Porträt Marcel Prousts von Jacques-Émile Blanche
Rainer Moritz
Mit Proust durch Paris
Literarische Spaziergänge
Mit 47 Abbildungen
Reclam
Karten mit den wichtigsten Proust-Orten befinden sich hier und hier.
Alle Rechte vorbehalten
© 2015 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
Durchgesehene und aktualisierte Ausgabe des 2004 als Insel-Taschenbuch erschienenen Bandes
Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman
Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen
Made in Germany 2015
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-960713-9
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-020369-9
www.reclam.de
1 Proust und Paris – eine Reiseanleitung
2 Sonnen- und lichtdurchflutet: Auteuil
3 Vollgepackt mit schweren Möbeln: der Boulevard Malesherbes
4 Ein anziehender Kreis: das Lycée Condorcet
5 Barlauf mit Mädchen: die Champs-Élysées
6 Ein Toilettenhäuschen
7 Sehr bekannt und mondän: die Place de la Madeleine
8 Krieg und Zitroneneis: das Ritz
9 In der Zaubergrotte: Rue de Courcelles
10 Im korkgeschützten Winkel: der Boulevard Haussmann
11 Unter lichterfülltem Laub: die Tuilerien
12 Das vermaledeite Haus: die Rue Laurent-Pichat
13 Nicht nur ein Waldgelände: der Bois de Boulogne
14 Und noch einmal: gefährliche, geheimnisvolle Orte
15 Eine schwermütige Straße: die Rue La Pérouse
16 Grabesatmosphäre: die Rue Hamelin
17 Die Augen schließen – eine Nachbemerkung
Literaturhinweise und Dank
Bild- und Textnachweise
Hinweise zur E-Book-Ausgabe
[Bildrechte: Angelika Dacqmine, München]
Für Annalena, die Spaziergängerin von Paris –
auf dass ihr Marcel Proust unvergesslich bleibe.
Die Stätten, die wir gekannt haben, gehören nicht allein der räumlichen Welt an, in die wir sie der Einfachheit halber einbetten. Sie waren nur ein schmales Segment inmitten der zusammenhängenden Eindrücke, die unser damaliges Leben ausmachten; die Erinnerung an ein bestimmtes Bild ist nur die Wehmut nach einem bestimmten Augenblick; und die Häuser, die Wege, die Avenuen, entfliehen, ach, wie die Jahre.
Marcel Proust, Auf dem Weg zu Swann
Über Sinn und Nutzen literarischer Reisen lässt sich trefflich streiten. Welchen Wert soll es haben, sich aus seinem Lesesessel zu entfernen und Ferienaufenthalte dadurch zu adeln, dass man, mit Zitaten und biographischen Versatzstücken im Handgepäck, den Spuren längst verblichener Schriftsteller nachgeht? Gewiss, ein Gewährsmann wie Johann Wolfgang von Goethe war es, der den Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des West-östlichen Divans die Verse voranstellte: »Wer das Dichten will verstehen, / Muss ins Land der Dichtung gehen; / Wer den Dichter will verstehen / Muss in Dichters Lande gehen« und damit alle Bildungsurlauber ausreichend munitionierte. Goethe, selbst ein eifrig Reisender, wurde in den letzten zwei Jahrhunderten ein Opfer seiner Handlungsanweisung: Kein Ort, der von Goethe beehrt oder bedichtet wurde, lässt es sich heute nehmen, auf dieses historische, ja meist welthistorische Ereignis hinzuweisen.
