Titel

Herbert Dutzler

Letzte Bootsfahrt

Ein Altaussee-Krimi

1

Da hätte Gasperlmaier nicht unbedingt dabei sein müssen. Wo er doch Begräbnisse überhaupt nicht ausstehen konnte. Schon allein der Trauermarsch löste in seinem Kehlkopf dieses seltsame Würgen aus, das ihm Tränen in die Augen trieb. Dabei hatte er die Voglreiter Friedl ja nicht einmal gut gekannt. Aber die trübseligen Mienen der Verwandten und Bekannten, die Blasmusik und das verhaltene Schluchzen seiner Mutter, die an seinem Arm hing und schon eine ganze Packung Papiertaschentücher aufgeweicht hatte, führten auch bei ihm selbst dazu, dass die Augen feucht zu glänzen anfingen.

Dabei, so dachte er bei sich, war ja die Friedl nicht unbedingt das gewesen, was man einen herzlichen Menschen nannte. Er konnte sich noch gut daran erinnern, wie sie immer gekeppelt hatte, wenn er und der Voglreiter Loisl, damals einer seiner besten Freunde, beim schönsten Wetter in dessen Zimmer gehockt waren und die Köpfe in Bessy- und Mickymaus-Hefterln gesteckt hatten, anstatt, wie Loisls Mutter es für vernünftig gehalten hätte, ihren Bewegungsdrang auf der Wiese, im Wald oder im Winter am Rodelhügel auszuleben. Einmal, so erinnerte sich Gasperlmaier, war sie ihnen sogar mit dem Besen nachgerannt, nur weil sie sich einen ganzen Wecken Brot aufgeschnitten, dick mit Butter bestrichen und mit Zwiebeln belegt hatten. Die Voglreiter-Küche hatte, das musste Gasperl­maier zugeben, nach dieser Jause zwar einigermaßen ausgeschaut, weil sie anscheinend nicht daran gedacht hatten, die Zwiebelschalen und die Brotbrösel wegzuputzen und die ganze Küchenkredenz überdies mit Butter verschmiert war, aber musste man deswegen gleich so einen Aufstand machen? Immerhin hatten sie sich selbst was zu essen hergerichtet und sich nicht wie die heutigen verwöhnten Fratzen im Auto zum Hamburger-­Imbiss chauffieren lassen, damit sie dort ordentlich an ihren Speckrollen und an verfrühter Diabetes arbeiten konnten.

Jetzt war sie also tot, die Voglreiter Friedl, die zeitlebens über alles Mögliche und Unmögliche gejammert und geklagt hatte, und seine Mutter, die ja eine ihrer besten Freundinnen gewesen war, hing an seinem Arm und öffnete gerade das zweite Packerl Papier­taschentücher. Dass aber immer gerade dann, wenn Gasperlmaier so einen Pflichttermin auf dem Altausseer Friedhof wahrzunehmen hatte, ein derart grauenhaftes Wetter sein musste. Bald war Ostern, und dennoch pfiff ein eisiger Wind vom Loser herunter, dass es die Schneeflocken fast waagrecht zwischen den Gräberreihen hindurchtrieb. Gasperlmaier griff nach seinem Hut, der ihm davongeweht zu werden drohte. Zwischen dem Loisl und seiner Schwester, die vor ihnen am offenen Grab standen, konnte Gasperlmaier den Pfarrer sehen, der offenbar völlig unbeeindruckt vom Wetter ein Gebet nach dem anderen herunterratschte, während seine Soutane im Wind knatterte und sich sein schütteres, langes Haar, das er über die Glatze gelegt hatte, von derselben löste und wie ein grauer Wimpel in Richtung See hinunterflatterte. Gasperlmaier war froh, dass er seinen Schladminger angezogen hatte. Der war zwar so schwer und so steif, dass er damit nicht einmal Auto fahren konnte, aber bei einem solchen Wetter drangen weder Kälte noch Nässe durch den dichten Lodenstoff hindurch.

Endlich war es so weit, der Pfarrer trat vom Grab zurück, und der Sarg wurde in die Grube hinuntergelassen. Plötzlich gab es einen Aufschrei, einer der Männer, die an den Seilen standen, verlor den Halt auf dem schlammigen Boden, weil ein Erdbrocken unter seinen Füßen nachgegeben hatte und lautlos in der nassen Grube verschwunden war. Kurz hing der Sarg schräg im Schacht, bevor sich der Mann wieder aufrappelte und schließlich und endlich die Friedl doch sicher und wohlbehalten in ihrem Grab angekommen war.

Heulend trat Loisls Schwester ans Grab heran und warf einen Blumenstrauß und die übliche Schaufel Erde auf den Sarg hinunter. Gasperlmaier hielt nicht viel davon, Blumen in eine Grube zu werfen, die ohnehin am selben Tag noch zugeschüttet werden würde. Gleichzeitig aber erinnerte er sich daran, dass ihn seine Christine gelegentlich schalt, er nehme Gefühle oft ebenso wenig wahr, wie er sie zeige, sogar als direkt gefühllos hatte sie ihn anlässlich mancher Auseinandersetzung schon bezeichnet. Gasperlmaier war da ganz anderer Meinung, er hob sich seine Gefühle für Gelegenheiten auf, wo sie einen Sinn hatten. Wenn zum Beispiel eines seiner Kinder wieder einmal einen Pokal vom Skifahren heimbrachte, erfüllte ihn das mit Stolz, und das, so fand er, war ein angenehmes, aufheiterndes Gefühl, das er gerne auskostete. Die Skisaison, so dachte Gasperlmaier betrübt, die lag gerade in den letzten Zügen.

Der Loisl trat mit steinerner Miene an die Grube heran, mit einer einzelnen Rose in der Hand, und Gasperlmaier hatte das Gefühl, als werfe er sie ein wenig heftig, fast zornig in die Grube. Auch das Schäufelchen Erde, das er hinterherwarf, prasselte lauter auf den Sarg als das seiner Schwester. Bald waren Gasperl­maier und seine Mutter an der Reihe. Die Mutter klammerte sich nun noch fester an Gasperlmaiers Arm, als sie direkt vor der Grube standen. „Pfüat di, arme Friedl!“, schluchzte sie, als sie ihre Nelken hinunterwarf. „Hast es nicht leicht gehabt, gell?“ Gasperlmaier fragte sich, ob seine Mutter gedachte, noch länger Zwiegespräche mit der Verstorbenen zu führen, die Situation war ihm peinlich, standen doch sicher noch mehr als hundert Leute hinter ihnen, die auf gleiche Weise Abschied von der Voglreiterin nehmen wollten.

„Komm jetzt, Mama!“ Sanft versuchte Gasperlmaier, die Mutter vom Grab wegzuziehen, die zunächst ein wenig Widerstand leistete, dann aber nachgab und erst recht hemmungslos zu schluchzen begann. Eigentlich war es immer das Gleiche, ob Hochzeiten oder Todesfälle, ob es sich um nähere Verwandtschaft, Bekanntschaften oder nahezu Fremde handelte – seine Mutter heulte immer, was das Zeug hielt. Fast hatte Gasperlmaier den Verdacht, dass sie oft nur deswegen zu Be­gräbnissen ging, um ihre fast schon zwanghafte Sucht nach emotionalen Elementarereignissen zu befriedigen.

