Vorwort

Es gibt sehr viele Eltern, die die erste neue Lebensphase mit dem Kind auf der einen Seite als sehr beglückend erleben, sich andererseits jedoch auch mit Problemen konfrontiert sehen, von denen sie nicht zu träumen gewagt hatten. Diesen Eltern zu helfen, die Schlafprobleme ihres Kindes zu bewältigen und zu einem entspannten und zufriedenen Familienleben zurückzufinden, ist höchst befriedigend und sinnvoll. Denn meist sind diese Eltern durch die Folgen der kindlichen Schlafprobleme deutlich in ihrer eigenen Befindlichkeit, in ihrem Schlaf sowie auch in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt. Dieser Zustand kann durch ein Training wie das vorliegende deutlich verbessert werden. Beim Trainingsende Eltern zu erleben, die sich mit ihrem Kind wohl fühlen, kompetente Erziehungsstrategien anwenden und die erreicht haben, dass ihr Kind zu einem gesünderen Schlafverhalten gefunden hat, ist schön. Dann nach drei Monaten diese Eltern bei der Katamnese zu sehen, denen das Gelernte präsent ist, die wissen, welche Strategien sie beim Wiederauftreten der Problematik anwenden können, ist überaus befriedigend und vergütet für die tausenden von Stunden, die in die Entwicklung und Erprobung investiert wurden.

Dieses Manual wurde auf Basis der bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse konstruiert und evaluiert. Die Arbeit von einigen Jahren fließt nun in dieses Buch. Dass diese Arbeit nicht das Resultat einer einzigen Person ist, liegt auf der Hand. Ich möchte daher die Gelegenheit nutzen, den vielen Personen zu danken, die mit Rat und Tat dazu beigetragen haben, dass dieses Projekt entstehen und verwirklicht werden konnte. Insbesondere und ganz besonders Isabel Brandhorst, die unermüdlich und zuverlässig als Co-Trainerin zu Verfügung stand, mitgedacht, korrigiert und organisiert hat. Weiterhin danke ich Anna Werner, die mitgeholfen hat, den Ablauf zu optimieren. Darüber hinaus danke ich auch Ines Franzen sowie ganz herzlich all den anderen Mitarbeitern und Praktikanten meines Teams – ohne diese Personen wäre das Projekt jetzt nicht auf diesem Entwicklungsstand. Herzlichen Dank vor allem auch an die Eltern, die uns immer wieder zu neuen Ideen verholfen haben.

Tübingen, März 2013

Angelika A. Schlarb

Einleitung

Gesunder Schlaf ist ein Geschenk der Natur. Der Schlaf-Wach-Rhythmus der Kinder konsolidiert sich vor allem im ersten Lebensjahr. Die Fähigkeit durchzuschlafen, also der Wechsel vom multiphasischen Schlafrhythmus hin zum biphasischen und schließlich zum monophasischen Schlafrhythmus wird in dieser Zeit durch die Fähigkeit nachts durchzuschlafen langsam eingeleitet. So festigt sich der Schlaf vor allem in den ersten vier Monaten (Henderson et al. 2010). Bereits im Alter von 4 Monaten ist der Einfluss elterlicher Erziehungsstrategien nachweisbar (Henderson et al. 2010). So zeigt die Entwicklung der Fähigkeit, sich selbst beruhigen zu können und wieder in den Schlaf zu finden (self-soothing), einen Zusammenhang sowohl zum Zeitpunkt des Schlafengehens und zur längsten Schlafperiode in der Nacht als auch zum elterlichen Erziehungsverhalten (Henderson et al. 2010; Sadeh et al. 2009). Im Alter von 2 Monaten können mehr als 50 % der Kinder zwischen 0 und 5 Uhr durchschlafen oder sind in der Lage, acht Stunden ohne Unterbrechung zu schlafen (Henderson et al. 2010; Pinilla und Birch 1993). In den ersten drei Monaten erfolgt eine weitere Ausdifferenzierung der einzelnen Stadien des Non-REM-Schlafs: Zunächst steht der Slow-Wave-Schlaf (Stadium III des Non-REM-Schlafs – Tiefschlaf) im Vordergrund, bei dem eine vermehrte Hormonausschüttung zu beobachten ist und vor allem für die rasch ablaufenden Hirnreifungsprozesse des Säuglings in den ersten Monaten benötigt wird (Mindell und Owens 2003). Ab ca. dem 3. Lebensmonat nimmt die bisher bestehende große intraindividuelle Varianz der Verteilung der Schlaf- und Wach-Phasen über 24 Stunden deutlich ab. Bei einem Kind beträgt ein einzelner Schlafzyklus ungefähr 50–60 Minuten (Stores 2001). Dies verändert sich über die weitere Kindheit und Jugend hinweg, so dass schließlich als erwachsener Schläfer ein Schlafzyklus im Durchschnitt 90–100 Minuten, also fast doppelt so lang dauert. Aber auch das Verhältnis von REM- zu Non-REM-Schlaf unterscheidet sich bei Kindern und Erwachsenen gravierend. Neugeborene zeigen eine Verteilung von 50:50 von REM- zu Non-REM-Schlafphasen (Louis et al. 1992). Dies ist oftmals auch der Grund für das häufigere Erwachen des Kindes, da es mehrere Schlafzyklen durchläuft. Ab dem Alter von ca. 4 Monaten schließlich hat sich das Kind weitgehend an die familiären Schlafgewohnheiten angepasst und schläft in der Regel im Rhythmus der Familie (zwischen 22 und 6 Uhr in der Früh). In diesem frühen Alter der Kinder sind bereits die selbstregulatorischen Kompetenzen des Kindes entscheidend (Sadeh et al. 2009). So unterschieden sich Kinder, die von ihren Eltern als »Durchschläfer« dargestellt werden, und solche, die als »Nicht-Durchschläfer« beschrieben werden, vor allem in der Fähigkeit, sich selbst zu beruhigen. »Durchschläfer« finden eigenständig in den Schlaf zurück und können sich selbst beruhigen (self-soothing), was mit einem verbesserten Nachtschlaf zusammenhängt (Sadeh et al. 2009). Darüber hinaus ist es für den Therapeuten wichtig zu wissen, dass Kinder, die scheinbar durchschlafen, genauso häufig wach werden, wie diejenigen, die elterliche Hilfe beim Wiedereinschlafen benötigen, aber in diesen kurzen Wachepisoden nicht von den Eltern wahrgenommen werden.

Viele Eltern und auch Experten sind sich nicht sicher, wie viel Schlaf ein Kind benötigt. Folgende Tabelle soll hierbei hilfreich sein. Zu beachten ist jedoch, dass dies Mittelwerte sind und sich das individuelle Schlafbedürfnis davon unterscheiden kann. Eine eventuell genetische Prädisposition zu einem geringeren oder einem erhöhten Schlafbedürfnis sollte im Gespräch mit den Eltern erfragt werden (► Tabelle 1).

