Über dieses Buch:

Im Konzertsaal trifft Sängerin Wanda stets den richtigen Ton – privat gelingt ihr dies eher selten: Sie hat eine ausgesprochen spitze Zunge, mit der sie genüsslich den Wahnsinn um sich herum kommentiert. Und zu dem gehören neben Probenstress und Konzertreisen-Chaos eindeutig die Herren der Schöpfung! Sollte ihr Traummann Kandidat 1 sein, der ihre Karriere beflügeln will, sich allerdings reichlich überschätzt? Oder Kandidat 2, der fantastisch Klavier spielt, aber genauso leidenschaftlich beleidigt sein kann? Oder Kandidat 3, der eine wahnsinnig erotische Stimme hat, mit dieser jedoch oft die falschen Sachen sagt? Nun muss Wanda sich entscheiden – denn natürlich kann sie unmöglich allen drei Herren eine Chance geben. Oder vielleicht doch?

»Hera Lind schreibt Romane, deren Lästerton die Herzen der stolzesten Frauen trifft.« Die Zeit

Über die Autorin:

Hera Lind, geboren in Bielefeld, studierte Germanistik, Theologie und Gesang. Sie machte sich europaweit als Solistin einen Namen und war 14 Jahre lang festes Mitglied des Kölner Rundfunkchores. Während ihrer ersten Schwangerschaft schrieb sie ihren Debütroman »Ein Mann für jede Tonart«. Dieser wurde sofort ein Bestseller und erfolgreich verfilmt – eine Erfolgsgeschichte, die sich mit zahlreichen Romanen wie »Das Superweib«, »Die Zauberfrau«, »Das Weibernest«, Kinderbüchern und Tatsachenromanen bis heute fortsetzt. Hera Linds Bücher wurden in 17 Sprachen übersetzt und verkauften sich über 13 Millionen Mal. Hera Lind ist Mutter von vier Kindern und lebt mit ihrer Familie in Salzburg.

Hera Lind veröffentlichte bei dotbooks bereits die Romane »Ein Mann für jede Tonart«, »Frau zu sein bedarf es wenig«, »Das Superweib«, »Das Weibernest«, »Die Zauberfrau«, »Der gemietete Mann«, »Hochglanzweiber«, »Mord an Bord«, »Der doppelte Lothar«, »Karlas Umweg« und »Fürstenroman« sowie die Kurzromane »Rache und andere Vergnügen«, »Gefühle und andere Katastrophen« und »Hunde und Herzensbrecher« sowie das Kinder- und Vorlesebuch »Der Tag, an dem ich Papa war«. Außerdem erschienen bei dotbooks die Doppelbände »Ein Mann für jede Tonart & Frau zu sein bedarf es wenig«, »Mord an Bord & Der doppelte Lothar« und »Das Superweib & Die Zauberfrau«.

Die Autorin im Internet: www.heralind.com

***

Originalausgabe April 2015

Copyright © 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: lüra - Klemt & Mues GbR

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Bildmotivs von shutterstock/Yulia von Eisenstein

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-136-7

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: info@dotbooks.de. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Drei Männer und kein Halleluja« an: lesetipp@dotbooks.de (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Hera Lind

Drei Männer und kein Halleluja

Roman

dotbooks.

Kapitel 1

»Nebenan ist besetzt.« Thomas Rischmüller hörte nicht auf, klangvoll das Klavier zu bearbeiten, während er kurz den kahl geschorenen Kopf in meine Richtung drehte.

»Warum können wir nicht in Raum 314?« Ich schob mich, noch keuchend von den drei Etagen durchs Treppenhaus, durch die Tür, zog die Nase hoch und den Mantel aus. Es roch nach modrigem Holz. »Der Flügel da drin ist doch tausendmal besser als diese alte Kiste hier!«

»Da singen sich drei Soprane ein.« Thomas ließ seine langen, dünnen Finger ungerührt weiter virtuos über die abgegriffene Tastatur des braunen Kleinklaviers flitzen, das Raum 313, unsere muffige Übezelle, zierte. Die spärliche Funzel, die von der Decke hing, spiegelte sich in Rischmüllers Glatze.

Ich drückte mein Ohr lauschend gegen die Wand. Der Gesang von der anderen Seite klang panisch, um nicht zu sagen grauenvoll. Drei Sopranstimmen übertönten einander in schrillem Geschrei.

Eine jammerte, eine wimmerte, und eine rief immer obertonreich »Hibiskusblüte!«, als könne sie damit den grauen Januartag in ein Blumenmeer verwandeln.

»Wofür singen die sich ein?« Hastig kramte ich in meiner Manteltasche nach einem Taschentuch und schneuzte hinein.

»Vakanzvorsingen bei einem Profi-Ensemble.« Thomas Rischmüller zauberte einen schwierigen Chopin auf die vergilbten Tasten und grinste mich dabei mit genauso vergilbten Zähnen an. Sogar aus dem alten Kasten konnte er wunderschöne, anmutige Töne hervorlocken. Fast tat es mir leid, ihn dabei zu stören.

Wenn er jetzt noch schön gewesen wäre, dann wäre ich ihm für den Rest meines Lebens verfallen. Aber das war er leider nicht. Nicht im mindesten. Er war noch nicht einmal ansehnlich. Oder appetitlich. Oder wohlriechend. Doch was tat das zur Sache, er war ein hochbegabter Pianist an dieser Musikhochschule, und wir hatten jetzt Korrepetition. Meine Lieblingsstunde. Ich durfte singen, was ich wollte, und der geniale Rischmüller begleitete mich willig, kompetent und zuverlässig.

»Hauptsache, du hast Zeit für mich.« Ich lächelte so lieb und herzlich, wie es mir beim Anblick von Thomas Rischmüllers dünner Gestalt, modischen Verirrungen (orangefarbenes, kurzärmeliges Hemd, selbstgestrickter Pullunder und ausgebeulte Cordhosen in Herrenpink), Glatze und dentaler Großbaustelle gelang.

»Für dich hab ich immer Zeit.«

Wir probten. Ich vergaß alles um mich herum. Die übliche Seligkeit ergriff von mir Besitz. Wenn ich singen durfte, geriet mein Gemüt in einen Schwebezustand und flog irgendwo im Nirgendwo mit weit ausgebreiteten Schwingen in eine grenzenlose Seligkeit.

»Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus …«

Ich war eine gute Sängerin. Aber nur ohne Publikum. Ein bisschen wie Dustin Hoffman als autistischer Rain Man, der von sich sagt: Ich bin ein guter Fahrer. Aber nur in der Auffahrt.

Wenn mir jemand zuhörte, erfasste mich ein derart gewaltiges Lampenfieber, dass ich glaubte, zu ersticken. Dann übermannte mich die nackte Panik, und ich rang verzweifelt nach Luft wie jemand, der gerade ertrinkt. Wochenlang vor einem öffentlichen Konzert ging es mir miserabel. Ich wachte nachts schweißgebadet auf, und eine Panikattacke nach der anderen rollte über mich hinweg wie riesige Lawinen. Tagsüber begann mein Herz zu rasen, sooft ich an das bevorstehende Konzert dachte, also eigentlich ständig, und drohte mir polternd aus dem Mund zu fallen.