Eine Viertelstunde später trat Gasperlmaier in die gut beheizte Stube des Schneiderwirts, nahm seinen Hut ab, entledigte sich seines Schladmingers und hängte beides an einen Kleiderhaken. Dann half er seiner Mutter aus ihrem, wie er fand, viel zu dünnen schwarzen Mantel. Er war, so stellte Gasperlmaier fest, völlig durchnässt. „Mama, ich häng dir deinen Mantel zum Heizkörper da hinüber!“ „Danke!“ Gretl Gasperl­maier strahlte ihren Sohn an, nachdem ihre Tränen auf dem Weg vom Friedhof zum Leichenschmaus beim Schneiderwirt endlich versiegt waren. „Bist ein guter Bub!“ Sie trat an Gasperlmaier heran, zog die Kragenenden seines Hemdes zurecht und strich ihm über die Weste. „Ich bin kein Schulbub mehr, Mama!“ Er hasste es, wenn sie an seiner Kleidung herumnestelte, damit sie ihrer Meinung nach richtig saß. Er kam sich vor wie ein Idiot, wenn sie ihn wie ein Kleinkind behandelte, schließlich war er sechsundvierzig Jahre alt, Polizeiinspektor und hatte zwei fast erwachsene Kinder. Nicht einmal die ließen sich bei ihrer Kleidung etwas dreinreden, aber seine eigene Mutter hatte sich noch immer nicht daran gewöhnen können, dass er sich schon alleine anziehen konnte. „Sei doch nicht so empfindlich!“ Die Mutter zog ein beleidigtes Gesicht. „Ich hab’s doch nur gut gemeint!“ Den Spruch hatte Gasperlmaier auch schon allzu oft hören müssen.

Um weiteren Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen, zog er für die Mutter einen Stuhl unter dem Tisch hervor und rückte ihn ihr zurecht. Sie saßen gleich bei den Verwandten, denn die Mutter war jahrzehntelang mit der Voglreiterin befreundet gewesen, seit der Schulzeit schon, und es war so üblich, dass die besten Freunde nahe bei den nächsten Verwandten saßen. Gasperlmaier schüttelte dem Loisl die Hand. Seit der gemeinsamen Schulzeit hatten sie einander mehr oder weniger aus den Augen verloren. Der Loisl lebte zwar noch in Altaussee, pendelte aber täglich zu irgendeinem Betrieb in Liezen und hatte wenig Kontakt zu den Vereinen und Stammtischen im Ort. Er hatte nach der Hauptschule die HTL besucht und war jetzt Ingenieur, erinnerte sich Gasperlmaier.

Die Kellnerin kam mit einem Tablett voller Bierseideln, und Gasperlmaier nahm sich eines davon. „Prost, Loisl!“ Der Angesprochene stieß sein Glas mit finsterer Miene gegen das Gasperlmaiers. Mit einem langen Zug leerte dieser es bis zur Hälfte. Das hatte er sich nach dem Herumstehen in der Kälte redlich verdient, fand er. „Ah!“, entfuhr es ihm, und er wischte sich über die Lippen. Die Mutter sah ihn missbilligend von der Seite her an. „Trink nicht so schnell! Das ist ja kein Stammtisch, sondern ein Leichenschmaus!“, zischte sie ihm zu. „Ja, ja!“, beschwichtigte er, während sich ein schlanker, eleganter Herr der Mutter gegenüber hinsetzte. „Kennst mich noch, Gretl?“ Die Mutter schien kurz zu überlegen, dann hellte sich ihr Gesicht auf. „Du bist doch der Schwaiger Michl! Dich haben wir hier ja schon ewig nicht mehr gesehen! Gut schaust aus!“

Es stellte sich heraus, dass der Schwaiger Michl nun ein Doktor Michael Schwaiger war, der in Wien lebte und dort als pensionierter Rechtsanwalt seinen Nachfolgern – zwei Söhnen – das Leben schwer machte. Geboren und zur Schule gegangen war er allerdings in Altaussee, zusammen mit Gasperlmaiers Mutter und der eben zu Grabe getragenen Friedl Voglreiter. „Wie geht’s dir denn so? Ist das dein Sohn?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, streckte der Herr Doktor die Hand über den Tisch. „Gestatten, Schwaiger. Ein alter Freund Ihrer Mutter.“ Gasperlmaier ergriff die Hand, die die seine kraftvoll schüttelte. „Gasperlmaier“, murmelte er.

„Und, was macht er so, der Herr Sohn?“ Gasperlmaier fragte sich, warum der Doktor sich nicht direkt an ihn, sondern an seine Mutter wandte. „Er ist bei der Polizei!“, sagte die, sichtlich stolz. „Wie sein Vater!“ „So, so, bei der Polizei!“, schmunzelte der Herr Doktor. „Habt’s da viel zu tun, in Altaussee? Wahrscheinlich hauptsächlich Führerscheine einsammeln, von den Be­soffenen, oder?“ Gasperlmaier meinte, aus den Worten des Herrn Doktor Geringschätzung herauszuhören, ersparte sich daher eine Antwort und wandte sich wieder seinem Seidel zu. Als er es leer auf den Tisch setzte, schnappte sich die Jasmin schon das leere Glas, um es gegen ein volles auszutauschen. „Eh nösch eens, Gasperlmaier?“, flötete sie. Der nickte nur. Die Jasmin war aus Ostdeutschland hierhergezogen, und trotz ihrer teils schwer verständlichen Aussprache war sie den Altausseern sehr ans Herz gewachsen, denn sie war eine Kellnerin ganz nach dem Geschmack der hiesigen Stammkunden. Kaum setzte man ein leeres Glas ab, wurde es gegen ein volles ausgetauscht, ohne dass man umständlich nach der Bedienung rufen oder gar längere Zeit ins leere Glas starren musste. Sie las, quasi, ihren Stammgästen jeden Wunsch vom leeren Glas ab.

Wenig später wurde das bei Beerdigungen übliche Rindfleisch mit Semmelkren gebracht, und Gasperlmaier und der Loisl leerten, wiederum unter den missbilligenden Blicken der Mutter, das zweite Seidel, um ein drittes vor sich hingestellt zu bekommen. Der Loisl, so stellte Gasperlmaier fest, musste sich die bösen Blicke gleich von zwei Seiten gefallen lassen. Neben ihm saß seine Frau, die Bruni, und am Kopfende des Tisches seine ältere Schwester, die Mathilde.