Doch ist es wirklich notwendig und erhellend, Dichtern nachzureisen? Reichen uns nicht ihre Romane, Gedichte oder Stücke? Verstehen wir sie nicht auch, ohne das Ambiente ihrer Entstehung zu kennen, ja verstellt dieses nicht den Blick auf das Kunstwerk? Thomas Bernhard hat einer seiner schimpfenden Romanfiguren (in Auslöschung. Ein Zerfall) dazu Unmissverständliches in den Mund gelegt: »Hüten Sie sich, Gambetti, die Orte der Schriftsteller und Dichter und Philosophen aufzusuchen, Sie verstehen sie nachher überhaupt nicht, Sie haben sie in Ihrem Kopfe tatsächlich unmöglich gemacht dadurch, dass Sie ihre Orte aufgesucht haben, ihre Geburtsorte, ihre Existenzorte, ihre Sterbeorte. Meiden Sie wie nichts sonst die Geburts- und Existenz- und Sterbensorte unserer Geistesgrößen.«
Eindeutig zu klären ist diese Frage nicht, und letztlich muss sie auch nicht geklärt werden. Marcel Proust, um den es hier geht, hat den Großteil seines Lebens in Paris verbracht, und obschon er gelegentlich mit dem Gedanken spielte, die Stadt zu verlassen und anderswo Wurzeln zu schlagen, war er der »Parisien« schlechthin.
Entgegen der Klischeevorstellung, dass Proust zeitlebens an sein Kranken- und Schreiblager gekettet war, reiste er viel und gern. Immer wieder brach er zu neuen Erkundungen auf – nach Bad Kreuznach, Amsterdam, ins Engadin, nach Rouen oder Amiens, um dem Kunsthistoriker John Ruskin ›nachzureisen‹, nach Venedig, zu einer Kreuzfahrt an der normannischen Küste … – und ließ diese Eindrücke in sein Werk einfließen. Dennoch blieb Paris das Zentrum seines Lebens, und dieses Zentrum prägt seinen großen Romanzyklus Auf der Suche nach der verlorenen Zeit und etliche kleinere Arbeiten.
Dieses Buch wagt eine Gratwanderung: Es zeichnet zum einen nach, wo Proust und seine Familie lebten und wo es heute, ein Jahrhundert später, möglich ist, Überbleibsel dieses Lebens zu finden. Zum anderen verfolgt es ein Ziel, das jeder literarische Reiseführer haben sollte: zur ersten oder neuerlichen Lektüre der Originaltexte einzuladen und zum Nachdenken darüber anzuregen, was reale und erfundene Orte miteinander zu tun haben. Prousts Werke, vor allem die Suche nach der verlorenen Zeit, verführen dazu, biographische und literarische Angelegenheiten zu vermengen, und nicht wenige Leser und Wissenschaftler nahmen diesen Unterschied nicht sehr ernst und lasen Prousts Roman als plane Autobiographie, deren Figuren in erster Linie die Funktion hätten, auf ein genau zu fixierendes Vorbild, ein Modell, zu verweisen. Das soll hier nicht geschehen. Ich suche nach Prousts Paris – dem Paris, das sein Leben bestimmte, und dem, das er in seine Bücher einbaute. Beide Städte, die real erlebte und die literarisch transformierte, haben natürlich miteinander zu tun – und sind dennoch durch den tiefen Graben der Fiktion voneinander getrennt.
Wer heute durch Paris geht, um Prousts Wohn- oder Lebensorte aufzusuchen oder mit Romanfiguren wie Charles Swann oder Oriane de Guermantes ein imaginäres Dîner zu erleben, braucht Phantasie. Paris hat sich, wie andere Metropolen auch, im Laufe des 20. Jahrhunderts stark verändert. Häuser und Straßen, die Proust beschrieb und durchschritt, sind zerstört oder völlig umgestaltet, und gelegentlich scheint es unmöglich, sich in Prousts Epoche zurückzuversetzen, weil die Gegenwart jede Erinnerung daran ausgelöscht hat. Ein Spaziergang mit Marcel Proust durch Paris ist folglich auch eine Reise »gegen den Strich«, eine Unternehmung, die den Glauben nähren will, dass die Fassaden, die Oberflächen, nicht die ganze Wirklichkeit abbilden. Der Erinnerungsvirtuose Marcel Proust ist der beste Lehrmeister dafür, die »Essenz der Dinge« dort zu suchen, wo andere Augen sie nicht (mehr) sehen. On y va.
