Dr. med. Christoph Schöbel
Dr. med. Alfred Wiater

Wie Sie zu Ihrem gesunden
Schlaf-Wach-Rythmus finden

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1. eBook-Ausgabe 2021
© 2021 Scorpio Verlag in Europa Verlage GmbH, München
Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München
Lektorat: Helene Weinold-Leipold
Layout und Satz: Danai Afrati

Konvertierung: Bookwire

ePub-ISBN: 978-3-95803-336-8

Alle Rechte vorbehalten.
www.scorpio-verlag.de

Inhalt

Biologische Rhythmen in der aufgeweckten Gesellschaft

Fahrplanprobleme

Das Abenteuer Schlaf

Die Schlaf-Kindlein-Schlaf-App

Schlaflos in Bielefeld

K(l)eine Schlafschule

Irrtümer rund um den Schlaf

Einschlafroutine und Schlafumgebung

Markenzeichen Schnarchen

Wie man sich ernährt, so schallt es heraus

Expeditionen ins Irreale

Erst zappeln die Beine, dann der ganze Philipp

Mit Vögeln durch die Nacht

Nickerchen zur falschen Zeit

Licht macht glücklich

Die müden Schlafmythen

Das Wichtigste in Kürze

Test: Schlafe ich richtig?

Tipps für einen guten Schlaf

11 Fragen als Wegweiser zu einem natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus

Literaturhinweise

Die Autoren

Biologische Rhythmen in der aufgeweckten Gesellschaft

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser, haben Sie gut geschlafen? Haben Sie ausschlafen können, oder hat der Wecker Sie geweckt? Anders gefragt: Sind Sie von selbst aufgewacht oder sind Sie aufgeweckt worden?

Und damit sind wir auch schon beim Thema. Sprachlich gilt jemand als aufgeweckt, der clever und pfiffig ist. Sind Sie das, wenn sich morgens der Wecker meldet? Sicher nicht, Wecker sind die schlimmsten Schlafkiller. Allein schon der Gedanke daran, dass morgens der Wecker klingeln wird – oder was auch immer –, hindert manchen am Ein- und Durchschlafen. 83 Prozent der arbeitenden Bevölkerung benötigen an Werktagen einen Wecker. Das bedeutet, dass sie in Wirklichkeit morgens länger schlafen möchten. Wecker verursachen regelmäßigen Schlafentzug und gefährden dadurch unsere Gesundheit. Man denke an all die gesellschaftlichen Folgekosten. Aus gesundheitspolitischer Sicht müssten Wecker als gesundheitsschädlich verboten werden. Je nach Schlafphase, aus der uns der Wecker abrupt herausreißt, sind wir am frühen Morgen mehr oder weniger schlaftrunken und orientierungslos. Sobald wir unsere Restmüdigkeit mit dem ersten Kaffee überlistet haben, werden wir allmählich wach, aber aufgeweckt sind wir deswegen noch lange nicht. Erst wenn wir nach und nach unseren Tagesrhythmus gefunden haben, werden wir fitter, aber ob wir aufgeweckt sind, wenn wir aufgeweckt werden, darf man doch sehr bezweifeln.

Da fragt man sich: Wie tickt eigentlich unser Wecker? Tickt unser Wecker so wie wir? Schön wär’s. Unser Wecker diktiert uns die Uhrzeit, nach der wir uns zu richten haben. Sei es die Sommer- oder die Winteruhrzeit, sei es die Uhrzeit, die unsere sozialen und beruflichen Aktivitäten vorgibt. Unser Wecker tickt anders als unsere innere Uhr, die unseren Tag- und Nachtrhythmus steuert. Je mehr unsere innere Uhr und der Wecker auf unserem Nachttisch voneinander abweichen, umso größere Probleme haben wir. Zu frühes Aufstehen bedeutet für die meisten von uns, dass wir in ein Schlafdefizit rutschen, das uns zu schaffen macht. Wir leben ständig im sozialen Jetlag. Das ist so, als würden wir jede Nacht voller Erwartung eine Urlaubsreise antreten, dann aber vom Chef wieder zurückbeordert werden, bevor wir das ersehnte Ziel erreichen. Und der Arbeitsalltag geht weiter. Da kann von Erholung keine Rede sein, im Gegenteil: Wir sind frustriert, erschöpft und haben schlechte Laune. Nur wenn es gelingt, unsere biologischen Rhythmen und die Vorgaben der Uhrzeit zu koordinieren, geht es uns einigermaßen gut.

