Das Buch
Neues aus der ungewöhnlichsten Wohngemeinschaft der Welt. Das kommunistische Känguru und sein stoischer Mitbewohner Marc-Uwe trumpfen auf. Das Känguru lässt sich zum Papst ausrufen, gründet eine Anti-Terror-Organisation und erzählt Anekdoten aus der Zeit, als es noch in der Punkband Die kranken Schwestern gesungen hat. Es erklärt die Welt, hat neue Geschäftsideen und verstrickt sich in einen Kleinkrieg mit dem neuen Nachbarn, einem Pinguin. Marc-Uwe denkt sich seinen Teil dazu. Zwei außer Rand und Band. Frisch, frech und völlig absurd.
»Wer schon einmal mit einem Känguru zusammengelebt hat, wird begeistert sein. Alle anderen werden staunen. Sehr, sehr lustig!«
Horst Evers
»Zum Totlachen und Klugwerden.«
Musikexpress über Die Känguru-Chroniken
»Dieses Tagebuch über ein revolutionäres Känguru ist in Sachen Satire womöglich das Beste, was der deutschsprachige Büchermarkt derzeit zu bieten hat.«
Basler Zeitung über Die Känguru-Chroniken
Der Autor
Marc-Uwe Kling singt Lieder und schreibt Geschichten. Er ist zweimaliger Deutscher Poetry-Slam-Meister (2006, 2007) und gewann zahlreiche Preise für seine Bühnenprogramme. Für die Känguru-Geschichten wurde er 2010 mit dem Deutschen Radiopreis ausgezeichnet. Mit seiner Band Die Gesellschaft macht er Reformhauspunk. Kling lebt in Berlin-Kreuzberg.
Aktuelle Auftrittstermine und Neuigkeiten unter:
www.MarcUweKling.de
Marc-Uwe und das Känguru kann man auch bei Radio Fritz als Podcast hören unter: www.fritz.de/kaenguru
Marc-Uwe Kling
Der Känguru-Chroniken
zweiter Teil
Ullstein
Besuchen Sie uns im Internet:
www.ullstein-taschenbuch.de
Der Abdruck der ersten beiden Strophen des Gedichtes
»Morgen, Kinder, wird’s nichts geben!« von Erich Kästner erfolgt
mit freundlicher Genehmigung des Atrium Verlags, Zürich:
© Atrium Verlag, Zürich und Thomas Kästner
Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch
1. Auflage September 2011
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2011
Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Titelillustration: © Marc-Uwe Kling
Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach
eBook: LVD GmbH, Berlin
ISBN 978-3-8437-0039-9
Für nichts
und wieder nichts
Nach einer wahren Begebenheit.1
1 Teile der Geschichte spielen allerdings in der Zukunft1.1.
1.1 Jetzt könnte man natürlich fragen, wie passt das zusammen? Man könnte aber auch akzeptieren, dass die Behauptung dadurch schwer zu widerlegen ist1.1.1.
1.1.1 Man könnte vielleicht sagen, die Geschichte spielt nach einer wahren Begebenheit.
»Die dümmsten Schlächter wählen ihre Schafe …
nee … dis ging anders. Die dümmsten Schafe
wählen ihre Kälber … nee … Die dümmsten Schafe
sterben im Schlafe … nee … Ach, egal.«
Oscar Wilde
In der Zeitschrift für Assyriologie übersetzte H. Zimmern 1896 einen fast 3000 Jahre alten Text,
der in den Ruinen der Bibliothek des Assurbanipal
in Ninive gefunden wurde, aus der Keilschrift ins Deutsche. Auf dem Tontäfelchen hatte der Umanu
(Weisheitsvermittler) Shaggil-kinam-ubib notiert:
»Schaust du hin, so sind die Menschen insgesamt blöde.«
Das fasst im Prinzip alles ganz gut zusammen.
Ein Känguru geht um in Europa. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen das Känguru verbündet, der Papst und der Pinguin, Jörg und Jörn Dwigs, die Ausländerbehörde, das Ministerium für Produktivität und deutsche Polizisten.
Wo ist die Oppositionspartei, die nicht von ihren regierenden Gegnern als Asozialisten verschrien worden wäre, wo die Oppositionspartei, die den fortgeschritteneren Oppositionsleuten sowohl wie ihren reaktionären Gegnern den brandmarkenden Vorwurf des Asozialismus nicht zurückgeschleudert hätte?
Zweierlei geht aus dieser Tatsache hervor.
Das Känguru wird bereits von allen europäischen Mächten als eine Macht anerkannt.
Es ist hohe Zeit, dass das Känguru seine Anschauungsweise, seine Zwecke, seine Tendenzen vor der ganzen Welt offen darlegt und dem Märchen vom Asozialismus ein Manifest des Kängurus entgegenstellt.
BioBrauseTM präsentiert:
Ding Dong. Ich klingele. Die Tür wird geöffnet, und ich stehe einem Känguru gegenüber. Das Känguru blinzelt, kuckt hinter sich, schaut die Treppe runter, dann die Treppe rauf. Kuckt geradeaus. Ich stehe immer noch draußen.