Zu beachten ist, dass sich das Schlafverhalten nicht kontinuierlich in eine Richtung (z. B. Selbstständigkeit) verändert, sondern Schwankungen unterworfen ist. So schlafen im ersten Lebensjahr relativ wenige Kinder im Bett der Eltern (weniger als 10 %); das »Bedsharing« erreicht seinen Höhepunkt im Alter von 4 Jahren. In diesem Alter teilen mehr als 38 % der Kinder das Bett mit den Eltern (Jenni et al. 2005).

Tab. 1: Schlafbedürfnis nach Alter

Altersgruppe

Schlafbedürfnis

Babys (3–12 Monate)

14–15 Stunden

Kleinkinder (12–35 Monate)

12–14 Stunden

Vorschulkinder (3–6 Jahre)

11–13 Stunden

(National Sleep Foundation, Sleep in America; in Anlehnung an Iglowstein et al. 2003)

Es sollte bei der Arbeit mit diesen jungen Patienten immer auch berücksichtigt werden, dass die Schlafprobleme in diesem frühen Alter in der Regel nicht unbedingt weiter existieren müssen und nicht als Prädiktor für »Bedsharing« oder nächtliches Erwachen in der Kindheit zu sehen sind (Jenni et al. 2005).

Jedoch sollte unbedingt beachtet werden, dass es auch Kinder gibt, die aus Gewohnheit zu wenig Schlaf bekommen. Eine verringerte Schlafdauer steht im Zusammenhang mit vielerlei Auswirkungen. Mehr und mehr wird die Bedeutung eines angemessenen Schlafs für die emotionale Entwicklung des Kindes bekannt (Walker und Harvey 2010). Kinder, die jedoch zu wenig Schlaf erhalten, reagieren meist mit Stimmungsschwankungen, Reizbarkeit und Hyper-Vigilanz, sind anfälliger für negative Stimuli und reagieren nicht so gut auf positive (Guja et al. 2011). Zu berücksichtigen ist ebenfalls, dass beispielsweise Aufmerksamkeit, Arbeitsgedächtnis und Reaktionsverzögerung durch ein zu langes Wachsein beeinträchtigt werden können. Nicht zuletzt ist die Lernfähigkeit des Kindes durch zu wenig Schlaf oftmals deutlich eingeschränkt. Diese Kinder können, wenn sie dauerhaft zu wenig Schlaf erhalten, weniger gut lernen, reagieren stärker auf negative Situationen und weniger auf positive Lösungen bzw. Ansätze (Berger et al. 2012; Schlarb et al. 2012).

1 Ab wann wird das Schlafproblem eine Schlafstörung? – Die Probleme der Klassifikation

Durch die hohe individuelle Variabilität und die wirklich rasant verlaufende Entwicklung und Reifung des Kindes ist eine Abgrenzung von gesundem und gestörtem Schlaf in den ersten Lebensjahren meist schwer möglich. Zu entscheiden, ob eine pathologische Abweichung oder »nur« eine altersbedingte Entwicklungskrise vorliegt, ist daher keine so einfache Aufgabe und bringt Pädiater meist dazu, erst einmal abzuwarten und auf die Entwicklung des Kindes hinzuweisen und weniger dazu eine frühe Intervention zu initiieren (Basler et al. 1980; Sadeh et al. 2009; Schlarb 2010). Hinzu kommt, dass die ICD-10 bei einer Vielzahl von Störungen, die für das Kindesalter zutreffen, nicht unbedingt passende Symptombeschreibungen aufführt.

So wird bei genauerer Betrachtung der in der ICD-10 genannten Kriterien für eine nichtorganische Schlafstörung (F51) deutlich, dass diese sich hauptsächlich auf Erwachsene beziehen:

Hingegen erlaubt die von der American Academy of Sleep Medicine (2005) herausgegebene International Classification of Sleep Disorders (2005) eine wesentlich genauere Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Schlafstörungen und gibt dem Diagnostiker detailliertere Anweisungen, welche Kriterien für eine spezifische Diagnose erfüllt sein müssen. Das für die Kindheit besonders häufig auftretende Störungsbild der Behavioralen Insomnie, auf dem auch der Fokus von Mini-KiSS liegt, wird im Folgenden detaillierter beschrieben. Die anderen Störungen, vor allem Parasomnien wie Pavor Nocturnus, Somnabulismus, Alpträume und schlafbezogene Ängste, werden hier eher kurz skizziert. Sie sind zwar kein Ausschlusskriterium für die Anwendung des Mini-KiSS-Behandlungsprogramms, aber es ist nicht speziell für diese Störungen konzipiert worden. Ausschlusskriterium hingegen ist, wenn das Kind eindeutig eine organisch begründete Schlafstörung aufweist, dann sollte sich der Fachmann sofort an ein entsprechendes Kinderschlaflabor wenden, um eine entsprechende Diagnostik zu veranlassen. Wird bei der Diagnostik ersichtlich, dass erzieherische Aspekte bei der Aufrechterhaltung einer solchen Störung beteiligt sind oder gar zur Symptomverstärkung beitragen, so ist dieses Training als Adjunkt sinnvoll.

1.1 Insomnie

Die Hauptkriterien einer Insomnie beziehen sich auf Klagen über Ein- und/oder Durchschlafstörungen oder einen – trotz normaler Länge – unerholsamen Schlaf sowie ein daraus resultierendes beeinträchtigtes Tagesbefinden. Da Kinder im Alter zwischen einigen Monaten und 4 Jahren dies so nicht benennen können, wird bereits die Feststellung dieser Symptome schwierig. Daher sind die Eltern meist diejenigen, die den Schlaf des Kindes beurteilen und anhand der Tagessymptomatik des Kindes eine solche Beeinträchtigung feststellen können. Insgesamt jedoch ist auch die Behaviorale Insomnie des Kindesalters dieser Kategorie zuzuordnen.

Die Behaviorale Insomnie des Kindesalters umfasst zwei Störungstypen, den Sleep-Onset-Association-Typ und den Limit-Setting-Typ. Diese beiden Subtypen sind sehr häufig vor allem in dem jungen Alter zwischen 3 und 35 Monaten vertreten (Moore et al. 2006) und werden daher im Folgenden genauer dargestellt.