Als Sängerin war ich damit aus dem Rennen. Dies hier waren meine letzten wundervollen privaten Stunden, in denen ich – ohne Publikum – selbstvergessen singen durfte. Vor Rischmüller fürchtete ich mich nicht. Er ließ seine langen Finger in mächtigem Moll über die Tasten gleiten, und ich badete selbstvergessen im Klang meiner dunklen Stimme. Es war eine süßlich-schwere Dvořák-Arie, und sie lag mir im Munde wie ein süßlich-schweres Nougatbonbon. Man hätte meinen können, Dvořák habe sie extra für mich geschrieben –was natürlich unmöglich war, weil Dvořák schon lange tot war. Und ich war bloß eine unscheinbare Musikstudentin aus einer ostwestfälischen Kleinstadt. Die Straßen der Reihenhaussiedlung, in der ich aufwuchs, tragen alle Insektennamen. Ich hatte im Borkenkäferweg gewohnt.

Nein, Dvořák hatte gewiss nur schwermütige böhmische und russische Sängerinnen gekannt, die ihre kalten Hände in Muffs vergruben, bevor sie auf dem Diwan an Tuberkulose starben. In Opern sterben Sängerinnen ja gern an Schwindsucht, während die Tenöre nicht einmal auf die Idee kommen, ihnen ihr durchgeschwitztes Wams überzuwerfen. Lieber singen und schwitzen sie weiter und wundern sich, wenn die Sängerin am Ende tot ist.

Ich selbst war aber schon tot, bevor ich überhaupt öffentlich singen musste – vor Auftrittsangst. Da hatte ich mich bereits vorher selbst verdaut. Drei Wochen vor einem Auftritt zog ich in der Toilette ein und kam nicht mehr heraus. Geschweige denn konnte ich irgendeine Form von Nahrung bei mir behalten.

Tja, da hatte Gott mich mit einer schönen Stimme und einer überdurchschnittlichen Musikalität gesegnet, auch mit einer unglaublichen Begeisterung für klassische Musik – schon mit acht Jahren konnte ich die Bach-Arien und Schubert-Lieder von den Schallplatten meiner Mutter singen –, aber was half’s: Ich traute mich nicht, sie solo irgendjemandem vorzusingen!

Außer Thomas Rischmüller.

Und davon kann man letztlich nicht leben.

Einmal war ich in der Aula meiner Schule bei einem Schulkonzert öffentlich gestorben, und fortan wollte ich nie wieder vor ein Publikum treten.

Meine Mutter sagte daraufhin ganz richtig, ich solle lieber in den Schuldienst gehen. Damit könne ich nichts falsch machen. Das Lehrerdiplom hatte ich schon in der Tasche. Und eine Stelle an einer Gesamtschule in Mörsenbroich. Dort würde ich mir über kurz oder lang meine schöne ausgebildete Stimme vor Kindern aus dem Hals schreien, die ihre Aggressionen an Orffschen Instrumenten und meinem Trommelfell auslassen würden.

Tja. Dahin hatte mein Lampenfieber mich getrieben.

Man kann auch nicht Zirkusartistin werden, wenn man nicht schwindelfrei ist. Oder Bademeister, wenn man sich nicht traut, ins Wasser zu springen.

Aber noch hatte ich mein Stipendium nicht verjubelt – im wahrsten Sinne des Wortes. Noch ein Semester lang durfte ich an meinem Jodeldiplom basteln. Dann hatte ich etwas Eigenes. Das konnte ich mir dann ans Knie nageln.

Kind, werde du Lehrerin, hatte meine Mutter mich immer auf dem Teppich zu halten versucht. Dann hast du etwas Solides und lernst vielleicht auch mal einen gediegenen Mann kennen. Die ganze Singerei bringt dir gar nichts. Das ist nur was für Traumtänzer und eitle Spinner. Eine brotlose Kunst. Am Ende tingelst du von einem drittklassigen Theater zum anderen und erfrierst schließlich auf einem Diwan. Und bilde dir ja nicht ein, dass du die Carmen singen kannst. Dazu hast du gar nicht die Ausstrahlung, geschweige denn den Sex-Appeal.

Nein. Klar. Wo sollte ich den auch her haben? Aus dem Kirchenchor?

Ich war eine Vorstadtpflanze aus dem Borkenkäferweg. Das würde ich auch immer bleiben.

Also hatte ich ihr versprochen, zu Beginn des nächsten Schuljahres mit dem Traumtanzen aufzuhören und eine gediegene Lehrerin zu werden. Mit Kleinwagen und praktischer Allwetterjacke, mit meinem Kräutertee in der Aktentasche und soliden Schnürschuhen. Ganz deutlich sah ich mich schon jeden Morgen in meine Parklücke auf dem Lehrerparkplatz fahren, bevor ich im Nieselregen hinüber zu dem mit Parolen beschmierten Schulcontainer ging, immer darauf bedacht, den Horden von Jugendlichen nicht provozierend in die Augen zu sehen. Ich würde die 40 Jahre im Schuldienst schon rumkriegen.

Kapitel 2

Als der letzte Ton meiner Dvořák-Arie verklungen war, hatte ich eine Gänsehaut. Vielleicht war ich ein bisschen gerührt von mir selbst. Vielleicht war ich einfach nur traurig, dass mein mühsam erarbeitetes Repertoire bald schon im Nichts versickern würde. Kein Schwein in Mörsenbroich würde sich je für eine Dvořák-Arie interessieren.

Tagtraum nahe Zukunft: »Na, wie findet ihr den Dvořák?«

Meine Schüler: »Boah ey! Von wem redet die? Von unserm Hausmeister?«

Ich: »Aber so hört doch wenigstens einmal zu, ich singe die Arie persönlich, ganz ohne CD-Player!«

Meine Schüler: »Boah ey, voll krass die Alte, kann der einer mal den Saft abdrehn?«

Bei meinen zukünftigen Schülern konnte ich schon froh sein, wenn wir Danke für diesen guten Morgen zur Gitarre hinkriegen würden. Und wahrscheinlich war diese Erwartung bereits zu hoch. Die Erkenntnis traf mich mit grausamer Deutlichkeit, und eine tiefe Wehmut erfasste mich. Das Rischmüllersche Nachspiel verhallte. Ich kramte erneut nach meinem Taschentuch. Schade eigentlich, das mit der Gesamtschule.

Aber Kind, da bist du verbeamtet!, hörte ich meine Mutter rufen. Bitte bilde dir nicht ein, du könntest als Sängerin dein Geld verdienen! Bleib auf der sicheren Seite! Und denk an den gediegenen Mann! Du willst ja auch mal Kinder haben, das geht doch als Sängerin nicht! Oder willst du die von Kleinstadttheater zu Kleinstadttheater mitzerren? Und wer soll auf die aufpassen? Und wie willst du dich bei Stimme halten, bei dem Stress? Und wie wird dein armer Mann das finden?

