Der Sonnenwirt

 

Hermann Kurz

 

 

 

 

 

Inhalt:

 

 

Hermann Kurz – Biografie und Bibliografie

Der Sonnenwirt

Erster Teil

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

Zweiter Teil

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

25

26

27

28

29

Dritter Teil

30

31

32

33

34

35

36

37

38

39

 

 

 

 

Der Sonnenwirt, H. Kurz

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849656164

 

www.jazzybee-verlag.de

admin@jazzybee-verlag.de

 

 

 

Hermann Kurz – Biografie und Bibliografie

 

Dichter und Novellist, geb. 30. Nov. 1813 in Reutlingen, gest. 10. Okt. 1873 in Tübingen, besuchte die Klosterschule in Maulbronn, studierte dann in Tübingen Theologie und Philosophie, aber mit noch größerm Eifer die Werke der alten deutschen Literatur. Später lebte er privatisierend an verschiedenen Orten Württembergs, meist jedoch in Stuttgart, wo er eine Reihe von Jahren den »Beobachter« redigierte, bis er 1864 Universitätsbibliothekar in Tübingen wurde. K. trat zuerst mit »Gedichten« (Stuttg. 1836) und »Dichtungen« (das. 1839) auf, die sich durch Gemütsinnigkeit und Formgewandtheit auszeichnen. Später wendete er sich vorzugsweise dem Roman und der Erzählung zu. Hierher gehören: »Schillers Heimatjahre« (oder, wie ursprünglich der Titel lautete: »Hermann Roller«, Stuttg. 1843, 3 Bde.; 3. Aufl. 1899; illustriert von Cloß, das. 1905; auch in Hendels »Bibliothek der Gesamtliteratur«, Halle 1905); »Der Weihnachtfund« (Berl. 1855, 2. Aufl. 1862); »Erzählungen« (Stuttg. 1858–61, 3 Bde.) und »Der Sonnenwirt« (Frankf. 1855; 2. Aufl., Berl. 1862, 3 Bde.), die bedeutendste seiner erzählenden Schriften. Von seinen mannigfachen historischen und literarhistorischen Arbeiten nennen wir: »Zu Shakespeares Leben und Schaffen« (Münch. 1868); »Aus den Tagen der Schmach. Geschichtsbilder aus der Mélacszeit« (Stuttg. 1871). Außerdem lieferte er treffliche Übersetzungen, z. B. von Ariosts »Rasendem Roland« (Stuttg. 1840; neue Ausg. mit Doréschen Illustrationen, besorgt von Heyse, Bresl. 1881), von Gottfrieds von Straßburg »Tristan und Isolde« (mit selbständigem Schluß, Bresl. 1844; 3. Aufl. 1877), von Cervantes' »Zwischenspielen« (Hildburgh. 1868), von einzelnen Stücken Shakespeares, Byrons, Moores u. a. Mit Paul Heyse gab er den »Deutschen Novellenschatz« (Münch. 1870 ff.) und »Novellenschatz des Auslandes« (das. 1872 ff.) heraus. Eine Ausgabe seiner »Gesammelten Werke« mit Biographie besorgte Heyse (Stuttg. 1874–75, 10 Bde.), eine neuere (»Sämtliche Werke«) mit Einleitungen Herm. Fischer (Leipz. 1904, 12 Bde.). Den »Briefwechsel zwischen Herm. K. u. Eduard Mörike« gab Bächtold (Stuttg. 1885) heraus. Vgl. Sulger-Gebing, H. K., ein deutscher Volksdichter (Berl. 1904).

 



Der Sonnenwirt

 

Eine Schwäbische Volksgeschichte

 

 

Erster Teil

 

1

 

»Nun, Meister Schwan, für diesmal ist Er christlich durchgekommen, straf mich Gott! Ohne Willkomm und Abschied! Herr Gott von Dinkelsbühl, tut mir fast leid, daß ich Ihm nicht ein paar aus dem ff auf Sein gesundes Leder aufmessen darf, aus purer Freundschaft. Und dazu bloß ein halb Jahr! Aber ich hoff, so ein heißgrätiger Bursch wie Er wird bald wieder das Heimweh nach unserer lustigen Kartaus bekommen. Aufs Frühjahr spätestens, wenn die Bäum ausschlagen, werden wir wieder die Ehre haben. Ich will derweil ein paar tüchtige Haselstöcke ins Wasser legen, damit sie den gehörigen Schwung und Zug kriegen zum Willkomm, wenn's heißen wird: ›des Ebersbacher Sonnen wirts sein Gutedel ist wieder da.‹ Adjes, Meister Schwan, glückliche Reise und nichts für ungut.«

 

Es war unter dem Tore des Ludwigsburger Zucht-und Arbeitshauses, wo einer der Aufseher einem jungen Menschen dieses spöttische Lebewohl sagte. Dem untersetzten stämmigen Burschen konnte niemand im Ernste den Meistertitel geben, denn er schien kaum zwanzig Jahre alt zu sein. Auch sah er sehr sauer zu der Ehrenbezeigung, die nicht gerade aus wohlwollendem Herzen kam; sein breites rotwangiges Gesicht spannte sich zu einem trotzigen Ausdruck, den eine tiefe Schramme auf der Stirne noch erhöhte. Er hielt die Augen, wie aus Verachtung, zu Boden geheftet, aber dann und wann schoß er seitwärts einen Blick hervor, der wie ein bloßes Messer funkelte. Der Aufseher gab ihm statt des »Abschieds«, den er ihm gerne zugedacht hätte, einen derben Schlag auf die Schulter und ging lachend hinweg. Der entlassene Sträfling ballte die Faust und sah ihm mit ingrimmigen Blicken nach.

 

Eben wollte er mit einer Gebärde, welche ein nichts weniger als anständiges, aber um so aufrichtigeres Gesinnungsbekenntnis enthielt, dem Zuchthause den Rücken kehren, als er, noch einmal umschauend, einen Gegenstand gewahrte, der den Haß auf seinem derben lebhaften Gesichte plötzlich in das entschiedenste Widerspiel verwandelte. Es war ein Greis, der in der Gebrechlichkeit des Alters an einem Stabe über den Hof gegangen kam; er trug schwarze Kleidung, und die beiden weißen Überschlägchen, die ihm von der Halsbinde herabhängend auf der Brust spielten, bezeichneten seinen geistlichen Stand. Seine Erscheinung machte einen sichtlichen Eindruck auf alle Begegnenden; die ausgelassensten Züchtlinge verstummten, als er im Vorübergehen einen Blick auf ihre Arbeiten warf; der rohe Aufseher wich ihm von weitem aus. Jedem bot er seinen zuvorkommenden Gruß; er war immer der erste, der das schwarze Käppchen über den spärlichen weißen Haaren lüpfte, und doch sollte es ihm offenbar dazu dienen, sein greises Haupt vor der Herbstluft zu schützen; denn neben dem Käppchen trug er den dreieckigen Hut unter dem Arm.