A) Sleep-Onset-Association-Typ (SOT)

Diese Störung kann sowohl bei Ein- als auch bei Durchschlafschwierigkeiten zutreffen. Die Hauptsymptomatik ist die Abhängigkeit des Kindes von speziellen Schlafhilfen. So finden die Kinder am Abend und in der Nacht in der Regel nur dann in den Schlaf, wenn spezifische Stimulationen durch die Eltern gegeben sind. Die Kinder benötigen bestimmte Aktivitäten wie Schaukeln oder Tragen, besondere Objekte, die Anwesenheit der Eltern (meist im Bett) oder das Geben der Brust oder aber auch eine bestimmte Schlafumgebung wie das Elternbett, das Sofa oder den Autositz. Fehlen diese Stimuli, erhöht sich die Ein- und Wiedereinschlafproblematik, bis die gewohnten elterlichen Stimulationen wieder herbeigeführt werden.

B) Limit-Setting-Typ (LST)

Dieser Subtyp ist durch eine fehlende elterliche Grenzsetzungsproblematik gekennzeichnet. Die Eltern setzen keine, inkonsistente oder nicht vorhersehbare Grenzen, was sich beim Kind in teilweise sehr massiven Widerständen beim Zubettgehen äußern kann. Diese Kinder zeigen eine starke Abwehr, ins Bett zu gehen, zögern die Zubettgehroutine und das Zubettgehritual bisweilen provokant hinaus und benötigen viel Zeit, um tatsächlich einzuschlafen. Häufig fordern diese Kinder mehrfach Dinge, wenn sie bereits im Bett liegen, wie z. B. Milch, wieder herausgenommen zu werden, eine weitere Geschichte oder Lied zu hören etc. Im Zusammenhang mit dem Limit-Setting-Typ stehen geringe elterliche schlafbezogene Erziehungskompetenzen.

1.2 Parasomnien

1.2.1 Pavor Nocturnus

Meist sind die Eltern sehr beeindruckt von diesem Störungsbild, da sich der für den Pavor Nocturnus durch ein abruptes nächtliches Aufschrecken mit massivem Angstaffekt aus dem Non-REM-Schlaf auszeichnet. Dies geschieht in der Regel im Stadium III, ca. 60–120 Minuten nach dem Einschlafen, also im ersten Drittel der Nacht. Weitere Kennzeichen sind ein initialer, gellender Schrei sowie eine Aktivierung des autonomen/vegetativen Nervensystems, was sich beispielsweise durch Schwitzen, Gesichtsröte, Tachypnoe, Tachykardie und Mydriasis bemerkbar macht. Die von den Kindern geäußerte große Furcht steht in Verbindung mit einer ausbleibenden Reaktion auf die direkte Ansprache. Oftmals erkennen die Kinder ihre Eltern nicht. Die Kinder sind nur schlecht zu wecken und schwer zu beruhigen. Am Morgen besteht weitgehende Amnesie bezüglich der nächtlichen Ereignisse. Ein direkter Zusammenhang mit emotionalen Problemen existiert nicht. In der ICSD-2 wird für den Pavor Nocturnus eine Prävalenz von 1–6,5 % angegeben. Auch in diesem Fall finden sich wieder große Unterschiede in den gefundenen Häufigkeiten. So berichten Laberge et al. (2000) über eine Häufigkeit des Nachtschrecks von 14,7 % in der Altersgruppe der 3- bis 10-Jährigen und Owens und Mindell (2005) über eine Quote von 17,3 % bei 3 bis 35 Monate alten Kindern.

1.2.2 Schlafwandeln/Somnabulismus

Der Somnambulismus ist durch ein plötzliches Aufrichten oder Aufstehen bis hin zu komplexen Verhaltensweisen im Schlaf gekennzeichnet. Schlafwandeln beginnt in der Regel ca. 60–120 Minuten nach dem Einschlafen und passiert hauptsächlich im Stadium III des Non-REM-Schlafs. Zu den weiteren Charakteristika zählen schlechte Bewegungskoordination, Desorientierung, schwere Erweckbarkeit und morgendliche Amnesie für das Schlafwandeln. Die angegebene Prävalenz für Somnabulismus in der Kindheit liegt bei 9,2–17 % (Laberge et al. 2000; Owens und Mindell 2005). Studien aus dem deutschsprachigen Raum zeigen hingegen mit 3–4 % deutlich niedrigere Prävalenzen für die Störungsbilder Somnambulismus und Pavor Nocturnus auf (Wiater und Scheuermann 2007).

1.2.3 Alpträume

Alpträume stellen eine häufige Problematik im frühen Kindesalter mit einer Prävalenz zwischen 5 und 30 % dar (Moore et al. 2006; Schlarb et al. 2010). Im Unterschied zum Pavor Nocturnus wachen die Kinder hier in der Regel aber auf, zeigen keine Desorientierung und können vom Traum berichten. Der Inhalt von Alpträumen variiert meist mit dem Alter. Während die Kleinkinder meist Separationsängste haben, fürchten sich Vorschulkinder meist vor Monstern oder Einbrechern.

1.2.4 Schlafbezogene Ängste

Im frühen Lebensalter sind Ängste vor dunklen Räumen und vor Phantasieobjekten ein häufiges Phänomen (Moore et al. 2006). In der Regel dauern diese Ängste nicht lange an, sondern verlieren sich im Alter von 5 oder 6 Jahren wieder. Einen zweiten Höhepunkt erreichen sie im Schulalter und sind daher auch in dieser Altersgruppe zu berücksichtigen. Als Differentialdiagnose sind »Widerstände beim Zubettgehen« zu sehen. Hierbei äußert das Kind bisweilen Ängste, mit dem Ziel die Eltern zu einem bestimmten Verhalten zu bringen (Moore et al. 2006). Die therapeutische Vorgehensweise bezieht sich bei schlafbezogenen Ängsten sowohl auf eine Balance zwischen Rückversicherung und Erhöhung der Selbstregulationskompetenz als auch auf die Installierung von Belohnungssystemen (Moore et al. 2006; Schlarb et al. 2011; Schlarb et al. 2012).

1.3 Schlafbezogene Atemstörungen

Das Schlafapnoe-Syndrom zeichnet sich durch wiederholtes Auftreten von Atemstillständen während des Schlafes aus, was zu einer Sauerstoffunterversorgung führt und meist mit einer ausgeprägten Tagesmüdigkeit einhergeht. Charakteristika sind Schnarchen, Schwitzen und mehr als fünf Apnoen pro Stunde oder zehn Apnea-Hypopnea pro Stunde. Das Obstruktive Schlafapnoe-Syndrom weist eine Prävalenz von 1–2 % v. a. bei Vorschulkindern auf (Anders und Eiben 1997). Bei Verdacht auf eine Apnoe sollte umgehend ein Schlaflabor kontaktiert werden (Auflistung der akkreditierten Schlaflabore sind beispielsweise auf der Homepage der DGSM zu finden).