Rischmüller starrte mich begeistert an. »Das liegt dir wahnsinnig gut in der Stimme, du!«

Ich schaute angelegentlich auf meine mäßig geputzten Winterstiefel. »Findest du?« Spontan kam mir ein Lied von Hugo Wolf in den Sinn: Wofür soll ich singen? Ich weiß es nicht … Ich blinzelte etwas Feuchtes in meinen Augen weg.

Von nebenan ertönten die kläglich-panischen Einsingversuche der drei Damen vom Grill. Es klang eher schrill. »Hibiskusblüte!«, schrie eine von ihnen unverdrossen in den höchsten Tönen. Sie war eine Meiser-Schülerin. Frau Professor Meiser ließ alle ihre Schülerinnen »Hibiskusblüte!« schreien, um den perfekten Nasenbein–Schläfen-Oberton-Stimmsitz zu erreichen.

»Warum schreien die so?«, fragte ich, um zu überspielen, dass ich mit den Tränen kämpfte. »Werden die gleich auf dem Schafott von ihren Qualen befreit und verstummen für immer?«

»Die muss ich gleich beim Vorsingen für das Klassisch-TV-Ensemble begleiten.«

»Du Armer«, sagte ich und vergaß meinen eigenen Kummer. »Die klingen, als hätten sie Presswehen oder Gallenkoliken.«

»Nee, die versuchen, ihre persönliche Bestform zu erreichen«, erwiderte Thomas Rischmüller grinsend und drehte sich auf seinem Klavierhocker vollends zu mir um. »Da geht`s schließlich um was. So eine Vakanz ist eine begehrte Stelle!« Er kratzte sich an der Glatze.

Dass andere Sängerinnen auch aufgeregt waren, war Balsam für meine Seele. Trotzdem. Die versuchten es wenigstens. »Klassisch-TV?«, fragte ich ratlos. »Der Fernsehsender?«

»Es gibt ein Fernsehballett, ein Fernsehorchester und einen Fernsehchor bei Klassisch-TV«, erklärte Thomas Rischmüller. »So eine Stelle ist wie ein Sechser im Lotto. Von 300 Bewerbern nehmen die einen.« Er angelte mit der freien Hand nach seiner roten Pudelmütze und setzte sie auf. »Wenn da mal eine Stelle vakant wird, flippt die halbe Hochschule aus. Alle wollen diesen Job. Der ist krisenfest und richtig gut bezahlt. Aber da bist du halt für den Rest deines Lebens im Ensemble.« Er sah mich von schräg unten an. »Das ist ja nichts für dich. Denn du wirst Solistin, bei deiner satten Röhre.« Er musterte mich einen Moment lang wohlwollend und fügte dann hinzu: »Und bei deinem Aussehen.«

Ja, in der Gesamtschule in Mörsenbroich, dachte ich. Es war besser, Rischmüller nichts von meinen Plänen zu erzählen. Denn dann würde er sich nicht mehr so viel Mühe mit mir geben, das war klar. Auch meine verehrte Professorin und ihres Zeichens weltberühmte Königin der Nacht, Kammersängerin Hella Glanz, ahnte nichts von meiner Lehrerstelle in Mörsenbroich, wo ich eher das Aschenputtel des Tages sein würde. Sie wäre gewiss entsetzlich enttäuscht und würde sich ebenfalls nie wieder Mühe mit mir geben. Nein, ich würde noch ein brillantes Konzertexamen ablegen, und dann für immer schweigen.

Wir musizierten die Arie noch einmal. Rischmüller gab ein langsameres Tempo vor, und ich versuchte, mich auf das schwermütige Moll zu konzentrieren.

Komisch. Von der Existenz eines solchen Profi-Ensembles hatte ich wirklich noch nie gehört. Neben drittklassigen Kleinstadttheatern und jämmerlichem Beamtendasein in der Gesamtschule hatte es in meinem bescheidenen Borkenkäferleben bisher keine andere Dimension gegeben.

Möglich, dass mein Herz anfing zu klopfen. Möglich, dass die paar Gehirnzellen, die gerade Dienst hatten, sich mühsam von ihren Holzbänken erhoben und ihre eingerosteten Muskeln lockerten. Wenn dem so war, dann taten sie es im Dunkeln.

Mein Über-Ich herrschte mich an, ich solle mich jetzt konzentrieren. Mein Ich wog ab, man könne doch mal seine Fühler ausstrecken, und mein Es begann wie verrückt auf und ab zu hüpfen, wie ein Kind im Kindergarten.

Draußen verdüsterte sich der Himmel, und dicke schwarzgraue Wolken ballten sich am milchig-trüben Firmament. Der Tag war schrecklich trostlos. Es dämmerte bereits, um kurz vor vier. Wenn man zu den Straßenlaternen schaute, die gerade zu leuchten begannen, sah man winzige Tropfen sprühen. »Gefrorne Tropfen fallen von meinen Wangen ab … ob es mir denn entgangen, dass ich geweinet hab?«

Ach Schubert, ach Winterreise! Wer von meinen Schülern wird sich je dafür begeistern?

»Komm doch mit!«, schlug Thomas Rischmüller beiläufig vor, als er nach unserer Übestunde seinen Mantel anzog und sich einen Schal um den Hals knotete. Ich war gerade richtig gut eingesungen und fand es schade, dass wir nun nicht auch noch den schwermütigen Brahms proben konnten. Den hatte ich extra auswendig gelernt. O Tod, wie bitter bist du. Ich liebte solche traurigen Lieder. »Wenn an dich gedenket ein Mensch, der gute Tage und genug hat und ohne Sorgen lebet, und dem es wohl geht in allen Dingen und noch wohl essen mag … O Tod, o Tod, wie bitter bist du!«

»Wieso?«, fragte ich. »Findet das Vorsingen nicht hier im Konservatorium statt?« Ich hatte gar keine Lust auf die graue, trübe Dämmerung da draußen. Lieber wollte ich noch ein bisschen allein im Schwebezustand meines Kummers in Moll verharren.

»Nein, aber wir gehen nur rüber ins Fernsehstudio«, versuchte Thomas Rischmüller mir die Sache schmackhaft zu machen. »Das Vorsingen ist mit Kamera. Deshalb sind die Damen da drüben auch so aufgeregt.« Er grinste. »Die müssen ja auch auf die Optik achten. Selbst wenn man im Ensemble im Prinzip nur im Hintergrund steht, sollte man doch halbwegs telegen sein.«

»Ach so, ja klar«, sagte ich. »Gut, dass ich da nicht hin muss.«

»Ist nicht weit. Nur einmal durch den Hauptbahnhof.«

»Und was soll ich da?«, fragte ich unwillig. Eigentlich wollte ich noch mal die Vier ernsten Gesänge von Brahms singen. Oder Lieder von Richard Strauss …

Wie ich das liebte! All das würde ich bald nicht mehr haben, denn kein Schüler einer Gesamtschule interessierte sich dafür. Höchstens für Deutschland sucht den Superstar. Boah ey voll krass ey. Es war zum Verzagen.