»Hab meinen Schlüssel vergessen«, sage ich.
Das Känguru gähnt.
»Hello again«, sagt es, macht ein Peace-Zeichen und schlurft zurück ins Wohnzimmer. Erschöpft schleife ich meine Gitarre und meinen Koffer in unsere Wohnung. Das Känguru liegt schon wieder in seiner Hängematte im Wohnzimmer und summt vor sich hin. Ich lasse mich auf die Couch fallen. Der Boxsack hängt noch an gewohnter Stelle, beim Nevermind-Poster fehlt immer noch der obere rechte Reißnagel, und ich glaube, selbst der leere Pizzakarton liegt noch an derselben Stelle wie vor meiner Abreise.
»Frag mich, wie’s auf Tour war«, sage ich.
»Wie war’s auf Tour?«, fragt das Känguru.
»Nun ja«, sage ich. »Ich war ja mit der Band unterwegs, und gestern sind wir in Ober-Nieder-Gummersberg aufgetreten, und ich habe unter anderem so ein altes Straßenkampflied gesungen, ›Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!‹, und erst im Nachhinein hab ich festgestellt, dass fast das komplette Publikum aus der SPD-Ortsgruppe bestand.«
»Und?«
»Die wollten partout nicht mitsingen«, sage ich und kicke eine leere Schnapspralinenpackung in Richtung Pizzakarton. »Dabei habe ich die mehrfach aufgefordert.«
»Hättste lieber mal vorneweg ein bisschen Marktforschung gemacht«, sagt das Känguru. »›Wer hat uns verraten? Christdemokraten!‹ reimt sich doch genauso gut.«
»Ja«, sage ich. »Ich muss mich einfach noch mehr als Dienstleister verstehen.«
»Kann dir doch egal sein, was du singst«, sagt das Känguru. »Die Leute haben bezahlt. Also sing gefälligst, was sie hören wollen.«
»Weißt du«, sage ich, »das Komischste war … Es hat denen überhaupt nicht gefallen, was wir auf der Bühne gemacht haben. Aber die haben die ganze Zeit brav geklatscht.«
»Das sind die so gewohnt von ihren Parteitagen«, sagt das Känguru.
Ich schalte mit der Fernbedienung Fernseher und Videorecorder an. Bud Spencer jagt Terence Hill über den Strand und bewirft ihn mit Kokosnüssen.
»Und was hast du so gemacht?«, frage ich.
»Ich habe gerade in der Hängematte Paul Lafargues Das Recht auf Faulheit gelesen und bin dabei eingedöst«, sagt das Känguru.
»Du hast den ganzen Tag verpennt?«, frage ich, hänge die Füße über die Rückenlehne der Couch und lasse meinen Kopf nach unten baumeln. Seit das Känguru den Fernseher repariert hat, steht das Bild nämlich auf dem Kopf.
»Ich habe nicht geschlafen«, sagt das Känguru. »Ich habe mich nur geschont. Außerdem habe ich den ganzen Morgen damit verbracht, eine Not-to-do-Liste zu erstellen.«
»Bitte was?«
»Eine Liste mit Sachen, die ich als schlecht für mich, für andere oder für die Umwelt einstufe. Heute Abend werde ich alles markieren, was ich nicht gemacht habe. Und das wird mir ein gutes Gefühl geben.«
»Und so lange bleibst du in der Hängematte liegen?«, frage ich.
»Ist nicht viel anderes übriggeblieben«.
Terence Hill ist schneller als Bud Spencer. Mir wird schwindelig. Ich habe zu viel Blut im Kopf.
»Statt immer mit dem Kopf nach unten rumzuhängen, könnten wir auch einfach den Fernseher umdrehen«, sage ich.
»Mach doch«, sagt das Känguru.
»Später«.
Mein Blick fällt auf das schiefe Regalbrett, von dem früher immer die Bücher runtergerutscht sind. Jetzt rutschen die Bücher nicht mehr. Sie stecken in Stoppersocken.
»Mir ist schlecht«, sage ich. »Kannst du mich bitte umdrehen?«
Das Känguru kommt und stellt mich vom Kopf auf die Füße.
Ich schalte den Videorecorder aus.
»Ich habe heute früh im Zug ein neues Gedicht gemacht!«, sage ich.
»Nummer 5«, sagt das Känguru.
»Was?«
»Nummer 5 auf meiner Not-to-do-Liste«, sagt das Känguru. »Gedichte schreiben.«
»Du weißt, dass ich mich von sarkastischen Bemerkungen nicht aufhalten lasse.«
»Ja«, sagt das Känguru. »Ich habe eine ziemlich eindeutige Langzeitstudie darüber gemacht.«
»Aufgepasst«, sage ich.
»Es sagt viel über die Welt aus, mein Kind,
sagte der Vater zum Knaben,
dass die Dummen glücklich sind
und die Schlauen Depressionen haben.«
»Hast du Depressionen?«, fragt das Känguru.
»Nee«, sage ich. »Du?«
»Nee.«
Plötzlich klingelt es von irgendwoher.