 

Der junge Mensch war unter dem Tore des Zuchthauses stehengeblieben. In seinen Mienen zuckte es wie Gewitter und Regenschauer; aber zum Weinen schienen diese Züge zu derb. Unwillkürlich bewegte er den Fuß, um dem alten Geistlichen entgegenzulaufen; er besann sich jedoch wieder und blieb schüchtern stehen. Als jener näher kam, zog er die Mütze und trat ihn mit einer linkischen Verbeugung an. Man konnte denken, wenn er ein Hund gewesen wäre, so wäre er mit freudigem Winseln an ihm emporgesprungen und hätte ihm Gesicht und Hände geleckt. So aber war er ein Wesen, um das der Zuchthausaufseher schwerlich seinen Pudel hergegeben hätte, ein entlassener Sträfling, ein unbändiger Mensch, voll Trotz und Roheit; und doch regte sich in seinem Herzen etwas, das wir auch in den winselnden Tieren ahnen und das die Bibel mit den Worten bezeichnet: das Seufzen der Kreatur.

 

»Mit Verlaub!« stammelte er, – »ich wollte nur dem Herrn Waisenpfarrer Adieu sagen, weil der Herr Waisenpfarrer immer so gut gegen mich gewesen ist – ich hätt ja nicht fortgehen können ohne das.«

 

Der Waisenpfarrer – denn dieser war es, dem die Seelsorge im Zuchthause oblag – neigte sich mit freundlichem Lächeln zu ihm. Er hatte aus den verlegenen, halb verschluckten Worten des sonst sehr anstelligen Burschen den rechten Kern herausgehört. »So ist Er denn also jetzt frei, Friedrich?« sagte er zu ihm. »Ich wünsch Ihm von Herzen Glück. Nun gebrauche Er aber auch seine Freiheit so, wie man eine Gottesgabe gebrauchen muß.«

 

»Ich versteh schon, Herr Waisenpfarrer!« erwiderte der Jüngling, der mit der ersten Anrede seine Beengung weggesprochen und sich in einen Ton bescheidener Zutraulichkeit hineingefunden hatte. »Ich versteh schon. Das ist wie mit dem Wein. Der ist auch eine Gottesgabe. Wenn man aber solche Gottesgabe zu hart strapaziert, so wirft sie den Menschen hin, daß er gleichsam wie vierfüßig wird. Dagegen, wenn man sie mit Maß genießt, so erfreut sie das Herz und macht helle Gedanken im Kopf. Grade so ist's auch mit der Freiheit. Wenn man von der über Durst trinkt, so kann sie einen auch wohin werfen, wo zum Beispiel keine Freiheit mehr ist.«

 

Bei diesen Worten wies er mit dem Daumen über die Schulter nach dem Gebäude, das er soeben verlassen hatte, und seine weißen Zähne blinkten lachend zwischen den kirschroten Lippen hervor.

 

»Ja, so ist's, mein Freund«, versetzte der Geistliche. »Man pflegt wohl zu sagen: ich nehme mir die Freiheit, das und das zu tun. Das ist nur so eine höfliche Redensart. Mancher aber nimmt sich mehr Freiheit, als er einem andern gönnt, und tut einem andern etwas, was er sich selbst nicht angetan wissen will. Das aber ist zu viel Freiheit, und Er weiß wohl, was zu viel ist, das ist vom Übel. Eigentlich sollten wir unsere Freiheit bloß dazu anwenden, um einander lauter Liebes und Gutes zu tun; denn wenn die Menschen alle einander dienen würden, dann wäre ja ein jeglicher so wie ein Diener auch wieder ein Herr, und dann wäre die wahre Freiheit in der Welt.«

 

»Ja, wenn alle so wären, wie der Herr Waisenpfarrer, dann wär's keine Kunst, ihnen zu dienen. Aber so ist's nicht in der Welt. Da ist viel Herzenshärtigkeit und Schlechtigkeit, nicht bloß solche, die den Nebenmenschen übervorteilt, sondern auch Bosheit, die ihm ohne allen Grund die Milch sauer macht, und wenn man auf so einen Giftmichel trifft, so meint eben die Faust gleich, sie müsse ein Wörtlein mit ihm reden.«

 

»Mein Sohn«, sagte der alte Geistliche, »man hat den Verstand dazu, daß man der Faust nicht ihren Willen läßt. Und es kommt nur darauf an, daß man einem Menschen seine gute Seite abgewinnen lernt. Eine gute Seite hat auch der Schlimmste. Wenn man aber einmal diese gefunden hat, so ist's, als hätte man den Schlüssel zu einer sonst verschlossenen Türe, und wenn man hineingeht, so trifft man oft auf Dinge, die man gar nicht hinter dieser Türe gesucht hätte. Da ist zum Exempel ein gewisser Friedrich Schwan. Den hat man mir geschildert als einen rohen, verworfenen Burschen, dessen Herz keiner guten Regung fähig sei – Faust in Sack! Die Leute urteilen eben nach der Außenseite – und wie ich ihn nun selber kennenlernte, da fand ich in ihm einen Menschen, dessen Herz wie ein wild aufgeschossenes Reis ist, trotzig und aufrührisch gegen jedes rauhe Lüftchen, weich und geschmeidig gegen jeden freundlichen Sonnenstrahl, einen Menschen, der gegen harte Worte und Behandlungen störrisch bleibt und den man mit Güte um den Finger wickeln kann. Ist's nicht so?«

 

»Ja, so ist's, Herr Waisenpfarrer«, antwortete der junge Mensch verlegen und gerührt.

 

»Nun, das ist aber auch keine Kunst, gegen Gute gut zu sein. Wenn's weiter nichts wäre als das, so würden wir ja durch die breite Pforte in den Himmel eingehen, statt durch die schmale.«

 

»Das ist wahr, Herr Waisenpfarrer«, erwiderte der junge Mensch bedenklich. »Aber wenn alle Menschen unterdiensthaft gegeneinander wären, wie Sie vorhin gesagt haben, so wäre es gerade dasselbe Ding.«

 

»Allerdings. Aber da die Menschen im allgemeinen bis jetzt nicht geneigt sind, uns die Himmelspforte so breit und bequem zu machen, so dürfen wir deshalb der schmalen nicht untreu werden. Wir müssen gegen unsere Nebenmenschen gerade so liebreich und dienstfertig sein, wie sie eigentlich gegen uns sein sollten, unangesehen, ob sie es sind oder nicht. Vielleicht gewinnen wir sie dadurch und bewegen sie, unser Beispiel nachzuahmen.«

 

»Ja, ja, Herr Waisenpfarrer«, fiel der junge Mensch lebhaft ein, »das ist gerade, wie wenn ein ungebautes Stück Feld umgebrochen werden soll. Da kommt es nur drauf an, daß einmal ein Anfang gemacht wird, der für den Fortgang und fürs Fertigwerden Bürgschaft gibt, und ist also ein kleines umgepflügtes Flecklein fast schon so wichtig wie das ganze künftige Neubruchland.«

 

»Er hat mich gar wohl gefaßt«, versetzte der alte Herr mit freundlichem Lächeln. »Wenn das Reich Gottes auf Erden erscheinen und ihm die Stätte bereitet werden soll, so tut es zuerst not, daß ein Kern von guten Menschen gezogen wird, von welchen die Güte und der Segen allmählich auf die andern übergehen kann. Die müssen aber festhalten wie ein Häuflein Streiter, von denen der Ausgang einer Schlacht abhängt. Ja, mein Sohn«, fuhr er fort und legte ihm die abgemagerte Hand auf dieselbe Schulter, welche vorhin der Aufseher so unsanft berührt hatte, »da muß man den Pflug über das trotzige Herz gehen lassen, da muß man eine Beleidigung nicht mit Tätlichkeiten erwidern, die ins Zuchthaus führen. Vielmehr, wer zu jenen Kerntruppen gehören will, der muß gegen seinen Feind gar noch ein gutes Wort und ein freundlich Gesicht aufzuwenden haben, und was noch weit mehr heißen will, es muß ihm sogar von Herzen gehen.«