Was steckt dahinter? Zum einen ticken wir nicht richtig, weil unsere innere Uhr einen Tag-Nacht-Rhythmus von im Durchschnitt 24 Stunden und 11 Minuten vorgibt. Das bedeutet, dass wir jeden Tag 11 Minuten kompensieren müssen, um uns an die Uhrzeit anzupassen. Unsere innere Uhr gibt uns nämlich einen circadianen Rhythmus vor, also einen Rhythmus, der keineswegs exakt 24 Stunden dauert, sondern nur ungefähr 24 Stunden (also circa einen Tag/circadian), der Durchschnitt ist länger als 24 Stunden. Aber es ist individuell sehr unterschiedlich, welche Abweichungen tatsächlich vorkommen. So hat jeder seinen eigenen circadianen Rhythmus, den er sein Leben lang beibehält.

Schauen wir auf die Naturzyklen: Legt man der Uhrzeitbestimmung die Dauer der Erdumdrehung um die eigene Achse zugrunde, so ergeben sich nur 23 Stunden, 56 Minuten und 4 Sekunden. Allerdings dauert es im Schnitt 24 Stunden, bis die Sonne auf ihrer scheinbaren Bahn von Höchststand zu Höchststand wandert. Dieser Zeitraum wird aufmunternd Sonnentag genannt. So erleben wir jeden Tag einen Sonnentag, auch wenn es regelmäßig dunkel wird. Der Begriff Sonnentag soll uns vielleicht so eine Art Grundoptimismus vermitteln, damit wir die dunklen Seiten des Lebens besser ertragen können.

Wenn man genau hinschaut, stimmt das mit den 24 Stunden pro Sonnentag allerdings auch nicht. Da kann es Abweichungen bis zu 30 Sekunden geben, die wir dann auch noch irgendwie verkraften müssen. Sie sehen, es gibt eine gewisse Unschärfe zwischen dem Rhythmus, den unsere innere Uhr vorgibt, und dem Rhythmus, der uns durch die Uhrzeit vorgegeben wird. Diese Unschärfe verfolgt uns durch unser ganzes Leben und scheint alle unsere Lebensbereiche zu betreffen. Schlimm nur für Perfektionisten, die mit den Unschärfen des Lebens nicht klarkommen. Sie müssen sich immer wieder selbst davon überzeugen (lassen), dass das Unvollkommene offensichtlich im Menschen systemimmanent ist. Aber das nur nebenbei.

Unsere innere Uhr tickt anders als die Uhren, die unsere Zeit bestimmen. Für unsere innere Uhr dauert ein Tag nämlich gemittelt 24 Stunden und 11 Minuten, also länger als die vorgegebenen 24 Stunden. Deshalb müssen wir unsere innere Uhr immer wieder mit der Uhrzeit synchronisieren, damit wir nicht aus der Zeit geraten.