1.4 Insomnie in der frühen Kindheit – Oder nur eine Irritation?

Um als Therapeut zwischen einer vorübergehenden Irritation und einer behandlungsnotwendigen Störung zu unterschieden, ist eine differenzierte Betrachtung der Problematik entscheidend. Eine gute Orientierung bietet das gestufte System von Gaylor et al. (2001). Meines Erachtens ist das stufenweise Vorgehen gerade bei den sehr jungen Kindern äußerst sinnvoll und dient sowohl den Eltern als auch dem Arzt oder Therapeuten gut zur Orientierung. Diese dreigestufte Einteilung orientiert sich an der Klassifikation der American Psychiatric Association (DSM-IV), die nach leichter, mittlerer und schwerer Schlafproblematik untergliedert (American Psychiatric Association, 1994) (Gaylor et al. 2001). Die Sleep Onset Protodyssomnia bezieht sich auf die Schwierigkeit des Kindes einzuschlafen. Folgende ► Abbildung veranschaulicht das Modell von der Irritation (Perturbation) bis hin zur Störung (Disorder).

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Die leichteste Irritation, in der Abbildung als »Perturbation« dargestellt, bezeichnet eine vorübergehende Störung des Schlafverhaltens mit einer betroffenen Nacht über einen Zeitraum von weniger als einem Monat. Diese Irritation kann im Rahmen eines normalen Entwicklungsverlaufs und damit einhergehenden Entwicklungsaufgaben gesehen werden. Meist melden sich die Eltern in einem solchen Fall nicht zu einer Schlafberatung oder gar -behandlung. Hingegen liegt bei einer »Disturbance« bereits eine ernsthafte Beeinträchtigung bzw. Belastung vor, die zwar als reversible Schlafstörung gesehen wird, mit zwei bis vier betroffenen Nächten pro Woche über ein bis drei Monate jedoch behandlungsbedürftig ist. Die letzte Stufe, die »Disorder«, bezeichnet eine umfassende Störung mit mehr als fünf betroffenen Nächten über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten. Diese Eltern melden sich durch die Beeinträchtigungen auch bei Pädiatern und fragen nach Rat (Schlarb et al. 2010). Sie berichten über Schwierigkeiten beim Zubettbringen, bei der Schlafeinleitung, der abendlichen Zubettgehzeit und auch über Schwierigkeiten bei den Schlafphasen tagsüber. Die in der Erklärung dargestellten »Reunions« sind Widerstände beim Zubettgehen, wie beispielsweise wiederholte Bitten oder Proteste des Kindes als auch Auseinandersetzungen zwischen Eltern und Kind hinsichtlich des Schlafens.

Das gleiche System wird bei nächtlichem Erwachen angewandt: Die »Night Waking Protodyssomnia« tritt nach einer Schlafdauer von mindestens 10 Minuten auf. Die Wachepisoden (WE) pro Nacht sind durch die Notwendigkeit der elterlichen Intervention gekennzeichnet (Gaylor et al. 2001, 2005).

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2 Prävalenzen von Schlafstörungen im frühen Kindesalter

Wie zuvor beschrieben, entwickelt sich der Schlaf bei jungen Kindern vor allem im ersten Lebensjahr noch deutlich und unterliegt besonders großen intra- und interindividuellen Schwankungen (Jenni et al. 2005; Henderson et al. 2010; Ferber 1996; Lozoff et al. 1995). Zu berücksichtigen ist, dass Schlafstörungen im Kindesalter von den Pädiatern nicht immer adäquat erkannt und diagnostiziert werden (Meltzer et al. 2010; Schlarb et al. 2010). So wissen viele Pädiater wenig über Schlafstörungen (Owens 2001) und unterschätzen daher auch die Anzahl der Kinder mit Schlafstörungen sowie die Folgen und warten gerne ab oder geben oftmals Medikamente (Owens 2001; Schlarb 2010).

Tabelle 2 zeigt, dass die Auftretenshäufigkeit von bestimmten Schlafproblemen und Schlafstörungen deutlich mit dem Lebensalter zusammenhängt. Während bei Jugendlichen oder Erwachsenen häufig das Grübeln mit einer Insomnie verbunden ist, treten bei jungen Kindern eher Widerstände beim Zubettgehen auf, die in der Regel im Erwachsenenalter keine Rolle spielen. Insgesamt wird die Auftretenshäufigkeit von Schlafstörungen meist unterschätzt.

Tab. 2: Prävalenz kindlicher Schlafstörungen

Altersbereich

Insomnie

Einschlafstörung

Durchschlafstörung

Widerstände beim Zubettgehen

Parasomnien (Pavor Nocturnus PN, Schlafwandeln SW, Alpträume AT, Enuresis nocturna E)

Kleinkinder

(0,5–2 Jahre)

5–20 %

6–12 %

20–50 %

8–10 %

Kindergartenalter

(2–5 Jahre)

5–20 %

9–12 %

13–40 %

(4 J.: 54 %)

15–50 %

PN: 1–6 %

SW: 5 %

AT: 5–50 %

E: 5–13 %

(nach Archbold et al. 2002; Armstrong 1994; Basler et al. 1980; Jenni et al. 2005; Largo und Hunziker 1984; Mindell et al. 2006; Moore et al. 2006; Richman 1981b; Salzarulo und Chevalier 1983; Schlarb et al. 2010; Wolke et al. 1994)

3 Persistenz frühkindlicher Schlafstörungen

Befragt man die Eltern, so berichten bis zu fünf von zehn Elternpaaren über Schlafprobleme oder Schlafstörungen bei ihrem Kind. Oftmals werden diese jedoch sowohl von den Eltern als auch vom betreuenden Pädiater eher als vorübergehende Krise gesehen (Schlarb et al. 2010). Aber: Schlafstörungen bei Kindern sind nicht nur häufiger als allgemein angenommen, sondern tendieren auch dazu, über einen längeren Zeitraum zu persistieren (Lam et al. 2003; Sudesh et al. 1987, Schlarb et al. 2011). So berichten bis zu 12 % der Eltern von einer fortwährenden Schlafproblematik ihres Kindes auch noch nach drei Jahren. Eine solche Chronifizierung geht meist mit einer Beeinträchtigung des kindlichen Verhaltens einher sowie mit einer eher depressiven Entwicklung der Mütter (Lam et al. 2003; Schlarb 2010).

Hierbei ist vor allem die Persistenz des nächtlichen Erwachens bei ca. 40 % der Kinder hervorzuheben (Jenni et al. 2005). Den bisherigen Forschungsergebnissen zufolge scheint zwar nächtliches Erwachen im Säuglingsalter eher ein vorübergehendes Problem zu sein; tritt es aber in der Kindheit auf, so besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass diese Problematik über einen längeren Zeitraum bis zum Alter von 10 Jahren besteht. Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass aufgrund der hohen Prävalenz und Persistenz (früh-)kindlicher Schlafstörungen eine frühzeitige Behandlung äußerst sinnvoll und notwendig erscheint.