»Kannst ja mal zuhören.« Thomas schnappte sich seine Aktentasche und verließ Raum 313, der inzwischen ein bisschen nach Schweiß und feuchten Wollmänteln roch.

»Meinetwegen«, murmelte ich unentschlossen. »Wenn`s nicht zu lange dauert!«

»Sicher nicht«, entgegnete mein Repetitor, der sich offensichtlich Hoffnungen auf einen netten Abend mit mir in einer Kneipe machte. »Von den dreien kommt wahrscheinlich keine in die zweite Runde.«

Du bei mir aber auch nicht, dachte ich, während ich meinen Mantel anzog und den Dvořák zu seinen Kollegen Brahms und Strauss in meinen Rucksack stopfte.

***

Wenig später taperte ich seufzend hinter den drei aufgedrehten Sopranhühnern her, die mitsamt ihrem pudelbemützten Gockel Thomas Rischmüller die Straße hinaufstöckelten und aufgeregt schnatterten. »Hibiskusblüte!«, schrie die erste in den dunklen Januarhimmel. Trüber Schneeregen war die Antwort.

Die drei trugen Kostümchen, feine Schühchen und Täschchen voller Noten. In dieser Aufmachung flatterten sie durch den Hauptbahnhof und am Kölner Dom vorbei, dessen zwei Türme majestätisch und grauschwarz in den grünlich-dämmrigen Himmel ragten. Sie beachteten diesen wunderbaren, leicht gespenstisch anmutenden Anblick jedoch nicht, sondern umrundeten fröstelnd und trippelnd ein paar Rollerblader, die trotz der Minustemperaturen auf der Domplatte ihre Sprünge übten. Dann bogen sie gackernd rechts ab und verschwanden in einem grauschwarzen Gebäude. Eine Drehtür verschluckte sie und spuckte sie auch nicht mehr aus. Das war also der berühmte Sender Klassisch-TV! Meine Mutter guckte den immer. Und ihre Nachbarin Frau Heideprecht.

Während ich noch überlegte, ob ich jetzt nicht unauffällig im U-Bahn-Schacht verschwinden und mich zu meiner warmen, gemütlichen Wohnung begeben sollte, um mir dort ganz allein mit einer wundervollen Strauss-CD meinen Weltschmerz von der Seele zu singen, kam Thomas Rischmüller wieder heraus und rief: »Was ist, kommst du?« Er hatte sich mit der Drehtür einmal um sich selbst gedreht. Im wörtlichen Sinne war er mit der Tür ins Haus gefallen und hatte sich extra wegen mir wieder ins Freie katapultieren lassen.

Was sollte ich machen?

Artig hoppelte ich also hinter Thomas Rischmüller durch die Drehtür, wobei er mir unabsichtlich auf die Fersen stolperte und »Huch, ist das eng!« kicherte. Die Drehtür wischte mit ihrem grünen Filzbelag Dreck über den Boden.

Drinnen im Foyer war es dämmrig, schummrig-warm und hölzern-heimelig. Ein uralter Paternoster tuckerte stetig vor unseren Augen in die Höhe, man sah gerade noch ein Paar braune Halbschuhe unter artig gebügelten, beigefarbenen Hosen verschwinden. Ich betrachtete sie froh. Das waren sicher die dahinschwebenden Beine eines Nachrichtensprechers oder Wetteransagers. Bestimmt las der gleich die Fünf-Uhr-Nachrichten, und Mutter konnte ihn sehen.

Welch spannende Wendung des Nachmittags!

»Für die Sopranvakanz noch jemand?«, hörte ich eine schneidende Stimme fragen und fuhr herum.

Eine Art Blockwart mit exakt gezogenem Seitenscheitel und gezwirbeltem Schnäuzer im feisten Gesicht blickte sich aus eng stehenden Augen suchend um. Er strahlte Unnahbarkeit und Machtbewusstsein aus, und ich fürchtete mich gar sehr. Er war aus einer Tür gekommen, über der in roter Leuchtschrift »Sendesaal 2 – Achtung Aufnahme, RUHE« stand.

»Sie?«

Er zeigte doch nicht etwa auf mich? Mir rutschte das Herz in die Hose. O Gott, nein, ich meine, wie sehe ich denn aus, ich habe seit heute Morgen in keinen Spiegel mehr geschaut …

»Nein«, flüsterte ich ehrfurchtsvoll. »Ich bin nur so mitgekommen.«

Der Blockwart warf mir einen vernichtenden Blick zu.

»Also, sonst noch jemand?«

»Meine drei Mädels sind noch mal ganz schnell ihre Näschen pudern«, zwitscherte Thomas Rischmüller, doch sein Versuch eines lockeren Scherzes verpuffte.

Die drei Hibiskusblütenhühner waren zum Klo gelaufen, eine Treppe runter, gleich neben der Kantine.

Von wegen Näschen pudern, dachte ich grausam. Jede legt noch schnell ein Ei, und dann kommt der Tod herbei.

Die Erste kam soeben wieder, räusperte sich und schritt dann wild entschlossen mitsamt Blockwart und Thomas Rischmüller in den Saal. Die schalldichte Tür schloss sich, und ich konnte nicht einen Ton vernehmen, so sehr ich auch lauschend mein Ohr an dieselbe drückte.

»Autsch!« Jemand begehrte grob Auslass, und ich bekam die Klinke ins Gesicht.

Hastig trat ich drei Schritte zurück und hielt mir das schmerzende Nasenbein.

Ein korpulenter, bebrillter Mann kam aus Sendesaal 2, streifte mich mit einem desinteressierten Blick und steckte sich bereits im Türzufallenlassen eine Zigarette an. Von wegen »Entschuldigung, junge Frau« oder »Haben Sie sich weh getan?«

Er ließ sich schlurfenden Schrittes durch die Filzstaub mitschleifende Drehtür ins Freie spülen und verschwand wie selbstverständlich in der gegenüberliegenden Kneipe. Man sah ihm an, dass ihm dieser Weg – raus aus dem Sendesaal, rein in die Drehtür, raus aus der Drehtür, rein in die Kneipe - in Fleisch und Blut übergegangen war, so wie einer Hausfrau das Öffnen und Schließen der Waschmaschine oder einem Tankwart das Abnehmen und Einstecken der Zapfpistole.

Der Bebrillte hatte den Eingang zur Kneipe präzise getroffen.

Blödmann, dachte ich. Bestimmt war das der hauseigene Klavierspieler, der ja nun wegen des Gastauftritts von Thomas Rischmüller nicht mehr gebraucht wurde. Der ging jetzt einen trinken. Viel Lebensfreude strahlte der Kerl nicht aus. Und irre gespannt auf das Vorsingen der drei möglichen neuen Kolleginnen schien er auch nicht zu sein.