Schauen wir vom 24-Stunden-Uhrzeittag auf unseren Jahreskalender, dann wird es richtig problematisch. Der stimmt nämlich vorne und hinten nicht. Unsere heutige Jahreszeitrechnung geht auf Papst Gregor XIII. zurück. Der wollte es nämlich nicht länger hinnehmen, dass das Datum des Osterfestes nicht mehr den kirchlichen Traditionen entsprach. Deshalb beschloss er im Jahr 1582, die Länge eines Jahres von zuvor 365,25 Tagen auf 365,2425 Tage zu verkürzen und die in den vorherigen Jahrhunderten angefallenen überflüssigen zehn Kalendertage auf einen Streich ausfallen zu lassen, damit das Osterfest künftig wieder der kirchlichen Tradition folgend gefeiert werden konnte. Da das Kalenderjahr mit 365,2425 Tagen aber immer noch länger ist als die Zeit, in der die Erde einmal die Sonne umkreist, musste noch ein wenig nachgebessert werden. Dafür gibt es die Schaltjahre.

Allerdings stimmt die Rechnung damit immer noch nicht. Deshalb fällt der 29. Februar in einigen Schaltjahren aus. So können wir uns in den Jahren 2100, 2200 und 2300 sowie 2500, 2600 und 2700 usw. darüber freuen, einen Tag weniger arbeiten zu müssen. Damit stimmt das Datum des Osterfestes wieder, was für eine Freude!

Natürlich fanden nicht alle die Idee von Papst Gregor – daher auch gregorianischer Kalender – wirklich gut, beispielsweise die Protestanten. Was haben die gemacht? Genau: Sie haben dagegen protestiert. Und zwar so heftig, dass es im beschaulichen Augsburg, das von Katholiken und Protestanten bewohnt wurde, fast zu kriegerischen Auseinandersetzungen gekommen wäre. Nach und nach hat sich aber der gregorianische Kalender durchgesetzt, wenn auch einige orthodoxe Kirchen ihre Festtage wie Weihnachten und Ostern noch immer nicht dem gregorianischen Kalender angepasst haben. Da hat sich der Widerstand gegen den Papst gehalten.

Bleiben noch die Monate. Auch bei der Festlegung der Monate ist ein wenig geschummelt worden. Ordnet man die Länge eines Monats der Umlaufzeit des Mondes um die Erde zu, dann müsste ein Monat 29,53 Tage dauern. Das ist der Zeitraum, nach dem der Mond jeweils wieder die gleiche Position zur Sonne einnimmt. Da die tatsächliche Monatsdauer praktisch nicht umsetzbar war und ist, musste etwas getrickst werden, um die Dauer der Monate ins Kalenderjahr zu packen. Fragen wir uns, ob der Mondzyklus auch eine direkte Bedeutung für uns Menschen hat?

Zumindest der monatliche Zyklus der Frau legt Zusammenhänge nahe, die aber wohl nur sprachlich begründet sind.

Letztlich ist es durch die gregorianische Kalenderreform gelungen, den Jahresverlauf einigermaßen mit unseren biologischen Rhythmen in Einklang zu bringen. Doch der weise Gregor ließ bei seiner Reform die wissenschaftlichen Grundlagen bedeutender Astronomen außer Acht. So hat der Vatikan die Tatsache, dass sich die Erde um die Sonne dreht, strikt geleugnet. Und der brillante Galileo Galilei hätte fast mit seinem Leben dafür bezahlt, als er dies behauptete, weil es nicht in die Lehre der Kirche passte. Er musste seine wissenschaftlichen Erkenntnisse vor der heiligen Inquisition 1633 widerrufen. Da sieht man, welche fatalen Folgen der Irrglaube haben kann. Immerhin hat der Vatikan Galilei schon 1992 rehabilitiert. Was sind schon ein paar hundert Jahre Irrglauben im Vergleich zur Ewigkeit!

Unser Jahresrhythmus entspricht nicht den natürlichen astronomischen Gegebenheiten. Deshalb muss er von Zeit zu Zeit neu justiert werden. Und wir müssen unsere biologischen Rhythmen daran anpassen.