 

Der Jüngling, der irgendeinen Widersacher im Geiste vor sich stehen sehen mochte, trat bei dieser Zumutung betreten einen Schritt zurück. Die Größe der Aufgabe war ihm augenscheinlich schwer aufs Herz gefallen. – »Aber«, sagte er, »da wird mancher denken, wie es im Evangelium heißt: das ist eine harte Rede, wer kann sie hören?«

 

Der Greis lächelte. »Mein junger Freund ist sehr bibelfest«, versetzte er, »ich bemerke das heut nicht zum erstenmal. Die besten Kernsprüche, die schönsten Liederverse hat er fest im Kopfe behalten, aber ob auch in einem feinen Herzen? Das ist nun die Frage. Diese schönen Stellen, welche die Jugend in den Schulen auswendig lernt und oft recht gedankenlos dahersagt, sind Samenkörnern zu vergleichen. Nun ist es zwar um ein Samenkorn ein edles Ding, aber der aufgewachsene Baum und seine Früchte sind doch noch etwas ganz anderes. Oh, mein lieber Friedrich, ich fürchte« – bei diesen Worten hob er liebreich den Finger gegen ihn auf –, »ich fürchte, dieses trotzige Gemüt muß noch durch Leiden gebeugt und recht umgebrochen werden, wenn es ein Boden werden soll, darin der Same zu Früchten aufgehen kann. Mein Sohn, habe Er immer den vor Augen, von dem wir jene Sprüche überkommen haben, der nicht schalt, da er geschlagen ward, und nicht dräuete, da er litt. Ich will Ihm aber nicht mit einem Male ein Werk auflegen, das für manche zartere Seelen noch zu schwer ist. Fange Er im Kleinen an, mein lieber Sohn. Strebe Er, sanftmütig zu werden. Denke Er immer zur rechten Zeit daran, den aufquellenden Zorn zu bezähmen; denn der Zorn hat einen bösen Urahn, den Mörder von Anbeginn, und wenn man ihn herausläßt, so gleicht er der Kugel, von der das Sprichwort sagt: ›wenn sie aus dem Rohr ist, so ist sie des Teufels‹. Vor allem aber will ich Ihm eines ans Herz legen. Er ist vermöglicher Leute Kind, und in einem Wirtshause fallen manche Brocken ab. Benütze Er diese Gelegenheit, um Gutes zu tun und nach Seinen Kräften den traurigen Unterschied, der in der Welt ist, ein wenig auszugleichen. Er kann, ohne Seinen Vater zu übervorteilen – und das darf Er ja nicht tun! –, manchem armen Schlucker etwas zufließen lassen. Ich sage das nicht, daß Er meinen soll, Er könne sich ein Verdienst vor Gott damit erwerben. Aber der rechte Glaube wird auch immer die rechten Werke gebären, und hinwiederum, wer die rechten Werke tut, der setzt zugleich sein Inneres in die rechte Verfassung, wie sie vor Gott sein soll; denn Gutes tun macht ein gelindes Herz. Deshalb, mein Sohn«, beschloß er mit einem unbeschreiblich heitern und scherzhaften Lächeln, »will ich Ihm, da Er noch so jung ist, nicht zumuten, daß Er gleich als Flügelmann unter jene Kerntruppen tritt, von denen ich gesprochen habe. Suche Er nur zuerst als Marketender bei ihnen anzukommen, dann kann Er sich allmählich weiter aufdienen, bis –«

 

Ein Geräusch unterbrach ihn, das ihm den frommen Scherz aufs kläglichste verbitterte. Unzweideutige Schläge hallten von dem untern Stockwerk her, dem der Geistliche und sein aufmerksames Beichtkind nahe standen. Sie folgten mit unerbittlicher Regelmäßigkeit aufeinander, so daß der Greis die schwache Hand ausstreckte, als ob diese abwehrende Gebärde der Grausamkeit ein Ende machen könnte. Man hörte kein Geschrei, sondern nur ein dumpfes Knurren, in welchem jedoch der menschliche Ton zu unterscheiden war. Dieses Knurren, das sich in Zwischenräumen wiederholte, machte den Vorgang weit unheimlicher, als wenn die lautesten Wehklagen ihn begleitet hätten.

 

Der junge Friedrich ballte die Faust gegen das Gebäude. »Diese Prügelhunde!« rief er, »es ist ihnen nur wohl, wenn sie zuschlagen können.«

 

Der Waisenpfarrer legte ihm wieder die Hand, die aber diesmal zitterte, auf die Schulter. »Mein Sohn«, sagte er, »die Menschen haben es mit der Sünde verdient, daß der Schmerz und das Wehtum in die Welt gekommen ist. Wo aber Strafe ist, heißt es, da ist Zucht, und wo Friede ist, da ist Gott.«

 

Die Schläge hallten dazwischen fort. Der Greis brach mit einem tiefen Seufzer die Unterredung ab. »Nun lebe Er wohl, mein lieber Friedrich«, sagte er. »Gott sei mit Ihm auf allen Seinen Wegen. Denke Er an das, was ich Ihm gesagt habe, damit wir uns fröhlich und ebendarum niemals mehr an diesem Orte wiedersehen.«

 

Er drückte ihm die Hand und wankte, so eilig als er es vermochte, an seinem Stabe dahin. Zwar hatte auch er die Meinung seinerzeit ausgesprochen, daß durch grausame Züchtigungen der Wille Gottes erfüllt und sein Kommen vorbereitet werde, aber er schien doch nicht gern dabei zu sein und hatte es in diesem Augenblick wohl tief empfunden, daß das Reich Gottes, so wie er es verstand, noch sehr ferne sei.

 

Der junge Friedrich aber blieb unter den Fenstern des Zuchthauses stehen und lauschte dem Geräusch der Pein, vor welchem sein ehrwürdiger Beichtiger entflohen war. Er fühlte zwar nicht geringe Entrüstung über die Gewalt, die hier einem Menschen angetan wurde, aber der Schmerz des Armen verursachte ihm, der selbst schon manchen derben Puff ausgehalten hatte, kein besonders zartes Mitgefühl.

 

Die Schläge hörten endlich auf. Bald hernach öffnete sich die Türe, und von einer unsichtbaren Hand geschleudert, kam ein Mensch herausgeflogen. Der Stoß war nicht eben sanft gewesen, doch hie der Hinausgeworfene sich wie eine Katze auf den Füßen. Sein Gesicht zeigte trotz der zigeunerischen Farbe die Spuren überstandener Anstrengung, es war dunkelrot, und ein schielendes Auge gab diesen jugendlichen Zügen einen furchtbaren Ausdruck. Der junge Zigeuner, der soeben einen rauhen Abschied durchgemacht hatte, schüttelte sich am ganzen Leibe, er kehrte sich gegen das Zuchthaus um, streckte die Zunge, so lang er konnte, heraus und ging dann gemächlich seiner Wege.