»Wie dem auch sei«, sagt das Känguru, zieht einen Wecker aus seinem Beutel und schaltet ihn aus. »Ich geh jetzt schlafen.«
Ich kratze mich am Bart.
»Ist es nicht anstrengend, immer alles genau andersherum zu machen als der Rest der Welt?«, frage ich.
»Es geht«, sagt das Känguru und legt sich wieder in seine Hängematte. »Guten Tag.«
Wir laufen quer über den Alexanderplatz. Vorbei an einem Grillwalker, einem Verrückten mit einem Infostand und ein paar Freaks, die sich als Statuen verkleidet haben, sogenannte Dastehende Künstler. Das Känguru grüßt einen Typen, der alte Sowjet-Accessoires verkauft. Wir sind schon fast an der Weltzeituhr vorbei, da winkt uns ein Mann zu sich.
»Can you please take a picture from us?«, fragt er lächelnd in wackeligem Englisch und zeigt auf sich und seine Familie.
»Yeah. Why not …«, sagt das Känguru schulterzuckend. »You look funny.«
Es holt eine Wegwerfkamera aus seinem Beutel, knipst und steckt sie wieder ein.
»No! No!«, sagt der Mann. »With my camera!«
»Ach …«, das Känguru seufzt. »Nee …«
»Na komm schon«, sage ich.
Das Känguru schüttelt seinen Kopf.
»I can do it«, biete ich dem noch immer lächelnden Mann an. Er nickt, und ich nehme die Kamera.
KNIPS.
»Okay?«, frage ich.
Der Mann blickt kritisch auf das kleine Display.
»No! With the TV-Tower please.«
»Okay«, sage ich.
Knips.
»Okay?«
»No! The whole tower please.«
»That is impossible! It is too big!«
»No! You go back please.«
Ich gehe zehn Schritte zurück.
»No. No. You go more back.«
Ich seufze und lasse die Kamera sinken.
»I can do it«, sagt das Känguru.
Der Mann nickt.
Das Känguru hüpft back, more back, much more back … Schließlich hüpft es um eine Straßenecke und ist verschwunden. Die Familie lächelt immer noch fürs Foto. Nach ein paar Sekunden hört der Vater auf zu lächeln.
»Will it come back?«, fragt er. »The kangaroo?«
»Also …«, sage ich. »Nach umfassenden Studien meinerseits zum Verhalten dieses Beuteltieres würde ich die Chancen für das Eintreffen des von Ihnen angefragten Ereignisses als gegen null tendierend einstufen.«
»What?«
»I don’t think so.«
Eine halbe Stunde später finde ich das Känguru wieder. Es prügelt sich vor dem Marx-Engels-Denkmal mit einer lebenden Statue. Kurz überlege ich, ob ich schlichtend eingreifen oder das Ganze lieber, wie alle anderen Umstehenden auch, mit meiner Handykamera filmen soll.
»Hey, hey, hey!«, rufe ich schließlich und gehe dazwischen. »Was soll das denn?«
»Schiller hat angefangen«, schimpft das Känguru.
»Ich bin nicht Schiller«, sagt die Statue aufgebracht. »Ich bin Goethe!«
»Locker bleiben, Friedrich«, sagt das Känguru.
»Ich bin nicht Schiller«, ruft die Statue.
»Nicht aufregen«, sage ich. »Alle Menschen werden Brüder und so weiter.«
»Ich bin nicht Schiller«, schreit die Statue.
Das Känguru holt die Kamera des Touristen aus seinem Beutel und macht ein Foto von der Statue. Ich werfe dem aufgebrachten Schiller eine Münze in seine Mütze und schiebe das Känguru weg.
»Die Aktion vorhin war witzig, was?«, fragt es und hält die Kamera in die Höhe.
»Nun ja«, sage ich. »Ich hab so getan, als ob ich dich nicht kenne. Mache ich öfter.«
Das Känguru stibitzt dem Grillwalker im Vorübergehen ein Würstchen vom Grill. Ich mache einen Schritt zur Seite, deute auf das Känguru und sage: »Kenne ich nicht.«
»Komm. Ich zeig dir was noch Witzigeres«, sagt das Känguru.
Es hüpft auf einen Passanten zu und reicht ihm die Kamera.
»Can you please take a picture from us?«, fragt es.
Der Mann nickt und nimmt die Kamera.
»Lauf!«, flüstert mir das Känguru zu und hüpft los. Ich renne hinterher, und wir verschwinden schnell um zwei Straßenecken.
»Das verwirrt die Leute immer total«, sagt das Känguru fröhlich.
»Das glaube ich«, sage ich und ringe nach Atem. »Und was machen wir jetzt?«
Das Känguru holt ein Dutzend billiger Fahrradschlösser aus seinem Beutel. »Jetzt gehen wir zum Alexa-Shopping-Center, schließen fremde Fahrräder fest und setzen uns mit einem Coffee-to-go auf die andere Straßenseite.«
»Das hört sich doch nach ’nem Plan an«, sage ich.
»Du musst den Kaffee bezahlen.«
Ich sitze vor meinem Manuskript. Es muss ein letztes Mal überarbeitet werden.
Ich habe ein Buch geschrieben über einen Künstler2, in dessen Wohnung ein kommunistisches Känguru einzieht.