Wenden wir uns nun von der Astronomie zur Physik: Die Entwicklung der Glühlampe im 19. Jahrhundert gilt als das Ereignis, das unsere innere Uhr gewaltig aus dem Takt gebracht hat. Endlich standen potentere Lichtquellen als Kerzen, Öllampen und Feuerstellen zur Verfügung. Unser Leben wird seitdem nicht mehr unmittelbar durch die Zeiten des Sonnenaufgangs und des Sonnenuntergangs beeinflusst. Endlich war es möglich, die Abende und Nächte individueller zu gestalten, und zwar unabhängig von der jeweiligen Jahreszeit. Schluss mit der allabendlichen Romantik im Kerzenschein.

Und der Schatten des elektrischen Lichtes reicht noch weiter. Die Voraussetzungen für die Nachtarbeit wurden damit geschaffen. Das hat der Industrialisierung mächtig Aufwind gegeben und unseren Wohlstand gefördert. So wurde aus der gelegentlichen Nachtwache die regelmäßige Nachtschicht. Aber zu welchem Preis? Unsere innere Uhr ist nicht darauf ausgerichtet, dass wir nachts aktiv sind. Unser Schlaf-Wach-Rhythmus kommt durcheinander, und das Resultat ist Schlafmangel mit Folgen wie körperlichen Erkrankungen, Beeinträchtigungen der Stimmung und erhöhten Unfallrisiken.

Natürlich tickt die innere Uhr nicht bei allen Menschen gleich. Insofern haben es Menschen, die von Natur aus eher zu den Nachteulen zählen, etwas leichter, nachts zu arbeiten. Die frühen Lerchen hingegen leiden unter den Nachtschichten umso mehr. Wenn die menschliche Arbeitskraft maximal ausgenutzt wird, um optimale Produktivität zu erzielen, dann wird es kontraproduktiv, weil die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Betroffenen bei Weitem mehr Kosten verursachen, als die industriellen Produkte an gesellschaftlichem Gewinn erbringen können – von den persönlichen Beschwerden ganz abgesehen. Dennoch fühlen sich viele Menschen genötigt, nachts zu arbeiten, weil die Nachtarbeit besser bezahlt wird und sie sonst keinen Monat finanziell über die Runden kommen würden.

Und dann kommt noch die private Lichtnutzung. Sie wird immer perverser. Der Grund ist, dass wir morgens, wenn wir natürliches Licht so dringend bräuchten, in viel zu dunklen Räumen sitzen und abends, wenn es schummrig werden sollte, die maximale Beleuchtung einschalten. So tragen wir selbst erheblich dazu bei, unseren Rhythmus durcheinanderzubringen. Kollateralschaden einer fortschrittlichen Entwicklung? Nein, denn wenn wir morgens eine halbe Stunde zu Fuß zur Arbeit gehen, tagsüber besseres Licht nutzen und abends wieder öfter Kerzenschein genießen, hilft das unseren biologischen Rhythmen, sich zu stabilisieren. Das gilt übrigens auch für unsere Kinder, die ab dem Alter von sechs Jahren durchaus ein paar hundert Meter Schulweg zu Fuß zurücklegen können, ohne das Elterntaxi zu nutzen. Auch das Klima wird davon profitieren. Ein Plädoyer für Bewegung, die Nutzung des natürlichen Tageslichtes und mehr Dunkelheit in der Nacht!

Die nächtliche Lichtglocke über unseren Städten hat nicht nur negative Auswirkungen auf unsere Gesundheit, sondern auch auf Flora und Fauna. Denken Sie an die vielen nachtaktiven Tiere, die in ihrem natürlichen Lebensrhythmus gestört werden. Das Insektensterben ist nur eine der fatalen Folgen. Wir verschließen uns auch den freien Blick in den Nachthimmel. Wenn man bedenkt, dass die Astronomie bereits vor Hunderten von Jahren dazu beigetragen hat, unser Leben zu strukturieren, wird klar, wie sehr uns die derzeitige nächtliche Lichtverschmutzung verblendet. Da wird der eine oder die andere in der Milchstraße schon mal die Orientierung verlieren. Vielleicht werden wir auch irgendwann die Milchstraße gar nicht mehr finden, weil sie in unseren Navigationssystemen nicht gelistet ist.