 

»Ich glaub, sie haben dich mit ungebrannter Asche gelaugt, und das scharf«, sagte Friedrich, als er an ihm vorüberkam.

 

»Ich glaub auch«, war die trockene Antwort des Zigeuners, der einen Blick aus seinem scheelen Auge über den Frager hinlaufen ließ und sich von dannen machte.

 

Friedrich, der auf den Burschen neugierig geworden war, folgte ihm von weitem nach. Aber erst als sie Ludwigsburg mit seinen vornehmen regelrechten Straßen hinter sich hatten, wagte er, die Gesellschaft des verachteten Zigeuners aufzusuchen. Dieser schien nachlässig vor sich herzuschlendern, und doch hatte er Mühe, gleichen Schritt zu halten und ihn endlich einzuholen.

 

»He, wohinaus, Landsmann?« schrie er ihn an.

 

»Dem Hohenstaufen zu«, antwortete der Zigeuner seitwärts herüber, ohne sich in seinem Gange aufhalten zu lassen.

 

»Dann haben wir ja schier gar einen Weg«, sagte Friedrich, an seiner Seite gehend. »Der meinige führt nach Ebersbach.«

 

»Da können wir wenigstens eine Strecke weit beisammenbleiben«, erwiderte der Zigeuner.

 

Die beiden jungen Burschen gingen nun mit wackeren Schritten durch die Ebene und dann jenseits des Neckars über die Anhöhen hin, welche zwischen diesem und der Rems liegen, und machten nach einer tüchtigen Wanderung bei einem einsamen Wirtshäuschen halt, wo Friedrich seinen Gefährten zu Gaste lud. Eine Flasche vom Saft des Apfels und ein Rettich, der den Sommer überlebt hatte, war alles, was ihm ein paar gesparte Pfennige aufzutischen erlaubten. Die vorgerückte Jahreszeit ließ sich so mild an, daß die beiden Wanderer im Freien auf der verwitterten Bank unter dem alten Apfelbaum ihr Mahl verzehren konnten. Hungrig und durstig griffen sie zu und ließen sich's nach der Weise der Jugend schmecken.

 

Wie lustige Sperlinge genossen sie der wiedererlangten Freiheit, schalten auf das Gefängnis, von dem sie herkamen, spotteten über die Schwachheiten der Aufseher und erzählten sich lose Streiche, womit sie deren Wachsamkeit umgangen hatten. Unter Plaudern und Lachen war die Flasche nur allzubald geleert. Sie kehrten alle Taschen um, bis sie in der erdenklich kleinsten Münze, aber auch mit dem erdenklich größten Jubel die nötige Summe zusammengebracht hatten, um eine zweite zu bestellen.

 

»Wie bist du denn eigentlich«, fragte Friedrich unter dem Einschenken, »in den Gasthof zur Kardätsche geraten? Mit bloßem Vagabundieren hast doch so jung nicht so hoch in die Wolle avancieren können.«

 

»Nein«, erwiderte der Zigeuner unbefangen, »ich hab krumme Finger gemacht.«

 

»Pfui«, rief Friedrich, »Stehlen, das ist was Hundsgemeines, heißt das, wenn –«

 

»Von z'wegen was seid Ihr hineingekommen?« unterbrach ihn der Zigeuner etwas rasch. Ungeachtet des Ärgers über die biderbe Bemerkung vergaß er nicht, daß sein Genosse der herrschenden Nation angehörte und daß er den größeren Teil der Zeche bezahlt hatte: Grund genug, ihn in der majestätischen Mehrzahl anzureden. – »Man wird Euch auch nicht bloß um der Kostbarkeit willen hinter Glas und Rahmen aufgehoben haben.«

 

»Ich hab einen durchgeprügelt und das lederwindelweich. Der Heuchler gab dann vor, er könne den Arm nicht mehr gebrauchen. Es war aber erlogen, und so schickten sie mich eben auf ein halb Jahr an das Örtchen, von dem man nicht gern red't.«

 

Der Zigeuner machte ein unbefriedigtes Gesicht. »Und habt Ihr Euch niemals an fremdem Eigentum vergriffen«, fragte er, »daß Ihr da so auf dem höchsten Gaul sitzen könnt? Seid Ihr niemals einem andern in die Äpfel gegangen oder in die Kirschen? Denn«, setzte er eifrig hinzu, »Stehlen ist Stehlen, das sag ich

 

»Ja, meinem Vater bin ich wohl über die Kirschen gegangen und auch über die Geldlade. Aber das ist was anderes, das geht ja vom eigenen und heißt eben vor der Zeit geerbt. Das ist nicht gestohlen. Stehlen heißt, wenn man fremden Leuten das Ihrige nimmt, und das ist eine Schmählichkeit.«

 

»Wenn bei uns einer«, versetzte der Zigeuner höhnisch, »seine Eltern bestehlen würde, so könnte seines Bleibens nicht mehr sein; der ärgste Spitzbube würde ihn verachten und anspeien. Bei uns ist es Sitte, daß man die Eltern ehrt und liebt und daß man ihnen eher zubringt, als daß man sie bestiehlt. Dafür lassen sie es aber auch an ihren Kindern nicht fehlen, sie geben ihnen den letzten Bissen vom Munde weg, und deshalb ist es gar nicht möglich, daß so etwas bei uns vorkommt. Ist mir auch eine ganz besondere Lebensart, daß ich einen Fremden schonen soll, der mich nichts angeht, und soll mich dagegen an meinem Vater vergreifen, der mir der Nächste ist in der Welt. Das bring mir ein anderer in den Kopf, mir ist es zu hoch. Kommt mir gerade vor, wie wenn im Krieg einer sich von den Feinden abwenden wollte und auf seine Freunde schießen.«

 

Friedrich war betroffen. Sein gesunder Verstand sagte ihm, daß etwas Wahres an dieser Ansicht sei, und doch konnte er sie nicht zugeben, da sie den Sitten und Gewohnheiten, unter denen er aufgewachsen, völlig widersprach. Die beiden jungen Leute stritten eifrig und konnten sich lange nicht verständigen. Darin waren sie zwar einer Ansicht, daß auf die »Herrschaft« keine strengen Begriffe von Eigentum anzuwenden, daß die Tiere im Walde, die Fische im Wasser eigentlich Gemeingut seien; aber über den Rest des großen Kapitels vom Mein und Dein konnten sie nicht einig werden.