Manche Autoren behaupten ja, ihre Geschichten seien vollkommen fiktiv und würden weder von ihnen selbst noch von ihrer Umgebung handeln. Na klar. Und manche Banker behaupten, ihnen liege nichts am Geldverdienen, sie würden einfach gern mit Zahlen arbeiten.
Das Känguru schlurft schlotternd ins Wohnzimmer.
»Seit der Pinguin gegenüber eingezogen ist, ist es immer so kalt im Hausflur«, schimpft es und schlägt auf seinen Boxsack ein.
»Du kannst ihn nur nicht leiden, weil er einen festen Job hat«, sage ich.
Der Pinguin arbeitet als Vertreter für Tiefkühlkost.
»Hast du gesehen, was der für riesige Klimaanlagen in seine Wohnung hat einbauen lassen? So groß wie in ’nem Flughafen«, sagt das Känguru. »Der kühlt seine Räume bestimmt auf null Grad runter. Scheiß-Gentrifizierer.«
»Letztens hatte ich den Gedanken, dass jeder, der das Wort Gentrifizierung kennt, Teil derselben ist«, sage ich.
»Irgendetwas ist verdammt fischig an diesem falschen Vogel«, sagt das Känguru. »Wenn wir wegen dem eine höhere Heizkostenabrechnung bekommen, geh ich aber rüber und werde ihm was erzählen.«
»Ja?«, frage ich. »Was wirst du ihm denn erzählen? Einen Witz? Eine Gutenachtgeschichte? Einen Schwank aus deinem Leben? Vielleicht etwas aus deiner Zeit beim Vietcong?«
»Huch!«, ruft das Känguru und springt zur Seite.
»Was soll das?«
»Na, fast wäre ich von deiner schlechten Laune überfahren worden.«
»Die ist hart erarbeitet«, sage ich.
»Ah ja?«, fragt das Känguru und legt sich in seine Hängematte.
»Ja. Ich hab fünfzehn Mal auf der niedrigsten Schwierigkeitsstufe gegen mein Handy beim Tennisspielen verloren.«
»Hast du nichts zu tun?«
»Doch.«
»Aha.«
Unser Gespräch legt eine kleine Pause ein. Ich kontrolliere meine Fingernägel auf weiße Flecken. Am linken Ringfinger sind zwei neue. Verdammt.
»Was hast du denn zu tun?«, fragt das Känguru.
»Ich muss an meinem künstlerischen Durchbruch arbeiten«.
»Du willst reich und berühmt werden?«
»Das wäre alternativ auch okay.«
»Arbeitest du da an deinem Manuskript über uns?«
»Nein«, sage ich. »Ich sitze nur davor.«
Das Känguru schwingt sich in seiner Hängematte Richtung Tisch, schnappt sich das Manuskript und blättert darin herum.
»Ich glaube übrigens, du solltest dir keine allzu großen Hoffnungen machen und dich lieber weiter an der Drei-Ball-Jonglage zum Amelie-Soundtrack versuchen«, sagt es nach einer Weile.
»Wenn ich das Buch nicht fertigkriege, geht uns bald das Geld aus«, sage ich.
»Wenn man für ein paar Tage die Möbel umstellt, kann man ganz billig Urlaub machen«, sagt das Känguru. Es wirft das Manuskript wieder auf den Tisch. Ich ziehe mein Terrakotta-Jo-Jo aus der Hosentasche und lasse es rollen.
Leise höre ich das Känguru in der Hängematte schnarchen. Am linken Daumennagel habe ich auch einen weißen Fleck. Was bedeuten diese Flecken noch mal? Calcium-Mangel? Magnesium-Mangel? Zink-Mangel? Oder zu viel Stress? Bestimmt zu viel Stress. Ist es am Ende des Tages nicht immer zu viel Stress?
Punkt 18 Uhr knallt gegenüber die Tür. Das Känguru purzelt spektakulär aus seiner Hängematte, springt sofort wieder auf, bringt seine Fäuste in Verteidigungsstellung und ruft: »Wo? Wann? Was? Wie?«
»Es ist 18 Uhr«, sage ich. »Der Pinguin ist nach Hause gekommen. Pünktlich wie immer.«
Das Känguru inspiziert panisch seine Pfoten.
»Ich hatte gerade einen Alptraum, in dem uns der Pinguin verfolgt hat«, sagt es. »Egal, wohin wir gehüpft sind, du warst auch ein Känguru, immer watschelte er uns hinterher. Wenn wir uns irgendwo niederließen, kam er um die Ecke gewatschelt, hat den Platz gekauft, saniert, teurer vermietet und dann wegen uns die Polizei gerufen. Den ganzen Traum ging das so. Doch irgendwann hatten wir ihn endlich abgehängt und einen Platz gefunden, wo wir bleiben konnten. Da hast du dich dann plötzlich in einen Pinguin verwandelt, und ich wollte mir meine Pfoten vor die Augen halten, aber es waren Flossen, und dann gab es einen Knall, und ich bin vor Schreck aufgewacht.«
Das Känguru macht eine Pause.