Noch ein wenig später, als die Damen bei Kaffee und Kuchen und die Herren bei einem Schnaps saßen, wurde die Stimmung etwas lockerer, wie es eben bei einem Leichenschmaus so passiert. Vereinzelt wurde an der Tafel sogar schon verstohlen gekichert. Selbst der Loisl war ein wenig aufgetaut und schmunzelte zu den Anekdoten, die über die Verstorbene erzählt wurden. „Weißt du’s noch?“, meinte der Loisl, dessen Zunge schon ein bisschen schwerfällig geworden war, „wie uns die Mama damals mit dem Besen nach ist? Wegen der Zwiebelbrote?“ „Immer um den Tisch herum!“, grinste Gasperlmaier, dessen Inneres vom Zirbenschnaps wohlig gewärmt wurde. „Aber erwischt hat sie uns nicht!“ Die beiden prosteten sich zu und kicherten. „Aber ich dafür!“, mischte sich mit strenger Stimme die Mutter ein. „Der Franzl hat dafür eine ganze Woche Geschirr abwaschen müssen. So was hab ich nicht durchgehen lassen!“ Die Mutter klopfte fest mit den Finger­knöcheln auf den Tisch, um ihre damalige Entschlossenheit zu unterstreichen. „Strafe muss sein!“

Der Loisl stand auf und musterte die Tischgesellschaft mit, wie es Gasperlmaier schien, argwöhnischen Blicken. „Ich muss einmal, bin gleich zurück.“ Nachdem ihm nun sein direktes Gegenüber abhandengekommen war, musste sich Gasperlmaier mit der Rolle des Zuhörers begnügen, während seine Mutter und der Herr Doktor einander kichernd Geschichten aus der gemeinsamen Schulzeit mit der Voglreiterin erzählten. Gasperlmaier fiel auf, dass der Doktor beim Aufheben der Kaffeetasse den kleinen Finger seltsam wegstreckte. Er trug einen recht teuer aussehenden Steireranzug, wahrscheinlich maßgeschneidert, mutmaßte Gasperlmaier. Er selbst steckte in einem ebensolchen, wenn auch von der Stange. Er hatte von seiner Mutter für die Beerdigung absolutes und unwiderrufliches Lederhosenverbot erteilt bekommen. „Wenn einer von deinen Stammtischbrüdern das Zeitliche segnet“, hatte sie gemeint, „dann kannst du dich von mir aus in der Lederhose auf den Friedhof stellen, da bin ich nicht dabei.“ Gasperlmaier hatte entgegnet, dass er in diesen Fällen sowieso nur entweder in der Feuerwehr- oder in der Polizeiuniform ausrücken würde, womit er aber das Thema verfehlt hatte und die Lederhose endgültig aus dem Spiel war. Also hatte er – eingekeilt zwischen der Mutter und seiner Christine – eines der örtlichen Trachtengeschäfte zwecks Anprobe aufsuchen müssen. Gott sei Dank hatte der zweite Anzug bereits gepasst und die Zustimmung sowohl der Mutter als auch seiner Christine erhalten. Und als er sich dann im Spiegel gesehen hatte, hatte er sich selbst eigentlich auch ganz fesch gefunden. Allerdings, so stellte er jetzt fest, saß der Anzug des Herrn Doktor irgendwie eleganter.

Der Herr Doktor nahm neuerlich einen Schluck von seinem Kaffee und setzte die Tasse fast liebevoll sanft auf die Untertasse. „Erinnerst du dich noch“, frage er, sich zur Mutter vorbeugend, „an die Frau Strassganger? Weißt eh, die Lehrerin mit dem blauen Kittel. Da haben wir uns nicht einmal in der Pause mucksen dürfen!“ Die Mutter kicherte albern, wie Gasperlmaier fand, und beugte sich über ihre Unterarme, die auf dem Tisch lagen. „Ihr dürft euch gerne ein Buch holen und darin lesen!“, äffte sie jetzt offenbar den Ton der Lehrerin nach. „Und wir haben gefolgt und uns die ganze Pause nicht gerührt!“ Beide lachten jetzt, und Gasperlmaier sah ein verdächtiges Glitzern in den Augen und eine gewisse Röte auf den Wangen seiner Mutter. Konnte das sein, dass der Herr Doktor mit seiner Mutter flirtete? Und dass sie darauf einging? Gasperlmaier hatte seine Mutter, seit der Vater vor fünfzehn Jahren gestorben war, nicht einmal mit einem fremden Mann reden gehört, geschweige denn, dass sie einen so angelächelt hätte wie jetzt gerade. Mit Sicherheit war der Herr Rechtsanwalt verheiratet und hatte dazu noch eine Geliebte irgendwo in einer Garçonnière sitzen, dachte Gasperlmaier bei sich. Er fragte sich, wo der Loisl blieb, und hob sein leeres Bierglas, von der Mutter unbemerkt, leicht an. Unauffällig tauschte die Jasmin das leere gegen ein volles Seidel aus.

„Kennen Sie den Alois schon lange?“ Gasperlmaier wurde unsanft aus seinen Gedanken gerissen, als ihn die Bruni, Loisls Frau, plötzlich ansprach. Nach einer Schrecksekunde, während der er kurz überlegen musste, von welchem Alois hier die Rede war, hatte er begriffen, dass sie natürlich den Loisl selbst meinte. „Lang!“, antwortete er einsilbig und stellte dabei fest, dass Loisls Frau durchaus ansehnlich war. Die blonden Haare waren zwar gefärbt, wie man am Haaransatz sehen konnte, doch sie hatte ein hübsches Gesicht, auch wenn sich darin schon einige Falten eingegraben hatten. Und was man oberhalb der Tischkante von ihrer Figur sehen konnte, fand durchaus Gasperlmaiers wohlwollende Zu­stimmung. „Seit der Volksschule. Eigentlich vorher schon, wir waren viel zusammen. Wir waren ja fast Nachbarn“, wurde er jetzt ein wenig ausführlicher. „Komisch, dass wir uns nie begegnet sind. Ich bin mit dem Alois ja schon zusammen, seit er beim Bundesheer war. Da haben wir uns nämlich kennengelernt.“ „Waren Sie auch beim Bundesheer?“, fragte Gasperlmaier zurück und merkte im selben Moment, wie dumm seine Frage gewesen war. Die Frau Voglreiter aber kicherte nur und hielt die Frage bloß für einen guten Witz. Gasperlmaier sah, dass vor ihr ein leeres Weinglas und ein Schnapsstamperl standen. Vielleicht war sie deswegen schon so gut aufgelegt, mutmaßte er. „Wir haben uns in einem Lokal kennengelernt, ich war ja damals noch in der Schule. Und er war schon fesch, in der Uniform.“ Mehr als ein „Aha!“ fiel Gasperlmaier dazu nicht ein, er fühlte sich irgendwie müde, ein wenig benebelt von Bier und Schnaps, und hatte eigentlich keine große Lust auf eine längere Unterhaltung mit der Frau Voglreiter, die sich gerade über den Tisch zu ihm herüberbeugte und ihn in verschwörerischem Tonfall fragte: „Habt’s ihr viel angestellt, ihr zwei, wie ihr jung wart? Mit den Mädels, und so?“ Dabei kicherte sie neckisch. Gasperlmaier zuckte mit den Schultern. Das war ein kleiner wunder Punkt bei ihm, denn in seiner Jugend hatte es mit den Mädchen so gar nicht klappen wollen. Zwar war er ständig in irgendeine verliebt gewesen, hatte sich aber niemals getraut, sich seinen Angebeteten auch nur zu nähern. Von seiner Christine hingegen war er selbst erobert worden.

Die Voglreiter Bruni, so schien es Gasperlmaier jetzt, wollte gar nicht mehr aufhören zu reden, obwohl er selbst einsilbig blieb. „Und bei unserer Hochzeit waren Sie auch nicht dabei. Wieso denn das, wo ihr doch so gute Freunde wart?“ „Wir haben uns halt ein bissl aus den Augen verloren“, war seine ausweichende Antwort. Missbilligend sah er währenddessen zu, wie neben ihm seine Mutter mit dem Herrn Doktor geradezu turtelte. Was wollte der eitle Geier eigentlich von ihr? Die waren doch beide schon jenseits von Gut und Böse, was das Gewisse betraf. Gasperlmaier wollte sich gar nicht vorstellen, dass seine Mutter mit einem Mann, nein.