 

»Stehlen und Stehlen ist zweierlei«, rief Friedrich zuletzt. »Geh du nach Ebersbach und frag von Haus zu Haus, ob die Leut nicht einen Unterschied machen, und die Leut müssen doch auch wissen, was sie tun. Überall gilt's für eine größere Schande, wenn einer einem Fremden was stiehlt, als wenn er's den Eigenen nimmt; denn da bleibt's ja in der Familie.«

 

»Dann sollte man ihn auch in der Familie abmurxeln«, sagte der hartnäckige Zigeuner, »und jedem davon ein Stück zum Kochen geben, wenn eure Gesetze so schlecht sind, daß sie bloß den einen Diebstahl strafen, den andern aber nicht.«

 

»Oha«, sagte Friedrich, »umgekehrt ist auch gefahren. Selbiges ist anders. Die Gesetze, die sind so überzwerch wie du, die behaupten auch, Stehlen sei Stehlen. Wie es herauskam, daß ich meinem Vater ein paar hundert Gulden genommen hatte, die er mir nicht gutwillig geben wollte, um in die Fremde zu gehen, da taten sie mich geschwind nach Ludwigsburg zum Wollkardätschen, ob ich gleich erst ein unverständiger vierzehnjähriger Bube war. Damals hab ich auch gelernt, was der Willkomm und Abschied für höfliche Komplimente sind, und hab empfunden, wie es patscht, wenn Haselholz und Hirschleder zusammenkommen.«

 

Der Zigeuner schlug ein lustiges Gelächter auf. »Aber nicht wahr«, rief er triumphierend, »mit einem solchen Leibschaden noch stundenlang drauflos marschieren und dann auf einem hölzernen. Bänkchen herumrutschen, das könnt auch nicht ein jeder.«

 

»Nun, nun«, entgegnete Friedrich, »man merkt's dessenungeachtet wohl, wo du dermalen deine schwache Seite hast. Du sitzt ja so windschief da, als wenn das Bänkchen unter dir brennte, die armen Seelen in der Hölle, die auf dem Glufenhäfelein sitzen, können nicht öfter wechseln und nicht possierlicher den Fuß an sich ziehen. Aber das muß man dir lassen: mannlich hast du dich gehalten. Wenn ich nur noch ein paar übrige Kreuzer hätt, so ließ ich dir einen Kirschengeist zum Einreiben kommen.«

 

»Einreiben! Wer wird auch die Gottesgabe so sündlich verschwenden! Den Kirschengeist muß man innerlich brauchen, von innen heraus kuriert er noch einmal so schnell.«

 

»Das glaub ich dir!« lachte Friedrich. »Überhaupt hab ich schon oft gedacht, ihr Zigeuner müsset ein gutes Fell haben, stich- und kugelfest. Man könnt's, schätz ich wohl, zum Überzug für ein schwaches Gewissen brauchen.«

 

»Es dient oft auch dazu. Ja, eine gute Haut, die muß der Zigeuner haben, und hartgesotten muß er sein, wenn er solch mühseliges Leben aushalten soll. Frost und Hitze muß ihm gleichviel gelten. Halbnackt muß er gehen können, wenn ihm der gefrorne Schnee unter den Füßen kracht, und die schwerste Bürde muß ihm wie ein Flaum sein, wenn ihn die Sonne mittags auf die Glieder sticht. Sein Lager ist unter Gottes freiem Himmel, und in böser Nacht hat er's nicht immer so gut, daß er auch nur im Hüterhäuschen unterkriechen kann. Oft hat er nur einen Baum zum Obdach, unter dem schläft er zufrieden, wenn der Sturm durch die Äste fährt und die Blätter schüttelt, daß ihm der kalte Regen auf die Stirne tropft.«

 

»Herr Gott«, rief Friedrich mit rauher Rührung, »ich kann doch auch was vertragen, aber so ein Leben muß ja den besten Mann umbringen! Mußt du nicht selber sagen, daß es vernünftiger wäre, wenn ihr das Heidenleben aufgäbet, eine christliche Ordnung anfinget und ließet euch mit andern ehrlichen Christenmenschen in Handel und Wandel ein? Wer ein paar tüchtige Arme hat und einen Kopf, der sie regiert, der wird nicht sobald mit leerem Magen ins Bett gehen und nicht im kalten Regen schlafen dürfen.«

 

»Wir sind so gute Christen wie ihr«, versetzte der junge Zigeuner eifrig, »es mag sich fragen, ob wir nicht besser sind? Aber wie wollten wir denn mit euch leben? Ihr stoßt uns ja aus und wollt keine Gemeinschaft mit uns haben. Wie kann der Zigeuner, dem ihr mit Verachtung die Türe weiset, sein ehrlich Brot bei euch verdienen? Ich bin aus einer Familie, die schon seit zweihundert Jahren hier im Württembergischen, dann im Deutschherrischen drunten und in den beiden Markgrafschaften am Rheine drüben hin und wieder zieht. Nun fehlt es uns zwar dort nicht an Bekanntschaften, aber ich möchte doch auch in all diesen Landen einen einzigen Menschen sehen, wenn unsereiner z.B. käme und ihm sagte: ›Ich will ein ander Leben führen und ein ordentliches Wesen anfangen, da bin ich, nimm mich auf, teile dein Haus und dein Brot mit mir, soviel als dir meine Dienste wert sein mögen‹ – den Menschen möcht ich sehen, der darauf sagen würde: ›Tritt ein und bleibe bei mir.‹ Auch unter den Unsrigen möcht ich den Menschen sehen, dem es im Schlaf einfallen könnte, eine solche Bitte zu tun. Denn jeder weiß die Antwort im voraus und weiß, wie man beiderseits voneinander denkt. Das ist jetzt eben einmal von Anbeginn so und wird auch nicht mehr anders werden. Ich weiß wohl, ein mancher von den Meinigen ist eines bösen Todes gestorben, und wie könnte es auch anders sein? Das Element, in dem einer lebt, ist natürlicherweise auch zuletzt sein Tod. Das ist allenthalben so. Wer sein Leben lang im Hanfsamen sitzt wie ein freier Spatz, der find't wohl auf die Länge auch ein hänfenes Ende. Man tät's wohlfeiler nehmen, wenn man's haben könnte. Ein paar fette Kapitälchen verzinsen, essen und trinken, was gut schmeckt, mit vier Schweißfuchsen fahren oder auch nur mit zweien, – meint Ihr, der Zigeuner habe zu einem solchen gemächlichen Leben nicht so viel Genie als irgend jemand in der Christenheit?«

 

»Mir zweifelt's gar nicht!« lachte Friedrich. – »Aber jetzt kann ich auch auf einmal begreifen, warum du es für so schandhaft hältst, wenn von euch einer seinem eigenen Vater etwas nehmen würde, und an diesem Beispiel wird mir's klar, daß du eigentlich Ehr im Leibe hast. Denn die Moral ist bei euch im Grund die nämliche wie bei uns, nur daß sie natürlicherweise umgekehrt ist.«

 

Mit diesen Worten, die zwar keine klare Anschauung des Standpunkts, aber doch eine gewisse Ahnung desselben verrieten, suchte er die obschwebende Streitfrage zu lösen. »Aber es wird spät«, fuhr er fort, »und wenn wir die Buttel auch auswinden wie ein Leintuch in der Wäsche, so pressen wir doch keinen Tropfen mehr raus. Weißt was? Komm du mit mir über Ebersbach, ich will dir einen heidenmäßigen Kirschengeist einschenken zur inwendigen Kur. Ob du links am Staufen vorbeigehst oder rechts, das ist gehopft wie gesprungen.«

 

»Ja, es ist am End ein Ding«, entschied sich der Zigeuner, »und auf eine Stunde soll mir's nicht ankommen.«

 

Die beiden jungen Burschen erhoben sich und stiegen die gelinden Anhöhen hinab, an deren Fuße das Filstal sich gegen den Neckar öffnet. Wohlgemut schlenderten sie die Straße an dem Flüßchen aufwärts; der Zigeuner pfiff gellende Weisen, Friedrich aber schwieg still, und unter seiner breiten Stirne schien ein mächtiger Gedanke zu arbeiten. Die Worte des Waisenpfarrers gingen ihm im Sinne herum; das Vertrauen des ehrwürdigen alten Mannes hatte ihn stolz gemacht, und es war ihm zumute, als ob er gar nichts nötig hätte als ein bißchen guten Willen, um ein großes Werk zustande zu bringen.