»Es war wie mit dem Hasen und dem Igel«, sagt es verstört.
»Nur anders«, sage ich.
»Ja. Ganz anders eigentlich.«
Ich sammle die Blätter des Manuskriptes wieder ein, die das Känguru mit seiner Slapstick-Aktion vom Tisch gefegt hat.
»Ich glaube übrigens, dass das halb so wild ist mit der Gentrifizierung«, sage ich. »Kreuzberg ist immer noch derselbe alte Arbeiterkiez.«
»Ja, ja«, sagt das Känguru. »Und Sido hat nichts von seiner Street Credibility verloren.«
»Ich geh gleich noch mal runter und hole mir einen Vanilla-Chai-Latte mit fettarmer Sojamilch«, sage ich. »Willst du auch einen?«
»Ja, aber mit bunten Streuseln bitte.«
2 Kleinkünstler! Anm. des Kängurus
Ich reibe mir die Augen und nehme einen großen Schluck Kaffee. Das Radio läuft.
»Nachdem sich die wirtschaftliche Lage gestern ein wenig entspannt hatte, ist sie heute früh wieder sehr verspannt«, sagt der Nachrichtenmann. »Zugeschaltet ist jetzt ein Experte. Hallo.«
»Hallo.«
»Sie sind Experte. Was ist Ihre Meinung dazu?«
»Ich, als Experte, denke, wir sollten alle noch viel mehr Angst um unsere Arbeitsplätze haben. Ferner sollten wir den unteren Schichten unbedingt mit Verachtung begegnen, weil wir unbewusst Angst haben, selbst in diese Schichten abzurutschen. Schließlich sollten wir die Schuld an der Misere nötigenfalls Randgruppen zuschieben. Das sind einfache Maßnahmen, sie müssen nur konsequent umgesetzt werden.«
Ich nehme noch einen großen Schluck Kaffee.
»Verstehe«, sagt der Nachrichtenmann. »Ein Sprecher des neugegründeten Ministeriums für Produktivität erklärte gestern, produktiv sei, was Arbeit schafft und dies …«
Das Känguru stürmt in die Küche, schaltet das Radio aus, knallt einen Schreibblock nebst Stift auf mein Frühstück, zieht die Eieruhr auf und ruft: »Los, los. Jetzt hat jeder von uns fünf Minuten, um sich seine Geschäftsidee der Woche auszudenken.«
»Und was machen wir dann?«, frage ich.
»Genau dasselbe wie jeden Tag, Pinky«, sagt das Känguru. »Wir versuchen, die Weltherrschaft an uns zu reißen.«
Ich gähne, reibe mir die Augen und … Der Kaffee ist alle. Verdammt. Das Känguru holt noch einen Block für sich selbst aus seinem Beutel.
»Los! Los!«
Es überlegt kurz und beginnt dann wie wild zu krit-
zeln.
»Was soll das denn?«, frage ich müde.
»Ich habe gerade herausgefunden, dass man länger Geld vom Arbeitsamt bekommt, wenn man sich mit einem Projekt für die Selbständigkeit anmeldet.«
»Warum bekommst du überhaupt Arbeitslosengeld?«, frage ich.
»Die Wege der Bürokratie sind unergründlich«, sagt das Känguru.
»Was?«
»Sagen wir: Ich kenne einen, der einen kennt, der einen kennt. Los jetzt! Ich brauche eine zündende Idee! Fünf Minuten! Auf geht’s.«
Ich nehme den Stift und kaue darauf rum. Die Eieruhr klingelt. Ich wache auf.
»Stopp! Stopp!«, ruft das Känguru. »Zeit ist um. Was hast du aufgeschrieben?«
»Du zuerst«, sage ich.
»Ich werde eine TV-Produktionsfirma gründen, die passend zum jederzeit wiederzuerwartenden Zusammenbruch des Weltwirtschaftssystems und der darauf folgenden Rückkehr zur Subsistenzwirtschaft eine Dating-Show produziert namens ›Frau sucht Bauer!‹«
Ich blinzle und muss schon wieder gähnen.
»Deine Reaktion ist nicht zufriedenstellend«, sagt das Känguru.
Ich gähne.
»Hm«, sagt das Känguru. »Und was hast du dir so gedacht?«
»Ach …«, sage ich.
»Na was?«
»Willst du das wirklich wissen?«
»Na klar!«
»Ich dachte gerade: ›Jeden Morgen, wirklich jeden Morgen …‹«, ich seufze, »›… muss man aufstehen.‹«
Die Gesichtszüge des Kängurus entgleisen. Der Stift fällt aus seiner rechten Pfote. Es lässt den Kopf hängen und starrt auf den Boden.
»Jeden Morgen …«, sage ich kopfschüttelnd.
Einige Minuten sitzen wir schweigend in der Küche. Dann zerknüllt das Känguru sein Konzept und wirft es in die Ecke.
»Weißt du, dass du manchmal etwas unglaublich Deprimierendes an dir hast?«, fragt es.
Ich schalte das Radio wieder an.