4 Einfluss der Eltern und der Familie auf den frühkindlichen Schlaf

Selbstverständlich sind junge Kinder in ihrer Alltagsbewältigung vollständig auf die Erziehungspersonen in ihrer Umwelt (Eltern, Großeltern, Erzieher) angewiesen. Daher ist der Einbezug der familiären und elterlichen Faktoren hinsichtlich des (früh-)kindlichen Schlafs wichtig. Es wird vor allem funktionales und dysfunktionales Erziehungsverhalten unterschieden und der Einfluss der Lebensgeschichte der Eltern sowie deren erinnertes Erziehungsverhalten wird reflektiert. Schließlich wird auf den Einfluss von psychischer und physischer Gesundheit der Eltern und die Bedeutung der Partnerschaft eingegangen.

4.1 Zusammenhänge verschiedener familiärer Faktoren

Das Schlafverhalten des Kindes wird von vielfältigen Faktoren beeinflusst. Neben den genetischen Voraussetzungen und der momentanen Entwicklung des Kindes spielen vor allem auch elterliche und familiäre Faktoren eine große Rolle und interagieren miteinander. Um als Therapeut die diversen Faktoren, das elterliche Erziehungsverhalten sowie die Interaktionsstrategien zu erfassen und zu verändern, ist das Prozessmodell von Belsky (1984) (► Abbildung S. 17; erweitert von Kruse 2001, Wahl 2009, Schlarb 2011) gut geeignet. Es wurde zwar nicht speziell für Schlafstörungen entwickelt, ist jedoch zur therapeutischen Arbeit hilfreich, da es veranschaulicht, wie verschiedene Faktoren der Familie mit den Problemen des Kindes zusammenhängen können. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass der Einflussprozess reziprok ist und somit das elterliche Verhalten das Kind beeinflusst, jedoch auch das kindliche Verhalten das elterliche Erziehungsverhalten bedingt (Schlarb et al. 2010).

Ein positives Elternverhalten umfasst verschiedene Aspekte wie Stimulation, Wärme und Akzeptanz ebenso wie disziplinierende Maßnahmen. Die Eltern orientieren sich an den Bedürfnissen und Entwicklungsschritten des Kindes und fördern emotionale Sicherheit, soziale Kompetenz, Unabhängigkeit und intellektuelle Leistungen (Belsky 1984). Als moderierende Einflussfaktoren kommen die Persönlichkeit und die psychische Gesundheit (auch die psychische Gesundheit während der Schwangerschaft), das Alter bei der Geburt des Kindes, Kompetenz- und Kontrollüberzeugungen sowie Attributionsmuster hinzu (Owens 2008; Bayer et al. 2007).

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Diverse Merkmale des Kindes wie Temperament, physische und psychische Gesundheit und Eigenheiten in seiner kindlichen Entwicklung beeinflussen wiederum das elterliche Erziehungsverhalten. So wirkt sich eine kindliche Schlafstörung auch durch den inadäquaten Schlaf, den sie bei den Eltern auslöst, stressreich auf die ganze Familie aus und kann zu einer Abnahme der Familienzufriedenheit (Mindell und Durand 1993) und zu einer insgesamt erhöhten familiären Belastung führen (Schlarb et al. 2010). Besonders Mütter empfinden Schlafschwierigkeiten der Kinder als stressbeladen für sich selbst und die ganze Familie (Bruni et al. 2000; Meltzer und Mindell 2007; Schlarb et al. 2011, 2012). Daneben können Schlafprobleme des Kindes elterliche Auseinandersetzungen über den Umgang mit der Situation nach sich ziehen (Bax 1980; Schlarb et al. 2011, 2012).

Das soziale Netzwerk kann sich sowohl unterstützend als auch belastend auswirken. So können Eltern, die in anstrengenden Phasen immer wieder Entlastung durch Freunde oder ein soziales Netz erleben, diese besser bewältigen (Belsky 1984). Auch können Eltern in ihrem Erziehungsverhalten durch die Rückmeldung des sozialen Netzes gestärkt werden, weshalb Gruppeninterventionen sinnvoll sind (Schlarb et al. 2012). Ein direktes Lob für den positiven Umgang einer Mutter mit ihrem schlafgestörten Kind kann innerhalb der Gruppe initiiert werden (z. B. »Sie machen das aber prima mit dem abendlichen Einschlafen.«). Ein indirekter Effekt könnte beispielsweise dadurch zustande kommen, dass durch die Wertschätzung des Partners die Mutter gestärkt wird und sie sich hierdurch kompetenter und gelassener fühlt.

Neben dem sozialen Netz beeinflusst vor allem auch die Paarbeziehung der Eltern das schlafbezogene Erziehungsverhalten und umgekehrt (Schlarb et al. 2012). Hinzu kommt, dass familiärer Stress das kindliche Schlafverhalten negativ beeinflusst (Kraenz et al. 2003).

Da das elterliche Erziehungsverhalten deutlich von dem eigenen subjektiv erlebten Erziehungsverhalten beeinflusst wird, ist es wichtig, mit den Eltern zu erarbeiten, nach welchem Muster sie ihr Kind erziehen. In Mini-KiSS wird dies das »elterliche Erbe« genannt. Hierbei werden die Eltern zur Reflexion und Prüfung ihres eigenen Erziehungsverhaltens angeregt – ob sie nicht reproduzieren, was sie selbst als Kind in negativer Weise erlebt haben oder jedoch – was auch nicht selten vorkommt – ihr Verhalten ins Gegenteil kehren. Ein solches Erziehungsverhalten steht meist mit Kognitionen im Zusammenhang, die evt. sogar von den Eltern der Eltern früher auch ausgesprochen wurden, wie: »Der frühe Vogel fängt den Wurm«, »Ein Indianer kennt keinen Schmerz«, »Das musst du aushalten«, »Nur erfolgreiche Menschen sind gute Menschen« etc. Diese als Kind erlebten Erziehungsverhalten werden eventuell von den Eltern reproduziert und tragen zur Symptomentstehung oder Aufrechterhaltung bei.

Ein oftmals umstrittenes Thema ist die Arbeitstätigkeit von Müttern. Einige Studien zeigen auf, dass Arbeitslosigkeit einen negativen Einfluss auf die Beziehung zwischen Eltern und Kind hat (z. B. Bronfenbrenner und Crouter 1983), während sich die Zufriedenheit mit der Arbeit positiv auswirkt. In diesem Fall werden Bestrafungen seltener eingesetzt und Disziplinierungsmaßnahmen eher begründet (McKinley 1964). Insgesamt ist es wichtig, einzuschätzen, ob die Erziehenden sich in der Situation wohl und kompetent fühlen und sich adäquat um die Kinder kümmern können.