1 Rue de Chaillot
2 Rue Quentin
3 Rue Hamelin
4 Rue La Pérouse
5 Rue Dumont d'Urville
6 Place du Trocadéro
7 Cimetière de Passy
8 Rue Scheffer
9 Rue Raynouard
10 Avenue Marcel Proust
11 Rue du Dr Blanche
12 Ceinture du Lac Supérieur
13 Chalet du Pré Catelan
14 Route du Pré Catelan
15 Rue Laurent Pichat
16 Arc de Triomphe
[Bildrechte: Insel Verlag Berlin]
Auteuil, das 16. Arrondissement im Westen von Paris, ist ein ruhiger Flecken, der mit touristischen Attraktionen wie dem Eiffelturm oder der Butte Montmartre kaum etwas zu tun hat. Wer an einem Sonntag die Métro-Linie 10 nimmt und »Église d’Auteuil« aussteigt, trifft auf gepflegte Häuserreihen, die soignierte Schläfrigkeit ausstrahlen und ahnen lassen, dass dieser Bezirk kein Ort für Vergnügungshungrige ist.
Im 19. Jahrhundert war Auteuil, das erst 1860 von Paris eingemeindet wurde, ein ganz und gar ländliches Dorf, das betuchte Pariser Familien zu ihrem Zweitwohnsitz erkoren, zu einem Refugium, das von den umfangreichen Umgestaltungen der Pariser Innenstadt kaum beeinträchtigt wurde. In einem der Gräfin Potocka gewidmeten Aufsatz schildert Proust dieses Bedürfnis: »Sie bedurfte des wirklichen Exils. Und so ist es jetzt im tiefsten Auteuil, beinahe an der Porte de Boulogne, zwischen den Platanen der Rue Théophile-Gautier, den Kastanien der Rue La Fontaine und den Pappeln der Rue Pierre-Guérin […]. Und weil sie in Paris zu laut waren und die Nachbarn störten, ist sie nach Auteuil gezogen.«
Auch die Prousts hielten es so: Regelmäßig flohen sie vor der Hitze der Pariser Innenstadt, um in Auteuil eine Art vorstädtisches Landleben zu genießen. Im Frühjahr und im Sommer des Jahres zog man sich in ein Haus in der Rue La Fontaine 96 zurück, das Louis Weil, einem Onkel mütterlicherseits, gehörte. Dieser hatte das dreistöckige Anwesen, das über 110 m² Wohnfläche und einen Grund von 1500 m² verfügte, 1857 erworben. 1870, nach dem Tod seiner Frau Émilie, zog er sich weitgehend dorthin zurück und ging an dem abgeschiedenen Ort seinen zahlreichen amourösen Abenteuern nach, was Familie Proust nachsichtig zur Kenntnis nahm.
96, Rue La Fontaine: Hier wurde Marcel Proust geboren [Bildrechte: Nina Kuhn, Hamburg]
Louis Weils Haus wurde nach seinem Tod von einem Bauunternehmer gekauft und 1897 abgerissen; es bedarf folglich einiger Einbildungskraft des Besuchers, sich heute jenes herrschaftliche Haus vorzustellen, das über 29 Fenster und einen Park im englischen Stil verfügte. Eine schlichte Tafel, die im Mai 1971 eingeweiht wurde, hält fest, dass hier einhundert Jahre zuvor, am 10. Juli 1871, das erste Kind des Ehepaares Proust-Weil geboren wurde: Sohn Marcel, anfällig und schwächlich vom ersten Atemzug an, doch vom erfahrenen Vater sicher ins Leben hinübergeleitet.
Den Sommer 1871 prägten heftige politische Turbulenzen. Der Arbeiteraufstand der Pariser Commune war erst Ende Mai in der sogenannten »Blutwoche« niedergeschlagen worden; der Beschuss von Paris hatte verheerende Zerstörungen hinterlassen. Bis nach Auteuil waren die Auseinandersetzungen gedrungen: Das Proustsche Domizil in der Rue La Fontaine blieb zwar unversehrt, doch das nahegelegene Haus der Brüder Goncourt am Boulevard de Montmorency – jener Autoren, deren Tagebücher Marcel Proust viele Jahre später meisterhaft parodierte – wurde durch die Kämpfe stark in Mitleidenschaft gezogen. Jeanne Proust war der Gedanke, ihr erstes Kind im abgeschiedenen Auteuil zur Welt zu bringen, sehr angenehm; ruhiger als in Paris war es dort allemal.