Das elektrische Licht und die Industrialisierung haben unseren Lebensrhythmus entscheidend verändert, aber das gilt noch stärker für die globale Digitalisierung. So wird die Zahlenkombination 24/7 mittlerweile nicht mehr mit einem erquicklichen Julitag verbunden, sondern mit der permanenten Erreichbarkeit rund um die Uhr. Daraus entsteht einerseits der ständige Druck, immer erreichbar zu sein, andererseits die faszinierende Chance, immer und überall im weltweiten Netz unterwegs sein zu können. Darauf sind unsere biologischen Rhythmen nicht eingestellt. Das wäre so, als würden Sie sieben Tage die Woche den ganzen Tag auf dem Laufband im Fitnesscenter verbringen. Das macht aber kein Mensch. Andererseits werden immerhin 135 Stunden Videospielen als Marathonleistung beschrieben. Ein Teilnehmer soll es sogar auf 160 Stunden am Stück gebracht haben. Mit geistiger Fitness jedenfalls kann das nichts zu tun haben, denn nach so langem Schlafentzug liegen unsere geistigen Kräfte darnieder. Was Geheimdienste als Foltermethode anwenden, wird für Langzeitplayer zur lukrativen Einnahmequelle. Da fragt man sich, wie E-Sport und E-Health miteinander in Einklang zu bringen sind. Wie wär’s mit regelmäßigen medialen Auszeiten? Gönnen Sie sich Ihrer Gesundheit zuliebe den Luxus regelmäßiger medialer Auszeiten. Das macht Sie für Ihre Chatpartner nur attraktiver. Niemanden im Netz interessiert es wirklich, was Sie rund um die Uhr so machen. Und seien Sie ehrlich: Sie interessieren sich doch auch nicht wirklich für jede Alltagsbanalität aus Ihrer WhatsApp-Gruppe.

Was die beruflichen Kontakte angeht, helfen klare Regeln für die Bearbeitung von E-Mails und die Zeiten der Erreichbarkeit. So haben Sie die beste Chance, die digitalen Medien Ihren Bedürfnissen entsprechend zu nutzen, ohne sich davon abhängig machen zu lassen. Das gilt auch für Gaming. Gaming ist übrigens der Name einer niederösterreichischen Marktgemeinde. Der Name geht zurück auf slawische Wurzeln und bedeutet so viel wie »der Steinerne«. Das sollte uns motivieren, alles dafür zu tun, damit wir vor unseren digitalen Medien nicht versteinern, geistig, psychisch und körperlich.

Unser Schlaf-Wach-Rhythmus wird in zweifacher Hinsicht durch die digitalen Medien beeinflusst. Zum einen schafft das Gefühl der permanenten Erreichbarkeit in uns einen erhöhten Stresslevel mit einer gesteigerten Erwartungshaltung für das, was kommen könnte, und mit erhöhter Anspannung, um bloß nichts zu verpassen. Zum anderen hindert uns das Bildschirmlicht, insbesondere dessen Blaulichtanteil, am Einschlafen. Das gilt auch und insbesondere für Kinder und Jugendliche.

Falsches Licht zur falschen Zeit hindert unsere innere Uhr daran, sich mit dem 24-Stunden-Tagesrhythmus zu synchronisieren. Die globale Digitalisierung birgt die Gefahr, unsere biologischen Rhythmen völlig aus dem Takt zu bringen, wenn wir uns keine medialen Auszeiten gönnen.

Fahrplanprobleme

Zug verpasst – shit happens. Das passiert, wenn wir uns nur nach unserer inneren Uhr richten. Zwar ist die Bahn redlich darum bemüht, durch Zugausfälle und Verspätungen auch unpünktlichen Menschen entgegenzukommen. Doch das führt nur zu Zufallstreffern.