4.2 Funktionales und dysfunktionales schlafbezogenes Erziehungsverhalten

Gerade bei der Behandlung von Schlafstörungen im frühen Kindesalter ist neben der Beziehung von Eltern und Kind vor allem das damit zusammenhängende Erziehungsverhalten entscheidend für die Implementierung eines gesunden Schlafverhaltens. Generell werden Verhaltensweisen wie

Diese Verhaltensweisen können genauso für schlafbezogene Situationen und -verhaltensweisen des Kindes genannt werden. So wirkt sich konsequentes Erziehungsverhalten und eine angemessene Zubettgehroutine positiv auf das Schlafverhalten des Kindes aus (Adams und Rickert 1989; Mindell 2006, Schlarb et al. 2012).

Von den Eltern wird ein eindeutig dysfunktionales Erziehungsverhalten meist als solches erkannt. So ist den Eltern präsent, dass harte Bestrafungen, wie z. B. Schlagen, (lang andauerndes) Einsperren, Drohungen und ausgeprägte emotionale Reaktionen auf Schwierigkeiten innerhalb der Familie, wie lautes Schreien, unkontrollierte Wut oder Enttäuschung, keine funktionalen Erziehungsweisen darstellen und das kindliche Schlafverhalten beeinträchtigen (Adam et al. 2007; Maccoby und Martin 1983).

Im Mini-KiSS-Training wird vor allem bezüglich der ungünstigen Zuwendung elterlicher Aufmerksamkeit auf kindliches Verhalten gearbeitet. Denn meist ist den Eltern die eher unauffällige Art eines solchen dysfunktionalen Erziehungsverhaltens nicht bewusst (siehe auch Patterson 1982). Bezogen auf die Schlafproblematik bedeutet dies, dass Eltern mit Erziehungsschwierigkeiten positives Verhalten des Kindes oftmals ignorieren oder nicht ausreichend beachten (z. B. Kind geht allein in sein Bett, Lob für das Im-Bett-Bleiben). Durch diese fehlenden Strategien wird die Wahrscheinlichkeit, dass erwünschtes Verhalten auftritt, nicht erhöht. Erfahren die Kinder hingegen Aufmerksamkeit für unerwünschtes Verhalten (z. B. Kind trotzt und verlangt nach immer neuen Dingen im Bett wie Milch, andere Puppe, noch ein Lied und bekommt dies auch), nimmt das Problemverhalten zu, so haben z. B. Kinder, deren Eltern beim Einschlafen anwesend sind, mehr Schlafprobleme (Adair et al. 1991; Owens 2008). Auch können kindliche Schlafprobleme eine Folge konditionierter Fehlverhaltensweisen sein: durch das Fehlen von klaren Einschlaf- und Zubettgehritualen oder wenn nächtliches Erwachen oder Schreien durch inadäquate Nahrungsangebote und positive Zuwendung verstärkt wird (Frölich und Lehmkuhl 1998).

Wie oben schon angedeutet, ist vom Therapeuten bei dieser Kausalitätskette immer zu berücksichtigen, dass dysfunktionales Erziehungsverhalten sowohl Ursache als auch Folge von Verhaltensauffälligkeiten und damit auch Schlafstörungen seitens des Kindes sein kann (Owens und Mindell 2005; Kazdin 1995). So kann auch das Schlafproblem des Kindes das problematische Erziehungsverhalten bedingen – vor allem wenn sich die Eltern bezüglich der Erziehungsstrategien uneinig sind (Schlarb 2010). Ebenfalls wichtig für die therapeutische Arbeit ist, dass nicht alle Fehler in der Erziehung zu Problemverhalten führen müssen, sondern dysfunktionales Erziehungsverhalten vor allem bei der Aufrechterhaltung und Stabilisierung von kindlichen Verhaltensauffälligkeiten einen wichtigen Faktor darstellt (Owens und Mindell 2005; Patterson et al. 1989).

Insgesamt ist ebenfalls zu berücksichtigen, dass die Intensität des Einflusses elterlichen Erziehungsverhaltens auf verschiedene kindliche Schlafstörungen variiert. So stehen organisch bedingte Schlafstörungen in einem vergleichsweise geringen Zusammenhang zur Erziehung, bzw. sie werden weniger durch ungünstiges Erziehungsverhalten beeinflusst. Während bei allen Schlafstörungen, bei denen das Verhalten des Kindes und damit auch das der Eltern maßgeblich beteiligt ist, eine wesentlich größere Verbindung zum Erziehungsverhalten besteht (Owens und Mindell 2005). Durch die oben beschriebene Diagnose Behaviorale Insomnie in der Kindheit wird der Anteil der elterlichen Beteiligung an der kindlichen Schlafstörung betont.

4.3 Zusammenhang zwischen kindlichen Schlafproblemen und der psychischen Befindlichkeit der Eltern

Eine Schlafproblematik des Kindes geht meist nicht spurlos an den Eltern vorbei. So leiden Eltern von Kindern mit Schlafstörungen häufiger als nicht betroffene Eltern unter Erschöpfung und negativen Affekten und zeigen Ambivalenzen zwischen Fürsorglichkeit, Ängsten, aggressiven Tendenzen sowie Schuldgefühlen (s. Papoušek 2004). Kindliche Schlafstörungen beeinflussen die elterliche Schlafdauer und tragen zu einer erhöhten Tagesmüdigkeit bei (Boergers et al. 2007; Owens 2008). Die aufgrund des Alters der Kinder meist durch Unterbrechungen gekennzeichnete beeinträchtigte, mütterliche Schlafqualität beeinflusst auch die Stimmung (Lam et al. 2003; Meltzer und Mindell 2007) sowie das Gesamtbefinden und die Gesamtgesundheit beider Elternteile (Martin et al. 2007). Somit sind die Schlafprobleme der Kinder ein Prädiktor für schlechte mütterliche Schlafqualität, während die mütterliche Schlafqualität wiederum ein Prädiktor für mütterliche Depression, Stress, Müdigkeit und Schläfrigkeit darstellt, insbesondere, wenn die Mütter zuvor nicht depressiv waren (Martin et al. 2007).

Auch entscheidend ist, wie die Eltern die kindliche Schlafproblematik bewerten und ob die Eltern sich hinsichtlich der Einschätzung des kindlichen Schlafbedürfnisses und Schlafes einig sind oder stark divergieren (Sadeh et al. 2007; Boergers et al. 2007).

Wird die Schlafstörung des Kindes behandelt, so geht es meist auch den Erziehungspersonen (im Besonderen den Müttern) deutlich besser (Schlarb et al. 2012). Die Eltern sind nach einer erfolgreichen Intervention in der Regel weniger müde, weniger deprimiert und hoffnungsvoller (s. Hiscock und Wake 2002; Eckerberg 2004). Zudem reduziert sich der wahrgenommene Stress und führt dazu, dass die Eltern ihre Rolle als weniger einschränkend erleben.