Wie sah es aus, das Haus des Onkels Louis Weil, mit jenem Garten, dessen Teich und Orangerie den jungen Marcel in ihren Bann zogen und der zu einem seiner »Urgärten« wurde? Als Prousts Freund Jacques-Émile Blanche, dem wir das vielleicht berühmteste, 1892 entstandene Porträt des Schriftstellers verdanken, 1919 sein Buch Propos de peintre veröffentlichte, steuerte Proust ein Vorwort bei, das den gemeinsamen Kindheitsort Auteuil und das Geburtshaus heraufbeschwört:
»Jenes Haus in Auteuil, das wir mit meinem Onkel bewohnten, mitten in einem großen Garten, der durch den Einschnitt der Straße (heute Avenue Mozart) gezweiteilt wurde, entbehrte so sehr des Geschmacks wie nur möglich. Doch vermag ich das Vergnügen gar nicht zu schildern, das ich empfand, wenn ich die sonnen- und lindenluftdurchflutete Rue La Fontaine entlanggelaufen war und dann für einen Augenblick in mein Zimmer hinaufging, wo die geschmeidige Luft eines warmen Vormittags im Chiaroscuro, perlmutterglänzend im Reflex und der Lasur der großen (und recht wenig ländlichen) Vorhänge aus empireblauem Satin, die einfachen Gerüche der Seife und des Spiegelschranks schließlich mit einem Firnis überzogen und abgesondert hatte; wenn ich stolpernd den kleinen Salon durchquert hatte, der hermetisch gegen die Hitze verschlossen war und wo ein einziger Lichtstrahl, reglos und faszinierend, schließlich die Luft betäubte, und die Speisekammer, wo der Cidre – den man in Gläsern von etwas zu dickem Kristall ausschenken würde, das beim Trinken Lust machte, sie zu beißen, wie grobgekörnte Haut mancher Frauen beim Küssen – so kühl geworden war, dass er, etwas später, in der Kehle, an deren Scheidewänden in völliger, köstlicher und tiefer Haltung lagern würde – und dann schließlich das Speisezimmer betrat mit seiner durchsichtigen und gefrorenen Atmosphäre eines unstofflichen Achates, die der Duft von bereits in den Obstschalen aufgehäuften Kirschen äderte und wo die Messer nach höchst vulgärer bürgerlicher Mode, die mich jedoch entzückte, auf kleine Kristallprismen gelegt waren.«
Prousts bissige Kommentare zur Geschmacklosigkeit der Einrichtung täuschen nicht darüber hinweg, dass die Sinneseindrücke, die er dort als Kind empfing, geeignet waren, eingehüllt in die Aromen der Erinnerung literarisiert zu werden. In Jean Santeuil, dem postum veröffentlichten Romanfragment, wird Jeans Vater auf der Wagenfahrt vom Bois de Boulogne ins Pariser Zentrum von Erinnerungen heimgesucht an »jenes sechsstöckige Mietshaus, unter dem mit dem Garten von ehedem die glücklichen Jahre von Madame Santeuil und die Erinnerung von zwei Menschen, die ihr so teuer waren, für immer begraben lagen«. Die wehmütige Erinnerung, die diese Reflexion durchzieht, tritt umso schmerzlicher hervor, je deutlicher Jeans Mutter erkennt, welche »bis zur Unkenntlichkeit gehende, umstürzende Verwandlung ihres eigenen Hauses und Gartens« zwischenzeitlich stattgefunden hat. Auch Auf der Suche nach der verlorenen Zeit ist zu Anfang stark von Auteuil-Erfahrungen geprägt, wiewohl es den Anschein hat, als verdankten sich die meisten Szenen allein dem Garten der Tante Léonie in Illiers.
