hat sie mich doch noch festgenagelt. »Also, eigentlich ist es wegen …« Ich zucke die Achseln. »Ich will unbedingt reinen Tisch machen, bevor wir heiraten«, erkläre ich.

»Reinen Tisch machen? Inwiefern?« Auch Lissy ist jetzt neugierig geworden.

Zum Beispiel, dass ich einen fetten Lottogewinn gemacht habe und das bis zum heutigen Tag niemandem erzählt habe, schießt es mir durch den Kopf. Ehrlich, dieser Schuh drückt mich gewaltig, aber je länger das nun her ist, desto schwieriger wird es, damit herauszurücken. Ich meine, ich habe es ja nicht nur Philip verschwiegen, sondern auch Lissy und Tessa, die doch meine allerbesten Freundinnen sind, ja nicht einmal meine eigenen Eltern wissen davon.

Aber vor allem Philip. Ein lebenslanger Bund zwischen zwei Menschen sollte auf gegenseitigem Respekt und vorbehaltloser Ehrlichkeit basieren, das ist meine feste Überzeugung, wie also kann ich ihm das dann verheimlichen?

Und ich habe auch schon den perfekten Plan dafür. Philip ist doch Selfmademillionär, das heißt, dass er früher in der ganzen Welt herumgekommen ist und mit allen möglichen Leuten seine Geschäfte gemacht hat. Das wiederum kann eigentlich nichts anderes bedeuten, als dass es auch in seiner Vergangenheit das eine oder andere dunkle Geheimnis geben muss. Folgerichtig brauche ich nur noch abzuwarten, bis er in einem plötzlichen Anfall von Vertrauensseligkeit mit irgendeinem gewaltigen Geheimnis herausrückt. Wer weiß, vielleicht hat er vor Jahren einmal einen Staatsstreich in einer Bananenrepublik finanziert oder Unsummen am Finanzamt vorbeigeschleust, oder er hat eine uneheliche Tochter mit einer japanischen Mezzo­sopranistin oder so was in der Art, und dann könnte ich ganz einfach sagen: »Ach, das ist ja wie bei mir damals mit meinem­ Lottogewinn …«, und wir würden herzhaft darüber lachen, und das Problem wäre gelöst.

Bloß, von Philip kam bisher nichts. Die Geschichten, die ich aus ihm herauskitzeln konnte, waren allesamt harmlos, jedenfalls nichts im Vergleich zu einem verheimlichten Lottogewinn.

Lissy und Tessa sehen mich immer noch erwartungsvoll an. Also bastle ich mir schnell etwas zurecht, das der Wahrheit am nächsten kommt.

»Ihr wisst ja, wie das ist, Philip hat eine bewegte Vergangenheit, und da würde ich gerne noch das eine oder andere erfahren, bevor wir den Bund fürs Leben schließen, und vielleicht interessiert ihn ja auch das eine oder andere aus meiner Vergangenheit.«

»Ich bitte dich, Molly! Philip ist Millionär, und mehr braucht eine Frau von einem Mann nicht zu wissen«, weist Tessa mich zurecht.

»Was gab es denn in deinem Leben Besonderes?«, will dagegen Lissy wissen.

»Na ja, das Übliche …« Anderthalb Mille im Lotto, von denen ihr nichts wisst, zuckt es mir schon wieder durch meinen Kopf. »Aber hauptsächlich geht es um Philip.« Ich sehe demonstrativ auf meine Uhr. »Wie auch immer, ich muss mich auf die Socken machen. Bis später!«

Als ich mich wegdrehe und gehe, höre ich noch von Lissy: »Ach, übrigens, Tessa, eines musst du mir unbedingt noch verraten: Was ist eine Budapester Beinschere?«

Okay. Sollte mich jemand fragen, ob ich das auch kenne, werde ich garantiert nicht mit Ja antworten, so viel steht schon mal fest.