Zusammenfassend bedeutet dies, dass ein deutlicher Zusammenhang zwischen der psychischen Befindlichkeit von Eltern und den Schlafproblemen von Kindern besteht. Daher sollte bei der Intervention kindlicher Schlafstörungen vom Therapeuten vor allem auch die Psychopathologie der Eltern erfasst, berücksichtigt und soweit möglich in die Behandlung miteinbezogen werden.

4.4 Die Rolle und Bedeutung der Partnerschaftsqualität

Jede Beziehung erlebt ihre Höhen und Tiefen. Wichtig ist jedoch, dass die Eltern mit den Konflikten umgehen können und darauf achten, dass keine negativen Kommunikationsmuster entstehen, die chronifizieren und somit riskant für problematisches kindliches (Schlaf-) Verhalten sind (Grych und Fincham 1990; Emery und O’Leary 1982; Krishnakumar und Buehler 2000; Owens 2008). Partnerschaftliche Konflikte wirken sich in der Regel negativ auf den kindlichen Schlaf aus. Die Gesamtschlafdauer reduziert sich, der Schlaf wird deutlich mehr fragmentiert und vor allem in seiner Qualität beeinträchtigt. Auch weisen die Kinder eine erhöhte Schläfrigkeit während des Tags sowie Verhaltensauffälligkeiten auf (Sheikh et al. 2006; Velten-Schurian et al. 2010).

Im Gegenzug dazu hat die Verringerung kindlicher Schlafprobleme in der Regel einen positiven Effekt auf die elterliche Paarbeziehung. So verbessert sich die Ehezufriedenheit deutlich durch die Behandlung von Schlafstörungen bei Kindern (Adams und Rickert 1989; Schlarb 2011). Bei der Behandlung ist ebenfalls zu berücksichtigen, dass der Erfolg der therapeutischen Intervention auch von eventuell vorhandenen Paarproblemen abhängt. Es zeigt sich in der Regel ein größerer Erfolg, wenn sich die Eltern einig sind (Jones und Verduyn 1993).

5 Diagnostik kindlicher Schlafstörungen

Grundsätzlich sollte eine Abklärung durch den Kinderarzt erfolgen, um zu gewährleisten, dass die Schlafsymptome nicht aufgrund einer körperlichen Störung existieren. Folgende diagnostische Instrumente sind sinnvoll:

5.1 Schlafspezifische Anamnese

Die schlafspezifische Anamnese sollte verschiedene entwicklungsbedingte Fragestellungen wie auch Fragen nach Verhaltensgewohnheiten der Familie umfassen. Es ist sinnvoll, neben den demographischen Daten auch Art, Dauer, Verlauf und Schweregrad der Schlafstörung, Auswirkungen auf die Tagesbefindlichkeit und die Familie, Familienverhältnisse, Vorbehandlungen, organische Erkrankungen, andere psychische Probleme, Lebensgeschichte und belastende Lebensereignisse (in den letzten 12 Monaten) zu erfassen (s. Minde et al. 1993; Owens 2007). Weiterhin sollten folgende schlafbezogene Informationen erhoben werden:

Der Ablauf und die genaue Form von Beruhigungsverhalten sowie Einschlafhilfen der Eltern im Kontext des Schlafenlegens und Einschlafens (Wer übernimmt welche Rolle?) sollten ebenfalls Bestandteil der Anamnese sein:

5.2 Schlaftagebuch

Schlaftagebücher stellen in der Schlafforschung und Schlafbehandlung eines der am häufigsten eingesetzten Messinstrumente dar. Sie werden zur Erfassung der Schlafparameter verwendet und gelten als valide und reliable Messinstrumente (Owens 2000). Zur Diagnostik sollte das Schlaftagebuch zwei Wochen vor Behandlungsbeginn durchgängig von den Eltern geführt werden. Bei ganz jungen Kindern eignet sich ein 24-Stunden-Protokoll, welches neben den direkt schlafbezogenen Aspekten wie dem Tagesschlaf, Tagesschläfrigkeit, Zubettgehzeiten oder nächtliches Erwachen (Wachepisoden pro Nacht, die Wachdauer pro Wachepisode), die verschiedenen Verhaltenszustände des Kindes im Schlafkontext, wie Schreien, Unruhe, Stillen bzw. Füttern dokumentiert (Homepage der DGSM: www.dgsm.de; Anders und Eiben 1997). Bei etwas älteren Kindern kann man auf die üblichen Schlaftagebücher zurückgreifen.

Es ist sinnvoll, darauf zu achten, dass beide Wochen durch einen gleichen Tagesrhythmus bestimmt werden (also z. B. zwei Wochen Kindergarten). Das Schlaftagebuch gliedert sich im Allgemeinen in einen sogenannten »Morgenteil« und einen »Abendteil«, in denen die verschiedenen Parameter abgefragt werden (siehe Homepage der DGSM: www.dgsm.de): Aufwachzeit am Morgen, Anzahl und Dauer des nächtlichen Erwachens, Tagesschlaf, Dauer der Zubettgehprozedur, Zubettgehzeit, geschätzte Einschlafzeit etc. Aus diesen Angaben lassen sich folgende gängige Schlafparameter errechnen: Einschlaflatenz, Schlafkontinuität, Gesamtschafzeit und Vigilanz während des Tages.

Zur Auswertung sollten in der Regel die Aufzeichnungen der jeweils zweiten Woche genauer betrachtet werden, da die erste Woche als Adaptionswoche gilt (Müller und Paterok 1999; Schoicket et al. 1988). Nicht selten haben die Eltern den Eindruck, dass ihr Kind nachts kaum schläft und die meiste Zeit wach ist. In diesem Fall kann das Schlaftagebuch zu einer Objektivierung der elterlichen Wahrnehmung des Schlafverhaltens beitragen (Largo und Hunziker 1984).

5.2.1 Einschlaflatenz

Die Einschlaflatenz ist die Zeit, die zwischen dem Löschen des Lichts und dem Einschlafen liegt und dient unter anderem als Maß dafür, ob Einschlafprobleme vorliegen (Lehmkuhl und Frölich 1998). Diese Zeit sollte 20–30 Minuten nicht überschreiten (s. schlafbezogene Kriterien).

5.2.2 Schlafkontinuität

Die Schlafkontinuität ist von der Häufigkeit und Dauer des nächtlichen Erwachens und dem potentiellen Vorhandensein nächtlicher Aktivitäten des Kindes (z. B. Essen, Trinken) bestimmt. Einerseits kann die Häufigkeit nächtlichen Erwachens erhöht sein und das Kind die elterliche Unterstützung zum Wiedereinschlafen benötigen, da es mangelnde Kompetenzen hinsichtlich des self-soothing hat. Andererseits kann es durch nächtliche Interaktionen auch zu einer verlängerten Wachzeit kommen, wobei die Eltern oftmals berichten, dass das Kind nach Stimulation (Spielen, Herumtragen, Fernsehen etc.) verlangt.