Auteuil, das war auch der Platz für Kinderspiele, etwa mit Marcels zwei Jahre jüngerem Bruder Robert, der gleichfalls im Weil-Haus geboren wurde. Dessen Tochter Suzy schildert in ihren Erinnerungen, wie sich Marcel und Robert als »Wilde« ausgaben, zur Verblüffung ihrer Eltern nackt durch den Garten in Auteuil hüpften und mit durchdringenden Schreien die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen suchten.
Viele Male fuhr Marcel von der elterlichen Stadtwohnung im 8. Arrondissement nach Auteuil – mal mit dem Zug vom Bahnhof Saint-Lazare (ausgestattet mit einer Fahrkarte erster Klasse, derer sich Marcel vor seinen Mitschülern schämte), mal mit dem Boot über die Seine, mal mit dem Pferde-Omnibus Auteuil – Madeleine, den auch Vater Adrien für den Weg zum Dienst nahm.
Etwa neun Kilometer beträgt die Entfernung zwischen Saint-Lazare und Auteuil, eine Strecke, für die man auch zu Prousts Zeiten keine Ewigkeit benötigte. Für phantasievolle, tatkräftige Männer freilich kann eine solche Bahnfahrt Anlass für mancherlei Ausschweifung geben. Albert Bloch, ein Freund des Erzählers in Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, brüstet sich ihm gegenüber, mit Madame Swann aparte Abenteuer im Vorstadtzug auf dem Weg nach Auteuil erlebt zu haben: »›Ich hatte gehofft‹, sagte er, ›durch dich ihre Adresse zu erfahren und bei ihr mehrmals pro Woche die Freuden des Eros, Liebling der Götter, genießen zu können, aber ich will nicht darauf bestehen, wenn du bei einer Professionellen, die sich mir dreimal hintereinander und in der raffiniertesten Art und Weise zwischen Paris und Point-du-Jour hingegeben hat, einen auf diskret machst. […]‹«
Von der Rue La Fontaine lässt sich der Fußweg durch Straßen fortsetzen, die an große Namen der Literaturgeschichte erinnern: Über die Rue George Sand und die Rue Henri Heine kommt man in die Rue du Docteur Blanche, benannt nach dem Vater des Malers Jacques-Émile Blanche, einem erfolgreichen Arzt. Jacques-Émiles Atelier befand sich in der Hausnummer 19; zu sehen ist davon nichts mehr, der komplexe, von Le Corbusier inspirierte Bau, den der Architekt Jean Ginsberg 1953 hier errichtete, verweist auf andere (kunst)historische Zusammenhänge und hat mit der Zeit, da Proust hier oft Gast bei seinem Porträtisten war, nicht viel zu tun.
Figarosiehe Kap. 10
Anna de Noailles. Gemälde von Philip Alexis de László
Die Rue Scheffer mündet in Richtung Norden in die Avenue Georges Mandel (vormals Rue Cortambert), wo Proust im Salon der Polignacs, die sich besonders den Künsten zuwandten und ein aufwendiges Mäzenatentum pflegten, erstmals auch Gabriel Faurés Sonate in A-Dur für Violine und Klavier hörte – ein Musikstück, das als eine der Inspirationsquellen für die berühmte Vinteuil-Sonate in der Suche nach der verlorenen Zeit gilt. Fauré, den Proust außerordentlich verehrte, starb 1924; sein Grab befindet sich auf dem Friedhof von Passy, der trotz seiner geringen Ausdehnung zahlreiche prominente Gräber aufweist. Viele Besucher der nahegelegenen Place du Trocadéro nutzen die Gelegenheit, hierher einen Abstecher zu machen, zu Gabriel Fauré, zu Claude Debussy oder Edouard Manet und seiner Schwägerin Berthe Morisot.
Dass auch der Filmkomiker Fernandel (Don Camillo und Peppone) 1970 seine letzte Ruhestätte in Passy gefunden hat, sei nicht verschwiegen, obwohl es in diesem Fall nicht ganz leicht fällt, Proust-Bezüge glaubhaft herzustellen.