 

Sie waren wohl eine gute Stunde so zugeschritten, ohne ein Wort miteinander zu reden, als Friedrich auf einmal stehenblieb und seinen Gefährten kräftig am Arme faßte. »Und ich sag dir«, rief er, »du bleibst bei mir! Ich will dir zeigen, daß ich auch ein guter Christ bin. Wenn ich dein armes verstoßenes Volk in das Erbe einsetzen könnte, das von Gott und Rechts wegen einem so gut gehört wie dem andern – mit einem Schlag wollt ich das tun. Nun kann ich aber weiter nichts, als an einem einzelnen, der mir unter die Hände kommt, ein christlich Werk verrichten. Du gehst mit mir, da ist keine Widerrede, die Sonne von Ebersbach hat Raum für viele! Da wird sich schon ein Plätzlein für dich finden im Haus und ein Stuhl am Tisch und ein Brocken in der Schüssel. Zu tun gibt's auch immer etwas, du dienst meinem Vater als Knecht, wie ich, und sollst es nicht schlechter haben als ich. An Frost und Schneepatschen, an Last und Hitze wird's zwar nicht fehlen, je nachdem die Jahreszeit ist; aber das Schlafen im kalten Regen und alles andere, was dazu gehört, das soll und muß ein Ende haben. Komm her, schlag ein.«

 

Der andere hatte ihn anfangs mit seinem scheelen Auge verwundert angesehen; die Zuversichtlichkeit seiner Rede schien aber jedes Bedenken bei dem Zigeuner verwischt zu haben, und er tat, wie ihn sein Gefährte hieß. Friedrich erwiderte seinen Handschlag mit einem noch kräftigeren, und zufrieden, wie wenn sie einen guten Markthandel abgeschlossen hätten, setzten sie ihren Weg miteinander fort. Der Tag begann sich eben zu neigen, da breitete sich das Ziel ihrer Reise, ein beträchtlicher Flecken, in angenehmer Talweite zwischen den Anhöhen wohlgelegen, freundlich und heimatlich vor ihren Augen aus.

 

 

2

 

 

»Frau Sonnenwirtin, jetzt ist's an mir!« rief der ältere von zwei Männern in hellblauen Wämsern, die am Wirtstische saßen. »Bringt nur gleich zwei Bouteillen auf einen Streich. Und wenn das Vermögelein draufgehen sollte, der Friede muß stet und fest sein. Man sagt ja, ein Prozeß sei etwas Fettes. Nun gut, auf etwas Fettes muß man brav trinken, damit's einem den Magen nicht verdirbt.«

 

»Nach Befehl!« erwiderte die Wirtin, eine große schlanke Frau, aus deren gelblichem Gesichte starke Knochen hervortraten; und die Flaschen auftragend fuhr sie fort: »G'segn's Gott, ihr zwei Müller, Ober und Unter! Das ist das wahre Wasser auf eure Mühlen und wird sie besser treiben als das Haderwasser, dem ihr einige Zeit her den Zugang verstattet habt. Ja ja, ich gratulier! Ein fetter Vergleich ist besser als ein magerer Prozeß. Das Sprichwort sagt's zwar umgekehrt, aber ich hab doch recht. Auch ist's gescheiter, das Geld in die Sonne zu tragen, als zum Advokaten, denn bei dem wär't ihr doch nicht so 'ring durchgekommen, wie mit so ein paar Bouteillen Zehner.«

 

Die beiden Zunftgenossen, welche einen über ihre Gerechtsame entstandenen Streithandel noch beizeit geschlichtet hatten, ließen ihrer guten Laune vollen Lauf. Sie saßen schon den halben Nachmittag hinter ihrer Friedensflasche und hatten, wie das in solchen Fällen zu geschehen pflegt, die streitigen Punkte sowie die Gründe, die zur Beilegung rieten, mehr als ein dutzendmal umständlich durchgesprochen. Lachend trank der jüngere der Wirtin zu, der ältere aber bedachte sie mit einer derben Liebkosung. – »Was die Sonnenwirtin noch ein fester Kerl ist!« rief er, »ich glaub, die wär Manns genug, um noch Zwillinge zu bringen.«

 

Die Frau schoß einen scharfen Blick aus ihren grauen Augen auf den Necker, stieß ihn mit einem halb scherzhaft, halb ernstlich gemeinten Scheltwort zurück und verließ, ihren Geschäften nachgehend, das Wirtszimmer.

 

»Ich glaub, Euch juckt's schon wieder nach einem Prozeß, Vetter!« sagte der jüngere Müller lachend. »Paßt nur auf, die da versteht keinen Spaß. Ihr werdet wohl wissen, daß man ihr kein gebrannteres Herzeleid antun kann, als wenn man sie an ihre Kinderlosigkeit erinnert.«

 

»Weiß wohl«, entgegnete der andere, »und ebendarum hab ich's getan, weil ich die neidige, gelbe, giftige Kröte noch gelber sehen will, als unser Herrgott sie geschaffen hat. – Komm her, Peter«, unterbrach er sich, einem Eintretenden zurufend, »du hast treulich mit zum Frieden geraten, nun ist's billig, daß du auch mit uns trinkst. Ihr werdet nichts dagegen haben, Vetter, wenn ich meinem Knecht einschenke? Hol dir ein Glas und geh her.«

 

Der Knecht tat, wie ihm geheißen wurde, und setzte sich dann hinter einen andern Tisch auf die Bank, die vorm Ofen längs der Wand hinlief. Von dort aus nahm er seinen wohlberechtigten Anteil am Gespräch, stellte sich auch in seinem Reden und Benehmen völlig auf den Gleichheitsfuß mit seinem Herrn und dessen Gefährten; nur dadurch, daß er nicht unmittelbar bei ihnen Platz nahm, beobachtete er den Standesunterschied.

 

»Der gelbe Neidteufel!« fuhr der obere Müller fort. »Man darf nur den Sonnenwirt vergleichen, was er unter seinem ersten Weib für ein Mann war, und was er unter dem dürren Rippenstück für einer geworden ist. Damals war er aufgeweckt und kameradschaftlich und gar nicht b'häb in Handel und Wandel und Geldsachen. Jetzt ist er schwach und hat keinen eigenen Willen mehr, dabei aber gegen andere Leute ein wahres Untier an Geiz und Hochmut. Der alte Kerl, er trägt den Kopf wie ein Edelmann und meint wahrhaftig, er sei aus anderem Teig gebacken als wie unsereiner.«

 

»Das macht eben der Reichtum«, sagte der Knecht von seiner Bank herüber.