»Die neue Social-Marketing-Kampagne ›Ich arbeite gern für meinen Konzern‹ der Initiative Für Mehr Arbeit findet in der Bevölkerung viel positive Resonanz. Laut einer Umfrage des German Institute For Manufacturing Consent (GIFMC) unter repräsentativ ausgewählten Mitarbeitern des German Institute For Manufacturing Consent (GIFMC) würden 69 Prozent der Bundesbürger lieber einen entfernten Verwandten verlieren als ihren Arbeitsplatz.«
Das Känguru schaltet das Radio wieder aus.
»Wirklich jeden Morgen …«, sage ich. »Ohne Ausnahme.«
Das Känguru zieht an seiner Tüte.
»Schon mal drüber nachgedacht, dass es von uninformiert kein langer Weg zu uniformiert ist?«, fragt es und legt die Tüte im Blumenkasten ab. »Man muss nur ein ›n‹ wegnehmen.«
Dann spuckt es in den Blumenkasten.
»Bäh! Das ist ja eklig!«, rufe ich.
»Was denn? Soll ich etwa vom Balkon runterspucken?«, fragt das Känguru und spuckt noch mal in den Blumenkasten. Es friemelt sich etwas Tabak aus dem Mund. »Der Filter ist nicht so gut geworden.«
Ich blicke auf die unzähligen toten Pflanzen in den Kästen.
»Was für ein Massaker«, sage ich kopfschüttelnd.
»Willst du unterstellen, die Pflanzen sind kaputtgegangen, weil ich da ab und zu reingespuckt habe?«
»Entweder das, oder du hast ihnen zu viele Wortwitze erzählt.«
»Au contraire!«, ruft das Känguru. »Ich glaube, Gerlinde gesagt, dass die Pflanzen vertrocknet sind, weil ich nicht oft genug reingespuckt habe.«
»Das ist wahrscheinlich hochgiftig, was du da ausspuckst.«
»Quatsch. Ich kann gut mit Pflanzen«, sagt das Känguru. »Ich habe den grünen Gaumen.«
»Boah. Wie widerlich.«
Das Känguru spuckt noch mal auf die toten Küchenkräuter.
»Und ich hatte mir letzten Sommer Sorgen gemacht«, sage ich, »weil ich das Gefühl hatte, von der Petersilie high zu werden …«
»Fressflash!«, ruft das Känguru und zieht einen halbgegessenen Schokoweihnachtsmann aus seinem Beutel.
»Früher haben wir immer die Verpackungen von den Schokoweihnachtsmännern sehr sorgfältig abgezogen und geplättet, und dann haben wir auf dem Schulhof miteinander getauscht«, sagt das Känguru. »So war das damals im Osten.«
»Als ich zur Grundschule ging, da hatten alle so tolle Stickeralben«, sage ich. »Mit bunten, glitzernden, sogar mit phosphoreszierenden Aufklebern. Nur ich war der einzige Junge auf der ganzen Welt, dem seine Eltern kein Stickeralbum gekauft hatten. Ich weiß nicht mal mehr, warum. Wahrscheinlich fanden sie es zu teuer oder zu blöd, oder sie konnten mich nicht leiden. Jedenfalls habe ich mir dann selber ein Stickeralbum gebastelt, indem ich die leeren Folien zusammentackerte, die übrigblieben, wenn mein Papa seine Adressaufkleber verklebt hatte. Darin habe ich dann ›Schreib mal wieder‹-Aufkleber von der Bundespost – die waren weiß, oval und mit einer fetten Taube – und diese furchtbar hässlichen ›Ein Herz für Kinder‹-Aufkleber gesammelt.«
»Warum hast du nicht gleich die Adressaufkleber von deinem Vater gesammelt?«, fragt das Känguru.
»Habe ich«, sage ich. »Davon hatte ich ’ne ganze Menge im Album.«
»Niedlich.«
»Aber die anderen Kinder wollten nie Aufkleber mit mir tauschen.«
»Es muss hart gewesen sein, im Kapitalismus aufzuwachsen«, sagt das Känguru. »Ihr durftet ja nicht mal ohne Gängeleien ins schöne Mecklenburg fahren, um Urlaub zu machen.«
»Nee«, sage ich. »Immer nur in die Südsee. Jedes Jahr in die Südsee.«
»Das muss genervt haben.«
»Das hat genervt«, sage ich. »Aber es war auch nicht alles schlecht im Westen …«
»Zum Beispiel hattet ihr Farben«, sagt das Känguru.
»Ja, und wir hatten in Einkaufszentren riesige Container mit unfassbar vielen kleinen, giftigen Plastikbällen, wo man seine Kinder loswerden konnte. Was ich damals schon an Weichmachern gelutscht habe … Na ja, wie dem auch sei, ich fand mein Stickeralbum trotzdem super. Ich habe das sogar noch in einer Kiste auf dem Schrank.«
»Ich hab die Weihnachtsmänner bestimmt auch noch irgendwo«, sagt das Känguru und beginnt tief unten in seinem Beutel zu graben. Allerhand Dinge, die im Weg sind, wirft es achtlos zur Seite. Zwei rote Boxhandschuhe, eine Packung Schnapspralinen, Band 17 bis 23 der Marx-Engels-Werke, diverse Aschenbecher, ein sich selbst aufblasendes Riesenkänguru, einen Tacker, einen Flachbildschirm, einen Bolzenschneider und ein Fabergé-Ei, das ich gerade noch auffangen kann. Es zieht eine riesige Mindmap aus seinem Beutel, auf der »Masterplan« steht, und danach einen kleinen Zettel, auf den es die Weltformel gekritzelt hat: »0=0«. Schließlich zieht es ein Elementarlehrbuch Deutsch für Ausländer hervor.