Gasperlmaier musste jetzt dringend aufstehen, er brauchte ein bisschen frische Luft. Er trat aus der Gaststube und vor die Haustür. Das Wetter hatte sich ein wenig beruhigt. Gasperlmaier sog die kühle, frische Luft ein, als die Frau Voglreiter neben ihm auftauchte. Langsam fühlte Gasperlmaier sich verfolgt. „Sind Sie eigentlich verheiratet, Herr Gasperlmaier?“ Er atmete hörbar aus. „Ja, ja. Und sogar glücklich!“, beeilte er sich mit seiner Antwort. „Wo nur der Loisl bleibt? Wollte er nicht nur aufs Klo gehen? Was kann er denn dort so lange machen?“ Gasperlmaier wollte nicht unhöflich sein und behielt für sich, was der Loisl seiner Meinung nach auf dem Klo tat. Vielleicht war er ja auch noch eine Zigarette rauchen gegangen, oder er drückte sich hinter dem Haus mit irgendwelchen Spezis aus früherer Zeit oder mit einer verflossenen Flamme herum. Gasperlmaier war das herzlich egal.

Da tauchte plötzlich vor dem Eingang zum Wirtshaus ein Wagen der Altausseer Polizei auf. Der Kahlß Friedrich, Gasperlmaiers Postenkommandant, sprang heraus, soweit das bei seiner Leibesfülle möglich war. Hektisch winkte er Gasperlmaier. „Komm, schnell! Ich hab da gerade einen dringenden Anruf gekriegt! Steig ein!“ Hektisch wedelte er mit der rechten Hand. Wenn der Friedrich sein Phlegma einmal ablegte und so energisch wurde, dann konnte es sich nur um einen unaufschiebbaren Notfall handeln, das wusste Gasperlmaier. Er ließ sich, ohne zuerst seinen Schladminger aus dem Wirtshaus zu holen, auf den Beifahrersitz fallen.

Der Friedrich beschleunigte so schnell, dass Gasperlmaier in den Sitz gedrückt wurde und Mühe hatte, den Sicherheitsgurt noch zu schließen. „Ist eh nicht weit!“, meinte der Friedrich. Viel mehr aber hätte Gasperlmaier interessiert, was der Grund dafür war, dass er so unsanft mitten aus dem schönsten Leichenschmaus herausgerissen wurde. Noch bevor er aber Zeit fand zu fragen, informierte ihn der Friedrich. „Einen Toten haben wir. Der Breitwieser Ferdinand. Die Tochter hat gerade angerufen. Ihre Mutter hat den Ferdinand tot auf dem Klo gefunden.“ Gasperlmaier zögerte. Der Name sagte ihm rein gar nichts, dennoch wollte er nicht zugeben, dass er jemand Einheimischen nicht kannte, noch dazu, wo er in seiner Nähe wohnte. „Weißt eh, das war doch der mit den Immobilien. Da hat es doch auch auf der Gemeinde einmal was gegeben.“ Der Friedrich wusste also auch nur ungefähr Bescheid, was der Breitwieser so getrieben hatte.

„Was haben wir eigentlich damit zu tun, dass der tot ist?“, wollte Gasperlmaier wissen. „Das werden wir gleich sehen!“, meinte der Friedrich. „Die Tochter ist auch gerade auf dem Weg zu ihrem Elternhaus, die weiß auch nicht mehr als wir. Ihre Mutter hätte ihr gesagt, dass sie schnell kommen soll, der Papa wäre tot.“ Der Friedrich bremste das Fahrzeug ab. Gehalten hatten sie vor einem unauffälligen Haus, das zwar in der Nähe des Gasperlmaier’schen Anwesens lag, an dem er aber selten vorbeikam, da es in einer Sackgasse lag. Das Haus selber war unauffällig, nicht neu, nicht alt, im nichtssagenden Stil der sechziger Jahre gehalten, aber in ordentlichem Zustand. Der Garten erschien Gasperlmaier recht aufgeräumt, fast spartanisch. Hier lebten offenbar keine Pflanzenfreunde.

Aus dem Haus kam ihnen eine am ganzen Körper zitternde junge Frau entgegen, wohl die Tochter, die den Friedrich gerufen hatte. Kurze blonde Haare umrahmten ein etwas fülliges Gesicht, das Kostüm, das sie trug, schien Gasperlmaier elegant und teuer. Sie packte Gasperlmaier am Arm und zog ihn mit sich die wenigen Stufen zur Haustür hinauf. „Kommen Sie, kommen Sie!“, heulte sie fast ununterbrochen. „Der Papa, der Papa!“ Gasperlmaier fürchtete sich ein wenig. Dem Anblick grauenerregend zugerichteter Leichen war er in der Regel nicht gewachsen, da spielte sein Magen nicht mit. Er wusste das aus leidvoller Erfahrung von früheren Ermittlungen. Die Tochter schob ihn durch ein recht enges Vorhaus auf eine offen stehende Tür zu. „Ich bin auch gerade erst gekommen! Ich hab noch gar nichts tun können!“ Hinter der Tür sah Gasperlmaier schon das Malheur. Zunächst gewahrte er nur einen vor der Klomuschel knienden Mann im schwarzen Anzug, der aussah, als habe er sich nach übermäßigem Alkoholkonsum übergeben müssen. Die Hose hing herab, sodass das blanke Hinterteil zu sehen war.

Gasperlmaier wollte sich schon entrüstet abwenden und der Tochter die Leviten lesen. Bloß weil der Vater betrunken heimgekommen war und es doch immerhin noch bis aufs Klo geschafft hatte, musste man nicht gleich hysterisch nach der Polizei rufen. Die Tochter aber hinter ihm schrie: „Er ist tot! Tot!“ Gasperlmaier wurde ein wenig unwohl. Sich umwendend suchte er Beistand beim Friedrich, der aber plötzlich verschwunden war. Also drängte er sich in der engen Toilette am Körper des Mannes vorbei und stellte fest, dass sein Kopf tief in der Muschel steckte, so tief, wie es nur ging, genau über dem Abfluss. Das Wasser war zwar abgelaufen, die nassen Haare des Toten allerdings verrieten, dass sein ganzer Kopf unter Wasser gewesen sein musste.