 

»Ja, er ist grausig reich«, versetzte der untere Müller. »Der Holzschlegel rindert ihm auf der Bühne. Er wird wohl auf zwölftausend Gulden geschätzt. Aber freilich, wie Ihr sagt, Vetter, so verhält sich's: er ist b'häb und faßt das Tuch an fünf Zipfeln.«

 

»Ja, und guckt in neun Häfen zumal«, fiel der andere ein.

 

»Wo der gedroschen hat, darf man kein Korn mehr suchen«, ergänzte der Knecht.

 

»An all dem ist das vorteilhaftige böse Weibsbild schuldig! Sie will alleweil oben hinaus; sie möcht's gern der Pfarrerin und der Amtmännin gleichtun, schmeichelt sich auch bei ihnen an und verlästert andere Leute, denn das hören solche Frauen immer gern. Oh, die ist falsch wie Galgenholz. Und wie ist sie nur mit ihren Stiefkindern umgegangen! Die hat sie von Anfang an zurückgesetzt und verkürzt, in der Meinung, sie werde eigene bekommen, und wie das nicht eingetroffen ist, so hat sie's ihnen aus Mißgunst noch ärger gemacht. Die älteste Tochter hat den kahlköpfigen, trockenen Krämer da drüben geheiratet, um nur aus der Hölle loszuwerden. Die andere, die Magdalene, tät, schätz ich wohl, mit einem Frosch vorliebnehmen, wie die Prinzessin im Märlein.«

 

»Ihr trefft den Nagel auf den Kopf, Vetter?« rief der jüngere Müller mit mürrischem Lachen. »Wie? oder wißt Ihr's nicht? Hat ein blindes Schwein eine Eichel gefunden?«

 

»Nun, was ist's denn?«

 

»Habt Ihr den Laubfrosch noch nie aus und ein gehen sehen? Wißt Ihr denn nicht, was man für Werg an der Kunkel hat?«

 

Der andere schüttelte den Kopf.

 

»Das Ausrufungszeichen in dem froschgrünen Rock!« fuhr der jüngere hitzig fort. »Er sieht akkurat aus, wie Ihr ihn gestempelt habt. Seid Ihr denn heut ganz auf den Kopf gefallen?«

 

»Was, der Bartkratzer, der sogenannte Herr Chirurgus, der Heuchler, der Kopfhänger, die magere Kuh Pharaonis? Jetzt wird mir's anders! Jetzt hab ich eine Stärkung vonnöten! Kommt, Vetter, ich will's an Euch hinlassen.«

 

Damit erhob er sein Glas. »Ich will's ausstehen«, erwiderte der andere mit sauersüßer Miene, kam ihm mit dem seinigen entgegen, und sie stießen miteinander an. Nachdem der Knecht durch einen Wink beschieden worden war, den Dreiklang voll zu machen, lehnte sich der ältere Müller in seinen Stuhl zurück und fuhr verwundert fort: »Ei so guck einer! Der Alte schlägt seine Mädchen doch recht unterm Preis los, denn die paar Fußbreit Grundherrschaft, die der grüne Darmfeger besitzt, werden justement einen Sack Erdbirnen ausgeben, und was er jahraus, jahrein mit seiner Rasiererklinge aus den hiesigen Schweinsborsten und Igelsstacheln heraussticht und schabt, das wird ihn auch nicht gerade fett machen. Die Figur gibt's. Aber der Alte trifft zwei Fliegen mit einem Schlag. So ein Schlucker darf kein groß Heiratgut fordern; da behält der Schwäh'rvater seine Kronentaler brav in der Truhe und hat noch den Profit, daß ihm der fromme Schwiegersohn, so oft er den Morgen- und Abendsegen liest, um ein baldsanftseliges Ende betet. Seine erste Tochter wird auch nicht viel mitbekommen haben, wie er sie hinausgegeben hat; denn ich seh just nicht, daß ihr Eh'krüppel sonderlich stark spekuliert, weder in Käs noch in Schwefelhölzlen. Ekonträr, im Gegenteil, seine Firma geht einen sehr bedächtlichen Gang und blüht wie die späten Obstsorten; ich glaub, er hat's aufs langsam reich werden angelegt. Aber es ist doch ein Herr Handelsmann, in Stuttgart heißen sie's gar Kommerzienrat, und das ist Numero zwei. Den neuen Schwiegersohn kauft er vielleicht noch wohlfeiler, und das ist noch ein kostbarerer Artikel, das ist gar ein halber Doktor. Die Frau Chirurgussin wird sich natürlicherweise Flügel an die Haube machen lassen müssen, wenn sie mit der langen froschgrünen Stange ranggemäß über die Straße rudern will. Schad ist's übrigens um die Magdalene. Sie gäb grad so einen Arm voll für einen wackern Junggesellen, wie Ihr z.B., Vetter. Aber so weit gibt sich der Hochmut nicht herunter, unsereiner ist ihm nicht gut genug; so eine Rasierklinge ohne Handhab' schneid't ihm immer noch besser. O blinde Welt! Die Hand vom Butten, Vetter, 's sind Weinbeeren drin.«

 

»Meinthalben Rosinen und Zibeben!« fuhr der jüngere auf. »Habt Ihr mich auf der Muck? Wollt Ihr mich ins Gered bringen? Ihr schwätzt mir da recht hinterfür heraus, wie ein Mann ohne Kopf! Was will ich von dem Mädle? Habt Ihr wo läuten hören? Bin ich dem Sonnenwirt auf irgendeine Art oder Weise zu Hof geritten? Zwar, es fragt sich noch, wenn er einen wohlfeilen Schwiegersohn finden will, ob ihm nicht einer so gut ist wie der andere. Wenn's im Abstreicht geht, darf auch ein Bettelmann zur Auktion kommen, und das ist doch just nicht meine Nummer, wie Ihr selber am besten wißt. Übrigens kann mir die ganze Sippschaft gestohlen werden. Macht mir nichts vor! In dem Punkt versteh ich keinen Spaß.«

 

»Na, wollen den Geist ruhen lassen«, versetzte der ältere. »Aber soviel ist gewiß, wenn die erste Frau, die rechte Mutter, noch am Leben wär, so fiel die Aussteuer ein wenig größer aus und der Hochmut ein wenig kleiner.«

 

»Ja, und mancher böse Auftritt wär unterblieben und mancher Lärm und Spektakel bei Tag und auch bei Nacht, der die Sonne mehr in Finsternis als in Glanz brachte bei der Gemeinde. Und die Hauptsonnenfinsternis wär gewiß auch nicht so schwarz ausgefallen unter dem linden Regiment der rechten Mutter.«

 

»Was meint Ihr damit? Ja so, jetzt geht mir auf einmal ein Licht auf. Ihr sprecht vom Gutedel, vom jungen Sonnenwirtle. Mag leicht sein, daß der mit Verstand und Güte gradgebogen worden wäre, der knorrige Hagbuchenstock. Zwar ist es schwer zu sagen, ob das Mutterherz den rechten Weg gefunden hätte nachmals, wie es nötig wurde; denn die selige Sonnenwirtin war eben die gute Stunde selber und den Stab Wehe hat sie nimmermehr zu führen verstanden. Der Sonnenwirt sah dem Früchtlein auch in allweg zuviel durch die Finger, solang sie lebte und solang der Erbprinz die Nüsse noch mit den Milchzähnen knackte. Er hielt ihn zwar fleißig zur Schule an und sah auch sonst zum Rechten; aber ich weiß nicht, es hat eben doch an etwas gefehlt.«

 

»Ja«, lachte der jüngere Müller, »wohlgezogen, aber übel gewöhnt, das war er von Anfang an.«

 

»Ist denn ein Sohn da?« fragte der Müllersknecht von seiner Bank herüber.