»Hier! Kuck!«, sagt es. »Damit hab ich Deutsch gelernt.«
»Echt?«, frage ich.
»Ja, kurz nach dem Vietnamkrieg, als wir aus Ho-Chi-Minh-City nach Ostberlin gekommen sind.«
»Davon hast du mir noch nie erzählt.«
»Na ja«, sagt das Känguru. »Da gibt’s nicht viel zu erzählen. Mutti und ich kamen ja als Vertragsarbeiter in die DDR. Beim Vietcong gab es nichts mehr für uns zu tun, und in Ostdeutschland herrschte Arbeitskräftemangel, deshalb hat die DDR Arbeiter aus sozialistischen Bruderstaaten eingeladen.«
Das Känguru reicht mir das Lehrbuch. Es heißt: Guten Tag, Kollege!
Ich schlage es in der Mitte auf und lese laut vor:
»Lesen Sie!
Die Fahrt in den Betrieb
Peter: Guten Tag, Antonio und Carlos. Was habt ihr heute gemacht?
Antonio: Wir sind heute das erste Mal in den Betrieb gefahren.
Peter: Wann seid ihr zur Haltestelle gegangen?
Carlos: Schon um 5:20 Uhr. Zuerst ist der Bus Linie 12 gekommen, aber den Bus haben wir nicht genommen. Er fährt nicht zum Betrieb.
Peter: Habt ihr lange gewartet?
Antonio: Vielleicht 10 Minuten.
Peter: Und wie lange dauert die Fahrt zum Betrieb?
Antonio: Ungefähr 15 Minuten.
Peter: Habt ihr pünktlich mit eurer Arbeit begonnen?
Carlos: Ja, pünktlich um 6.«
Ich klappe das Buch wieder zu,
»Glaubst du, Peter war bei der Stasi?«, frage ich.
»Wahrscheinlich waren sie alle drei bei der Stasi«, sagt das Känguru. »Ich stand jedenfalls nicht um 5:20 an der Bushaltestelle, um den Leuten in der Linie 12 zu winken. Klapp mal ganz hinten auf.«
Ich tue wie mir geheißen. Da liegen sorgfältig abgezogen und geplättet zwei Weihnachtsmänner.
»Los! Hol dein Stickeralbum«, sagt das Känguru, »dann können wir tauschen.«
Ich setze mich an meinen Computer und hole meine E-Mails ab. Einige davon lese ich und schiebe sie in den »Beantworten«-Ordner meines Mail-Programms. Dann verschiebe ich ein paar ältere E-Mails aus dem »Beantworten«-Ordner in den »Dringend«-Ordner, und dann verschiebe ich ein paar noch ältere E-Mails aus dem »Dringend«-Ordner in den »Wirklich dringend«-Ordner. Dann lösche ich einige von der Zeit überholte E-Mails aus dem »Wirklich dringend«-Ordner und schalte den Computer wieder aus. Es überkommt mich das wohlige Gefühl, heute schon richtig was erledigt zu haben.
Das Känguru sitzt am Schreibtisch und kritzelt in ein kleines Buch.
»Hast du zufällig mein Jo-Jo gesehen?«, frage ich. »Weißte? Das aus Terrakotta, das mir der chinesische Jo-Jo-Guru geschenkt hat.«
»Nein«, sagt das Känguru ohne aufzublicken.
»Ich warne dich«, sage ich. »Wenn du es heimlich genommen hast, dann müsste ich das als Vertrauensbruch erster Güte werten und die Konsequenzen …«
»Schreib mir doch diesbezüglich eine E-Mail«, sagt das Känguru, »und setze die Worte Viagra und Penispumpe in den Betreff. Dann kümmert sich mein Spamfilter drum. Und jetzt sei still, ich muss mich konzentrieren.«
»Was schreibste denn da überhaupt?«
»Ich habe mich entschlossen, ein Tagebuch zu führen. Der Gedanke wurde mir nämlich unerträglich, dass meine unglaublich reiche und gehaltvolle Gedankenwelt für die Nachwelt verloren sein soll.«
»Aber ich schreibe doch sowieso immer alles mit«, sage ich.
»Nicht meine innersten Gedanken«, sagt das Känguru. »Die kennst du nicht.«
»O doch!«, sage ich. »Ich weiß, was du denkst.«
»So?«, fragt das Känguru. »Was denke ich denn?«
»Du denkst: ›Zeit für ein Schnitzelbrötchen.‹«
Das Känguru blickt auf.
»Das war nur Zufall!«, ruft es.
»Darf ich dein Tagebuch lesen?«, frage ich.