Nachdem die erste Vorsängerin sehr bald wieder herausgekommen war und aus ihrem stark geschminkten Schnabel kein Wort hatte fallen lassen, trippelten auch die beiden anderen nacheinander in den Sendesaal und kehrten nach weniger als drei Minuten zurück. Keine sprach mit mir. Keine rief mehr »Hibiskusblüte«. Alle starrten blutleer und freudlos in ihre Noten, als könnten sie nachträglich ein besseres Ergebnis aus ihnen herausschütteln.

So. Und das sollte alles gewesen sein. Jetzt aber heim in meine gemütliche Wohnung, dachte ich. Noch bin ich gut bei Stimme. Ich brannte darauf, meinen Brahms zu singen. »Denn es gehet dem Menschen wie dem Vieh; wie dies stirbt, so stirbt er auch.« Klasse!

Der amtlich blickende Blockwart erschien erneut. Durch die zufallende Tür sah ich eine bunte Schar von Menschen in vier Reihen hocken und grinsend die Köpfe zusammenstecken. Brot und Spiele, dachte ich. Die haben bestimmt Spaß.

»Und Sie singen für die Altvakanz vor?«, fragte er schneidend.

Mich wunderte, dass er mich nicht anbrüllte. Hacken zusammen und stillgestanden, wenn ich mit Ihnen rede!

»Nein«, erwiderte ich bang und griff nach meinen Utensilien. »Wie schon gesagt, ich bin nur so mitgekommen.«

Die eine Sopranistin schneuzte sich heulend in ein Taschentuch. Oje. Die war wohl durchgefallen.

»Was ist mit der zweiten Runde?«, fragte die zweite, die schon selbstbewusster war. »Wie gesagt, ich habe noch die Gilda und die Pamina und das Blondchen drauf.«

Das war lustig, denn es passte zu ihrer wasserstoffblond gefärbten Haarpracht. »Ich habe das Blondchen drauf. Ich könnte aber auch mal das Braunchen oder das Schwarzchen aufsetzen, vielleicht klappt es dann!«

Der Blockwart sang indes nicht »Ob blond, ob braun, ich liebe alle Frau’n!«, wie das Johannes Heesters an seiner Stelle getan hätte, sondern schnarrte: »Danke, wir haben einen Eindruck.«

Thomas Rischmüller kam rotfleckigen Gesichtes und schweißgebadet aus der Tür geschossen. »Los, jetzt du!«

»Wie? Ich?« Ich zeigte ratlos auf meine Brust, während ich mich gleichzeitig suchend umsah.

»Ja, Mensch, jetzt mach schon! Sonst bin ich blamiert! Ich hab die drei Mädels schließlich hier angeschleppt«, zischte Thomas, während er mich an den Schultern fasste und in den Sendesaal schob. Auf einem Podium stand ein schwarz glänzender Flügel. Verdattert stolperte ich die drei Stufen hinauf und wandte mich schwach protestierend zu Rischmüller um: »Aber ich …«

Vielleicht erwachten jetzt doch ein paar meiner schlafenden Gehirnzellen und rieben sich erstaunt die Augen. Mag auch sein, dass die eine der anderen zuflüsterte: Was für eine Chance! Hintern zusammenkneifen und durch! Das ist das letzte Mal, dass man dir freiwillig zuhört! Los! Sing! Hibiskusblüte!

Ich hatte noch nicht mal mehr Zeit, nervös zu werden.

Jedenfalls nicht sehr.

Immerhin waren etwa 40 Personen im Saal anwesend. Die geweihten Klassisch-TV-Ensemblemitglieder! Ich kniff die Augen zusammen. Kannte ich die nicht aus dem Fernsehen? Hatte ich sie nicht kürzlich bei einem Brahms-Requiem gesehen? Oder war es das Verdi-Requiem oder Beethovens Neunte gewesen?

Doch darüber zu spekulieren blieb keine Zeit. Das Klassisch-TV-Ensemble wollte was hören. Lauernd wie die Geier hockten die Mitglieder da und starrten mich abwartend an. Manche grinsten amüsiert, andere taten betont gelangweilt. Eine Frau mit rostroten Haaren in der ersten Reihe schaute demonstrativ auf die Uhr und murmelte sauer: »Isch muss ja noch den Zuch nach Erkelenz kriegen.« Eine andere mit Pagenschnitt gähnte. Eine Schaufensterpuppe links außen feilte sich die Fingernägel. Ein rotgesichtiger Mann in der letzten Reihe lugte kurz hinter seiner Zeitung hervor, bevor er sie geräuschvoll umblätterte. Zwei halbwegs gut aussehende jüngere Männer in der vorderen Reihe schätzten offenbar ungeniert meine Körbchengröße. Eine Art hyperaktiver Klassenkasper warf ein Radiergummi knapp an meinem Ohr vorbei.

Na toll. So viel freundliches Interesse. Da kann man ja nur sein Bestes geben.

Meine Gehirnzellen standen da, Hand in Hand, und riefen im Chor: Zeig es ihnen! Mach sie alle! Sing den Dvořák!

Kind, tu es nicht, sagte mein Über-Ich mit fester Stimme. Geh an die Gesamtschule Mörsenbroich.

Eine fiese, hinterhältige Panikattacke schlich sich von hinten an und legte mit eisenhartem Klammergriff ihre eiskalten Hände um meinen Hals. Darauf hatte ich nur gewartet. Gleich würde sie mir die Luft abdrücken! Gleich würde ich ohnmächtig werden. Die Gesichter verschwammen vor meinen Augen.

»Das ist jetzt noch die Frau …?«, sagte der Blockwart, der suchend in seinen Unterlagen blätterte.

»Wanda Zapf«, warf Thomas Rischmüller hastig ein. »Sie steht nicht auf der Liste.«

»Warum nicht?«, blökte der Blockwart. Na, der war wirklich schwer von Begriff. Ich hatte ihm doch mehrfach versichert, dass ich gar nicht vorsingen wollte!

»Mein Name ist so weit hinten im Alphabet, dass er meistens von Listen runterpurzelt«, versuchte ich einen Scherz, woraufhin einige Chormitglieder lachten und die Panikattacke sich kurzfristig zurückzog. Thomas fing einfach an zu spielen, und ich fing einfach an zu singen.

Du hast nichts zu verlieren, spornten meine Gehirnzellen mich an. Nur den Container in Mörsenbroich!, rief mein Ich. Und das Es hampelte übermütig vor mir herum und krähte: Stell sie dir alle in Unterhosen vor! Das tat ich, obwohl es mit dem schwermütigen Inhalt meiner Arie schlecht zu vereinbaren war. So versuchte ich möglichst überzeugend, auf einem Diwan zu erfrieren, das funktionierte immer ganz gut. Auch wenn ich vor Aufregung und Angst eher schwitzte. War das etwa eine Kamera, die da so blinkte? War sie etwa auf mich gerichtet? O Gott, sie würde doch nicht bemerken, dass ich … Hatte ich wirklich diese ungeputzten Winterstiefel an? Mit den Schneematschresten? Für ein Vorsingen beim elitären Klassisch-TV-Ensemble? Ich musste doch wohl wahnsinnig sein! Diesen leidenschaftlichen Wahnsinn mischte ich dem Dvořák bei. Thomas am Flügel gab alles. Mit geschlossenen Augen half er mir sehr einfühlsam beim Sterben. Wenn ich überhaupt etwas bemerkte, dann das: Stimme - sitzt. Frisur - sitzt nicht. Panikattacke - drückt sich im Hintergrund herum. Hat sich verflüchtigt. Greift nicht wieder an. Ich schaffe es! Ich halte durch! Ich ersticke nicht! Und wenn, dann gehört das zum Stück!