5.2.3 Gesamtschlafzeit und Vigilanz während des Tages

Mit Kenntnis der Einschlafzeit, der Aufwachzeit und der Dauer der nächtlichen Wachliegezeit, ist die Gesamtschlafzeit des Kindes ermittelbar. Hierbei ist es besonders wichtig zu wissen, ob das Kind am Morgen von alleine erwacht oder ob es von den Eltern geweckt werden muss (Ferber 1995; Ferber 1990). Der letzte Fall kann trotz ausreichendem Schlaf und ohne Einschlafprobleme auf eine Hypersomnie hinweisen.

5.3 Children Sleep Habits Questionnaire (CSHQ-DE)

Um einen guten Gesamteindruck im Vorschul- und Grundschulalter zu erhalten, eignet sich z. B. der CSHQ-DE (Schlarb et al. 2010; Originalversion: Owens et al. 2000b). Er ist ein retrospektiver Screening-Fragebogen für Eltern von Kindern im Vor- und Grundschulalter (4 bis 10 Jahre), der bereits in einer Reihe von Studien zur Ermittlung von kindlichem Schlafverhalten eingesetzt wurde (Anders et al. 1978; Mindell 1993). Der Cut-Off-Score von 41 identifizierte 80 % der klinischen Stichprobe richtig.

Der Fragebogen kann zur Orientierung auch im jüngeren Alter eingesetzt werden. Er lässt auch bei dieser Altersgruppe eine valide Auswertung zu.

Den CSHQ-DE gibt es als deutsche Fassung unter www.dgsm.de.

5.4 Schlaflabor

Eine polysomnographische Untersuchung sollte vor allem bei Verdacht auf schlafbezogene Atmungsstörungen oder einer anderen, eher organisch bedingten Schlafstörung durchgeführt werden (Owens 2000). Auch in den Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von psychischen Störungen im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter für kindliche Schlafstörungen (Dt. Ges. f. Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie) wird die polysomnographische Abklärung bei Verdacht auf epileptische Anfällen, bei schweren Fällen von Schlafwandeln, bei Verdacht auf Pavor Nocturnus sowie zum sicheren Ausschluss atembezogener Schlafstörungen empfohlen, beispielsweise bei der Verdachtsdiagnose einer obstruktiven Schlafapnoe.

Dem Verdacht auf schlafbezogene Atmungsstörungen kann anhand der Screening-Fragen, die im CSHQ-Schlaffragebogen (Schlarb et al. 2010) vorhanden sind, nachgegangen werden. Auch Hinweise auf Pavor Nocturnus oder Alpträume können anhand des Fragebogens differenziert betrachtet werden.

Konzeption des Mini-KiSS-Manuals

Ob sich Eltern professionelle Hilfe für die Behandlung ihrer schlafgestörten Kinder suchen, hängt von einer Vielzahl an Faktoren ab. Natürlich spielt einerseits die wahrgenommene Dauer und das Ausmaß der Beschwerden eine große Rolle (Sarimski 2004). Auch werden die Eltern aktiv, wenn mehrere Personen betroffen sind und wünschen sich dann eine adäquate Behandlung (Schlarb 2010).

Das Mini-KiSS-Manual basiert auf den bisher erprobten und validierten Therapien von Schlafstörungen bei jungen Kindern. Die Konstruktion des therapeutischen Vorgehens wird daher durch eine Vielzahl an Untersuchungen unterstützt. Im Folgenden werden die einzelnen Behandlungsstrategien dargstellt, die Eingang in das Mini-KiSS-Training gefunden haben, damit für den Therapeuten die Basis des Vorgehens hinsichtlich des Trainings transparent wird. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass das Mini-KiSS-Therapieprogramm ein ressourcenorientiertes Verfahren ist – neben verhaltenstherapeutischen Vorgehensweisen wurden auch imaginative bzw. hypnotherapeutische Techniken und die Methode der positiven Psychologie implementiert. Da von den Eltern immer wieder auch nach Möglichkeiten der pharmakologischen Behandlung von Schlafstörungen bei Kindern gefragt wird, wird am Ende dieses Abschnitts kurz darauf kurz eingegangen.

1 Elterntrainings

Da bei Kindern im sehr jungen Alter die Eltern die primären Bezugspersonen sind, bieten sich in diesem Alter auch Elterntrainings an. Sie sind meist verhaltenstherapeutisch orientiert und basieren auf lerntheoretischen Grundannahmen (Warnke et al. 2001). Bei solchen Elterntrainings wird durch die systematische Arbeit mit den Eltern versucht, Veränderungen in der Eltern-Kind-Interaktion herbeizuführen. Ziel ist hierbei vor allem der Erwerb adäquater Erziehungskompetenzen. Gerade bezüglich der Schlafsituation und den -gewohnheiten werden die Eltern als Akteure gesehen, die den Kindern in verantwortungsvoller Weise Unterstützung und Hilfe zur Selbstberuhigung geben (Morrell und Cortina-Borja 2002; Warnke et al. 2001). Aus den oben dargelegten Forschungsergebnissen, in denen die Zusammenhänge elterlicher und kindlicher Faktoren aufgezeigt wurden, kann geschlossen werden, dass ein Elterntraining bei der Behandlung frühkindlicher Schlafstörungen sinnvoll ist. Daher beinhaltet das Mini-KiSS-Training zu einem großen Teil erziehungsorientierte Inhalte.

2 Einbeziehung beider Elternteile

Es ist sehr sinnvoll und hilfreich, beide Elternteile, soweit es möglich ist, in die Behandlung mit einzubeziehen. Werden beide Eltern in die Behandlung eingeschlossen, so erhöht sich der Effekt bezüglich der Reduktion der kindlichen Problematik deutlich (Lundahl et al. 2008).

3 Psychoedukation

Damit Eltern am Schlafverhalten des eigenen Kindes erkennen können, ob und wie eine Schlafproblematik vorliegt und wie diese mit ihrem Erziehungsverhalten zusammenhängt, erfolgt bei Mini-KiSS zu Beginn der Behandlung ein Psychoedukationsteil (Mindell et al. 2009; Steinberg et al. 2000), der folgende Themen beinhaltet:

Durch die Informationen hinsichtlich dieser Faktoren werden die Eltern in ihrer Wissenskompetenz über das Schlafbedürfnis und die Wichtigkeit der Einflüsse geschult. In der Regel erhöhen sich durch dieses Wissen die elterlichen Kompetenzüberzeugungen (Hiscock und Wake 2002). Die Beachtung der Schlafhygieneregeln bezüglich des kindlichen Schlafverhaltens ist Teil der Psychoedukation und wird bei der Durchführung betont.

4 Verhaltenstherapie