Gasperlmaier wusste, dass er nun den Puls zu fühlen hatte, um sicherzugehen, dass der Tote nicht etwa doch noch einen Funken Leben in sich hatte. Er drängte sich wieder nach draußen und sah nach dem Friedrich, den er um ein Paar Handschuhe bitten wollte. Seine Uniform und Ausrüstung hatte er ja nicht dabei, und einen Toten mit den nackten Händen anfassen, das war Gasperlmaiers Sache nun nicht unbedingt. Er fand ihn auf den Stufen der Treppe in den ersten Stock sitzend vor. Neben ihm stand die Tochter des Toten, immer noch in ihre Papiertaschentücher schluchzend. „Wennst wenigstens Handschuhe für mich hättest!“ Der Friedrich ächzte, als er in den Taschen seines Uniformrocks danach suchte. Es dauerte eine Weile, bis er Gasperlmaier ein Paar Latexhandschuhe hinhielt. Der musste sich neuerlich an dem knienden Toten vorbeidrängen, streifte die Handschuhe über und langte in die Toilettenschüssel. Die mehreren Seideln Bier und die paar Schnäpse, ebenso wie das Rindfleisch samt dem Semmelkren, drängten nach oben, doch Gasperlmaier konnte seinen Magen mit ein paar tiefen Atemzügen beruhigen. Er tastete nach dem Hals des Toten, fühlte dort aber keinerlei Puls. Gasperlmaier konnte den Anblick des halbnackten Toten nur schwer ertragen und dachte sich, er könnte ihm auch gleich die Hose hinaufziehen, wo er schon die Handschuhe anhatte. Es musste ja nicht sein, dass die Tochter diese zusätzliche Peinlichkeit ertragen musste, dass der Vater halb entkleidet aus dem Haus hinausgetragen wurde. Mit ein paar kräftigen Rucken hatte er die Hose bis auf die Hüfte gezogen, wobei der Tote ein wenig zur Seite rutschte. Als er den Hosenbund zuknöpfen wollte, bemerkte er, dass dort der Knopf fehlte. So begnügte er sich damit, den Gürtel zuzuschnallen, und selbst das war mühsam genug. Gasperlmaier geriet, halb auf dem Körper des Verstorbenen liegend, ins Schwitzen. Plötzlich sah er, wo der Hosenknopf hingekommen war: Er lag direkt vor der Kloschüssel auf dem Boden. Gasperlmaier hob ihn auf und drehte ihn zwischen seinen Fingern. Ob es der Ferdinand Breitwieser so eilig gehabt hatte, aufs Klo zu kommen, dass er sich den Knopf selbst abgerissen hatte? Oder ob da vielleicht jemand nachgeholfen hatte? Er musste den Knopf jedenfalls dem Friedrich zeigen.

Gasperlmaier richtete sich auf, streifte die Handschuhe ab und warf sie in den kleinen Mistkübel, der direkt zu seinen Füßen stand. Was hier wohl geschehen war? War der Mann, der nur noch wenig graues Haar besaß, auf der Toilette zusammengebrochen und verstorben, als er gerade dabei gewesen war, sein Wasser abzuschlagen? Da fragte sich Gasperlmaier aber schon, wie es dann kam, dass die wenigen verbliebenen grauen Haarsträhnen nass waren. Er konnte ja kaum ins Klo gefallen sein und danach die Spülung betätigt haben. Gasperlmaier besah sich den Kopf der Leiche noch einmal genauer und meinte, am Nacken deutliche rote Abdrücke wahrzunehmen. Gewiss, solche konnte man auch von einem zu engen Hemdkragen bekommen, aber konnte es nicht auch sein, dass der Mann gewaltsam in die Kloschüssel gedrückt worden war? Zusammen mit dem abgerissenen Knopf waren das doch Hinweise, die Zweifel an einem natürlichen Tod aufkommen ließen.

Der Friedrich erhob sich ächzend von der Stiege, als Gasperlmaier wieder auftauchte. Die Tochter schien sich ein wenig beruhigt zu haben. „Setzen wir uns jetzt vielleicht ins Wohnzimmer, Frau …“ Der Friedrich ließ den Satz ausklingen. „Schnabel“, sagte die. „Roswitha Schnabel.“ „Frau Schnabel. Um zu besprechen, was hier geschehen ist, und was zu tun ist.“ Die Frau Schnabel nickte und bat sie ins Wohnzimmer. Gasperlmaier folgte ihr und nahm den Raum in Augenschein. Als erstes fielen ihm die vielen Steine auf, die auf Regalen sorgsam geordnet lagen. Es gab sie in allen Farben und vielen Größen, roh und kantig genauso wie rund und geschliffen, von durchscheinend bis kohlrabenschwarz. Zusätzlich waren die freien Wände mit Bildern und Zeichnungen übersät, die meist menschliche Körper mit irgendwelchen Kreisen und Linien zeigten, die durch die Körper hindurch- und um sie herumführten. Auf einigen Bildern waren engelartige Wesen zu sehen, die verschwommen zwischen Wolken in allen Farben des Lichtspektrums herumschwebten. Es war ein wenig gespenstisch.

„Das ist meine Mutter.“ Die Frau Schnabel zeigte auf eine in einem Lehnsessel sitzende Frau, die zwischen Daumen und Zeigefinger einen rosaroten, durchscheinenden Stein festhielt, den sie in der Herzgegend gegen ihren Pullover drückte. Der war ebenfalls rosarot, wie Gasperlmaier auffiel, als er sich ihr näherte, sich vorstellte und die Hand ausstreckte. „Nicht!“, warnte ihn die Frau Schnabel. „Sie schüttelt keine Hände. Zumindest nicht Ihre, nicht hier und nicht jetzt.“ Plötzlich meldete sich die Mutter selbst zu Wort. „Das ist ganz schlecht für die Aura, wissen Sie das nicht? Man stört die Energieflüsse, man beschädigt das Chakra. Menschen sollten sich überhaupt nicht zu nahe kommen.“

Die Frau Schnabel zuckte mit den Schultern und bot ihnen Platz an. Gasperlmaier fand, dass die Frau Breitwieser zwar seltsame Dinge gesagt hatte, von ihrer Art und Sprechweise her aber ganz normal, sogar freundlich wirkte. Verrückt schien sie ihm nicht zu sein, obwohl er sich natürlich fragte, was der Stein zu bedeuten hatte. Offenbar hatte er ihn etwas zu lange angestarrt, denn die Frau Breitwieser begann ungefragt zu erklären. „Rosenquarz. Er stärkt mein Herz-Chakra. Das Zentrum der bedingungslosen Liebe. Es war eine mühevolle Aufgabe für mich, meinen Mann bedingungslos zu lieben.“ Gasperlmaier verstand ziemlich wenig von dem, was sie gesagt hatte, er war schon beim „Chakra“ ausgestiegen. Die Frau Schnabel seufzte. „Meine Mutter interessiert sich sehr für, für …“ Sie zögerte ein wenig, so als suche sie nach Wörtern, die ihre Mutter nicht beleidigten. „Spirituelle Dinge. Sie beschäftigt sich mit Engeln, Lichtwesen und solchen Sachen. Ich respektiere das.“ In ihrem letzten Satz hörte Gasperlmaier etwas mitschwingen, was nicht ganz dem Wortlaut entsprach. Auch warf die Frau Schnabel ihrer Mutter Blicke zu, die darauf schließen ließen, dass sie selbst nicht in dieser Engelwelt lebte und so ihre Probleme mit dem Glauben ihrer Mutter hatte.