Aus den Augenwinkeln sah ich einige Leute die Köpfe zusammenstecken und tuscheln. Kicherten sie etwa? Im besten Falle diskutierten sie über meinen gewöhnungsbedürftigen Namen. Im schlimmsten Falle über mein ganz und gar fernsehuntaugliches Outfit.

Eigentlich war es schon eine Frechheit, so vor ihre Augen – und das Auge der Kamera! – zu treten. Ich nahm mir vor, Rischmüller nachher mal so richtig eine reinzuhauen. Ich hätte mich wenigstens noch schminken können. Und die Schuhe putzen. Und kämmen. Mensch, ich war durch den Schneeregen geschliddert!

Als ich meinen Dvořák zu Ende geröhrt und Thomas noch ein paar Mollkadenzen als Nachspiel hinterhergeschickt hatte, brummte plötzlich eine volltönende Bassstimme von hinten links in die Stille: »Was haben Sie uns noch mitgebracht?«

Ich räusperte mich verlegen. »Also, mitgebracht habe ich eigentlich nur das, was ich im Rucksack habe …« Dabei kam ich mir vor wie Knecht Ruprecht.

»Sie hat noch die Vier ernsten Gesänge von Brahms«, sprang Thomas mir hilfreich bei. »Und die Kindertotenlieder von Mahler.« Er kratzte sich an der Glatze. »Und die Vier letzten Lieder von Richard Strauss.«

Tja, liebe Freunde. Ich war eben irgendwie immer das Letzte. Schon mein Nachname hatte mich als Schulkind stets in die letzte Reihe geschickt. Heiteres hatte ich leider nicht im Gepäck. Weder Ich bin die Christel von der Post noch Ich lade gern mir Gäste ein. Ich musste immer schwere, reuevolle, dramatische, ernste Gesänge singen. Obwohl ich im Grunde meiner Seele ein heiterer, unbeschwerter Mensch bin, kam mir nie eine Kantate mit einem fröhlichen Halleluja über die Lippen.

»Ich wandte mich und sahe an alle, die Unrecht leiden unter der Sonne«, sagte Thomas Rischmüller aufmunternd. »Das hat sie auswendig drauf.«

»Können Sie etwas Höhe zeigen?«, kam es von der Bassstimme.

Ich fasste mir ratlos an den Hals. »Also, ehrlich gesagt …« Die Panikattacke pirschte sich schon wieder heran. Schadenfroh grinsend legte sie ihre kalten Hände um meinen Hals und begann mich zu würgen.

»Gewiss doch«, dienerte Thomas Rischmüller eiligst und schlug mir das Lied vom Tod auf.

»O Tod, wie bitter bist du. Das geht immerhin bis zum hohen Fis.«

Wie gut, dass ich das für unsere heutige Probe auswendig gelernt hatte!

»Wenn an dich gedenket ein Mensch, der gute Tage und genug hat«, sang ich und bemerkte dabei, dass die Frau mit den rostroten Haaren wieder sauer auf die Uhr sah. Den Zug nach Erkelenz konnte sie sich jetzt abschminken. »O Tod, wie wohl tust du dem Dürftigen!«

Als auch dieser traurige Gesang verebbt war, sah ich einige Köpfe im Saal nicken.

»Wir hätten noch die Kindertotenlieder von Mahler«, wiederholte Thomas Rischmüller. Bevor ich überhaupt überlegen konnte, wie die noch mal gingen, sang ich schon: »Wenn mein Mütterlein tritt zur Tür herein …« Das ging runter bis zum tiefen G. Ich mischte meinem traurigen Gesang viel Bruststimme bei.

»Die Zapf geht ja ab wie ein Zäpfchen«, brummte jemand mit rabenschwarzem Bass aus der hinteren Reihe, gefolgt von sattem Gelächter. Einige von den jüngeren Männern wurden rot. Eine beflissen blickende Dame aus der ersten Reihe, die einen Teebeutel durch ihren Pappbecher zog wie ein unartiges Kind an den Ohren, zischte Tadelndes nach hinten.

»Immerhin singt sie für den zweiten Alt vor«, warf der Klassensprecher mit der tiefen Stimme, der hier offenbar das Sagen hatte, ernsthaft ein. »Die Tiefe sitzt ganz profund.«

Ja, bei dir aber auch, mein Lieber, dachte ich.

»Sie singt sauber und hat kein Tremolo«, gab die Frau mit den rostroten Haaren und dem rheinischen Akzent zu bedenken und wandte sich zum Gehen. »Dat hatten wir hier lange nicht mehr. Also, den 18 Uhr 08 nach Erkelenz könnte isch gerade noch kriegen, wenn isch renne …«

»Setz dich!«, zischte ihre Nachbarin, eine breitschultrige Dame mit Pferdehaaren. »Jetzt haben wir endlich mal brauchbares Material, und du denkst nur an deinen Zug nach Erkelenz!«

»Das ist Dienst«, schnarrte der Blockwart von rechts. »Vorsingen ist Dienst, und du hast bis 18 Uhr Dienst

Es war fünf vor sechs.

Oh. Sie stritten doch nicht etwa wegen mir?

»Also, von mir aus können Sie gern gehen«, sagte ich schüchtern, »ich will Sie nicht weiter -«, aber der Blockwart brachte mich mit einer wegwischenden Handbewegung zum Schweigen.

»Können Sie vom Blatt singen?«

Mir gefror das Blut in den Adern. Sie … wollten mich? Ich sollte … also war ich jetzt … Die Panikattacke hob eine Axt, um mir den Schädel zu spalten.

»Also, eigentlich bin ich nur so mitgekommen …«, murmelte ich mit ersterbender Stimme und schaute bänglich fragend zu Thomas Rischmüller hinüber, der sich mit seinen langen Fingern begeistert über die drei blonden Härchen auf seinem Kinn strich, die er wahrscheinlich für einen Bart hielt und aus denen er nachts bestimmt heimlich einen Zopf flocht.

»Natürlich kann sie vom Blatt singen«, kiekste er nun aufgeregt. »Sie hat ein Stipendium und ist Meisterschülerin von Frau Professor Hella Glanz. Sie macht Ende des Jahres ihr Konzertexamen.«

Ich überlegte, ob es sinnvoll war, wissend zu nicken und hinzuzufügen, dass ich meiner Mutter versprochen hatte, nach dem Examen sofort eine Lehrerstelle an einer Gesamtschule anzunehmen. Irgendwie spürte ich, dass diese Bemerkung destruktiv wirken könnte, also schluckte ich sie mitsamt meinem Kloß im Hals herunter.