»Oh! Ganz im Gegenteil«, sagt das Känguru. »Das müsste ich als Vertrauensbruch erster Güte werten.«
Es steht auf, packt das Buch in die Schreibtischschublade und schließt diese ab.
»Ich geh jetzt ins Fitnessstudio«, sagt es. »Muss für die Schachboxweltmeisterschaft trainieren«, und gleich darauf ist es verschwunden.
Der Schlüssel zur Schublade steckt.
Plötzlich höre ich die Stimme von Prinzessin Leia in meinem Kopf. Sie ruft: »Luke! Luke! Eine Falle! Eine Falle!«
Vorsichtig öffne ich die Schublade. Nichts explodiert. Ich nehme das Büchlein heraus und lese:
»Hallo blödes Tagebuch. Es langweilt mich jetzt schon, dir zu berichten. Der Gedanke, in späterer Zeit nachlesen zu müssen, was für einen Schwachsinn ich heute gedacht habe, ist mir ein Gräuel. Zum Beispiel habe ich mich heute Morgen gefragt, in wie vielen amerikanischen Universitäten Kant wegen seines obszönen Namens wohl vom Lehrplan gestrichen wurde.
Und danach kam mir der Gedanke, dass mal jemand ein Wort erfinden sollte, das man fluchend rufen kann, wenn einem plötzlich auffällt, dass man ganz schön verarscht worden ist. Ich schlage ›Razupaltuff!‹ vor.
Jetzt gerade denke ich, dass ich versuchen sollte, den geliebten Führer Nordkoreas, den iranischen Präsidenten, den israelischen Premier und die ehemalige Gouverneurin von Alaska dazu zu bringen, ihre finanziellen Differenzen zu überwinden und unter dem Namen ›Die Fanatischen Vier‹ die erste schwizerdütsche Hip-Hop-Platte von Weltgeltung zu veröffentlichen. Ich würde das produzieren. Und dann würde ich ihnen ein Konzert in der CO2-Arena organisieren. Ach! Ich muss gestehen, blödes Tagebuch, dass ich dich eigentlich nur angelegt habe, weil ich Marc-Uwes blödes Terrakotta-Jo-Jo kaputt gemacht habe, und weil ich weiß, dass er nicht widerstehen kann, dich heimlich zu lesen. – Ha! Du bist so leicht zu spielen wie eine Kinderflöte, Alter! – Nun ja. Jedenfalls weißt du es jetzt, aber du darfst mir keine Szene machen, weil dann müsstest du zugeben, dass du heimlich mein Tagebuch gelesen hast, und dann wären wir Vertrauensbruch-erster-Güte-mäßig quitt, und du dürftest drum nicht mit mir schimpfen, und egal, welchen Weg du wählst, er wird dich in den Wahnsinn treiben.
Schönen Tag noch! Dein Känguru.
PS: Falls du einkaufen gehst, bring bitte Schnapspralinen mit.«
»Razupaltuff«, murmle ich.
»Verficktearschkackwichsscheißdrecksscheiße!«, fluche ich und schlage mit der Faust auf den Drucker. Das tut weh. Das Känguru steckt seinen Kopf zur Tür herein.
»Alles okay?«, fragt es.
»Ich muss unbedingt mein Manuskript ausdrucken, aber diese verdammte Kackekackewichsdrecksmaschine ist schon wieder am Arsch!«, fluche ich.
Das Känguru schlurft herein, drückt zwei, drei Knöpfe3 – und plötzlich funktioniert alles.
»Häufig ist ja gar nix kaputt«, sagt das Känguru, »man ist nur zu blöd. Wenn du verstehst, auf was ich hinaus will …«
»Auf eine Frechheit!«
»Schön, dass ich mich verständlich machen konnte.«
Kurz überlegt das Känguru, dann sagt es: »Als die CD-ROM eingeführt wurde, habe ich mir mal so ein Computerspiele-Magazin mit beigelegter CD gekauft, und da hat sich jemand in einem Leserbrief beschwert, dass die Diskette vom letzten Heft bei ihm nicht funktionieren würde, obwohl er sie extra so zugeschnitten habe, dass sie ins Diskettenlaufwerk passe. Ich wollte dich schon länger mal fragen, ob du das warst.«
»Pah! Ich habe schon über ein verficktes 5 1/4-Zoll-Laufwerk Gorilla und Nibbles gespielt, da hattet ihr noch nicht mal bekackte Lochkarten.«
»Du weißt schon, dass du ganz schlimm an einem Technik-Tourette-Syndrom leidest?«, fragt das Känguru.
»Ja, aber ich kann mir nicht helfen«, sage ich. »Diese verfickte Drecksfaschoarschgeigenpissrotznaziwichsrtl2kacke regt mich einfach auf.«
»Verstehe«, sagt das Känguru.
Es schlägt mit einer Rechts-links-rechts-Kombination auf seinen Boxsack ein.
»Hast du übrigens gesehen, dass der blöde Pinguin schon wieder die Müllsäcke vor unsere Tür geschoben hat?«, fragt es.
»Der Pinguin hat seine Müllsäcke vor unsere Tür gestellt?«, frage ich.