 

Sein Dienstherr sah ihn verwundert an. »Ja so«, sagte er nach einer Weile, »du hast dich schon so bei mir insinuiert, daß ich schier gar gemeint hätte, du seiest seit Jahr und Tag in meinem Haus, und bist doch erst eine Woche da. Freilich auf die Art hast du den jungen Sonnenwirtle noch nicht zu Gesicht kriegen können. Wundert mich übrigens, daß du in deinem Deizisau nichts von ihm gehört hast; denn er ist ein Gewaltiger vor dem Herrn, und wenn man ihm nicht den Krattel beizeiten vertreibt, so kann er, schätz ich wohl, im ganzen Land bekannt werden.«

 

»Wo ist er denn?« fragte der Knecht.

 

»Er ist an einem Örtlein, wo du nicht gern hinkämst«, war die Antwort, und die beiden Müller brachen in ein Gelächter aus. »Jetzt rat einmal.«

 

Die Tür ging abermals auf, und ein Mensch in hohen Wasserstiefeln trat herein. Er trug einen Kübel, den er vorsichtig auf einen Stuhl setzte. »Ist die Frau nicht da?« fragte er.

 

»So, du bist's, Fischerhanne?« rief der obere Müller. »Was hast denn da? Du gehst ja mit dem Kübel so sachte um, wie wenn du Perlen in der Fils gefunden hättest.«

 

»Guten Abend, ihr Mannen«, sagte der Fischer. »Tut's so? ist's schon Feierabend? Nein, die Perlen geraten nicht hierzuland, außer in der Glasfabrik. Forellen sind's, frisch aus dem Bach, ich hab sie nur geschwind im Kübel hergetragen.«

 

»Was meint Ihr, Vetter? Wie wär's, wenn wir so ein paar Silberfischlein in die Küche schicken täten? Der Wein schmeckt noch so gut dazu. Wie, Fischerhanne, gib her, laß einmal sehen, was hast für War?«

 

»Ich kann keine davon hergeben«, sagte der Fischer. »Die Alte tät mich mit dem Besen zum Haus hinausjagen. Sie hat morgen ein Pfarrerskränzlein, und da braucht sie die Fusch alle.«

 

»So, so, die hochwürdigen Herren begnügen sich nicht mit dem geistlichen Fischzug und wollen daneben auch leibliche Gräten beißen?«

 

»Ihr lebet ja auch nicht vom Wasser allein, obgleich Ihr Müller seid«, erwiderte der Fischer, indem er trotz seiner abschlägigen Antwort den Kübel herüberholte und mit seinen zappelnden Insassen auf den Tisch setzte.

 

»Pflanz dich nur her«, sagte der andere. »Du gehörst ja in ein Element mit uns. Ein Glas Wein für den Fisch! Willst nicht? Und meinethalb noch einen Freitrunk drüber, daß der Weinkauf richtig ist.«

 

»So macht nur geschwind, daß die Alte nicht dazu kommt«, erwiderte der Fischer. »Aber mehr als einen auf den Mann kann ich nicht hergeben, und hier könnet ihr sie auch nicht essen, denn die Sonnenwirtin darf beileib nichts davon wissen.«

 

»Freilich, 's ist ein halber Kirchenraub!« rief der ältere Müller lachend, fuhr in den Kübel, griff mit sicherer Hand eine große schöne Forelle heraus, zu welcher der Fischer gewaltig sauer sah, schlug sie mit dem Kopf gegen die Tischecke und steckte sie eilig in die Tasche. Der jüngere war ebenso schnell seinem Beispiel gefolgt.

 

»So, Fischerhanne«, sagte der ältere, nachdem sie den Handel beendigt hatten, »wir wollen das Element leben lassen, das unsere gemeinschaftliche Nahrung ist. Nahrung, wohlverstanden! Denn für den Hunger ist's zwar gut, aber nicht für den Durst. Der Eulenspiegel hat's allezeit den starken Trank geheißen; es treibe Mühlräder, sagte er, und deshalb sei es ihm zu stark für seine Natur.«

 

Er klingelte am Glase, um noch eine Flasche zu bestellen. »Aber jetzt ist's recht«, rief er, als die Türe aufging; »jetzt kommt auch einmal die Oberkellnerin, die Magdalene. Komm her, du Hübsche und du Feine, da gibt's schmachtende Herzen zu laben.«

 

Das Mädchen, das auf den Ruf der durstigen Sturmglocke erschienen war, konnte man nicht ansehen, ohne ihr freundlich gesinnt zu werden. Sie trug auf einem wohlgewachsenen Körper ein rundes, unschuldiges, gutmütiges Gesichtchen, ein weiblich mildes Abbild von den derben Zügen ihres Bruders und zugleich eine Bürgschaft, daß auch hinter dieser rauhen Schale ein guter Kern verborgen sein könnte. »Hab ich's nicht gesagt?« rief der ältere Müller, »und es verlohnt sich der Müh, es zweimal zu sagen; wiewohl wir nicht in der Mühle sind! Das Mädle gäb einen staatsmäßigen Arm voll, nicht zu viel und nicht zu wenig, für einen braven Junggesellen.«

 

Er blickte dabei mit einer Spaßvogelsmiene auf den andern. »Wenn Ihr sie zu Eurer Käther hin heiraten wollt, so müßt Ihr eben ein Türk werden«, erwiderte dieser trocken. »Aber jetzt ist's wieder an mir! Eine Buttel für mich!« rief er barsch, auf die Flasche deutend, dem Mädchen zu und konnte es doch nicht lassen, ihr nachzublicken, bis sie in der Türe verschwand. Sie war feuerrot geworden und hatte die Flasche mit niedergeschlagenen Augen vom Tische genommen.

 

»Und wie sie so leibhaftig geht und steht!« rief der erste, der nicht müde werden konnte. »O du Milch und Blut!«

 

Magdalene erschien nicht wieder. Statt ihrer kam die Hausfrau, stellte die gefüllte Flasche auf den Tisch und nahm die Forellen, die der Fischer indessen auf den Stuhl zurückgebracht hatte, mit hinaus.

 

»Da trink, Fischer!« rief der jüngere Müller einschenkend. »Der treibt die Seelenmühle, vielleicht treibt er dir auch ein wenig Blut in die farblosen Backen.«

 

»Ja, das ist wahr, du siehst aus, wie wenn du's mit einer Wasserjungfer hättest«, sagte der ältere.

 

»Und so alt bist du geworden, Kerl!« fügte der jüngere hinzu.

 

»Wenn man sich tagtäglich im Wasser hetzen und verkälten muß und hat magere Bissen dabei«, entgegnete der Fischer unmutig, »so ist's kein Wunder, wenn der Firnis abgeht.«

 

»Wie alt bist denn, Fischerhanne? Du siehst aus, wie wenn du schon das Schwabenalter erreicht hättest, und bist doch, glaub ich, mit dem Sonnenwirtle aus der Schul gekommen.«