»Wenn Sie bitte draußen warten würden«, sagte der Sonore mit dem wohltönenden Bass freundlich. »Wir haben hier kurz etwas zu besprechen.« Dienstbeflissen sprang der Blockwart herbei, hielt mir auffordernd die Tür auf und schickte mich mit einer ruckartigen Kopfbewegung hinaus.

Der wäre eigentlich viel besser für die Kinder in der Gesamtschule geeignet, dachte ich. Da gäbe es keine langen Diskussionen.

Erschöpft sank ich in die zerschlissene grüne Polsterecke mit Blick auf einen übel riechenden Dreh-Aschenbecher auf einem zerkratzten Glastisch.

Was war denn das jetzt gewesen? Ich hatte für eine Altvakanz vorgesungen? Im Klassisch-TV-Ensemble? Von dessen Existenz ich vor zwei Stunden noch nicht gewusst hatte? Was mochte das bedeuten?

Die Panikattacke hatte sich davongeschlichen, nur mein wummerndes Herzklopfen und eine unbeschreibliche körperliche Erschöpfung waren übrig geblieben. Ich kann mir vor, als hätte ich gerade einen Dreitausender bestiegen.

Meine völlig überforderten Gehirnzellen standen immer noch Hand in Hand in meinem Hinterkopf und nickten. Warte mal ab, Wanda, warte mal ab. Wer weiß, wozu das gut war. Musste Muttern ja nicht sagen.

Aber wir hatten abgemacht, sagte mein rechthaberisches Über-Ich hitzköpfig, dass ich die Beamtenstelle in Mörsenbroich …

Genau in diesem Moment kam der hauseigene Klavierspieler aus der Kneipe getaumelt, fädelte sich mit erstaunlicher Wendigkeit in die Drehtür ein, wischte den Bodenstaub einmal im Kreis herum und glitt auf meiner Seite wieder heraus. Donnerwetter. Das war Millimeterarbeit. Das machte der nicht zum ersten Mal. Ohne mich eines Blickes zu würdigen, drückte er seine Zigarette neben mir im Aschenbecher aus und verschwand in eben jenem Saale, aus dem man mich gerade hinauskomplimentiert hatte. Mit roten Ohren schlüpfte nun Thomas Rischmüller heraus. »Sie wollen dich! Kannst du dir das vorstellen?«

»Nein.«

»Ist das denn zu fassen?« Er hüpfte wie ein Kasper vor mir auf und ab. »Ich habe es doch gewusst!«

»Aber was ist mit den Hibiskusblüten? Ich meine, die wollten doch wirklich …«

»Die sollen es nächstes Jahr noch mal versuchen«, erklärte Thomas Rischmüller und riss sich die Pudelmütze von der Glatze. »Du sollst jetzt noch was vom Blatt singen. Sie suchen gerade ein modernes Stück aus, das du nicht kennen kannst. Ich warte dann in der Kantine auf dich.«

Der kalte Schweiß brach mir aus.

Die Panikattacke schoss erneut aus dem Hinterhalt hervor und umklammerte mit Eisenfingern meine Lungenflügel, die daraufhin zu platzen drohten. Ich starrte Rischmüller mit offenem Mund an.

»Mensch, Wanda!«, sagte er. »Das kannst du doch! Du hörst doch absolut!«

»Nein! Ich höre absolut NICHTS!«

Das stimmte. In meinem Kopf summte und surrte es, meine Gehirnzellen schrien alle durcheinander. Zeig’s ihnen! – Jetzt scheiß doch auf dein Lampenfieber! – Du hast sechs Semester lang Solfège gemacht. - Komm, e-Moll hörst du doch auch immer, besonders bei Südwind!

Mein Über-Ich dagegen sagte freundlich, aber bestimmt: Vom Blatt singen ist vergleichbar mit freihändig Fahrrad fahren. Wenn man in der Spur bleibt, kann es gutgehen. Wenn nicht, knallt man kopfüber in den Rinnstein.

Mein Über-Ich konnte wirklich sehr witzig sein.

Die Tür flog auf und der Blockwart schoss heraus. »Sind Sie so weit?«

»Natürlich«, antwortete Thomas Rischmüller.

»Na dann mal los«, sagte der Blockwart schon eine Spur versöhnlicher. »Sie sind heute die Einzige, die überhaupt in Frage kommt. Also enttäuschen Sie uns nicht. Aber beeilen Sie sich. Wir haben nur noch drei Minuten Dienst.«

Aber ich will doch gar nicht in Ihr blödes Ensemble, wollte ich wimmern, ich will ja nach Mörsenbroich, sonst gibt’s Ärger mit meiner Mutter, die kennen Sie noch nicht, aber ich kenne sie, und das nicht zu knapp, die sitzt jetzt im Borkenkäferweg am Klavier und unterrichtet die Kleinstadtjugend … Doch da packte mich der Blockwart buchstäblich am Schlafittchen und schob mich wieder an den Flügel.

40 Augenpaare starrten mich an. Den Zug nach Erkelenz würde niemand mehr erreichen. Ich fühlte mich der rostrothaarigen rheinischen Frohnatur und den anderen gegenüber schuldig. Die Sendesaaluhr zeigte 17:57. Noch drei Minuten. Drei Minuten, die über mein weiteres Leben entscheiden würden. Jetzt bloß nicht darüber nachdenken! Die Panikattacke hockte grausam grinsend hinter den Notenpulten. Oder waren es die Ensemblemitglieder, die so grausam grinsten?

Am Flügel saß, ganz wie ich vermutet hatte, der hauseigene Klavierspieler, der bis eben noch in der Kneipe gewesen war. Er leckte an seinem Finger, blätterte die Noten um und schien auf der Suche nach einer passenden Stelle zu sein.

»Unser Herr Gutknecht wird Ihnen gern das A geben«, brummte der Klassensprecher mit der wohltönenden Sarastro-Stimme gönnerhaft.

Na, da wäre ich mir nicht so sicher, wollte ich sagen. Der wird mir gar nichts geben. Und schon gar nicht gern. Noch nicht mal einen Blick, geschweige denn ein aufmunterndes Lächeln gönnt der mir.

»Sie können sicher verstehen, dass wir für diese letzte Prüfung lieber jemand Neutralen nehmen und nicht Ihren eigenen Begleiter.« Der Klassensprecher lachte jovial und tief, als er mein bestürztes Gesicht sah. »Der würde Ihnen womöglich helfen, und das wollen wir doch nicht!« Er ließ seinen Worten eine profunde Bass-Lache folgen. Hohoho. »Wir haben hier ein Stück für Sie, das wir gerade selbst proben. Eine Auftragskomposition für das Klassisch-TV-Ensemble. Requiem für eine Zahnbürste. Ein zeitgenössisches, nicht ganz unschwieriges Werk.«

Jemand drückte mir ein Notenblatt in die Hand. Mit Entsetzen registrierte ich, dass dieses Stück von einem durchgeknallten Selbstverwirklicher im Wahn komponiert worden sein musste. Es sah so aus, als hätte jemand seinen Aschenbecher über dem Notenblatt ausgeleert. Vielleicht hatte er auch einfach nur Tinte oder tote Fliegen darauf gekippt.