„Zur Sache!“ Der Friedrich wurde ungeduldig und wollte offenbar in der Angelegenheit, deretwegen sie hier waren, etwas weiterbringen. „Was ist eigentlich genau passiert?“ Er wandte sich dabei an die Frau Schnabel. Die aber zuckte nur mit den Schultern. „Ich war ja selbst nicht dabei. Meine Mutter hat mich angerufen. Sie hat sich ein wenig unklar ausgedrückt. Mein Vater sei zu den Meistern aufgestiegen, er sei abgeholt worden, obwohl er es gar nicht verdient habe, hat sie gesagt. Ich bin dann natürlich gleich her. Das hat ein paar Minuten gedauert, ich war gerade in der Stadt, in Aussee. Und da habe ich genau die Situation vorgefunden wie Sie jetzt auch. Meine Mutter hat keine weiteren Erklärungen abgegeben.“

Gasperlmaier kam ein fürchterlicher Verdacht. Was, wenn die Frau Breitwieser in einem Anfall geistiger Umnachtung beschlossen hatte, ein wenig dabei nachzuhelfen, dass ihr Mann ins Reich der Engel gelangte? Wenn sie seinen Kopf in die Klomuschel gedrückt und hinuntergespült hatte? Wieder und wieder? Bis er sich nicht mehr rührte? „Waren Sie dabei, als Ihr Mann gestorben ist?“, fragte er sie deshalb einfach. Die Frau Breitwieser sah ihn an, lange und durchdringend, wie Gasperlmaier fand, und entschloss sich dann zu einer Antwort. „Junger Mann“, sagte sie, ohne den Stein vor ihrer Brust zu bewegen, „ich war selbst nicht zu Hause, als Ferdinand fortging.“ „Wie, fortging?“, fragte Gasperlmaier nach. „Wir wollen ja nicht wissen, wann er fortging, sondern was auf dem Klo passiert ist.“ Die Frau Schnabel mischte sich ein. „Sie meint, als er starb. Meine Mutter drückt sich häufig etwas schwer verständlich aus.“ Gasperlmaier war peinlich berührt und reagierte mit verständnisvollem Nicken.

„Also, wo waren Sie denn, als er … fortging?“, setzte der Friedrich nun nach, und die Frau Breitwieser zuckte mit den Schultern. „Was weiß ich? Ich habe ja keine Ahnung, wann er gestorben ist. Wie ich fortgegangen bin, war er noch quicklebendig, hat Bier getrunken und sich auf die Terrasse gestellt, um eine Zigarette zu rauchen.“ Die Missbilligung, die in den Worten der Frau Breitwieser mitschwang, war fast mit Händen zu greifen. Gasperlmaier fiel bei der Wortwahl der Frau Breitwieser auf, dass ihr Mann nun sehr wohl gestorben war, sie dagegen fortgegangen, obwohl sie quicklebendig hier herumsaß. Er entschloss sich, darauf nicht weiter herumzureiten, damit sie in ihrer Befragung weiterkamen. „Wo waren also Sie?“, setzte er etwas genervt fort. Die Frau Breitwieser zuckte unschuldig mit den Schultern. „Ich war einkaufen. Drüben, im Markt. Vielleicht, dass ich eine halbe Stunde weg war.“ Sogar die Frau Breitwieser, dachte Gasperlmaier bei sich, konnte offenbar nicht nur von der Energie ihrer Engel leben, sondern musste, wie jeder andere, auch was Hand­festes zum Beißen einkaufen. Wahrscheinlich, so dachte er hämisch, hat sie sich warmen Leberkäse und Pfefferoni besorgt.

Plötzlich stand die Frau Breitwieser auf und legte ihren Stein beiseite. Sie stellte die Füße hüftbreit nebeneinander und begann, mit den Armen langsam Kreise in die Luft zu ziehen. Dabei summte sie leise. Der Friedrich und Gasperlmaier sahen sprachlos zu. Nach wenigen Kreisen ließ sie die Arme sinken und lächelte den beiden Polizisten augenscheinlich entspannt zu. „Möchten die Herren vielleicht ein Glas energetisiertes Wasser trinken? Sie werden sehen, das wirkt Wunder!“

Der Friedrich und Gasperlmaier wechselten be­sorgte Blicke. Was war mit der Frau los? Ihr Mann lag tot im Klo, und sie selbst vollführte Turnübungen und bot Getränke an, als ob es das Alltäglichste von der Welt wäre. Am Ende, so dachte Gasperlmaier bei sich, lebte sie recht glücklich in einer Welt, die von der ihren, spirituell zumindest, ziemlich weit entfernt war.

Die Frau Breitwieser verschwand in der Küche, die Frau Schnabel folgte ihr mit besorgtem Blick. Gasperlmaier nutzte den günstigen Moment, drückte dem Friedrich den abgerissenen Knopf in die Hand und klärte ihn im Flüsterton über die roten Flecken am Hals des Toten auf. Die Frau Breitwieser kehrte mit zwei Gläsern Wasser zurück, die sich in nichts von dem Wasser zu unterscheiden schienen, das Gasperlmaier auch zu Hause aus der Leitung trank. Sie stellte die Gläser vor den Friedrich und Gasperlmaier hin, verschwand noch einmal und kehrte mit einer Karaffe zurück, die halb mit Wasser gefüllt war und auf deren Boden ein blauer, geschliffener Stein lag. Sie stellte die Karaffe auf den Tisch und deutete auf den Stein. „Das ist ein Amulett des Erzengels Chamuel. Die Schwingungen des Erzengels übertragen sich auf das Wasser, und die Energie des Erzengels wird direkt in Ihr Zellwasser übertragen, wenn Sie es trinken.“

Gasperlmaier fühlte sich nicht wohl. Die Frau hatte offenbar einen ganz gewaltigen Tick, aber die Art, wie sie sprach, wirkte völlig normal und zusammenhängend, keineswegs verrückt. Die Frau Schnabel, stellte Gasperlmaier mit einem Seitenblick fest, rollte ihre Augen. Gasperlmaier schloss seine Hand um das Glas und warf dem Friedrich einen Blick zu. Der zuckte mit den Schultern, um Gasperlmaier darüber in Kenntnis zu setzen, dass auch er nicht recht wusste, wie er sich jetzt verhalten sollte. Gasperlmaier nahm einen Schluck. Sie saßen jetzt schon eine Viertelstunde hier herum und hatten kaum etwas Sinnvolles erfahren, ihm war vom üppigen Essen und Trinken immer noch nicht ganz gut, und er wollte so bald wie möglich raus hier. Das Wasser schmeckte völlig normal, kühl und wohlschmeckend war ja das Altausseer Wasser immer schon gewesen. Wie hätte es hier mitten in den Bergen auch anders schmecken sollen. Allerdings, so erinnerte sich Gasperlmaier in diesem Moment, waren im Trink­wasser in Hallstatt drüben auch schon einmal Überreste aus dem Motoröl der Pistengeräte auf dem Dachsteingletscher oben aufgetaucht, aber so etwas, hoffte er, würde es bei ihnen doch nicht geben. Nach Motoröl schmeckte das Wasser jedenfalls nicht.

Die Frau Breitwieser lächelte erwartungsvoll. „Gut!“, sagte Gasperlmaier, um irgendetwas zu sagen, nickte beifällig und horchte sorgfältig in sich hi­nein, ob er Schwingungen oder Energien des Erzengels in sich verspüren konnte. Der Friedrich war weniger zurückhaltend. „Liebe Frau Breitwieser“, brummte er, „bei mir bringt ein frisches, kühles Bier wesentlich mehr in Schwingung als Ihr abgestandenes Leitungswasser. Wenn Sie sich jetzt bitte hinsetzen und uns ein paar Fragen beantworten. Oder wollen Sie, dass Ihr Herr Gemahl morgen noch am Klo hängt und zu stinken anfängt?“ Gasperlmaier erschrak. Ob das klug war, die Frau Breitwieser so zu verprellen? Erstaunt stellte er fest, dass die Frau Schnabel ein Grinsen unterdrücken musste und sich die Hand vor den Mund hielt, damit es nicht allzu sehr auffiel.