Wenn es nur nach unserer inneren Uhr geht, kommt unser Rhythmus gründlich durcheinander, denn sie ist ja nicht auf den 24-Stunden-Tag, sondern auf längere Zeitintervalle abgestimmt. Dann kämen wir in einen sogenannten freilaufenden Rhythmus, der mit dem 24-Stunden/7-Tage-Rhythmus nur noch selten in Einklang steht. »Freilaufend« – das klingt so nach freilaufenden Hühnern, die im Gegensatz zu Hühnern in Käfighaltung selbst bestimmen, wann sie wohin laufen. Heißt das, wir sitzen quasi in einem Käfig? Na ja, in gewisser Hinsicht schon.

Unser Käfig wird begrenzt durch äußere Umgebungsbedingungen wie den Wechsel von Licht und Dunkel, Sonne und Mond, Ebbe und Flut. Dem sind wir ausgesetzt. Doch unser Käfig wird auch durch soziale Grenzen, wie Arbeits- und Schulzeiten, Freizeitverpflichtungen und Digitalisierungsfolgen limitiert.

Vielleicht bietet die globale Digitalisierung aber auch die Möglichkeit, unseren freilaufenden Rhythmus umzusetzen, da wir zu jeder Zeit mit irgendjemandem auf der Welt kommunizieren können, weil auch er wach ist. Das führt sicherlich immer wieder zu Zufallsbekanntschaften, die sich aber kaum koordinieren lassen.

Tatsächlich ist die Thematik zu einem spannenden wissenschaftlichen Forschungsgebiet geworden. Die Wissenschaftler bezeichnen sich als Chronobiologen, benannt nach Chronos, dem griechischen Gott der Zeit. Das »bio« in der Bezeichnung der Wissenschaftler bedeutet nicht, dass sie sich zu ökologischen Lebensformen bekennen, sondern steht als biologisch für die Lehre (logos) vom Leben (bios).

Aber was hat die Bahn nun mit der Zeit zu tun, außer dass sie sich häufig nicht an ihre Ankunfts- und Abfahrzeiten hält? Tatsächlich ist es der Bahn zu verdanken, dass wir seit dem 1. April 1893 – und das war offensichtlich kein Aprilscherz – eine Einheitszeit in Deutschland haben. Die Eisenbahngesellschaften waren es nämlich leid, in ihren Fahrplänen ständig für unterschiedliche Orte ortseigene Zeiten angeben zu müssen, um ihre Fahrgäste nicht ständig zeitlich zu verwirren. Eine logistische Herausforderung im prädigitalisierten Zeitalter! Da kommt zum ersten Mal das schöne Görlitz ins Spiel. Damals sprach man nämlich von der Görlitzer Zeit, die der mitteleuropäischen Zeit (MEZ) entspricht. Wäre der Begriff Görlitzer Zeit beibehalten worden, wäre die Stadt an der Neiße mit ihren imposanten Gründerzeitfassaden heute sicherlich (noch) gefragter, als sie es momentan ist. Allerdings hat die Stadt Görlitz nicht etwa aktiv dazu beigetragen, die Zeitrechnung zu revolutionieren. Sie wird vielmehr unsichtbar durchquert vom 15. Längengrad Ost, und ja, in Görlitz steht die Sonne mittags um zwölf Uhr am höchsten. Welch wundervolle Gunst der Natur. Deshalb können die Menschen in Görlitz immer noch so leben wie vor Beginn der Zeitrechnung. Wie urig ist das denn? Sind die Menschen dort deshalb noch besonders normal, oder sind sie etwa deshalb zu wenig anpassungsfähig? Dies wäre wissenschaftlich zu ergründen. Letztlich ist die Görlitzer Zeit auch heute noch für uns maßgebend, wenngleich sich inzwischen der Begriff Mitteleuropäische Zeit (MEZ) durchgesetzt hat. So ist das arme Görlitz aus dem Rampenlicht getreten.