Georg Friedrich Hanselmann lautete der Name des Genialen, und sein Werk hieß vollständig: Requiem für eine Zahnbürste – Sieben Klangräume im Mundraum.

Der Vorname des Meisters – Georg Friedrich – ließ mich kurzzeitig noch an das Gute im Menschen glauben, denn der von mir hochverehrte und gern gesungene Händel hat lauter übersichtliche Arien komponiert, die ich sicher irgendwie bewerkstelligt hätte, solange keine Koloraturen darin waren.

Aber bei diesem Machwerk handelte es sich um eine sinnlose Aneinanderreihung von schaumigen Tönen und gurgelnden Geräuschen.

»Also bitte. Können wir?«, sagte der Blockwart ungnädig und schaute auf die Uhr. Er war nicht der Einzige im Raum, der sich dieser liebenswerten Geste befleißigte. Einige packten sogar schon ihre Taschen.

Herr Gutknecht gab mir mit dem Finger, an dem er gerade noch geleckt hatte, ein A. Es hallte kläglich und nackt von den schalldichten Wänden des Sendesaales wider. Die Kamera ging an. Das rote Auge blinkte. O Gott. Die filmten das doch nicht ernsthaft? Ich wollte versinken. Ich fühlte mich wie in Unterwäsche auf dem Laufsteg. Nackt, armselig, dem Gespött der Menschheit preisgegeben.

Kind, so wirst du dich vor deinen Schülern jeden Tag fühlen. Da ist es gut, wenn du schon mal übst, belehrte mich mein Über-Ich. Du darfst es einfach nicht persönlich nehmen.

Mein Blick irrte hilfesuchend zu Herrn Gutknecht, aber der kritzelte gerade mit einem Bleistiftstummel in sein Kreuzworträtsel.

Wollte er mir etwa keinerlei weitere Anhaltspunkte geben?

Nein. Offensichtlich nicht. Er tat so, als gäbe es mich gar nicht. Als stünde ich nicht vor Angst schlotternd einen Meter von ihm entfernt und flehte ihn mit Blicken um Hilfe an.

Na, dann eben nicht.

Der erste Ton war ein tiefes As. Ich oktavierte also und setzte noch einen Halbton drunter. Getroffen. Dann kam ein Tritonus nach oben, eine Quart, dann eine Quintole mit fünf völlig zusammenhanglosen Tönen zwischen dem hohen Fis und dem eingestrichenen Es, dann eine Triole, eine überpunktierte Halbe auf Fes (hä?), dann ein langgezogenes Bbbbrrrrr in Quietschhöhe – hier schien die Zahnbürste zur Hochform aufzulaufen –, und dann »röcheln, keuchen, hinten im Gaumen, wie ein Sterbender«.

Letzteres kam meiner Stimmung sehr entgegen.

Ich schusterte mir diesen Quatsch zusammen und röchelte in verschiedenen Tonhöhen. Wenn die Kamera nicht deutlich sichtbar vor meiner Nase geblinkt hätte, wäre ich mir sicher gewesen, dass es sich nur um einen Scherz mit der versteckten Kamera handeln konnte.

Nachdem ich mich durch das ganze Notenblatt gestöhnt, gebrummt, gequietscht, gezischt und geröchelt hatte und mir die Spucke schon am Kinn hinunterlief, schaute ich schuldbewusst auf. Ein schiefes Grinsen konnte ich mir nicht verkneifen. »Die Zahnbürste ist tot.«

»Na bitte«, sagte zu meiner Überraschung der Blockwart.

»So ähnlich klingt das, wenn es fertig ist.«

»Für vom Blatt gesungen janz juht«, bemerkte die Frau, die wegen mir ihren Zug nach Erkelenz verpasst hatte.

»Die Zapf hat’s ja voll drauf«, kommentierte eine Männerstimme, gefolgt von bollerigem Gelächter aus mehreren Sängerkehlen. Hohoho!

»Na ja, so ungefähr«, sagte ich verlegen. War das, was da auf dem Notenblatt stand, etwa wirklich so gemeint?

»Haben Sie schon öfter moderne Musik gesungen?«

Nein, wollte ich sagen. Noch nie. Ich spiele auch nicht Golf, falls Sie mir weitere bescheuerte Fragen stellen wollen. Ich schlage nachts meinen Kopf auch nicht auf die Fensterbank, um meine Albträume loszuwerden. Ich stricke auch keine Klopapierersatzrollenmützen für die Hutablage. Eigentlich bin ich ganz normal.

»Oh«, hauchte ich stattdessen, weil die Sache anfing, mir Spaß zu machen. »Moderne Musik ist meine Leidenschaft.«

Stimmte ja auch. Richtig tolle, fetzige Mucke. Jazz und Pop und Rock und so.

»Wie alt sind Sie?«, fragte der Blockwart, der solcherlei Informationen ja nicht in seiner Liste fand.

»24«, antwortete ich wahrheitsgemäß.

Offensichtlich waren darob alle erstaunt.

»So jung!«, raunte es anerkennend durch die Reihen. Und dann kann sie schon Noten lesen, freihändig stehen und sich allein die Schuhe zubinden!

»Abstimmung!«, rief jemand, und der sonore Klassensprecher komplimentierte mich erneut zur Tür hinaus. Immerhin war er so freundlich, selbige aufzuhalten und mir zudem ein wirklich nettes Lächeln zu schenken. Oder sollte dieses joviale Augenzwinkern so etwas wie ein … Flirtversuch sein? Merkte er denn nicht, dass ich vor Adrenalinstößen schier zu zerbröckeln begann?

Wieder sank ich in die grüne Sitzgarnitur, wo ich etwa eine Minute lang reglos verharrte.

Dann wurde ich wieder hereingewunken.

Auch der Blockwart zwinkerte nun verschwörerisch.

»Einstimmig«, verkündete der Klassensprecher und klopfte mir anerkennend auf die Schulter. »Sehr schön. Hohoho.«

»Ja, wie jetzt …?«

»Sie hören von uns«, fuhr er freundlich fort. »Sind Sie kurzfristig abkömmlich?«

»Nein, ich wandere morgen nach Australien aus und heirate dort einen entfernten Cousin aus Paderborn.«

Zu meiner Überraschung lachten alle.

»Die ist nicht auf den Mund gefallen …«

Ich lächelte unsicher.

»Wäre auch keine gute Voraussetzung für diesen Job …«

Die Kamera blinkte nicht mehr und wurde weggerollt. In der hinteren Studioecke wurde ihr ein Mäntelchen übergeworfen. So, schlaf schön, Kamera.

»Morgen zehn Uhr«, murmelte Herr Gutknecht, der Korrepetitor, wobei er niemanden anblickte. Dann rollte er seine Bild-Zeitung zusammen und watschelte ohne weiteren Gruß aus dem Raum.

Wahrscheinlich bedeutete dies: »Danke für die gute Probe, und euch allen noch einen schönen Abend.«