Die Taktik von Friedrich hatte anscheinend zu­nächst Erfolg. Die Frau Breitwieser ließ sich konsterniert mit offenem Mund auf das Sofa fallen. Eigentlich, so dachte Gasperlmaier bei sich, war sie eine noch ganz attraktive, vor allem aber gut gekleidete und frisierte Frau. Sie musste jünger sein als ihr Mann, von dem Gasperlmaier allerdings nicht viel mehr gesehen hatte als den Hintern und ein paar schüttere, graue Strähnen. Und die schlaffe Haut an seinem Hals, die hatte er durch die dünnen Handschuhe hindurch gespürt. Ein kalter Schauer überlief ihn bei der Erinnerung daran, wie er nach dem Puls des Toten hatte fühlen müssen.

„Sie waren also einkaufen“, setzte der Friedrich fort. „Im Markt, unten an der Hauptstraße. Ihr Mann hat, als Sie fortgegangen sind, noch gelebt, hat sich ein Glas Bier eingeschenkt und ist auf die Terrasse gegangen, um eine Zigarette zu rauchen. Wann genau war das?“ Der Friedrich zog einen etwas zerknitterten Notizblock aus seiner Brusttasche, um zu demonstrieren, dass es ihm ernst war. Die Frau Breitwieser zuckte zunächst wieder mit den Schultern, bequemte sich aber schließlich doch zu einer Antwort. „Vielleicht um halb drei. Ja. Ich hab ihm noch gesagt, dass er nicht unbedingt schon am Nachmittag trinken muss, aber er hat ja wie üblich nicht auf mich gehört.“ Gegen Ende ihrer Aussage, fand Gasperlmaier, hatte ihre Stimme zunehmend hasserfüllt geklungen. „Sie sind also in den Markt. Das werden wir überprüfen. Haben Sie einen Kassabon?“ Gasperlmaier war erstaunt über die forsche Vorgangsweise des Friedrich, der sonst eher phlegmatisch auftrat. Am Ende war doch etwas dran an dem energetisierten Wasser mit den Strahlungen von dem Erzengel. Gasperlmaier stellte fest, dass der Friedrich das Glas ganz ausgetrunken hatte. „Wegen der paar Sachen nehm ich den Kassa­bon nicht mit!“, erregte sich die Frau Breitwieser. „Was soll das überhaupt? Was wollen Sie von mir? Ich weiß auch nicht mehr als Sie!“ „Haben Sie abgesperrt, als Sie das Haus verlassen haben?“ Das, fand Gasperlmaier, war eine überflüssige Frage. Kaum jemand in Altaussee sperrte tagsüber die Haustür zu, wenn sich jemand im Haus befand. Wozu auch? „Hab ich natürlich nicht“, entgegnete die Frau Breitwieser. „Ich sperr nie zu.“ Gasperlmaier fiel auf, dass die Frau Breitwieser keinen lokalen Dialekt sprach, sie bemühte sich um gepflegte Aussprache, ließ aber gelegentlich Vokale aufblitzen, die nach der Süd- oder Oststeiermark klangen. „Als Sie heimgekommen sind, wo war Ihr Mann da?“ „Na, da wo er jetzt ist. Ich hab ihn nicht angerührt. Ich hab gleich gewusst, dass er heimgegangen ist.“ „Und warum haben Sie nicht die Polizei oder die Rettung gerufen? Es hätte ja sein können, dass man noch etwas machen kann?“ Der Friedrich, so fand Gasperlmaier, war heute tatsächlich hartnäckig. Er musste einmal schauen, wo man solche Steine bekam. Zum Beispiel, fand er, könnten seine Kinder oft einmal zusätzliche Energie brauchen. Beim Zimmeraufräumen beispielsweise. „Ich habe ihm jahrelang gepredigt, ein besseres Leben zu führen, den Rat der Engel anzunehmen, auf mich zu hören. Vergeblich. Er hat seine gerechte Strafe bekommen.“ Gasperlmaier fragte sich, ob er nicht vielleicht auch freiwillig den Kopf in die Klomuschel gesteckt hätte, wenn ihm seine Frau jahre-, womöglich jahrzehntelang mit einem derartigen Unsinn die Ohren vollgejammert hätte.

„Ich glaub“, sagte der Friedrich mit einem Blick auf die Frau Schnabel, „es ist jetzt allerhöchste Zeit, dass wir einen Arzt holen, der sich Ihren Vater einmal anschaut.“ Mit einem warnenden Seitenblick zu Gasperlmaier hin fuhr er fort. „Wahrscheinlich hat er eben einen Herzinfarkt gehabt, oder einen Schlaganfall, und ist über dem Klo zusammengesackt. Aber, wie gesagt, ein Arzt sollte uns bestätigen, dass kein Fremdverschulden vorliegt.“ Eine kluge Finte, so dachte Gasperlmaier bei sich. Der Friedrich wollte die Frau Breitwieser in Sicherheit wiegen. Diese aber lachte hämisch auf. „Fremdverschulden! Wer so viel Schuld auf sich geladen hat wie mein Mann, der braucht keine Fremden dazu, dass er hinweggefegt wird!“

Gasperlmaier dachte bei sich, dass es mit der Ehe der Breitwiesers nicht zum Allerbesten gestanden haben konnte. Immerhin war der Ferdinand vor einer Viertelstunde noch „fortgegangen“, jetzt war er schon „hinweggefegt worden“. Wenn hier Fremdverschulden vorlag, würden sie nicht lang nach dem Täter suchen müssen.

Inzwischen hatte der Friedrich den Doktor Walter, den Gemeindearzt, angerufen. „Gehen wir einmal kurz an die frische Luft, Gasperlmaier“, sagte er, erhob sich und winkte Gasperlmaier, ihm zu folgen. „Sie beide bleiben bitte hier im Raum, bitte das Klo nicht betreten.“ Die Frau Schnabel nickte, stand ebenfalls auf und wandte sich dem Fenster zu, das in den Garten führte.

Draußen vor der Tür lüpfte der Friedrich erst einmal seine Mütze und fächelte sich ein wenig kühle Luft zu. „Puh!“, stöhnte er. „Mit der möchte ich nicht gern allein in einem Zimmer sein. Die ist ja zum Fürchten.“ Gasperlmaier ging davon aus, dass er die Mutter, nicht die Tochter meinte. „Was denkst du? Der ist doch nicht von selber gestorben!“, sagte Gasperlmaier zum Friedrich, der mit dem Fächeln sofort innehielt. „Ich sag dir was, Gasperlmaier. Du hörst die Flöhe husten. Wegen ein paar Flecken und einem abgerissenen Hosenknopf! Was glaubst du, wie oft mir schon ein Knopf auf dem Klo abgerissen ist? Erst die Tage ist mir einer im Wirtshaus in die Pissoirschüssel gefallen! Von so was hätt ich ja noch nie gehört. Dass einer in seinem eigenen Klo ersäuft wird. Da warten wir jetzt einmal auf den Doktor, da gibt es sicher andere Erklärungen dafür.“ Gasperlmaier fror, hatte aber keine Lust, alleine wieder zu den beiden Frauen ins stickige Wohnzimmer zurückzugehen. Und vor dem Klo wollte er erst recht nicht warten. Und dass dem Friedrich dann und wann einmal ein Hosenknopf abriss, das kam einfach davon, dass er ständig zunahm. Darauf aber wollte Gasperlmaier jetzt nicht herumreiten.