Was für die Deutschen Görlitz ist, ist für die Briten das kleine Greenwich. Nach dem Londoner Vorort ist die Greenwich Mean Time (GMT) benannt, weil dort der nullte Längengrad durchläuft. Das wurde zumindest auf der internationalen Meridiankonferenz 1884 mit großer Mehrheit willkürlich so festgelegt. Frankreich hat sich damals enthalten. Wen wundert’s? Dabei hatte Großbritannien die Greenwich Mean Time bereits 1880 als gesetzliche Standardzeit bestimmt und ist bis heute stolz darauf. Für uns bedeutet das, dass wir die Uhren eine Stunde zurückstellen müssen, wenn wir von Deutschland aus den kurzen Flug auf die britische Insel antreten. Fast in allen anderen Ländern, abgesehen von Großbritannien und Westafrika, wird die gleiche Zeitzone als Westeuropäische Zeit (WEZ/WET, UTZC±0) bezeichnet.

Bei den Briten waren es übrigens nicht die Eisenbahnen, die zur Vereinheitlichung der Uhrzeit geführt haben, es war – wie könnte es anders sein! – die Schifffahrt. Das Leben auf der Insel ist nun mal anders. Unterscheidet sich die Identifizierung mit seinem Land etwa danach, ob man auf einer Insel oder auf dem Festland lebt? Auf jeden Fall könnte sich die geographische Abgrenzung infolge der Insellage auch abgrenzend auf das Denken und Handeln der dort lebenden Menschen auswirken. Könnte das den Brexit erklären? Während Großbritannien strikt an seiner Greenwich Time entsprechend der Westeuropäischen Zeit festhält, haben Frankreich und Spanien sich dafür entschieden, die Mitteleuropäische Zeit anzunehmen, obwohl einige Landesteile geographisch bereits in der westeuropäischen Zeitzone liegen.

Was bedeutet das für die im Westen des Landes lebenden Spanier? Sie gehen abends später zum Essen. Für die meisten Deutschen ist es ungewöhnlich, erst nach 21 Uhr zu Abend zu essen. Wenn wir in Spanien im Urlaub sind, beäugen wir etwas neidvoll die Einheimischen und bewundern sie wegen der Leichtigkeit ihres Umgangs mit der Zeit. Doch in Wirklichkeit machen die Spanier nichts anderes als wir. Sie essen nämlich ihrer inneren Uhr entsprechend. Durch die Festlegung der Zeitzonen leben die Menschen idealerweise dort, wo es 12 Uhr mittags ist, wenn die Sonne am höchsten steht. Da aber nun nicht alle in Orten wie Görlitz oder Greenwich leben können, lautet der Kompromiss, dass die Uhrzeit des Sonnenhöchststandes möglichst nur zwischen einer halben Stunde vor und einer halben Stunde nach 12 Uhr liegen sollte. Das gilt nun aber leider nicht für die westlichen Landesteile Spaniens. Dort beträgt die Abweichung fast eindreiviertel Stunden. Das heißt, dass die Sonne erst gegen 14 Uhr am höchsten steht. Unserer inneren Uhr entsprechend ist es dann erst 12 Uhr, und zur Abendessenszeit gegen 22 Uhr in Spanien tickt die innere Uhr erst bei 20 Uhr, also gehen die Spanier tatsächlich zur gleichen Zeit zum Abendessen wie wir in Deutschland.

Was sagt uns das? Zweierlei:

1. Unsere Uhrzeit ist entkoppelt von unserer inneren Zeit.

2. Unsere Uhrzeit ist durch die Festlegung von Zeitzonen staatlich verordnet.

Damit wären wir schon wieder beim Vergleich mit der Käfighaltung, oder sagen wir besser: Wir leben in einem Zeitkäfig. Hoffen wir darauf, dass Politikerinnen und Politiker uns nicht durch willkürliche Entscheidungen immer weiter von unseren natürlichen Lebensbedingungen entkoppeln!

daylight saving time