Zu seinem Glück kam aber schon der Doktor Walter mit seinem Allrad die Straße heraufgeröhrt. „Grüß Euch!“, meinte er aufgeräumt, als er die beiden Polizisten vor der Haustür stehen sah. „Gibt’s was zu feiern, Gasperlmaier? Du bist so elegant heute! Und anscheinend außer Dienst!“ Gasperlmaier blickte überrascht an sich hinunter. Er hatte völlig darauf vergessen, dass er noch im Steireranzug steckte und keine Uniform trug. „Nein, nein. Ich war mit der Mutter bei der Beerdigung von der Voglreiterin.“ Gasperlmaier fiel siedend heiß ein, dass er seine Mutter einfach im Stich gelassen hatte, die im Wirtshaus wohl darauf wartete, heimgebracht zu werden. Handy hatte die Mutter auch keins, also konnte er im Moment gar nichts tun. Außer, sich schnell auf den Weg zu machen, sobald der Doktor mit seiner Arbeit fertig war. Der wollte schon zur Tür hinein, als ihn der Friedrich am Arm zurückhielt. „Sagen Sie, Herr Doktor, kennen Sie die Breitwiesers?“ Der nickte. „Ja, sind Patienten bei mir. Er ist zweiundsiebzig, pumperlgesund, er war erst im Jänner bei mir zum Durchchecken. Sie ist fünfzehn Jahre jünger und abgesehen von ihrem Esoterikfimmel auch ganz gesund.“ Gasperlmaier überlegte, ob er den Doktor wegen des energetisierten Wassers fragen sollte, entschloss sich aber, dafür einen besseren Zeitpunkt abzuwarten. Er folgte dem Doktor hinter dem Friedrich ins Haus.

„So. Was haben wir denn da.“ Trotz des für Gasperl­maier immer noch etwas gruseligen Anblicks der Leiche ging dem Doktor Walter seine gute Laune nicht verloren. Er besah sich die Hände, die schlaff neben der Klomuschel hinunterhingen, beugte sich über das Becken und fühlte nach dem Puls des Mannes. „Tot“, stellte er etwas fest, was Gasperlmaier schon seit etwa zwanzig Minuten wusste. „Aber noch nicht lange.“ „Die Ehefrau sagt, sie ist um halb drei einkaufen gegangen.“ Der Doktor blickte auf seine Uhr. „Jetzt ist es vier vorbei. Ich würde sagen, dann ist er nicht lang nach halb drei gestorben.“ Der Doktor beugte sich noch einmal tief über den Hals des Toten, richtete sich dann auf und blickte Gasperlmaier und dem Friedrich ernst ins Gesicht. „Könnte auch vor halb drei gewesen sein. Das muss bei der Obduktion geklärt werden. Was aber entscheidender ist – ich kann Fremdverschulden nicht ausschließen. Da sind deutliche Hämatome am Hals sichtbar, auch Kratzspuren. Vor dem Tod zugefügt. Muss ja nichts heißen, vielleicht haben sich die beiden heiß geliebt.“ Der Doktor grinste. Gasperlmaier nickte dem Friedrich wissend zu. Er hatte es ja gleich gesagt, aber sein Postenkommandant hatte ihm nicht glauben wollen. „Ihr holt besser die Spurensicherung. Und wenn die attraktive Kommissarin kommt, hätte ich auch nichts dagegen!“, fügte der Doktor hinzu. Gasperlmaier fand es völlig unangemessen, dass der Doktor ihnen verschwörerisch zuzwinkerte.

Natürlich wusste Gasperlmaier genau, wen er meinte. Frau Doktor Kohlross vom Bezirkspolizeikommando in Liezen hatte schon bei mehreren Gelegenheiten Ermittlungen im Ausseerland geleitet, und Gasperlmaier war etliche Male ihr ortskundiger Be­gleiter gewesen. Die Frau Doktor Kohlross hatte bei Gasperlmaier sowohl, was ihr Äußeres betraf, als auch von ihrer Persönlichkeit her einen tiefen Eindruck hinterlassen, sodass in ihm etwas wie Eifersucht aufkeimte, sobald irgendjemand anderer eine anzügliche Bemerkung über sie fallen ließ. Gasperlmaier selbst überlief ein wohliger Schauer bei dem Gedanken, dass sie womöglich bald wieder hier auftauchen würde, um in einem Mordfall zu ermitteln. Wenn es denn einer war.

Während der Friedrich schon mit der Kriminalpolizei telefonierte, packte der Doktor Walter seine Sachen zusammen und verschwand im Wohnzimmer, um nach der Frau und der Tochter des Verstorbenen zu sehen. Gasperlmaier folgte ihm. „Mein aufrichtiges Beileid, die Damen.“ Der Doktor schüttelte mit ernster Miene der Frau und der Tochter die Hand, worauf Gasperlmaier einfiel, dass er und der Friedrich das unterlassen hatten. Was ihm jetzt ziemlich peinlich war.

Gasperlmaier neigte seinen Kopf nach vorne, um das unangenehme Ziehen in Nacken und Schulter, unter dem er seit einem Unfall vor einiger Zeit litt, ein wenig zu lindern. „Geht es Ihnen halbwegs?“, fragte der Doktor die Frau Breitwieser. „Soll ich Ihnen ein Beruhigungsmittel geben?“ Die Frau Breitwieser schüttelte den Kopf. „Dem Herrn Inspektor, dem geht es nicht gut. Ist etwas mit Ihrem Hals?“ Gasperlmaier fühlte sich ertappt und stellte sich kerzengerade hin. Die Frau Breitwieser stand auf, griff sich einen durchlöcherten blauen Stein aus einem der Regale und drückte ihn dem verblüfften Gasperlmaier in die Hand. „Aquamarin!“, flüsterte sie, „für ihr Hals-Chakra! Vishudda!“ Gasperl­maier wusste nicht recht, wie er reagieren sollte. Der Doktor sah belustigt zu ihm hin. Die Frau Breitwieser hingegen hielt die Hand auf. „Zwanzig Euro!“ Gasperlmaier merkte, wie Hitze in ihm aufstieg. Gleich würde er rote Ohren bekommen. „Entschuldigen Sie, Frau Breitwieser“, fiel es ihm gerade noch rechtzeitig ein. „Ich will eigentlich keinen Stein kaufen.“ Die zischte verächtlich. „Kaufen! So was kann man nicht kaufen! Das Geld ist lediglich eine Form des Energieaustausches! Wer braucht schon Geld!“

Gasperlmaier ergriff die Flucht. Draußen vor dem Haus überlegte er, ob er nicht ohnehin zu seiner Mutter und dem Schneiderwirt zurückkehren konnte. Mit ein paar geflüsterten Worten, damit der Friedrich nicht beim Telefonieren gestört würde, machte Gasperlmaier ihm seine Absicht klar. Der Friedrich verstand, nickte und winkte. Gasperlmaier machte sich schnellen Schrittes auf den Weg zum Schneiderwirt. Er fror.